I. Der Bundesstaat auf dem Prüfstand
Am 24. Juni stand die „Entscheidung des Jahres“ in Karlsruhe an. Als „tollster Prozeß“ in der kurzen Geschichte der Bundesrepublik, als „Milliardenpoker“ und „Sezessionskrieg“ wurden die Klagen Baden-Württembergs und der fünf SPD-regierten Länder Bremen, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Saarland vor dem Bundesverfassungsgericht apostrophiert In der Tat ging es um Milliarden öffentlicher Gelder: Ob nämlich die Förderzinsabgaben auf die Öl-und Erdgasförderung Niedersachsens in den horizontalen Finanzausgleich einbezogen werden müssen stand dabei ebenso zur Debatte wie die Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen auf die finanzschwachen Länder. Maßgebliche Teile des Länderfinanzausgleichs haben die Karlsruher Richter denn auch für verfassungswidrig erklärt. Bei den Ergänzungszuweisungen hat zudem der Bund seinen verfassungsrechtlichen Pflichten nicht genügt. Bis 1988 ist der Bundesgesetzgeber nun gehalten, die gesamte Ausgleichsregelung für die Finanzverteilung neu zu gestalten. Mit auf dem Prüfstand in Karlsruhe stand gleichzeitig der bundesdeutsche Föderalismus: Haben Bund und Länder bei der Aufteilung der öffentlichen Einnahmen denn nicht versagt und damit eine desolate Lage heraufbeschworen, über die das Bundesverfassungsgericht einmal mehr als Schiedsrichter entscheiden mußte?
Was dieser Fall andeutet, läßt sich noch an zwei weiteren Beispielen ablesen: Da zeigen sich die elf Bundesländer heillos zerstritten bei der Neuregelung des Rundfunkwesens Ein Staatsvertrag soll einen einheitlichen Rahmen für die Zulassung privater Rundfunkveranstalter, für die Bestands-und Entwicklungsgarantie der öffentlich-rechtlichen Funkhäuser sowie für die Zuteilung von Satellitenkanälen auf die Länder regeln. Uneinigkeit zwischen diesen über Werbung in Dritten Programmen hat zu Separatverträgen im Norden und Süden geführt. Schon wird allenthalben das Gespenst an die Wand gemalt, ohne Medien-Staatsvertrag werde die föderale Rundfunkorganisation nicht überleben. Kleinstaaterei und Partikularismus triumphieren, so das Urteil in nicht wenigen Kommentaren.
Auf der Anklagebank findet sich der Föderalismus auch wieder, läßt man die Auswirkungen des Reaktorunglücks in der UdSSR Revue passieren Mangelhafte Informationspolitik in Bonn wird konstatiert, gekoppelt mit höchst unterschiedlichen Empfehlungen von Bundesministerien und Länderbehörden, wie man sich am besten vor möglichen Folgen des atomaren Unfalls schützen könne. Während die Strahlenschutzkommission längst die Gefahr gebannt sah, warnten einzelne Länder weiterhin vor dem Verzehr von Spinat und hielten ihre Bauern an, sämtliches Blattgemüse unterzupflügen.
Kein Zweifel, die bundesstaatliche Ordnung ist ins Gerede gekommen. Diese Einsicht ist weitverbreitet — auf Seiten des Bundes wie der Länder, bei den Bonner Koalitionsparteien wie bei der Opposition, in Kommentaren wie in Äußerungen der Bürger. Spannungen und Schwierigkeiten kennzeichnen sowohl das Bund-Länder-Verhältnis wie auch die Beziehungen der Länder untereinander. Das Geflecht aus wahltaktischen Schachzügen, bundes-oder landesspezifischen Interessen und parteipolitischen Strategien nimmt sich derart weitverzweigt und feingesponnen aus, daß es für Außenstehende kaum mehr zu durchschauen, geschweige denn zu verstehen ist. Hat der Föderalismus also seine Zukunft hinter sich, stellt er nurmehr einen Anachronismus dar, den es zu überwinden gilt, so ist zu fragen. Oder haben kritische Beobachter recht, die meinen, statt Abschied vom Bundesstaat gelte es, zu den Ursprüngen eines modernen, funktions-und leistungsfähigen Nebeneinander von Bund und Ländern zurückzukehren Spiegeln nicht trotz aller tagespolitischen Kritik Meinungsumfragen kontinuierlich eine hohe Akzeptanz des föderativen Systems sowie der Institution Bundesrat wider?
Ausgehend von dieser kontroversen Fragestellung ist es Ziel des folgenden Beitrages, zunächst den kooperativen Föderalismus als aktuelle Ausprägung des deutschen Bundesstaates in seiner Entwicklung und mit seinen Folgen darzustellen. Dabei wird deutlich, in welch entscheidendem Maße sich das Regierungssystem der Bundesrepublik verändert hat. Sodann wird auf die Bemühungen um eine Reform eingegangen, wobei der Schwerpunkt auf den jüngsten Entwicklungen liegt. Abschließend wird versucht, ein theoretisches Konzept zu erarbeiten, um die Perspektiven unserer bundesstaatlichen Ordnung besser abschätzen zu können.
II. Entwicklungsstadien des föderativen Systems
Die Voraussetzungen für das bundesstaatliche System, das den Ländern die Qualität von Staaten garantiert, wurden 1948/49 im Parlamentarischen Rat geschaffen. Das Votum für den Bundesstaat gehört ebenso wie das für die parlamentarische Demokratie und den sozialen Rechtsstaat zu den tragenden Strukturprinzipien der Verfassungsordnung der Bundesrepublik. Die Ausgestaltung der föderativen Ordnung nimmt im Grundgesetz einen breiten Raum ein. 1. Ausgangstage Das Wesen des Bundesstaates besteht in der Verteilung von Aufgaben und Befugnissen zwischen Gesamt-und Gliedstaaten. Grundsätzlich wird zwischen funktionalen Kompetenzen (Kompetenzarten) und der Verantwortung für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben (Politikfelder) unterschieden Im Grundgesetz dominiert das Prinzip der funktionalen Zuständigkeitsverteilung: Gesetzgebungskompetenzen, Verwaltungsbefugnisse, Zuständigkeiten in der Rechtsprechung sowie Finanzmittel werden entweder dem Bund oder den Ländern zugewiesen. Nur wenige Aufgabenbereiche werden in Gesetzgebung, Verwaltung und Finanzierung vom Bund bzw. von den Ländern allein geregelt. Insofern wurde 1949 im Grundgesetz eine relativ strikte Kompetenz-und Aufgabentrennung statuiert. Die zuständigen Organe beider staatlicher Ebenen sollten ihre Befugnisse und Aufgaben selbständig und in eigener Verantwortung wahrnehmen. Auch für die Finanzverfassung bestand dieses Trennsystem: Bund und Länder durften grundsätzlich nur ihre eigenen Aufgaben finanzieren. Die Erträge aller Steuern standen entweder allein dem Bund oder den Ländern zu. Das Trennsystem bei Kompetenzen, Aufgaben und Finanzen schloß allerdings von Anfang an ein Zusammenwirken von Bund und Ländern nicht aus. Vielmehr enthielt das Grundgesetz bereits 1949 eine Reihe von Kooperationsnormen: In den Aufgabenbereichen von Art. 35 und 91 wurde z. B. eine Zusammenarbeit von Bundes-und Landesorganen vorgeschrieben. Zudem ergab sich aus der Verteilung hach Kompetenzarten eine funktionale Verzahnung und Verschränkung zwischen Bund und Ländern. Die Notwendigkeit einer kontinuierlichen und engen Kooperation zwischen den Organen beider staatlichen Ebenen ist wechselseitig bedingt. Die Länder wirken über den Bundesrat an der Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes mit; der Bund besitzt dagegen abgestufte Einwirkungsrechte auf die Verwaltung der Länder, soweit diese Bundesgesetze ausführt (Rechtsaufsicht bzw. Fachaufsicht sowie spezielle Einwirkungsrechte).
