Die Sowjetunion ist der größte Erdöl-und Erdgasproduzent der Welt. Ihr Ressourcenreichtum erlaubt eine autarke Energiepolitik; darüber hinaus deckt sie im wesentlichen die Importnachfrage der übrigen RGW-Länder. Aus dem Westexport von Mineralöl und Erdgas erzielt sie rd. 80 v. H. ihrer Exporteinnahmen. Während sie von den Ölpreisschüben der siebziger Jahre profitierte, zählt sie nun zu den Verlierern des Ölpreisverfalls. Allein die preisbedingten Einnahmeverluste werden für 1986 auf etwa 6 Mrd. US-Dollar geschätzt. Ein drastischer Rückgang der Ölexportmengen wird nicht erwartet; die Möglichkeiten für eine Ausweitung sind jedoch sehr eng begrenzt. Während die Förderung von fossilen Brennstoffen immer mehr nach Sibirien verlagert werden muß, können Kernkraftwerke im europäischen Teil gebaut werden. Das Unglück von Tschernobyl wird die ehrgeizigen Ausbaupläne auf dem Gebiet der Kernkraft zumindest weiter verzögern; die vorgesehene Verdoppelung des Atomstromanteils von 10 v. H. auf 20 v. H. (1990) ist sicher nicht zu realisieren. Die DDR ist der größte Braunkohlenproduzent der Welt. Als Reaktion auf die Energieverteuerung hat sie verstärkt Energie eingespart und die Braunkohlenförderung stark ausgeweitet. Dies führte zwar zu einer geringen Importabhängigkeit, gestiegen ist aber die ohnehin schon sehr hohe Emission von Schwefeldioxid. Die DDR plant die Kernkraftwerkskapazitäten bis 1990 zu verdoppeln. Der Kernstromanteil soll von derzeit 10 v. H. auf rd. 15 v. H. steigen. Da nach dem Unglück von Tschernobyl aber eine Überprüfung aller von der UdSSR entwickelten Reaktortypen erfolgt, ist hier erneut mit einem langsameren Ausbautempo zu rechnen. Das sowjetische Kernkraftwerksunglück hat verdeutlicht, daß auch bei der zivilen Nutzung der Atomkraft eine internationale Risikogemeinschaft besteht. Die Möglichkeiten einer Risikoeindämmung durch Ost-West-Kooperation sollten auf beiden Seiten ernsthaft geprüft werden.
Die energiepolitischen Rahmenbedingungen sind in der Sowjetunion und der DDR sehr unterschiedlich. Die Sowjetunion als politische Hegemonialmacht im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) kann gerade bzw. fast nur im Energiebereich auch als wirtschaftliche Führungsmacht gekennzeichnet werden. Sie verfügt bei allen Energieträgern (Kohle, Erdöl, Erdgas) über umfangreiche Vorkommen. Dies ermöglicht eine vollständige Deckung des Inlandbedarfs und macht die Energieversorgung der sowjetischen Wirtschaft unabhängig von Krisen auf dem Weltmarkt. Auf dem Binnenmarkt steht der UdSSR aufgrund des Ressourcenreichtums eine Vielzahl von energiepolitischen Optionen offen: Treten Schwierigkeiten in einem Bereich — wie bei der Ölförderung — auf, können sie durch Konzentration auf andere Bereiche — z. B.der Erdgasförderung — ausgeglichen werden.
Mit dieser Politik gelang es der Sowjetunion in den letzten Jahren auch, ihre umfangreichen Energieexporte aufrechtzuerhalten. In jedem Jahr wurde etwa ein Sechstel der geförderten Energie-rohstoffe ins Ausland exportiert. Im Westhandel erwirtschaftet die Sowjetunion sogar rd. 80 v. H. ihrer Devisen allein aus dem Export von Erdöl, Erdölprodukten und Erdgas.
Abbildung 21
ENTWICKLUNG DER ERDÖLPREISE
ENTWICKLUNG DER ERDÖLPREISE
Im Gegensatz zur Sowjetunion ist die DDR ein rohstoffarmes Land. Steinkohle, Erdöl und Erdgas müssen importiert werden. Nur Braunkohle steht derzeit in ausreichendem Maße zur Verfügung. Die Vorräte werden von der DDR intensiv genutzt, um den Aufwand für Energieeinfuhren in möglichst engen Grenzen zu halten. Dem stehen aber hohe Belastungen für die Erschließung und Rekultivierung der Braunkohlentagebaue ebenso gegenüber wie eine hohe Emission von SO 2 aus der Verbrennung der schwefelhaltigen Braunkohle. Die Tatsache, daß die DDR der größte Braunkohlenproduzent der Welt, aber gleichzeitg auch der größte Emittent von SO 2 in Europa ist, beleuchtet diesen Zusammenhang.
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Tab. 6: Die Bedeutung der Kernenergie für die Stromerzeugung der kleineren RGW-Länder 1985 Quellen: Planerfüllungsberichte der RGW-Länder und Schätzungen des DIW.
Tab. 6: Die Bedeutung der Kernenergie für die Stromerzeugung der kleineren RGW-Länder 1985 Quellen: Planerfüllungsberichte der RGW-Länder und Schätzungen des DIW.
Größter Energielieferant der DDR ist die Sowjetunion, die für ihre Energieexporte vor allem Investitionsgüter aus der DDR enthält. Insofern ergänzen sich die Wirtschaftspotentiale beider Staaten. Die starke Konzentration der Energiebezüge auf die Sowjetunion bietet der DDR drei weitere Vorteile: Zum einen sind diese langfristig im Rahmen der Plankoordinierung zwischen beiden Staaten kalkulierbar; zum anderen ist damit zumindest im Blockmaßstab eine als politisch wichtig erachtete Autarkie in der Energieversorgung gewährleistet. Hinzu kommt, daß die DDR für diese Bezüge keine — für sie chronisch knappen —-Devisen (Westwährungen) aufwenden muß.
Daß die Sowjetunion die Abhängigkeit der DDR von ihren Energielieferungen bisher als politischen oder ökonomischen Hebel genutzt hat, ist nicht belegbar. Es gibt durchaus Gründe und Indikatoren, die gegen den Einsatz dieses Instruments sprechen. Als Hegemonialmacht im RGW muß die UdSSR ein Interesse an einer wirtschaftlich abgesicherten politischen Stabilität in diesen Staaten haben. Dies gebietet eine gewisse Versorgungspflicht und verbietet eine die wirtschaftliche Stabilität gefährdende Ausbeutungspolitik. Diese Überlegungen dürften die Sowjetunion Mitte der siebziger Jahre veranlaßt haben, einem für sie zunächst nicht vorteilhaften Preisbildungsprinzip im RGW-Intrablockhandel zuzustimmen. Dieses Prinzip hatte nämlich u. a. zur Folge, daß die kleineren RGW-Staaten für die sowjetischen Öl-und Gaslieferungen Preise in Rechnung gestellt bekamen, die z. T. erheblich unter dem Weltmarktniveau lagen. Diese Situation hat sich allerdings inzwischen umgekehrt.
I. Die Energiepolitik der Sowjetunion
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Tab. 1: Anteil der UdSSR an der Weltförderung von Brennstoffen in v. H. Quellen: United Nations, Statistical Yearbook Petroleum Economist. Eurostat: Kohle Nr. 10/85. 1983.
Tab. 1: Anteil der UdSSR an der Weltförderung von Brennstoffen in v. H. Quellen: United Nations, Statistical Yearbook Petroleum Economist. Eurostat: Kohle Nr. 10/85. 1983.
