Nachdem die durch Elemente einer eurozentrischen Modernisierungsideologie getragene Entwicklungspolitik der letzten 25 Jahre gescheitert war, gewann unter den Schlagworten „Grundbedürfnisbefriedigung“ und „Hilfe zur Selbsthilfe“ ein neuer Ansatz an Bedeutung. Inzwischen steht fest, daß auch Entwicklungsmaßnahmen dieser Art (wie im übrigen auch die Größe der Vorhaben) an sich noch keinen „Entwicklungserfolg“ mit sich bringen müssen, beweist doch die Analyse dieser angeblichen Basisvorhaben, daß ihre Erfolgsquote kaum größer ist als die der im Rahmen der alten Strategie durchgeführten Maßnahmen.
Seit Beginn der achtziger Jahre wird als Erklärung für das Scheitern mancher Vorhaben ein vormals wenig beachtetes Defizit genannt: die zu geringe Berücksichtigung der sozio-kulturellen oder besser der kulturellen Dimension von Entwicklung Die zeitweise zu beobachtende Intensität der Diskussion auch seitens politischer Entscheidungsträger ließ sogar Konsequenzen für das Instrumentarium der Entwicklungszusammenarbeit erwarten. Daß dies bisher nicht der Fall ist, beweist die Praxis der gegenwärtigen Entwicklungspolitik und letztendlich auch die resignierende Einstellung derjenigen, die auf den Kulturfaktor aufmerksam gemacht haben
Um so unverständlicher ist es, wenn von planerischer Seite jetzt anstelle eines umfassenden Realisierungsansatzes für die Reform der Projektarbeit zwecks besserer Einbindung der Vorhaben in die Kultur der jeweiligen Partner rein normative Modelle aufgestellt werden, ohne daß gleichzeitig eine Veränderung des entwicklungspolitischen Instrumentariums in Aussicht gestellt wird. Wie anstelle von normativen Modellen und Schematisierungsversuchen eine Effizienzsteigerung durch zielgruppenorientierte Entwicklungsplanung im Projektbereich erreicht werden könnte, sollen die vorliegenden Anmerkungen aufzeigen. Angesichts der Rahmenumstände, die im folgenden ebenfalls dargestellt werden müssen, dürfte die Realisierung dieser Vorschläge noch einige Anstrengungen erfordern.
I. Kriterien der „traditionellen“ Enwicklungsplanung und ihre Folgen
Man muß kein Anhänger der von Brigitte Erler vertretenen Analyse fehlgeschlagener Entwicklungsvorhaben sein um zu der Einsicht zu gelangen, daß der entwicklungspolitische Effekt vieler Vorhaben sich der Null-Grenze nähert oder sich sogar als kontraproduktiv erweist, vorausgesetzt, man will den Erfolg von Entwicklungsmaßnahmen nicht durch statistische Werte definieren, sondern durch reale Verbesserungen bei der Masse der Bevölkerung. Diesbezüglich herrscht allerdings bisher keine Übereinstimmung. Gesteigertes Bruttosozialprodukt, die Zahl der Arbeitskräfte im sekundären und tertiären Sektor oder gar der Pro-Kopf-Verbrauch an Energie zählen weiterhin zu den Indikatoren des Entwicklungsstandes einer Gesellschaft Die Breitenwirkung nationaler und internationaler Vorhaben ist keineswegs überall Maßstab für Evaluierungen, so daß es auch bei fehlenden ökonomischen Interessen der Geber an Entwicklungs„hilfe“ nicht sicher ist, ob die Ideologie des Modernisierungsansatzes wirklich als überwunden gelten kann.
Dies zeigt sich auch an der gegenwärtigen Entwicklungspolitik der Bundesregierung: Auf der einen Seite versucht man, grundbedürfnisorientierte Strategien umzusetzen, andererseits wird die große Masse der Mittel der Finanziellen Zusammenarbeit im bilateralen und multilateralen Bereich wie auch der Technischen Zusammenarbeit weiterhin für Maßnahmen verwendet, aus denen sich erst sekundär ein Entwicklungserfolg im Sinne der anfangs genannten Definition ergeben kann. Durch die Förderung allgemeiner Industrialisierung (auch der Landwirtschaft, „Agrarbusiness“, wodurch die Förderung den Charakter der „Basishilfe“ verlieren muß) glaubt man weiterhin, über einen „Spill-over-Effekt" oder gegebenenfalls ein direktes Durchsickern von Stimuli auch die Basis zu erreichen. Diese Politik ist insofern natürlich konsequent, als auch in der deutschen Wirtschaftspolitik allgemein angebots-statt nachfrageorientierte Ansätze gefördert werden.
Daß diese Strategie dort, wo die Ressourcen für den Lebensunterhalt der Massen extrem beschränkt sind, kurzfristig nicht greift und langfristig eher vom Glauben als von Tatsachen und von Hoffnungen statt von erkennbaren Trends abhängt, dürfte jenen klar sein, die die Staaten der Dritten Welt nicht ausschließlich durch die Brille des kurzfristig planenden Investors betrachten. Kapital-und Technologietransfer für den bereits „entwickelten“ Sektor in den Partnerländern, quantitative Wachstumsziele vor qualitativen Verteilungszielen sind Stichworte, die Anlaß zur Nachdenklichkeit geben, wenn auf der anderen Seite die Berücksichtigung von Kulturfaktoren in der Entwicklungszusammenarbeit verlangt wird. Obwohl der Großteil der deutschen öffentlichen Hilfe derart charakterisiert werden kann, bleibt eine beachtliche Palette von Projekten übrig, die zweifelsohne einen basisorientierten Ansatz haben. Integrierter Pflanzenschutz, Agrarberatung in Selbstorganisationsgruppen, Arbeit mit Frauen benachteiligter Gesellschaftsschichten und integrierte Dorfentwicklung sind nur einige Beispiele dieses Versuchs einer Hilfe zur Selbsthilfe. Aber auch von diesen Maßnahmen scheitert eine beträchtliche Anzahl. Zuweilen sind es allgemeine Planungsschwierigkeiten, politische Veränderungen im Gastland, seltener finanzielle Ursachen, die als Begründung durchaus plausibel sind. Verfolgt man den Weg dieser aufgrund der geringen Kosten vom Geldvolumen her weniger bedeutenden, von der Masse der Einzelmaßnahmen her jedoch wichtigsten deutschen Projektkategorie, so ist die Nichtberücksichtigung des Kulturfaktors entscheidend für ihr häufiges Scheitern Konkret heißt das: 1. Die Feststellung eines Projektbedarfes erfolgt durch die deutsche Seite oder vor dem Hintergrund des Antragsprinzips durch staatliche Stellen im Gastland, die in aller Regel keinerlei Verständnis für regionale ökologische, ökonomische oder kulturelle Besonderheiten aufbringen. Projekte werden dort plaziert, wo der Staat sie als nötig erachtet; dort, wo die Menschen Hilfe brauchen, fehlen sie.
2. Die Zielformulierung im Verein mit der Bedarfsanalyse ist das Ergebnis normierten Planungsdenkens, nicht aber Resultat umfangreicher Untersuchungen vor Ort und des Gesprächs mit den Betroffenen.
3. Wichtige Ansprechpartner bleiben unbekannt, Interessengruppen werden nicht berücksichtigt, das Wissen um die traditionelle und zumeist ökologisch adäquate Ressourcennutzung bleibt den Projektoren vorenthalten.
