I. Die Gewerkschaftsbewegung bis zum Ausgang des Zweiten Weltkrieges
1. Die Anfänge: Voraussetzungen und Stationen Die Anfänge der polnischen Gewerkschaftsbewegung liegen noch in der Zeit der Dreiteilung Polens zwischen Preußen/Deutschland, Rußland und Österreich. Die erste Gewerkschaftsgründung auf polnischem Boden fand bereits Mitte Juni 1872 im damals preußischen Posen statt. Es waren deutsche Organisationen auf der Grundlage des lassalleanischen Arbeiterschaftsverbandes, die auch Polen erfaßten.
Organisiert wurden die Gewerkschaften nach dem territorial eingegrenzten Berufsverbandsprinzip. Deutsches Organisationsbeispiel blieb auch in Gewerkschaften bestimmend, die sich später als nationale polnische Gewerkschaften antideutsch profilierten. Bereits frühzeitig setzte die Bestrebung ein, Einzelgewerkschaften in Kartellen ähnlicher politischer Grundvorstellungen zu zentralisieren. Auf dieser Basis fand schon vor dem Ersten Weltkrieg eine politische Grundstrukturierung der polnischen Gewerkschaftsbewegung statt: Die Versuche, mit Hilfe eigener polnischer Gewerkschaftsblätter autonome polnische Gewerkschaftsorganisationen innerhalb der freien deutschen Gewerkschaftsbewegung zu gründen, mißlangen wegen der nationalpolnischen Politik der PPSzp (Polnische Sozialistische Partei des preußischen Teilungsgebietes) gleichermaßen wie die Verflechtung zwischen SPD und ihr auf parteipolitischer Ebene. Die polnischen Gewerkschaftsmitglieder gründeten Weihnachten 1913 in Anlehnung an die PPS einen eigenen „Zentralen Polnischen Berufsverband“ (CZZP). Gemeinsames Organ waren die von der SPD seit Anfang 1891 finanzierte „Gazeta robotnicza“ (Arbeiterzeitung) der PPSzp und das Blatt „Robotnik“ (Arbeiter), das die PPS ab 1894 in der Tradition der seit 1890 in Lemberg bestehenden gleichnamigen Zeitung in Kongreßpolen herausgab. a Den sozialistischen PPS-nahen Gewerkschaften, die eine nationale, gegen Rußland und Deutschland wenig versöhnliche Haltung einnahmen, standen in Kongreßpolen sozialdemokratische Gewerkschaften gegenüber. Sie verstanden sich als Teil der Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauens (SDKPiL) und waren vor allem im gewerblichen Bereich tätig. Sie waren internationalistisch und anational. Die PPS-nahen Gewerkschaften wirkten in Kongreßpolen im Gegensatz zu den SDKPiL-Gewerkschaften eine Zeitlang legal. Sie galten nach außenhin als parteilich nicht gebunden. Beide Richtungen nannten sich Klassengewerkschaften. Erst unter deutscher Besatzung im Ersten Weltkrieg konnten sie seit 1915 legal existieren.
Seit September 1902 bestand in Bochum in konzeptioneller Anlehnung an die Christlichen Gewerkvereine die aus eigenen Arbeitervereinen entstandene antisozialistisch-klerikale und nationalistische „Polnische Berufsvereinigung“ (ZPP), die in der polnischen Arbeiterschaft des Deutschen Reiches großen Einfluß gewann. Sie griff 1909 auf Kongreßpolen über, so daß die ZPP zur bedeutendsten polnischen Arbeiterorganisation wurde. In ihr gingen der Anfang 1906 auf kirchliche Initiative in Warschau gegründete „Verein Christlicher Arbeiter“, der sich mit klerikaler Hilfe schnell ausbreitete, und die mächtigen nationalistisch-christlichen Gewerkvereine Oberschlesiens auf, die sich in der zentralen Organisation der „Polnischen Gewerkschaften“ (PZZ) verbunden hatten.
Ferner bestanden „polnische Gewerkschaften“ als Einzelorganisationen des „Nationalen Arbeiter-verbandes“ (NZR). Er wurde Mitte 1906 von russischen Behörden legalisiert. Extrem nationalistisch und antisozialistisch provozierte er den verlustreichen Bruderkampf in der polnischen Arbeiterschaft während der ersten russischen Revolution 1905— 1907, der auch jüdische und deutsche Arbeiter vor allem in Lodz traf. Mit dem CZZP, der ZPP, der PZZ, dem NZR und den nicht kartellierten parteigebundenen sozialdemokratischen Gewerkschaften war das auch für die polnische Gewerkschaftsbewegung nach 1918 geltende Grundgerüst einer Gewerkschaftszentralisierung geschaffen, die parteipolitisch unterbaut war. Es war von Sozialismus, Nationalismus und Klerikalismus bestimmt, wobei sich eigentümliche Verbindungen von Sozialismus-Nationalismus und Nationalismus-Klerikalismus als Zwischenformationen ergaben. Die in sehr komplizierten Zusammenhängen gereifte, vielfältig determinierte polnische Gewerkschaftsbewegung besaß ihre Stärke gar nicht in den Klassengewerkschaften und den reinen Arbeiterparteien PPS und SDKPiL, die sich selber in folgenschwere Auseinandersetzungen um die Frage der polnischen staatlichen Unabhängigkeit und in politische Positionskämpfe verstrickten Sie entsprang vielmehr spezifischen nationalen Entwicklungen, was von nun ab bis in die jüngste Zeit Zeugnis dafür ablegen sollte, wie sehr nationale Traditionen, Geschichtsbewußtsein und Geschichtsverständnis der Gesellschaft aktuelles politisches Geschehen in Polen zu beeinflussen vermochten. 2. Entwicklung und politische Nutzung der Gewerkschaften
Im 1918 unabhängig gewordenen Polen wurden die Gewerkschaften noch weit mehr als bisher zu Stellvertretern für und Trägern der Partei-, dann aber auch der Regierungsinteressen. Damit begannen sie in eine neue politische Rolle hineinzuwachsen. Das verfassungsmäßig als parlamentarische Demokratie in seine Unabhängigkeit getretene Polen wurde durch den Staatsstreich seines Gründers Marschall Jozef Pitsudski vom Mai 1926 in Richtung auf eine zunächst nur autoritäre, aber zunehmend diktatorische Regierungsform gedrängt, die euphemistisch zur „moralischen Diktatur“ stilisiert wurde. Nach dem Tode des Marschalls Mitte 1935 mündete die Entwicklung in eine Militärdiktatur mit einer neuen, noch von Pilsudski initiierten und kurz vor seinem Tode angenommenen, aber schon bald überholten Verfassung (sogenannte April-Verfassung), die das bisherige Regime der Obersten, wie die Regierung kritisch genannt wurde, legitimieren sollte. Für die erhoffte gesellschaftliche Unterstützung baute das Regime bei gleichzeitiger gesetzlicher Beschneidung der Versammlungsrechte der Gewerkschaften und Ausbau der polizeilichen Aufsicht und Kontrolle wegen möglicher staatsfeindlicher sozialistisch-kommunistischer Tätigkeit im Verlaufe des Jahres 1932 auf Unterstützung durch die ihr konzeptionell aufgeschlosseneren nationalen und christlich-klerikalen Gewerkschaftszentralen. Dazu mußte der weit von der politischen Wirklichkeit abgedriftete Nimbus herhalten, man setze zum Wohle der katholischen Nation, die sich im „Lager der Nationalen Einigung“ (OZN) — in Wirklichkeit eine politisch egalisierende, rechtsextreme Ein-Partei-Bestrebung der Militärs des Regimes — seit 1936 um die Regierung zu scharen habe, die Traditionen des vergötterten „Marschalls“ und seiner nationalpolitischen, später antisozialistischen Ansichten fort. Die Klassengewerkschaften, die sich in Opposition zur Regierung verstanden, beteiligten sich an der Seite der PPS an Parlaments-und besonders Kommunalwahlen und stellten gemeinsam Kandidatenlisten auf, zuletzt Mitte 1939.
Der auf der Grundlage des Dekretes vom Februar 1919 weiter wirkende bisherige Gewerkschaftspluralismus der politisch orientierten Zentralen wurde nicht angetastet. Seit 1926 wurde er zu ungunsten der politischen Bedeutung der bestehenden Gewerkschaftszentralen im Regierungssinne noch erweitert, dabei aber zweckentfremdet. Durch Neugründungen, Abspaltung und eine politische Evolution ganzer Einzelgewerkschaften wurde eine neue Richtung von regierungsfreundlichen Gewerkschaftszentralen geschaffen. Man gab diese Entwicklung sogar als Stärkung der polnischen Demokratie aus, obgleich damit nur autoritäre Interessen des Regimes auf Kosten der gewerkschaftlichen Arbeiterinteressen unterstützt wurden. Mitte 1931 fanden sich die Regierungsgewerkschaften nach einigen Zwischenstationen im „Verband der Gewerkschaften Polens“ (ZZZ) zusammen.
Nach weiteren Metamorphosen gründete das „Lager der Nationalen Einigung“ (OZN) Ende 1937 die „Vereinigung der Polnischen Gewerkschaften“ (ZPZZ), der sich auch ZZZ-Gewerkschaften anschlossen. Sie verstand sich als alleinige Vertreterin antisozialistischen nationalen Arbeitersolidarismus. Anklänge an das italienische faschistische Koalitionsverständnis wurden im Laufe der Zeit immer deutlicher. Die „Vereinigung“ trat dem OZN bei, nahm gemeinsam mit ihm am Parlamentswahlkampf teil, unterstrich in ihrer Pro-17 grammerklärung und durch ihr Wirken die Rolle und Bedeutung der Militärs und der Armee, verlangte Kolonien und postulierte die Eliminierung der Juden aus Polen.
Im Oktober 1938 setzten ZPZZ, ZZP und die Zentralisierung der christlichen Gewerkschaften ChZZ in einer gemeinsamen Deklaration nationale vor soziale Ziele. Diese drei Gewerkschaftszentralen verstanden sich zunehmend als gemeinsame nationale Sammlungsbewegung.
In diesem politischen Umfeld strebte der damalige führende Gewerkschaftstheoretiker des Episkopats und spätere Kardinal und Fürstprimas von Polen, Stefan Wyszyhski, auf der Grundlage des christlichen Solidarismus einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus an. In den von ihm geprägten Leitsätzen des Sozialen Beirats des Episkopats vom Ende 1935 wurde den egalisierenden nationalen Gewerkschaften zwar eine Absage erteilt, jedoch ein auf der Grundlage katholischer Moral aufgebauter korporativ-solidaristischer Staat mit von ihm patronierten Berufskorporationen befürwortet.
Die im Verlaufe der deutschen Besatzungszeit im Ersten Weltkrieg gewachsene Bereitschaft zur Zentralisierung der Klassengewerkschaften wurde Mitte Juli 1919 verwirklicht. Vorsitzender wurde ein Sozialist der PPS, Stellvertreter ein Kommunist der KPRP (Kommunistische Arbeiterpartei Polens: ab 1925 KPP: Kommunistische Partei Polens). Mitte Mai 1920 nahm die Führung der Zentralisierung die Bezeichnung „Zentralkommission der Klassengewerkschaften (KCZZ) an. Da die PPS die Forderung der Kommunisten zurückwies, eine paritätische Besetzung der Gewerkschaftsführungen vorzunehmen, was die Kommunisten bei einem 37%igen Anteil forderten, schieden sie Mitte 1920 aus — es war die Zeit des Krieges mit Sowjetrußland —, kehrten aber 1922 in die KCZZ zurück, blieben in ihr bis 1927, um dann erneut in der Zeit der neuen Komintern-politik nach deren VII. Kongreß 1935 im gleichen Jahre überraschend mit nationalen Parolen zurückzukehren. Während der ganzen Zeit versuchten sie, auf die KCZZ Einfluß zu nehmen, zeitweise auch durch die Schaffung eigener Gewerkschaften, deren Leitung seit Mitte Januar 1931 in der Hand von Wladyslaw Gomulka, einem seit 1926 bewährten kommunistischen Gewerkschaftsfunktionär in den sozialistischen Klassen-gewerkschaften, lag. Im Grunde führte er die Linksopposition in den Klassengewerkschaften an. Die Ablehnung der Kommunisten war aber allgemein. Man bezichtigte sie des Verrats nationaler Anliegen (Unabhängigkeitsfrage!), der Verquickung mit und der Handlangerschaft für die Sowjetunion und die Juden. In seltener Überein-stimmung wurden sie in allen politischen Lagern als „Judenkommune“ (ydokomuna) bezeichnet.
In der Zeit der deutschen Besetzung, nach der Übernahme der Parteiführung der kommunistischen Nachfolgepartei PPR (Polnische Arbeiterpartei) versuchte Gomulka, gegen andere Konzeptionen, den kommunistischen Einfluß durch die Heranziehung gewerkschaftlicher Untergrundorganisationen auszubauen und zu stärken. In der kommunistischen Aktion zur Gründung einer polnischen Gegenregierung übernahmen sie die Funktion von Parteien.
Die Polarisierung der Gewerkschaftsbewegung gegen Ende der dreißiger Jahre zeigt ein Übergewicht der antisozialistischen, nationalen Gewerkschaftsbewegung. Während 1938 die traditionsreiche KCZZ 393 910 Mitglieder besaß, verstand es die ZPZZ innerhalb eines Jahres seit ihrem Aufkommen bereits 310 000 Arbeiter zu organisieren. Zählt man die Zentralen der Unterzeichner der Deklaration vom Oktober 1938 zusammen, so ergibt sich eine in der antisozialistisch-solidaristischen Tradition stehende Mitgliedschaft von 531 500 Personen. Im nationalen Zusammenhang ist wichtig, daß die KCZZ zu 80 v. H. aus Mitgliedern von PPS-orientierten Gewerkschaften bestand, die zwar oppositionell gegenüber der Militärherrschaft in Polen eingestellt waren, aber auf dem Boden der Interessen der polnischen Nation jeglichen Internationalismus und Kommunismus ablehnten.
Die Gewerkschaften waren traditionsgemäß branchenorientiert und territorial geordnet, so daß es mehr als 320 Einzelgewerkschaften mit einer Vielzahl unterschiedlicher partikularer Arbeiterinteressen politischen und sozialen Gehalts gab. In den Betrieben bestand eine Delegierten-Institution als Interessenträger der Arbeiter, vergleichbar den Betriebsräten, wenngleich nicht von den Belegschaften gewählt, sondern von den Gewerkschaften ernannt (= delegiert).
Angesichts des gewerkschaftlichen Pluralismus konnten Delegierte mehrerer Gewerkschaften in den Betrieben nebeneinander wirken. Der arbeitsrechtliche Schutz der Delegierten war minimal, so daß Kommunisten häufig im Verborgenen tätig waren. Die Delegierten besaßen weder eine Mitsprachefunktion im Betrieb noch waren sie in allen Betrieben vorhanden, doch waren sie ein Betriebsverfassungselement. Die Institution der Arbeiterdelegiertenräte der ersten Unabhängigkeitsmonate Polens 1918— 1919 verstand sich hingegen als ein staatskonstitutives Organ der darin vertretenen Arbeiterparteien. Der Einfluß der PPS in den Räten war überragend. Allerdings strebten die Klassengewerkschaften bei ihrem Zusammenschluß im Juli 1919 eine Zusammenarbeit mit den Räten und deren politische Stärkung an. Sie verstanden sich als deren Träger.
Die rund 80 tätigen Räte, die eine Zentralorganisation zur Durchsetzung ihrer Verfassungsvorstellungen anstrebten, wurden im Sommer 1919 von der Staatsgewalt aufgelöst.
II. Die Gewerkschaftsbewegung in der Volksrepublik Polen
1. Gewerkschaften und Arbeiterinteresse: der Weg zur Gleichschaltung Die Traditionen und Besonderheiten der polnischen Arbeiter-und Gewerkschaftsbewegung sollten in der Zeit nach 1945 von großer prägender Bedeutung werden. Am Kriegsende begegneten sich in Polen zwei Konzeptionen: ein trotz nach außen bekundetem Pluralismus von oben gesteuerter Einheitsgewerkschaftstrend und eine eigenständige Arbeiterräteentwicklung von unten — ein Gegensatz, der in der ganzen Nachkriegsentwicklung immer wieder aufbrechen sollte.