Umfangreiche« aber regional ungünstig verteilte Energievorräte Die Sowjetunion verfügt über große Vorräte an Kohle, Erdöl und Erdgas Die Kohlenreserven können als ein in absehbarer Zeit unausschöpfbares Potential charakterisiert werden. Allein die ökonomisch gewinnbaren Steinkohlenvorräte wären beim gegenwärtigen Förderniveau erst nach 500 Jahren erschöpft, die Gesamtvorräte sogar erst nach 6 000 Jahren. Über den Umfang ihrer Erdölreserven schweigt die UdSSR; er ist seit 1947 Staatsgeheimnis. Angaben hierüber beruhen daher immer auf Schätzungen; bei ihnen ist nicht auszuschließen, daß das Ergebnis durch bestimmte politische oder wirtschaftliche Interessen beeinflußt ist. Auskunftsfreudiger ist die Sowjetunion hinsichtlich ihrer Erdgasvorräte. Sie wurden zuletzt mit rd. 41 000 Mrd. cbm angegeben, das entspricht einem Drittel der Weltvorräte. Das gegenwärtige Fördervolumen könnte damit über 60 Jahre aufrechterhalten werden.
Die Ausdehnung der Brennstofförderung wird damit durch die Vorratssituation kaum begrenzt. Limitierender Faktor ist der Umfang der verfügbaren Investitionsmittel. Infolge der ungünstigen regionalen Verteilung der Brennstoffvorräte sind die Kosten für Förderung und Transport relativ hoch. Während im europäischen Landesteil rd. 75 v. H.des Energieaufkommens verbraucht werden, sind hier nur etwa 10v. H.der Energievorräte konzentriert. Somit muß die Brennstofförderung immer mehr nach Osten — insbesondere nach West-Sibirien — verlagert werden. Gegenwärtig stammen etwa 60 v. H.der Erdöl-und Erdgasförderung aus West-Sibirien (1970: 7 v. H.). Damit steigen die Förderkosten, denn diese Lagerstätten befinden sich in klimatisch sehr ungünstigen und daher nur schwer zu besiedelnden Regionen. Das größte Problem bei der Erschließung der westsibirischen Brennstoffvorräte ist das Klima: Riesige Sümpfe im Sommer und eisige Kälte im Winter behindern — und verteuern — den Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur und erschweren die Ansiedlung von Arbeitskräften. Trotz erheblich höherer Löhne, längeren Urlaubs, größerer Wohnungen und niedrigeren Rentenalters gelingt es nicht, Arbeitskräfte im gewünschten Umfang zur Übersiedlung nach West-Sibirien zu bewegen.
Ein weiterer Kostenfaktor resultiert aus den immer länger werdenden Transportwegen. Ein Indikator hierfür sind die Planungen für den Bau neuer Rohrleitungen im Jahrfünft 1986 bis 1990.
Insgesamt sollen sieben Erdgasleitungen, darunter mehrere von Jamburg im Norden West-Sibiriens, in die europäischen Verbrauchszentren gebaut werden
Trotz stark steigender Brennstofförderung ...
Die sowjetische Energiepolitik kann als tendenziell angebotsorientiert charakterisiert werden:
Für die Planer gilt noch immer der Grundsatz, daß das Energieangebot an eine vorgegebene Nachfrage angepaßt werden muß, statt die Nachfrage durch eine forcierte Einsparpolitik an einem gegebenen Angebot zu orientieren. Für diese These sprechen sowohl das hohe Energieverbrauchsniveau in der Sowjetunion als auch die hohen Steigerungsraten in der Energieproduktion.
Allerdings hat sich auch in der Sowjetunion die Förderung von Energieträgern seit Ende der siebziger Jahre deutlich verlangsamt. Dennoch konnte die UdSSR ihre Stellung als größter Energieproduzent der Welt weiter ausbauen (vgl. Tabelle 1). Die Sowjetunion ist gegenwärtig der größte Erdöl-und Erdgasproduzent der Welt; bei Kohle nimmt sie hinter den USA den zweiten Rang ein. Insgesamt stammt ein Viertel der Weltenergieproduktion aus der Sowjetunion.
Sehr erfolgreich hat sich in den zurückliegenden Jahren die Erdgasförderung entwickelt. Ihr Anteil an der Weltproduktion konnte verdoppelt werden; er beträgt derzeit 35 v. H. Die Erfolge der sowjetischen Erdgasindustrie sind vor allem auf die Erschließung von sehr großen Lagerstätten in West-Sibirien zurückzuführen. So entspricht der Förderzuwachs des im Norden West-Sibiriens gelegenen Feldes von Urengoj im zurückliegenden Fünfjahrplan 1981/85 mit über 200 Mrd. cbm nahezu der gesamten Zunahme der Erdgasförderung (von 435 auf 643 Mrd. cbm). Zu den hohen Produktionssteigerungen dürfte aber auch die indirekte Beteiligung westlicher Unternehmen an der Erschließung der Gasfelder beigetragen haben. Sie bestand vor allem in der Lieferung von Röhren mit großem Durchmesser (144 cm) und von hochleistungsfähigen Kompressorstationen (25 MW). Allerdings sollte der Einfluß westlicher Technik auch nicht überschätzt werden. Denn neben der weitgehend mit ausländischer Ausrüstung gebauten Export-Pipeline von Urengoj zur sowjetischen Westgrenze (ca. 4 500 km) hat die UdSSR im Fünfjahrplan 1981/85 vier weitere, ähnlich lange Gasleitungen mit Inlandsprodukten verlegt. Die UdSSR ist der größte Röhrenproduzent der Welt; sie deckt lediglich ihren Grenzbedarf durch Importe. Daher war es ihr auch möglich, trotz vorübergehender Lieferausfälle im Zuge des Pipeline-Embargos von 1982 die Exportleitung Urengoj-Westgrenze vorfristig fertigzustellen.
Spätestens seit 1977 steht die sowjetische Erdölförderung im Mittelpunkt des Interesses westlicher Analysen sowjetischer Energiepolitik. Damals hatte die CIA vorausgesagt, daß bis Mitte der achtziger Jahre die sowjetische Erdölförderung auf rd. 400 bis 500 Mill, t zurückgehen und die UdSSR zum Nettoimporteur von Erdöl werden würde Beide Vorhersagen haben sich als falsch erwiesen. 1985 betrug die Fördermenge knapp 600 Mill, t, davon wurde rd. ein Viertel exportiert. Politisch brisant war diese Einschätzung vor allem deshalb, weil damit indirekt ein wichtiges ökonomisches Motiv für eine Ausweitung des sowjetischen Einflusses im Nahen Osten unterstellt wurde.
Die sowjetische Ölindustrie konnte in den vergangenen Jahren allerdings die Planziele nicht erfüllen. 1984 und 1985 ging die Förderung sogar zurück (insgesamt um rd. 20 Mill. t). Hierfür dürften vor allem folgende Gründe verantwortlich sein: — Es fehlt häufig an klimaadäquater Technologie; — die Anwendung moderner Fördermethoden (sog. Tertiärmethoden) zur Aufrechterhaltung des Lagerstättendrucks setzt sich zu langsam durch; — das Prämiensystem begünstigt den Raubbau von Lagerstätten, da es hohe Bohrmeterleistungen, nicht aber die optimale Ausbeutung einer Lagerstätte honoriert; — die großen Lagerstätten gehen zur Neige und müssen durch die Erschließung vieler kleiner Felder ersetzt werden.
Die Schwierigkeiten in der Ölindustrie führten im Februar 1985 zur Entlassung des zuständigen Ministers. An seine Stelle trat der ehemalige Minister der erfolgreichen Erdgasindustrie, Dinkow. Seit Beginn dieses Jahres signalisieren die Monats-werte wieder einen Anstieg der Erdölförderung. Setzt sich dieser Trend fort, könnte für 1986 eine Fördermenge um 610 Mill, t erwartet werden. Ob allerdings das für 1990 gesetzte Förderziel von 635 Mill, t erreicht werden wird, ist aus derzeitiger Sicht kaum zu erwarten. Eine Stabilisierung des Niveaus auf über 600 Mill, t muß angesichts der skizzierten Probleme schon als Erfolg gewertet werden.