Da die Länder vor dem Bund existent waren, bestand die Selbstkoordination der Länder bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes, so z. B. in der Ministerpräsidenten-und Kultusminister-konferenz. Erstere fungierte zunächst als Ersatz für die deutsche Zentralgewalt in den westlichen Besatzungszonen. Nach Konstituierung des Bundesrates sahen die Länder aber weiterhin die Notwendigkeit, in diesem Koordinationsgremium zusammenzuarbeiten. 2. Unitarisierung als Zielvorstellung Das föderative System Nachkriegsdeutschlands entstand nicht durch Zusammenschluß vorher unabhängiger Einzelstaaten, sondern durch Willensakt der deutschen Bevölkerung in den westlichen Besatzungszonen (Zustimmung der Landtage), auf Initiative der Parteien und Politiker im Parlamentarischen Rat sowie unter maßgeblicher Ägide der westlichen Besatzungsmächte. Die Legitimation des Bundesstaates ließ sich mithin nicht mehr aus der politischen Einheitsbildung ableiten. Zum vorherrschenden Begründungsmuster wurde infolgedessen die vertikale Gewaltenteilung. Die Ausgestaltung des neuen Bundesstaates erfolgte unter zwei Prämissen: Institutionell entsprach man den Bedingungen eines föderativen Systems; inhaltlich sollte die bundesstaatliche Ordnung jedoch der Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse dienen. Das Leitbild des unitarischen Bundesstaates besagt, daß dieser nach seinen Institutionen föderativ, gemessen an der von Bund und Ländern betriebenen Politik indes unitarisch ausgerichtet ist.
Die Einheitlichkeit und Egalisierung als normative Vorgabe für die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben leitet man einerseits als Verfassungsauftrag aus dem Grundgesetz ab andererseits werden dafür veränderte technische und sozioökonomische Rahmenbedingungen ins Feld geführt: — Funktionsmechanismen entwickelter arbeitsteiliger Industriegesellschaften, besonders in den Sektoren Wirtschaft und Verkehr;
— Gleichmäßigkeit bei der Versorgung der Bevölkerung mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen; — Realisierung des Sozialstaatsgebots sowie der aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleiteten Chancengleichheit; — Wirkung bundesrechtlich gewährleisteter, auch für den Landesbereich unmittelbar geltender Grundrechte
Als primärer Bestimmungsfaktor des unitarischen Leitbildes wurde freilich stets eine undifferenzierte Erwartungshaltung im Bewußtsein der Bevölkerung postuliert: Von Land zu Land unterschiedliche Regelungen würden von den Bürgern einfach nicht mehr hingenommen.
Zur Realisierung dieser Zielvorstellung auf den verschiedenen Politikfeldern mittels bundesweit einheitlicher Regelungen steht ein dreistufiges Instrumentarium zur Verfügung:
a) Regelungen des Bundes, besonders auf dem Gebiet der Gesetzgebung, aber auch Verwaltungszuständigkeiten und Finanzierungsbefugnisse spielen hier eine große Rolle. Der Bund kann allerdings nur auf Gebieten tätig werden, für die er eine Kompetenz im Grundgesetz besitzt oder doch ableiten kann. Der Willensbildung und Entscheidung in Bundestag und Bundesrat liegt das Mehrheitsprinzip zugrunde. b) Bei den den Ländern verbliebenen Aufgabenbereichen und Zuständigkeiten können die Länder gemeinsame Entscheidungen treffen und länderübergreifende, bundeseinheitliche Regelungen in Kraft setzen. Die Selbstkoordination der Länder kennt verschiedene Formen verbindlicher Entscheidungen und gemeinsamer Beschlüsse, die stets der Einstimmigkeitsregel folgen.
c) Bund und Ländern gemeinsam zugängliche Politikfelder und Befugnisse werden in Form der Kooperation und Koordination bearbeitet. Dies gilt in hohem Maße für alle Fragen der gesetzesgebundenen Verwaltung. Die Lösungen besitzen verschiedene Verbindlichkeit; in der Regel bedarf das Vorgehen einstimmiger Beschlüsse. Für besondere strukturpolitische Bereiche ist die Bund-Länder-Zusammenarbeit zu verfassungsrechtlich fixierten Gemeinschaftsaufgaben verfestigt worden. Bund und Länder wirken auf diesen Politikfeldern in Form gemeinsamer Planung, Entscheidung und Finanzierung zusammen. Die Beschlüsse der Planungsgremien unterliegen einer qualifizierten Mehrheitsregel, die praktisch auf das Einstimmigkeitsprinzip hinausläuft.
Bund und Länder haben sich, wie die folgende Analyse ausweist, zur Realisierung der unitarischen Zielsetzung aller drei Instrumente bedient. Die Haltung der Parteien in Bund und Ländern zu dieser Entwicklung war generell positiv. Die Regierungsmehrheiten ebenso wie die Bonner Opposition (mit Ausnahme der FDP während der Großen Koalition) haben die unitarische Zielsetzung und die daraus sich ergebenden Folgen für die Politikgestaltung mitgetragen. Die im Bundesrat vertretenen Landeskabinette haben der Politik der Bundesregierungen nolens volens zugestimmt und kontinuierlich auf den eigenen Sachgebieten ihre Politiken abgestimmt und koordiniert. 3. Zentralisierungsphase Der Zeitraum von 1949 bis Anfang der siebziger Jahre wird durch Zentralisierungstendenzen gekennzeichnet. Kompetenzen im Gesetzgebungsbereich, aber auch Verwaltungsbefugnisse wuchsen dem Bund zu im Zusammenhang mit der Erlangung der Souveränität 1955 oder wurden aus der Länderzuständigkeit durch formelle Verfassungsänderung dem Bund übertragen Eine Er-weiterung der Befugnisse des Bundes erfolgte auch durch extensive Auslegung bestehender Verfassungsnormen („ungeschriebene Zuständigkeiten“) sowie durch vollständiges Ausschöpfen der dem Bund zustehenden Kompetenzen.
Schon wenige Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes hielt man eine Anpassung an sich ändernde politische, wirtschaftliche und soziale Verhältnisse für notwendig In einigen Fällen mußte der Bund neue Aufgaben übernehmen, die 1949 noch nicht erkennbar waren, so die Wehr-verfassung und die Aufstellung der Bundeswehr 1954/56 sowie die Notstandsverfassung 1968. Mit dem Luftverkehr und der Kernenergie übernahm der Bund neue Gesetzgebungs-und Verwaltungsbefugnisse. Zudem wurde für eine Reihe von Aufgabenbereichen die Notwendigkeit bundeseinheitlicher Regelungen mit unterschiedlichen Begründungen verlangt. Daraus resulierte die Verlagerung wesentlicher Gesetzgebungsmaterien von den Ländern auf den Bund. Zugleich erweiterte der Bund seinen Einfluß im administrativen Bereich. Die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern wurden im Interesse des Bundes ebenfalls geändert. Bereits 1955/56 wurde ein Steuer-verbund mit Einkommen-und Körperschaftssteuer geschaffen und neben dem vertikalen Finanzausgleich der horizontale Finanzausgleich beträchtlich ausgeweitet.
Im Zusammenhang mit der großen Finanzreform 1967/69 erfolgte ein zweiter großer Schub an Kompetenzverlagerungen auf den Bund Im Haushalts-und Finanzwesen bekam der Bund aus gesamtstaatlichen Überlegungen neue Befugnisse zugestanden. Darüber hinaus bedurfte die Steuerung der Konjunktur-und Wirtschaftspolitik länderübergreifender Instrumente, die sich z. B. im Stabilitäts-und Wachstumsgesetz niederschlugen. Der Steuerverbund wurde um die Umsatzsteuer erweitert. Parallel zu diesem Prozeß bauten die Länder ihre Selbstkoordination in Ressortministerkonferenzen und gemeinsamen Einrichtungen aus. Auch die vertikale Kooperation (Vierte Ebene) wurde über die diesbezüglichen Verfassungsnormen hinaus entwickelt: Bund und Länder arbeiteten aufverschiedenen Sachgebieten zusammen und stimmten ihre Politik im Interesse eines effizienten Mitteleinsatzes, z. B. in Form von Verwaltungsabkommen, ab
Zentralisierung als Verlagerung von Zuständigkeiten und Aufgaben auf den Bund erfolgte zu Lasten der Länder. Da nie eine Kompensation für die Länder vorgenommen wurde, hatte besonders der Verlust legislatorischer Befugnisse an den Bund für die Länder katastrophale Folgen. Ihre Bedeutung als Zentren politisch wichtiger Entscheidungen nahm ab, und ihre Fähigkeit zur Regelung bedeutsamer Komplexe des wirtschaftlichen und sozialen Lebens schwand dahin. Innerhalb der Länder wurden die zuständigen Organe allerdings in unterschiedlichem Maße von dem Kompetenzverlust betroffen. Die Landesregierungen und ihre Bürokratien gewannen an Macht und Einfluß im Bundesrat und auf der Bund-Länder-Ebene, da die Kompetenzübertragungen mit Zustimmungsrechten der Ländervertretung kompensiert wurden Negativ nimmt sich die politische Kosten-Nutzen-Rechnung dagegen für die Landtage aus, da ihr gesetzgeberisches Potential massiv eingeschränkt wurde, ohne im Bundesrat bzw. im Bund-Länder-Konzert vertreten zu sein oder mitentscheiden zu können. 4. Stadium der Politikverflechtung Zu Beginn der siebziger Jahre war die Zentralisierung von Kompetenzen und Aufgaben soweit fortgeschritten, daß bei linearer Fortentwicklung die Eigenstaatlichkeit der Länder in Frage gestellt und damit die institutioneile Bestandsgarantie des Föderalismus in Art. 79 III GG verletzt worden wäre. Deshalb mußte das Instrumentarium zur Durchsetzung des unitarischen Leitbildes ausgetauscht werden.