Die illegalen polnischen Gewerkschaften während der Besatzungszeit waren sozialistische, aber nationale Kaderorganisationen, vordringlich der PPS, die sich im Untergrund WRN (Freiheit, Gleichheit, Unabhängigkeit) nannte. Die kommunistische Bewegung versuchte ziemlich erfolglos, in sie einzudringen. Immerhin verstand es Wladyslaw Gomulka auf diese Weise, seinem kommunistischen Parlamentssurrogat KRN (Landesvolksrat) eine organisatorisch breitere Basis zu schaffen. Beim KRN entstand ein Gewerkschaftsbüro, das die Unterwanderung fortsetzte. Versuche, prominente PPS-WRN-Persönlichkeiten der früheren KCZZ zu gewinnen, zerschlugen sich an deren Ablehnung des Kommunismus. Erst ein spalterischer Differenzierungsprozeß in der PPS-WRN half der sich in Lublin bildenden kommunistischen Gegenregierung. Im Frühherbst 1944 gründete die PPR (Polnische Arbeiterpartei) mit Unterstützung der von der PPS-WRN abgeriickten PPS-Mitglieder, wie sie sich fortan irreführend nannten, den Ansatz einer Klassengewerkschaftsbewegung. Ende Oktober 1944 wurde auf dieser Grundlage unter weiterer verwirrender Übernahme früherer Bezeichnungen eine neue KCZZ begründet, in der Arbeiter-und Angestellten-Einzelgewerkschaften zentralisiert waren. Sie war branchenmäßig organisiert. Kongresse der Einzelgewerkschaften seit März 1945 bereiteten den im November 1945 zusammengetretenen I. Gewerkschaftskongreß vor. Er bestätigte die politische Mobilisierungsfunktion der neuen Gewerkschaftsbewegung im Regierungssinne, die schon vorher mit Aufrufen zur einseitigen Produktivitätssteigerung angekündigt worden war. Zuoberst wurden in der Programmdeklaration nationale und nicht soziale Aufgaben für die regierungsfreundlichen Einheitsgewerkschaften und die KCZZ gesetzt, die „die Interessen Volkspolens verteidigen soll und über dessen Freiheit, Souveränität und Unabhängigkeit wacht“.
Trotz Betonung von Selbständigkeit und Partei-ungebundenheit wurde der Weg in die partei-und regierungsgenehme Einheitsgewerkschaftsbewegung vorgezeichnet, wie später die Grundsatzerklärung der KCZZ von Mitte 1947 mit der Akzentuierung des „dominierenden ideologischen Einflusses“ der Arbeiterparteien und der vorherige Beschluß des ZK-Sekretariats der PPR vom März 1947, der das Eindringen der PPR in die Gewerkschaften und die Wahltaktik dafür festlegte bestätigten. Die Mitglieder der PPS-WRN und der früheren Klassengewerkschaften versuchten zwar, eigene Gewerkschaften ins Leben zu rufen, was stellen-weise gelang. Sie organisierten örtliche Streiks zur Durchsetzung von Arbeiterforderungen, denen seitens der PPR mit Weisungen an ihre regionalen Organe entgegengewirkt wurde. „Es gebe keine Situation, die einen Streik in einer staatlichen Fabrik (!) rechtfertigen würde“, wurde Anfang Juni 1947 vom Zentralkomitee der PPR und der PPS-Führung betont. Gegenüber den abgespaltenen, von der PPR unterstützten PPS-Mitgliedern mit ihrer geschickten und Verwirrung stiftenden Überfremdungstaktik konnten sie sich nicht behaupten. Damit war die Gewerkschaftsbewegung gleichgeschaltet und vereinheitlicht. Sie erfaßte 65 v. H. und im September 1948 dann 87 v. H. aller Beschäftigten. Die PPS-WRN-Gewerkschaften waren im wesentlichen eliminiert; deren Interessen konnten nur noch rudimentär in den Einheitsgewerkschaften artikuliert werden.
Die Konzeption eigenständiger Arbeiterräte ist der betrieblichen Delegierteninstitution der Vorkriegsjahre und nicht der staatskonstitutiven Arbeiterrätebewegung von 1918/1919 entlehnt, auch wenn sie zur Gründung kollektiver Organe führte. In diesem Punkte wird die polnische Entwicklung mißverstanden. Die Arbeiterräte, wie sie sich selber nannten, waren spontan sofort nach Abzug der Deutschen noch während der Kriegshandlungen entstandene Betriebsverfassungsorgane. Vielfach bestanden sie neben den von PPR-PPS in den Betrieben geförderten Gewerkschaften, wobei es Doppelmitgliedschaften gab. Im Rahmen der Einheitsfronttaktik der PPR wurden sie jedoch nach Versuchen, darunter auch legislativen, sie in ihren selbstgewählten Befugnissen einzuschränken, akzeptiert, wobei aber versucht wurde, sie als Betriebszellen in das Gewerkschaftsmodell zu integrieren. Ausdruck dessen war auch ihre offizielle Bezeichnung als Betriebsräte, was zudem transformationsfreundliche Verwirrung stiftete.
Die Räte waren von Anfang an bemüht, die Produktion in Gang zu bringen und eine kollektive Betriebsführung herzustellen, die über den Mangel qualifizierter Führungskräfte hinweghelfen sollte. In diese Richtung gingen auch legislative Regelungen, die in den Räten aber eigenwillig und exzessiv genutzt wurden. Darüber hinaus gehende staatskonstitutive Ansprüche wurden von ihnen zu keiner Zeit gestellt. Ihre Konzeptionen und Handlungen waren von staatsbürgerlichem Pflichtgefühl und nationaler Sorge gezeichnet, Trotzdem blieb das offizielle Mißtrauen ihnen gegenüber erhalten. Im Maße der Festigung der Gewerkschaften wurden neben die Arbeiterräte der ersten Stunde Betriebsräte der Gewerkschaften gesetzt. Die gesetzlichen Regelungen bei Festschreibung der sich herausgebildeten Kompetenzen schaffte man für sie nach der Befreiung Polens von den Deutschen am 6. Februar 1945, die dann am 16. Januar 1947 novelliert und der gesamtstaatlichen Situation, in der die PPR sich als staatstragende Partei durchgesetzt hatte, selbst wenn immer noch vereinzelt bewaffneter Widerstand aufflammte, angepaßt wurde. Damit wurde echte Partizipation der Arbeiter durch eine Gewerkschaftsinstitution abgelöst.
Neben die Betriebsräte wurde die sie ergänzende Institution der Produktionsberatungen gestellt. Die zweistufigen Produktionsberatungen — gesamtbetrieblich mit Managerschwerpunkt und in den Fertigungsabteilungen der Betriebe unter Beteiligung von Arbeitern, aber ohne Beschlußfähigkeit in gesamtbetrieblichen Fragen — wurden zwar als Mitbestimmungsorgane der Arbeiter deklariert, sozusagen stellvertretend für die Arbeiterräte, aber als ein Mittel der politischen Bevormundung und Gängelung der Arbeiter verwendet, weil sie vor allem eine politische Mobilisierungsfunktion im Regierungssinne ausübten, die weitaus größer als die Wahrnehmung innerbetrieblicher Rechte war. Die Betriebsräte und deren Produktionsberatungen wurden zu Faktoren der Produktionssteigerungen über neue Normensetzungen und der Durchsetzung des Parteiwillens in Betrieb und Gewerkschaft; in ihnen wurde der Parteiorganisation des Betriebes, die bei der PPR weisungsgebunden im Sinne des Prinzips des demokratischen Zentralismus war, sukzessive eine Schlüsselrolle eingeräumt.
Die authentischen Mitbestimmungs-und Mitverwaltungsorgane der Arbeiter, die Arbeiterräte, wurden damit parallel zur Gleichschaltung im Parteisektor durch den Zusammenschluß von PPR und PPS Mitte Dezember 1948 zur PZPR (Vereinigte Arbeiterpartei Polens), der sich dann noch der Allgemeine Jüdische Arbeiter-„Bund“ anschloß, von Gewerkschaftsinstitutionen ersetzt. Zwar konnten die Betriebsräte noch beschränkte Kontrollfunktionen wahmehmen, bekamen aber vordringlich Aufgaben im Sozialbereich der Betriebe zugewiesen, der immer gezielter im Sinne politischer und produktionsmäßiger Mobilisierung eingesetzt wurde. Gewichtige Mitentscheidungsrechte gleich welcher Art wurden den Betriebsräten nicht zugestanden, selbst ihre gesetzliche Stellung wurde geschickt ausgehöhlt. Dieser erste Abschnitt der Entwicklung fand sein Ende mit dem II. Gewerkschaftskongreß vom Juni 1949. Das dort beschlossene Gewerkschaftsstatut schloß die Gleichschaltungsphase der Gewerkschaftsbewegung ab, während der noch Strömungen geduldet wurden, die eine partizipatorische Artikulation autonomer und authentischer Arbeiterinteressen nach traditioneller Gewerkschaftsvorstellung ermöglicht hatten. Primäre Aufgabe der Gewerkschaftsorgane wurden Plan-erfüllung und Produktionssteigerung. Die neugeschaffene Einheitsbewegung „Vereinigung der Gewerkschaften“ (ZZZ), die in ihrer Bezeichnung verwirrenderweise an national-solidaristische, antikommunistische Traditionen in der Gewerkschaftsbewegung der Vorkriegszeit anschloß, erhielt die Aufgabe, die „ideologische und organisatorische Einheit der Gewerkschaftsbewegung herzustellen“. Die Gewerkschaften waren endgültig zu Transmissionsriemen des Parteiwillens in die Arbeiterschaft geworden. Das sowjetische Herrschaftsmodell war in Polen vollends etabliert. 2. Die Einheitsgewerkschaftsbewegung a) Unangefochtene Parteidomination bis 1956 Die Gleichschaltung der Gewerkschaftsbewegung mit der Partei wurde 1950 durch eine Verbindung mit der Kontrollfunktion der Regierung abgesichert. Sie erfolgte durch die Schaffung der Gesellschaftlichen Arbeitsinspektion als gemeinsamem Organ von Gewerkschaft und Regierung Anfang Februar und durch das Gesetz über sozialistische Arbeitsdisziplin von Mitte April. Nach offiziellem Verständnis war die Gewerkschaft damit zu einer „Schule der sozialistischen Erziehung und des so-B zialistischen Regierungsstils“ geworden, wobei Partei-und Regierungsinteressen authentischen Arbeiterinteressen und Mitteln zu deren Durchsetzung, den Streiks, keinen Raum mehr ließen. Die Zeit bis 1956 ist gekennzeichnet durch eine bürokratische Erstarrung der in ihrer Rolle staats-und parteipolitisch gewandelten Gewerkschaften und den Abbau der letzten Reste einer rudimentären Arbeiterselbstverwaltung mit Hilfe dubioser Maßnahmen, obwohl schon 1955 auch erste, wenngleich noch verhaltene Kritik an diesen gewerkschaftlichen Zuständen laut wurde und Streiks auch davor immer wieder aufgeflackert waren, aber unterdrückt wurden. Über beides wurde in der Presse nicht berichtet. In den Betrieben hatte sich mittlerweile eine sogenannte Triangel-Führung durchgesetzt: Sie bestand aus den Vorsitzenden der Parteibetriebsorganisation, des gewerkschaftlichen Betriebsrats und dem Betriebsdirektor. Als Mitglied der „Front der nationalen Einheit“ (FJN), der Einheitsbewegung des sozialistischen Polens und seiner politischen und gesellschaftlichen Organisationen, konzeptionell im politisch-konfigurativ ähnlichen Leben Polens vor 1939 nichts Unbekanntes, war die „Transmissionsriemen“ -Gewerkschaft zu einem Teil des systempolitischen Herrschaftsapparates geworden. b) Arbeiterschaft kontra Gewerkschaft 1956— 1958:
die Arbeiterräte-Konzeption und die Partizipation Die schon 1955 einsetzenden Dezentralisierungsbestrebungen in Wirtschaft und Staatsverwaltung und die vielfältigen Erscheinungen einer zunehmenden Systemschwäche infolge steigender Dissidenz in der Gesellschaft, besonders unter Intellektuellen, ließen neben der Unzufriedenheit auch das Selbstvertrauen der Arbeiterschaft wachsen. Ihre dezidierte Kritik an den Gewerkschaften wurde besonders nach der blutig niedergeschlagenen, von Streiks begleiteten Posener Arbeiterrevolte von Mitte Juni 1956, die die Arbeiterklasse ihre Stärke ahnen und Parteimitglieder an der Streikführung teilnehmen ließ, mit dem Wunsch verbunden, wegen des gewerkschaftlichen Versagens neue Wege zu beschreiten. Zum Zauberwort dieser Monate wurde der auf Partizipation ausgerichtete Begriff der Arbeiterselbstverwaltung, modelliert an den eigenen Erfahrungen mit den Arbeiterräten der ersten Stunde und an der jugoslawischen Arbeiterräte-Institution.
Die sich aus dem Zusammenspiel aller Faktoren ergebende Gefährdung spürten neben der PZPR besonders die Gewerkschaften. Sie sahen ihre Position bedroht. Auf der CRZZ-Tagung vom August 1956 folgte die Gewerkschaft den kaum einen Monat alten Beschlüssen des selbstkritischen VII. ZK-Plenums der PZPR, das in dieser Situation für eine „Erweiterung der Arbeiterdemokratie“ eintrat und sich den partizipatorischen Bestrebungen in den Betrieben nicht widersetzte. Der CRZZ versprach einsichtig, künftig effizienter für die Arbeiterinteressen wirken zu wollen, wozu auch die bisherige Betriebsrätelösung verbessert werden müßte. Doch die Entwicklung ging schnell über alle verbalen Anpassungsbemühungen hinweg. Das Organ des ZK der PZPR, „Trybuna ludu“, berichtete am 11. Oktober 1956, was als Zustimmung in der Sache gedeutet wurde, daß die Lodzer Parteiführung einen Gewerkschaftsentwurf des Betriebsrätegesetzes verworfen habe. In der Öffentlichkeit rückte die Partei von ihrem „Transmissionsriemen“ ab, doch es wurde nicht überlegt, ob solches nur ein taktischer Schachzug der Partei sein könnte. Trotz vorauszusetzendem Ordnungs-und Funktionsverständnis des Systems, in dem man hatte Erfahrungen sammeln können, wurde eine differenzierte Einschätzung des Handelns von Partei und Regierung vor lauter Wunschdenken, Hoffnungen und Vertrauensseligkeit nicht vorgenommen, wohl auch, weil man sich in der Arbeiterschaft von der mittlerweile eingesetzten spontanen Arbeiterräte-Entwicklung in Hochstimmung versetzen ließ, besonders, nachdem noch eine PZPR-Delegation Ende August in Jugoslawien zum Studium jener Entwicklung weilte, von der man sich so viel versprach.
Bereits im Hochsommer 1956 waren die ersten nicht gewerkschaftlich gebundenen Arbeiterräte entstanden. Sie wurden zum Ausdruck authentischer partizipatorischer Bestrebungen der Arbeiter in den Betrieben, stellten darüber hinaus aber keinerlei staatskonstitutive Forderungen. Zwar kamen im Gefolge des aufgebrochenen politischen Pluralismus Gedanken auf, neue Gewerkschaften zu gründen, die systemverändernd wirken sollten, doch fanden sie in der Arbeiterschaft genau so wenig Widerhall wie die vereinzelten Stimmen linksoppositioneller Theoretiker, ergänzend ein verfassungspolitisches Rätesystem aufzubauen.
Die Arbeiterräte entstanden vor allem in alten Industriegebieten und in Belegschaften größerer Werke mit intakter Proletariertradition, die durch die Industrialisierung nicht desintegriert waren. Der Selbstverwaltungsgedanke lebte im alten Proletariat, das sich schon 1944/45 in Räten spontan engagiert hatte. Über die Unterstützung und den persönlichen Schutz für Wladyslaw Gomulka im dramatischen Geschehen um das VIII. ZK-Plenum der PZPR Mitte Oktober 1956, den ihm der Arbeiterrat des Warschauer „Zera" -Werkes und die von Arbeiterräten spontan gebildeten Arbeitermilizen gewährten, trugen sie bewußt zu jener Wende bei, die hoffnungsvoll als „Frühling im Oktober“ empfunden wurde und den alten Gewerkschaftler Gomulka erneut an die Spitze der Partei nach seiner Ablösung Ende 1948 brachte. Von ihm erhoffte die Arbeiterschaft Unterstützung und Verständnis, wobei er zu einer Symbol-gestalt für national determinierte Arbeiterinteressen stilisiert wurde.
