Seit Jahrzehnten werden bei Treffen der Organisation der Afrikanischen Einheit (OAE) wie auch, unter kritikloser Übernahme der Vorstellungen der OAE, bei den Sitzungen der UN-Vollversammlung und jenen von Unter-und Sonderorganisationen der Vereinten Nationen Resolutionen verabschiedet, in denen die südafrikanische Außen-und Innenpolitik, insbesondere die Politik der Apartheid, auf das Schärfste verurteilt werden. Gefordert wird, mit allen der internationalen Staatenwelt zur Verfügung stehenden Mitteln die Regierung der weißen Afrikaner in Pretoria zu stürzen Es handelt sich bei diesen Debatten weitgehend um bloße Rituale, die bislang die konkrete Politik der westlichen Staaten nur am Rande beeinflussen. Allerdings entstand hier das heute u. a. in kirchlichen Kreisen etwa der Bundesrepublik Deutschland weitverbreitete Bild, nach dem es sich bei der Regierung in Pretoria um das menschenrechtsverachtende Regime der Erde schlechthin handele. Häufig wird vom schwarzen Afrika die These vertreten, die Regierung in Pretoria setze die Politik des faschistischen Deutschlands fort.
Auch die in einer besonders scharfen Sprache abgefaßten Resolutionen der jüngsten (41.) UN-Vollversammlung wie auch des 21. Gipfeltreffens der OAE hätten im Westen kaum die gebotene Beachtung gefunden, würde Südafrika (inkl.der in die „Unabhängigkeit“ entlassenen Reservate Transkei, BophutaTswana, Venda und Ciskei) jetzt nicht abermals von schweren Unruhen heimgesucht. Anders als die Aufstände von 1960 und 1976/77 lassen die seit August 1984 anhaltenden Unruhen auch den Sachkundigen fragen, ob Südafrika in einem Zustand der bewaffneten Anarchie versinke. Es scheint sich der Ausbruch eines in seiner Brutalität und seinen Verlusten an Menschen und Sachgütern dem mit der Mentalität der weißen Afrikaner nicht vertrauten Beobachter unvorstellbaren Bürger-und Regionalkrieges abzuzeichnen Schon 1977 hat Egon Bahr in einem bei weitem nicht genügend beachteten Interview von der Gefahr gesprochen, daß dieser Konflikt letztlich sogar zu einer Konfrontation der Supermächte führen könne Zunehmend befassen sich jetzt auch solche Staatengemeinschaften mit dem Südafrika-Konflikt, von denen wichtige Impulse für eine konstruktive Südafrika-Politik westlicher Staaten ausgehen können. Zu denken ist an das Commonwealth, die hier deutlich weniger einflußreiche Franko-Afrikanische-Gemeinschaft sowie die Paritätische Versammlung und den Gemeinsamen Ministerrat von EWG und AKP, in denen Westeuropäer mit Vertretern der inzwischen fast 70 AKP(Afrika, Karibik, Pazifik) -Staaten in Ausführung ihrer Konvention (Lome III) gemeinsam interessierende Fragen diskutieren.
I. Veränderungen in der Südafrika-Politik westlicher Schlüsselländer
Zu Recht wird den Staaten des Westens, insbesondere den USA, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland, vom schwarzen Afrika im-mer wieder vorgehalten, den zahllosen Bekenntnissen gegen die Apartheid keine Taten folgen zu lassen. Neben führenden Verantwortlichen der Administrationen Jimmy Carters und Ronald Reagans sowie der Labour-und Tory-Regierungen wird hier vor allem Bundesaußenminister H. -D. Genscher angegriffen. In der Ära Carter wurden sowohl in Washington als auch Bonn die Kräfte der weißafrikanischen Beharrung (das „, burische‘ Dennoch“) nicht nur unterschätzt, sondern übersehen. Die Regierung Reagan hingegen verfügt mit dem Stellvertretenden Außenminister für Afrikanische Angelegenheiten Chester A. Crocker über einen hervorragenden Fachmann, der allerdings die Bereitschaft des weißen Südafrikas zum fundamentalen Wandel im Politischen überschätzte. Pretoria mißbrauchte bisher seine Politik des „konstruktiven Engagements“ 6). 1. Zu den unterschiedlichen Interessen westeuropäischer Staaten Von hervorragender Bedeutung für den Fortgang des Ringens in und um Südafrika ist die Politik Großbritanniens, denn London ist der wichtigste Wirtschaftspartner der Republik am Kap. Von den dort lebenden fünf Millionen weißen Afrikanern haben mehrere hunderttausend britische Pässe, die viele von ihnen, obwohl sie seit Generationen in Südafrika ansässig sind, als Rückversicherung für den äußersten Notfall betrachten mögen. Ähnliches gilt für die mehr als hunderttausend Weißen (sog. ex-Rhodesians), die sich durch die Entwicklungen in dem seit April 1980 unabhängigen Zimbabwe zur Abwanderung nach Südafrika veranlaßt sahen. Schließlich stellt die bislang stets moderate Südafrikakritik Großbritanniens eine Belastung für seine Stellung im Commonwealth dar.
Die Position Frankreichs in der Franko-Afrikanischen-Gemeinschaft wird in ähnlicher Weise belastet. Von den übrigen EG-Staaten hat außer der Bundesrepublik Deutschland, deren Interessen in Südafrika aber ganz überwiegend wirtschaftlicher Natur sind, vor allem Portugal hier ein besonderes Engagement: Zum einen besteht ein Teil der in der Kolonialzeit entstandenen Wirtschaftsbeziehungen fort, zum anderen haben sich sehr viele der Mitte der siebziger Jahre aus Angola und Mozambique vertriebenen ca. 700 000 portugiesischen Siedler (sog. retornados) in Südafrika niedergelassen. Sie werden dort nur einer Katastrophe weichen.
