I. Einleitung
Geht man hypothetisch davon aus, daß Südafrika mittelfristig keine schwarze Revolution oder extrem „rechte“ Machtübernahme erleben wird, dann bleibt die durch die weiße Bevölkerungsgruppe gestellte Regierung der entscheidende Akteur bezüglich der politischen Zukunft des Landes. Ihre Handlungsoptionen sind begrenzt durch die Struktur der südafrikanischen Gesellschaft mit dem dominierenden Gegensatz „SchwarzWeiß“: auf sozio-kultureller Ebene (unterschiedliche Rasse, Sprache, Religiosität, Lebensweise etc.), auf wirtschaftlicher Ebene (priviligierte weiße Minderheit) und auf politischer Ebene (einseitige Machtausübung durch die weiße Minderheit) Das aus dieser Struktur resultierende Konfliktpotential entfaltet sich im Lande selbst wie in der internationalen Gemeinschaft, wo seit der Entkolonialisierung „koloniale Ausbeutung“, Rassendiskriminierung und Minderheitsherr-schaft elementare Menschenrechtsnormen verletzen
Die zunehmende Mobilisierung dieses Konfliktpotentials in den letzten Jahren hat Konsequenzen zur Folge, welche die Handlungsfähigkeit der Regierung weiter einschränken: 1.der Druck der Anti-Apartheid-Opposition in Südafrika; 2.der Druck des Auslands; 3. die Haltung der weißen Bevölkerung; das „Innenleben“ der Regierung in der Krise. Inwiefern ist die Regierung durch diese Faktoren bedroht? Welche Optionen verbleiben ihr in den zentralen regelungsbedürftigen Bereichen „räumliche Rassentrennung“, „schwarze Erziehung“, „sozio-ökonomische Partizipation der Schwarzen“, „politische Partizipation der Schwarzen“ und „nationale Sicherheit“? Welche Konsequenzen ergeben sich für die Südafrika-Politik des Westens?
II. Vier Faktoren bestimmen den aktuellen Handlungsrahmen
1. Politische Mobilisierung der Schwarzen Die politische Mobilisierung der Schwarzen ist seit dem Herbst 1984 rapide gewachsen. Dies wird durch die hohe Beteiligung an Protestaktionen (Demonstrationen, politische Streiks, Boykotts etc.) und etliche Umfragen bestätigt: Eine Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, daß „politische Mißstände“ im Bewußtsein städtischer Schwarzer inzwischen einen ähnlich hohen Stellenwert erreicht haben wie unmittelbare soziale Anliegen (Löhne, Preise, Beschäftigung, Wohnung, Erziehung). Über 40% der schwarzen Industriearbeiter glauben, daß eine schwarze Mehrheit dem ANC beim Guerillakampf helfen würde 4).
Auslöser dieser politischen Mobilisierung waren u. a.: eine wachsende Frustration (besonders der Jugendlichen) in der urbanisierten und gettoisierten schwarzen Bevölkerung vor dem Hintergrund von Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und (nach zeitweise rascher Erhöhung) sinkendem Lebensstandard; die politisch sensibilisierende und hohe Hoffnungen erweckende Reformdiskussion sowie ermutigende Signale aus dem Ausland. Inhaltlich richtet sich der Protest vorwiegend gegen die noch heute bestehenden Elemente der räumlichen Rassentrennung (getrennte Wohngebiete, Homeland-Politik), die Diskriminierung der Schwarzen im Erziehungswesen, die Verweigerung politischer Rechte für Schwarze auf nationaler Ebene sowie die rigorose Durchsetzung „innerer Sicherheit“ (Ausnahmezustand) durch die Regierung. Eine stark emotional und von geringem politischen Wissen geprägte Radikalisierung wird zudem in der Verbindung von Apartheid-Kritik und „Sozialismus“ (77% der städtischen Schwarzen forderten 1985 den „Sozialismus“) deutlich. Fanatismus und Verzweiflung einer perspektivlos gewordenen Jugend zeigten sich u. a. in einer enormen Zerstörungswut sowie im brutalen Vorgehen gegen sogenannte „Kollaborateure“. 2. Die Anti-Apartheid-Opposition Die Bedeutung der einen Teil dieses Protests zusammenfassenden Oppositionsgruppen für die Regierung (Potential zum revolutionären Kampf/zum reformerischen Kompromiß) hängt von zwei Faktoren ab: Zum einen von ihrer Mitglieder-bzw. Anhängerstruktur sowie ihrer Organisation, Führung und Operationsbasis (Stadt, Land, Ausland); zum anderen von ihrem Konzept (weltanschaulich-ideologische Ausrichtung, Strategie, Kompromiß-und Integrationsfähigkeit).
Die wichtigsten, im folgenden vorgestellten politischen Organisationen der Opposition sowie die sich oppositionell organisierenden gesellschaftlichen Gruppen (Wirtschaft/Presse, Gewerkschaften, Kirchen) bieten unter diesen Aspekten ein recht heterogenes Bild a) African National Congress (ANC)
Die in Südafrika verbotene, aus dem Exil operierende Organisation ANC strebt programmatisch — laut „Freiheitscharta“ von 1955 — einen multi-rassischen, demokratischen Staat mit allgemeinem Wahlrecht, garantierten Menschenrechten und Kulturautonomie an. Eine zunehmend sozialistische Ausrichtung (Bergbau, Banken und Schlüsselindustrien sollen nationalisiert, der Boden umverteilt werden) beruht z. T. auf dem Einfluß der SACP. Strategisch operiert der ANC heute auf drei Ebenen: Durch weltweite diplomatische Aktivitäten und Pressearbeit mobilisiert er die internationale, durch gewaltfreie Aktionen im Lande (aber auch Werbung für die Guerilla-Ausbildung) die nationale Öffentlichkeit; durch einen begrenzten Terror (der seit der Konferenz von Kabwe 1985 auch zivile, „weiche“ Ziele nicht mehr schont) versucht er, militärische Kapazitäten der Regierung zu binden und sie wirtschaftlich zu schwächen -Der ANC hat sein Selbstverständnis eng mit dem Ziel einer revolutionären Ablösung der weißen Regierung verbunden, was seine Fähigkeit zu Verhandlungen erheblich einschränkt. Von den beiden anderen (verbotenen) Exilorganisationen spielt der PAC keine wesentliche Rolle mehr; die SACP operiert — mit erheblichem Einfluß — nur innerhalb des ANC und besonders seines „Nationalen Exekutivkomitees“. b) United Democratic Front (UDF)
Die UDF wurde 1983 als multirassischer und sehr lose organisierter Dachverband von heute rund 700 kommunalen, kirchlichen und gewerkschaftlichen Basisorganisationen mit rund zwei Millionen Mitgliedern gegründet Die programma-tische Grundlage der ideologisch sehr heterogenen UDF (liberale Bürgerrechtsvereine, christliche Gruppen, sozialistische Gewerkschaften, Marxisten, afrikanische Nationalisten u. a.) ist im wesentlichen auf das Bekenntnis zur „Beseitigung der Apartheid“ und zu einem per Nationalversammlung zu erreichenden „demokratischen“ Staat begrenzt. Strategisch verfolgt die UDF die Linie des „non-involvement", d. h., sie ist zu keinerlei Mitarbeit im Rahmen des Systems bereit und versucht statt dessen die Bevölkerung vor allem über Aktionen des zivilen Ungehorsams (Protestmärsche, politische Streiks, Konsum-und Schulboykotts, Aufruf zu Disinvestment etc.) politisch zu mobilisieren und so Südafrika „ unregierbar“ zu machen. c) National Forum (NF)
Das gleichfalls 1983 gegründete National Forum (NF) unterscheidet sich organisatorisch und strategisch wenig, programmatisch indes erheblich von der UDF. Es versucht unter den „Schwarzen“ Selbstvertrauen, Selbsthilfe und Besinnung auf die eigene Geschichte zu wecken. Auf multi-rassische Regierungsformen, eine Nationalversammlung und Minderheitenschutz allein will sich das NF nicht einlassen. Ziel ist ein „sozialistisches Azania“. d) Inkatha Nkululeko yeSizwe Die Massenbewegung Inkatha wurde 1975 von Chief Mangosuthu Gatsha Buthelezi begründet. Über eine Million beitragszahlende Mitglieder (meist Arbeiter und Bauern, mehrheitlich Zulu) sind in rund 2000 Ortsgruppen straff organisiert. Die Politik der Bewegung bestimmt die basisdemokratisch gewählte, jährlich tagende General-versammlung; die Geschäfte führt das vom Präsidenten geleitete Zentralkomitee. Programmatisch setzt sich Inkatha für einen multirassischen südafrikanischen Einheitsstaat (bei gewisser Offenheit gegenüber föderalen Lösungen) ein. Die Homeland-Politik wird scharf abgelehnt. Aus weltanschaulichen (christliche Prägung) und strategischen (Betonung von Arbeiter-und Konsumentenmacht) Gründen legt Inkatha großen Wert auf die Entwicklung und Erziehung der Schwarzen. Der bewaffnete Kampf wird als aussichtslos und — wie auch alle Wirtschaftssanktionen — gegen die Interessen des Volkes gerich-* tet abgelehnt. Streiks und Konsumentenboykotts zu politischen Zwecken befürwortet Inkatha dagegen im Prinzip, wenngleich man die Zeit dafür noch nicht gekommen sieht.