Das neue Instrument hieß „Gemeinschaftsaufgaben“ Präzise charakterisierte Fritz W. Scharpf die gemeinsame Wahrnehmung bestimmter Aufgaben als Politikverflechtung Die zuständigen Organe von Bund und Ländern nehmen gemeinsam bestimmte Kompetenzen wahr (Verwaltung im Sinne von Planung, Entscheidung, Finanzierung, z. T. ausführende Verwaltung), bezogen auf bestimmte Aufgaben, für die ursprünglich die Länder allein zuständig zeichneten. Bei den gemeinsam zu planenden und zu finanzierenden Vorhaben und Maßnahmen handelt es sich um konjunktur-und strukturpolitische Aufgaben von bundesweiter Bedeutung, die hohe Investitionen von Ländern und Gemeinden erfordern. Im einzelnen geht es dabei um Infrastrukturmaßnahmen wie den Hochschulbau, die Verbesserung der Agrarstruktur einschließlich Küstenschutz und der regionalen Wirtschaftsstruktur (Art. 91a GG), den sozialen Wohnungsbau, die Verbesserung der Gemeinde-Verkehrsverhältnisse, den Krankenhausbau und die Städtebauförderung (Art. 104 a IV GG) sowie um die Bildungsplanung und die Forschungsförderung nach Art. 91b GG.
Mit der verfassungsrechtlichen Sanktionierung der Gemeinschaftsaufgaben ging ein entscheidender Wandel des föderativen Systems einher. Denn nun stand nicht mehr eine intensivierte Koordinierung im Bund-Länder-Verhältnis zur Debatte, sondern eine gemeinsame Aufgabenerfüllung war gefragt. Die Planungs-und Entscheidungsbefugnisse einschließlich der Finanzierungskompetenzen liegen nicht mehr bei einem Aufgabenträger allein. Sie sind Bund und Ländern vielmehr zur gemeinsamen Aufgabenerledigung zugewiesen. Die klare Trennung der Aufgabenbereiche von Bund und Ländern, der getrennte Verantwortlichkeiten entsprachen, machte einer Aufgaben-und Kompetenzverflechtung mit gemeinsamer Verantwortung der Organe beider staatlicher Ebenen Platz. Der 1949 eher dualistisch konzipierte Bundesstaat ist erkennbar einem kooperativen Föderalismus gewichen
In der Zwischenzeit hat sich die Politikverflechtung zu einem regelrechten Verbundsystem ausgeweitet. Die bereits praktizierte Kooperation von Bund und Ländern wurde seit Beginn der siebziger Jahre weiter intensiviert und das Netzwerk der Länder untereinander durch Selbstkoordination nochmals verdichtet. So entscheiden Bund und Länder heute politisch kaum mehr für sich allein. Sie bearbeiten die staatlichen Aufgaben weitestgehend im Verbund, unabhängig davon, wer die gesetzgeberische bzw. die administrative Zuständigkeit hat oder wer über die Finanzhoheit verfügt. Alle Akteure sind in alle Entscheidungen mehr oder weniger einbezogen, ohne sie jeweils alleine treffen bzw. verantworten zu müssen. 5. Folgen für das politische System Faßt man die durch zentralistische Politikverflechtung determinierte Entwicklung des Föderalismus in der Bundesrepublik zusammen, lassen sich folgende Thesen formulieren: a) Das Schwergewicht der Gesetzgebung einschließlich der Befugnis zur Beschaffung der finanziellen Ressourcen liegt beim Bund. Trotz des stärker gewordenen Bundeseinflusses verfügen die Länder nach wie vor über ein Machtpotential im Verwaltungsbereich und (zusammen mit den Gemeinden) über die damit verbundene Investitionsfinanzierung. Zentrale Steuerung und dezentrale Ausführung der Aufgaben verdeutlichen die Reduktion des bundesstaatlichen Systems auf einen „Verwaltungsföderalismus“. Diese Entwicklung wird sich über Eingriffe der Europäischen Gemeinschaft in Hoheitsrechte der Länder weiter verschärfen b) An die Stelle klarer Aufgabenteilung trat gemeinsame Aufgaben Verantwortung. Daneben ist die Verschränkung der Kompetenzen sowie die Intensivierung von Kooperation und Koordination zwischen Bund und Ländern zu berücksichtigen. Der Bundesstaat der Verfassungsväter mit seinen klaren Abgrenzungen in Form einer „Schichttorte“ hat dem kooperativen Föderalismus in Form des „Marmorkuchens“ Platz gemacht c) Die Schmälerung eigenständiger Aufgaben der Gliedstaaten wird weitgehend durch eine verstärkte Mitwirkung der Länder an der Willensbildung im Bund (Bundesrat) bzw. auf der Bund-Länder-Ebene kompensiert. Mitbestimmung bei der Bundespolitik ersetzt die Selbstbestimmung der Länder jedoch nur unzulänglich. Eine Kosten-Nutzen-Analyse dieses „Beteiligungsföderalismus“ weist nämlich die Landesregierungen als institutioneile Gewinner, die Landtage dagegen als politische Verlierer aus. d) Der Regelungs-und Finanzmacht des Bundes steht das verbliebene administrative Potential der Länder gegenüber. Die Politikgestaltung und die Steuerung des ökonomischen und sozialen Wandels erfolgt weithin durch die Organe der zentralen Ebene. Insofern muß von Zentralisierung im Sinne eines eindeutigen Übergewichts des Bundes bei den Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten zur Erfüllung der öffentlichen Aufgaben gesprochen werden.
e) Das 1949 in etwa ausgeglichene Verhältnis ist heute durch einen deutlichen Verlust der Länder an Macht und politischem Einfluß sowie einen entsprechenden Machtzuwachs beim Bund gekennzeichnet. Die Einbuße der Länder an eigenen Aufgaben und Befugnissen hat zu einer gravierenden Aushöhlung der föderativen Substanz geführt, obwohl die institutionellen Strukturen des Bundesstaates nach wie vor bestehen. Hinter der föderativen Fassade hat sich ein unitarisches und zentralistisches Staatswesen etabliert.
In dem Begriff des „kooperativen Föderalismus“ werden die Zentralisierungstendenzen sowie die Politikverflechtung zusammengefaßt. Zu Beginn euphorisch als „Stein der Weisen“ gefeiert, der alle bundesweiten Probleme im Infrastrukturbereich lösen könne, wird der kooperative Bundesstaat heute jedoch in der politischen Praxis ebenso wie in der wissenschaftlichen Literatur überwiegend negativ beurteilt Zu den Folgen für das politisch-administrative System zählen vor allem: — mangelnde Effektivität bei der gemeinsamen Aufgabenerfüllung;
— hoher Verwaltungsaufwand (Bürokratisierung) sowie Dominanz der vertikalen und horizontalen Fachbürokratien;
— Einschränkung des Gestaltungsspielraums bei Bund und Ländern hinsichtlich Prioritätensetzung und Aufgabenerledigung;
— Kontrolldefizite infolge mangelnder Transparenz und diffuser, da gemeinsamer politischer Verantwortlichkeit;
— Ausschaltung der Parlamente von Bund und Ländern aus dem Exekutivföderalismus mit ebenenübergreifender Politikgestaltung.