Seit Jahren fordern die AKP-Staaten die EG und ihre Mitgliedsländer vergeblich zu einer entschiedenen Anti-Apartheid-Politik auf. Immerhin gelang es ihnen, im Dezember 1984 bei der Unterzeichnung der neuen (5.) EWG/AKP-Konvention (Lome III) erstmals die Verabschiedung einer gemeinsamen Erklärung durchzusetzen, in der ein Engagement der Unterzeichnerstaaten zur „Ausrottung“ der Apartheid bekundet wird Schon Anfang der achtziger Jahre war es eine Initiative des damals für die Entwicklungspolitik der Gemeinschaft zuständigen EG-Kommissars Claude Cheysson gewesen, welche neun schwarze Staaten des südlichen Afrikas sich zur Southern African Development Coordination Conference (SADCC) zusammenschließen ließ. Deren Ziel ist es, die infrastrukturelle und wirtschaftliche Abhängigkeit ihrer Mitglieder von der Republik Südafrika zu vermindern.
An dieser Stelle sei nur beiläufig vermerkt, daß die südafrikanische Politik der Apartheid in den USA 1985 zu einem Politikum geworden ist, das selbst eher liberale Republikaner veranlaßte, Gesetzesinitiativen zur wirtschaftlichen Isolierung Pretorias vorzulegen. 2. Zur neuen Rolle des Commonwealth Nach alledem konnte es nicht verwundern, daß das jüngste Treffen der Regierungschefs der 49 Staaten des Commonwealth im Oktober 1985 in Nassau/Bahamas ganz im Zeichen der uneingeschränkten Verurteilung der Politik Südafrikas stand. Außer Staaten der Dritten Welt forderten auch alte Dominions die Verhängung von Wirtschaftssanktionen. Vor allem Australien und Kanada meldeten sich lautstark zu Wort. Wenig beachtet wurde allerdings, daß es für diese Länder auch darum ging, mit Südafrika einen leistungsstarken Konkurrenten auf den Weltrohstoffmärkten zurückzudrängen. Das ändert nichts daran, daß London seit längerem nicht mehr so isoliert im Commonwealth dagestanden hat wie jetzt, da es sich die Forderung nach umfassenden Wirtschaftssanktionen nicht zu eigen machte. Immerhin stimmte auch Großbritannien dem in Nassau verabschiedeten „Commonwealth Accord on Southern Africa“ zu. Darin sind selektive Boykottmaßnahmen. genannt. Noch wichtiger war die in Nassau beschlossene und inzwischen erfolgte Entsendung einer Gruppe von sieben „hervorra-genden Persönlichkeiten“ aus Commonwealth-Staaten nach Südafrika. In Gesprächen mit politischen Führern des weißen wie auch des schwarzen Südafrikas (darunter auch dem nach wie vor inhaftierten früheren Präsidenten des African National Congress, Nelson Mandela) sowie Verantwortlichen der Kirchen und der Wirtschaft suchten die Mitglieder dieser Gruppe nach Möglichkeiten der Konfliktbeilegung. Diese Mission scheiterte u. a. an der Parteilichkeit der Mehrzahl ihrer Mitglieder. So ließ etwa der Australier Malcolm Fraser, der Anfang Juni zusammen mit dem Nigerianer Olusegun Obasanjo zu Gesprächen mit der Bundesregierung und deutschen Industriellen in Bonn und Köln weilte, erkennen, daß ihn die alles entscheidende Frage nach einem wirksamen Minderheitenschutz zugunsten der weißen und braunen Südafrikaner nicht beschäftigt hatte. Wahrscheinlich wäre Pretoria auch unparteiischen Mittlern unkooperativ begegnet. Aber man hätte eine solche Gruppe nicht so verhöhnt, wie es Ende Mai der Commonwealth-Gruppe widerfuhr, als während ihres Aufenthaltes in Südafrika Einheiten der South African Defence Forces (SADF) Dienststellen des ANC in Gaborone/Botswana, Harare/Zimbabwe und Lusaka/Zambia angriffen. Eine solche Politik mag die Regierung P. W. Bothas gegenüber ihren vielen rechten Kritikern entlasten, sie führtjedoch auch dazu, daß das Commonwealth, die EG, die USA, Japan u. a. weitergehende Sanktionen gegen Südafrika verhängen werden.
In keinem Land ist mehr Sachwissen zu Südafrika angesammelt als in der früheren Kolonialmacht Großbritannien. Insbesondere wissen dort sozialistische wie konservative Entscheidungsträger, daß unter den am Kap gegebenen Realitäten die machtpolitische Absicherung des Existenzrechts des weißen Südafrikas, insbesondere die des Afrikanerdonts („Burentums“), der Schlüssel zur Befreiung des schwarzen Afrikas ist. In anderen Ländern, darunter erstaunlicherweise auch in der Bundesrepublik Deutschland, ist diese Erkenntnis wenig verbreitet. Zu selten wird hier die alles entscheidende Frage gestellt, mit der Helmut Schmidt im Mai 1977 auf die Bemerkung von Vizepräsident Walter Mondale reagierte, der Westen müsse alles Erdenkliche tun, um Pretoria zur Aufgabe der Apartheid zu zwingen — „... and replace it by what“? 3. Hindernisse auf dem Weg zu einer konstruktiven Politik des Westens Es steht zu befürchten, daß die weitaus meisten Teilnehmer an den Konferenzen des Common10) wealth und auch jenen der Franko-Afrikanischen Gemeinschaft diese Fragestellung als obsolet ansehen. Sie machen sich, aus sehr unterschiedlichen Gründen, die Forderung des schwarzen Südafrikas nach „one-man-one-vote in a unitary state“ zu eigen. Die Regierungen in London und Paris werden sehr große Mühe haben, ihre Partner aus der Dritten Welt davon zu überzeugen, daß dies nicht die Antwort auf die südafrikanische Herausforderung sein kann. Einer der wenigen deutschen Politiker, die diese Problematik deutlich angesprochen haben, ist der heutige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Volkmar Köhler. Er äußerte im September 1982 in Johannesburg: „Nur derjenige vermag dem schwarzen Südafrika die Freiheit zu bringen, der auch das Existenzrecht der dort lebenden weißafrikanischen Nation absichert... Wer das nicht sieht, der bewirkt wenig mehr, als daß er Südafrika an einen Abgrund schrecklicher Gewalt führt.“ In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gab es zwischen südafrikanischen und deutschen Wissenschaftlern intensive Gespräche darüber, mit Hilfe welcher Formen staatlicher Machtteilung oder einer Teilung des Landes oder einer Kombination beider Vorstellungen sich der Südafrika-Konflikt lösen lasse Diese Diskussionen stießen übrigens in Großbritannien auf viel Interesse
Fatal war damals wie heute, daß einschlägigen Hinweisen Egon Bahrs und Otto Graf Lambsdorffs zum Trotz diese Diskussion in der westdeutschen Außenpolitik nie beachtet wurde. Die Bundesregierung hätte es hier nämlich in der Hand gehabt, zum besseren Gelingen jener Süd-afrika-Debatten beizutragen, welche die ihr eng verbündeten Staaten Großbritannien und Frankreich mit ihren schwarzafrikanischen Partnern führen.