4. Mangels ortsspezifischer Kenntnisse kann es kaum gelingen, für eine initiierte Maßnahme Akzeptanz und Unterstützung zu finden, und schon gar nicht läßt sich die weitergehende Grundforderung an „Hilfe zur Selbsthilfe“ erfüllen, wonach die Betroffenen selbst Vorgaben setzen, die Maßnahmen durchführen und gegebenenfalls für den Nachahmungseffekt sorgen sollen. Das. Projekt findet mit anderen Worten ohne die Betroffenen statt, diese bleiben „sprachlos“.
Somit unterbleibt ein wichtiger Punkt, der sonst zu Verbesserungen des Projektes führen könnte: die Evaluierung auf der Basis einer Akzeptanzbekundung durch die Menschen, denen die Projekt-initiatoren zu helfen vorgaben. Statt dessen konzentriert sich die Evaluierung auf den technischen Bereich d. h. auf die Frage, ob das eigentliche Projektziel (nicht das Entwicklungsziel!) erreicht ist, und es kann zu einer unberechtigt positiven Aussage kommen, die Korrekturen im Ansatz unterminiert. Der Erfolg eines Projektes sowie erfolgsfördernde Verbesserungen des Instrumentariums resultieren also gleichermaßen aus einer engen Kommunikation mit den Zielgruppen eines Entwicklungsvorhabens.
Weniger die Notwendigkeit einer engen Kooperation mit den Zielgruppen eines Projektes als vielmehr die pauschale Bedeutung des Kulturfaktors für die Akzeptanz von Maßnahmen generell ist seit Anfang der achtziger Jahre erkannt, sie wird diskutiert, jedoch blieben Konsequenzen bisher weitgehend aus.
II. Die Erfindung der „kulturellen Dimension“ von Entwicklung
War schon die ideologische Umorientierung von reiner Modernisierung auf eine partielle Grundbedürfnisstrategie ein Beitrag zur regionalen Differenzierung von Entwicklungsvorhaben, so wurde bald erkannt, daß auch die Planungskriterien einer Reform bedurften. In den „Entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung“ vom 9. Juli 19807) wurde dem Kultur-aspekt, wenngleich ohne materielle Auskleidung, auf dem Papier ein zentraler Stellenwert beigemessen. „Die Länder der Dritten Welt sollten sich nach eigenen Fortschrittsleitbildern entwickeln“, hieß es hier in Abschnitt Deutlicher noch gehen die Abschnitte 20 und 21 auf das Verhältnis von „Sozio-kulturellem Wandel und Entwicklung“ ein. Erkannt wird hier, daß gewachsene soziale Strukturen, Glaubens-und Verhaltensformen im Entwicklungsprozeß gefährdet oder zerstört werden können, ohne daß vergleichbare neue an ihre Stelle treten müssen. In der Konsequenz versprach die damalige sozial-liberale Bundesregierung, den sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen in der eigenen Projektplanung und -Prüfung ein größeres Gewicht geben zu wollen. Vielleicht noch darüber hinaus geht die Bekundung, die Erhaltung kultureller Identität als wichtigen Beitrag zur Entwicklung selbst anzusehen. In einem Beitrag für die Fachzeitschrift „Entwicklung und Zusammenarbeit“ unterstrich Minister Offergeld diese Grundtendenz des Entwicklungskonzeptes. Die Förderung kultureller Vielfalt, vor allem aber die Aufarbeitung der Kenntnis fremder Kultur wurden hier als Verpflichtungen für die Zukunft ebenso genannt wie die Forderung nach konkreter Berücksichtigung des Kulturaspektes in der Entwicklungszusammenarbeit
Mit einigem Recht läßt sich die damit initiierte Diskussion als aus dem öffentlichen Druck geboren bezeichnen. Zum zentralen Gegenstand wurde dabei die „sozio-kulturelle Dimension der Entwicklungszusammenarbeit“ Im Bewußtsein der Tatsache, daß politische und ökonomische Projektkriterien stets die Oberhand vor rein armutsorientierten Ansätzen haben würden, wurde im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) ein Arbeitspapier unter diesem Titel entwickelt, das als Produkt einer „RealoStrategie“ bezeichnet werden könnte: thematisieren, ohne sich konkret festzulegen, Verkauf eines Produktes, des „Sozio-kulturellen“, ohne Gegenstandsbeschreibung, Marktstrategie und Erfolgs-analyse, geschweige denn Realisierungsanweisung. Karla Fohrbeck bringt die Inhalte auf einen Nenner: „Kurz, die Chance zu einer wirklichen Neuorientierung... wird vertan“ Auch auf „halbamtlicher“ Ebene wurde die Aufforderung des Ministeriums zur Diskussion aufgegriffen. Es entstand der Arbeitskreis „Kultur und Entwicklung“, der im jährlichen Zyklus zwischen großen Entwicklungsinstitutionen hin und her geschoben wird und deren jeweilige Steckenpferde reitet
Hervorragender Sachverstand läuft mangels Aufgabenstellung und angesichts fehlender Empfehlungs-bzw. Entscheidungskompetenz des Gremiums ins Leere.
Ohne daß die Diskussion richtig begonnen hat, ohne daß konkrete Schritte einer zielgruppen-orientierten Entwicklungszusammenarbeit unter Einbeziehung der Betroffenen entwickelt wurden, ja noch ohne Definition des Sozio-Kulturellen überhaupt, scheint die neue Bundesregierung inzwischen das Thema wieder herunterfahren zu wollen, bevor durch die breite Zustimmung in der Öffentlichkeit zur Berücksichtigung des Kultur-faktors in der Entwicklungszusammenarbeit Kräfte geweckt werden, die vielleicht doch zu einer tiefgreifenden Reform zumindest der Technischen Zusammenarbeit führen müßten. Die kulturelle Eigenständigkeit des jeweiligen Empfänger-landes im Sinne der Realisierung eigener Entwicklungsleitbilder wird nur noch am Rande thematisiert, und „Entwicklungspolitik muß“ nunmehr nur noch „soweit wie möglich an kulturelle und soziale Gegebenheiten anknüpfen“ (Abschnitt 10/12). Was dies in der Praxis bedeutet, geht deutlich aus den neuen „Grundlinien“ hervor, die Entwicklung wieder stärker in den Modernisierungsansatz einzubinden versuchen. Die Grundbedürfnisstrategie bleibt akzeptiert, rückt jedoch in den Hintergrund zugunsten einer Politik, die deutlich die weltmarktorientierten Enklaven in der Dritten Welt begünstigt. Wenn der gewünschte Spill-over-Effekt hierbei überhaupt zum Tragen kommt, so vollzieht sich diese Entwicklung mit Sicherheit außerhalb eines Ansatzes, der auch nur im entferntesten mit kultureller Tradition und Identität zu tun hätte.
Die Diskussion um die kulturelle Dimension von Entwicklung könnte an dieser Stelle als ergebnislos abgebrochen werden, gäbe es nicht ebenjenen Restbereich auch staatlicher Entwicklungszusammenarbeit, der weiterhin grundbedürfnisorientiert ist. Hierbei wäre eine Projektoptimierung durch Berücksichtigung des Kulturfaktors nicht nur im Rahmen einer Politik sinnvoll, die aufeine erfolgreiche deutsche Projektbilanz aus ist, sondern der elementare Beitrag zur strukturellen Bekämpfung von Hunger und Armut, übrigens auch für private Träger, die ihren jeweiligen Geldgebern verpflichtet sind.