III. Ansätze zu einer Reform des Verbundsystems
In Art. 79 III haben die Väter des Grundgesetzes die föderale Struktur für unantastbar erklärt. Diese institutioneile Bestandsgarantie bezieht sich nur auf die Prinzipien der bundesstaatlichen Ordnung, nicht auf deren konkrete Ausgestaltung. Gleichwohl hat das Regierungssystem der Bundesrepublik die tiefgreifendsten Veränderungen im föderativen Bereich erfahren. Seit 1949 traten insgesamt nicht weniger als 35 verfassungsändernde Gesetze in Kraft. 20 davon bezogen sich direkt oder indirekt auf das Bund-Länder-Verhältnis. Dabei stand die Ausweitung der Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes zu Lasten der Länder im Vordergrund. Der Wandel der bundesstaatlichen Ordnung hatte zur Folge, daß die Stellung der Länder, und innerhalb dieser besonders der Parlamente, wesentlich geschwächt worden ist. Von Seiten der unionsregierten Länder, die während der sozialliberalen Koalition im Bundesrat die Mehrheit besaßen, wurde dieser Sachverhalt moniert und immer dringlicher Änderungen angemahnt.
Eine strukturelle Reform des kooperativen Föderalismus drängte sich auch mit Blick auf dessen negative Folgen für das politisch-administrative System auf. Schon relativ bald nach der großen Finanzreform wurde nämlich Kritik an den Gemeinschaftsaufgaben und der Mischfinanzierung laut. Obwohl den Gemeinschaftsaufgaben zunächst die Chance der Bewährung eingeräumt wurde, ließ die Kritik in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion nicht nach, sondern nahm an Schärfe zu. Dabei überschnitten sich Einwände von traditionellen Föderalisten, die die Politikverflechtung rückgängig machen wollten, mit Stellungnahmen bundesfreundlicher Kritiker, die eine Weiterführung der Bundesstaatsreform befürworteten. Die Reform der Reform des Verbundsystems, von allen Seiten gefordert, geriet so in einen Richtungsstreit und wurde auf die lange Bank geschoben. Es bedurfte erst des Anstoßes durch eine Änderung der ökonomischen Rahmenbedingungen, bis es zu ernsthaften Anstrengungen der Akteure des politisch-administrativen Systems kam, um Auswege aus dem Dilemma zu suchen. Der politische und wirtschaftliche Problemdruck zwang Bund und Länder schließlich, verfassungspolitische Alternativen ins Auge zu fassen und konkrete Schritte zur Modifizierung des Verflechtungssystems zu unternehmen. Der Regierungswechsel 1982 in Bonn beschleunigte diese Entwicklung und verbesserte die Realisierungschancen entscheidend. 1. Gescheiterte Initiativen Mit der Änderung der Finanzverfassung von 1967/69 sah die Regierungsmehrheit der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD ihr Reform-werk noch nicht als beendet an. Das föderative System sollte vielmehr ausgebaut werden. Allerdings wollte man die Weiterentwicklung des Bundesstaates in den größeren Rahmen einer Revision des Grundgesetzes stellen. Mit Hilfe zweier Sachverständigenkommissionen als Entscheidungshilfe versuchte dann die sozialliberale Regierungsmehrheit, das von der Großen Koalition begonnene Werk fortzusetzen.
Der erste Ansatz zu einer Bundesstaatsreform wurde mit der Neugliederung des Bundesgebietes unternommen Die einfachste Alternative zur Verflechtung zwischen Bundes-und Länderebene wäre nämlich eine Revision der Ländergrenzen. Eine Gebietsreform müßte die Zahl der Bundesländer verringern und unter Beachtung bestimmter Verdichtungsräume und Ballungsgebiete nach Finanz-und Wirtschaftskraft ausgewogene Ein-heiten schaffen. Die sogenannte Ernst-Kommission empfahl 1973, das Bundesgebiet (ohne Berlin) in fünf oder sechs Länder zu gliedern. Sie legte hierzu vier Lösungsalternativen vor. Dieser Versuch scheiterte jedoch an einer Koalition von Interessenten, die am Status quo festhielten. Der Verfassungsauftrag des Grundgesetzes zur Neugliederung des Bundesgebietes wurde in eine bloße Kann-Bestimmung umgewandelt.
Das gleiche Schicksal politischer Wirkungslosigkeit erlitt die Enquete-Kommission Verfassungsreform Ihre auf das Verhältnis von Bund und Ländern bezogenen Vorschläge wurden zwar von einigen Ländern äußerst kritisch kommentiert, im Bundestag jedoch nicht einmal einer Plenardiskussion für wert befunden. Bei den Gesetzgebungszuständigkeiten plädierte die Kommission für eine Neuverteilung zugunsten der Länder Dies sollte allerdings nicht in Form einer Rückübertragung bestimmter legislatorischer Materien in die ausschließliche Länderkompetenz erfolgen, sondern durch eine Änderung der Systematik für die Abgrenzung der Gesetzgebungsbefugnisse nach Regelungsintensität. Auf einer ersten Stufe sollte die herkömmliche Rahmengesetzgebung durch Einbeziehung in die konkurrierende Gesetzgebung beseitigt werden, wobei die Bedürfnis-klausel in Art. 72 II GG enger und schärfer gefaßt wurde. Als zweiter Schritt war die Einführung einer Bundeskompetenz für Richtliniengesetze vorgesehen. Diese Richtliniengesetze bedürften dann in großem Maße der Ausfüllung durch die Landesgesetzgeber. Zur Abgrenzung der Aufgaben und Finanzmittel zwischen Bund und Ländern vertrat die Kommission dagegen einen strikt bundesfreundlichen Standpunkt Reformmöglichkeiten seien lediglich in einer Verbesserung des bestehenden Verflechtungssystems zu suchen, nicht aber in einer Rückkehr zum früheren Zustand durch Entflechtung. Aus gesamtstaatlicher Verantwortung wurden gemeinsame Rahmenplanung und Mitfinanzierung des Bundes für unentbehrlich gehalten. Die Rahmenplanung neuer Art sollte in einer verfassungsrechtlichen Generalklausel fixiert werden, die für alle bundesweit bedeutsamen Aufgaben Geltung hätte, jedoch nur Ermächtigungscharakter besitzt. Die Mischfinanzierung wurde beibehalten; allerdings wurden die Bundeskompetenzen zur Mitfinanzierung von Investitionsvorhaben der Länder in ein einheitliches System von Finanzbeiträgen integriert. Neben Einwänden gegen Einzelpunkte lautete deshalb der Hauptvorwurf an die Adresse der Enquete-Kommission, die negativen Auswirkungen des Verbundsystems sehr wohl gesehen, aber die notwendige Konsequenz — die vertikale Politikverflechtung abzubauen — nicht gezogen zu haben. 2. Kurswechsel Anfang der achtziger Jahre Faßt man die Bemühungen um eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung in den siebziger Jahren zusammen, so ergibt sich eine eindeutig negative Bilanz. Alle Anläufe in dieser Richtung, die wissenschaftlich aufgezeigt oder politisch versucht wurden, verliefen im Sande. Die „normative Kraft des Faktischen“ erwies sich gegenüber allen föderalen Veränderungsintentionen als stärker.
Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen leitete hier in der Spätphase der sozialliberalen Koalition einen Umschwung ein. Die Bekämpfung von Rezession und steigender Massenarbeitslosigkeit mit Mitteln der antizyklischen Haushalts-und Finanzpolitik führte in großem Umfang zu Kreditaufnahmen und enormer Staatsverschuldung. Kreditfinanzierte Konjunktur-und Beschäftigungsprogramme brachten nur vorübergehend bescheidenes Wirtschaftswachstum. Zusätzlich unvermeidbare Lasten des Bundes (für die EG) machten zur Vermeidung einer Finanzkrise massive Etatkürzungen und Einsparungen an anderer Stelle notwendig. Unter dem Aspekt der Haushaltskonsolidierung sparte die Regierungsmehrheit von SPD und FDP bei den investiven statt bei den konsumtiven Ausgaben; insbesondere kürzte sie einseitig die finanzielle Dotierung der Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungsprogramme.