Mit welchen Widerständen gegen eine Politik des Ausgleichs zu rechnen ist, haben Mitglieder des Europäischen Parlaments erst kürzlich bei einer Tagung der Paritätischen Versammlung der EWG/AKP-Staaten in Ezulwini/Swaziland erfahren: Mit der Unterstützung der Mitglieder der kommunistischen und der Regenbogen-Fraktionen verweigerten die AKP-Delegierten den Vertretern der in Pretoria Herrschenden einstimmig die Teilnahme an einem geplanten Anhörungsverfahren. Einzelne AKP-Delegierte vertraten die Meinung, die Zulassung von Vertretern Pretorias verletze die Würde der AKP-Staaten; andere äußerten, daß man sich nie auf Debatten mit den „Verbrechern aus Südafrika“ einlassen werde Die AKP-Gruppe wird dies lernen müssen; dies um so mehr, als, was zu begrüßen ist, an der vorangehenden Sitzung der Paritätischen Versammlung in Inverness/Schottland ein Vertreter des so bedeutsamen African National Congress (ANC) teilgenommen hatte Ähnlich fruchtlos ist die immer wieder anzutreffende, aber nicht näher qualifizierte Forderung, Sanktionen gegen Pretoria zu verhängen. Dies mit dem stillschweigenden Ziel, Südafrika ein System des „one-man-one-vote in a unitary state“ aufzuzwingen. Das wird nicht gelingen; andererseits erscheint hier die Verhängung selbst härtester Sanktionen nicht entbehrlich. Also gilt es, wie Heribert Weiland dies kürzlich forderte konkrete und realisierbare Vorstellungen von der Post-Apartheid-Ordnung zu haben. In der westlichen wie auch in der schwarzafrikanischen Diskussion wird nicht klar genug gesehen, daß der Widerstand Pretorias gegen Sanktionen eine Funktion des Ergebnisses sein wird, das von den Sanktionen verhängenden Staaten als Ziel ihrer Politik angegeben wird.
An diesem Mangel scheinen alle Sanktionsbeschlüsse zu leiden, die 1985/86 in den USA, Australien, Kanada, in verschiedenen skandinavischen Staaten, von der EG, zusätzlich von einzelnen ihrer Mitglieder, vom Commonwealth, von Japan u. a. gefaßt wurden
II. Anmerkungen zur südafrikanischen Regionalpolitik
Das Scheitern der von Chester A. Crocker konzipierten amerikanischen Politik des konstruktiven Engagements läßt allerdings fragen, ob Pretoria überhaupt ansprechbar ist. Denn anders als die naive und deshalb erfolglose Politik der Regierung Jimmy Carters stellt die neue amerika-nische Politik die berechtigte Existenzangst der weißen Afrikaner in Rechnung. Auch nach dem Regierungswechsel in Washington war Pretoria bestrebt, seine Politik der Apartheid fortzuführen und zu deren Absicherung dem übrigen südlichen Afrika eine „Pax Pretoriana“ aufzuzwingen Es nutzte die großen Schwächen der oft nur wenig repräsentativen, teils in Bürgerkriege verstrickten Regierungen der Nachbarstaaten sowie deren Abhängigkeit von Südafrika gekonnt aus.
Anfang 1984 gelang es amerikanischen und im Hintergrund gebliebenen portugiesischen Unterhändlern zwischen Südafrika und Mozambique den Abschluß eines „Antisubversionspaktes“ (Vertrag von Nkomati) sowie zwischen Südafrika und Angola die Unterzeichnung eines Truppenentflechtungsabkommens (Vertrag von Lusaka) zu vermitteln. Die Überlegung Washingtons dabei war, durch ein System dieser und weiterer friedensstiftender Verträge das regionale Umfeld Südafrikas zu befrieden und so die Chance zu erhalten, auch die internen Probleme der Republik Südafrika zu lösen. Der Vertrag von Nkomati beinhaltet die Verpflichtung der Regierungen in Maputo und Pretoria, die bisher geübte Politik der Destabilisierung der jeweils anderen Regierung aufzugeben. Pretorias Ziele aber waren andere. Ihm ging es um die Festschreibung seiner seit der Flucht der Portugiesen aus Afrika gefährdeten Vorherrschaft im Süden des Kontinents. So bemühte man sich in Pretoria, zunächst vergeblich, auch mit Botswana und Lesotho Antisubversionsabkommen zu schließen. 1. Das Interesse Pretorias an Antisubversionsverträgen Vieles spricht dafür, daß Maputo und Luanda, die allerdings über große Teile dieser „marxistischen“
Volksrepubliken die Kontrolle verloren hatten, sich vertragstreu verhielten. Pretoria hingegen hat den Vertrag nicht eingehalten; denn Maputo hinderte im Rahmen des ihm noch Möglichen den ANC daran, Mozambique weiter als Ausgangs-und Rückzugsbasis seiner Kriegführung in Südafrika zu benutzen; Pretoria hingegen unterstützte weiterhin den Kampf der Resistencia Nacional Moambicana (RNM). Es hatte deren Betreuung Anfang 1980 von dem gescheiterten rhodesischen Ministerpräsidenten Ian Smith übernommen. Der letztere hatte die RNM Mitte der siebziger Jahre aus dem Kreis abgehalfterter militärischer und ziviler Kollaborateure, sonstiger Gegner und enttäuschter Anhänger der politisch siegreichen mozambiquanischen Befreiungsbewegung FRE-LIMO rekrutiert. Die RNM ist bis heute arm an programmatischen Aussagen; auch fehlt es ihr allem Anschein nach weitgehend an Befehlsstrukturen. In Verbindung mit der langjährigen Mißwirtschaft Maputos ist es ihr jedoch gelungen, große Teile Mozambiques in einen Zustand bewaffneter Anarchie zu stürzen. Pretoria bemühte sich im Anschluß an die Unterzeichnung des Vertrages von Nkomati, nach Pretoria angereiste Unterhändler der FRELIMO und der RNM zu „Friedensgesprächen“ zusammenzuführen. Diese scheiterten wohl an der mangelnden Bereitschaft der RNM, in eine von FRELIMO geführte Koalitionsregierung einzutreten. Dennoch respektiert Maputo den mit Südafrika geschlossenen Antisubversionsvertrag bis heute.