Im Arbeiterrätegesetz vom 19. November 1956 wurde die bisherige Entwicklung kodifiziert, aber auch kanalisiert und eingeengt, was die Reform-bereitschaft der Partei unter Wladyslaw Gomulka hätte reflektieren lassen können, aber in der Euphorie der Entwicklung nicht geschah. Das Gesetz bestimmte, daß der Arbeiterrat im Namen der Belegschaft den Betrieb leitet. Doch blieben die Betriebe im Besitz des Volkes und gingen nicht, wie gefordert wurde, um interessenorientierte Produktivität zu erreichen, in den Besitz der jeweiligen Belegschaften über. Den Arbeiterräten, die frei gewählt werden sollten, wurden Mitbestimmungs-und Überwachungsrechte in allen wichtigen Fragen des Betriebes eingeräumt: bei Produktionsplänen, der Lohn-und Prämienpolitik und des Absatzes. Auf diese Weise erhielten die Betriebe weitgehende wirtschaftliche Selbständigkeit über die Möglichkeit eingeräumt, die selbsterkannten Betriebs-und Arbeiterinteressen vertreten zu können. Zudem erhielten die Arbeiterräte Entscheidungsgewalt bei der Berufung des Managements. Wenngleich nicht alle Vorstellungen aus den Diskussionen zugestanden wurden und das Gesetz widersprüchlich war, so erhielt der Arbeiterrat im Betrieb gegenüber Partei und Gewerkschaft immerhin eine autonome Stellung. Unterstrichen wurde es durch die Außerkraftsetzung des § 50 des PZPR-Parteistatuts, womit die Einwirkungsrechte der Parteibetriebsorganisation aufgehoben und ausdrücklich an den Arbeiterrat delegiert wurden. Zudem wurde das Einwirkungsund Mitspracherecht des gewerkschaftseigenen Betriebsrats eingeschränkt. Damit waren die neuen Regelungen sehr viel weitergehender als die bisherigen Betriebsrätebestimmungen.
Trotz aller Unzulänglichkeiten des Gesetzes, die vor allem in der Unausgewogenheit zu sehen waren, daß die unter Einfluß der Arbeiterräte zur autonomen Wirtschaftsführung angehaltenen Betriebe in einer dafür nicht entsprechend reformierten und dezentralisierten Wirtschaft zu agieren hatten, verstand man die partizipativen Arbeiterräte in der polnischen Reformdiskussion, übrigens auch in offiziellen Erklärungen, als unverzichtbare Elemente eines „polnischen Wegs zum Sozialismus“. In der Situation, in die sie hineingestellt wurden, mußte diese Unausgewogenheit entweder zu die Effizienz beeinträchtigenden Antagonismen und Konflikten mit den Wirtschaftsinstanzen oder aber zu einer allgemeinen System-reform führen, wie sie in offiziellen wirtschaftspolitischen Beiräten vorgedacht wurde.
Schon früh stellten die Arbeiterräte die Gretchenfrage nach der Führungsrolle der PZPR, wobei auch Überlegungen laut wurden, auf eine Zentralisierung der Arbeiterräte nach jugoslawischem und ungarischem Muster hinzuarbeiten. Dadurch mußte die Partei aber ihre zentrale Führungsrolle gefährdet sehen. Die euphorische Akzeptierung Gomulkas an der Spitze der PZPR nach dem VIII. ZK-Plenum vom Oktober 1956 in der Gesellschaft, was eine tiefergreifende Änderung für Polen zu verheißen schien, ermöglichte es der Partei schon bald, die Entwicklung in die Hand zu bekommen.
Bereits Mitte Mai 1957 höhlte die IX. Plenarsitzung des ZK der PZPR das erst ein halbes Jahr gültige Arbeiterräte-Gesetz aus: Die Arbeiterräte hätten auf ihre Mitbestimmungsfunktion zu verzichten, wobei ihnen nur die innerbetriebliche Produktionssphäre als Tätigkeitsfeld zustände, den gewerkschaftlichen Betriebsräten hingegen die Sozialsphäre mit der Möglichkeit, über soziale Zuwendungen im Sinne von Partei und Gewerkschaft im Betrieb korrumpierend wirken zu können. Eben entstanden, zeichnete sich auch schon das Ende der partizipativen Institution ab. Die Ende 1957 von den Gewerkschaften aus Mitgliedern der Betriebsräte und der Arbeiterräte unter ihrem Patronat gebildeten ersten „Arbeitsgemeinschaften“ in den Betrieben ließen nicht nur die Euphorie bei Arbeiterrätegründungen zurückgehen, sondern deuteten die künftigen Lösungsmöglichkeiten des politisch unbequemen Arbeiterräte-Problems an: Arbeiterräte bestanden Ende 1957 bereits in 50 v. H. aller Industriebetriebe, waren aber besonders in Großbetrieben konzentriert, gebildet von Arbeitern der mittleren Generation. Durch ihr Verhalten leisteten die Arbeiterräte dieser Grundabsicht Vorschub, so daß die Frage nach der utilitaristischen Effizienz ihres Handelns gestellt werden muß; übrigens nicht zum letzten Mal. Die Arbeiterräte, die ihre Arbeit sehr selbstbewußt, wenngleich zersplittert und partikularistisch aufnahmen, taten es mit zu wenig Augenmaß. Durch die Vertretung ihrer Gruppeninteressen führten sie u. a. einen verhängnisvollen Kaufkraftüberhang herbei, so daß die Inflationsrate Polens in diesen Jahren zur höchsten Europas wurde.
Wiederholte Warnungen Gomulkas, die Arbeiter-räte müßten bei einer Fortsetzung dieser Politik mit Konsequenzen rechnen, wurden unterschätzt. Erschwerend kam die Streikfreudigkeit der Arbeiterschaft hinzu, die noch anfänglich von der Gewerkschaft und ihrem Vorsitzenden, einem Politbüro-Mitglied der PZPR, anpassungsbereit unterstützt wurde, wobei die Arbeiterräte die Einräumung eines Streikrechts zur Durchsetzung von Forderungen postulierten, die außerhalb ihrer Kompetenz lagen. Trotz Ablehnung solcher Forderungen durch Gomulka weitete sich die Streikbewegung bei deutlich werdendem politischen Pluralismus in der Gesellschaft aus: Besonders der Straßenbahnerstreik von Mitte 1957 in Lodz nahm eindeutige politische Züge an. Er wandte sich offen gegen die Partei und deren Systemstellung. Diese Entwicklungen, die als Versuche zur Änderung der Organisationsstruktur des Herrschaftsapparates und der Herrschaftsmethoden angesehen wurden, mündeten im IV. Gewerkschaftskongreß von Mitte April 1958, der das Ende der bisherigen liberalen Phase einläutete. Mit den neuen gesetzlichen Bestimmungen über die Arbeiterselbstverwaltung vom 20. Dezember 1958 ging sie endgültig zu Ende. Die neuen Bestimmungen ließen erkennen, daß selbst Gesetze nur so lange Bestand haben, wie sie politisch benötigt werden. Es entstand Mißtrauen, das noch von Bedeutung werden sollte, vorerst aber in der Arbeiterschaft zu Resignation führte. c) Arbeiterselbstverwaltung: Selbstverwaltung der Arbeiter?
Mit dem neuen Gesetz war das Arbeiterrätegesetz faktisch außer Kraft gesetzt. Die neuen Bestimmungen blieben bis September 1981 in Kraft. Neu wurde eine „Konferenz der Arbeiterselbstverwaltung“ (KSR) als Betriebsverfassungsorgan eingerichtet. Sie bestand paritätisch aus der in ihre statutarischen Rechte wieder eingesetzten Parteigrundorganisation, des in seiner gesetzlichen Stellung restituierten gewerkschaftlichen Betriebsrats und dem Arbeiterrat, konnte aber durch Vertreter anderer betrieblicher gesellschaftlicher Organisationen noch deutlicher auf den Parteiwillen eingeschworen werden. In jedem Falle wurden die Arbeiterräte majorisiert, wobei sie über keinerlei institutionalisierte Garantie zur Durchsetzung eigener Konzeptionen verfügten. Als Aufgabenfeld wurde ihnen nur noch eine Mitwirkung in der Verwaltung der Betriebe eingeräumt. Die Gewerkschaft erhielt zudem eine soziale Aufsichtsfunktion über sie, so daß ihnen nur eine fiktive Selbständigkeit übrig blieb.'Die KSR-Organe degenerierten in den sechziger Jahren zu akklamativen Organen der Betriebsführung, aus deren Bürokratie sie sich zum größten Teil rekrutierten, weil sie zunehmend von Arbeitern boykottiert wurden. Zusammen mit den Gewerkschaften betonten sie Staats-und Betriebs-, nicht aber Arbeiterinteressen. Ende 1970/Anfang 1971 nach den blutig unterdrückten Streiks im Küstengebiet wurden zwar von der Arbeiterschaft generell keine Neugründungen von Gewerkschaften gefordert. Allgemein war aber die Vorstellung, die versagenden, als Interessenträger unglaubwürdig gewordenen Gewerkschaften sollten durch neue ersetzt werden, die die Interessen der Werktätigen besser erkennen und besser vertreten müßten. Dabei wurde eine institutionalisierte authentische Mitverantwortung und Mitbestimmung in den Betrieben mit verbrieftem Streikrecht und größerer Nähe zu politischen Entscheidungsträgern erwartet. Angesichts der vielen Streiks warnte Edward Gierek, Nachfolger des im Dezember 1970 abgelösten Gomutka in der Parteiführung bereits im April 1971 davor, sie fortzusetzen; er weigerte sich, über ein Streikrecht auch nur zu sprechen. Im Grunde war das Verhalten von Partei und Gewerkschaft noch weniger liberal als 1956/57.
Die offizielle Taktik ging von damals institutioneilen zu jetzt materiellen Zugeständnissen und Versprechungen über, garniert durch unmittelbare Konsultationstreffen von Partei-und Gewerkschaftsführern mit Arbeitern in ihren Betrieben. Der Tatbestand aber, daß von den Streikenden jenseits von KSR und bestehenden Arbeiter-räten spontan neue Räte gebildet wurden, die bemerkenswerterweise die Vorkriegsbezeichnung Delegierte erhielten, zeigte außer dem Vertrauensschwund neue Gedankenansätze in der Arbeiterschaft. Die Delegierten-Räte führten die Verhandlungen mit den Betriebs-, Gewerkschafts-und Parteiorganen. In der Regel verschwanden sie wieder, als die Situation gegen Ende 1971 befriedet schien. In verschiedenen Betrieben ersetzten die Delegierten-Räte im System der beibehaltenen, nicht reformierten KSR den vorherigen Arbeiterrat, wobei sie sich umbenennen lassen mußten. Einzelne ihrer Führer machten später im Partei-und Gewerkschaftsapparat bemerkenswerte Karrieren.
Die neue Taktik Giereks schien erfolgreicher als jene Gomuikas. Die Konsultationen wurden geschickt eingesetzt. Mit der Zeit wurden sie aber seltener und unterblieben schließlich ganz. Der mit Hilfe von Krediten herbeigeführte erhebliche Aufschwung auch des Lebensstandards, den Gierek mit seiner wirtschaftlichen Wachstumsstrategie bis Mitte 1975 herbeizuführen verstand, obwohl er zu einem Trugbild werden sollte ließ die satter gewordene und mit weiteren Versprechungen gefütterte Arbeiterschaft stummer werden, teils resigniert, teils korrumpiert, im Grunde aber weiterhin mißtrauisch gegenüber ihrer Führung. Zur Vertrauenskrise fehlte nur wenig.
Befragungen aus der ersten Hälfte 1973 unter Mitgliedern der Arbeiterräte und des mittleren Managements machten nicht nur die fortdauernde Stagnation der KSR deutlich, sondern auch die Ablehnung jeglicher Mitwirkung der Arbeiter seitens der Betriebe, der Gewerkschaft und des Managements. Die Arbeiterselbstverwaltung wurde eine repräsentativ-propagandistische Institution zur Unterstützung von Partei und Gewerkschaft. So verzichteten auch die Arbeiter schon sehr bald, die nutzlosen, nicht ernst genommenen und sich auch selbst kaum ernstnehmenden Arbeiterräte zu wählen. Weiterhin wurden sie boykottiert. Auch die von Gierek anfangs versprochene Unabhängigkeit der Gewerkschaften, die sie zu einer allgemeinen Kontrollfunktion in Staat und Gesellschaft befähigen sollte, blieb trotz Ansätzen un-verwirklicht, wenngleich der Grundgedanke bei der Arbeiterschaft auf fruchtbaren Boden fiel. Die Gewerkschaften blieben gefügige Werkzeuge der Partei. 3. Gewerkschaftspluralismus als Selbsthilfe der Arbeiter a) Freie Gewerkschaften als Vorläufer der „Solidarität“ -Gewerkschaft Auf dem Hintergründe der Streiks und Unruhen in Radom, Plock und dem Warschauer Werk „Ursus“ Mitte 1976, die zu einem Menetekel für das System hätten werden können, und aus der Einsicht, daß in der bestehenden Systemorganisation und beim herrschenden Systemverständnis eine zufriedenstellende Wahrnehmung eigener Interessen der Arbeiter weder in den Gewerkschaften noch durch die Gewerkschaften oder die KSR gewährleistet sei, entstanden eigenständige Gewerkschaftsansätze. Die Vertrauenskrise des Systems wurde zu einer Krise der Gewerkschaftsbewegung. Im Grunde war sie Ausdruck einer sich offen und vielfältig verfestigenden Dissidenz, die von dem zur Unterstützung verhafteter Arbeiter der Radom-, Plock-und „Ursus" -Streiks Ende September 1976 von 14 namentlich genannten Personen gegründeten „Komitee zur Verteidigung der Arbeiter“ (KOR) ausging, das Sozialisten aller Schattierungen zusammenschloß. Sofort begann KOR mit der Herausgabe einer illegalen Zeitschrift „Robotnik“ (Der Arbeiter), die symbolisch an politische und klassengewerkschaftliche nationale und den Russen unfreundliche Traditionen anschloß; wie überhaupt eine nationale traditionsbezogene Unabhängigkeits-und Eigenständigkeitssymbolik in der ganzen künftigen Entwicklung eine überragende, betont zum herrschenden System kontrapunktierende Rolle spielte.
Für das Aufkommen dieser Strömungen und Bestrebungen waren der Generationswechsel in der Arbeiterschaft und die sozialstrukturellen Wandlungen der Gesellschaft von großer Bedeutung, die eine neue Arbeiter-und Intelligenzschicht weithin aus gleichen Wurzeln, der Bauernschaft, entstehen ließen, was zugleich zur Schicht-und interessenüberwindenden Klammer werden sollte — alles begleitet von einem Wandel der Denkund Verhaltensstrukturen. Zum ersten Male in der Nachkriegsgeschichte fanden sich auf diesem Hintergrund Arbeiter und Intellektuelle in ihren Interessen und Aktionen zusammen, was die Entwicklung seit 1976 so spektakulär und folgenschwer werden ließ.
Die mit dem Aufkommen des „Gründungskomitees freier Gewerkschaften für Schlesien“ am 23. Februar 1978 in Kattowitz eingeleitete Bewegung besaß keine gesetzliche Grundlage. Im strengen Sinne war sie illegal, auch wenn sich die Gründer der Komitees von Anfang an namentlich zu erkennen gaben. Zwei Monate später folgte ein Gründungskomitee in Danzig, in dem sich Teilnehmer der Streiks und Auseinandersetzungen von 1970/71 zusammenfanden. Es begann mit der Herausgabe der illegalen Zeitschrift „Robotnik Wybrzeza“ (Arbeiter des Küstengebietes), dem ersten von „freien Gewerkschaftlern“ gestalteten Blatt, das symbolisch an die frühere PPS-Tradition anschloß. Der kleine Gründerkreis nahm eine Vortragstätigkeit zur Herausbildung eines kritischen politischen Bewußtseins auf, wie sie auch von KOR patroniert und mit größerem Themen-spektrum in verschiedenen Städten von der TKN (Gesellschaft wissenschaftlicher Kurse) durchgeführt wurde; sie wurde unter der populären Bezeichnung „fliegende Universität“ bekannter. Sehr bald waren in Danzig-Zoppot-Gdingen 200 Mitglieder organisiert, die alle später in der „Solidaritäts“ -Bewegung zum Teil an herausragender Stelle tätig werden sollten. Lech Wasa gehörte dazu. Mitte Oktober 1979 entstand ein weiteres Komitee für „Westpommern“, das sich auf Stettin und Greifenhagen stützte und seit März 1980 das Blatt „Robotnik Szczecinski“ (Der Stettiner Arbeiter) als zweites freigewerkschaftliches Organ herausgab.