Scheinbar gibt es bereits in der Gegenwart die notwendigen Instrumentarien, um die Kulturfaktoren bei der Planung von Entwicklungsvorhaben in den Griff zu bekommen, wenigstens nach Ansicht der Entwicklungsverwaltung Anlaß zum Optimismus könnten auch die Gutachterrichtlinien einer so wichtigen Institution wie der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) geben, die zumindest etliche kulturelle Sachfragen abdecken. Kritische Beobachter aus den Reihen der großen Maßnahmenträger geben jedoch unumwunden zu, daß hieraus noch keine Rückschlüsse auf die Praxis zu ziehen sind. Offen geblieben ist vor allem die Kernfrage, wie nämlich die kulturellen Grundbedingungen für das einzelne Vorhaben erfahrbar gemacht werden können. Es ist nicht einmal klar, worin spezifisch das „Kulturelle“ liegt und was die Unterschiede zu den völlig unsystematisch verwendeten Begriffen wie „Sozio-Kulturelles“, „Sozio-Ökonomisches“, „Soziales“ etc. ausmacht.
Von offizieller Seite, d. h. innerhalb des BMZ, weiterverfolgt wurde zunächst die Auseinandersetzung mit dem Begriff „sozio-kulturelle Dimension der Entwicklungszusammenarbeit“, die wir im nächsten Abschnitt aufgreifen wollen. Parallel dazu versucht das BMZ spätestens nach den Ergebnissen der Projektanalysen von 1984, die offenbar die Beibehaltung alter Konzeptionen kaum länger rechtfertigen, im umgekehrten Verfahren „modellhafte“ Projekte zu finden, aus deren Ablauf sich positive Aspekte für zukünftige Vorhaben ergeben könnten. Diese im Prinzip sinnvolle induktive Methode, die jedoch daran krankt, daß technischer Projekterfolg und Erreichen eines Entwicklungszieles offenbar gleichgesetzt werden, soll hier nicht weiter verfolgt werden.
III. Die (sozio-) kulturelle Dimension von Entwicklung: Neue Aspekte und alte Normierungsversuche
Ein Beweis für das geringe Interesse, das die „sozio-kulturellen“ Aspekte von Entwicklung bei den politischen Entscheidungsträgern gefunden haben, ist die Tatsache, daß sich seit den ersten „Entwicklungspolitischen Grundlinien“ von 1980 bis heute nicht einmal im dürftigsten Grundlagen-bereich — der Definition der verbal so hoch gehandelten neuen Termini — Wesentliches getan hat. Die projektausführenden Institutionen können sich selbst aussuchen, was sie hierunter zu verstehen haben. Uwe Simson, der die Diskussion innerhalb des BMZ zu koordinieren hat, geht sehr richtig von einem weit gefaßten Kulturbegriff aus der die in der Diskussion genannten Einzelaspekte wie das Soziale, das Ökonomische oder das Politische einzig sinnvoll zusammenfaßt. Für Experten, Consultants und ihre Auftraggeber jedoch scheint das Kulturelle sich weitgehend auf das Soziale zu reduzieren, wobei „sozial“ hier nicht sämtliche Aspekte zwischenmenschlicher Interaktion meint, sondern in aller Regel das, was unter diesem Stichwort bei uns innerhalb der „Sozialpolitik“ gehandelt wird: materielle Absicherung, Randgruppenstellung, individuelle Not etc.
Sinnvoll und höchst überfällig wäre jetzt also die inhaltliche Definition des „Sozio-Kulturellen“, oder besser des Kulturellen als Oberbegriff. Danach — und hierauf ist angesichts der bereits beim ersten Schritt festgefahrenen Diskussion bisher kaum Gedankenarbeit verwandt worden — wäre die Frage zu stellen, wie das Postulat nach Berücksichtigung des Kulturellen in der Entwicklungszusammenarbeit in den Griff zu bekommen ist.
Kürzlich hat Uwe Simson in dieser Zeitschrift den Versuch unternommen, beide Schritte zu verknüpfen. Die dabei behandelte Kernfrage ist, „wie das prinzipiell unendliche Gebiet der entwicklungswirksamen Kulturfaktoren für die Planung erschlossen werden kann“ Der Autor zeigt in seiner Argumentation einen Weg auf, der in einer Sackgasse münden muß. Die Kulturen einzelner Völker lassen sich nicht quantitativ vergleichen, so eine zentrale Aussage, die nur voll unterstützt werden kann. Statt als Konsequenz der Entwicklungsplanung aber ein Instrumentarium vorzuschlagen, das bei der Gestaltung von Entwicklungsvorhaben den individuellen Gegebenheiten vor Ort breitesten Raum zugesteht, versucht Simson, die Kulturfaktoren zu normieren, in ein Schema zu pressen, das für alle Projekte in allen Ländern Gültigkeit haben soll. Der Grund ist verständlich: Bereits der Gedanke, jedes Projekt als Einzelmaßnahme ansehen zu sollen, in jedem Fall lange Voruntersuchungen im Hinblick auf die Erfolgsbedingungen eines Projektes vornehmen zu müssen, muß einem Entwicklungsplaner die Haare zu Berge treiben. Gelingt es aber, die Komplexität des Kulturellen auf wenige Aspekte zu reduzieren, so ließe sich vielleicht der ungeliebte Kulturfaktor doch auch dem stursten Technokraten unterschieben.
Ein Problem für die zu entwickelnde Konzeption ist die Reduzierung der „unendlichen“ Kulturfaktoren auf die „akzeptablen“. In Übereinstimmung mit unserer Position führt Simson drei Erfolgsbedingungen für Maßnahmen an: Erstens müssen die Akteure (Betroffenen) Ziel und Weg der Unternehmung bejahen; zweitens müssen sie zur Erreichung des Zieles in der Lage sein; drittens müssen sie hinsichtlich ihres Wollens und Könnens homogen sein. Letzterer Aspekt kann, muß aber keine Erfolgsbedingung selbst für kollektive Unternehmungen sein, da die hierfür benötigte Interessenidentität in der Praxis niemals vollständig vorhanden sein dürfte. Anstatt jetzt aber die Konsequenz zu ziehen und die Berücksichtigung der Erfolgsbedingungen im Einzelprojekt durch intensive kulturwissenschaftliche Forschung zu verlangen, kommen dem Autor die „ 100 000 000 Armen in Bangladesch“ in den Sinn denen pauschal geholfen werden muß. Individuelle Vorgehensweise bei jeder potentiellen Maßnahme verliert dabei an Bedeutung, obwohl die Angepaßtheit einer Maßnahme an die konkreten Umstände bisher immer noch der wichtigste Garant für die von Erfolgen nicht allzu überhäufte Entwicklungspolitik ist: Besser ein gutes Projekt für wenige Menschen, mit der Chance, aufgrund des Erfolges die Vielen zu erreichen, als umgekehrt mit dem zwangsläufig zum Scheitern verurteilten undifferenzierten Vorhaben für „die 100 000 000 Armen“ jede Entwicklungspolitik von vornherein zu desavouieren. Diese Strategie führt dann zur Forderung von Brigitte Erler nach Einstellung aller staatlichen Entwicklungshilfe
Der Schematisierungsvorschlag für die Eingrenzung der Kulturfaktoren soll hier allerdings weiterverfolgt werden, um die Probleme aufzuzeigen, die sich bei seiner Annahme zwangsläufig für Gutachter, Entscheidungsträger und Experten ergeben müßten. Simson bezeichnet drei kulturelle Faktoren als dominant: 1. Legitimität der politischen Herrschaft, 2. erreichter Entwicklungsstand der „produktiven Kräfte“ und 3. ethnische Heterogenität Nun kann die Bedeutung der genannten Faktoren nicht bestritten werden. Wo aber bleibt ein so wichtiger Punkt wie die Religion, die oft gerade für Akzeptanz und Partizipationsmotivation konstituierend ist? Wo bleibt der Aspekt der gesellschaftlichen und verwandtschaftlichen Solidarität, zwei Grundbausteine allen sozialen Lebens? Die Liste der fehlenden dominanten Faktoren ließe sich weiterführen. Die-sem Einwand begegnet der Autor mit der Behauptung, diese Faktoren würden durch die angeführten drei erfaßt und müßten zweifelsohne auf diese Weise Berücksichtigung finden.