Dasselbe tut das schwache Swaziland. Um so wichtiger wurden die Aktivitäten des ANC in Botswana und Lesotho. Daher konzentrierten sich die schwachen Streitkräfte Botswanas schon damals darauf, die Aktivitäten des ANC und der namibischen SWAPO (wie übrigens auch der wieder oppositionellen ZAPU Joshua Nkomos/Zimbabwe) zu kontrollieren Die Spannungen zwischen Südafrika und Botswana gipfelten im Juni 1985 in einem Angriff der South African Defence Forces (SADF) auf Dienststellen des ANC in Gaborone „Gespräche über Sicherheitsfragen“
führten dann zwar nicht zum Abschluß eines Antisubversionspaktes, jedoch zu einer Zusage Botswanas, sich nach „besten Kräften“ zu bemühen, ANC-Guerilleros an der Durchquerung des Landes zu hindern.
In Lesotho hatte sich der autoritär herrschende Ministerpräsident Leabua Jonathan von einem Günstling Pretorias zu einem Politiker entwickelt, der Südafrika sehr scharf angriff, Dienststellen des ANC ins Land holte und auch bei der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu der UdSSR, der VR China und Kuba keine Rücksicht auf die Interessen Pretorias nahm. Anschlägen der von Südafrika aus operierenden Lesotho Liberation Army und Angriffen der SADF auf Dienststellen des ANC im Dezember 1982 und Ende 1985 folgten im Januar 1986 rigorose Sicherheitskontrollen an der Grenze Südafrikas mit Lesotho, die einer Wirtschaftsblockade nahe kamen. Die Regierung in Maseru, die seit langem unpopulär war, wurde daraufhin von den paramilitärischen Streitkräften des Landes unter Justin Lekhanya im Januar 1986 gestürzt. Der seither regierende Militärrat hat mit der Politik Jonathans gebrochen. Die Angehörigen des ANC wurden des Landes verwiesen; die Zeit der Nadelstiche gegen Pretoria ist beendet. Auch im übrigen wird Maseru die ihm von Pretoria zugedachte Rolle spielen müssen. 2. Die südafrikanische SWA/Namibia-Politik Das angolanisch-südafrikanische Truppenentflechtungsabkommen von Februar 1984 („Vertrag von Lusaka“) sah die Rückführung der damals in Angola stationierten Einheiten der SADF in das nach wie vor von Südafrika besetzte Südwest-afrika (SWA) /Namibia vor. Es wurde erfüllt. Bei einer SWA/Namibia-Konferenz wurde im Mai -1984 in Lusaka der bislang letzte erfolgversprechende Versuch unternommen, SWA/Namibia in die international anerkannte Unabhängigkeit zu führen; dieses Vorhaben mißlang. Denn Südafrika, das von der übergroßen Stärke der SWAPO in SWA/Namibia weiß und sich vor ihr aus innenpolitischen (!) Gründen fürchtet, war nicht bereit, zur Ermittlung einer neuen Regierung für SWA/Namibia freie Wahlen zu veranstalten. Es strebte statt dessen für Windhoek die Bildung einer Regierung der nationalen Versöhnung an, der außer der SWAPO Repräsentanten der schwachen „internen“ Parteien angehören sollten. Für Vertreter der letzteren hatte Pretoria die Ressorts für innere und äußere Sicherheit vorgesehen. Pretoria scheiterte, da die SWAPO auf der Implementierung des in UN-SR-Res. 435 niedergelegten Planes zur Entlassung SWAs/Namibias in die Unabhängigkeit bestand. Er sieht bekanntlich die Abhaltung allgemeiner freier Wahlen (one-man-one-vote) vor. Einmal mehr war es Pretoria also gelungen, sich gegen die Realisierung dieses Planes zur Wehr zu setzen. Er war in der Zeit von März 1977 bis September 1978 von den in der „Kontaktgruppe“ auftretenden Staaten USA, Bundesrepublik Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Kanada erarbeitet worden.
Der erneute Erfolg Südafrikas läßt die Frage stellen, was Pretoria befähigte, hier über Jahre eine Politik der Obstruktion zu betreiben. Es war nicht — wie SWAPO, ANC/PAC, OAU u. a. immer wieder behaupten — eine „rassistische Verschwörung“ der führenden Westmächte mit Südafrika. Vielmehr scheiterte die westliche Politik daran, daß ihre seinerzeitigen Initiatoren, die damaligen Regierungen in Washington und Bonn, die Kräfte der Beharrung in Pretoria übersahen. Drei Geschehnisse mögen diese These belegen: Die „Fünf, bei denen sich London und Paris gegen Washington, Bonn und Ottawa nicht durchzusetzen vermochten, ignorierten vier Jahre lang die von Pretoria favorisierten und daher bedeutsamen internen Parteien. Sie sahen sich aus Furcht vor Gegensanktionen außerstande, Südafrika mit Hilfe von Zwangsmaßnahmen zum Nachgeben zu zwingen. Am verhängnisvollsten aber war, daß die für die Formulierung der Afrikapolitik in Washington, Bonn (und Ottawa) zuständigen Verantwortlichen politisch nicht zwischen dem SWA/Namibia-und dem Südafrika-Konflikt unterschieden. Die Lösung, die man damals für SWA/Namibia gefunden zu haben glaubte (oneman-one-vote in einem Staat), sie sollte auch für Südafrika Modellcharakter haben So waren die Initiatoren der neuen westlichen SWA/Namibia-Politik zugleich auch ihre Totengräber.