Die freigewerkschaftliche Arbeiterbewegung wirkte beispielgebend in die Bauernschaft hinein. Ab September 1978 kamen „Selbstverteidigungskomitees der Bauern“ an verschiedenen Orten auf, zum Teil wegen Streitpunkten in Kirchenbaufragen. Sie begannen auch illegale Blätter herauszugeben. Mit der Gründung des „Komitees der Unabhängigen Bauerngewerkschaft“ am 2. September in der mittelpolnischen Wojewodschaft Radom wurde auf bisher nicht dagewesene Weise zur Arbeiterbewegung aufgeschlossen. Bald gab es enge personelle Verflechtungen zwischen beiden freigewerkschaftlichen Bewegungen, die auf der Grundlage politischer Vorstellungen der einst mächtigen, schichtübergreifenden Bauernpartei der Vor-und ersten Nachkriegszeit zustande kamen und eine breite Interessenidentität in der polnischen Gesellschaft deutlich machten.
In die reformorientierte Dissidenzbewegung, die sie eigentlich war, stimmten seit 1979 Menschen unterschiedlichster Herkunft mit der Einsicht ein, daß der immer kritischer werdenden innen-und wirtschaftspolitischen Situation nur durch eine breite „Erneuerung“ abgeholfen werden könne, in der sich Parteilose und Parteimitglieder aus gemeinsamer nationaler Verpflichtung zusammen-zutun hätten. Die durch die hohen Lebensstandardversprechungen der Parteiführung geweckten Ansprüche konnten ab Mitte der 70er Jahre immer weniger befriedigt werden, was Unmut und Vertrauensschwund in der Gesellschaft rapide wachsen ließ. 1980 lebten bereits 42 v. H.der polnischen Bevölkerung im Bereich des Existenzminimums, davon 20 v. H. unterhalb dessen. Ausdruck der Unzufriedenheit in Parteikreisen wurde schließlich das von hohen PZPR-Funktionären geförderte Konversatorium „Erfahrung und Zukunft“ (DiP), das die Besorgtheit mit der herrschenden Situation in der Partei sichtbar machte. In seinen kritischen Bestandsaufnahmen, die gedruckt verbreitet wurden, betonte DiP auch die Notwendigkeit der Änderung der bisherigen Gewerkschaftstätigkeit wegen deren Versagen und brachte den Gedanken „authentischer Gewerkschaften“ auf. Damit waren die freien Gewerkschaftsgründungen, die sich rasch über das ganze Land ausbreiteten, auf einen breiten dissidenten politischen und gesellschaftlichen Konsens gestellt, auch wenn ihnen die Parteiführung und die offizielle Gewerkschaft mit Ablehnung begegneten. Immer deutlicher konzentrierte sich die aufkommende Systemkrise im Gewerkschaftsbereich als alternativem Mitsprache-und Mitbestim-
mungsbereich der Gesellschaft.
Die Gründungserklärungen der freigewerkschaftlichen Komitees mit ihren staatspolitischen Traditions-und Handlungsbezügen waren zutiefst politisch und kritisch. Forderungen, wie solche, daß die Gesellschaft sich das Recht erkämpfen müsse, den Staat auf demokratische Weise zu leiten, ließen die Gesellschaft hoffen und die Herrschaftsträger befürchten, daß das Problem einer ihre Position erschütternden Systemveränderung aufkomme. Von Bedeutung in der ganzen Entwicklung war ferner das meist indirekte Engagement der Kirche und der von Laien getragenen „Klubs der Katholischen Intelligenz“ (KIK), in denen schon viel früher alternative Systemüberlegungen als Gedankenspiele gepflegt worden sind, die alle auf der Grundlage der katholischen Soziallehre und unter Einbeziehung der früheren solidaristisehen Konzeptionen des damaligen Fürstprimas von Polen und Kardinals Stefan Wyszyhski entwickelt worden sind. Die im sozialistischen „Robotnik“ des KOR im September 1979 veröffentlichte „Charta der Arbeiterrechte“ war nicht nur ein Programmpapier der freigewerkschaftlichen Bewegung, sondern auch eine Klammer zur katholischen Soziallehre und ihren Vertretern. Damit wurde der Anfang einer bedeutsamen Interdependenz von Klerikalismus — Sozialismus hergestellt, wie sie in dieser Weise in Polen bisher noch nie vorhanden gewesen war, aber nicht im Sinne des realexistierenden Sozialismus.
In der „Charta“ wurden sechs Schwerpunkte gesetzt: Löhne, Arbeitszeit, Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit, Privilegien, Entscheidungs-und Gewissensfreiheit sowie Arbeitsrecht. Positionen wurden festgeschrieben und Forderungen aufgestellt, die vor allem eine Besserung der institutionellen, wirtschaftlichen und sozialen Situation der Arbeiter zum Zwecke hatten. Als Kampfmaßnahme nannte die „Charta“ Streiks, wobei die Gründung von Streikkomitees, auch aus der Illegalität heraus, empfohlen wurde. Nur von Arbeitern selbst bestimmte, freie und unabhängige Gewerkschaften hätten eine Chance, als Verhandlungspartner zur Besserung der allgemeinen Lebens-und Arbeitsverhältnisse ernst genommen zu werden und sich der Staatsgewalt zu widersetzen. Um die Verfassungskonformität der „Charta“ zu betonen, die gleichwohl keine gesetzliche Legitimation besaß, wurde auf die von Polen ratifizierten ILO-Konventionen hingewiesen, deren Wortlaut beigefügt wurde. Die internationale Entwicklung auf dem Hintergründe der KSZE-Vereinbarungen von Helsinki mit der auch in der Sowjetunion aufgekommenen Dissidenz werden nicht ohne Einfluß auf die polnischen Ereignisse gewesen sein. b) Die Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft „Solidarnosc“ (Solidarität)
Entstehung Eine bereits zwei Monate andauernde Streikwelle, die aus Anlaß von Preiserhöhungen schnell über ganz Polen hinwegzog, wobei sie regional Generalstreiks und neue Organisationsformen der Arbeiter hervorbrachte, wie die „Unabhängigen Betriebsräte“ (NRZ) im Lubliner Gebiet, erreichte Mitte August 1980 mit Danzig-Zoppot-Gdingen und Stettin das Küstengebiet, das schon Ende 1970 Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen gewesen war. Ende August traten 32 schlesische Bergwerke in den Ausstand. Zugleich wurde in ganz Polen gestreikt. Die Situation war angespannt. Ein Generalstreik im Lande schien möglich.
Die Forderungen der Streikenden waren sich überall ähnlich. Sie waren den Gründungserklärungen der freigewerkschaftlichen Komitees und der „Charta“ entlehnt. Zuoberst stand aber überall die Forderung nach unabhängigen Gewerkschaften. Die an den Streikorten entstandenen Zwischenbetrieblichen Streikkomitees (MKS) standen in regem Meinungsaustausch untereinander, denn es gab kein übergeordnetes und koordinierendes Organ der Arbeiter. Die Streikleitungen waren mit den „Charta“ -Unterzeichnern und den Gründern der freigewerkschaftlichen Komitees identisch.
Die Verhandlungen mit den Regierungsdelegationen an den einzelnen Streikorten wurden bei den Streikenden von Fachleuten beraten, die aus dem Umfeld des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR), der Gesellschaft wissenschaftlicher Kurse (TKN) und den Klubs der Katholischen Intelligenz (KIK) kamen. Zugleich wurde einmal mehr deutlich, daß in der polnischen Gesellschaft latent ein breiter und traditionsbewußter politischer Pluralismus vorhanden war. Insgesamt wurden mehr als 700 Verträge zwischen Streikenden und Regierungsrepräsentanten geschlossen, was den Partikularismus trotz gleicher Ansatzpunkte ahnen läßt. Für die kommende Entwicklung wurden allein die Gesellschaftsverträge, wie sie hintersinnig in Anlehnung an Rousseaus contrat social genannt wurden, von Danzig, Stettin und dem oberschlesischen Jastrzbie zu Leitverträgen, wobei sich zuguterletzt der von Danzig als der konkreteste durchzusetzen wußte. Nachdem bei den Verhandlungen in Danzig der Regierungsdelegation öffentlich und rundheraus gesagt wurde, daß die Gesellschaft nach einschlägigen Erfahrungen jegliches Vertrauen in Gesetze verloren habe, wurde die Gründung einer unabhängigen, selbstverwalteten und authentischen Gewerkschaft gefordert, die allein Garant für die Verwirklichung der Postulate der Arbeiter und der Gesellschaftsverträge sein könne. Partei und Regierung willigten ein, auch in die Forderungen nach Streikrecht, Besserung der allgemeinen Lebens-und Arbeitsbedingungen und Einschränkung der Funktionärsprivilegien. Damit war ein schwer erkämpfter Durchbruch in den Gewerkschaftspluralismus geschafft, aber noch kein Sieg errungen. Immerhin durfte neben der von den Arbeitern abgelehnten „Transmissionsriemen“ -Gewerkschaft eine unabhängige Gewerkschaft mit Streikrecht entstehen. Von ihren Danziger Fürsprechern und Gründern war sie als eine Ergänzung in der Gewerkschaftsbewegung gedacht, nicht aber als eine Ablösung der alten Gewerkschaft. Der erste Statutenentwurf sah vor, daß sie nicht im ganzen Lande wirken, sondern sich auf das „Danziger Küstengebiet“ beschränken solle. Das tradierte Territorialprinzip wurde gegen das Branchenprinzip der kompromittierten Gewerkschaft gesetzt.
Die Wirklichkeit überholte alle Erwartungen und Vorstellungen. Die allerorts entstehenden Gewerkschaftsorganisationen suchten in bewährter Gewerkschaftstradition nach einer Möglichkeit, geschlossen handlungsfähiger zu werden. Mitte September 1980 kamen in Danzig, das sich immer mehr zum Drehkreuz der neuen Bewegung herausbildete, vierzig Delegierte überbetrieblicher Gründungskomitees der neuen Gewerkschaften zusammen. Sie schufen mit einer aus 35 Mitgliedern bestehenden Landes-Koordinierungskommission (KKP), deren Vorsitzender der Danziger Lech Wasa wurde, eine traditionelle Gewerkschaftszentralisierung. Ihr stand eine informelle Gruppe der „Elf“ zur Seite, die Mitte Februar 1981 durch ein Provisorisches Präsidium abgelöst wurde. Das am 22. September von der KKP verabschiedete Statut formte den Beschluß organisatorisch aus: Der Wirkungsbereich der Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaft mit Sitz in Danzig wurde auf ganz Polen ausgedehnt. Das ursprüngliche Danziger Regionalkonzept mußte zurücktreten. Zugleich einigte man sich auf den einprägsamen Namen „Solidarnosc“ (Solidarität), den das Danziger Streikbulletin getragen hatte. Pate standen gleicherweise die Solidarität des Streikgeschehens wie der Solidaritätsbegriff der katholischen Sozial-und Staatslehre.
Noch immer war aber die Gewerkschaft ungesetzlich. Erst der Staatsratsbeschluß über die Registrierung der Gewerkschaften vom 13. September und die Änderung des geltenden Gewerkschaftsgesetzes am 8. Oktober 1980 öffneten den Weg zur Legalisierung. Ihr Registrierungsantrag stieß im ersten Anlauf auf große Schwierigkeiten, weil man die führende Rolle der Partei im Statut auch für die neue Gewerkschaft direkt und unmißverständlich anerkannt haben wollte und dieses letzten Endes zusammen mit Streikverzicht und Verfassungstreue eigenmächtig in das Statut hineinschrieb. Dabei waren gerade dies die Gründe für die Gefügigkeit und Ohnmacht der alten Gewerkschaften, aber auch für deren Ablehnung durch die Arbeiterschaft. Mit Hilfe einer zusätzlichen Erklärung, wonach die Gewerkschaft hinter der Verfassung stehe, in der die führende Rolle der Partei im Staatswesen festgeschrieben sei, aber ohne gesonderte Bestätigung dieses und der anderen Streitpunkte, sowie unter Druck eines gesamt-B polnischen Warnstreiks wurde die Gewerkschaft „Solidarität“ am 10. November 1980 vom Obersten Gericht als Berufungsinstanz mit unverändertem Statut zugelassen. Erst jetzt war ein Sieg errungen, den es aber galt im Sinne der geweckten Hoffnungen umzusetzen und zu nutzen. Seit mehr als drei Jahrzehnten gab es in Polen erstmals wieder gewerkschaftlichen Pluralismus.
Sozialstruktur Der Zustrom in die neue Gewerkschaft setzte in allen Teilen des Landes und aus allen Schichten und Berufen dammbruchartig ein. Auch PZPR-Mitglieder waren dabei. Allerdings stießen sie auf Mißtrauen, besonders wenn örtliche Parteiorganisationen ihre Mitglieder aufriefen, in die Gewerkschaften einzutreten, um sie zu beeinflussen. Gegen die Gefahr einer Verfremdung von innen oder einer Provokation unternahm die „Solidarität“ bis zu ihrem Legalitätsende jedoch nichts.
Vorwiegend rekrutierte sich die „Solidarität“ aus der jungen, ungestümen, kompromißlosen und ungeduldigen Arbeiterschaft aus größeren Industriebetrieben in mittleren und Großstädten: In ihrem Kern war die neue Gewerkschaft eine Bewegung qualifizierter Facharbeiter mit mittlerem Schulabschluß, denen bisher die größte Aufmerksamkeit von Partei und Staat gegolten hatte. In den Führungsgremien gab es hingegen eine Über-repräsentation Intellektueller, was durch die meist akademischen Berater der Gewerkschaftsführung noch unterstrichen wurde. Das Problem der Intelligenz und ihrer Gruppeninteressen muß als ein großes Organisations-, aber auch Effizienzproblem der Gewerkschaft gesehen werden. Auf dieser Ebene gab es einen häufigen Gegensatz von minimalistischen tagesbezogenen Arbeiter-und maximalistischen systemkonfrontativen Intellektuellen-Veränderungsinteressen, der die Frage nach einer utilitaristischen Effizienz gegenüber den selbst proklamierten Zielen mit den von ihnen in der Gesellschaft geweckten Hoffnungen und Erwartungen aufdrängte und zugleich die Gewerkschaft nach innen mannigfaltig belastete.
Übrigens waren Frauen in der „Solidarität“ sehr unterrepräsentiert, so daß die Gewerkschaft deutlich eine Männerorganisation war.
Organisationsstruktur Die stürmische Mitgliederentwicklung und die Unerfahrenheit in Organisationsfragen zusammen mit regionalen Partikularinteressen und politischer Traditionssymbolik beeinträchtigten die organisatorische Struktur der Gewerkschaft. Bei geltendem Territorialprinzip überlagerten sich verschiedene Organisationsformen, wodurch die Durchsetzungsfähigkeit und einheitliche Meinungsbildung genau so wie die organisatorische Geschlossenheit der Gewerkschaft erheblich beeinträchtigt wurden. Der Streit um einen föderativen oder zentralistischen Aufbau, um mehr oder weniger Demokratie in der Organisation, belastete sie während der ganzen Zeit ihres legalen Bestehens. Der statutarische vierstufige Organisationsaufbau — Betriebsorganisation, Ortsorganisation, Regionalverband und Landes-Koordinierungskommission (KKP) mit Präsidium — wurde durch eine nach historischen Traditionsregionen ausgelegte Verwaltungseinteilung überlagert, die der staatlichen behördlichen Einteilung nicht angepaßt war. Das führte zu effizienzmindernden Umständlichkeiten bei Verhandlungen mit regionalen Behörden.