Hier wird ein Problem aufgeworfen, das sowohl einen kulturwissenschaftlichen wie auch einen praktisch-instrumentellen Aspekt hat. Aus ersterer Sicht ist es so gut wie unmöglich, eine Hierarchie kultureller Phänomene aufzustellen, die überall und zeitlos Gültigkeit haben sollen. Vielleicht mag es gelingen, aus der unendlichen Zahl von Phänomenen einige hundert herauszuschälen, die von besonderer Bedeutung sind, etwa im Hinblick auf ihre Unerläßlichkeit für den Fortbestand einer solidarischen Gemeinschaft. Was sich dann aber wirklich im einzelnen, zum Beispiel innerhalb des kulturellen Wandels, als besonders „dominant“ herausstellt, kann nur in der Einzelfalluntersuchung geklärt werden. Es bleibt uns also nicht erspart, innerhalb jeder einzelnen für ein Entwicklungsvorhaben vorgesehenen Ethnie (auf Provinz-oder Gemeindeebene) zu untersuchen, welche Faktoren für die oben genannten Erfolgsbedingungen (Mittel, Identifikation, eventuell Homogenität) wirklich relevant sind. Diese Wahrheit ist für eine an Schemata orientierte Planung geradezu eine Herausforderung, sie trägt jedoch der kulturellen Realität Rechnung, die auch durch Normierungsversuche nicht abgeschafft werden kann.
Soll den Kulturfaktoren wirklich das ihnen gebührende Gewicht beigemessen werden, so muß auch praktischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden, die eine Normierung verbieten. Wie der Sand bei einer Sanduhr wird nach dem Ansatz von Simson die Fülle kultureller Faktoren durch einen dünnen Hals geleitet, um in der Praxis wieder in voller Breite anzufallen. Wenn z. B. die Gesamtheit aller Faktoren, die zum „dominanten“ Faktor „Legitimität der politischen Herrschaft“ gehören, untersucht werden muß, um eine sinnvolle Aussage treffen zu können, so nützt es dem Gutachter und Planer nicht, wenn er die Aufforderung auf den Weg mitbekommt, den dominanten Faktor zu untersuchen. Was er im Einzelfall erfragen muß, ist von Ethnie zu Ethnie, von sozialer Schicht zu sozialer Schicht oder gar abhängig vom Geschlecht verschieden. Ähnlich verhält es sich bei dem dritten „dominanten“ Faktor „ethnische Heterogenität“, der für unterschiedliche Projekte auch ganz unterschiedliche Konsequenzen haben kann. Was schließlich den zweiten „dominanten“ Faktor betrifft, den „erreichten Entwicklungsstand der »produktiven Kräfte* “, so handelt es sich hierbei um einen Allgemeinplatz. Kaum einem Gutachter muß wohl gesagt werden, daß er auf das Machbare zu achten hat. Das Problem ist höchstens, daß er aufgrund fehlenden Zugangs zu der untersuchten Kultur gar nicht herausbekommt, was im einzelnen an aktivierbaren Entwicklungspotentialen vorhanden ist. Besser wäre es, ihm ein geeignetes Instrumentarium an die Hand zu geben, das ihm die relevanten Kulturfaktoren jenseits der „dominanten“ erkennen hilft. Und noch sinnvoller wäre der noch zu behandelnde Schritt, die technischen Durchführbarkeitsanalysen von der Erforschung der Kulturfaktoren zu trennen und letztere den entsprechend ausgebildeten Fachleuten zu überlassen.
Wie sehr die Normierung von „Erfolgskriterien“ fehl gehen kann, beweist das von Simson selbst angeführte Beispiel vom Vorhandensein von Schrift als Entwicklungsvoraussetzung Der Autor vertritt beim Vergleich von Schwarzafrikanern und Indern den Standpunkt, nur die letzteren als Angehörige von Schriftkulturen seien in der Lage, spektakuläre wirtschaftliche Leistungen zu erbringen. Belegt wird diese These nicht. Dabei sprechen einige Erkenntnisse eher dagegen. Erstens dürfte die Einbindung in die Schriftkultur bei Indern und Schwarzafrikanern auf dem Land relativ gleich, nämlich ungefähr bei Null liegen. Zweitens ist wohl die ethnische Heterogenität und das Kastenwesen in Indien dafür verantwortlich, daß selbst bei gleichem Zugang zur Schriftkultur eine Population höchst unterschiedlich auf Entwicklungsstimuli reagieren würde. Drittens schließlich wird der vom Autor selbst genannte Faktor der Akzeptanz sehr viel stärker die Partizipation der Betroffenen und damit den wahrscheinlichen Erfolg eines Vorhabens fördern, als noch so gute individuelle und kollektive Entwicklungsvoraussetzungen („Schriftkultur“, Vorhandensein von Ressourcen, Man-Power etc.) bei einer schlecht geplanten Maßnahme. Eine „Ökonomie des Hungers“, wie sie Sabine Schwartz im Hinblick auf Produktionsverhalten und Konsum-muster kenianischer Nomaden beschreibt hat es in ihrer ökonomisch-ökologischen Ausgereiftheit im übrigen absolut nicht verdient, wegen fehlender Schrift als nicht leistungs-und somit auch nicht entwicklungsfähig bezeichnet zu werden. Afrikas Entwicklungsprobleme sind wahrlich nicht jene einer fehlenden Schrifttradition.
Gingen unsere und Simsons Ansichten bisher schon weit auseinander, so scheint sich im Hinblick auf die notwendigen Konsequenzen dieser Trend zu festigen. Die Forderung des Autors nach der Analyse (nur oder hauptsächlich) der kulturellen Dominanten ist im Zusammenhang seiner Argumentation verständlich. Seine Zurückweisung des Arguments der Praktiker, „Kultur sei doch »überall verschieden“ *, mit dem Hinweis auf das „soziologische Apriori von der durchgehenden Einheitlichkeit des Menschengeschlechts“ bedarf jedoch einer besonderen Kritik. Dieses Apriori ist reine Spekulation, soweit man die „Einheitlichkeit“ nicht auf das allerdings unbestritten universelle vegetative Verhalten des Menschen einschränkt. Das erkennt auch die heutige soziologische Forschung an, obwohl sich Simson gerade hier Rückendeckung zu holen sucht. Die Betonung der ganzheitlich vorgehenden ethnologischen Methode als sinnvoller Beitrag für die soziologische Forschung belegt den Sinneswandel auf soziologischer Seite Es gibt also kaum eine Möglichkeit, universelle „dominante“ Faktoren zu definieren, aus deren Erkennen Gesetzmäßigkeiten menschlichen Handelns abgeleitet werden können. Die jedem Vorhaben zuzuordnende Grundlagenarbeit bleibt den Projektplanern also nicht erspart, sofern die Berücksichtigung der kulturellen Entwicklungsfaktoren wirklich beabsichtigt ist. In keinem Fall dürfte aus der semantischen Leistung der Faktorenbestimmung das resultieren, was Simson als „planerischen Abkürzungsweg“ bezeichnet und als den Verzicht auf die „zeit-und kostenintensive . Tiefendurchdringung* des Projektumfeldes“
In seinem letzten Punkt können wir die Position des Autors allerdings wieder voll unterstreichen. Unabhängig von der Behandlung der kulturellen Entwicklungsfaktoren im Sinne eines schematisierenden Ansatzes (Simson) oder einer ganzheitlichen Einzelfalluntersuchung dürfte es generell schwer sein, den Kulturfaktor überhaupt in dem Geflecht vitaler Interessen in der traditionellen Wirtschaftsplanung und -politik (und damit Entwicklungsplanung) als maßgeblich für die Projekt-findung und -entscheidung einzubringen. Trotzdem sollte der Versuch der Erstellung eines konkreten und plausiblen Konzeptes gewagt werden, das trotz notwendiger struktureller Reformen aufgrund zu erwartender Effizienz vielleicht auch Skeptikern die Zustimmung abringen kann. Einige Konsequenzen seien im folgenden skizziert.