Insgesamt sind die im Fünfjahrplan 1986/90 gesetzten Förderziele sehr hoch. Die Produktion an Primärenergie soll im Jahresdurchschnitt um fast 4 v. H. wachsen (Ist 1981/85: 3 v. H.). Hohe Steigerungsraten sind vor allem für die Erdgas-und Kohlenförderung, aber auch für die Kernenergieerzeugung vorgesehen. Auch diese Daten verdeutlichen, daß die Sowjetunion ihre primär angebotsorientierte Energiepolitik fortsetzen wird. Diese Politik bindet umfangreiche Investitions51 mittel im Energiesektor. Derzeit wird etwa ein Viertel aller Investitionsmittel in den Brennstoff-industrien ausgegeben; dieser Anteil wird bis 1990 weiter steigen. ... ehrgeiziges — aber unrealistisches — Kernkraftprogramm 1985 deckte die Sowjetunion 10 v. H. ihrer Strom-produktion aus Kernkraftwerken. Im internationalen Vergleich ist dieser Anteil relativ gering. So betrug in der Europäischen Gemeinschaft der entsprechende Wert 32 v. H., obwohl hier nur sechs Mitgliedstaaten Kernkraftwerke betreiben. Der Ausbau der Kernenergie war in der Sowjetunion immer durch beträchtliche Planrückstände gekennzeichnet. Gemäß den Planungen sollten 1985 bereits Kapazitäten von 40 000 MW installiert sein; tatsächlich waren es aber nur 27 000 MW. Dies veranlaßte den Ministerratsvorsitzenden der UdSSR, N. I. Ryschkow, auf dem jüngsten Parteitag der KPdSU zu folgender Kritik: „Das Ministerium für Energiewirtschaft und Elektrifizierung der UdSSR hat im elften Planjahrfünft bei der Erfüllung der Auflagen für die Inbetriebnahme von Kapazitäten in Kernkraftwerken versagt, wodurch ein zusätzlicher Bedarf an natürlichen Brennstoffen entstand. Angesichts der angespannten Brennstoffbilanz unseres Landes und der wachsenden Rolle der Kernenergetik sind solche Entgleisungen künftig unzulässig.“
Trotz ihres Reichtums an fossilen Brennstoffen begann die Sowjetunion sehr früh mit der zivilen Nutzung der Kernenergie. 1954 wurde in Obninsk das erste Kernkraftwerk der Welt — ausgestattet mit einem MW-Druckröhrenreaktor — in Betrieb genommen. Dabei gab es sicherlich einen Zusammenhang zwischen ziviler und militärischer Nutzung, denn die Druckröhrenreaktoren eignen sich besonders gut für die Gewinnung von waffentauglichem Plutonium 5).
Die Entscheidung, Kernenergie in großem Umfang zur Stromerzeugung zu nutzen, wurde erst auf dem 24. Parteitag der KPdSU im Jahre 1971 getroffen (damaliger Plan für 1980: 30 000 MW; Ist: 13 400 MW). Dies weist auf zwei weitere Motive für die zivile Nutzung der Kernenergie in der Sowjetunion hin:
— Damals wurde deutlich, daß das regionale Un-gleichgewicht zwischen Bedarf und Förderung immer größer werden wird. Dies führt zu steigenden Kosten für die Förderung und den Transport von Brennstoffen. Kernkraftwerke können dagegen in der Nähe der Verbrauchsschwerpunkte gebaut werden.
— Die fossilen Brennstoffvorräte werden einmal erschöpft sein. Ohne eine Alternative könnte — wenn auch sehr langfristig — die energiepolitische Unabhängigkeit der Sowjetunion gefährdet werden. Die Alternative zu den fossilen Brennstoffen wird in der Sowjetunion in der Kernenergie gesehen, zumal diese, wie in allen anderen Kernwaffenstaaten, als ein Nebenprodukt der militärischen Nutzung der Atomkraft entwickelt werden kann. Alternative Energiequellen werden in einem 1984 in Auszügen veröffentlichten langfristigen Energieprogramm der UdSSR zwar auch erwähnt; die Sonnenenergie soll vor allem in den südlichen Landesteilen einen Beitrag zur Energieversorgung leisten. Die quantitative Bedeutung von regenerativen Energiequellen (Wind-und Sonnenenergie, geothermische Energie und Biomasse) wird für das Jahr 2000 aber nur auf 20 bis 40 Mill, t SKE, das entspricht 1 bis 2 v. H.des Primärenergieverbrauchs, veranschlagt.
Die zivile Nutzung der Kernenergie basiert in der UdSSR auf drei unterschiedlichen Reaktorlinien: — Druckröhrenreaktoren (in der UdSSR auch als RBMK-Reaktoren bezeichnet); sie werden mit Leichtwasser gekühlt und mit Graphit moderiert. Auf diesen Reaktortyp entfielen Ende 1985 zwei Drittel der Kemkraftkapazitäten der UdSSR. Der in Tschernobyl zerstörte RBMK-Reaktor hatte eine Kapazität von 1 000 MW. Sein Prototyp wurde 1974 in Leningrad in Betrieb genommen.
1983 ging der erste 1 500 MW-Block in Ignalinsk ans Netz. Dieser Reaktortyp wird — vermutlich wegen der relativ leichten Abzweigmöglichkeiten des (militärisch nutzbaren) Plutonium 239 — nicht exportiert.
— Sowohl für den Eigenbedarf als auch für den Export ist der sogenannte Druckwasserreaktor (WWER) entwickelt worden. Kühlmittel und Moderator ist Wasser. Druckwasserreaktoren werden vor allem in Wolgodonsk (Atomasch) gebaut. Der 1 000 MW-Prototyp — er ging 1980 in Nowo-Woronesch ans Netz — ist der erste Reaktor, der in der UdSSR mit einem Berstschutz (Containment) ausgestattet wurde.
— Drei Schnelle Brüter sind in der UdSSR gegenwärtig in Betrieb. Sie befinden sich in Uljanowsk (Kapazität 12 MW, Inbetriebnahme 1969), Schewtschenko (350 MW, 1973) und Swerdlowsk (600 MW, 1980). Dort soll Anfang der neunziger Jahre ein zweiter Block mit 800 MW in Betrieb genommen werden.