An Gesprächen mit der Regierung will Buthelezi erst dann teilnehmen, wenn diese sich in einer Absichtserklärung zur Abschaffung der Apartheid und zur Machtteilung bereit erklärt hat. Das Amt des Premiers des Homelands KwaZulu hat er übernommen, weil nur so zu verhindern sei, daß die Regierung mit Hilfe fügsamer Marionetten das Homeland in eine sogenannte „Unabhängigkeit“ treibe; die Homeland-Institutionen sollen vielmehr zu Waffen des Widerstands umfunktioniert werden. e) Progressive Federal Party (PFP)
Die 1977 gegründete (bis 1985 rein „weiße“) PFP hat fast ausschließlich englischsprachige Mitglieder (1983: 92, 5%) und Wähler (1981: 20% der weißen Stimmen, 27 Parlamentssitze) aus der Mittel-und Oberschicht. Programmatisch lehnt sie die zwangsweise entlang der Rassengrenzen verfaßte Gesellschaft radikal ab. Sie tritt für Chancengleichheit und ebenbürtige Staatsbürgerschaft für alle in einem demokratisch und föderal verfaßten Staatswesen ein, in dem keine Gruppe eine andere dominieren kann. Strategisch versucht die PFP — über die klassische parlamentarische Opposition hinaus — den nationalen Dialog zwischen den Führern aller Bevölkerungsgruppen zu fördern. Der Gewaltanwendung steht die PFP strikt ablehnend, der Strategie des „non-involvement“ sehr skeptisch gegenüber. f) Die Wirtschaft Im Hinblick auf ihre wirtschaftlichen Interessen (Bedrohung durch Rezession, Währungsverfall, Wirtschaftssanktionen, schwarze Forderungen nach einer sozialistischen Wirtschaftsordnung) hat seit Ende 1984 — unter Einschluß des schwarzen und des afrikaansen Unternehmertums — auch die „Business Community“ offen Position gegen die Apartheid bezogen Führende Wirtschaftler — die meist PFP-Positionen vertreten — trafen sich mehrfach mit dem ANC. Glaubwürdigkeit und Nachdruck verleiht die Wirtschaft ihrer Opposition u. a. durch Stipendienfonds und die Beteiligung an Entwicklungsorganisationen („Urban Foundation“, „Small Business Development Corporation“). g) Die Gewerkschaften Unter den Gewerkschaften sieht vor allem der Ende 1985 gegründete, 500 000 Mitglieder umfassende Dachverband COSATU seine Hauptaufgabe im politischen Bereich. Mit einem aggressiven und kompromißlosen Konzept (Disinvestment, Verstaatlichung der Schlüsselindustrien) strebt COSATU eine dominante Position innerhalb der dem „non-involvement“ verpflichteten Opposition an und konkurriert hier z. T. mit der UDF.
Im Gegensatz zu COSATU sowie den dem NF nahestehenden und eng miteinander kooperierenden Verbänden CUSA und AZACTU (zusammen rund 200 000 Mitglieder) tritt der mit 550 000 Mitgliedern zahlenmäßig stärkste, jedoch politisch recht inaktive TUCSA für einen Wandel durch Reformen und für ausländische Investitionen ein. Die Streikentwicklung (1983: 396, 1984: 394 Streiks von meist weniger als drei Tagen) bietet bislang ein nach internationalen Maßstäben recht friedliches Bild. Allerdings nehmen besonders politisch motivierte Streiks zu. Wie in der britischen und deutschen Geschichte scheint zu gelten: „Wo politische Führer fehlen, müssen Gewerkschaften — um glaubwürdig zu bleiben — politische Forderungen artikulieren.“ h) Die Kirchen Die breite kirchliche Opposition gegen die Apartheid wird vor allem vom SACC (23 Kirchen und elf religiöse Organisationen mit Millionen Mitgliedern) und der Katholischen Kirche getragen. Auf der Basis einer entstehenden „schwarzen Theologie“ 13) kooperiert der SACC eng mit der UDF. i) Die Presse Die Positionen der nicht verbotenen Opposition werden ausgiebig in der (traditionell von britisch-stämmigen Unternehmern beherrschten und regierungskritischen) Presse artikuliert — wobei kritisch-liberale Positionen eher in den „weißen“, englisch-, aber auch afrikaansprachigen Blättern (Beeid, Die Vaderland u. a.) zu Worte kommen, frontal das System bekämpfende eher in „schwarzen“ (in weißem Eigentum befindlichen) Blättern. Die Pressefreiheit läßt sich in vielen Bereichen (Wirtschaft, Meinungsteil) an westlichen Maßstäben messen; in Polizei-, Militär-und Rassenfragen indes unterliegt die Berichterstattung — besonders unter dem Ausnahmezustand — erheblichen Einschränkungen. j) Die strategisch gespaltene Anti-Apartheid-Opposition Konflikt und Kooperation innerhalb der Opposition werden, da alle Gruppen primär die Abschaffung der Apartheid bzw. ihre eigene Machtübernahme im Auge haben und sich nicht durch zu detailliert und entschlossen vertretene Zukunftskonzepte breiten Bevölkerungsgruppen entfremden wollen, hauptsächlich von Strategie-fragen bestimmt. Darüber gibt es Konflikte zwischen und in allen Gruppen; zunehmend vertieft sich jedoch die Polarisierung zwischen zwei schärfstens miteinander rivalisierenden potentiellen Koalitionen: 1.der „non-involvement“ -Opposition — einer der schwarzen Mehrheit und der totalen Verweigerung gegenüber dem System verpflichteten, die „Nebenwirkungen“ von Disinvestment, Schulund Konsumentenboykott in Kauf nehmenden und prinzipiell dem bewaffneten Kampf gegenüber aufgeschlossenen Koalition aus den Exilorganisationen (ANC, PAC, SACP), dem NF sowie der Mehrheit der UDF, der politisch organisierten Gewerkschaften (COSATU, CUSA, AZACTU) und der oppositionellen Kirchen; 2.der „involvement“ -Opposition — einer das föderal verfaßte Miteinander von Minderheiten anstrebenden, innerhalb des Systems arbeitenden, strikt gegen Disinvestment und bewaffneten Kampf ausgerichteten, jedoch Boykottaktionen gegenüber prinzipiell aufgeschlossenen Gruppierung aus Inkatha, der PFP, den politisch weniger mobilisierten Gewerkschaften (TUCSA), der „Business Community“, einer liberalen Minderheit innerhalb der UDF sowie einem Teil der oppositionellen Kirchen.
Die erste, Gruppierung dürfte die Mehrheit der politisch mobilisierten „schwarzen“ Bevölkerung sowie der interessierten Weltöffentlichkeit hinter sich haben; die zweite kann auf eine straff organisierte Mehrheit unter den weißen Apartheid-Gegnern, den Einwohnern KwaZulus/Natals sowie auf eine erhebliche Minderheit unter den „Schwarzen“ in anderen Landesteilen zurückgreifen und hat überdies die Wirtschaft des Landes in der Hand.
Was bedeutet diese Konstellation für die Regierung? 3. Der Stellenwert der Anti-Apartheid-Bewegung für die Regierung a) die „non-involvement-Opposition Die Organisationen der „non-involvement-Opposition“ bestehen zum großen Teil (mit Ausnahme der Gewerkschaften) aus wenigen (meist nur in loser Verbindung miteinander stehenden) Kadern sowie einer breiten, aber völlig unorganisierten Gefolgschaft mit extrem hohen Erwartungen. Ihre Legitimation schöpfen die Führer folglich allein aus der Hoffnung ihrer Anhänger, daß sie den von ihnen geschaffenen Erwartungen kompromißlos entsprechen. Deshalb riskiert jeder Führer den sofortigen Verlust von Glaubwürdigkeit und „Legitimation“, wenn er sich vor der Abschaffung aller Apartheid-Gesetze und dem Rückzug der Sicherheitskräfte aus den schwarzen Townships auf Verhandlungen einläßt.
Für die Regierung ist deshalb die „non-involvement“ -Opposition mittelfristig kaum als Partner für (institutionalisierte) Verhandlungen zu gewinnen; die Opposition dürfte im Gegenteil durch verstärkte Mobilisierung ihrer Anhänger die Randbedingungen für Verhandlungen verschärfen, um deren Erfolg zu verhindern. Diese Mobilisierung stellt indes auf absehbare Zeit noch keine existentielle Bedrohung dar:
— Die Regierung hat bislang erst einen Bruchteil ihres Repressionspotentials eingesetzt.
— Im Ernstfall stehen 334 000 Soldaten der loyalen, hochmodern ausgerüsteten und trainierten Armee zur Verfügung.
— Gegenüber den „Gastgebern“ des ANC in den Anrainerstaaten hat sich die Taktik des destabilisierenden Guerilla-Kriegs (in Mocambique: Renamo, in Angola: UNITA) in Verbindung mit wirtschaftlichem Druck als sehr effizient erwiesen.
— Eine ausgeklügelte, z. T. auf geheimdienstlicher Infiltration der Opposition gründende „counter insurgency“ macht (in Verbindung mit drakonischen Strafandrohungen) Sabotage und Terror enorm teuer.
— Die isolierte Lage schwarzer Wohngebiete macht es leicht, diese von sämtlicher Versorgung abzuschneiden und unter den Einwohnern das Gefühl zu erwecken, daß spontane Gewalt selbst-zerstörerisch wirkt. — Die bei anhaltender Erfolglosigkeit einsetzende Demoralisierung einfacher Teilnehmer an Protestaktionen sowie die Betroffenheit unbeteiligter Schwarzer durch Gewaltaktionen führt zunehmend zur Bildung militanter Gegenkräfte (vigilantes), die die Regierung (wie auch den Gegensatz zwischen „involvement-" und „non-involvement" -Opposition) für die Niederschlagung von Aufständen und Propagandazwecken instrumentalisieren kann.