Hinzu kam die massive Kritik am Versuch der bürokratischen Steuerung des wirtschaftlichen Strukturwandels. Die Ziele gemeinsamer Aufgabenerfüllung wurden nur in einzelnen Bereichen in etwa erreicht, auf anderen Politikfeldern dagegen weit verfehlt. So hat die gemeinsame Struktur-politik von Bund und Ländern die regionalen Disparitäten nicht verkleinert, sondern höchstens das Auftreten noch größerer Unterschiede verhindert. Gleichbehandlung und Besitzstandswahrung der Länder machten eine finanzielle Schwerpunktbildung nahezu unmöglich. Neue Krisen-branchen in alten Industrieregionen (Kohle, Stahl, Werften) schufen zusätzliche Schwierigkeiten und erforderten weitere strukturpolitische Maßnahmen. a) Einseitiger Rückzug des Bundes Die Länder gingen bei der Auseinandersetzung mit dem Bund von einer Doppelstrategie aus Einerseits strebten sie konkrete Verfahrensverbesserungen bei der Rahmenplanung und dem gemeinsamen Entscheidungsprozeß zur Erfüllung der Gemeinschaftsaufgaben an. Gegenüber dem Bund einigten sie sich nach internen Kontroversen zwischen Befürwortern und Gegnern der Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen andererseits auf ein Minimalkonzept. Dies sah die Reduzierung der gesetzlich oder vertraglich geregelten (unechten) Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 104 a IV GG vor. Darüber hinaus sollten neue Mischfinanzierungsprogramme nicht vereinbart werden; in Zweifelsfällen waren strenge Maßstäbe für die Prüfung und Zustimmung anzulegen.
Der Bund vertrat eine äußerst ambivalente Position. Auf dem Kerngebiet der Länderhoheit, dem Schulwesen, wurde mit dem sogenannten Män-gelbericht eine unverhüllte Zentralisierungsstrategie betrieben. Mit Mängeln und Defiziten in der Selbstkoordination der Länder wurde die Notwendigkeit neuer bildungspolitischer Rahmenkompetenzen für den Bund begründet. Dafür stellte man in Aussicht, den Hochschulbau sowie die Bildungsplanung wieder den Ländern zu überlassen. An den Gemeinschaftsaufgaben hielt der Bund grundsätzlich fest, schon um der gesamtstaatlichen Steuerungsmöglichkeiten und des Einflusses auf die Prioritätensetzung der Länder nicht verlustig zu gehen. Die Finanzmisere, die Defizite bei der gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung sowie ständig eskalierende Konflikte mit der von der Union bestimmten Ländermehrheit erzwangen einen Kurswechsel.
Die Verhandlungen mit den Ländern erbrachten zwar prinzipielle Einigkeit im Ziel, das Verflechtungssystem einzuschränken. Unüberwindliche Differenzen stellten sich indes bei den finanziellen Konsequenzen ein. Der Bund wollte zwar entflechten, die dafür aufgewandten Finanzmittel aber behalten und für die Haushaltskonsolidierung einsetzen. Die Länder dagegen beharrten auf einer kostenneutralen Lösung, was im Klartext hieß, die freiwerdenden Bundesmittel über eine Änderung der Umsatzsteuerverteilung den Ländern zur Verfügung zu stellen. Das von den „leeren Kassen“ diktierte Angebot des Bundes wurde von den Ländern einhellig abgelehnt. An den finanziellen Ausgleichsleistungen für die Länder scheiterten schließlich die Verhandlungen. Schon vor dem definitiven Scheitern hatte die Bundesregierung Schmidt einseitig Fakten geschaffen: Der Bund zog sich aus einigen gemeinsamen Aufgabenbereichen zurück, so z. B. aus dem Studentenwohnraumbau und der Graduiertenförderung. Die Bundesmittel zur Mitfinanzierung der Gemeinschaftsaufgaben wurden generell um 20 Prozent gekürzt, was zu einer zusätzlichen Belastung der Bund-Länder-Beziehungen führte b) Neue Akzente auf der Bund-Länder-Ebene Mit dem Regierungswechsel im Herbst 1982 zur bürgerlichen Koalition vollzog sich ein radikaler Wechsel in der Position des Bundes. An die vorangegangenen Bemühungen wurde jedoch angeknüpft und der anvisierte Kurswechsel verwirklicht In den Regierungserklärungen von Bundeskanzler Helmut Kohl drückte sich die am Subsidiaritätsprinzip orientierte Programmatik der Union aus, wonach die Länder diejenigen Aufgaben selber wahrnehmen sollen, die sie wirksamer als der Bund erfüllen können. Da die verfassungsrechtlich besonders geschützte Eigenständigkeit der Länder vor einem bürgerfernen Zentralstaat bewahre, dürften die Kompetenzen des Bundes nicht länger extensiv zu Lasten der Länder ausgelegt und in Anspruch genommen werden. Gleichwohl wurde auf die Notwendigkeit des engen Zusammenwirkens von Bund und Ländern zur Sicherung des inneren Friedens verwiesen. Wie schon in der Koalitionsvereinbarung von CDU/CSU und FDP versprach das Regierungsprogramm eine Einschränkung der Mischfinanzierungen, um zu einer klaren Aufgabentrennung zwischen Bund und Ländern zu kommen. Organisatorisch, institutionell und politisch setzte die Regierung Kohl vom ersten Tag an neue Akzente im Bund-Länder-Verhältnis. Nach 13jähriger Dissonanz waren die Mehrheitsverhältnisse in den gesetzgebenden Körperschaften wieder identisch. So war es denn mehr als bloße Routine, daß der Kanzler nach seinem Amtsantritt die erste Gelegenheit ergriff, um der Ländervertretung seine Reverenz zu erweisen und für ein enges Zusammenwirken zu werben. Die überaus positive Reaktion im Bundesrat unterstrich die Entspannung im Verhältnis zwischen den beiden Verfassungsorganen. Endlich wurde dem Bundesrat wieder der lang entbehrte Respekt zuteil, den man besonders bei Bundeskanzler Helmut Schmidt häufig vermißt hatte. Dabei war dessen Animosität weniger persönlich als institutionell begründet, konterkarierte die Mehrheit der unionsgeführten Länder doch die sozialliberale Reformpolitik mehr oder weniger stark. Eine positive Rolle spielte auch die Herkunft des neuen Führungspersonals, die als Mitglieder von Landesregierungen die Belange der Länder kannten und mit dem Stil des Bundes-rates vertraut waren.
Unmittelbare Konsequenzen hat die neue Politik auf mehreren Ebenen gezeitigt. Im Bundeskanzleramt wurde ein besonderer Staatsminister installiert, der speziell die föderativen Fragen koordinieren soll. Zu Friedrich Vogels nicht exakt umris-sener Aufgabenstellung gehören die Angelegenheiten des Bundesrates ebenso wie das weite Feld der Bund-Länder-Beziehungen, das von Gesetzgebungs-und Verwaltungskompetenzen über Gemeinschaftsaufgaben und Investitionshilfen bis zum Finanzausgleich reicht. Vor allem in finanzieller Hinsicht kam man den Ländern großzügig entgegen. Bei der Neuverteilung der Mehrwertsteuer machte der Bund Konzessionen: Er verzichtete auf die Kindergeld-Milliarde und gestand die Erhöhung des Länderanteils am Umatzsteueraufkommen um zunächst zwei Prozente zu. Da auch die Ergänzungszuweisungen des Bundes an finanzschwache Länder unverändert bestehen-blieben, wurden die Länder deutlich besser gestellt, als dies von der sozialliberalen Koalition ursprünglich anvisiert worden war.
Rückgängig gemacht wurden zudem die Mittel-kürzungen des Bundes zur Dotierung der Investitionen von Ländern und Gemeinden. Gegenüber den Ansätzen im Etat 1983 stockte man die Bundesmittel für Gemeinschaftsaufgaben um 500 Millionen DM auf mit dem Ziel, diesen hohen Plafond auch künftig beizubehalten. Da die bessere Dotierung gemeinsamer Aufgaben entsprechende Komplementärmittel der Länder erfordert, wirkt sie als Hilfe für Länder und Gemeinden bei der Realisierung zusätzlicher Investitionen. Die 20-Prozent-Kürzung der Bundeszuschüsse 1981 und 1982 wurde dadurch rückgängig gemacht, teilweise sogar überkompensiert.