Der Einsatz von Brutreaktoren ist die logische Konsequenz einer langfristig auf Kernenergie setzenden Energiepolitik. Nach sowjetischen Berechnungen würden nämlich die z. Z. ökonomisch gewinn-baren Uranvorräte von weltweit 4 Mill, t im Jahr 2030 erschöpft sein, würde man nicht Brut-reaktoren einsetzen, die mehr spaltbares Material „erbrüten“, als sie für den Eigenbetrieb benötigen. Natürliches Uran kann beim Einsatz von Brütern 20 bis 30 mal mehr Energie abgeben als bei der Verwendung in herkömmlichen Reaktoren
Erweitert werden sollen auch die Einsatzmöglichkeiten der Kernenergie durch den Bau von Kern-Heizkraftwerken und von Kern-Heizwerken. Mit dem Bau des ersten Kern-Heizkraftwerks wurde 1984 in Odessa begonnen; es ist 25 km von der Stadt entfernt. Mit der Inbetriebnahme wird „noch vor 1990 gerechnet“. Ein zweites Werk entsteht in Minsk. Beide Werke sollen mit zwei 1 000 MW-Blöcken ausgestattet werden. Während bei diesen Werken Kernkraft noch überwiegend zur Stromerzeugung genutzt wird, sind in Nowoworonesch und Gorki reine Kern-Heizwerke als Pilotprojekte im Bau. Sie sollen in unmittelbarer Nähe zu den Verbrauchsregionen, d. h. nur zwei bis drei Kilometer außerhalb der Stadtgrenzen, errichtet werden, andernfalls wären die Transportkosten und die Wärmeverluste beim Transport zu groß. Auch diese Werke werden aus Kostengründen mit relativ großen Blockeinheiten (Wärmeleistung 500 MW) gebaut
Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, daß die Katastrophe von Tschernobyl bei der Partei-und Wirtschaftsführung der UdSSR zu einem grundsätzlichen Überdenken der zivilen Nutzung von Atomenergie geführt haben könnte. Zwar räumte Gorbatschow ein, daß man zum ersten Mal real mit einer so gefährlichen Kraft wie der außer Kontrolle geratenen Kernenergie konfrontiert worden sei; er fügte aber hinzu, daß man sich die Zukunft der Weltwirtschaft angesichts von 370 in Betrieb befindlichen Reaktoren ohne die weitere Nutzung der Kernenergie schwerlich vorstellen könne
Auch in dem im Juni 1986 verabschiedeten Gesetz über den Fünfjahrplan 1986/90 sind hinsichtlich des geplanten Ausbaus der Kernenergie keine Korrekturen gegenüber der auf dem Parteitag der KPdSU beschlossenen Plandirektive zu erkennen. An dem ursprünglichen Vorhaben, bis 1990 den Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion auf 20 v. H. zu verdoppeln, wird auch nach Tschernobyl offiziell festgehalten. Dies erfordert eine Ausweitung der Kernkraftkapazitäten um 40 000 MW auf 67 000 MW. Derzeit stellt sich die Frage, ob diese Vorgabe überhaupt noch als realistisch gelten kann. Eine Konsequenz aus dem Unglück dürfte zumindest die Überprüfung der Si-cherheitseinrichtungen aller Kernkraftwerke sein. Dies wird den Ausbau der Kernkraft erneut verzögern. Um Engpässe bei der Stromerzeugung zu vermeiden, wird die Sowjetunion wahrscheinlich gezwungen sein, alte, zur Stillegung vorgesehene konventionelle Kraftwerke weiterlaufen zu lassen.
Einsparpolitik gewinnt erst langsam an Bedeutung Das Niveau des Energieverbrauchs ist in der UdSSR sehr hoch. 1984 wurden je Einwohner 6, 9 t Steinkohleneinheiten (SKE) verbraucht; damit war das Verbrauchsniveau um 15 v. H. höher als in der Bundesrepublik (6, 01 SKE). Auch wenn man die klimatischen Unterschiede berücksichtigt, so kann diese Differenz doch als Indiz für eine Energieverschwendung angesehen werden, denn schließlich dürfte die Produktionsmenge je Einwohner in der Sowjetunion um deutlich mehr als 50 v. H. unter dem bundesdeutschen Niveau liegen, d. h.der Energieaufwand je Produktionseinheit ist in der UdSSR beträchtlich höher als in der Bundesrepublik.
Energieeinsparungen werden in der Sowjetunion vor allem durch unzureichende materielle Anreize behindert. Niedrige und zum Teil verbrauchsunabhängige Energiekosten leisten der Verschwendung Vorschub. Eine Pauschalierung der Verbrauchsgebühren — wie z. B. beim Erdgasbezug der privaten Haushalte — wird häufig deshalb vorgenommen, weil es keine Zähler gibt.
Nach dem zweiten Ölpreisschub ist auch in der Sowjetunion die Energiepolitik überdacht worden. Ein langfristiges Energieprogramm wurde 1984 in Auszügen veröffentlicht. Die wichtigsten Ziele lassen sich in drei Punkten zusammenfassen: — Verminderung des spezifischen Energieverbrauchs — insbesondere aber des Erdölverbrauchs — in der Volkswirtschaft.
— Substitution von Erdöl, zunächst vor allem durch Erdgas, später durch Kohle.
— Verminderung des Bedarfs an fossilen Brennstoffen durch überproportionalen Einsatz von Kernenergie und Wasserkraft. Überdurchschnittlich wachsen soll allerdings der Elekrizitätsverbrauch; aus den Angaben des Langfristprogramms folgt, daß für die nächsten 15 Jahre eine jährliche Steigerung um 4 v. H. vorgesehen ist.
Hinsichtlich der Realisierung der geplanten Sparmaßnahmen ist angesichts der Vielzahl von systembedingten Hemmfaktoren Skepsis angebracht. Größere Chancen kann den geplanten Substitutionsmaßnahmen, insbesondere von Öl durch Erdgas, eingeräumt werden. Hauptansatzpunkt ist hier die Umrüstung von ölbefeuerten Kraftwerken, in denen noch immer knapp 100 Mill, t Heizöl eingesetzt werden. Derartige Substitutionsmaßnahmen lassen sich durch zentrale Entscheidungen durchsetzen. Einsparungen aber erfordern eine Vielzahl dezentraler Maßnahmen; sie sind im gegenwärtigen sowjetischen Wirtschaftssystem sehr schwer zu verwirklichen. Der ökonomische Druck zur Energieeinsparung dürfte aber in den nächsten Jahren für die sowjetischen Wirtschaftsplaner auch aus außenwirtschaftlichen Gründen eher größer werden. Bleibt der Ölpreis auf mittlere Frist niedrig, dann muß die UdSSR bestrebt sein, durch verstärkte Einsparungen im Inland ihr Exportpotential an Energie zu vergrößern, um damit zumindest einen Teil der Einnahmeverluste ausgleichen zu können. öl-und Gasexporte bestimmen den Westhandel der UdSSR Für den sowjetischen Außenhandel sind Energie-rohstoffe ein bedeutender Aktivposten. Gegenwärtig übersteigt die Energieproduktion um ein Sechstel den Eigenbedarf, so daß vor allem größere Mengen an Erdöl, Erdgas und Mineralöl-produkten exportiert werden können. Energieträger erbringen die Hälfte der sowjetischen Exporterlöse. In der Phase steigender Öl-bzw. Energiepreise waren sie der entscheidende Wachstumsfaktor im sowjetischen Außenhandel; die unzureichende internationale Wettbewerbsfähigkeit der sowjetischen Industrie konnte damit überdeckt werden.