Überbleibsel eines branchen-und berufsorientierten Organisationsverständnisses durchbrachen die regionalen Strukturen. Zur Herausarbeitung und Erprobung einer eigenen Konzeption der Arbeiterselbstverwaltung im Betrieb wurde Mitte 1981 ein ergänzendes „Netz anleitender Betriebe“ begründet, das sich bald als eigene, die Organisation überlagernde „Solidaritäts“ -Struktur etablierte. Um die 17 größten „Solidaritäts" -Betriebsorganisationen wurde auf unterer Ebene ein „Netz“ regional wichtigerer Organisationen aufgebaut, so daß über die Gewerkschaftsorganisation ein neues Organisationsnetz gestülpt wurde. Es mag an diesem überlagerndem Organisationsschema liegen, aber auch Hinweis auf frühe Bürokratisierung des Gewerkschaftsapparates sein, daß die „Solidarität“ rd. 45 000 Funktionäre beschäftigte. Die Mitgliederzahl bezifferte sie mit rd. 9, 0— 9, 5 Millionen. So kommt es aber, daß die Gewerkschaft immer umständlicher zu handhaben war. Sie war eben zu unübersichtlich geworden, was sie zwangsläufig auch politisch belasten mußte.
Zudem wurden der Gewerkschaft durch die eigenständigen Aktivitäten ihrer Mitglieder Aufgaben nahegelegt, die klassische Gewerkschaftsaufgaben weit überstiegen und mit der Herausbildung selbständiger Arbeitsgemeinschaften, Komitees und sonstigen Organisationen oder Zirkeln verbunden waren. Sie alle veranstalteten eigene, zum Teil sogar gesamtpolnische Konferenzen und bildeten innerhalb der „Solidarität“ eigene Organisationsspinnen. In alledem zeigte sich zwar die zentrale Rolle der „Solidarität“ beim Krisenmanagement, was sie nach ursprünglicher Danziger Konzeption aber gar nicht vorhatte, und als Fürsprecherin aller Benachteiligten ohne Rücksicht auf deren politisches oder konfessionelles Bekenntnis. Diese außerstatutarischen Gremien in der „Solidarität“ verhandelten mit dem Außenministerium über Außenpolitik gleicherweise wie mit den zuständigen Stellen über Haftbedingungen, Umweltschutz, Lehrerausbildung und -Besoldung, Lehrpläne oder Forschungsvorhaben, was die Regierungsbehörden, wohl nicht ohne Hintergedanken, willig akzeptierten — häufig allerdings auch erst unter Streikdrohungen, mit denen freigebig umgegangen wurde. In der Regel waren die Voraussetzungen der Verhandlungen mit der KKP nicht abgestimmt, die Ergebnisse wurden ihr häufig gar nicht mitgeteilt. Die „Solidarität“ wurde eben als Synonym einer Erneuerungsbewegung Polens und sehr bald auch als alleinige Alternative in den herrschenden Verhältnissen verstanden, die Eigentum aller sei. Daher wurde sie zur Zufluchtstätte unterschiedlicher politischer und oppositioneller Ansichten, Strömungen und sogar Gruppierungen, so daß sie nicht nur Subjekt, sondern auch Objekt des Pluralismus seit Mitte 1980 wurde.
Auf diese Weise blieb aber ihre Identität als Gewerkschaft nicht unberührt. Besonders als von der Regierung angegriffene Organisationen demonstrativ unter „Solidaritäts“ -Fittiche genommen wurden, wie das zum integralen Bestandteil der Gewerkschaft erklärte „Komitee zur Verteidigung der wegen ihrer Überzeugung Inhaftierten“, oder Bemühungen unterstützt wurden, alternative parteipolitische Organisationen zu gründen, lief sie Gefahr, vollends auf der Strecke zu bleiben. Mit alledem wurde aber nicht nur Unübersichtlichkeit in die Organisation hineingetragen, sondern auch eine sich widersprechende Vielgleisigkeit, die sich ebenfalls unter anderen Umständen im Erfolg oder Mißerfolg der Gewerkschaften hätten niederschlagen müssen.
Programm und Selbstverständnis Das Programmverständnis der „Solidarität“ bildete sich stufenweise heraus. Wichtig waren dafür das Eingangsstatut, das bald als vorläufig bezeichnet wurde, mit seiner Umsetzung der Streikforderungen von 1980, sowie das Programm mit den Statutenänderungen vom Herbst 1981, das in der Diskussion um die im April 1981 veröffentlichten Diskussionsthesen zustande kam. Im „vorläufigen“ Statut nahm die „Solidarität“ für sich in Anspruch, dem „Schutz der materiellen, sozialen und kulturellen Interessen ihrer Mitglieder und deren Familien“, der „Sicherung der Rechte der Arbeiter“ in allen Bereichen des öffentlichen Lebens sowie der „Sicherung und Hebung der Berufsqualifikationen“ dienen zu wollen. Zudem wurden mit der sozialpolitischen Tätigkeit einer Gewerkschaft loser verbundene Aufgaben formuliert, wie die „Stärkung und der Schutz der Familie“, die „Aufnahme von Bemühungen um die richtige Harmonisierung der Interessen der Belegschaft mit der Tätigkeit der Betriebe“ und die „Einflußnahme auf die Gestaltung der Wirtschafts-und Sozialpolitik“. Als Instrumente für die Erfüllung der in der Gesellschaft geweckten Hoffnungen und Erwartungen wurden neben der vorrangig angeführten Zusammenarbeit mit den Staatsbehörden auch Streiks genannt, so daß eine konfrontative Entwicklung allein von der Staatsgewalt und ihrer Einlenkfähigkeit abhängig gemacht wurde.
Mit den Diskussionsthesen vom April 1981 wurde zwar das Statut nicht in Frage gestellt, aber durch die mittlerweile eingetretenen Konfrontationen und aufkommenden Repressionen, die zugleich eine Radikalisierung in der Gewerkschaft einleiteten, auf eine spezifische Weise ergänzt und weitergeführt. Es geschah vor allem im mikroökonomischen Bereich, wobei die Forderung nach Realisierung eines „sozialen Egalitarismus“ an Vorstellungen des subsidiären Solidarismus der katholischen Staats-und Soziallehre anschloß. Doch waren die Diskussionsthesen noch immer kein Programm einer radikalen Umgestaltung, sondern eher ein diffuses, sich stellenweise widersprechendes Konglomerat nationaler solidaristischer und Demokratie fordernder Postulate mit menschen-und bürgerrechtlichen Bezügen und Toleranzforderungen für den Pluralismus innerhalb der „Solidarität“, wobei bedeutungsmäßig eher am Rande auch tagespolitische Arbeiterinteressen erschienen; die weiterführenden Arbeiterforderungen im Sinne einer Selbstverwaltung waren in systempolitische Überlegungen eingelagert. Dabei erhob die „Solidarität“ aus ihrer Rolle in der Erneuerung Polens erstmals konkreten Anspruch auf die Ausübung einer Kontrollfunktion im Staate, ähnlich der früheren Konzeption Giereks für die „Transmissionsriemen“ -Gewerkschaft.
Das auf dem I. Landesdelegiertenkongreß vom Frühherbst 1981 in Danzig verabschiedete Programm und die Statutenergänzungen zeigen folgerichtig eine früh einsetzende Veränderung des Selbstverständnisses der Gewerkschaft in den Diskussionen des Jahres 1981. Obwohl im Eingangsstatut von 1980 mit dem Kampf gegen Alkoholismus und der Anregung zur Selbsthilfe sowie der Zusicherung einer „aktiven Tätigkeit zum Wohle des Vaterlandes“ politische, vor allem jedoch nationale Optionen anklangen, die die Gewerkschaft zwingenderweise in politische Gegensätze zur Partei-und Staatsgewalt bringen mußten, was auch vorauszusehen war, so ging ihr politisches Selbstverständnis doch mehr in Richtung einer patriotischen und moralischen Besinnung und Wiederaufrüstung des polnischen Volkes, nicht unähnlich der Buchmannschen Aufrüstungsbewegung von Caux.
Doch die systempolitische Kritik der Thesen deutete die starke Politisierung der Gewerkschaft an, die seit dem Frühjahr 1981 unter polizeilichen Repressionen in ihr zu einer Polarisierung führte; auch der anfängliche asketische moralische Rigorismus geriet darüber viel zu schnell ins Hinter-treffen mit allen sich daraus ergebenden schädlichen ethischen Erscheinungen. Häßliche innergewerkschaftliche Auseinandersetzungen und GeB gensätze, Mißgunst, Kompetenzängste und nationalistische Überheblichkeiten gegenüber anders-nationalen Mitgliedern begannen die „Solidarität“ seit dem Spätfrühling 1981 zunehmend zu bedrängen. Örtlich lösten sich aus solchen Gründen sogar Einzelorganisationen der Gewerkschaft auf. Die Polarisierungen in der Organisation nahmen sehr bald politisches Gesicht an. Der Druck der Radikalen, die aus den Reihen der jungen mittleren Funktionäre kamen und einen großen apodiktischen Veränderungselan bei geringer politischer Erfahrung einbrachten, wollte die Gewerkschaft in eine duale Funktion führen: Neben den echten gewerkschaftlichen Aufgaben sollte sie eine „gesellschaftliche Institution werden, die die politischen Strukturen der VR Polen verändert“; damit müßte sie auch die „Funktion einer oppositionellen politischen Partei wahrnehmen“. Seit Mitte 1981 wurden von diesen Funktionären, die sich auf akademische Berater stützten, Forderungen erhoben, die „Solidarität“ solle für ein aus freien und geheimen Wahlen, bei geänderter Wahlordnung, hervorgegangenes Parlament eintreten, das zu einer grundlegenden Veränderung des politischen Systems führen müsse. Nur auf diese Weise werde der Weg für notwendige wirtschaftliche und soziale Gesundung geöffnet.
Allerdings wurden auch völlig entgegengesetzte Konzeptionen laut, daß beispielsweise die Gewerkschaft nicht eine „politische Partei oder Kryptopartei", sondern „Teil der Staatsinstitutionen“ werden müsse. Aus dieser Polarisierung leitete sich die weithin akzeptierte Vorstellung her, daß die „Solidarität“ ein „Staat der polnischen Arbeit“ sei — hierzu trugen auch die Predigten Papst Johannes Paul II. während seiner ersten Pilgerfahrt 1979 durch Polen bei, die später in der Enzyklika „Laborem excercens“ universal umgesetzt wurden —, was symbolisch auch an Traditionen des polnischen Freiheits-und Untergrundkampfes anschloß. Umfragen, wonach 89, 1 v. H.der Bevölkerung die Gewerkschaft „Solidarität“ und deren Tätigkeit unterstützen zeigten die eingetretene Identität zwischen der sozialen Sammlungsbewegung der „Solidarität“, was sie mittlerweile geworden war, und der Nation. Die „Solidarität“ wurde als eine Verkörperung nationaler Unabhängigkeit empfunden, einer Unabhängigkeit, die wegen der Hegemonialbezüge zur Sowjetunion und bei der Eigenart des ideologischen eigenen politischen Systems nicht vorhan-den sei. Als Verkörperung dieser Unabhängigkeit sei die Gewerkschaft, die in ihrer Symbolik sehr gezielt an nationale Farben und Zeichen sowie Vorbilder und Elemente des Unabhängigkeitsund Untergrundkampfes anschloß, verpflichtet, für die reale Unabhängigkeit von der Sowjetunion und für staatliche und nationale Souveränität einzutreten.
Zwar wurden antisowjetische Stimmen, die einer breiten Grundstimmung in der Bevölkerung entsprachen, von der „Solidarität“ öffentlich als gefährlich und ihr fremd zurückgewiesen. Doch die antisowjetische Grundhaltung vieler „Solidaritäts“ -Blätter, die im Gegensatz zum gewerkschaftlichen Zentralorgan „Tygodnik Solidamosc“ (Auflage 500 000 Expl.) ohne offizielle Zensur erschienen, zeigte doch, daß diese Vorstellungen, die sogar an den internationalen Verträgen Polens und an seinem Verbleiben im östlichen Bündnis-system rüttelten, ihr andererseits genau so wenig fremd waren, wie trotz vereinzelter Stimmen, die um Verständnis für die deutsche Frage und Deutschland warben, die Grundstimmung in der Gewerkschaft deutschfreundlich war. Die „Solidarität“ sah sich ferner in besonderer Verantwortung für das Wohl des Abendlands infolge der „Lage an der Nahtstelle der Kulturen und der politischen Orientierung sowie den historischen Erfahrungen des polnischen Volkes“, wie offiziell präzisiert wurde. Opfergeprägter Messianismus und die tradierte historische Vorstellung, eine Vormauer des Abendlandes gegenüber dem Osten zu sein, kamen in vielen Gedankengängen der Gewerkschaft wieder auf und wurden, durch die Wahl eines Polen zum Papst zusätzlich legitimiert, als höchster universaler Auftrag gegenüber dem reichen, satt gewordenen Westen, der Polen und seine Hingebungsbereitschaft nötig habe, stilisiert. Darin sah man zugleich auch eine Verpflichtung der anderen Polen gegenüber.
Alle Vorstellungen flossen im Programm und in die Statutenänderungen vom Herbst 1981 ein. Die Politisierung des Programms veränderte sogar die Legitimation der „Solidarität“: Während anfangs eine politische Reform als Voraussetzung für ihre Tätigkeit angesehen wurde, wurde nunmehr die politisch-pluralistische soziale Sammlungsbewegung der „Solidarität“ als einziges und alleiniges Mittel zur Erreichung des Ziels einer politischen Erneuerung Polens bezeichnet, die vor einer Veränderung des politischen Systems und der Wirtschaftsordnung nicht haltmachen dürfe, obgleich die „gesellschaftlichen Grundsätze des Sozialismus“ bejaht wurden. Nur über diese Veränderung könnten die Forderungen der Arbeiter, die man repräsentiere, befriedigt werden. Das fernere Ziel sei eine „selbstverwaltete Republik“, die trotz vieler Details in ihrem Wesen nebulös blieb. Zu ihr gebe es nur einen Weg: „den Staat und die Wirt-29 schäft zu ändern“. Ihm hätten eine von der Gewerkschaft unabhängige betriebliche Arbeiter-selbstverwaltung, freie Wahlen zu den Volksräten und zum Parlament, wofür auch die Wahlordnung zu ändern sei, Transparenz des politischen Lebens, Einschränkung der Zensur und die Schaffung einer zweiten Kammer, der Selbstverwaltungskammer, sowie die Errichtung eines souveränen Verfassungsgerichtshofes und eines Staats-tribunals zu dienen. Im Statut wurde ergänzt, daß die „Solidarität“ außer den gewerkschaftlichen auch die Bürgerrechte der Mitglieder verteidigen und als alleiniges Vertretungsorgan im Ausland tätiger Polen anerkannt werden müsse. Sie beanspruchte damit, in der Sowjetunion, der DDR und der Tschechoslowakei, wo polnische Arbeiter an Aufträgen arbeiteten, ihre freigewerkschaftliche Eigenständigkeit demonstrieren und systemkontraproduktiv wirken zu können. Ursprünglich für sich Pluralismus fordernd, verstand sich die „Solidarität“ nunmehr als eine Monopolorganisation der Arbeiterinteressen.
Obwohl die Vorstellungen der „selbstverwalteten Republik“ dem geltenden Sozialismus-Modell widersprachen, stellte die „Solidarität“ in keiner ihrer programmatischen Verlautbarungen eine Voraussetzung des Systems in Frage: das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln. Auch wenn sie programmatisch grundlegende Veränderungen des realsozialistischen Herrschaftsund Verfassungssystems wünschte, in seinem innersten Wesen stellte sie es jedoch zu keiner Zeit in Frage. Sie blieb auf dem Boden des Sozialismus, wenngleich eines nebulös zwischen dem real existierenden und dem demokratischen angesiedelten Sozialismus. Alles in allem ähnelte das Programm in vielen Teilen eher einer politisierten Charta der Menschen-und Bürgerrechte als einem gewerkschaftlichen Aktionsprogramm, besonders weil sie, gestützt auf das Programm, in den folgenden Monaten bis Jahresende die Wahrnehmung ihrer früher schon deklarierten Kontrollfunktion gegenüber Parlament und Regierung mit Vorschlägen zur Bildung entsprechender Institutionen anmahnte.