IV. Strukturelle Reformen statt terminologischer Scheingefechte
Grundsätzlich stimmen wir Simson in seinem Bestreben zu, die Bedeutung der kulturellen Dimension von Entwicklung herauszustreichen und stär-ker in die Planungsüberlegungen einzubeziehen. Dazu gehört natürlich zunächst die Auseinandersetzung mit dem Entwicklungsbegriff und der Frage nach dem Wesen des Kulturellen. Es ist ein richtiger Ansatz, auch nach den „Inhalten“ des Kulturellen zu forschen, d. h. konkret nach den Einzelphänomenen, die zusammen das Bündel der projektrelevanten kulturellen Äußerungen bilden. Angesichts der Komplexität und der fehlenden Kongruenz der Kulturen wäre aber der Versuch, Kultur phänomenologisch auf einige Aspekte einzuengen und diese generalisieren zu wollen, ein falscher Schritt, wie wir gezeigt haben. In der Praxis dürfte der Ansatz bereits scheitern, wenn z. B.der Forscher zwei vielleicht nur wenige Kilometer voneinander entfernte Gemeinden gleicher ethnischer Zusammensetzung, aber mit unterschiedlichen ökologischen und ökonomischen Bedingungen untersuchen will. Scheinbar belanglose Dinge wie die individuelle Erfahrung mit staatlicher Macht, ein unterschiedlicher Grad der Modernisierung oder alltägliche private Konfliktkonstellationen zwischen den Familien in der Gemeinde können in einem Projekt Erfolgsbedingungen schaffen, die im anderen nicht vorhanden sind. Diese Wahrheit ist für jene Soziologen nur schwer zu verkraften, die bis in die sechziger Jahre noch glaubten, generelle Axiome menschlicher Interaktion aufstellen zu können und ihnen gesetzmäßige Gültigkeit zusprechen wollten. Um so härter muß sie den Entwicklungsplaner treffen, der anfangs glaubte, mit Splittern des „Modells Deutschland“ den wirtschaftlichen Aufschwung in die Dritte Welt tragen zu können, und der, als diese Aussicht zusammenbrach, wenigstens hoffte, angepaßtere Entwicklungsansätze wie die Grundbedürfnisstrategie nach konzeptioneller Grundlagenarbeit unterschiedslos auf „die 100 000 000 Armen in Bangladesch“ anwenden zu können.
Vor dem Hintergrund „natürlicher“ Zwänge, wie sie in deutschen Verwaltungsschemata eingebaut sind, und angesichts der Tatsache, daß Karriere eher durch Beharren als durch Mut zu neuen Ideen abzusichern ist, sowie in der Erkenntnis, daß die heutige Projektarbeit vielleicht nicht übermäßig erfolgreich ist, aber durchaus einer Reihe von wichtigen Interessen gerecht zu werden vermag, haben die folgenden Reformvorschläge insgesamt keine große Realisierungschance. Im Einzelfall können sie jedoch durchaus hilfreich sein, vorhandenen guten Willen zu bestärken und ihn mit einem geeigneten Instrumentarium auszustatten. Der Schwerpunkt unserer Überlegungen richtet sich erstens auf die Organisation und das Instrumentarium der Projektplanung. Neue Zeitdimensionen und eine Veränderung der Prioritätensetzung erscheinen uns unumgänglich. Unter Berücksichtigung der abhängigen Variablen gilt es, zweitens, die Rolle von Projektplanern und Experten vor Ort zu überdenken und dem kulturellen Umfeld anzupassen. Wesentliche Aufmerksamkeit sollte drittens dem Feedback geschenkt werden, und zwar sowohl verstanden als Abstimmung mit den Betroffenen einer Maßnahme als auch als laufende Planzielrevision in der Entwicklungsverwaltung des „Geber“ landes. Nicht zuletzt zählt hierzu auch die Nachbereitung von Entwicklungsprojekten gleichsam als Brücke zur Vorbereitung des nächsten Vorhabens. Gerade hier liegen in der Gegenwart erhebliche Defizite Ein keineswegs neuer Punkt ist viertens die Frage nach den allgemeinen Rahmenbedingungen staatlicher Projektarbeit mit der Forderung, den nicht-staatlichen Entwicklungsorganisationen (Non Governmental Organizations, „NGOs“) überall dort das Feld zu überlassen, wo die Berücksichtigung lokaler Interessen (die aufgrund intensiver Forschung über die Bedürfnisse und Erfolgsbedingungen für Entwicklungsvorhaben erkannt wurden) sonst nicht garantiert ist.
Organisation und Instrumentarium der Projektplanung Entwicklungsprojekte können angesichts ihrer Zahl und der für sie aufgewendeten finanziellen Mittel immer nur eine exemplarische Maßnahme darstellen. Insofern ist das Argument, nicht das einzelne Dorf, sondern „die Ägypter“ oder „die Bangladeschis“ seien Ziel eines Vorhabens, nur bedingt richtig. Erst wenn das Projekt aufgrund guter Planungsvoraussetzungen und hoher Akzeptanz durch die Zielgruppe erfolgreich verlaufen ist, besteht eine berechtigte Chance auf einen Nachhaltigkeits-und Spill-over-Effekt. Insofern ist es ein Gebot der Stunde, alle Kräfte auf exemplarische Einzelmaßnahmen zu konzentrieren. Dies gilt auch dann, wenn in der Konsequenz Planungsphase und Laufzeiten, finanzielle und personelle Schemata sowie die Erfolgskriterien erheblich modifiziert werden müssen.
Wir haben bereits an anderer Stelle Teilaspekte dieser Frage behandelt so daß hier nur die wichtigsten Konsequenzen zusammengefaßt werden sollen. An erster Stelle steht in diesem Zusammenhang die Kommunikation mit den Betroffenen eines eventuell geplanten Vorhabens. Insbesondere dem sprachlich vorgebildeten Kulturwissenschaftler sollte Gelegenheit gegeben werden, die von den Menschen artikulierten Bedürfnisse zu erfragen und mit ihnen gemeinsam Lösungswege zur Erreichung der ausschließlich von den Betroffenen definierten Ziele auszuarbeiten. Dazu gehört — so unbequem diese Vorstellung auch sein mag — ausreichend Zeit. Vertrauen kann nicht während eines zweiwöchigen Rundfluges des Gutachters durch vier Länder erworben werden, zumal wenn es sich bei den Partnern um traditionell benachteiligte Gruppen handelt. Es bedarf auch der Zeit, die von Simson genannten drei „dominanten“ Kulturfaktoren zu berücksichtigen und erst recht alle übrigen, die zum Teil erst aufgrund der Feldarbeit in Erfahrung gebracht werden können
In diesem Stadium der (Vor) Planung können ideologische Vorgaben durch die potentiellen Geldgeber nur schaden, da es völlig offen ist, ob die für die Auswahl der Zielgruppe zunächst angenommenen Defizite (Nahrung, Wasser, medizinische Versorgung usw.) auch wirklich die dringendsten Probleme für die Betroffenen darstellen.