Einen geradezu monokulturartigen Charakter hat die sowjetische Exportwarenstruktur im Westhandel angenommen. 1985 erzielte die Sowjetunion aus dem Export von knapp 70 Mill, t Erdöl und Erdölprodukten sowie rd. 35 Mrd. cbm Erdgas etwa 80 v. H. ihrer Exporterlöse. Während die Sowjetunion als „Trittbrettfahrer“ der OPEC lange Jahre von deren Kartellpolitik profitierte, gehört sie nun mit zu den Verlierern. Die preisbedingten Mindereinnahmen sind aus derzeitiger Sicht erheblich. Da die UdSSR 1985 rd. 500 Mill. Barrel (knapp 70 Mill, t) an Erdöl und Erdölprodukten in den Westen exportiert hat, entspricht der Rückgang des Barrel-Preises um einen Dollar bei unveränderten Exportmengen aufJahresbasis einem Einnahmeausfall von 0, 5 Mrd. US-Dollar. Bei einem Preisrückgang von 27 auf 15 $/Barrel hätte dies einen Einnahmeausfall von 6 Mrd. US-Dollar zur Folge, das entspricht knapp 30 v. H.der sowjetischen Exporte in die OECD-Länder im Jahre 1985 Durch die — allerdings zeitlich verzögerte — Anbindung des Erdgaspreises an denjenigen für Heizöl werden auch die sowjetischen Einnahmen aus den Erdgasexporten zurückgehen. Hier können die Verluste auf 1 Mrd. US-Dollar geschätzt werden; sie würden aber erst 1987 in vollem Umfang entstehen
Die Möglichkeiten für eine Kompensation dieser Einnahmeausfälle sind aus energiewirtschaftlicher Sicht eng begrenzt. Deutliche Exportsteigerungen zeichnen sich nur bei Erdgas ab. Aufgrund der bereits abgeschlossenen Verträge werden die Exportmengen 1990 das Niveau von 1985 um die Hälfte übersteigen. Die weiteren Expansionsmöglichkeiten werden bei Erdgas primär von der Nachfrage der westeuropäischen Länder begrenzt. Beim Mineralöl ist eine derartige Mengenexpansion nicht zu erwarten. Allerdings ist hier das sowjetische Angebot der entscheidende Begrenzungsfaktor. Auch bei einer Realisierung der sowjetischen Förderpläne würde das Exportpotential nicht mehr stark wachsen. Es ist aber nicht auszuschließen, daß es der Sowjetunion gelingen wird, durch den verstärkten Einsatz von Erdgas auf dem Inlandsmarkt zusätzliches Öl für den Export bereitzustellen. Eine leichte Steigerung der Öllieferungen in den Westen würde vor diesem Hintergrund keineswegs überraschen.
II. Die Energiepolitik der DDR
Abbildung 17
Quelle: Datenbank RGW-Energie des DIW Tab. 2: Die Entwicklung der Brennstofförderung in der UdSSR 1970 bis 1985
Quelle: Datenbank RGW-Energie des DIW Tab. 2: Die Entwicklung der Brennstofförderung in der UdSSR 1970 bis 1985
Ressourcen: Braunkohle dominiert Im Gegensatz zur Sowjetunion besitzt die DDR nur geringe Energievorräte. Eine Ausnahme bildet lediglich die Braunkohle, die sehr intensiv genutzt wird. Die derzeit ökonomisch gewinnbaren Reserven werden mit 20 Mrd. t angegeben; damit könnte man das Fördervolumen von 1985 (313 Mill, t) bis zum Jahre 2050 aufrechterhalten. Die Braunkohle wird ausschließlich im Tagebau gewonnen. Dies soll auch langfristig möglich sein; allerdings wird sich der Abbau von derzeit 40 bis 80 m Abbauteufe auf einen Teufenbereich von 80 bis 120 m verlagern. Damit erhöhen sich die Förderkosten. Bereits jetzt ist der Abbau der Braunkohle mit erheblichen Belastungen für die betroffenen Gebiete verbunden. Dörfer müssen umgesiedelt, Straßen verlegt und Grundwasserabsenkungen vorgenommen werden.
Die Braunkohlenförderung der DDR ist derzeit auf zwei Reviere konzentriert: Im Raum Cottbus (Lausitz) werden etwa zwei Drittel der Braunkohle gefördert; ein Drittel stammt aus der Region Halle/Leipzig. Hier ist der durchschnittliche Schwefelgehalt (rd. 2 v. H.) der Braunkohle etwa doppelt so hoch wie im ostelbischen Revier.
Neben der Braunkohle besitzt die DDR noch geringe Erdgasvorkommen; sie befinden sich überwiegend im Grenzgebiet bei Salzwedel (Bezirk Magdeburg). Der Heizwert von 3000 bis 3 500 kcal/Nm 3 liegt aber weit unter der nordwesteuro55 päischen Norm (7600 kcal/Nm 3). Die umfangreichen Uranvorkommen der DDR werden noch heute von der sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut gefördert. Sie ist die einzige noch existierende SDAG; diese Gesellschaften wurden nach dem Kriege gebildet, um die Reparationsleistungen an die Sowjetunion sicherzustellen. Das Uran wird in die UdSSR geliefert; in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen, ist Staatsgeheimnis.
Produktion und Verbrauch: Hoher Braunkohlenanteil soll Importabhängigkeit gering halten In den siebziger Jahren zielte die Energiepolitik der DDR auf eine Ausweitung des Anteils von Erdöl und Erdgas am Energieverbrauch ab. Beide Energieträger können — im Gegensatz zur Kohle — relativ leicht transportiert und mit geringeren Verlusten umgewandelt werden. Nach dem zweiten Ölpreisschub wurde diese Politik geändert. 1980 verkündete Erich Honecker den Grundsatz für die Energiepolitik der achtziger Jahre: „Wo Heizöl noch als Brennstoff verwendet wird, gilt es, Braunkohle einzusetzen, um durch tiefere Spaltung mehr hochwertige, veredelte chemische Erzeugnisse zu gewinnen.“
Der zweite Ölpreisschub hatte in der DDR — wie auch in den meisten westlichen Ländern — die Vorstellung verfestigt, die Verteuerung des Öls werde nunmehr doch auf lange Frist andauern. Die DDR reagierte auf dieses neue „Datum“ vor allem mit drei Maßnahmen:
— Für den zu forcierenden Ausbau der Braun-kohlenförderung wurden umfangreiche Investitionsmittel bereitgestellt.
— Nahezu alle heizölverbrauchenden Kessel wurden im Fünfjahrplanzeitraum 1981/85 auf Braunkohlenfeuerung umgestellt.
— Durch zahlreiche administrative Maßnahmen sollte der hohe Energieverbrauch gesenkt werden. Tatsächlich konnte die DDR in den zurückliegenden Jahren ihre Position als größter Braunkohlenproduzent der Welt weiter ausbauen. Die Förderung stieg von 256 Mill, t (1980) auf 313 Mill, t (1985; zum Vergleich Bundesrepublik: 121 Mill. t).
Mit der im Inland verfügbaren Braunkohle deckte die DDR zuletzt über 70 v. H. ihres Primärenergieverbrauchs. Gleichzeitig wurde der — ohnehin schon relativ geringe — Verbrauch an Erdöl-produkten deutlich reduziert. Von 1979 bis 1984 konnte der Mineralölanteil von 20 v. H. auf 10 v. H. halbiert werden.
An der relativen Bedeutung der übrigen Energieträger hat sich — sieht man von der Einschrän-kung des Verbrauchs an (importierter) Steinkohle ab — kaum etwas verändert.
Absolut gesenkt werden konnte in den Jahren 1980 bis 1983 der Primärenergieverbrauch. Die Erfolge der Einsparmaßnahmen sind insofern bemerkenswert, als sie bei gleichzeitig hohem Wirtschaftswachstum erreicht wurden:
Seit 1984 hat der Energieverbrauch wieder zugenommen. Dies weist daraufhin, daß zunächst offenbar nur das leicht ausschöpfbare Sparpotential erschlossen werden konnte, denn noch immer ist der Energieverbrauch in der DDR relativ hoch: Je Einwohner werden rd. 20 v. H. mehr als in der Bundesrepublik verbraucht.