Crockers viel gescholtene Politik des „Cuban linkage“, d. h. die Verknüpfung der Implementierung der UN-SR Res. 435 mit dem Abzug der ca. 25 000 kubanischen Soldaten aus Angola, war dagegen nur der (fehlgeschlagene) Versuch, den UN-Plan doch noch zum Erfolg zu führen. So aber tritt der Krieg um SWA/Namibia jetzt in das dritte Jahrzehnt. Wo dies erforderlich ist, dringen die SADF bei der Bekämpfung der People’s Liberation Army of Namibia (PLAN) der SWAPO wieder nach Angola ein. Seit Juni 1985 schließlich amtiert in Windhoek abermals eine von Pretoria eingesetzte „Übergangsregierung“. Sie rekrutiert sich, wie ihre von 1980 bis 1983 „regierende“ Vorgängerin, aus Vertretern der internen Parteien. Sie ist jedoch noch schwächer als diese und entsprechend erfolglos. 3. Zur Rolle Südafrikas in Angola und Zimbabwe Bekanntlich unterstützt Südafrika in Angola die seit eh und je gefolgschaftsstarke Befreiungsbewegung UNITA in deren Kampf gegen die von den Sowjets und den Kubanern in Luanda an die Macht gebrachte und dort gehaltene „marxistische“ Regierung. Es heißt, daß nur die Unterstützung durch die SADF die Gueril-Ieros der UNITA im Herbst 1985 vor einer vielleicht entscheidenden Niederlage gegen die von kubanischen und sowjetischen Militärs unterstützten Streitkräfte der Regierung bewahrt habe.
Der Besuch, zu dem Präsident Ronald Reagan Jonas Savimbi, den Präsidenten der UNITA, im Januar 1986 empfing, war allem Anschein nach der Auftakt zu einer neuen amerikanischen Angola-Politik: Auch die USA werden UNITA jetzt militärisch und anderweitig unterstützen Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Neuorientierung auf das langjährige Bemühen Crockers auswirkt, die heute in Luanda herrschende MPLA und die UNITA zur Bildung einer Koalitionsregierung zu bewegen.
Weit verbreitet ist die Behauptung, Südafrika mache sich die Spannungen zwischen den Parteien ZAPU und ZANU in Zimbabwe zu Nutzen. Bewiesen ist hier allem Anschein nach nichts. Jedoch bietet die Regierung Robert Mugabes (ZANU) mit ihrer Politik der zwangsweisen Umwandlung des Landes in einen autoritär geführten Einparteienstaat Pretoria ideale Chancen der Einmischung. Diese Schwäche Zimbabwes mag mitursächlich für die Bereitschaft Harares gewesen sein, Ende 1985 mit südafrikanischen Militärs „gemeinsam interessierende Sicherheitsfragen“ zu besprechen. Auch die Regierung Zimbabwes weiß, daß auf absehbare Zeit kein Staat im südlichen Afrika die Sicherheitsinteressen Pretorias ungestraft mißachten kann.
III. Wohin bewegt sich die Republik Südafrika? — Einige Anmerkungen zu ihrer inneren Situation
Noch beherrscht das bevölkerungsarme weiße Südafrika dank seines viel höheren Entwicklungsniveaus seine Nachbarn. Seit knapp zwei Jahren stellt sich jedoch auch ihm in Sympathie begegnenden Beobachtern die Frage nach der inneren Stabilität der Republik am Kap. Bekannt wurden hier insbesondere die Zweifel der Geschäftswelt: Ausländische und, diese allerdings mit deutlichen Abstrichen, inländische Wirtschaftsführer verlangen jetzt fundamentale Veränderungen im Politischen. Sie fordern von der Regierung P. W. Botha Reformen, die diese nicht zu leisten vermag. Darüber sollten auch die Zusagen Bothas aus jüngerer Zeit, etwa die Anerkennung einer Staatsbürgerschaft für alle Südafrikaner und die „Abschaffung der , outdated‘ Apatheid“, nicht hinwegtäuschen. Er ist nämlich immer noch der Mann irreführender oder vernebelnder Worte, der im Politischen nur zu semantischen Veränderungen bereit ist. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß man in Pretoria mit sehr guten Gründen befürchtet, eine Beteiligung der Schwarzen an der zentralen staatlichen Macht in einem ungeteilten Südafrika werde nur die Vorstufe zur Übernahme aller Macht durch sie sein. Wer dem schwarzen Südafrika zuzuhören versteht — eine im Ausland nicht sonderlich verbreitete Fähigkeit —, dem ist klar, daß eher mehr denn weniger als 95 v. H.der weißen Afrikaner nach dem Verlust der politischen Macht das Land werden verlassen müssen Es gibt daher wohl keine friedliche Lösung des Südafrika-Konflikts.
Diese Erkenntnis läßt ausländische Unternehmen neuerdings sehr vorsichtig auftreten. Deutlich wurde dies u. a. an der Weigerung ausländischer Banken, die sich im Sommer 1985 unter Führung amerikanischer Geldinstitute weigerten, mit den in einer Liquiditätskrise befindlichen Schuldnern ein Umschuldungsabkommen zu schließen. Früher waren solche Vereinbarungen routinemäßig geschlossen worden. Die Folge war ein selbst verkündetes Auslandsschulden-Moratorium Pretorias. Nur so konnte der Fall des Rand ins Uferlose aufgehalten werden. Die südafrikanische Währung hatte nämlich während der vorangehenden zwei Jahre gegenüber wichtigen westlichen Währungen bereits 60 v. H. ihres Wertes verloren.
In der Folgezeit bemühte sich mit Fritz Leutwiler ein früherer Präsident der Schweizerischen Nationalbank um eine Regelung für die Rückzahlung der Forderungen von 30 Gläubigerbanken. Nicht nur die starkem innenpolitischen Druck ausgesetzten amerikanischen Banken drängten hier auf einen wirklichen politischen Wandel. Gefordert wurde insbesondere die Teilhabe der schwarzen Mehrheit (73 v. H.der südafrikanischen Gesamtbevölkerung) an der politischen Macht. Dazu ist man jedoch in Pretoria, wie ausgeführt, nicht bereit. Die Mission Leutwilers mußte jedoch auch daran scheitern, daß er es ablehnte, mit den ANC-Verantwortlichen zusammenzutreffen Es ist nicht ersichtlich, wie — wie jetzt geplant — ein Umschuldungsabkommen im Frühjahr 1987 geschlossen werden soll. So wird teils legal, teils illegal Kapital aus Südafrika abgezogen werden. Und neues Kapital wird nur in wenigen Ausnahmefällen, etwa um den Konkurs eines Unternehmens zu vermeiden, ans Kap fließen. Die Folge wird ein weiteres Anwachsen schwarzer und auch brauner Arbeitslosigkeit und damit des ohnehin sehr großen Unruhepotentials sein.