Hat eine Idee ihre Berechtigung und stößt sie auf große Akzeptanz, so sind in Kooperation von Betroffenen, kulturellem Übermittler und für den geplanten Mitteleinsatz adäquat ausgesuchten Technikern die Mittel und Wege zur Zielerreichung zu definieren.
Auf unserer Seite sollten die Kritiker der Entwicklungshilfe, vor allem aufgrund von deren großen bürokratischen Aufwendungen, anerkennen, daß die Mehrkosten dieses aufwendigen Planungsverfahrens keineswegs Verwaltungskosten darstellen, sondern bereits eine zentrale Ausgabe für die Realisierung eines Projektes sind. Es ist unnötig, im einzelnen auf die lange Reihe jener Projekte einzugehen, die bei großen materiellen Aufwendungen für die Maßnahme an sich nur aufgrund übereilter und völlig unzureichend ausgestatteter Planung gescheitert sind. Daß die kulturelle „Übersetzertätigkeit“ in aller Regel nicht nebenbei von einem traditionellen Experten oder Gutachter zu leisten ist, dürfte selbstverständlich sein, obwohl in der deutschen Entwicklungshilfeverwaltung immer noch die Meinung vertreten wird, ein Brunnenbauingenieur könne wohl auch die kulturellen „Randfragen“ mitbearbeiten. Umgekehrt erhebt schließlich auch kein Kulturwissenschaftler, selbst wenn ihm bei Akzeptanz der Bedeutung des Kulturfaktors für den Erfolg eines Vorhabens eine zentrale Stellung im Planungsverfahren zugestanden würde, den vermessenen Anspruch, die technischen Sachfragen eines Bewässerungsprojektes nebenbei mitbehandeln zu wollen.
Zur Rolle von Projektplanern und Experten vor Ort Aus dem Gesagten läßt sich eine Neudefinition der einzelnen Rollen im Planungsteam eines Entwicklungsvorhabens ableiten. Die um Kulturwissenschaftler ergänzten Teams sind zunächst nach Einzeldisziplinen zu differenzieren, um danach wieder zwecks einer homogenen Verzahnung von kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen und technischen Erfordernissen zusammengeführt zu werden. Die Position des Kulturwissenschaftlers — zumeist dürfte es sich dabei um einen Ethnologen oder Ethno-Soziologen handeln — wird natürlich zusätzlich geschaffen, was zwar die oben begründeten Mehrkosten aufwerfen wird, jedoch keineswegs zu Lasten der bisher im Planungsverfahren vor Ort Beteiligten geht, da die Beschäftigung mit den kulturellen Aspekten eines Vorhabens früher nicht stattfand bzw. nur als unnötige Erschwernis auf ein Mindestmaß reduziert und am Rande von Gutachten und Planungsunterlagen (Pre-Feasibility-und Feasibility-Studies) aufgetaucht ist.
Es ist keineswegs zu erwarten, daß die neue Zusammensetzung der Teams völlig konfliktfrei abläuft. Solange bis in höchste Planungs-und Entscheidungsebenen hinein technische Projekt-ziele und Entwicklungserfolge miteinander verwechselt werden, dürfte die verzögernde Tätigkeit des Kulturwissenschaftlers, deren Ergebnisse nicht einmal im vorhinein absolut feststehen und vielleicht am Ende die Arbeit des gesamten Teams überflüssig machen, von den Technikern nur ungern gesehen werden Es ist aber schon heute eine Unsitte, wenn Planer und mögliche Auftragnehmer identisch sind, so daß die Angst des Consultant vor einem verlorenen Auftrag zwar aus seiner Sicht verständlich sein mag, die Entscheidungsträger aber zu keinerlei Rücksicht veranlassen muß.
Für die tägliche praktische Arbeit im potentiellen Projektgebiet dürfte die Zusammenarbeit mit sprach-und ortskundigen Kulturwissenschaftlern auch für die mit eher technischen Sachfragen Betrauten hilfreich sein. Unsere persönlichen Erfahrungen aus ägyptischen Projekten haben ergeben, daß eine Reihe von Experten sogar darüber aufgebracht ist, daß man sie in einem kulturell (vor allem entwicklungspolitisch) undurchsichtigen Projektumfeld allein läßt. Dieses Unbehagen setzt oft bereits am Beginn einer Maßnahme ein, wenn die entsandten Experten nämlich feststellen, daß sie die Konsequenzen eines völlig unausgereiften Plans, der bar jeder materiellen und motivationalen Voraussetzungen ist, tragen müssen — und das zum Teil für eine extrem lange Zeit in klimatisch und versorgungsmäßig wenig angenehmen Gegenden.
Das Feedback als planerisches Instrumentarium So wichtig die sorgfältige Einleitung einer Maßnahme ist, so unerläßlich ist die ständige Über-prüfung des Vorhabens, und zwar nicht ausschließlich im Hinblick auf einmal getroffene Zielvorgaben, sondern auch unter Berücksichtigung einer fortlaufenden Akzeptanz und Identifikation bei den Betroffenen. Jede noch so gut geplante Maßnahme kann während der Abwicklung Probleme aufwerfen, die ursprünglich nicht vorherzusehen waren. Im übrigen gelten schon heute gesamtökonomische und politische Veränderungen während der Laufzeit eines Entwicklungsvorhabens als Entschuldigung für dessen Fehlschlag. In Überwindung dieser wenig konstruktiven Sichtweise möchten wir ein Instrumentarium vor-schlagen, das durch frühzeitiges Problemerkennen gegebenenfalls Planmodifikationen in Gang setzen kann. Wichtigster Part ist auch hierbei die Position des kulturellen „Übersetzers“, der zwischen den Technikern und der einheimischen Bevölkerung vermittelt und darauf achtet, daß die Maßnahme in ständiger Rückkoppelung mit letzteren durchgeführt wird. Auftretende Divergenzen können so erkannt werden, bevor sie zu einer Verweigerung des Vorhabens an sich durch die Zielgruppe führen — vorausgesetzt allerdings, das Instrumentarium wird auch von Seiten der Entwicklungsverwaltung so flexibel gehandhabt, daß durch die Umschichtung von Mitteln, die Auswechslung von Personal bei neuen Prioritäten usw. schnell und unbürokratisch gehandelt werden kann.
Wird z. B. erkannt, daß eine Trinkwasseranlage in Ostafrika, die zunächst durchaus gewünscht worden war, bestimmte soziale Schichten zu sehr zu begünstigen scheint, so muß gegebenenfalls die Planung vorsehen können, statt der angestrebten mittleren Zahl von Wasserhausanschlüssen wenige, aber allen zugängliche Gemeinschaftsanschlüsse (Stadtviertelbrunnen) anzulegen. Hierfür muß dem Projektleiter ein größeres Maß an Entscheidungsfreiheit zugestanden werden, innerhalb einmal festgelegter Mittelansätze Prioritäten verändern zu können, sofern dies nach übereinstimmender Ansicht des Teams erforderlich ist. Auf der Ebene der Projektträger, d. h. vorwiegend der GTZ, muß im einzelnen Referat die Entscheidungskompetenz vorhanden sein, kurzfristig Mittelaufstockungen vornehmen zu können. Gleichfalls muß nicht nur theoretisch die Möglichkeit vorhanden sein, Vorhaben, die nach Auffassung der Experten vor Ort und in Abstimmung mit der Zielgruppe keine sichtlichen Verbesserungen erreichen können, unverzüglich abzubrechen.