Die Einsparungen sind vor allem in der Industrie erreicht worden. Hier wurde der Energieverbrauch genauer geplant und schärfer kontrolliert. Eine 1979 gebildete Energiekommission beim Ministerrat der DDR soll Einsparmaßnahmen ausarbeiten; deren Durchführung wird durch eine so-genannte Energieinspektion überwacht. Verstöße können u. a. Ordnungsstrafen zur Folge haben. Im Verkehrsbereich wurden Straßengütertransporte auf die Bahn und die Schiffahrt verlagert; das elektrifizierte Bahnnetz wurde erweitert. Die privaten Verbraucher bekamen die Energieverteuerung indes nicht zu spüren: Die Kilowattstunde kostet für sie seit 1946 unverändert 8 Pfennige, der Kubikmeter Stadtgas 16 Pfennige. Die höheren Kosten gleicht der Staat durch Subventionen aus. Für Strom, Heizung, Gas und Wasser werden von den Haushalten im Monat nur durchschnittlich 25, — Mark (1, 5 v. H.der Haushaltseinkommen) ausgegeben. Diese Preispolitik ist sozialpolitisch motiviert; sie fördert aber die Energieverschwendung. Die Wirtschaftsführung der DDR hat also als Reaktion auf die Ölpreisschübe der siebziger Jahre eine Politik der Verbrauchsdrosselung und der Importsubstitution durchgesetzt: Öleinfuhren wurden durch inländische Braunkohle ersetzt. 1985 konnten rd. 80 v. H.des Energiebedarfs aus eigenen Quellen gedeckt werden (1979: 67 v. H.). Eine exportorientierte Strategie, bei der der Ausbau moderner Industrien zur Erwirtschaftung von Devisen für Energieimporte im Zentrum steht, wurde erst gar nicht öffentlich diskutiert. Allerdings dürfte die Strategie der Importsubstitution nicht nur Ausdruck von Autarkiedenken sein. Vielmehr mußte die DDR davon ausgehen, daß die geringe Exportkraft eine effizientere und umweltfreundlichere Energiepolitik nicht zuläßt. Gerade die negativen Umweltfolgen der intensiven Braunkohlennutzung sind in der DDR unterschätzt oder billigend in Kauf genommen worden. Die DDR ist heute der größte Emittent von SO, in Europa; bereits für 1982 wurde eine SO-Gesamt-emission von 5 Mill, t errechnet (zum Vergleich: Bundesrepublik Deutschland 3, 1 Mill. t). Daran hat die Verbrennung der Braunkohle einen überragenden Anteil. Da größere Maßnahmen zur Rauchgasentschwefelung offenbar z. Z. für nicht finanzierbar gehalten werden, sind vor allem die Gebiete um Halle/Leipzig und Cottbus stark belastet. Allein aus dem größten Braunkohlenkraftwerk der DDR in Boxberg/Oberlausitz (3 500 MW) werden jährlich fast 0, 5 Mill, t SO, emittiert. Eine wesentliche Verbesserung der Situation ist auch für die zweite Hälfte der achtziger Jahre kaum zu erwarten: In der Direktive zum Fünfjahrplan 1986/90 werden der Luftreinhaltung karge sechs Zeilen gewidmet. Aus heutiger Sicht kann daher kaum erwartet werden, daß die DDR ihre im Rahmen der ECE-Umweltschutzkonferenz im Juli 1985 eingegangene Verpflichtung wird einhalten können; danach sind nämlich die gesamten Schwefelemissionen bis 1993 um mindestens 30 v. H. unter die Werte von 1980 zu senken.
Außenhandel: Enge Anbindung an die UdSSR Die Importpolitik der DDR ist auf dem Energiesektor durch eine besonders starke Verflechtung mit der Sowjetunion gekennzeichnet. Der sowje57 tische Anteil an den jeweiligen Gesamtimporten beträgt bei Erdgas 100 v. H., bei Erdöl 75 v. H. und bei Kohle 66 v. H. Bei der Versorgung der Kernkraftwerke mit Brennstäben ist die DDR ausschließlich auf die Belieferung aus der Sowjetunion angewiesen, denn diese allein verfügt im RGW über die erforderlichen Anlagen zur Anreicherung des Urans. Bemerkenswert ist, daß die DDR von 1979/80 an stets mehr Erdöl aus der Sowjetunion importiert hat, als sie zur Deckung des Inlandsbedarfs benötigte. Offensichtlich hat sie diesen „Überschuß“ zu Produkten verarbeitet und dann in westliche Länder exportiert
Die enge Anbindung der Energieversorgung an die Sowjetunion ist sicher politisch vorgegeben; sie bietet der DDR aber unter den gegenwärtigen ökonomischen Rahmenbedingungen (u. a. chronischer Devisenmangel) eine Reihe von Vorteilen: Im Zuge der Plankoordinierung schließt die DDR mit der Sowjetunion langfristige Lieferverträge ab; sie kann damit ihre Fünfjahresplanung auf der Grundlage einer weitgehend gesicherten Rohstoffversorgung durchführen. Unter Beteiligung der DDR und der übrigen kleineren RGW-Staaten an den Investitionen wurde ein grenzüberschreitendes Netz von Erdöl-und Erdgasleitungen gebaut, das den kostengünstigen Transport von Energieträgern aus der UdSSR ermöglicht. Das „Vereinigte Energieverbundsystem der Mitgliedsländer des RGW“ ist für den Ausgleich von Spitzenbelastungen beim Stromverbrauch geschaffen worden; die DDR benötigt damit weniger Reservekapazitäten.
Die Investitionsbeteiligungen der DDR können als zeitlich gestreckte Kompensationsvereinbarungen charakterisiert werden. Beide Seiten erbringen ihre Leistungen in Naturalform: DDR-Betriebe bauen z. B. in der Sowjetunion einen Abschnitt einer Erdgasexportleitung von West-Sibirien zur sowjetischen Westgrenze. Die Sowjetunion erbringt ihre Zins-und Tilgungsleistungen in Form von Erdgaslieferungen. Über die finanziellen Bedingungen dieser Buy-back-Geschäfte ist allerdings nichts bekannt.
Die Preise für die sowjetischen Energielieferungen waren für die DDR über einen längeren Zeitraum (1974 bis 1983) sehr günstig. Im RGW-Intrablockhandel werden nämlich die Preise grundsätzlich als Durchschnitt aus den Weltmarktpreisen der vorangegangenen fünf Jahre gebildet.
Stellt man den sowjetischen Verrechnungspreisen die Weltmarktpreise gegenüber (Abb. 1), so zeigt sich, daß die Preise der UdSSR z. T. erheblich unter den Weltmarktpreisen lagen. Dies spricht dafür, daß über die Energielieferungen eher eine indirekte Subventionierung der DDR und der übrigen RGW-Länder erfolgt ist die oft zu hörende Ausbeutungsthese steht hierzu in einem krassen Gegensatz. Zu der indirekten Subventionierung hat sich die UdSSR vermutlich aus politökonomischen Gründen entschlossen. Hätten die DDR und die übrigen RGW-Länder die jeweiligen Weltmarktpreise bezahlen müssen, wären sie in noch größere Finanzierungsschwierigkeiten geraten Bereits bei den relativ niedrigen Preisen konnte die DDR die Energieverteuerung nicht durch Exportsteigerungen ausgleichen. Seit 1975 ist ihre jährliche Handelsbilanz gegenüber der UdSSR im Defizit; über die Jahre kumuliert erreichte es bis 1985 rd. 4 Mrd. Transfer-Rubel (knapp 5 Mrd. US-Dollar).
Sollten — was aus der derzeitigen Sicht wahrscheinlich ist — die Ölpreise auf mittlere Frist auf niedrigem Niveau verharren, dann verbessern sich für die DDR die Möglichkeiten zum Abbau des Defizits. Allerdings bekommt die DDR nun auch die Nachteile des RGW-Preisbildungssystems zu spüren; denn bei fallenden Weltmarkt-preisen führt das Prinzip der Fünfjahresdurchschnitte dazu, daß die Verrechnungspreise über den Weltmarktpreisen liegen. Bleiben die Weltmarktpreise bis 1990 unverändert, dann erreichen die sowjetischen Verrechnungspreise erst 1991 das Weltmarktniveau. Der DDR wird bis dahin praktisch der Preisvorteil des Weltmarktes partiell vorenthalten; damit wird auch ein Teil der indirekten Subventionierung wieder rückgängig gemacht.