Auf diese Weise wandelte sich die ursprüngliche Gewerkschaft „Solidarität“ seit dem Frühherbst 1981 immer mehr zu einer programmatisch legitimierten politischen Bewegung unzufriedener Volksmassen mit offenen Veränderungsabsichten der Verfassungs-und Herrschaftswirklichkeit. Die Schaffung eines konkreten, ausgewogenen und verwirklichbaren Programms für eine Wirtschaftsreform, das im Stande gewesen wäre, die Gesellschaft zu motivieren und dem Regime den eigenen Wert für das Staatswesen zu beweisen, was sie von Partei und Regierung verlangte und selber zu kontrollieren beabsichtigte, brachte die „Solidarität“ trotz korrigierten Selbstverständnisses, das sie dazu hätte verpflichten sollen, nicht zustande. Auch die Konzeption der „selbstverwalteten Republik“ war alles in allem nicht zu Ende gedacht und wie vieles, was die „Solidarität“ politisch äußerte, in großem Maße diffus. c) Die „Solidaritäten“ -Bewegung Wenn von der „Solidarität“ gesprochen wird, wird meist nicht berücksichtigt, daß es noch weitere „Solidaritäts“ -Gewerkschaften gab, die allerdings nie die Bedeutung der aus der Arbeiterschaft hervorgegangenen erreichten, sie aber als Kemorganisation der „Solidaritäten“ -Bewegung akzeptierten und sich nach ihr richteten. Allerdings waren sie insofern verschieden, als sie selbständige, nicht lohnabhängige Personen organisierten, die aber, wie im Hinblick auf neomarxistische Diskussionen im Westen interessanterweise argumentiert wurde, in einer ähnlichen Abhängigkeit vom Zentralverwaltungswirtschaft-Staat ständen wie Lohnempfänger vom Betrieb, der von diesem Staat betrieben werde und sein Eigentum sei. Daher seien sie vergleichbar.
In Anlehnung an freigewerkschaftliche Gründungen entstanden in der Bauernschaft die drei Unabhängigen Selbstverwalteten Gewerkschaften „Land-Solidarität“, „Bauem-Solidarität“ und der Landwirtschaftlichen Produzenten. Mitte Dezember 1980 verabschiedeten sie ein gemeinsames Statut. Die Registrierung wurde im ersten Anlauf abgelehnt, weil die Mitglieder nicht die Attribute einer Gewerkschaftszughörigkeit aufweisen konnten. Erst unter Druck der Arbeiter-„Solidarität“ kam sie zustande. Zusammen mit einer Reihe weiterer Einzelgründungen wurde Mitte August 1981 als Führungsorgan die Landesverständigungskommission der Unabhängigen Bauerngewerkschäften „Solidarität“ etabliert, die jedoch wegen regionaler Rivalitäten in der Organisation zu keiner Zeit richtig funktionierte. Die Einzelgewerkschaften wirkten weitgehend unkoordiniert nebeneinander her. Mitte Oktober 1981 wurde eine konkurrierende Führungs-und Koordinierungskörperschaft ins Leben gerufen, womit die potentielle Schwäche dieses Teils der Bewegung noch besonders unterstrichen wurde.
Auch die privaten Handwerker schlossen sich in einer „Solidaritäts“ -Organisation zusammen. Sie wurde noch stärker als die Bauernbewegung von innerem Streit gelähmt. Nach regionalen Zusammenschlüssen entstand zwar Mitte März 1981 die Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft des Selbständigen Handwerks „Solidarität“. Anfang Juli 1981 wurde sie komplikationslos registriert, kam aber nie richtig in Schwung. Die Unabhängige Selbstverwaltete Gewerkschaft des Selbständigen Transportwesens „Solidarität“, von Taxi-Besitzern angestrebt, kam aus dem Gründungsstadium nicht mehr heraus. Der Versuch, eine Poli-B zeigewerkschaft „Solidarität“ zu gründen, der große Zustimmung aus der Bevölkerung erhielt, stieß auf entschiedenen Widerstand des Innenministeriums. Obwohl ein Gründungskomitee von Vertretern aus 34 der 49 Wojewodschaften Anfang Juni 1981 in Warschau gebildet wurde, kam es infolge des Eingreifens des Sicherheitsdienstes und verschiedener Repressalien zu keiner Registrierung. Die Versuche, in Studentenkreisen aus Mitgliedern der „Solidaritäts“ -Unterstützungsund Freundes-Zirkeln eine studentische „Solidarität“ zu gründen, führten in eine andere Richtung. Es entstand ein Unabhängiger Studenten-verband (NZSP) in Konkurrenz zur staatlichen Studentenorganisation, der durch seine Bezeichnung die Nähe zur gewerkschaftlichen Bewegung unterstrich. Die Zusammenarbeit des Verbandes, der die staatliche Studentenorganisation an den Rand zu drängen verstand, mit der Arbeiter-„Solidarität" war zu jeder Zeit sehr eng.
Im Umfeld der „Solidarität“ -Bewegung entstanden Organisationen, die indirekt mit ihr verbunden waren und einen Übergang zur Parteipolitik bildeten: Sie wurden von einflußreichen Mitgliedern der „Solidarität“ der Arbeiter und von Gewerkschaftsberatern gegründet, wobei sie nur auf dem Hintergrund des „Solidaritäts“ -Programms politisch zu lokalisieren sind. Bei ihnen handelt es sich um den am 22. September entstandenen Klub der selbstverwalteten Republik „Freiheit-Gerechtigkeit-Unabhängigkeit“ (WRN) mit seinen politisch eindeutigen Traditionen, den am 29. September 1981 gegründeten Klub für den Dienst an der Unabhängigkeit sowie um die ins Gründungsstadium getretene Polnische Partei der Arbeit (PPP), die auf Initiative der „Netz“ -Organisation der „Solidarität“ zu entstehen begann. Die Programme der Gruppen vertraten in groben Zügen Vorstellungen, wie sie im „Solidaritäts" -Programm geäußert wurden. Über seinen Rahmen gingen sie kaum hinaus, auch wenn einige der Vorstellungen präzisiert und zugespitzt worden sind. d) Die „anderen“ Gewerkschaften Im Gefolge der „Solidarität“ entstand eine von Partei und Regierung geförderte pluralistische Bewegung „anderer“ Gewerkschaften. Angesichts des machtvollen Aufkommens der „Solidarität“ muß es der Partei-, Staats-und bisherigen Gewerkschaftsführung zweckmäßig erschienen sein, mit der breiten Freigabe des Gewerkschaftspluralismus zur Eindämmung des systemkritischen Gewerkschaftsmonopolismus der „Solidarität“ beizutragen suchen. Die neben der „Solidarität“ wenig später konstituierte „andere“ Gewerkschaftsbewegung verstand sich ebenfalls als selbstverwaltend und unabhängig, waren doch diese Begriffe durch die „Solidarität“ zu selbstverständlichen und unverzichtbaren Elementen des Gewerkschaftsverständnisses in der Arbeiterschaft geworden. Auf diese Weise bildeten sich zwei weitere Zweige der Gewerkschaftsbewegung heraus: der Zweig der autonomen Gewerkschaften und der bisherigen modifizierten Branchengewerkschaften. Ergebnis war, daß in manchen Betrieben mehrere Gewerkschaftsorganisationen nebeneinander bestanden, ähnlich wie in den Anfängen der volkspolnischen Gewerkschaftsentwicklung. Allerdings wurde die Suprematie der „Solidarität“ in keinem Industriebetrieb auch nur berührt, obwohl es in Behörden und Verwaltungen durchaus zu einer echten Konkurrenz insbesondere zwischen der „Solidarität“ und den Branchengewerkschaften kam.
Die Branchengewerkschaften leiteten sich direkt aus den „Transmissionsriemen“ -Gewerkschaften ab, nachdem sich der CRZZ als Führungsgremium mit dem 31. Dezember 1980 aufgelöst hatte. Im Grunde waren es die gleichen alten Branchen-gewerkschaften mit einigen kosmetischen Eingriffen, wie Neuwahlen mit einer echten Konkurrenz der Kandidaten, Abbau des bürokratischen Apparates und größere Aktivität, jedoch ohne Retuschen an den Grundvorstellungen. Ihre Eigenständigkeit wurde durch die Schaffung einer „Verständigungskommission der Branchengewerkschaften“ auf der einen Seite betont, denn sie deutete in diese Richtung, auf der anderen Seite aber in bewährter Weise des früheren CRZZ aufgehoben. Die Branchengewerkschaften unterhielten keinerlei Beziehungen zu den beiden anderen Zweigen und bemühten sich, verbrämt mit nationalem Verantwortungsgefühl den Partei-und Regierungsanregungen zu folgen. Gelegentlich taten sie es allerdings mit einer kritischen Note und — nur in Konkurrenz zur „Solidarität“ — mit noch radikaleren Forderungen, allerdings kaum jemals unter Androhung von Streik.
Auch die autonomen Gewerkschaften gründeten eine gemeinsame Führungs-und Koordinierungskörperschaft, das „Vorläufige Komitee zur Zusammenarbeit der Autonomen Gewerkschaften“. Ihr Organisationsprinzip war berufsorientiert, so daß sie zahlenmäßig kleine Zusammenschlüsse blieben. Auf diese Weise waren 1980/81 alle drei Organisationsprinzipien in der polnischen Gewerkschaftsbewegung vertreten: das territoriale, das branchenmäßige und das berufsorientierte. Insgesamt waren 64 autonome Gewerkschaften registriert, die sich eher als Lückenfüller verstanden, wie die Matrosen-und Hochseefischer-Gewerkschaft oder die Gewerkschaft der Außenhandelsbediensteten. Die autonomen Gewerkschaften unterhielten Beziehungen zur „Solidarität“, jedoch kaum zu den Branchengewerkschaften. Sie nahmen auch an Aktionen der „Solidarität“ teil, so daß sie weit mehr als die Branchengewerk31 schäften ihre Unabhängigkeit vom Partei-und Regierungswillen zum Ausdruck brachten, aber — ähnlich wie die Branchengewerkschaften — von keiner echten Radikalität ähnlich derjenigen der „Solidarität“ waren.
In den Branchengewerkschaften sollen rund 3, 5 Millionen Berufstätige organisiert gewesen sein. Die autonomen Gewerkschaften gaben ihre Stärke mit rund 800000 an. Da rund 1 Million Menschen keiner Gewerkschaft angehörten und kleinere Gewerkschaften außerhalb der Verbände blieben, hätte es 1981 1— 1, 5 Millionen Gewerkschaftler mehr als Beschäftigte in Staatsbetrieben gegeben, was die jeweiligen Angaben der Mitgliedszahlen anzweifeln läßt. e) Erfolg und Niedergang der pluralistischen Gewerkschaftsbewegung Die Veränderungen, die das Aufkommen der pluralistischen Gewerkschaftsbewegung mit sich brachte, sind ausschließlich auf das Wirken der „Solidaritäten“ -Bewegung zurückzuführen; die anderen Gewerkschaften unterstützten bestenfalls die „Solidarität“, veränderten von sich aus aber nichts an den herrschenden Verhältnissen, sondern suchten sie, wie die Branchengewerkschaften, eher zu konservieren, wenngleich in leicht modifizierter Form. Es war die „Solidarität“, die aber weit weniger die soziale als vielmehr die politische Kultur veränderte. Vor allem beeinträchtigte sie das Herrschaftsmonopol von Partei und Regierung. Die durch sie herbeigeführte Veränderung des politischen Bewußtseins in der Gesellschaft wiegt dabei am meisten und ist der eigentliche Erfolg der „Solidarität“, der die Zeit ihres legalen Bestehens überdauerte und die politische Landschaft auch für die Zeit danach so entscheidend verändert hat, daß ihr Partei und Regierung auch nach dem Verbot der „Solidarität“ Rechnung tragen mußten. Auch wenn die „Solidarität“ keinen Sieg in ihrem Sinne davongetragen hat, die herbeigeführte Bewußtseinsveränderung ist ihr bleibender Erfolg.
Das demokratisch-pluralistische Beispiel der „Solidarität“ wirkte in Bereiche ein, wo solches Verhalten bis dahin nicht praktiziert worden ist, so daß die Gewerkschaft in der einer Mythenbildung aufgeschlossenen polnischen Mentalität schnell zum allmächtigen Vertreter der Armen und Bedrängten avancierte. Ihrem Beispiel folgend konnte im Parlament hart und kontrovers gerungen werden. Ihre Praxis freier und geheimer Wahlen machte nicht einmal vor der Vereinigten Arbeiterpartei halt: sowohl die Delegierten für den Außerordentlichen Parteikongreß Mitte 1981 wurden auf diese Weise gewählt als auch das Zentralkomitee, wobei kontrovers über die Zentralkomitee-und Politbürokandidaten diskutiert wurde. Das neue Parteistatut schrieb diese Praxis mit weiteren Neuregelungen fest, wie einem Rotationsprinzip, das allerdings nie angewendet wurde. Es erfolgten Fernsehübertragungen aus den Parlamentssitzungen und aus dem Zentralkomitee, die erhebliche innerparteiliche Spannungen offenlegten. Durch ein neues Gesetz, das mit der „Solidarität“ ausgehandelt worden war, wurde das Informations-und Meinungsmonopol der Regierung erheblich eingeschränkt, so daß es in dieser Zeit die freieste Presse seit Jahrzehnten gab. Nur das Zentralorgan der Gewerkschaft unterlag einer lasch gehandhabten Zensur, die gegenüber der Vielzahl der Regional-, Betriebs-und sonstigen Zeitungen der „Solidarität“, angeblich rd. 1000— 1200, nicht angewendet wurde. Obwohl die Gewerkschaft nicht den geforderten breiten Zugang zu Femseh-und Rundfunkübertragungen erhielt, erreichte sie immerhin, daß in einem kommunistischen System die Übertragung von Gottesdiensten in das sonntägliche Rundfunk-Vormittags-programm aufgenommen wurde.
Angelehnt an die „Solidarität“ entstanden neue Organisationen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, wobei in der Vergangenheit abgewirtschaftete dupliziert wurden und der gewerkschaftliche Pluralismus auf diese Weise in das gesellschaftliche Organisationssystem breiten Einzug hielt. Der allgemeine Veränderungsprozeß machte auch vor der PZPR nicht halt. Er führte zu einem Verfall des Bestandes und auch der Macht der PZPR: Unter demütigenden Umständen verlor sie ein Drittel ihres Mitgliederbestandes. Statutarisch nicht vorgesehene Organisationsformen kamen auf und führten zu Fraktionsbildungen, die den Bestand der Partei in Frage zu stellen schienen. Regional-und Betriebsorganisationen versagten den Gehorsam, andere lösten sich auf oder stellten stillschweigend ihre Tätigkeit ein. Im Oktober 1981 überlegte man in einflußreichen Parteikreisen vor einer ZK-Sitzung, ob es nicht besser wäre, die PZPR durch eine neue Kaderpartei zu ersetzen.
Die Bemühungen der „Solidarität“, in Polen eine offene und demokratische Gesellschaft zu schaffen, schienen bei solchen Begleitumständen Erfolg zu bringen. Der Eindruck wurde durch die Verwirklichung vieler „Solidaritäts“ -Vorstellungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich gestützt. Forderungen nach einer Erhöhung der Mindestlöhne und -renten und nach Verkürzung der Wochenarbeitszeit sowie Umstellung von Schichtarbeiten beeindruckten zwar die Gesellschaft und überzeugten sie von der Allmacht und dem Veränderungselan der „Solidarität“, belasteten aber durch ihre wirtschaftliche Unausgewogenheit die ohnehin trostlose Wirtschaftssituation und Marktbelieferung im Lande noch mehr. Der Verlust an Arbeitszeit, der ein Verlust volkswirt-B schaftlicher Produktivität war, gleicherweise durch häufige und unkontrollierte Streiks, aber auch durch lange Diskussions-und Beratungsver-Sammlungen in Betrieben und Verwaltung, die den früher nicht gehörten Menschen große Befriedigung vermittelten, sie psychologisch aufrüsteten und für die Gewerkschaft einnahmen, wie durch unregelmäßige Materialzulieferungen oder eine mangelhafte Kooperation zwischen Betrieben und sogar Betriebsabteilungen herbeigeführt, war nicht dazu angetan, die geweckten Hoffnungen der Menschen auf eine Besserung der wirtschaftlichen und sozialen Situation zu befriedigen. Andererseits wurde die „Solidarität“ bei der Vorbereitung von Gesetzen zusammen mit den anderen Gewerkschaftszweigen konsultiert; sie war dabei unbestrittener Wortführer. Dazu gehörten u. a. Gesetze über die Zensur, die Betriebsverfassung von Staatsuntemehmungen, die Gewerkschaften und die Arbeiterselbstverwaltung. Auch erhielt die „Solidarität“ Gelegenheit, ihre Vorstellungen bezüglich geplanter Regelungen vorzutragen und eigene Konzeptionen einzubringen. Die gefundenen Lösungen fanden zwar nur selten die volle Zustimmung der Gewerkschaft, die dazu neigte, ihre Forderungen im Maße deren Befriedigung weiter auszudehnen. Viele dieser Verordnungen blieben über die Zeit des Bestehens der „Solidarität“ in Kraft, andere wurden nach Ausrufung des Kriegszustandes revidiert.