— Längere Streiks sind von schwarzen Arbeitern, die meist viele Angehörige zu ernähren haben, nicht durchzuhalten.
Dennoch: Die hauptsächlich von der „non-involvement“ -Opposition getragene Mobilisierung der schwarzen Bevölkerung erhöht die militärischen, wirtschaftlichen, (außen) politischen und moralischen Kosten der Kontrolle inzwischen derart, daß die Regierung eine wirksame Pazifizierungsstrategie entwickeln muß, wenn sie nicht mittelfristig in erhebliche Legitimationsprobleme gegenüber der — diese Kosten vorwiegend tragenden — weißen Bevölkerung geraten will. Diese Strategie muß, da eine dauerhafte gewaltsame Pazifizierung kaum möglich ist, auf eine erhöhte soziale, wirtschaftliche und politische Partizipation der Schwarzen hinzielen. b) Die „involvement“ -Opposition Gruppierungen der „involvement“ -Opposition besitzen eine zumeist straff organisierte Basis mit gemäßigten Erwartungen. Die institutionell (durch Wahlen, traditionelle Autorität oder Verbandsfunktionen) legitimierten Führer können sich aufgleichfalls institutionell geregelten Wegen der Akzeptierung ihrer Positionen rückversichern.
Diese Führer (besonders Buthelezi) können ihren Anhängern die Mitarbeit bei der Pazifizierung der schwarzen Bevölkerung (Verhandlungen mit Pretoria also) allerdings nur dann zumuten, wenn die Regierung eine klare Absichtserklärung zur völligen Abschaffung der Apartheid (keine Rassen-klassifizierung mehr, Verpflichtung auf ein geeintes Südafrika) abgibt. Will die Regierung überdies nicht nur regional (Natal/KwaZulu), sondern landesweit ein nennenswert legitimiertes „involvement“ -Potential an den Verhandlungstisch holen, wird sie alle oppositionellen Organisationen (insbesondere den ANC) entkriminalisieren müssen.
III. Das Ausland
1. Druck durch Sanktionen In Wechselwirkung mit der politischen Mobilisierung im Lande sowie auf Druck der südafrikanischen „non-involvement“ -Opposition und der internationalen Öffentlichkeit haben 1985/86 besonders die Regierungen der westlichen Industrieländer ihre Haltung gegenüber Südafrika weiter verschärft: Das Klima der politischen Kommunikation kühlte ab; Südafrika wird noch stärker aus der internationalen Sport-, Kultur-und Wissenschaftsszene ausgeschlossen; vor allem jedoch haben fast alle Industrieländer des Westens inzwischen — wenn auch meist sehr begrenzte — Wirtschaftssanktionen verhängt. Sie reichen vom Waffenembargo und dem Verbot nuklearer Kooperation (EG) über ein begrenztes Computer-Embargo (USA, Japan) und die Einstellung des Luftverkehrs (Kanada) bis zum (mit Ausnahme des Imports strategischer Rohstoffe) Abbruch praktisch aller Wirtschafts-und Luftverkehrsverbindungen mit Südafrika (Dänemark). Auch die bislang zurückhaltenden Regierungen Großbritanniens und der Bundesrepublik stehen zunehmend unter Druck, Sanktionen zu verhängen. Lediglich ein militärisches Eingreifen wird — in Ost und West — nicht erwogen 2. Stellenwert des ausländischen Drucks für die Regierung Zweifellos erfährt die südafrikanische Regierung besonders den wirtschaftlichen Druck des Auslands als schmerzhaft, da er das Wirtschaftswachstum und damit die Ressourcen zur Absicherung der eigenen Macht einschränkt. Andererseits stellen die Sanktionen für die in weiten Bereichen (Energie, Waffen, Nahrungsmittel) fast autarke südafrikanische Volkswirtschaft keine existentielle Bedrohung dar. Des weiteren können die Hauptlasten auf niedrig qualifizierte und ausländische Arbeitnehmer, also hauptsächlich Schwarze, sowie die wirtschaftlich abhängigen Nachbarländer (bis hin zu „Gegensanktionen“ vor allem in den Bereichen Transport, Energie, Arbeitskräfte und Handel) abgewälzt werden Nicht zuletzt ist die weiße Bevölkerung psychologisch seit langem auf das Leben in einer „siege economy“ vorbereitet.
Da sowohl die Dritte-Welt-Eliten in den internationalen Organisationen als auch die Öffentlichkeit in den westlichen Ländern kategorisch auf den Normen der Rassengleichheit und Mehrheitsherrschaft als Voraussetzungen für jede Minderung des Boykott-Drucks insistieren, ist er als kaum beeinflußbare Variable längst in die Regierungsplanungen einbezogen. Beeinflußbar bleibt jedoch das Verhalten ausländischer Privatunternehmen, die (bei allerdings zunehmendem Druck der heimischen Öffentlichkeiten) in Südafrika die gleichen politischen Rahmenbedingungen (Stabilität) für Investitionen verlangen wie überall. Der beschleunigte Abzug dieser Unternehmen legt der Regierung dringend Maßnahmen zur Verbesserung des Investitionsklimas nahe.
IV. Die afrikaanse Bevölkerung
Innerhalb der weißen und besonders der afrikaansen (burischen) Bevölkerung verschärfte sich in den letzten Jahren die Polarisierung zwischen reformwilligen Gegnern und strikten Anhängern der Apartheid. 1. Afrikaanse Reformbereitschaft Auch die Mehrheit der weißen Afrikaaner (überwiegend Buren, die englischsprachige Minderheit ist traditionell apartheidkritisch eingestellt) hat inzwischen eine zunehmend offene Haltung gegenüber „schwarzen“ Forderungen eingenommen — z. T. auf direkten Druck (Konsumentenboykott) hin, meist jedoch aus einer durch die Unruhen geförderten Einsicht in die Unhaltbarkeit des gegenwärtigen Zustands heraus. Die reformfreu-dige Haltung hat von der afrikaansen „Business Community“ und Presse zunächst auf Intellektuelle und Kirchenfunktionäre übergegriffen. Die Studentenvertretungen der afrikaansen Kader-schmieden „Rand Afrikaanse Universiteit“ und „Universiteit Stellenbosch“ verlangten 1985/86 kategorisch die Abschaffung jeder Rassendiskriminierung sowie Gespräche mit dem ANC. In den Nachwuchsorganisationen „Afrikaanse Studentebond“ und „Ruiterwag“ (Jugendorganisation des „Afrikaner Broederbond") haben strikte Apartheidgegner dominierenden Einfluß gewonnen
Etliche der kritischsten Akademiker gehören zu den Säulen des informellen „think tank“ der Regierungspartei 18).
Auch in der größten der drei weißen niederländisch-reformierten Kirchen, der NG Kerk, die zwei Drittel der Afrikaaner integriert, drängen immer mehr Kräfte auf Reformen 19); die Führung gibt immer mehr Dogmen der Rassentrennung („keine gemischten Ehen“) preis; von der Generalsynode im Oktober 1986 wird eine grundlegende Neuformulierung der gesellschaftspolitischen Positionen erwartet.
Für ein Durchsickern reformistischen Gedanken-guts in die breite afrikaanse Bevölkerung gibt es deutliche Anzeichen: So hat die Regierung in den letzten Jahren bei Meinungsumfragen stets dann am besten abgeschnitten, wenn sie substantielle Reformen verwirklichte. Nur 14% der NP-Anhänger gingen im Oktober die Führung gibt immer mehr Dogmen der Rassentrennung („keine gemischten Ehen“) preis; von der Generalsynode im Oktober 1986 wird eine grundlegende Neuformulierung der gesellschaftspolitischen Positionen erwartet.
Für ein Durchsickern reformistischen Gedanken-guts in die breite afrikaanse Bevölkerung gibt es deutliche Anzeichen: So hat die Regierung in den letzten Jahren bei Meinungsumfragen stets dann am besten abgeschnitten, wenn sie substantielle Reformen verwirklichte. Nur 14% der NP-Anhänger gingen im Oktober 1985 die Reformen „zu schnell“; 82, 3 % aller Afrikaaner plädieren inzwischen für Gespräche mit „den“ Schwarzen, allerdings nur 16 % für Gespräche mit dem ANC und 32 % für solche mit der UDF Einigkeit besteht allerdings zwischen afrikaansen (und englischsprachigen) Weißen darüber, daß sich die weiße Minderheit als soziale Gruppe keinesfalls politisch majorisieren lassen darf. 2. Die „rechte" Opposition Die Verfechter der reinen Apartheidlehre sind heute im NP-Establishment, in der Führung der NG Kerk und im Broederbond zunehmend isoliert. Nu formiert haben sie sich — in der 1982 von der NP abgespaltenen KP, die über 18 der 178 Parlamentssitze verfügt;
— in der 1969 von der NP abgespaltenen HNP, die in einer Nachwahl 1985 ihren ersten Parlamentssitz errang;
— in der 1973 gegründeten militanten AWB;
— in der 1981 gegründeten extrem nationalistischen Kulturorganisation „Afrikaner Volkswag“.