Gerade dieser heute oft erkennbaren Notwendigkeit stehen allerdings zwei Hindernisse entgegen: Projekte haben aufgrund des ökonomischen Interesses der Experten wie auch der beauftragten Institution — Consultants wie GTZ u. a. — die Tendenz, sich unentbehrlich zu machen. So begründen sich unnötige Verlängerungen und natürlich die „Unmöglichkeit“, eigenes Tun für überflüssig erklären zu können. Daneben ist die Struktur der staatlichen Finanzierung öffentlicher wie privater Entwicklungsvorhaben eine große Belastung für planerische Flexibilität. Im System der kurz-, mittel-und langfristigen Finanzplanung und vor dem Hintergrund der riesigen Beträge, die ein einzelnes Regionalreferat im BMZ zu verwalten hat sowie dem Gewirr der Verpflichtungsermächtigungen und der politischen Förderinteressen stößt jeder Versuch, kurzfristig zusätzliche Mittel einzufordern wie umgekehrt das plötzliche Freiwerden von Mitteln auf das blanke Entsetzen der Verantwortlichen. Nichts kann die Position eines Referates gegenüber den Verantwortlichen für die Finanzierung, nichts die Stellung eines ganzen Ministeriums gegenüber dem Finanzminister stärker schwächen als das Eingeständnis, im abgelaufenen Haushaltsjahr nicht alle eingeräumten Mittel verbraucht zu haben. Bereits kritische Stimmen zu einem kapitalintensiven Großprojekt werden unter Kollegen als Boykott angesehen, als Eingriff in nach großen Mühen zustande gekommene Geldabflußpläne. Daß angesichts dieser Einstellung einmal getroffene Entscheidungen kaum revidiert werden können, daß vor allem auch Kulturwissenschaftler, die durch die Rückkoppelung mit den Betroffenen in größerem Maße als Techniker diese „Gefahr“ heraufbeschwören können, gegenwärtig kaum zum Zuge kommen, ist verständlich.
Eine bessere Institutionalisierung des Feedbacks darf aber nicht allein das laufende Vorhaben im Auge haben. Ebenso wichtig ist die laufende Betreuung eines Projektes und die ständige Auswertung der gewonnenen Erkenntnisse für die gesamte konzeptionelle Arbeit, d. h. im Einzelfall auch für weitere Projekte am gleichen Ort und woanders. Zwar wird durch die Erfahrung aus dem Projekt A die intensive Vorbereitung der Maßnahme B keineswegs überflüssig, jedoch führt die Verarbeitung der Ergebnisse zu einer ständigen Verbesserung des Instrumentariums selbst, was im übrigen genauso für die Tätigkeit des kulturellen Vermittlers gilt. Auch er steht jedesmal vor einer völlig anderen Situation und muß immer wieder neue Erfahrungen sammeln und aus alten Fehlern lernen.
Im Einzelfall mag sich aus den gesamten Planungsmaßnahmen und projektbegleitenden Schritten nach einer Reihe spezifischer Erfahrungen tatsächlich so etwas wie ein „planerischer Abkürzungsweg“ ergeben, wie ihn Simson anführt In der Praxis kann das für Folgemaßnahmen jedoch nur bedeuten, daß bestimmte Voraussetzungen zwar bereits hypothetisch angenommen werden können, insbesondere, was den ökologischen Kontext betrifft. In jedem Fall bedarf es aber einer Überprüfung der Hypothese durch eine hier vielleicht weniger aufwendige, sicherlich aber ebenso sorgfältig durchzuführende Feldforschung. Ein wesentliches Manko deutscher Entwicklungspolitik im Bereich des Feedback ist durch eine Studie im Auftrag des BMZ quasi „amtlich“ bestätigt worden, nämlich die Nachbetreuung bereits formal abgeschlossener Vorhaben In ihrer Untersuchung über die Nachhaltigkeit der Wirkung von Agrarprojekten mußten die Autoren feststellen, daß viele Projekte kaum oder gar keine Nachbetreuung erfuhren, und zwar sowohl im Hinblick auf die informelle Einbindung der Übernahmeinstitution in den Kommunikationsfluß innerhalb der Entwicklungszusammenarbeit als auch hinsichtlich der Wirkungskontrolle. Nach-bereitung in Form einer Auswertung des deutschen Beitrages, einer Analyse der Übergangsprobleme und einer Beantwortung der Frage, wie die Übernahmeinstitution mit dem Projekt zurechtgekommen ist — oder wie die Betroffenen später „ohne“ Projekt (also nach Abzug der Experten, nach Abschluß der Finanzierung) leben! —, ist jedoch einer der wichtigsten Schritte der projekt-orientierten Entwicklungszusammenarbeit, die bekanntlich nur exemplarischen Charakter haben kann. Deshalb kommt es gerade auf das Feedback aus dem Vorhaben nach dem Rückzug des nur als Initialzündung zu verstehenden deutschen Beitrages an. Die Nachbereitung muß daher als Bestandteil der Maßnahme selbst angesehen und finanziell eingeplant sein. Von einer unnötigen Verteuerung ist auch dann nicht zu sprechen, wenn der personelle und logistische Aufwand wachsen müßte, da diese Projektphase die Erfolgsbedingungen von Vorhaben oft mehr als die technische Komponente mitbestimmt.
Neue Rahmenbedingungen für grundbedürfnisorientierte Projekte Nicht zuletzt scheitert selbst das am besten vorbereitete Vorhaben oft an den allgemeinen Rahmenbedingungen im Gastland — nicht, weil die Zielgruppe desinteressiert ist, sondern aufgrund einer Distanzierung der nationalen Regierung. Schon die Vorarbeiten werden behindert, weil nicht selten eine zu gute Abstimmung zwischen ausländischen Projektträgern und den Betroffenen an politischen und ökonomischen Strukturen rüttelt. Gerade die Arbeit von Ethnologen gilt als höchst verdächtig, da sich diese in aller Regel gerade mit den benachteiligten Zielgruppen solidarisieren (und im Auftrag deutscher Entwicklungshilfe ihre Position mit der der Geldgeber identifiziert wird). Was im Sinne einer armen-und grundbedürfnis-orientierten Entwicklungspolitik geradezu optimal ist, greift natürlich in die genannten Interessensphären ein, weswegen sich die gesamte Palette unserer Vorschläge eher für die nichtstaatliche Projektarbeit eignet. Überall dort, wo die politischen Bedingungen überhaupt noch eine Grundbedürfnisstrategie zulassen, sollte den NGO’s ein größeres Gewicht gegeben werden, eventuell auch durch eine Verstärkung der staatlichen Förderung.