In den beiden die Arbeiterschaft unmittelbar in den Betrieben betreffenden Gesetzen vom September 1981 wurden seitens Partei und Regierung Zugeständnisse an die Vorstellungen der „Solidarität“ in einem zwar breiten, sie aber nicht befriedigenden und ihren vorgetragenen Konzeptionen angemessenen Maße vorgenommen. Trotzdem waren es die liberalsten und weitestgehenden Bestimmungen in diesem Bereich seit der Entstehung der VR Polen. Zwar gingen die Vorstellungen des „Solidaritäts“ -„Netzes“ in die gleiche Richtung einer Unabhängigkeit der Arbeiter-selbstverwaltung von den Gewerkschaften, doch erschien in der Situation des Septembers 1981 das Entgegenkommen von Partei und Regierung der „Solidaritäts“ -Führung, übrigens entgegen kirchlicher Ratschläge, nicht weit genug. Den Arbeiter-räten, die die Arbeiterselbstverwaltung zu tragen gehabt hätten, wurden nämlich Kompetenzen über den betrieblichen Lohnfonds und die Lohn-gestaltung nicht eingeräumt, was die „Solidaritäts“ -Vorstellungen nicht befriedigte, aus früheren Erfahrungen aber volkswirtschaftlich erklärbar war. Immerhin waren seit Herbst 1980 wieder neu gewählte Arbeiterräte aufgekommen, die in bisher unklaren Kompetenzverhältnissen gewirkt hatten und jetzt einen Handlungsrahmen erhielten. Die Zuspitzung der Situation im Herbst 1981 hatte dramatisch zugenommen. Aus ihrem Verständnis, daß partizipatorische und Betriebsverfassungsfragen nur über eine Veränderung des Systemverständnisses der Herrschaftsschicht und der Systemstrukturen gelöst werden können, ging die „Solidarität“ zu Forderungen nach politischer Mitbestimmung über. Ein Konflikt mit der Machtelite und ihrer Herrschaftswirklichkeit war damit programmiert. Seit Ende Oktober 1981 versuchten zudem verschiedene „Solidaritäts" -Betriebsorganisationen, die Parteiorganisationen aus den Betrieben zu verdrängen, was von Partei und Regierung als höchstes Gefahrensignal empfunden wurde, um so mehr, als die Sprache der Radikalen in der Gewerkschaft die Bedrohlichkeit der Situation noch zu unterstreichen schien. Ferner stellte die „Solidarität“ Forderungen, die die Deutung nahelegten, sie wolle entweder eine der Partei und Regierung übergeordnete politische Weisungs-und Kontrollinstanzrolle oder mit Hilfe vorzuziehender Wahlen und öffentlichen Drucks die Macht im Staat nicht als Institution, aber als Protektor übernehmen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sie die funktionale Qualität einer Oppositionspartei erreicht.
Die Vorstellungen der „Solidarität“ sprengten nicht nur den Verständnisrahmen für sie als Gewerkschaft, sondern griffen weit über deren ursprüngliche Absichten hinaus. Schon auf dem I. Landesdelegiertenkongreß im September hatte Zbigniew Bujak, Vorsitzender der Gewerkschaftsregion Masovien (Mazowsze), festgestellt, daß „die Solidarität mit ihrer Tätigkeit den Rahmen der (Gesellschafts) Verträge weit überschritten habe“. Auch Lech Wasa war sich der damit verbundenen Gefahr bewußt und versuchte seit Mitte 1981, vor solchen bedrohlichen Entwicklungen zu warnen. Wiederholt riet er zur Mäßigung mit Hinweisen auf die Gefahr der Unterschätzung des Gegners, denn „Macht wird nicht verschenkt, man kämpft um sie“. Im Bewußtsein dessen, daß es nicht nur um gesinnungsethische Gemeinsamkeit und Exponierung, sondern vor allem um eine zielbezogene utilitaristische Effizienz in den Bemühungen der „Solidarität“ zu gehen habe, um den einmal geweckten Hoffnungen der Menschen möglichst gerecht zu werden, versuchte er in Übereinstimmung mit der Kirchenführung, die Strategie einer „Veränderung auf Raten“ durchzusetzen. Doch vermochte er, der mit einer sehr knappen Mehrheit während des I. Landesdelegiertenkongresses an die Gewerkschaftsspitze gesetzt wurde, sich gegenüber den Radikalen in der Führung, die auch die Verbindung zur Kirche kritisierten, nicht durchzusetzen. Die Mahnungen Wapsas aus dieser Zeit, daß man sich „einen Zusammenstoß, der bald kommen wird“, nähere und der vorauszusehende „Kampf sehr schwer werden würde, die Chance ihn zu gewinnen, bei unbedachtem Handelns aber sehr gering ist“, deuten auf seinen großen politischen Realismus und seine Bereitschaft zur Mäßigung und Augenmaß hin, die er nicht mehr nachhaltig genug in der Gewerkschaft verankern konnte.
Bei absoluter Überschätzung der eigenen Durchsetzungsfähigkeit und organisatorischen Geschlossenheit sowie zu großer Kritiklosigkeit gegenüber der eigenen Armee einerseits, die in der Gesellschaft nationalen Stolz und Bewunderung selbst dann noch genoß, als sie aktiv mit Offiziers-Ordnungsgruppen seit November in das chaotische Geschehen vorerst nur schlichtend eingriff, sowie Unterschätzung der Intaktheit der Sicherheitsdienst-und Polizeistrukturen andererseits, die sich aus dem öffentlichen Blickfeld zurückgezogen hatten, wurde die „Solidarität“ -Führung von der Ausrufung des Kriegszustandes am 13. Dezember 1981, der aber schon auf zwei nicht genügend ernst genommenen ZK-Sitzungen der PZPR im Oktober und November erörtet worden ist, völlig überrascht. Die einzelnen Gewerkschaftszweige wurden unterschiedlich betroffen, und zwar im Maße ihrer früheren Haltung zum politischen System. Die ganze Wucht der Repressionsmaßnahmen richtete sich gegen die „Solidarität“. 4. Gewerkschaftspolitik und Gesellschaft in der Nach-„Solidaritäts" -Periode a) „Solidarität“ und politischer Untergrund Der Kriegszustand traf die ganze Gesellschaft. Mit ihm wurde nicht nur die Suspendierung der Gewerkschaften und die Internierung von „Solidaritäts“ -Aktivisten, sondern auch die Aufhebung des Streik-und Demonstrationsrechts, die Einschränkung des Versammlungsrechts, die Einführung einer allgemeinen Arbeitspflicht sowie die Militarisierung wichtigerer Betriebe verfügt, dazu anfangs eine Sperrstunde. Gesetzlich verbriefte Rechte aus den Jahren 1980/81 wurden revidiert. „Solidaritäts“ -Aktivisten wurden wegen ihrer früheren Tätigkeit schikaniert und zurückgesetzt.
Nur wenigen Funktionären und Aktivisten der „Solidarität“ gelang es durch Zufall, der Internierung zu entgehen. Sie tauchten in der Illegalität unter. Schon wenige Tage später riefen sie zu vielfältigem staatsbürgerlichen Ungehorsam auf und gaben Verhaltensregeln dafür, anfangs mit beachtlichem Erfolg. Bezeichnenderweise wurde das Wort Jozef Pitsudskis „Besiegt werden und nicht unterliegen — das ist der Sieg“ zum Leitsatz erwählt. Zeichen und Symbole der „Solidarität“ überdauerten in der Öffentlichkeit der Kirchen, in einem gewissermaßen exterritorialen Raum. Überhaupt trat die Kirche in viele Funktionen der „Solidarität“. In Kirchengemeinden wurden „Komitees für Karitative Hilfe“ an Internierte und deren Familien geschaffen. Gebetsaktionen und Messen für die Internierten der „Solidarität“ und für die Nation entsprachen vorhandenen Identitäten und schufen neue. Der beim Episkopat gebildete Soziale Beirat des Primas kritisierte zwar in seinen Thesen vom April 1982 die „Solidarität“, wobei ihr ein Teil der Schuld an den desolaten Zuständen zugemessen wurde. Aber zugleich forderte er die Wiederzulassung einer unabhängigen pluralistischen Gewerkschaftsbewegung und übte mit der ganzen Autorität der Kirche, die durch den Kriegszustand eher noch gefestigt war, harte systempolitische Kritik im Sinne der katholischen solidaristischen Sozial-und Staatslehre. Die Kirchen wurden zum legalen Hort der illegalen Organisation. Hier, wo eigene „Solidaritäts“ -Nischen eingerichtet wurden, kam es zu Versammlungen, Gedenkstunden, Solidaritäts-und Hungeraktionen, Konzerten, Theateraufführungen und Dichterlesungen der gegen das System opponierenden Künstler, die sich weigerten, in staatlichen Theatern, im Fernsehen und Rundfunk aufzutreten.
In der Illegalität baute die „Solidarität“ eigene Organisationsstrukturen auf. Angesichts der repressiven Situation wurde ihnen Autonomie und Selbstverantwortung eingeräumt, wodurch die Organisation aber atomisiert wurde und sich die nötige Geschlossenheit selber nahm. Die Gewerkschaft nannte sich auch „Kämpfende Solidarität“ in Anlehnung an die Losung „Kämpfendes Polen“ aus der Zeit des Kampfes gegen die Nazi-Okkupation und verwendete gleiche, geringfügig ergänzte Symbole. Aus den untergetauchten Funktionären wurde unter Vorsitz des erst im Frühsommer 1986 verhafteten Zbigniew Bujak eine „Vorläufige Koordinierungskommission“ (TKK) gebildet. In den meisten früheren Regionen entstanden Regionale Leitungskomitees, die sich unterschiedlich nannten. Aus Vertretern der „Vorläufigen Betriebskommissionen“ (TKZ) der einzelnen Betriebe rekrutierten sich die lokalen Führungsstrukturen, so daß nach dem Territorialprinzip eine vierstufige Organisationsstruktur entstand. Die TKZ sammelten Mitgliederbeiträge, kolportierten die Untergrundpresse und -literatur und unterstützten, meist in Zusammenarbeit mit den karitativen Komitees der Kirche, die Opfer der Repressalien und deren Familien.
Im Untergrund hatte sich die „Solidarität“ vollends zu einer politischen Organisation gewandelt, besonders nachdem die pluralistische Gewerkschaftsbewegung im Oktober 1982 aufgelöst wurde. Die „Kämpfende Solidarität“ bestritt nach ILO-Vereinbarung Nr. 87 der Regierung das Recht hierzu, das nur die Arbeitnehmer und Mitglieder haben. Sie organisierte, wenngleich mit nachlassendem Erfolg, Protestdemonstrationen gegen das Kriegsrecht und seine Folgen. Mit kurzen Aufrufen mobiler Sender machte sie sich über den Rundfunk bemerkbar, zum Stolz und zur Schadenfreude der Gesellschaft. Die „KämpB fende Solidarität“ entwarf ferner ein „Programm für den Aufbau einer unabhängigen Gesellschaft“, das noch systemkritischer als frühere Vorstellungen war und einen „Marsch durch die Institutionen“ suggerierte. Die angestrebte „selbstverwaltete Republik“ sollte nunmehr von der „Idee des Solidarismus“ getragen und als parlamentarische Demokratie mit verbrieften Grundrechten und einer Arbeiterselbstverwaltung, einer Marktwirtschaft auf der Grundlage vergesellschafteter Produktionsmittel (= sozialistische Marktwirtschaft), einer gewählten territorialen und revozierbaren Selbstverwaltung, einer unabhängigen Gerichtsbarkeit und einer selbstverwalteten, unabhängigen Gewerkschaftsbewegung verfaßt sein. Der solidaristische Staat wurde im Grunde als ein „dritter Weg“ zwischen Kapitalismus und Realsozialismus verstanden, der einen Sturz des bestehenden Systems voraussetzt, an frühere Vorstellungen von vor 1939 anschließt und nach außen mit allen Mitteln als Idee in die sozialistischen Nachbarländer hineingetragen und nach innen mit Hilfe einer gesellschaftlichen Selbstverteidigung, die später im Komitee der Gesellschaftlichen Verteidigung (KOS) eine institutioneile Verwirklichung mit eigener illegaler Presse fand, vorbereitet werden sollte; sie erstreckte sich nach diesen Vorstellungen auf systemunabhängige Bildungsmöglichkeiten und Informationen, die auch in die Nachbarländer hineingetragen werden sollen, auf Streiks, gesellschaftliche Ächtung von Regimespitzeln und Denunzianten, Werkssabotage und Beeinträchtigung der Produktion durch mindere Produktionsqualität oder Absenz, insbes. in der Rüstungsindustrie, dazu Suche nach Verbindungen zu nachbarstaatlichen Ökologie-und Friedensbewegungen und Ausgleich mit den Nachbarvölkern, auch unter Zurückstellung bisheriger nationaler Überzeichnungen und Verkrampfungen, wie in der deutschen Frage. Damit avancierte die Systemfrage zum zentralen staatlichen und nationalen Problem und politischem Handlungsmaßstab. In diesem Sinne rief die „Solidarität“ zum Boykott der Sejm-und National-Wahlen 1984 — 1985 auf, was zwar nicht den erhofften Erfolg brachte, aber nach ihren eigenen Beobachtungen von rd. einem Drittel der Wahlberechtigten befolgt worden sei; natürlich weichen die offiziellen von diesen Angaben erheblich ab.
Der politische Charakter der „Kämpfenden Solidarität“ wird durch ihre Zusammenarbeit mit einer Vielzahl erklärtermaßen politischer Oppositionsgruppen, die im Untergrund wirken, unterstrichen, wie dem KOS; eine ihrer Parolen lautet:
„Mit den Kommunisten sollte nicht diskutiert werden, man muß sie entmachten“. Auch sind ihr spezialisierte Arbeitsgruppen angeschlossen: ein Helsinki-Komitee, das vernichtende politische und juristische Analysen veröffentlichte, und das „Netz der anleitenden Betriebe“, das sich der Dokumentation der sozialen Situation der Gesellschaft widmet. In Brüssel besteht ein offizielles „Koordinierungsbüro im Ausland“ der TKK. Bemerkenswert ist die verlegerische Tätigkeit der „Kämpfenden Solidarität“. Von den angeblich 250 regelmäßig im Untergrund erscheinenden periodischen Blättern sollen rund 80 v. H. von ihren Anhängern herausgegeben werden. Das Blatt „Tygodnik Mazowsze“ (Wochenblatt Masovien) soll bei überregionaler Verbreitung eine jeweilige Auflage von mehreren Zehntausend Exemplaren haben. Es wird als das Zentralorgan der „Kämpfenden Solidarität“ angesehen. Auf diese Weise entstand auf gewerkschaftlichem Hintergründe eine vielfältige Dissidenzbewegung.