Aus konjunkturellen Gründen legte die Bundesregierung zudem ein Sonderprogramm zur Belebung des sozialen Wohnungsbaus für 1983 und 1984 von 2, 5 Milliarden DM auf. Aus diesem Programm förderte der Bund mit 100 Millionen DM die Schaffung von Studentenwohnraum. Um den Ländern entgegenzukommen, kündigte der Bund generelle Zurückhaltung im Gesetzgebungsbereich an. Bei Gesetzentwürfen sollten die legitimen Interessen der Länder bereits im Vorfeld berücksichtigt werden. Und den Weg in den Vermittlungsausschuß glaubte man durch Abstimmung mit den Ländern vor Beginn des eigentlichen Gesetzgebungsverfahrens vermeiden zu können. Bei den Gemeinschaftsaufgaben gelangten die Regierungschefs von Bund und Ländern relativ bald zu einem Kompromiß. Der Bund akzeptierte nicht nur das Verhandlungskonzept der Länder, die (unechten) Gemeinschaftsaufgaben abzubauen und neue Mischfinanzierungen nur unter erschwerten Bedingungen zuzulassen, sondern stimmte auch der Forderung nach kostenneutraler Lösung zu. Damit demonstrierten die Ministerpräsidenten der unionsregierten Länder, die sich während der Oppositionsrolle der CDU/CSU im Bundestag zunehmend als politisches Führungszentrum etabliert hatten, ihre Stärke. Die neue Politik trug erkennbar ihre Handschrift. 3. Ergebnisse der Trendwende Mit dem Antritt der Regierung Kohl ist eine deutliche Änderung in der bisherigen zentralistischen Politik des Bundes gegenüber den Ländern eingetreten. Der Kurswechsel, der zu bereichsweisen Modifikationen des föderativen Systems geführt hat, bedeutet zwar keinen totalen Bruch mit der Vergangenheit, wohl aber eine entscheidende Trendwende. Die Neuverteilung der Gesetzgebungsbefugnisse zugunsten der Länder sowie die Abschaffung der echten Gemeinschaftsaufgaben hätte Grundgesetzänderungen notwendig gemacht. Da verfassungsändernde Mehrheiten der bürgerlichen Koalition nicht zu Gebote stehen, sind solche grundlegenden Zäsuren im Bund-Länder-Verhältnis nicht zu erwarten. Die Ergebnisse der länderorientierten Politik lassen sich in den Kategorien a) Entflechtung und b) Dezentralisierung zusammenfassen:
a) Der wohl wichtigste Akzent wurde gesetzt, indem man mit der Aufgaben-und Kompetenzentflechtung bei Mischfinanzierungen Ernst machte. Dies betraf zunächst die Graduiertenförderung. Nach langwierigen Auseinandersetzungen verzichtete der Bund auf die Mitfinanzierung. Ein Teil der bisherigen Bundesmittel wurde dem Bereich der Studienförderung belassen. Nach einer Übergangsphase wurde auch der Studentenwohnraumbau endgültig aus der Mischfinanzierung herausgenommen; die Länder finanzieren diese Aufgabe seitdem allein. Der wichtigste Anwendungsfall betraf jedoch den Krankenhausbau Im Rahmen der Neuordnung des Krankenhaus-wesens regeln die Länder ab 1. Januar 1985 die Planung und Investitionsfinanzierung für den Bau von Krankenhäusern in eigener Zuständigkeit. Der Bund gibt seine Befugnisse in diesem Bereich auf und stellt seine Mitfinanzierung ein. Die bisherigen Bundesmittel von knapp einer Milliarde DM wurden den Ländern (durch Übernahme bisheriger Länderfinanzierungen) erstattet. Bis zuletzt war die Einbeziehung der Krankenhäuser und Kassen in die Aufstellung der Bedarfs-pläne und in die Investitionsplanung umstritten. Um einen Beitrag zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen zu leisten, wollte der Bund die alleinige staatliche Zuständigkeit durch Mitwirkung der Betroffenen einschränken.
Als Entflechtung ist auch der Verzicht auf die Bildungsplanung nach Art. 91b GG zu bewerten Am Ende der sozialliberalen Koalition hatten sich Union und SPD in der Bund-Länder-Kommission (BLK) nicht mehr auf eine Fortschreibung des Bildungsgesamtplanes von 1973 einigen können. Tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten zwischen Kultusministern und Finanzpolitikern gründeten in parteipolitischen Differenzen über bildungspolitische Prioritäten. Christlich-liberale Koalition und unionsgeführte Länder setzten als Konsequenz den Verzicht auf die gesamtstaatliche Bildungsplanung durch. Damit unterliegt das Bildungswesen wieder der autonomen Planung der einzelnen Länder sowie der Koordination in der Kultusministerkonferenz. Einer Auflösung der BLK stand die Forschungsförderung entgegen, an welcher Bund und Länder übereinstimmend festhalten. Die Bund-Länder-Kommission wurde jedoch in ihrer Personalstärke und Aufgabenstellung erheblich beschnitten.
Als nächste Entflechtungsprojekte sind Städtebauförderung und sozialer Wohnungsbau in Aussicht genommen. Im Entwurf eines Baugesetzbuches, der das Baurecht des Bundes zusammenfassen soll, ist geplant, daß die Mitfinanzierung des Bundes für den Städtebau entfällt. Bei der Wohnungsbauförderung wird differenziert: Aus dem sozialen Mietwohnungsbau will sich der Bund zugunsten alleiniger Zuständigkeit der Länder ganz zurückziehen. Die Investitionshilfen nach Art. 104 a IV GG kämen dann nur noch der Eigentumsförderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus zugute. b) Da sich eine direkte Rückverlagerung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder ohne formelle Verfassungsänderung nicht bewerkstelligen läßt, konnte der Bundesgesetzgeber Regelungskompetenzen an die Länder nur durch Selbstbeschränkung abtreten Durch Nicht-Tätigwerden des Bundes wurden die Aufgaben „Graduiertenförderung“ und „Ausbildungsbeihilfen für Schüler“ den Ländern zur Gesetzgebung überlassen. Die Länder haben in beiden Fällen eigene Regelungen getroffen. Fest steht, daß das Konzept des Bundes, durch restriktive Inanspruchnahme seiner legislatorischen Befugnisse den Ländern einen Freiraum für substantielle Gesetzgebung zu schaffen, einseitig und jederzeit zurücknehmbar ist.
Im Sinne einer Selbstbeschränkung des Bundesgesetzgebers wirkt zudem eine Änderung der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien Bereits die Referentenentwürfe werden in den Ministerien und dann im Kanzleramt daraufhin geprüft, ob im Einzelfall ein Bundesgesetz zur Regelung wirklich unumgänglich und notwendig erscheint. Die Bonner Ministerialbürokratie wird damit gezwungen, eine bundeseinheitliche Regelung jeweils gesondert zu begründen. Die von Art. 72 III GG intendierte Bedürfnisprüfung gewinnt insofern an Bedeutung. 4. Grenzen der Reformstrategie Eine Prognose, ob und in welchem Ausmaß die eingeschlagene Strategie einer Reform des kooperativen Föderalismus fortgesetzt wird, ist schwierig. Einige Argumente lassen sich aber aus der bisherigen Entwicklung unschwer ableiten.
Da sind zunächst situative Faktoren zu berücksichtigen. Die Blütenträume des Aufbruchs der bürgerlichen Koalition 1982/83 zur Stärkung der Länder sind im politischen Alltag rasch verwelkt Kompetenzgerangel und finanzielle Interessengegensätze belasten das Bund-Länder-Verhältnis dauerhaft. Die Koordination über das Kanzleramt läuft nicht so reibungslos, wie dies ursprünglich beabsichtigt war. Die Beziehungen der Bundesregierung zu den SPD-geführten Ländern lassen sich als tiefgehende Dauerkonflikte charakterisieren, was auf unterschiedliche Politik-konzepte ebenso wie auf permanente Wahlkämpfe zurückzuführen ist. Auch im Verhältnis zu den unionsregierten Ländern haben Spannungen und Kontroversen die gegenseitige Rücksichtnahme und nahtlose Übereinstimmung des Anfangs abgelöst. Die Anrufungsbegehren der Ländermehrheit zum Vermittlungsausschuß sind dafür nur ein Indiz. Eine Mehrheit der sozialdemokratisch geführten Länder im Bundesrat oder eine Bonner Regierungsmehrheit ohne CDU/CSU-Beteiligung würde vermutlich die eingeschlagene Trendwende stoppen oder gar umkehren.