Ihre soziale Basis findet die „Rechte“ in den „poor whites“ (kleinen Maisbauern, Arbeitern und [Staats-] Angestellten), die die soziale Konkurrenz der Schwarzen zu fürchten haben. Programmatisch wird die Wiedereinführung von „kleiner“ und „großer“ Apartheid mit einem exklusiven „Boerevolk“ -Staat propagiert Die Reformpolitik der Regierung wird als Rutsch in die schwarze Mehrheitsherrschaft angesehen, vor der nur die (notfalls gewaltsam anzustrebende)
Machtübernahme der „Rechten“ die Weißen bewahren könne.
Strategisch mobilisiert die „Rechte“ mit allen Mitteln weiße Ängste vor einer schwarzen Machtübernahme und geht stellenweise inzwischen zum Terror über Obwohl sie politisch von der wirtschaftlichen Rezession, den gewalttätigen Auseinandersetzungen und der internationalen Ächtung Südafrikas profitiert hat und derzeit über einen Anhang von ca. 25 % unter den Afrikaanern verfügt sehen Experten eine „rechte“ Machtübernahme nur dann als möglich an, wenn die Regierung die Kontrolle über das Land verlieren sollte. 3. Risiken der Regierung Die Regierung riskiert vor dem Hintergrund dieser die „Mitte“ entvölkernden Polarisierung innerhalb der weißen Bevölkerung dreierlei:
— daß breite Schichten und insbesondere das ohnehin nicht üppig gesäte intellektuelle Potential der Afrikaaner ins Lager der Anti-Apartheid-Opposition abwandern;
— daß die bislang noch nicht sehr gefährliche „Rechte“ mit der Krise wächst;
— daß die NP die nächsten Wahlen als Partei des äußerst besorgniserregenden und unbefriedigenden Status quo verliert. Die Regierung kann diesen Risiken nur dadurch entgegentreten, daß sie sichtbar die Kontrolle über die politische Entwicklung im Lande behält und der weißen Bevölkerung überzeugende lang-fristige Perspektiven für die Wahrung ihres kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebensraums vermittelt.
V. Die Ausgangssituation der Regierung
Das Verhalten einer Regierung wird bestimmt durch das eigene Interesse insbesondere am Machterhalt, durch die Macht selbst und durch die Perzeption dessen, was an politischem Handeln notwendig und möglich ist, um diese Macht zu möglichst geringen Kosten zu erhalten In diesem Rahmen wird das Verhalten der (durch das Präsidialsystem formal überaus mächtigen) südafrikanischen Regierung bestimmt: 1. durch die im engsten Machtzirkel wirksamen Gruppen, 2. durch politisch-psychologische Faktoren und 3. durch die aus dem bisher Dargelegten eindeutig ableitbaren Handlungsnotwendigkeiten zum Zwecke der langfristigen Machtsicherung. Den zutage tretenden Widersprüchen zwischen diesen Faktoren muß sich die Regierung stellen. 1. Im engsten Machtzirkel wirksame Gruppen a) Parteispitze Innerhalb der NP-Parlamentarierfraktion sind die Konservativen — stärker als an der Basis — in die Isolation geraten. Ihr noch vorhandenes Machtpotential besteht darin, das Gespenst einer „rechten“ Machtübernahme an die Wand zu malen. Eine weit stärkere Rolle spielen am „linken“ Flügel die „New Nats“ die die völlige Abschaffung der Rassendiskriminierung und -klassifizierung sowie eine Machtteilung mit den Schwarzen auf föderaler Basis fordern. „New Nats“ -Tendenzen werden derzeit knapp 40 NP-Abgeordneten (unter ihnen der Außenminister Pik Botha, der sich zu Anfang des Jahres einen schwarzen Präsidenten vorstellte) nachgesagt. b) Der Broederbond Der die zunehmend reformfreudige Haltung der Afrikaaner-Elite widerspiegelnde Geheimbund „Afrikaner Broederbond“ hat seit den in die Ab-spaltung der KP (deren Vorsitzender Andries Treurnicht einst Broederbond-Vorsitzender war) gemündeten Konflikten erheblich an Bedeutung als Legitimationsbasis für politische Entscheidungen verloren. c) Die Bürokratie Die in Südafrika sehr große und kohärente Gruppe der (zumeist konservativ-afrikaansen) Bürokraten hat aus ideologischen und den Erhalt von Aufgabenbereichen betreffenden Gründen ein erhebliches Interesse daran, den Abbau der Apartheid zu bremsen — was durch an die Spitze des Apparats gesetzte Reformer nur allmählich geändert werden kann. d) Das Militär Durch seine wachsende Rolle bei der Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit sowie (im Rahmen des „State Security Council“) als konzipierendes und ausführendes Organ der „total strategy“ (s. u.) hat das Militär in den letzten Jahren erheblich an politischer Bedeutung gewonnen. Dies hat jedoch nichts an seiner traditionell extrem apolitischen und gegenüber der Regierung loyalen Haltung geändert Angesichts der erheblichen „pressure group“ von inzwischen 40 % Nichtweißen in seinen Reihen übt das Militär bezüglich der Rassenbeziehungen einen eher integrierenden Einfluß aus. e) „State Security Council“ (SSC)
Dieser Kabinettsausschuß (ständige Mitglieder: der Staatspräsident sowie die Minister für Äußeres, Verteidigung, Justiz und „law and Order“) formuliert Beschlußempfehlungen zu allen sicherheitspolitisch relevanten Politikbereichen, die fast immer vom Kabinett übernommen werden. Die Vorschaltung des SSC vor inzwischen fast alle Kabinettsentscheidungen sowie die Vorbereitung seiner Empfehlungen durch die straff organisierten Bürokratien der betreffenden Ministerien hat im politischen „decision making“ Fragen der „nationalen Sicherheit“ an die erste Stelle gesetzt 2. Politisch-psychologische Faktoren a) Neigung zum Konsensprinzip Obwohl in der NP die Apartheidideologie keinen Boden mehr besitzt und auch die lange sakrosankte Einigkeit der Afrikaaner mittlerweile mehr pragmatisch gesehen wird neigt die Führungsgruppe nach wie vor dazu, nach dem Konsensprinzip zu handeln — was (im Interesse der Konservativen) den Status quo begünstigt. b) „Total Strategy“
Die 1978 von P. W. Botha propagierte, aus dem Zusammenwirken der genannten Machtgruppen gewachsene „total strategy“ gründet auf der Perzeption eines (kommunistisch gesteuerten, gegen Südafrika gerichteten) „total onslaught" (wirtschaftlich, militärisch, politisch-diplomatisch und sozial/psychologisch) als Wurzel der Kernprobleme Südafrikas. Jede Opposition wird entsprechend als Teil des „onslaught“, also als Feind wahrgenommen die Weltpolitik — auch von Botha — vorwiegend als Kampf zwischen Kommunismus und Antikommunismus erörtert. Obwohl der Begriff der „total strategy“ von führenden Politikern derzeit kaum in den Mund genommen wird, ist er als handlungsbestimmendes Denkmuster tief in der Regierungsspitze und besonders der Administration verankert. c) Interesse an effizienter Verwaltung Besonders bei P. W. Botha besteht ein ausgeprägtes Interesse an effizienter Verwaltung. Eine grundlegende Rationalisierung der Verwaltung zu Beginn seiner Amtszeit nutzte er zum zielgerichteten Ausbau exekutiver Macht der Zentralregierung Die von Botha extensiv betriebene Fundierung von Entscheidungen durch Expertenkommissionen hat den Einfluß apartheidkritischer Wissenschaftler, die in den Beratungsinstituten der Regierung (etwa im „Human Sciences Research Council“) dominieren, gestärkt. d) Politischer Stil nach außen Das an Sicherheit und Konsens innerhalb der herrschenden Gruppe orientierte politische „decision making“ manifestiert sich in einem spezifischen Stil des Verhaltens gegenüber der Umwelt: — politische Entscheidungen (die möglichst unter Ausschluß der Öffentlichkeit getroffen werden) fallen eher langsam und werden noch langsamer implementiert;
— es werden stets nur unmittelbar zur Realisierung anstehende Einzelmaßnahmen, größere politische Konzepte jedoch allenfalls sehr unkonkret an die Öffentlichkeit gebracht;
— bei (vermeintlichen) Bedrohungen der nationalen Sicherheit wird mit äußerster Härte reagiert 3. Handlungsnotwendigkeiten Die Regierung ist durch den Druck der Anti-Apartheid-Opposition und des Auslands sowie durch den Konflikt in der afrikaansen Bevölkerung zwar nicht unmittelbar bedroht; die Kosten und Gefahren eines zunehmend auf Gewalt basierenden Machterhalts engen jedoch den Handlungsspielraum ein; mittelfristig droht Machtverlust durch Legitimationsschwund innerhalb der weißen Minderheit; langfristig ist — bei sich vertiefender Spaltung auch der weißen Bevölkerung — ein Bürgerkrieg denkbar.
Die Regierung ist folglich gezwungen, zum einen für einen von ihr kontrollierten, möglichst geregelten Konfliktaustrag zu sorgen und zum anderen als Reformer zu versuchen, das bei weitem wichtigste Konfliktpotential, den Schwarz-Weiß-Konflikt, zu entschärfen. Das heißt, daß sie — der „schwarzen“ Opposition Perspektiven auf mit friedlichen Mitteln zu erreichende soziale, ökonomische und politische Partizipation, — dem Ausland zunehmend den Eindruck einer friedlichen, einvernehmlichen Konfliktregelung und — der weißen Bevölkerung Perspektiven auf langfristige Wahrung eines für sie akzeptablen Lebensraums vermitteln muß.