Das revoltierende schwarze (und teils auch braune) Südafrika, darunter auch viele führende Vertreter des Ende 1985 gegründeten Congress of South African Trade Unions (Cosatu), begrüßt gleichwohl die Verhängung solcher „privater“ Sanktionen. Auch im übrigen läßt es wenig unver-sucht, ausländische Unternehmen für die Dauer seines Kampfes zum Rückzug zu veranlassen. Solange die westlichen Regierungen nicht, wie jetzt unter Verstoß gegen das südafrikanische Strafrecht von Namzamo („Winnie“) Mandela und Erzbischof Desmond Tutu gefordert wurde, massive Sanktionen gegen Pretoria verhängen, werden die schwarzen Revolutionäre diesen Weg gehen. 1. Das schwarze Südafrika in seiner neuen Rolle Schwarzer Widerstand gegen Apartheid und für eine Herrschaftsumkehr präsentiert sich heute auf vielen Ebenen Unruhen in schwarzen und vereinzelt auch braunen „townships“ (Vorstädte), Unterrichtsboykotte von Schülern und Studenten („liberation first — education later“), Boykotte „weißer“ Geschäfte, politisch motivierte Arbeitsniederlegungen und Streiks bewaffnete Anschläge im „weißen“ Südafrika und auch in den von Pretoria für unabhängig erklärten Reservaten, die Politisierung des Lebens sehr vieler schwarzer und nicht weniger brauner Kirchengemeinden u. a.
Das alles hat in jüngerer Zeit zu einer enormen Aufwertung des internationalen Status des ohnehin bedeutsamen ANC und der ihm nahestehenden, von Pretoria bislang geduldeten United Democratic Front (UDF) geführt. So trafen sich zunächst südafrikanische Industrielle im Herbst 1985 in Luangwe/Zambia mit der Spitze des ANC unter seinem amtierenden Präsidenten Oliver Tambo. Ein kurz darauf veröffentlichter Beitrag Gavin Rellys, des Vorstandsvorsitzenden der Anglo-American Corporation of South Africa, in einer amerikanischen Tageszeitung verdeutlichte, daß die Teilnehmer an diesem Gespräch auch im Politischen durch einen tiefen Graben getrennt waren. In der sonstigen westlichen und in der südafrikanischen Presse wurde das häufig nicht deutlich ausgesprochen. Den Wirtschaftsführem folgten Besuchergruppen der liberalen Oppositionspartei Progressive Federal Party, Vertreter der Kirchen, Vertreter der in Cosatu zusammengeschlossenen Gewerkschaften u. a.; sie alle trafen in Zambia mit Vertretern des ANC zusammen. Ihnen folgten bezeichnenderweise keine Delegationen der immer noch sehr gefolgschaftsstarken INKATHA-Bewegung Gatsha Buthelezis der im National Forum zusammengeschlossenen, dem Pan Africanist Congress (PAC) nahestehenden Organisationen des Schwarzen Bewußtseins, und auch keine Delegation der Regierung in Pretoria. Den ersteren macht der ANC — übrigens ein wichtiges Indiz für sein Demokratieverständnis — die Existenzberechtigung oder sogar die Existenz streitig. Und dem ganz unverzichtbaren Dialog Pretorias mit dem ANC steht (noch) die beiderseitige Forderung entgegen, die jeweils andere Seite müsse zuvor auf die Anwendung von Gewalt verzichten. Dazu aber sind beide Seiten derzeit nicht bereit.
Vor allem an den Unruhen in vielen schwarzen Vorstädten wird heute deutlich, daß das schwarze Südafrika jetzt Mittel und Wege gefunden hat, Pretoria Paroli zu bieten. Selbst der im Oktober 1984 erstmals bekanntgegebene Einsatz der südafrikanischen Verteidigungskräfte (SADF) in diesen Städten und die zeitweilige Verkündung des Notstandes in Teilen des Landes haben nicht zu verhindern vermocht, daß die häufig noch sehr jungen Revolutionäre manches ihrer Ziele erreichten. So gelang es ihnen, ganze Vorstädte un-regierbar zu machen. Deren Befreiung begann mit der Vertreibung oder Liquidierung der schwarzen Stadträte, Polizisten, Informanten und sonstigen Kollaborateuren. Auch wer von den übrigen Bewohnern der Vorstädte sich den häufig rabiaten Befehlen der Revolutionäre widersetzte, etwa Käufer-Boykotte mißachtete, der bekam die revolutionäre Rechtsprechung von Volksgerichten in ihrer brutalen Härte zu spüren. Inzwischen haben Straßen-Komitees in mancher Vorstadt die Aufgaben der früheren Stadtverwaltungen übernommen; dies etwa im Polizeiwesen, beim Einziehen der Mieten und wohl auch im Schulwesen. Hier ist Pretoria bislang ohnmächtig.
Es sind wohl weniger ANC und PAC, die diese Aufstände organisieren; sie werden vielmehr überwiegend von autonomen, der UDF verbundenen Gruppen Jugendlicher getragen. Für die meisten dieser Gruppen ist allerdings der ANC das Symbol des schwarzen Befreiungskampfes schlechthin. Hinter der Fassade des Kampfes gegen Pretoria findet eine Fülle weiterer Auseinandersetzungen statt. Es werden viele alte und neue Rechnungen beglichen: Im östlichen Kap bekriegen sich ANC/UDF-und PAC/NF-Gruppen im Kampf um die Macht in einer künftigen Volksrepublik Azania. Im Raum Durban ringen Gruppen INKATHAs und solche von ANC/UDF um die Vormacht unter den schwarzen Südafrikanern. Die erzwungene Ineffizienz von Teilen der Polizei begünstigt die Begehung auch schwerster Straftaten, da diese häufig nicht mehr geahndet werden. Tribalistische Auseinandersetzungen vor allem zwischen Xhosas und Zulus machen Schlagzeilen: ebenso Kämpfe zwischen Schwarzen und Indern.