Von größerer Bedeutung erscheinen strukturelle Faktoren, die das bürgerliche Regierungsbündnis auf Bundesebene hindern dürften, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. In der Konjunktur-und Strukturpolitik ist der Bund auf Länder und Gemeinden angewiesen, die über 70 Prozent der Investitionen im Bundesgebiet tätigen. Aus konjunkturellen Gründen hatte der Bund 1982 zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus und von Studentenwohnungen 2, 5 Milliarden DM Finanzhilfen an die Länder gezahlt. 1985 stockte der Bund aus eben diesem Grund seine Investitionsmittel für die Städtebauförderung auf eine Milliarde DM auf. Um konjunkturpolitische Anstoßeffekte zu erzielen, wird der Bund auch in Zukunft gar nicht anders können, als das Instrument „Finanzhilfen an die Länder“ zu reaktivieren. In der Struktur-politik (Agrarstruktur-und regionale Wirtschaftsstrukturverbesserung) haben sich die Probleme eher noch verschärft. Und angesichts der rasanten technologischen Entwicklung bedürfen Forschung und Technologie vermehrter staatlicher Anstrengungen. Kein Wunder deshalb, daß zur Förderung der Spitzen-forschung ein neues Gemeinschaftsprogramm von über 150 Millionen DM aufgelegt worden ist Im Medienbereich läßt die Bundesregierung aus technologischen Gründen nichts un-versucht, über ihre zweitrangigen Kompetenzen die Neuordnung des Rundfunkwesens sowie die Ausgestaltung der Neuen Medien zu steuern Schon wird in Bonn von einer neuen „Gemeinschaftsaufgabe von nationalem Rang“ gesprochen und versucht, die Länder für eine Kooperation zu gewinnen.
Restriktionen ergeben sich auch aus der wirtschaftspolitischen Konzeption der Regierungskoalition. „Mehr Markt und weniger Staat“ heißt die Devise, nach der generell staatliche Aufgaben auf private Träger übertragen werden und private Investitionen vor öffentlichen Vorrang erhalten sollen. Entstaatlichung und Entbürokratisierung geraten freilich in Kollision mit länderfreundlichen Intentionen. Bei der Novellierung des Hochschulrahmengesetzes oder bei der Krankenhaus-neuordnung hat der Bund konsequent angestrebt, freiwerdende Regelungskompetenzen des Bundes auf private Aufgabenträger oder Selbstverwaltungsinstanzen zu verlagern. Auf diese Weise gehen die Länder jedoch leer aus, denn bisherige Bundeskompetenzen bleiben ihnen in diesem Fall ja gerade versagt.
Als problematisch erweist sich schließlich der finanzielle Aspekt. In einigen Fällen hat der Bund sich von Aufgaben zurückgezogen, ohne zu einem finanziellen Ausgleich bereit zu sein. Werden den Ländern damit neue finanzielle Lasten aufgebürdet, vergrößert sich das Ungleichgewicht zwischen den staatlichen Ebenen in der Finanzausstattung noch mehr zuungunsten der Länder. Geht der Bund aber auf eine kostenneutrale Auflösung von Gemeinschaftsaufgaben ein, so verringern sich seine disponiblen Mittel im Investitionssektor sukzessive. Damit würden aber auch die Interventionsmöglichkeiten in der Konjunktur-und Strukturpolitik schwinden. Bei Abschaffung aller Gemeinschaftsaufgaben würde der Bund mit sieben bis zehn Prozent seiner Einnahmen eines erheblichen Teils seiner frei verfügbaren Mittel verlustig gehen und somit im Investitionssektor weitgehend handlungsunfähig werden.
Diese Aspekte lassen die Grenzen von Reform-strategien erkennen, die sich Änderungen bei der Kompetenz-und Aufgabenverteilung zwischen den föderativen Ebenen zum Ziel setzen. Man wird deshalb nicht fehlgehen, daß auch in Zukunft von Bund und Ländern nur kleine Schritte, wenn überhaupt, unternommen werden, um in Richtung auf eine Reduzierung der Politikverflechtung voranzukommen.
IV. Reföderalisierung als Modernisierungskonzept
Die Kritik am kooperativen Föderalismus als aktueller Ausprägung der bundesstaatlichen Ordnung wirft zwei Fragen auf: Zum einen geht es um mögliche verfassungspolitische Alternativen. Die Reaktion von Bund und Ländern auf diese Fragestellung, insbesondere die Versuche zur Kursänderung auf bundesstaatlicher Ebene, sind oben dargestellt und analysiert worden. Zum anderen handelt es sich um die Herausforderung, den notwendigen Reformprozeß wissenschaftlich zu reflektieren und auf der Ebene theoretischer Modellbildung zu präzisieren. Im folgenden wird deshalb versucht, über die konkrete Analyse des föderativen Systems und seiner Auswirkungen hinaus ein theoretisches Konzept zu erarbeiten, das Richtung und Steuerungselemente der künftigen Entwicklung des deutschen Bundesstaates andeutet. Als zentrales Moment dieses theoretischen Konzepts wird der Begriff der „Reföderalisierung“ in die wissenschaftliche und politische Diskussion eingebracht. Reföderalisierung wird dabei als ein Prozeß verstanden, der Struktur und Funktion des bundesstaatlichen Systems modifiziert bzw. verändert. Im Interesse einer verbesserten Funktionsfähigkeit und Modernisierung des politisch-administrativen Systems beinhaltet er, das Prinzip der totalen Uniformierung und Egalisierung der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik grundlegend zu überprüfen. Stärkere Differenzierung anstelle fortschreitender Vereinheitlichung heißt freilich ebenfalls, die bisherigen Instrumente föderativer Politikgestaltung zur Disposition zu stellen. Nach der Zentralisierung und Politikverflechtung würde somit ein neues, drittes Stadium bundesstaatlicher Entwicklung eingeleitet. Im Mittelpunkt des Prozesses, der als Handlungsmaßstäbe Dezentralisierung und Entflechtung umfaßt, steht ein komplementäres Bund-Länder-Verhältnis. Der Einwand, ein solcher Begriff sei nichts als ein Pleonasmus, die Wiederherstellung des Föderalismus unnötig, da in der Bundesrepublik seit 1949 eine bundesstaatliche Ordnung existiere und so-gar von Verfassung wegen geschützt sei, geht fehl. Denn die Realanalyse hat gezeigt, daß hinter der Fassade föderaler Institutionen der (dezentrale) Einheitsstaat praktisch Wirklichkeit geworden ist. Die Eigenstaatlichkeit der Länder und deren Mitwirkung an der gesamtstaatlichen Politik-gestaltung im Bundesrat verschleiert nämlich nur, daß die bundesstaatliche Ordnung weithin funktionslos geworden ist. Reföderalisierung läßt sich insofern als Strategie definieren, dem unitarisch kooperativen Bundesstaat durch Dezentralisierung und Entflechtung zu begegnen. 1. Wechsel der Zielsetzungen Die Wiederherstellung eines funktionsgerechten Föderalsystems setzt voraus, daß das Grund-axiom der bisherigen Entwicklung in Zweifel gezogen wird. Es ist zu fragen: Ist die Zielvorstellung einheitlicher Lebensverhältnisse auf allen Politikfeldern und für alle Bürger ein ehernes Gesetz? Bestehen Sinn und Zweck des Einheits-wie des Bundesstaates gleichermaßen in der Herstellung von Gleichheit durch sachliche Vereinheitlichung?
Zu klären sind diese Fragen zunächst anhand der verfassungsrechtlichen Fixierung dieser Zielsetzung. Vielfach wird der unitarische Bundesstaat als Leitbild mit Verfassungsrang interpretiert, die Herstellung einheitlicher Lebensbedingungen als Verfassungsauftrag gedeutet. Dem ist freilich entgegenzuhalten, daß in Art. 72 II GG die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse nur als ein Kriterium für die Bedarfsprüfung bei der Gesetzgebungsbefugnis des Bundes genannt wird. Obwohl das Bundesverfassungsgericht nicht nur die Wahrung (so der Wortlaut), sondern auch die Herstellung einheitlicher Bedingungen durch Bundesgesetz für verfassungskonform erklärt hat, kann daraus kein Verfassungsgebot abgeleitet werden. Das gleiche gilt auch für Art. 106 III GG, der sich ausschließlich auf den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Umsatz-Steuerverteilung) bezieht
Zudem sind die Begründungen für die „Ideologie“ des kooperativen Föderalismus zu hinterfragen. Zwar erzwingen die Wirtschafts-und Verkehrsverhältnisse in der kleinräumigen Bundesrepublik sowie die Folgen der Technik einen einheitlichen Rahmen. Zweifelhaft dürfte indes sein, die Geltung der Grundrechte, die Mobilität der Bevölkerung sowie das Sozialstaatsgebot als Sachzwang für jede Art von Unitarisierung zu reklamieren. Eine Erwartungshaltung im Bewußtsein der Bevölkerung hierfür verantwortlich zu machen, verkennt die Problematik. „Den“ Bürger für die Notwendigkeit der sachlichen bundesweiten Vereinheitlichung in Anspruch zu nehmen, lenkt von administrativen Abwehrstrategien und Eigeninteressen der Bürokratien ab
Zu prüfen bleibt schließlich, ob die Prioritäten hinsichtlich der Legitimation moderner Föderal-systeme von der Staatsrechtslehre richtig gesetzt worden sind. Konrad Hesse hat schon früh den unitarischen Bundesstaat als Leitbild vorgegeben und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als unverrückbare Staatszielbestimmung proklamiert Dieser Interpretation werden zwei Funktionen bundesstaatlicher Gestaltung zugrunde gelegt. Die historische Auffassung, wonach Föderalismus eine Form politischer Einheitsbildung darstelle, innerhalb derer die Individualität und regionale Vielfalt der Länder zu bewahren sei, greift nicht mehr. Denn die Aufnahme und Ausgestaltung des Bundesstaates nach 1945 im Grundgesetz war keine Folge politischer Einheitsbildung, sondern geht auf die Vorstellungen der Besatzungsmächte sowie auf die Wünsche der Nachkriegspolitiker in Reaktion auf das zentralistische NS-Regime zurück. Angesichts neugeschaffener Länder kann historisch überkommene Individualität und Vielfalt nicht bewahrt werden.