VI. Die für eine erfolgreiche Reform notwendige Änderung des politischen Stils
1. Autoritäre oder partizipatorische Entscheidungsbildung Die südafrikanische Regierung hat bislang gerade der „schwarzen“ Bevölkerung Änderungen ihres Lebensrahmens vorwiegend autoritär verordnet. Jeder Widerstand wird mit harter Hand niedergehalten. Diese Maßnahmen sind zwar kurzfristig wirksam; gleichzeitig aber erzeugen sie wachsenden Gegendruck und fördern so „die sozialen Voraussetzungen für ihre gewaltsame Beseitigung in der Zukunft“ Obwohl die Regierung um den notwendigen Balanceakt (einerseits Macht konzentrieren zu müssen, um sozioökonomische Güter umzuverteilen, andererseits Macht preisgeben zu müssen, um politische Macht umzuverteilen) weiß, läßt sie bislang die schwarze Bevölkerung fast gar nicht am „decision making“ teilhaben. Solange sie diese Verordnungspraxis beibehält, wird sie bei den Ausgeschlossenen kaum Akzeptanz für eine schrittweise Erhöhung ihrer sozialen und ökonomischen und erst recht keine Bereitschaft zur geregelten politischen Partizipation finden. 2. Reform per Überfall oder transparente Konzepte Die Regierung neigt dazu, der Bevölkerung keine umfassenden und konkreten Reformkonzepte zu unterbreiten, sondern Einzelreformen „überfallartig“ zu veröffentlichen und zu implementieren Dies reduziert zwar einerseits die Möglichkeit der Opposition, Abwehrstrategien gegen bestimmte Einzelmaßnahmen zu entwickeln und läßt der Regierung Raum für die ständige Reevaluierung von Zielen und Mitteln vor dem Hintergrund neuer Informationen; andererseits jedoch entsteht immer wieder der Eindruck hektischen Krisenmanagements in letzter Minute. Verängstigte („rechte“) Weiße und die Wirtschaft würden flexibler reagieren, wenn sie wüßten, „wohin der Zug fährt“ die von Pretoria in tiefes Mißtrauen manövrierte schwarze Bevölkerung würde eine höhere Bereitschaft zur Kooperation zeigen, wenn sie echte Freiheit, ökonomische Partizipation und Machtteilung bröckchenweise am Ende des Tunnels sähe. Die fehlende Offenheit der Regierung über ihre Absichten und ihr Vorgehen mindern die mögliche Akzeptanz für Reformen weit stärker als nötig. 3. Das richtige Tempo Auch bezüglich des Reformtempos sind Regierung und (besonders) Verwaltung bisher eher langsam vorgegangen, haben schwarze Erwartungen im Wechsel geschürt und enttäuscht und so zum Klima höchster Mobilisierung und Instabilität beigetragen. Beleidigende „Rationalisierungen“ in dem Sinne, daß die betreffenden Volks-gruppen „noch nicht reif" seien für weitergehende Reformen, sorgen für zusätzlichen Haß und Mißtrauen. Obwohl natürlich auch zu schnelle Reformen zu einem Chaos politischer Mobilisierung führen, muß die Regierung prüfen, ob sie nicht mit relativ rasch realisierten, genau umrissenen „package deals" (etwa Verwirklichung des Plans der Buthelezi-Kommission schon 1982), bei denen sie ihre Interessen/Positionen dem Verhandlungspartner offen präsentiert, zumindest ein gewisses schwarzes Vertrauen aufbauen und zugleich weißes bewahren kann.
Insgesamt ist die Regierung bislang — aus ihrem Sicherheits-und innerafrikaansen Konsensdenken heraus — den Weg des kurzfristig niedrigsten Risikos gegangen. Ihr langfristiges Risiko liegt darin, daß sie sich rapide der weißen und schwarzen Bevölkerung sowie dem Ausland gegenüber entfremdet. Das für einen erfolgreichen Reformprozeß und damit für einen begrenzten Machterhalt notwendige Vertrauen kann sie nur erringen, wenn sie auch kurzfristig ein gewisses Risiko eingeht, d. h. wenn sie:
— sich klar zum Prinzip rechtlicher und politischer Gleichstellung sowie sozialer und ökonomischer Chancengleichheit jedes einzelnen in einem Südafrika bekennt;
— sich ebenso klar zur Entschlossenheit der weißen Bevölkerungsgruppe, sich politisch nicht majorisieren zu lassen, bekennt;
— ein umfassendes und realistisches Konzept zur gleichzeitigen Umsetzung dieser beiden Bekenntnisse in praktische Politik entwickelt und möglichst rasch implementiert;
— für eine den Reformprozeß legitimierende Partizipation der betroffenen Bevölkerung an der Gestaltung dieses Prozesses sorgt;
— Voraussetzungen für die notwendigen Verhandlungen mit legitimierten „schwarzen“ Führern schafft; — offen die notwendigen sicherheitspolitischen Maßnahmen zum Schutz des Verhandlungs-und Reformprozesses ankündigt und trifft.
Die inhaltlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Reformprozeß muß die Regierung in den fünf Schlüsselbereichen „räumliche Rassentrennung“, „sozioökonomische Partizipation der Schwarzen“, „schwarze Erziehung“, „politische Partizipation der Schwarzen“ und „nationale Sicherheit“ schaffen.
VII. Schlüsselbereich 1: Räumliche Rassentrennung
Nach Abschaffung von Paßgesetzen und „influx control“ zum 1. Juli 1986 betreibt die Regierung noch auf zwei Ebenen eine räumliche Trennung der Rassen:
— Im Zuge der ursprünglich auf eine Teilung Südafrikas nach ethnischen Linien hin konzipierten Homeland-Politik haben fünf von zehn Homelands (Transkei, Venda, Ciskei, Bophuthatswana, KwaNdebele) eine international nicht anerkannte „Unabhängigkeit“ angenommen und damit zunächst die südafrikanische Staatsbürgerschaft ihrer Bürger preisgegeben.
— Nach dem seit 1950 häufig veränderten „Group Areas Act“ müssen alle Südafrikaner offiziell in nach Rassen getrennten Wohngebieten leben. Die infrastrukturell besonders benachteiligten Townships der Schwarzen liegen — durch Bahn-und Buslinien an diese angeschlossen — weit vor den Toren der Innenstädte.
Zur Realisierung der räumlichen Rassentrennung wurden seit 1960 rund 3, 5 Millionen Südafrikaner (meist Schwarze) oft zwangsweise umgesiedelt. Nachdem jedoch diese Praxis erheblich zur politischen Mobilisierung der Schwarzen beigetragen hat, hat die Regierung erhebliche Konzessionen gemacht:
— Sie hat die Zwangsumsiedlungen ab 1. Februar 1985 ausgesetzt
— sie hat eine einheitliche Staatsbürgerschaft (mit einheitlichem Ausweis) für alle Südafrikaner (ausschließlich vorerst der ständig in deren Grenzen lebenden Bürger der „unabhängigen“ Homelands) anerkannt;
— sie hat die regionale Entwicklungspolitik (neun Entwicklungsregionen) unter Ignorierung der Homeland-Grenzen neu konzipiert; — sie duldet zunehmend — wie in Hillbrow/Jo-hannesburg — sogenannte „grey areas“, wo Angehörige aller Rassen miteinander reden;
— in den zentralen Geschäftsbezirken der Städte dürfen sich seit diesem Jahr offiziell auch schwarze Geschäftsleute etablieren;
— nachdem einzelne weiße Stadträte (Durban, East London) bereits eigenmächtig die Integration von Wohngebieten beschlossen haben, denkt die Regierung daran, die Entscheidung darüber an lokale Instanzen zu delegieren
Wenn Pretoria jedoch einer rapiden Steigerung der wirtschaftlichen (getrennte Infrastrukturen) und politischen Kosten der räumlichen Rassentrennung entgehen will, muß es recht bald und sichtbar diese gesetzliche Blockierung sozialer und ökonomischer Partizipation Schwarzer aufheben, d. h.: — im Rahmen einer verfassungspolitischen Regelung (vgl. dazu Kap. X.) die Homelands in ein Südafrika reintegrieren und — den „Group Areas Act“ abschaffen
VIII. Schlüsselbereich 2: Sozio-ökonomische Partizipation der Schwarzen
1. Explosionsartige schwarze Urbanisierung Die Urbanisierung der südafrikanischen Schwarzen (1980: 3 %; Weiße: 88, 4%; Mischlinge: 76, 6 %; Inder: 90, 6 % 38)) ist jahrzehntelang künstlich zurückgehalten worden — durch die Gesetze der räumlichen Rassentrennung, die „job reservation“ sowie niedrige Löhne, schlechte Erziehung und unattraktive gesetzliche Siedlungsbedingungen für Schwarze. Trotz und erst recht nach der Aufhebung der gesetzlichen Restriktionen rechnen Experten mit einer Urbanisierung von bis zu 75 % der Schwarzen bis zum Jahre 2000, was etwa einer Verdreifachung der städtischen schwarzen Bevölkerung gleichkäme
Es werden auch von Regierungsseite — mit Blick auf die europäische Industrialisierung — z. T. erhebliche Hoffnungen in die positiven ökonomischen Effekte der Urbanisierung gelegt; doch wird der moderne Sektor im Arbeitsplatz-und Wohnbereich sicher nicht, im Erziehungsbereich kaum in der Lage sein, den Zuwachs zu bewältigen. Die daraus resultierende Armut, Arbeitslosigkeit und äußerst schlechte Wohnbedingungen haben schon heute für desolate soziale Strukturen in den Wohngebieten der Schwarzen gesorgt. 2. Notwendige Maßnahmen a) Wohnungsversorgung Der aktuelle Wohnungsbedarf für Schwarze wird auf mindestens fünf Millionen Wohneinheiten für (inklusive Infrastruktur) mindestens hundert Milliarden Mark geschätzt — wovon die Regierung allenfalls nur einen Bruchteil finanzieren kann. Die lange Zeit betriebene Regierungspolitik, Schwarzen ausschließlich staatlich gebaute, auf relativ hohem Niveau standartisierte Häuschen ausschließlich zur Miete (bei ständig bedrohtem Wohnrecht) zu überlassen, führte zu subventionierten, aber dennoch für schwarze Einkommensverhältnisse hohen Mieten, einem — aus Kostengründen — niedrigen Tempo des Wohnungsbaus, andererseits zu überfüllten Häusern.