Ehrgeizige Kernenergiepläne noch realistisch?
Die Bedeutung der Kernenergie ist in der DDR noch relativ gering. 1985 deckte Kernkraft rd. 10 v. H.des Stromverbrauchs; am gesamten Primär-energiebedarf hatte sie einen Anteil von rd. 3 v. H. Derzeit gibt es in der DDR zwei Kernkraftwerke mit einer Gesamtkapazität von 1 830 MW.
Als erstes der kleineren RGW-Länder nahm die DDR 1966 einen von der UdSSR gelieferten Druckwasserreaktor in Rheinsberg, ca. 70 km nördlich von Berlin, in Betrieb. Dieser relativ kleine Reaktor (70 MW) wird vorwiegend für Forschungs-und Ausbildungszwecke eingesetzt. Das zweite Kernkraftwerk (KKW Nord) wurde 1973 in Betrieb genommen. Es befindet sich in Lubmin bei Greifswald und ist mit vier 440 MW-Druckwasserreaktoren aus der UdSSR ausgestattet. Die derzeitige Gesamtkapazität dieses Werkes (1760 MW) würde ausreichen, um eine Stadt der Größe von Berlin (West) mit Strom zu versorgen.
Bis 1990 soll die Kapazität dieses Werkes verdoppelt werden; dann würde der Atomstromanteil auf 15 v. H. steigen. In der Begründung der Direktive zum Fünfjahrplan 1986/1990 erklärte Ministerpräsident Stoph auf dem jüngsten Parteitag der SED: „Bis 1990 ist das Kernkraftwerk Nord fertigzustellen. Der Probebetrieb des ersten 1 000 MW-Reaktorblockes im Kernkraftwerk Stendal ist vorzubereiten. Darüber hinaus gehen wir davon aus, daß im Zeitraum bis 1990 die Voraussetzungen zum weiteren Ausbau der Kernenergie geschaffen werden.“ Für diesen „weiteren Ausbau“ liegen aus der DDR bisher nur unverbindliche Einschätzungen vor. Folgt man ihnen, so würden Kernkraftwerke im Jahr 2000 rd. 30 v. H. (9600 MW) und im Jahr 2020 rd. 55 v. H. (23000 MW) der Stromerzeugungskapazitäten stellen Nicht erst seit dem Unglück von Tschernobyl sind Zweifel an der Realisierung dieser Pläne angebracht. Bereits in den zurückliegenden Jahren wurden die Ausbaupläne nicht plangemäß verwirklicht. So sollte bereits im abgelaufenen Fünfjahrplan der Kernstromanteil auf 12 bis 14 v. H. gesteigert werden (Ist 1985: 10 v. H.); die nunmehr geplante Verdoppelung der Kapazität im KKW Nord war ursprünglich schon für die erste Hälfte der achtziger Jahre vorgesehen
Inwieweit sicherheitstechnische Probleme beim Betrieb der sowjetischen Reaktoren zu den Verzögerungen beigetragen haben, ist schwer zu beurteilen. Bemerkenswert ist jedoch die Äußerung des Leiters des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit und Strahlenschutz der DDR, Sitzlack, im Zusammenhang mit der Katastrophe von Tschernobyl: „Für die DDR gelten eigene nationale und zusätzliche Sicherheitsvorschriften, deren Einhaltung mit voller Strenge gegenüber der Wirtschaft und allen Beteiligten durchgesetzt wird.“ Dies kann auch dahingehend interpretiert werden, daß die sowjetischen Sicherheitsstandards von der DDR als nicht ausreichend angesehen worden sind.
Die beiden Kernkraftwerke der DDR sind — wie alle 440 MW-Druckwasserreaktoren im RGW — ohne Containment ausgestattet. Dies wird inzwischen auch von den sowjetischen Konstrukteuren als Mangel angesehen; zumindest die 1 000 MW-Reaktoren sollen künftig mit Berstschutz gebaut werden. Damit würde das rd. 100 km westlich von Berlin vorgesehene Kernkraftwerk in Arneburg bei Stendal als erstes Werk der DDR ein Containment erhalten. Für die 440 MW-Reaktoren wurde ersatzweise eine „Stahlzellenverbundweise“ entwickelt und im KKW Nord eingebaut. Dort ist ebenfalls ein in der DDR entwickeltes komplexes Überwachungssystem, das über eine sogenannte „Rauschanalyse“ Störungen frühzeitig erkennen soll, in Betrieb
Das Unglück von Tschernobyl hat eine sicherheitsstechnische Überprüfung aller von der UdSSR entwickelten Reaktorlinien — also auch der von der DDR genutzten Druckwasserreaktoren — erforderlich gemacht. Dies dürfte zu erneuten Verzögerungen beim Bau von Kernreaktoren führen. Erich Honecker erklärte unlängst in einem Interview mit einer schwedischen Tageszeitung daß die DDR die Absicht habe, die Kernenergie weiter auszubauen; allerdings wolle man erst den Bericht über die Ursachen der Tschernobyl-Katastrophe prüfen. Seine Formulierungen ließen die politische Absicht erkennen, die Bedeutung der Kernkraft herunterzuspielen. So bezog er ihren Anteil nicht auf den Strom-, sondern auf den gesamten Energieverbrauch (3 statt 10 v. H.); er erklärte ferner, „daß die Kernkraft nicht das letzte Wort ist“ und daß man in der DDR froh sei, „daß wir uns für die Braunkohle und nicht für die Kernkraft entschieden haben“. Ob damit ein distanzierteres Verhalten zur zivilen Nutzung der Atomkraft oder gar ein Ausstieg aus der Kernenergie eingeleitet werden soll, ist aus heutiger Sicht (noch?) unwahrscheinlich. Diese Äußerungen dürften aber auch deutlich machen, daß kontroverse Diskussionen über die Nutzung der Kernenergie von der Bundesrepublik in die DDR hineingetragen werden und die politische Führung dort zu Reaktionen zwingen.
III. Exkurs: Die Kernenergieprogramme der übrigen RGW-Länder
Abbildung 18
Tab. 3: Die Produktion von Primärenergie in der UdSSR Quellen: Datenbank RGW-Energie des DIW und Fünfjahrplan der UdSSR.
Tab. 3: Die Produktion von Primärenergie in der UdSSR Quellen: Datenbank RGW-Energie des DIW und Fünfjahrplan der UdSSR.
Der Ausbau der Kernenergie in der DDR ist eingebettet in das Kernenergieprogramm der kleine-ren RGW-Länder. Auch dies ist durch chronische Planrückstände gekennzeichnet: Das 1977 unterzeichnete Generalabkommen sah vor, die Kernkraftwerkskapazitäten in allen kleineren europäischen Mitgliedstaaten (Bulgarien, CSSR, Polen, Rumänien, Ungarn) sowie in Kuba bis 1990 auf insgesamt 37 000 MW auszubauen. Diese Planung ist sicher schon seit einigen Jahren nicht mehr realistisch. Folgt man den derzeit verfügbaren In-formationen über die Fünfjahresplanung (1986 bis 1990) der kleineren europäischen RGW-Länder, so ergibt sich folgendes Bild:
Die Tschechoslowakei plant den höchsten Kapazitätszuwachs (2200 MW). In Dukovany soll die Kapazität von 440 MW auf 1 760 MW erhöht werden; für Mochovce (Westslowakei) ist geplant, daß die ersten 880 MW in Betrieb genommen werden. Fortgesetzt werden sollen die Bauarbeiten in Temelin (Südböhmen); dort sollen in den neunziger Jahren vier 1000 MW-Reaktoren ihren Betrieb aufnehmen. Darüber hinaus sollen in der jetzigen Fünfjahresplanperiode zwei weitere Standorte für Kernkraftwerke bestimmt und Vorbereitungen für den Baubeginn getroffen werden. Bis 1990 — so die Direktive zum Fünfjahrplan — ist der Anteil der Kernenergie an der Stromerzeugung auf 28 v. H. zu steigern; dies entspricht einer Verdoppelung gegenüber 1985.