Gleichwohl ist die gegenwärtige Praxis abzulehnen, bei der jeder freie Träger — von den Kirchen bis zum privaten Entwicklungshilfeverein — seine eigenen ideologischen oder sektoralen Hobbys betreibt. Das Wirken eines freien Trägers an sich, selbst im Zusammenspiel mit einer Partnerorganisation im Gastland, bedingt noch keinen Projekt-erfolg. Oft ist ihre Tätigkeit trotz besten Willens und größten Idealismus noch offensichtlicher zum Scheitern verurteilt als staatliches Handeln in den Bahnen enger interessengebundener Vorgaben. Folglich ist auch die Tätigkeit der NGO’s enger zu koordinieren und zu professionalisieren. Viele „gutgemeinte“ Vorhaben müßten zugunsten weiniger, aber gut geplanter und ausreichend mit Mitteln ausgestatteter Projekte zurücktreten, die grundsätzlich den aufgezeigten Weg der Akzeptanzförderung durch Berücksichtigung der kulturellen Entwicklungsfaktoren beschreiten sollten. Dabei muß dieser Ansatz auch die Öffentlichkeitsarbeit in der Bundesrepublik selbst mit beinhalten. Durch den Druck einer fehlinformierten Öffentlichkeit wird der Umgang mit Spendenmitteln wenig gefördert. Mittel gehen zu schnell und für kurzfristige Symptomkurierereien in den Süden, wodurch im Einzelfall Hilfe erbracht werden kann, vielfach aber die Probleme nur verschärft werden. Es darf also nicht nur gesammelt, sondern es muß gleichzeitig auch darüber aufgeklärt werden, in welcher (langfristigen) Weise Mittel am erfolgreichsten eingesetzt werden.
Auch hier bestünde zukünftig eine große Aufgabe für die Kulturwissenschaften: die vorurteilsfreie Information über die Zielgruppen der Entwicklungshilfe in der Dritten Welt in ihrer ökologischen, historischen und aktuellen kulturellen Komplexität. Durch Aufklärung verlieren die Opfer der Abhängigkeit in den armen Ländern etwas von ihrer Anonymität, wodurch das Verständnis für Langzeitvorhaben sicher gefördert werden könnte, ohne daß die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung zur finanziellen Beteiligung darunter leiden müßte.
V. Schlußfolgerungen
1. Obwohl bis weit in die deutsche Entwicklungshilfeverwaltung hinein die bisherigen Erfolge von fast drei Dekaden Entwicklungszusammenarbeit eher skeptisch beurteilt werden, fehlt es einer Forschung nach den Ursachen für dieses Scheitern so vieler Maßnahmen an dem nötigen Gewicht. Immerhin hat sich seit Ende der siebziger Jahre die Auffassung durchgesetzt, daß neben ökologischen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen auch der unmittelbare kulturelle Kontext für Akzeptanz oder Ablehnung eines Entwicklungsvorhabens eine wesentliche Rolle spielt.
2. Gleichwohl wurde diese Erkenntnis bisher nur in geringem Maße in das Instrumentarium der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eingebracht. Veränderte Gutachterrichtlinien als Ergebnis von inzwischen wieder „entschärften“ entwicklungspolitischen Grundlinien der Bundesregierung bedingen an sich noch keine Änderung in der Projektabwicklung. Diese wäre erst erkennbar, wenn die Berücksichtigung der kulturellen Entwicklungsfaktoren durch die Beteiligung der kulturwissenschaftlichen Forschung als gleichberechtigter Disziplin neben den technischen Fachrichtungen gewährleistet wäre. Dazu gehört selbstverständlich die Akzeptanz auch ihrer Arbeitsweise, die zunächst auf qualitative Ergebnisse aus ist.
3. Semantische Spielereien, wie sie durch die Normierung kultureller Komplexität betrieben werden, mögen in theoretischer Hinsicht durchaus von Nutzen sein, ändern an sich jedoch an dem bisherigen Entwicklungshilfeinstrumentarium nichts. Gesellschaftsmodelle können vielleicht für die Erklärung von kulturellen Phänomenen ihren Beitrag leisten, gegebenenfalls können sie auch planerische Arbeit erleichtern („verkürzen“). Sie ersparen aber in keinem Fall die sorgfältige Auseinandersetzung mit dem gesamten kulturellen Umfeld eines Entwicklungsvorhabens. 4. Nachhaltige Verbesserungen des Instrumentariums vor allem in der Technischen Zusammenarbeit bedingen eine stärkere Konzentration auf die Projektplanung, die die Kommunikation mit den Betroffenen einer Maßnahme sicherstellen muß. Im Sinne eines Feedbacks muß dieser Kontakt ständig den Grad der Akzeptanz wiedergeben und die Maßnahme gegebenenfalls so weit verändern helfen, daß die Identifikation der Betroffenen stets gewahrt bleibt. Flexibilität auch innerhalb des Verwaltungsapparates ist dabei eine Grundbedingung für den Projekterfolg.
5. Da das „typische“ Entwicklungsprojekt stets nur exemplarischen Charakter haben kann, ist die Förderung des Erkenntniswertes eines Vorhabens für mögliche weitere unabdingbar. Dies kann nur gelingen, wenn neben der wissenschaftlichen Projektbegleitung auch eine Analyse der Wirkung und ihrer Nachhaltigkeit garantiert ist. Diese Elemente sind als integrierte Teile des jeweiligen Vorhabens und keineswegs als bürokratische Zutat anzusehen.
6. Nach Möglichkeit sollte die Anpassung des Instrumentariums an die kulturellen Realitäten in den Gastländern neben der Technischen Zusammenarbeit auch die Finanzielle Zusammenarbeit umfassen. Es ist nicht ersichtlich, warum z. B. die
Rahmenbedingungen eines nationalen Staudammbaus weniger problematisch sein sollen als die einer in aller Regel kleineren Maßnahme der Technischen Zusammenarbeit. Da Projekte der Finanziellen Zusammenarbeit jedoch viel stärker zum Spielball politischer und ökonomischer Interessen werden als (kleinere) grundbedürfnis-orientierte technische Vorhaben, kann mittelfristig unter realistischen Gesichtspunkten die Berücksichtigung des Kulturfaktors eher in letzterem Sektor eine Chance haben. Gleichwohl ist darauf zu drängen, daß auch in der Finanziellen Zusammenarbeit die Betroffenen nicht weiter als lästige Begleiterscheinungen bei zivilisatorischen Leistungen angesehen werden. 7. Auch die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit sollte der kulturellen Dimension von Entwicklung stärkeres Gewicht geben. Hier müssen die Industrienationen paradoxerweise eine Vorreiterrolle spielen, obwohl bei ihnen bisher vorwiegend ökonomische und verwaltungstechnische Interessen den Vorrang haben. Bei dem internationalen Development Set in vielen Staaten der Dritten Welt ist natürlich klar, daß diese zunächst ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen vertreten. Hinzu kommt aber, daß sie oft die Lebensweise der großen Masse der ländlichen Bevölkerung in ihren Ländern generell als Entwicklungshindernis ansehen und von daher absolut kein Verständnis dafür haben, wenn der westliche Experte im Verein mit seiner Partnergruppe nach Lösungen im Rahmen der bestehenden Kultur sucht.
Auch wenn viele Hindernisse eine Entwicklungszusammenarbeit in enger Abstimmung mit den Zielgruppen, den Unterdrückten in den armen Ländern, weiterhin behindern: Uwe Simson hat mit seiner Aufforderung recht, „Versuchen sollten wir es trotzdem“ den Kulturaspekt in die Diskussion zu bringen. Wir sollten jedoch nicht der Illusion verfallen zu glauben, damit sei schon der Weg zum Glück für die gesamte Bevölkerung eines Entwicklungslandes erschlossen. Die Kultur einer Ethnie ist so komplex, daß lediglich die positive exemplarische Zusammenarbeit mit den Wenigen Hoffnung auch für die große Masse wecken kann.