Um eine möglichst hohe Wohnungsversorgung für Schwarze zu erreichen, muß die Regierung nach Meinung von Experten den Bau standardisierter Siedlungen aufgeben und statt dessen den informellen Wohnungsbau fördern Sie muß — was bis heute der „Group Areas Act“ verhindert — genügend Land in vertretbarer Nähe zu Arbeitsplätzen als Eigentum bereitstellen, das Prinzip der freiwilligen Partizipation wahren und ansonsten lediglich die kommunale Infrastruktur bereitstellen sowie das produktive Miteinander von staatlichem Know-how, Selbsthilfe und kommerziellem Wohnungsbau fördern — wobei das Gelingen solcher Strategien allerdings bei der Bevölkerung legitimierte Lokalverwaltungen voraussetzt. b) Schaffung von Arbeitsplätzen Die jährlich nötigen 300 000 neuen Arbeitsplätze für Schwarze könnte nur ein Wirtschaftswachstum von über sechs Prozent verschaffen. Die derzeitige Rezession erhöht besonders die politisch brisante Jungendarbeitslosigkeit rapide. Chancen, dem zu begegnen, liegen — so Experten — in der Revision der Lohnpolitik, in einer besseren Ausbildung der Schwarzen, vor allem jedoch in der gezielten Förderung des informellen Wirtschaftssektors, dessen Entwicklung die Regierung bislang mit Apartheidgesetzen und auf die industrielle Welt zugeschnittenen Vorschriften weitgehend verhindert hat. Nötig wären „zero-based legislation areas" in denen lediglich ein Minimum an Vorschriften gilt, sowie spezifische Formen der Versorgung mit Kapital, Qualifikation und Produktionsflächen. In Kooperation mit dem Privatsektor („Small Business Development Corporation“) geht die Regierung dieses Problem allmählich an c) Ländliche Entwicklung Um die Urbanisierung zu verlangsamen, muß die Regierung auch die Attraktivität des Lebens auf dem Lande erhöhen, das bislang durch eine in der Produktivität stagnierende Subsistenzwirtschaft, Überbesiedelung und verzerrte Bevölkerungsstrukturen gekennzeichnet ist. Chancen zur Minderung dieses Elends liegen keineswegs in einer größeren Umverteilung „weißen“ Landes an Schwarze sondern vor allem im vom „Grundbedürfnisansatz“ sowie den kulturellen und sozialen Gegebenheiten ausgehenden „community development", wie es derzeit etwa in KwaZulu (wo die dafür notwendige, in der Bevölkerung legiti39) mierte schwarze Führung existiert) entwickelt wird d) Einkommensumverteilung Um die genannten Maßnahmen und eine minimale soziale Absicherung der schwarzen Bevölkerung wenigstens im Ansatz finanzieren zu können kommt die Regierung um eine Einkommensumverteilung nicht herum Die eventuell auf eine Art „soziale Marktwirtschaft“ hinauslaufende Konzeption müßte der Bevölkerung in ei-ner breit angelegten Kampagne vermittelt werden, um überhöhte Befürchtungen und Erwartungen zu mindern. Da aktuelle und strukturelle Wirtschaftsschwächen sowie ausländischer Druck die Finanzmittel begrenzen und entscheidende Segmente der schwarzen Bevölkerung die Kooperation verweigern, kann die Regierung bezüglich dieser Maßnahmen (zumindest vor einer Regelung der schwarzen politischen Partizipation) mit nur sehr begrenzten Fortschritten rechnen.
IX. Schlüsselbereich 3: Schwarze Erziehung
1. Bestandsaufnahme Schwarze sind im nach Rassen getrennten (spezielle Ministerien) staatlichen Erziehungswesen gegenüber Weißen, Indern und Mischlingen drastisch benachteiligt Immer noch erreicht nur eine kleine Minderheit einen Schulabschluß Die hohen Abbruch-und Durchfallquoten lassen sich besonders auf zwei Ursachenkomplexe zurückführen: — Den meisten Schwarzen fehlt das für den Erfolg in einem westlichen Erziehungssystem zentrale „versteckte“ Curriculum, d. h. das Aufwachsen mit den kuturellen Attributen einer Industriegesellschaft, die, es in schwarzen Wohngebieten kaum gibt.
— Das Erziehungsbudget für Schwarze (pro Kopf 13, 5 % dessen für Weiße) und die Zahl qualifizierter Lehrer stiegen in den letzten Jahren zwar überproportional aber längst nicht in dem Maße wie die Zahl schwarzer Schüler (von denen 1970 nur 2300 zum „Matric“ antraten, 1984 indessen 80 000). Die Folge: Zu fast 80% unterqualifizierte Lehrer erteilen in unzureichend ausgestatteten Schulen einen minderwertigen Unterricht; an den nur mit wenigen Fakultäten bestückten Universitäten der ähnlich aus; Homelands sieht es die Absolventen finden meist keinen Arbeitsplatz; bessere (private gemischtrassische) Ausbildungsstätten können sich nur privilegierte Schwarze leisten.
Die Tatsache, daß städtische Schwarze die Diskriminierung im Erziehungswesen, von Apartheidsdenken triefende Curricula und die Enttäuschung hoher Erwartungen an Arbeitsplatz, Einkommen und sozialen Status als sehr schmerzhaft erfahren, hat seit 1976 die Ausbildung derart politisiert daß oft über Monate kein geordneter Lehrbetrieb möglich ist, Teufelskreise von Unruhe und Repression entstanden sind und die „Drop out" -Quoten weiter steigen. 2. Politische Konsequenzen Da die ungleiche Erziehung zweifellos eines der wichtigsten Objekte schwarzen Protests verkörpert, muß die Regierung dieses Übel rasch an der Wurzel anpacken. Andererseits muß sie berück-sichtigen, daß die Schule für viele auf ihre „Identität“ bedachte Afrikaner zu den wichtigsten Institutionen zählt. Entsprechend hat sich Pretoria bei Reformen bislang sehr zurückgehalten: Es wurden ein Überministerium, das die Standards der staatlichen Erziehung vereinheitlichen soll, und ein für weitere Änderungen zuständiger „South African Council for Education“ geschaffen; die gesetzlich fixierten (Quoten-) Grenzen zwischen den Universitäten werden allmählich durchlässiger die Förderung multirassischer Privatschulen wird verstärkt; eine Integration des staatlichen Schulwesens jedoch lehnt die Regierung bislang ab.
Will sie jedoch den auf dem Erziehungswesen lastenden Druck mindern, wird sie die staatlichen Bildungsstätten integrieren müssen. In ihrer Wirkung begrenzt werden kann diese Maßnahme durch vorläufige Delegation der Entscheidung an lokale Instanzen (Elternräte etc.) und durch die (nach Aufhebung des „Group Areas Act“) wohl nur sehr langsame Integration der Wohngebiete. Eine dauerhafte Ausweichmöglichkeit für den Einzelnen könnte man in von kulturellen Organisationen getragenen Privatschulen schaffen Davon abgesehen müßte die Integration des Schulwesens durch eine massive Fortbildung der hunderttausend unterqualifizierten schwarzen Lehrer flankiert werden. Ob sie indes zu einer substantiellen Verringerung des politischen Pro-tests Judendlicher beiträgt, bleibt angesichts des wirtschaftlichen Rahmens zweifelhaft.
X. Schlüsselbereich 4: Politische Partizipation der Schwarzen
1. Die Ausgangstage Voraussetzungen für die — im Sinne eines zumindest teilweisen Machterhalts der Regierung — erfolgreiche Implementierung fast aller der vorgenannten Reformen ist die Unterstützung durch in der Bevölkerung legitimierte schwarze Führer, also die erfolgreiche Regelung schwarzer politischer Partizipation auf nationaler Ebene.
Die seit dem 1. September 1984 gültige Verfassung sieht ein Drei-Kammer-Parlament vor, in das Mischlinge und Inder als kontrollierbare Minderheiten kooptiert wurden. Schwarze jedoch bleiben von jeder Mitbestimmung auf nationaler Ebene ausgeschlossen; sie werden auf die Homelands verwiesen. Den städtischen Schwarzen wurde 1982 eine finanziell und kompetenzmäßig überaus bescheiden ausgestattete kommunale Selbstverwaltung verordnet, die praktisch keine Akzeptanz findet.