Gerade die zuletzt erwähnten Auseinandersetzungen lassen die Frage aufkommen, welche Glaubwürdigkeit die Äußerungen von ANC und UDF haben, in denen von dem Erfordernis gesprochen wird, in Südafrika eine „nicht-rassische Demokratie“ einzuführen. Denn was die schwarzen und die indienstämmigen Südafrikaner anbelangt, so trennt sie viel mehr als sie eint.
Wenn sich Oliver Tambo in einem Interview mit einer südafrikanischen Tageszeitung und in einem Vortrag vor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn unter Berufung auf die Französische und die Nordamerikanische Revolution zum System einer liberalen Demokratie bekennt so wird der Sachkundige seinen Worten keinen Glauben schenken können. Nur eine sehr oberflächliche, allerdings ebenso weit verbreitete Betrachtungsweise wird verkennen, daß es sich bei dem Südafrika-Konflikt um weit mehr als um eine rassische und soziale Auseinandersetzung handelt. In Südafrika begegnen sich zwei politisch völlig unterschiedliche, miteinander nicht kompatible politische Kulturen. Das weiße und zumindest Teile des braunen Südafrikas wollen für sich eine westliche demokratische, pluralistische Ordnung. Das schwarze Südafrika hingegen wird sich, nicht anders als das übrige schwarze Afrika in den zurückliegenden 25 Jahren, entsprechend seinen eigenen Werten in einer ihm gemäßen Form staatlich or38) ganisieren. Es wird mit Sicherheit den Weg gehen, den jetzt Zimbabwe nimmt.
Insbesondere die von einem afrikaansen (!) Verlagshaus verlegte Johannesburger Wochenzeitung City Press hat im Sommer 1985 immer wieder von schweren Verbrechen, darunter zahlreichen Morden, berichtet, die in den Vorstädten eingesetzte Soldaten und Polizisten dort begangen hatten. Auch machten immer wieder Vorfälle Schlagzeilen, bei denen die staatlichen Ordnungskräfte Aufständische durch Schüsse in den Rücken töteten. Das Parlament in Kapstadt hat die Polizisten und Soldaten des Regimes inzwischen durch eine Gesetzesinitiative von jeder zivil-und strafrechtlichen Verantwortung freigestellt. Die Folge war eine weitere Polarisierung zwischen den Bewohnern der Vorstädte und den als Besatzern empfundenen Soldaten und Polizisten.
Diese Vorkommnisse sind der Hintergrund, vor dem die Äußerung N. Winnie Mandelas von April 1985 zu sehen ist, das schwarze Südafrika werde sich mit Hilfe von Streichhölzern und „Halsketten“ („necklaces") befreien. Sie spielte damit auf jene auch im Ausland gezeigten Fernsehfilme an, die zeigten, wie angeblichen Kollaborateuren Autoreifen über den Körper gezogen, mit Benzin übergossen und angezündet wurden. Solche „Halsketten“ zieren inzwischen auch den in der nahe Johannesburg gelegenen Vorstadt Alexandra eingerichteten Volksgerichtshof. Die revolutionäre Gewalt ist natürlich nicht minder brutal als die Pretorias. Verwunderlich ist nur, weshalb die Bekenntnisse von ANC und UDF zur Gewaltlosigkeit im Westen immer noch geglaubt werden.
In etlichen schwarzen Vorstädten haben sich „vigilante“ Gruppen zur Bekämpfung des revolutionären Terrors gebildet Auch sie scheinen in der Wahl ihrer Mittel wenig wählerisch. Eine neue Dimension werden die Kämpfe erreichen, wenn die Revolutionäre aus den Vorstädten in die weißen Städte vordringen. Dies schien schon bei den Unruhen in der Umgebung von Kapstadt und auch in Alexandra 1985/86 möglich. Hinter dem dann zu erwartenden Widerstand werden nicht nur die Milizen („Brandwag“) der faschistischen „Afrikaner Weerstandsbeweging“ stehen. Denn das gesamte weiße und große Teile des gemischt-rassigen und indienstämmigen Südafrikas haben vor der Herrschaft des schwarzen Südafrikas Angst. Sie werden sich mit allen Mitteln zur Wehr setzen.
Auch die politischen Streiks vor allem des schwarzen Südafrikas bedrohen die weiße Herrschaft. Manches wird für die Zukunft davon abhängen, ob es Cosatu gelingt, über ihre ca. 500 000 Mitglieder hinaus weitere Unterstützung zu finden. Ein Problem wird sein, daß der dem PAC/NF verbundene Council of Unions of South Africa (Cusa) Cosatu nicht beigetreten ist. Dasselbe gilt für die neu geschaffene Gewerkschaftsbewegung INKATHAs, die United Workers’ Union of South Africa (Uwusa). Alle Gewerkschaftsverbände verstehen sich auch als Repräsentanten politischer Interessen. Die politischen Streiks vom November 1984, vom 1. Mai und von Mitte Juni 1986 haben deutlich gemacht, welch mächtiger Gegner Pretoria hier entstanden ist.
Vor wenigen Jahren traten die im South African Council of Churches (SACC) organisierten protestantischen Kirchen und die Southern African Catholic Bishops’ Conference mit einer viel beachteten Dokumentation über die Abschiebung („relocation“) „unproduktiver“ oder „nicht mehr produktiver“ Schwarzer in die Reservate hervor Sie wurde im März 1984 von einer ökumenischen Delegation südafrikanischer Geistlicher u. a. in der Bundesrepublik Deutschland vorgestellt. Mitglieder der Delegation zogen dabei Parallelen zwischen diesen Aspekten der Apartheid und der Politik der Vernichtung in-und ausländischer Juden im Dritten Reich Wer die Rolle der südafrikanischen Kirchen im heutigen Ringen um Südafrika richtig einschätzen will, der muß berücksichtigen, daß nur eine sehr kleine Zahl weißer Protestanten und Katholiken hinter dieser und vergleichbaren Dokumentationen steht. Die übrigen Mitglieder der im SACC organisierten weißen Gemeinden wie auch der weißen Gemeinden der Katholiken sehen den Südafrika-Konflikt nicht anders als die weißen (und viele braune) Mitglieder der Niederländisch Reformierten Kirchen. Es sollte nicht übersehen werden, daß auch diese weißen Christen mehrheitlich die Nasionale Party van Suid Afrika des Staatspräsidenten P. W. Botha wählen.