Bulgarien wird das erste der kleineren RGW-Länder sein, das einen 1 000 MW-Druckwasserreaktor in Betrieb nimmt. Bei planmäßiger Abwicklung würde noch in diesem Jahr mit der Stromerzeugung begonnen; ein zweiter Block soll 1987 folgen, so daß die Kapazitäten im Fünfjahrplanzeitraum 1986 bis 1990 von 1 760 auf 3 700 MW erweitert werden. Kernkraftwerke würden dann rund die Hälfte des Stroms produzieren.
Auch Ungarn plant bis 1990 eine Verdoppelung der Kernkraftwerkskapazitäten auf 1 760 MW in dem 100 km südlich von Budapest gelegenen Werk von Paks.
In Polen soll nach einem Ministerratsbeschluß von 1982 ein Kernkraftwerk in Koszalin (Köslin) am Zarnowiecki-See mit einer Kapazität von 1 760 MW gebaut werden. Der erste der vier in der CSSR gebauten Reaktoren wird nicht vor 1990 seinen Betrieb aufnehmen. Allein die wirtschaftlichen Probleme des Landes werden vermutlich eine längere Bauzeit erforderlich machen. 1987 soll mit dem Bau des zweiten Kernkraftwerks „Warta“ in Kujawy begonnen werden. Hier sollen vier sowjetische 1 000 MW-Blöcke eingesetzt werden.
Eine Sonderstellung nimmt Rumänien ein. Als einziges RGW-Land hat es Reaktoren aus einem Drittland geordert. Hierbei handelt es sich um kanadische Schwerwasser-Reaktoren. Für den Betrieb der 660 MW-Candu-Reaktoren wird Natur-Uran verwendet; damit erübrigt sich der Import von angereichertem Uran (aus der UdSSR). In Cernavoda sollen fünf dieser Reaktoren installiert werden. Nach rumänischen Angaben ist mit der Inbetriebnahme des ersten Blocks 1987 zu rechnen, nach kanadischen Quellen aber erst Anfang der neunziger Jahre. Vermutlich aufgrund der Devisenknappheit hat Rumänien Anfang der achtziger Jahre auch in der Kernernergiepolitik begonnen, enger mit der UdSSR zusammenzuarbeiten. Im KKW Moldova sollen drei 1 000 MW-Druckwasserreaktoren sowjetischer Bauart eingesetzt werden. Insgesamt ist vorgesehen, bis 1990 etwa ein Viertel des Strombedarfs durch Kernkraftwerke zu decken; die vorgesehenen Kapazitäten wurden mit 4 000 MW angegeben. Allerdings sind auch hier erhebliche Zweifel an der Realisierbarkeit der Vorhaben angebracht
In allen RGW-Ländern soll die Kernenergie auch für die Fernwärmeerzeugung genutzt werden, und zwar zunächst durch die Wärmeauskoppelung aus Kernkraftwerken; dies geschieht z. B. in Greifs-wald. Später sollen auch in den osteuropäischen Staaten Kern-Heizwerke errichtet werden
Die Kernenergiepolitik der RGW-Länder ist durch eine relativ intensive internationale Zusammenarbeit gekennzeichnet. Dies betrifft die Forschung, den Kernkraftwerksbau, den Brennstoff-kreislauf und die Mißbrauchskontrolle. In allen diesen Bereichen ist die Stellung der Sowjetunion dominierend. Die osteuropäischen Länder sind ebenso wie die UdSSR Unterzeichner des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen; sie haben damit ihre kerntechnischen Einrichtungen einer internationalen Kontrolle zur Verhinderung einer Abzweigung von Materialien zu Waffenzwecken durch die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) unterworfen
IV. Ausblick: Tschernobyl und die Ost-West-Kooperation
Abbildung 19
Tab. 4: Verbrauch von Primärenergie in der UdSSR (Entwicklung und Struktur 1970— 1984) Quellen: Narodnoe chozjajstvo SSSR; Datenbank RGW-Energie des DIW.
Tab. 4: Verbrauch von Primärenergie in der UdSSR (Entwicklung und Struktur 1970— 1984) Quellen: Narodnoe chozjajstvo SSSR; Datenbank RGW-Energie des DIW.
Das von niemandem ernsthaft zu bestreitende Restrisiko der zivilen Nutzung der Kernenergie ist durch das Unglück von Tschernobyl ins öffentliche Bewußtsein gerückt worden. Inwieweit es langfristig für politisch tolerierbar eingeschätzt wird, ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Die vorsichtigen Äußerungen von Erich Honekker zur Kernenergienutzung belegen aber, daß sich die DDR — und auch die übrigen RGW-Länder— von der im Westen geführten Debatte nicht abkoppeln können. Auch die Umweltverschmutzung ist als Problem zuerst im Westen erkannt und die Diskussion hierüber in die RGW-Länder getragen worden.
Für die Ost-West Zusammenarbeit können sich unter dem Einfluß des sowjetischen Kernkraftwerkunglücks neue Ansatzpunkte ergeben. Zunächst ist festzuhalten, daß die Katastrophe von Tschernobyl deutlich gemacht hat, daß auch bei der zivilen Nutzung der Atomkraft die Sicherheit nicht mehr, teilbar ist; vielmehr besteht eine internatiole Risikogemeinschaft. Wenn, und das erscheint aus heutiger Sicht als die wahrscheinlichere Option, die Sowjetunion und die übrigen RGW-Staaten den Ausbau der Kernenergie fortsetzen, dann kann dieses Risiko durch eine Ost-West-Kooperation zumindest gemindert werden. Der östlichen Seite sollte daher unter diesen Bedingungen eine entsprechende Zusammenarbeit angeboten werden. Bestehende Hindernisse auf dem Gebiet der Technologietransferpolitik müßten beseitigt werden, denn in diesem Fall wäre eine restriktive Politik sicher kontraproduktiv. Im beiderseitigen Interesse dürften auch die Erforschung und Entwicklung von ökonomisch akzeptierbaren Alternativen zur Kernenergie liegen. Erschwert wird eine solche Zusammenarbeit aber gegenwärtig durch die Devisenengpässe, die vor allem der UdSSR durch den Ölpreisverfall entstehen. Gerade für die kleineren RGW-Länder, insbesondere aber für die DDR, wird das Problem der Luftverunreinigung infolge der Nutzung fossiler Brennstoffe immer dringender. Durch Einschränkungen beim Ausbau der Kernenergie würde es sich zunächst weiter verschärfen, denn es fehlt offenbar sowohl an finanziellen Mitteln als auch an fortgeschrittener Technologie. Liefergebundene Kredite des Westens für moderne Entschwefelungs-und Entstickungsanlagen könnten zu einer drastischen Verminderung der Schadstoff-emission beitragen. Damit wäre auch die verkürzt dargestellte Alternative „Kernenergie oder Umweltverschmutzung aus der Verfeuerung von Brennstoffen“ aufgelöst.
Es ist aber auch zu wünschen, daß in der Sowjetunion, der DDR und den übrigen RGW-Staaten noch stärker Konsequenzen aus der Erkenntnis gezogen werden, daß die dort zu beklagende Energieverschwendung nicht nur zu höheren Kosten führt, sondern auch mit größeren Risiken für die Umwelt verbunden ist. Eine Forcierung der Energieeinsparpolitik — auch unter Verwendung westlicher Technologie — ist daher dringend geboten.
Jochen Bethkenhagen, Dr. rer. pol., geb. 1945; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin.
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