Nachdem der Druck der Anti-Apartheid-Opposition und des Auslands in der zentralen Frage schwarzer Teilhabe an der Macht rapide zugenommen hatte, ließ die Regierung 1985 zunächst gemischtrassische Parteien zu. Als auch Ineffizienz und Kostendruck getrennter Verwaltungen kaum mehr erträgliche Dimensionen erreichten, wurden 1986 (nach Abschaffung der bisherigen Provinzräte) für die Regional-und teilweise die Lokalverwaltung zuständige „Regional Services Councils“ eingesetzt. Diese weiß dominierten Räte besitzen allerdings nur sehr begrenzte Kompetenzen (Regionalplanung, Straßenbau, Wasser-und Stromversorgung etc.) Die Mitwirkung Schwarzer auch an nationalen Entscheidungsprozessen konkretisierte P. W. Botha erstmals am 31. Januar 1986 mit der Ankündigung eines alle Bevölkerungsgruppen umfassenden, für die weitere Verfassungsentwicklung zuständigen „National Statutory Council“. 2. Voraussetzungen für erfolgreiche Verfassungsreformen Um für die Verhandlungen überhaupt eine gewisse Legitimationsbasis in der schwarzen Bevölkerung zu finden, müssen von dieser legitimierte Führer rekrutiert werden. Dies setzt zunächst die Legalisierung aller relevanten politischen Organisationen (besonders des ANC) und die Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder voraus. Des weiteren dürften zumindest einmalige rein schwarze Wahlen innerhalb der Rassenklassifizierung nötig sein Die Verweigerung des größten Teils der bisherigen „non-involvement" -Opposition muß in Kauf genommen werden Damit Verhandlungen inhaltliche Erfolgschancen besitzen, müssen bestimmte „non-negotiables der Teilnehmer akzeptiert sein:
— die politische Partizipation der gesamten Bevölkerung auf nationaler Ebene in einem Südafrika muß Ziel sein;
— diese Partizipation darf nicht auf der Basis der Rassenklassifizierung stattfinden;
— den Weißen muß ein für sie akzeptabler Lebensraum gesichert werden; d. h., sie dürfen in für sie entscheidenden Fragen nicht majorisierbar sein.
Daneben muß bezüglich bestimmter struktureller Bedingungen Einigkeit herrschen:
— neue Verfassungsordnungen müssen reformistisch aus den bestehenden Machtstrukturen entwickelt werden, zugleich jedoch einen völligen Neuanfang verkörpern;
— der Prozeß der Verfassungsreform muß auf Ebenen ansetzen, wo ein die Implementierung ermöglichender, möglichst hoher Konsens über das Procedere erreicht werden kann. 3. Ausscheidende Verfassungsoptionen Unter den genannten Bedingungen scheiden mehrere Verfassungsoptionen von vornherein aus: a) Rassentrennende Optionen Verfassungsmodelle, die — unter Wahrung der weißen Vorherrschaft — die Teilung der Macht nach Rassenkriterien vorsehen, werden sowohl von der gesamten Anti-Apartheid-Opposition als auch von der internationalen Öffentlichkeit vehement abgelehnt. Sie wären entsprechend nur mit andauernder Gewalt durchzusetzen. Zu diesen Modellen zählen sowohl die „Weiterentwicklung“ des bisherigen Systems durch eine vierte (schwarze) Kammer als auch eine Vielzahl von Konstruktionen, die unter den Namen „Constellation of States“, „Corporative Federalism“, „Constitutional Association“ etc. diskutiert werden b) Teilung Auch die radikale territoriale Zweiteilung Südafrikas (die die Umsiedlung von Millionen Menschen bedeuten würde) würde vom größten Teil der Anti-Apartheid-Opposition äls Fortsetzung der weißen Vorherrschaft interpretiert und hätte kaum Aussichten auf internationale Anerkennung Der von wirtschaftlichem, technischem, administrativem und militärischem Knowhow radikal entleerte schwarze Staat wäre völlig vom weißen Nachbarn abhängig und würde überdies — angesichts der schon jetzt bestehenden Konflikte — der Balkanisierung anheimfallen.
Eine Teilung (bei der mit Sicherheit das Bergbau-und Industriegebiet des „Reef den Schwarzen zufallen müßte) würde auch die Lebensqualität der Weißen in einem solchen Maße senken, daß sie aus derzeitiger Sicht als völlig inakzeptabel erscheint.
Die Regierung kann folglich eine Teilung nur als Ausweg aus einem bereits sehr weit eskalierten Bürgerkrieg erwägen. c) Einheitsstaat Die bei der Mehrheit der Schwarzen favorisierte Lösung — ein demokratischer Einheitsstaat unter den Prinzipien „one man — one vote “ und „Winner takes all“ — würde für die Weißen und damit die jetzige Regierung den völligen Machtverlust bedeuten und ist schon deshalb indiskutabel. 4. Die Option der Konkordanzdemokratie Nachdem andauernde weiße Minderheitsherrschaft, schwarze Mehrheitsherrschaft und Teilung für die Regierung als Optionen ausfallen, bleibt — als Weg zur zumindest teilweisen Machterhaltung — das Prinzip der Regierung per Einvernehmen, der Konkordanzdemokratie Konflikte sollen durch ständig neu ausgehandelte Kompromisse zwischen den Eliten der sozialen Gruppen gelöst werden — unter Anerkennung der Subkulturen und ihrer politischen Autonomie. Der Min-derung von Konfliktmöglichkeiten dienen ein möglichst hoher Grad an Selbstverwaltung, gegenseitige Vetorechte, Machtausübung nach dem Proporzprinzip sowie die Überrepräsentation kleiner Gruppen.
Für Südafrika kommt für die Definition sozialer Gruppen (da die zwangsweise Bestimmung der Rassenklassifizierung ausscheidet) nur die freiwillige Assoziation auf regionaler und parteimäßiger Ebene in Frage. Das Funktionieren einer Konkordanzdemokratie indes stünde — von den grundsätzlichen Problemen jeder Konkordanzdemokratie abgesehen — unter keineswegs optimistisch stimmenden Vorzeichen
— Einigung und eine leidlich stabile „balance of power“ sind in Südafrikas politisch und ethnisch stark fragmentierter Gesellschaft schwer erreichbar;
— politische, ökonomische und sozio-kulturelle Konflikte fallen im Hauptkonflikt „Schwarz — Weiß“ zusammen
— große Teile der schwarzen Opposition sind auf den Einheitsstaat festgelegt;
— es existieren keine überwölbenden nationalen Loyalitäten; zwischen den kulturell extrem verschiedenen Eliten (besonders der Afrikaaner und Schwarzen) existiert keine Tradition der Konsensbildung;
— es existiert noch immer ein sehr unterschiedliches Verständnis etwa von Geschichte (weiß: linear/schwarz: kreisförmig), Hierarchie (weiß: Leistung/schwarz: Status) und Realität (weiß: rational/schwarz: mythologisch geprägter Begriff) — was sehr unterschiedliche Vorstellungen auch von Politik und Demokratie bedingt;
— es existiert keine einigende externe Bedrohung. 5. Ansatz auf regionaler Ebene Dennoch: Die Regierung, weiße und z. T. auch schwarze (Buthelezi) Eliten öffnen sich zunehmend dem Gedanken der Konkordanzdemokratie als einziger erkennbarer Chance einer neuen südafrikanischen Verfassung. Diese Verfassung müßte — um ihre Funktionschancen zu erhöhen — den föderal zusammengefaßten Regionen größtmögliche Autonomie gewähren. Die Zentrale dürfte sich ausdrücklich nur mit Fragen beschäftigen, deren Behandlung auf nationaler Ebene unabdingbar ist: Verteidigung, Außenpolitik, Teile der Wirtschaftspolitik, Finanzausgleich etc. Die Nachteile des dezentralen „decision-making“ müßten zugunsten einer verbesserten Akzeptanz der Entscheidungen in Kauf genommen werden.
Die Einführung von Konkordanzdemokratie ist in Südafrika selbstverständlich nur auf nationaler Ebene möglich. Dieses Ziel nationalen „powersharings“ müßte die Regierung vor allen Verhandlungen klarstellen. Die gleichzeitige Einführung im ganzen Lande indes würde kaum gelingen:
— die Regierung bekommt mit einiger Wahrscheinlichkeit nur einige der schwarzen Führer an den Verhandlungstisch, die in den Regionen die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich haben;
— es ist in einigen Regionen mit erheblichem militantem Widerstand der „non-involvement“ -Opposition und der „Rechten“ zu rechnen;
— eine plötzliche paritätische Beteiligung schwarzer Führer an der vollen nationalen Macht wäre krisenträchtiger als ein allmähliches Hineinwachsen. Deshalb wäre es aus der Sicht der Regierung sinnvoller, einerseits auf gesamtsüdafrikanischer Ebene durch Wahlen legitimierte schwarze Führer in Verhandlungen über den nationalen Rahmen einzubeziehen, bei der Verwirklichung der Konkordanzdemokratie jedoch auf regionaler Ebene anzusetzen; und zwar dort, — wo von der Bevölkerung legitimierte schwarze Führer, die in möglichst starkem Maße „involvement“ -Positionen vertreten und einen möglichst hohen Handlungsspielraum besitzen, bereits existieren ;
— wo die funktionale Interdependenz zwischen Schwarz und Weiß möglichst hoch ist;
— wo bei der weißen Bevölkerung die Einsicht in die Notwendigkeit der Machtteilung mit den Schwarzen möglichst hoch ist.