Aus unerfindlichen Gründen wird dies selbst in kirchlichen Kreisen auch der Bundesrepublik häufig nicht gesehen. Selbst die rassisch integrierten Kirchen (Anglikaner, Methodisten, Katholiken u. a.) sind faktisch entlang der Rassengrenze tief gespalten. Immerhin waren es Mitglieder dieser Kirchen, die Anfang 1980 in Hammanskraal/Transvaal erstmals von dem Erfordernis der Gründung einer überkonfessionellen Bekennenden Kirche, einer Kirche des Protestes und der
Befreiung sprachen. Die Wahl Desmond Tutus zum Erzbischof von Kapstadt und damit zum Oberhaupt der Anglikanischen Kirche wird, wenn er weiterhin zu wirtschaftlichen und sonstigen Sanktionen gegen Pretoria aufruft, seine Kirche vor eine Zerreißprobe stellen. Dasselbe gilt für alle anderen Kirchen, deren Repräsentanten bei der Nationalkonferenz 1985 des SACC einer Politik des „Desinvestment und ähnlichen wirtschaftlichen Drucks“ das Wort redeten. Die Schwarzen befürworten eine solch harte Linie, von Seiten der Weißen tut dies kaum jemand. Was die Braunen anbelangt, so ist nicht recht zu ermitteln, wohin die Mehrheit tendiert.
Viel Zündstoff enthält auch das kürzlich verabschiedete „KAIROS-Dokument“ Einzelne Mitglieder wohl aller Konfessionen bekennen sich darin in einer überaus deutlichen Sprache zur Theologie der Befreiung. Der weiße Christ, gleichgültig ob Mitglied einer der SACC-Kirchen oder einer der Niederländisch Reformierten („burischen“) Kirchen oder Katholik liest es in Furcht vor der Herrschaft der so gefolgschaftsstarken schwarzen Revolutionäre. Wie gespannt das Verhältnis zwischen Christen unterschiedlicher rassischer Zugehörigkeit in Südafrika in der Regel ist, mag sich auch aus dem Umstand erhellen, daß es selbst in katholischen Klöstern immer wieder zu offenbar kaum überwindbaren Spannungen zwischen Schwarz und Weiß kommt. 2. Überlegungen zu möglichen weißafrikanischen Rückfallpositionen Getreu dem 1978 ausgegebenen Wahlspruch „Adapt or die!“ hat die Regierung Pieter Willem Bothas seither eine Fülle bedeutsamer Änderungen beschlossen: die Zuerkennung der Tariffähigkeit an schwarze Gewerkschaften; die Abschaffung des den Schwarzen besonders verhaßten Paßwesens („influx control", „dompas“) und seine Ersetzung durch eine im einzelnen noch nicht bekannte Politik der „orderly Urbanisation“; die Aufhebung des Verbots mehrrassiger politischer Parteien; die Zulassung schwarzer Erbpacht und demnächst vielleicht auch schwarzen Grundstückseigentums im „weißen“ Südafrika; die Abschaffung der gesetzlich verankerten „job reservation"; die Aufhebung des Verbots der Eheschließung zwischen Weißen und NichtWeißen sowie des Verbotes geschlechtlicher Beziehungen über die Rassengrenzen hinweg; die Bereitschaft, „Coloureds" und „Inder“ in aller-dings noch nicht nennenswerter Form in das politische System der Weißen aufzunehmen die Bereitschaft, auf lokaler und regionaler Ebene im „weißen“ Südafrika auch die schwarzen Südafrikaner an der politischen Macht zu beteiligen; die Abschaffung der Rassenschranken in weiten Teilen des Hotel-und Transportwesens u. a. Alle diese Reformen haben allerdings die Substanz weißafrikanischer staatlicher Macht nicht angetastet.
Ließe man dem Konflikt freien Lauf, so wäre sein Ergebnis wahrscheinlich die Zweiteilung des Landes in der Art, wie sie zwischen Indien und Pakistan, Israel und Jordanien und auf Zypern in der Vergangenheit zustande gekommen ist.
Zweiteilung als Ergebnis oder doch als Alternative zum Holocaust, das waren die Kommentierungen u. a.der südafrikanischen Experten Frederik Van Zyl Slabbert und David Welsh sowie des Amerikaners C. L. Sulzberger zu den zunächst in Deutschland und dann in Südafrika veröffentlichten Modellen einer Zweiteilung Südafrikas Den damals auch publizierten detaillierten Landkarten ist zu entnehmen, daß Pretoria bereits vor langem daran gegangen war, im westlichen Kap, dem weiß/braunen Rumpfstaat, ein unabhängiges Infrastrukturnetz zu entwickeln.
Trotz der unstreitig schlechten Voraussetzungen haben in-und ausländische Wissenschaftler, da-runter vor allem die Niederländer Arend Lijphart und Gerda Vierdag, die Deutschen Theodor Hanf und Heribert Weiland sowie die Südafrikaner Lawrence Schlemmer, Frederik Van Zyl Slabbert und David Welsh den Versuch gemacht, für ein ungeteiltes Südafrika ein System des gemeinsamen Herrschens aller Bevölkerungsgruppen („Herrschen kraft Konsensus“, „Permanente Große Koalition“, „Konkordanzdemokratie“) zu entwickeln Es spricht vieles dagegen, daß es so gelingen wird, um dies mit den Worten Helmut Gollwitzers zu sagen, „die Befreiung der weißen Minderheit in Südafrika von ihrer (Existenz-) Angst als einem psychologisch zentralen Problem“ zu bewirken.
Weiße Sicherheit ist der Schlüssel zu schwarzer Freiheit. Wie kann weiße Sicherheit erreicht werden? Vielleicht hat Arend Lijphart in seinem jüngsten Werk die Antwort gegeben Bevor im übrigen Südafrika ein konkordanzdemokratisches System eingeführt wird, wird das westliche Kap aus der heutigen Republik Südafrika ausgegliedert. Es wird nämlich den weißen und braunen Afrikanern als Fluchtburg Vorbehalten sein. Zu ergänzen ist, daß die Grenzen dieses Rumpfstaates durch die Anrainer und die führenden Westmächte zu garantieren sind. Letzteres ist wohl am ehesten durch die Aufnahme des weiß/braunen Rumpf-staates in die westliche Allianz zu erreichen.