Nicht zu übersehen ist allerdings eine Zunahme der Kritik an der „Solidarität“ in den Jahren 1980/81 in der Gesellschaft. Mittlerweile entstand eine erhebliche Distanz zur Organisation der damaligen „Solidarität“ und der Art ihres Agierens, kaum aber zu ihrem geistigen Hintergrund und Antrieb. Diese Art der Identität erfüllt immer noch die Gesellschaft. Zusammen mit der zunehmenden Resignation in den schwierigen Verhältnissen des Alltag-Polens führte dies aber letzten Endes doch zu einem Rückgang des unmittelbaren „Solidaritäts“ -Einflusses in der Gesellschaft, was sich besonders auf die Untergrundorganisation auswirkt, der sich mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur Aufrufung des Kriegszustandes und seiner Aufhebung deutlich vergrößert. Die von der „Solidarität“ herbeigeführte Veränderung des politischen Bewußtseins in der Gesellschaft, der die System-und Herrschaftsträger mit ihrer Politik im Rahmen der Systemmöglichkeiten Rechnung zu tragen suchen, ist ein nicht zu unterschätzender bleibender Erfolg dieser sozialen Sammlungsbewegung der polnischen Nation, und zwar auch im Hinblick auf die Veränderung der politischen Kultur im Lande. Die „Solidarität“ ging mittlerweile in die politische Symbolwelt der Polen als Zeichen eines nationalen Messianismus ein, der die polnische Nation aus dem abendländischen Einerlei des politischen Konformismus heraushebt, auch wenn ihr momentane Erfolglosigkeit beschieden war, eine in der neueren polnischen Geschichte übrigens häufigere Erscheinung. b) Betriebsgewerkschaften: eine „neue“ alte Bewegung? In den ersten Monaten des Kriegszustandes war das gewerkschaftliche Leben zum Erliegen gekommen. Ähnlich war es bei der Arbeiterselbstverwaltung, die von „Solidaritäts“ -Aktivisten dominiert gewesen war. Die Absicht von Partei und Regierung, diesen Zustand schon bald zu ändern, zeigten Thesen des Gewerkschaftskomitees beim Ministerrat vom Ende Februar 1982. Nach dieser Konzeption sollte zur Qualität der alten Gewerk35 Schaftsbewegung zurückgekehrt werden, denn sowohl die führende Rolle der Partei als auch das Branchen-und nicht das Territorialprinzip wurden besonders festgeschrieben, der gewerkschaftliche Pluralismus hingegen abgeschafft. Allerdings wurde ein eingeschränktes Streikrecht zur Diskussion gestellt.
Alle diese Vorstellungen fanden sich im neuen Gewerkschaftsgesetz vom 8. Oktober 1982 wieder, das auf einen noch mit der „Solidarität“ vor Ausrufung des Kriegszustandes erörterten Gesetzentwurf zurückgeführt wurde. Das Gesetz war im Vergleich zum Entwurf in den neuen Verhältnissen entschieden restriktiver. Durch die mit ihm erfolgte Auflösung der suspendierten Gewerkschaftsbewegung wurde der Weg für eine „neue“ freigemacht. Erlaubt wurde, Gewerkschaften nur in zivilen Betrieben und in Verwaltungen zu gründen, die nicht dem Verteidigungs-oder Innenministerium, dem Gerichtswesen und der Staatsanwaltschaft angehören. Ein eingeschränktes Streikrecht wurde als letztes Mittel nach einem Mißerfolg gesetzlich vorgeschriebener, umständlicher Schlichtungsverfahren eingeräumt. Die Registrierung von Einzelgewerkschaften hing von inhaltlichen und formalen Kriterien ab, so daß breites offizielles Einschreiten ermöglicht wurde. Zwar begrüßte das ZK der PZPR noch im Oktober 1982 die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der „neuen“ Gewerkschaften auch gegenüber der Partei, in seinem Zentralorgan forderte es aber parallel dazu eine „Inspiration“ der Gewerkschaften durch die Partei, damit die nunmehr sozialistische Erneuerungsbewegung nicht auf Abwege gerate.
Erst die Suspendierung des Kriegszustandes zum 31. Dezember 1982 schuf die Grundlage für die schrittweise Wiederbelebung der Gewerkschaften. In der ersten Gründungsphase wurde erlaubt, nur Betriebsgewerkschaften ohne Verbindungen untereinander zu gründen. Die Gewerkschaftsgründungen erfolgten meist auf Initiative von Mitgliedern des früheren Branchengewerkschaftszweiges. Angesichts einer nur geringen Bereitschaft der Arbeitnehmer, „neue“ Gewerkschaften zu gründen, wurde darum mit Hilfe vielfältiger und ausgeklügelter persönlicher materieller Zugeständnisse oder kollektiver Sozialleistungen geworben. In vielen Fällen gründeten materiell schlecht gestellte Rentner die Keimzellen der neuen Betriebsgewerkschaften. Es gab aber auch Belegschaften, die die Neugründungen mit gezielten Erklärungen ablehnten. Um eine gesellschaftliche Ächtung der Mitglieder zu verhindern, wurden Mitgliederlisten häufig erst mit der Registrierung bekanntgegeben. So scheint der gewerkschaftliche Wiederbelebungsprozeß ein Vorgang mit vielen Schwierigkeiten und Rückschlägen gewesen zu sein. Noch 1984 hielt die Hälfte der Arbeiter die Gründung der „neuen“ Gewerkschaften für unnötig, wie sogar bekanntgegebene (!) Umfragen aus diesem Jahre ergeben. Das Mißtrauen ihnen gegenüber angesichts der vielfältigen Erfahrungen, die von den Arbeitern gemacht worden waren, scheint verständlich; noch 1984 sprachen ihnen 63 v. H.der Arbeiter kein Vertrauen aus. Rund 10 v. H.der Arbeiter erklärten, entschiedene Gegner der „neuen“ Gewerkschaften zu sein, und sogar 30 v. H. ihrer Mitglieder hatten „viele Vorbehalte“ gegenüber ihrer eigenen Organisation. Aber auch dort, wo Betriebsgewerkschaften entstanden, blieben sie klein und anfangs isoliert. Bei ihrer entschiedenen Förderung mit allen Mitteln nahm ihre Zahl und Größe allerdings zu. Trotzdem waren ihnen Anfang 1984 erst „nahezu“ 25 v. H.der Belegschaften beigetreten. Bemerkenswert ist, daß ihnen nur 20 v. H. ehemaliger „Solidaritäts“ -Mitglieder angehörten, wie angegeben wird, was aber dann aus der Kenntnis der zahlenmäßigen Stärke dieser Gewerkschaftsbewegung Zweifel an den Angaben zur Mitgliederzahl der „neuen“ Gewerkschaften aufkommen läßt. Mitte 1986 waren rund 26000 Betriebsgewerkschaften registriert. Allerdings gibt es noch immer 1 300 Betriebe, in denen es nicht gelang, eine Betriebsgewerkschaft zu installieren. Gemessen an der Entstehungsdynamik, der Verbreitung und der Akzeptation der „Solidarität“ ist die „neue“ Gewerkschaftsbewegung trotz ihrer intensiven materiellen und ideellen Förderung weit mehr ein Zeichen gesellschaftlichen Dissenses in Polen als eines Konsenses zwischen der Gesellschaft und ihren Herrschaftsträgern.
Der betrieblichen Zersplitterung der „neuen“ Gewerkschaften wurde erheblich eher ein Ende gesetzt, als ursprünglich im Gesetz vorgesehen war. Zuerst entstand die Föderation der Hüttenarbeiter-Gewerkschaften, zu deren Vorsitzendem Alfred Miodowicz gewählt wurde, ein früherer Aktivist des Branchengewerkschaftszweiges. Seit Anfang 1984 organisierten sich weitere gewerkschaftliche Föderationen und landesweite Branchengewerkschaften. Am 25. November 1985 führte diese Entwicklung früher als vom Gesetz vorgesehen zur Gründung der „Gesamtpolnischen Gewerkschaftsverständigung“ (OPZZ) als Führungsund Koordinierungsorganisation der „neuen“ Gewerkschaftsbewegung. Zum Vorsitzenden wurde Alfred Miodowicz gewählt. Im „Programm der Tätigkeit der polnischen Gewerkschaftsbewegung“, das auf der Beuthener OPZZ-Gründungsversammlung angenommen wurde, findet sich als übergeordnete Zielprojektion des OPZZ die Schaffung eines „Sozialismus ohne Auswüchse“, die aus der „Unzufriedenheit der Arbeiterklasse" erwachsen seien. Auch um von früherer Popularität zu profitieren und Zugang zu den verunsicherten Arbeitern zu bekommen, wird festgehalten, daß die OPZZ die Einhaltung der Verträge — und nicht mehr Gesellschaftsverträge, was eine eigene Aussage besitzt — von Stettin, Danzig und Jastrzbie — in dieser zeitlichen Reihenfolge, was auch politisch zu werten ist — sicherstellen wolle, denn man sei „Erbwalter der Bewegung des Jahres 1980 der Arbeiter“. Im OPZZ-Statut wurde aber ausdrücklich die führende Rolle der PZPR festgeschrieben, die von einer statutarischen Unabhängigkeit der Gewerkschaften ergänzt sein soll. Eine der Aufgaben der OPZZ, die Sicherstellung der Einheit der Gewerkschaftsbewegung (= Gewerkschaftseinheitsbewegung), soll durch nachgeordnete Wojewodschafts-Verständigungskommissionen (WPZZ), die aus Vertretern der Betriebsgewerkschaften bestehen, unterstützt werden. Auch wenn die OPZZ über soziale und wirtschaftliche Belange der Arbeiterschaft wachen und sie durchsetzen will, so wird im Statut bloßen Mobilisierungsfunktionen — wie schon früher — große Bedeutung beigelegt.
Der Unterschied zwischen dem Ende 1980 aufgelösten CRZZ und der OPZZ scheint eher graduell, denn konzeptionell zu sein. Denn allen Beteuerungen und Absichten ist entgegenzusetzen: Der sofortige Beitritt der OPZZ nach ihrer Gründung zur „Patriotischen Bewegung der Nationalen Wiedergeburt“ (PRON), der neuen gesellschaftlichen Einheitsbewegung nach Kriegsrechtseinführung, entspricht den früheren Verbindungen zur konzeptionell ähnlichen „Front der Nationalen Einheit“ (FJN), die vor 1980 alle Parteien und gesellschaftlichen Organisationen, darunter auch den CRZZ, zusammenfaßte und politisch gleichschaltete. Da auf dem PZPR-Kongreß von Mitte 1986 der OPZZ-Vorsitzende Alfred Miodowicz ins Politbüro der PZPR gewählt wurde, ist auch die frühere herrschaftspolitische „Transmissionsriemen“ -Verzahnung bei den „neuen“ Gewerkschaften wiederhergestellt worden.
Die herrschaftsstrukturellen Gemeinsamkeiten, die die programmatischen und sonstigen Beteuerungen grob relativieren, werden durch eine nach außen unabhängige und selbstbewußte Argumentation und Haltung der OPZZ verdeckt. Bereits verschiedentlich nahm sie Anliegen aus der Arbeiterschaft auf und setzte sie gegen Widerstände durch. Auch widersprach sie Partei-und Regierungskonzeptionen, die auf den Unwillen der Arbeiter und ihrer Selbstverwaltungen stießen, und verstand es, sie entweder abzuwehren oder zu verändern. Offenbar erfüllt sie die Rolle eines Ventils gesellschaftlichen Unwillens. Sollte es ihr gleicherweise gelingen, eine Rückkopplung zwischen Gesellschaft und Herrschaftsträgern herzustellen, dann könnte sie in einem stärkeren Maße, als es die Brancheneinheitsgewerkschaft gewesen war, zum Interessenträger der Arbeiterschaft und einem stabilisierenden Element des politischen Systems werden. Doch noch immer weigern sich rund 5 200 Einzelgewerkschaften der OPZZ, die ca. 25000 Einzelgewerkschaften zusammengefaßt haben soll, beizutreten. c) Die „neue“ Arbeiterselbstvenvaltung:
Rückkehr zur KSR-Praxis?
Wie schon früher konzentrierten sich in dieser Situation die Hoffnungen der Arbeiter auf ihre Selbstverwaltung, die mit großem offiziellen Aplomb bereits in der zweiten Hälfte 1982 propagiert wurde. Bei den nach dem 81er Gesetz ins Leben gerufenen Arbeiterräten entwickelte sich die Tendenz, die in der „Solidaritäts“ -Periode gewählten Räte personell wieder aufleben zu lassen oder möglichst wenig zu verändern, dann aber jedenfalls ehemalige „Solidaritäts“ -Mitglieder hineinzuwählen. Solches Verhalten entsprach übrigens Aufrufen der „Kämpfenden Solidarität“. Allerdings wurden gezielt in rund 1 300 Schlüssel-betrieben die Rechte der Arbeiterselbstverwaltung erheblich eingeschränkt. Ferner wurden ihre Rechte allgemein durch das neue Gewerkschaftsgesetz relativiert, denn für eine Reihe von Fragen wurde die Zustimmung der Gewerkschaft bei der Durchführung von Selbstverwaltungsbeschlüssen zwingend vorgeschrieben, obwohl programmatisch eine Unabhängigkeit von Gewerkschaft und Arbeiterselbstverwaltung proklamiert wurde. Zudem wurde die Stellung des Direktors den Arbeiterräten gegenüber gestärkt, so daß sie von ihm deutlich abhängiger wurden. Auf diese Weise fand eine erhebliche Erosion ihrer 81er Rechte statt, besonders des Rechts auf Berufung und Abberufung von Betriebsdirektoren.
Eine überbetriebliche Zusammenarbeit der Räte wurde ebenfalls unterbunden. Auch wurde offiziellen Instanzen das Recht eingeräumt, Arbeiter-räte, die das „gesellschaftliche Interesse“ — was immer dies auch bedeuten mag — nicht einzuhalten und zu wahren verstehen, aufzulösen, was alles nicht nur das 81er Gesetz aushöhlte, sondern repressiven Maßnahmen und einer Verunsicherung der Arbeiterräte Tür und Tor öffnete. Um Streitfällen vorzubeugen oder sie zu schlichten, wurde eine Arbeiterselbstverwaltungskommission beim Ministerrat berufen, die aber schon Ende 1985 aufgelöst wurde. Offiziell rügte man häufige Versuche, die Tätigkeit der Arbeiterselbstverwaltung durch den Direktor, die Gewerkschaft und die Partei einzuengen. Allein im Jahre 1983 kam es zu 104 so schweren Konflikten im Betrieb, daß 34 nur von Gerichten entschieden werden konnten, womit andererseits aber auch das gestiegene Selbstbewußtsein der Arbeiter trotz aller repressiven Umstände und damit auch eine erhebliche Veränderung in der politischen Kultur des Landes dokumentiert scheint. Nicht nur, um eine fachliche Qualifikation, sondern auch um eine be37 stimmte Vorstellung von den Aufgaben der Arbeiterselbstverwaltung zu vermitteln, wurde eine Gesellschaft zur wissenschaftlichen Arbeitsorganisation und -leitung gegründet, die die Schulung von Aktivisten und Funktionären der Arbeiterselbstverwaltung aufnahm. Ähnliche Schulungen werden ebenfalls von den jeweiligen Fachministerien und von der Polnischen Volkswirtschaftlichen Gesellschaft durchgeführt, so daß die Organe der Arbeiterselbstverwaltung in differenzierter Weise für ihre vielfältigen wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben und für das Verständnis auch makro-ökonomischer Zusammenhänge vorbereitet werden. Im wesentlichen konzentriert sich die Arbeiterselbstverwaltung in ihrem immer mehr reduzierten Rahmen heute aber wieder auf Mobilisierungsfunktionen, wozu ganz besonders die Wahrung und Einhaltung der Höhe und Qualität der Produktion gehört. Damit wird sie früheren KSR-Organen immer ähnlicher.
Daher verwundert es auch nicht weiter, daß 1984 bei Umfragen unter Arbeitern großes Unbehagen mit der „neuen“ Arbeiterselbstverwaltung festgestellt wurde. Bei 6400 Staatsbetrieben, in denen eine Arbeiterselbstverwaltung zustande kam, gab es Ende 1984 noch 900 Staatsbetriebe, wo sich ihr die Arbeiter verweigerten. Bemerkenswerterweise wird sie von Gewerkschaftsmitgliedern noch mißtrauischer als ihre eigene Gewerkschaftsorganisation betrachtet.
Da offizielle Stellen gleich welcher Art die Zurückhaltung der Arbeiterschaft in den neuen Verhältnissen sehr beklagen, zugleich aber ein relativer Rückgang des Nimbus der Organisation „Solidarität“ festzustellen ist, steht die Gesellschaft vielfältig verunsichert und resigniert in ihrer politischen Umwelt. Dies erklärt nicht nur die Schwierigkeiten mit, sondern auch die Bemühungen und das Werben von Partei und Regierung um die Arbeiter, wenngleich nicht immer auf glückliche Art und Weise, daneben dann aber auch die Hin-wendung der Gesellschaft zur Kirche und deren sozialen Vorstellungswelt. Auf diesem Wege gewinnt die Kirche eine zentrale Bedeutung weit über ihre Rolle als legaler Hort der illegalen Opposition hinaus.