Die mit weitem Abstand zuerst in Frage kommende Region wäre das ineinander verflochtene Gebiet Natal/KwaZulu, wo Gatsha Buthelezi unangefochten die „involvement“ -Bewegung Inkatha führt, wo der Großteil der weißen Bevölkerung britisch-stämmig ist und wo die gemischtrassische „Buthelezi-Kommission“ 1982 bereits ein konkordanzdemokratisches Verfassungsmodell vorgelegt hat. 6. Das Modell KwaNatal Das von der Buthelezi-Kommission vorgeschlagene Rahmenmodell sieht eine Vereinigung der Provinz Natal und des Homelands KwaZulu zu einer föderal mit dem Rest Südafrikas verbundenen Region KwaNatal vor. Ein zunächst rassen-paritätisch zusammengesetztes Kabinett soll Wahlkreise unter Berücksichtigung sogenannter „Communities of Interest“ (soziale Gruppen, die anfangs meist ethnisch bestimmt sein dürften) abstecken; eine gewisse Überrepräsentation von Minderheiten ist beabsichtigt. Die Macht des dennoch mehrheitlich schwarzen Parlaments (zu dessen Wahl sich beliebig zusammengesetzte Parteien stellen) soll begrenzt werden — durch eine möglichst weitgehende Dezentralisierung der Macht an lokale Instanzen; — durch eine relativ starke Exekutive, in der konkordanzdemokratisch entschieden wird — bei Vetorechten für Minderheiten (ab etwa zehn Prozent) besonders in Fragen der Verfassungsänderung der Erziehung, der Religion und der Sprache.
Verhandlungen über die Details des Modells werden seit Anfang April 1986 — unter Beteiligung von Vertretern aller sozialen Gruppen und auch von Regierungsbeobachtern — in einer „Indaba“ in Durban geführt. In Ansätzen ist eine gemeinsame Verwaltung bereits implementiert. 7. Probleme Trotz des kaum mehr überbietbaren Minderheitsschutzes stößt das Modell KwaNatal wie alle konkordanzdemokratischen Vorstellungen bei der Regierung nach wie vor auf Skepsis. Sie und viele Weiße befürchten einen Verfassungsbruch der schwarzen Mehrheit, sobald diese die Machtmittel dazu in der Hand hat. Eine Möglichkeit, dieser Sorge Rechnung zu tragen, wäre es, die „coercive forces“ (also im wesentlichen Armee und Polizei)
vorerst — nach regionalem Schlüssel — paritätisch zu besetzen.
Bezüglich des Pionierprojekts KwaNatal hat die Regierung eine halbherzige Position bezogen: Einer gemeinsamen Exekutive hat sie prinzipiell zugestimmt; bezüglich der Legislative beharrt sie auf strikter Rassentrennung Darüber hinaus hat sie im Rahmen der Regionalreform die Macht der (jetzt nicht mehr gewählten, sondern ernannten) Regionalverwaltungen drastisch zugunsten der Zentralgewalt beschränkt; dies stellt zum einen die Vollmachten der noch von der jetzt aufgelösten Provinzverwaltung bestellten weißen Verhandlungspartner infrage und reduziert zum anderen die Attraktivität des Modells für die Schwarzen erheblich. Ähnliches gilt für die anderen potentiellen Schlüsselregionen, in denen die Voraussetzungen für Konkordanzdemokratie relativ gut sind: Teile des Witwatersrand, der „Korridor“ des östlichen Kap zwischen Transkei und Ciskei und die Kap-Halbinsel
XI. Schlüsselbereich 5: Sicherheitspolitik
Die Gewalt im Rahmen des politischen Protests forderte zuletzt rund 150 Menschenleben pro Monat. Ein Teil dieser Toten geht auf das Konto politisch motivierter Gewalttaten; ein anderer Teil ist der unter dem Deckmantel des Protests operierenden Bandenkriminalität zuzuschreiben; die Hälfte der Toten jedoch sind Opfer staatlicher Gewalt und damit einer Politik der inneren (die äußere wird hier ausgeklammert) Sicherheit, die um fast jeden Preis Härte gegenüber „Unruhestiftern“ demonstriert
Unter dem Ausnahmezustand besitzen die Sicherheitskräfte sehr weitgehende Vollmachten (Recht zur zeitlich unbegrenzten Festnahme ohne Gerichtsverfahren, Straffreiheit für alle „in gutem Glauben“ begangene Diensthandlungen). Die Polizei gebraucht fast nie die in Europa üblichen Defensivwaffen, sondern setzt extensiv Tränen-gas, Gummigeschosse und Schrot ein. In den Gefängnissen gehören brutale Verhörmethoden und Folter zum Alltag. Die Luftwaffe überfällt in spektakulären Aktionen ANC-Quartiere in Nachbarländern; und nicht zuletzt werden immer wieder die Pressefreiheit erheblich eingeschränkt und ausländische Journalisten des Landes verwiesen. Mit dieser aus der „total strategy“ geborenen Sicherheitspolitik steckt die Regierung in einem Dilemma: Einerseits muß sie die Bürger (aller Rassen) vor randalierendem Mob schützen; sie muß möglichst umfassend die Bemühungen des ANC, durch Sabotage und Terror die industrielle, energiewirtschaftliche und verkehrstechnische Infrastruktur des Landes zu schwächen, vereiteln; ein Nachgeben gegenüber dem Terror würde in verhängnisvoller Weise die politische Basis für Reformen erodieren lassen. Andererseits schlägt sich die harte Sicherheitspolitik in erheblichen politischen Kosten nieder: Die gesetzlich gedeckten Exzesse der Sicherheitskräfte spielen revolutionären Kräften in die Hände; es werden Märtyrer geschaffen; in der weißen Bevölkerung entstehen Schuldgefühle; die Verletzung der territorialen Integrität der Nachbarländer verstärkt die internationale Isolation.
Es ist schwer für die Regierung, auf den gewalttätigen Widerstand angemessen zu reagieren. Sie dürfte auch in Zukunft eher zu hart zuschlagen; das ist für sie weniger gefährlich als Nachgiebigkeit.
XII. Konsequenzen für die Südafrika-Politik des Westens
Der Blick der westlichen Öffentlichkeit auf die südafrikanische Wirklichkeit ist verstellt durch die Bewältigung eigener kolonialer Vergangenheit, die Verinnerlichung der international geltenden Normen der Rassengleichheit und Mehrheitsherrschaft sowie die Machanismen der Berichterstattung in den (elektronischen) Medien: Es werden vorwiegend menschenrechtsverletzendes Verhalten weißer Unterdrücker sowie Leiden und Widerstand schwarzer Unterdrückter perzipiert. Die komplexen Probleme des Landes werden auf einen Grundkonflikt reduziert, in dem man moralisch eindeutig Stellung beziehen kann. Politisches Denken bezüglich Südafrika erscheint nicht nötig.
Die stark demokratisierte Außenpolitik des Westens zollt dem Tribut, indem sie Südafrika weiter isolieren hilft. Daß westliche Diplomaten ständig von einem sich angeblich nicht oder kaum ändernden Status quo der Apartheid reden entlarvt sie in den Augen sachkundiger und bemühter Südafrikaner sowie der Regierung als ignorant und arrogant; sie werden nicht ernst genommen. Demarchen werden entsprechend einfach nicht mehr beantwortet; die wirtschaftlichen und politischen Folgen der Isolation werden teils zähneknirschend, teils achselzuckend in Kauf genommen.
Wenn der Westen tatsächlich — im Sinne langfristiger außenpolitischer und -wirtschaftlicher Interessen — den Reformprozeß in Südafrika fördern will, muß er — sich zunächst eine realistische Sicht Südafrikas zulegen, d. h. Interessen, Handlungsrahmen und Optionen der Hauptakteure, besonders der Regierung, zur Kenntnis nehmen; — die Stimmen aus dem Lande, die auf ihn eindringen, sorgfältig auf ihren Stellenwert hin überprüfen; — die Regierung an ihren Möglichkeiten und nicht an Idealen messen;
— Verständnis nicht nur für die Leiden der Schwarzen, sondern auch für das Dilemma der Weißen aufbringen
— bereit sein, positive Veränderungen zur Kenntnis zu nehmen und zu honorieren;
— sich um eine weitestgehende Reintegration Südafrikas in die internationale Gemeinschaft (vor allem auf wirtschaftlicher, kultureller und sportlicher Ebene) bemühen, da jede Isolation den Benachteiligten und dem Reformprozeß im Lande schadet;
— die reformbereiten und nicht die revolutionären Kräfte im Lande unterstützen;
— durch konstruktive und effiziente diplomatische Kontakte den Reformprozeß flankieren; — per Entwicklungshilfe (auch entsprechende Anreize an die Privatwirtschaft) die sozioökonomische Lage der Schwarzen verbessern helfen; — die entstehenden innen-und außenpolitischen Kosten konsequenten konstruktiven Engagements in Kauf nehmen.
Mit einer solchen Politik könnte der Westen die Chancen des Reformprozesses in Südafrika erheblich erhöhen. Es erscheint indes wahrscheinlich, daß die bislang die westliche Südafrika-Politik beeinflussenden Mechanismen im Laufe der weiteren, zweifellos dramatischen Entwicklung vor Ort eher noch an Wirkung gewinnen werden: Der Westen ist — funktional gesehen — dabei, einen Pakt der Reformverhinderung mit der „non-involvement" -und der „rechten“ Opposition in Südafrika einzugehen.