Infolgedessen lag es nahe, den Föderalismus des Grundgesetzes als komplementäres Element der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung zu interpretieren und ihm damit Zweckrationalität zu bescheinigen. Konrad Hesse und ihm folgend die herrschende Lehre in der Staatsrechts-wissenschaft haben jedoch diese Funktion zu Lasten anderer Zweckbestimmungen verabsolutiert. So ist übersehen worden, daß die nach 1945 entstandenen (unhistorischen) Länder inzwischen auch eine spezifische Individualität ausgebildet haben. Ein neues Landesbewußtsein, das an Traditionen, kulturelle und landsmannschaftliche Eigenheiten sowie an sozio-ökonomische Besonderheiten anknüpft, hat sich Bahn gebrochen. Regionale Vielfalt sowie räumlich unterschiedliche Verhältnisse haben sich neu herausgebildet Die Funktion des Föderalismus, nämlich der regionalen Vielfalt und Besonderheit zu entsprechen, verkennt, wer sie ausschließlich historisch deutet. Regionale Gliederung bietet auch heute noch die Voraussetzung für räumlich differenzierte Problemlösungen. Die Funktion zur Herstellung regional unterschiedlicher Regelungen und räumlich differenzierter Lösungen legitimiert den Föderalismus nicht nur, sondern markiert eine gleichgewichtige, ja vorrangige Zielsetzung. Das Konzept der Reföderalisierung ist darauf angelegt, das unitarische Leitbild vom Sockel der Exklusivität zugunsten regionaler Differenzierung bei der Problemlösung zu stoßen. 2. Neue Rahmenbedingungen Kernpunkt des Bund-Länder-Verhältnisses ist die Verteilung der Kompetenzen und Aufgaben. Reföderalisierung meint nicht nur einen Wechsel der Prioritäten, sondern hat auch eine andere Gewichtung der Aufgaben von Gesamtstaat und Gliedstaaten zur Folge. Aus der verfassungsrechtlichen und -politischen Entwicklung lassen sich die beiden Kategorien ableiten, die sich in der Praxis teilweise überlagern, zum Zweck methodischer Analyse und Systematik aber differenziert werden können, nämlich — Dezentralisierung und — Entflechtung.
Dezentralisierung Unter Dezentralisierung ist die einseitige Übertragung von Kompetenzen vom Bund auf die Länder zu verstehen Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen hierbei die Gesetzgebungsbefugnisse. Systematisiert ergeben sich zwei verschiedene Varianten: — Verlagerung bestimmter Zuständigkeiten auf die untere staatliche Ebene, also die Länder;
— Modell einer Abstufung der Kompetenzen auf beide staatliche Ebenen (Zweistufigkeit).
Im Wege von Verfassungsänderungen sind eine Reihe legislatorischer, administrativer und finanzieller Befugnisse auf den Bund übergegangen. Diese Entwicklung verlief als „Einbahnstraße“, da immer nur der Bund begünstigt wurde. Eine Rückverlagerung von Gesetzgebungskompetenzen auf die Länder wird deshalb seit langem diskutiert. Diesbezügliche Vorschläge haben einzelne Landtage beschlossen (Bayern, Rheinland-Pfalz), die Landtagspräsidentenkonferenz sowie eine Interfraktionelle Arbeitsgruppe der Fraktionsvorsitzenden-Konferenzen vorgelegt Diese Empfehlungen zur Änderung der Zuständigkeitskataloge im Grundgesetz werden stets mit einer Erweiterung der Eigenstaatlichkeit der Länder begründet. In der Tat müssen die Länder ihre Kapazität steigern, wichtige politische Entscheidungen zu regeln, wenn sie neben dem Bund gewichtige und unabhängige Entscheidungszentren bleiben wollen. Als zusätzliches Argument fällt ins Gewicht, durch Ausbau des gesetzgeberischen Potentials der Länder, besonders ihrer Parlamente, den Bundestag zu entlasten und vor Über-forderung zu schützen.
Das Modell der Zweistufigkeit von Entscheidungsprozessen gilt als besonders föderalismus-adäquat. Die Rahmen-oder Grundsatzentscheidungen ergehen auf der zentralen Ebene, die Ausführungs-oder Detailentscheidungen werden auf dezentralen Ebenen gefällt. Der Vorteil dieses zweistufigen Modells besteht hauptsächlich darin, daß die Rahmensetzung durch Organe der höheren Ebene gesamtstaatliche Interessen berücksichtigen kann, während die Ausführung der Regelungen orts-bzw. sachnahe erfolgt. Vorschläge nach dem Modell sehen z. B. eine Änderung der jetzigen Gesetzgebungssystematik nach Regelungsintensität bzw. -tiefe vor Der Bund würde danach die ausschließliche sowie die Rahmen-kompetenz erhalten. Die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes würde auf die ausschließliche bzw. die Rahmengesetzgebung aufgeteilt. Bei der Ausfüllung der Rahmenvorschriften des Bundes käme den Ländern dann ein weitaus größerer Spielraum als bisher zu. Ein analoges Modell läßt sich für die Planung denken Die echten Gemeinschaftsaufgaben (unter Auflösung der Mischfinanzierung) werden ersetzt durch eine Rahmenplanung in der Zuständigkeit der Organe des Bundes; die Detailplanung fiele ausschießlich den Ländern zu. Die politische Verantwortlichkeit der planenden Exekutive sowie die Kontrollmöglichkeiten der Parlamente beider staatlichen Ebenen blieben voll gewahrt.
Beide Varianten der Dezentralisierung erfordern — würden sie umgesetzt — eine Verfassungsänderung. Dabei dürfte eine Änderung der Systematik zur Kompetenzverteilung wie im zweiten Modell noch schwieriger zu erreichen sein als eine bloße Umverteilung bestimmter Gesetzgebungsmaterien in den einzelnen Katalogen des Grundgesetzes. Derzeit eine Revision des Grundgesetzes zugunsten der Länder zu erwarten, hieße Illusionen hegen. Massive Interessen auf Bundesebene, in den Parteien und großen Interessenorganisationen widerstreben einem solchen Vorhaben. Pragmatischen, weil einseitigen und damit jederzeit revidierbaren Lösungen steht dagegen nichts im Wege: Der Bund hat in einigen Fällen seine Kompetenzen restriktiv in Anspruch genommen und den Ländern durch Selbstbeschränkung gesetzgeberischen Spielraum verschafft.
Entflechtung Institutioneller Kern des kooperativen Föderalismus bilden als Bereiche gemeinsamer Aufgaben-erfüllung die echten Gemeinschaftsaufgaben (Art. 91 a und b GG) sowie die Mischfinanzierungen (unechte Gemeinschaftsaufgaben nach Art.
104 a IV GG). Eine Systematik der Aufgabenentflechtung läßt folgende Alternativen erkennen: — Verlagerung der Aufgaben ausschließlich auf den Bund;
— Rückübertragung der vom Bund mitgeplanten und -finanzierten Länderaufgaben ausschließlich auf die Länder;
— Zuordnung der Gemeinschaftsaufgaben teilweise zum Bund, teilweise zu den Ländern.
Die Verlagerung der originären Länderaufgaben auf die Bundesebene nach der ersten Alternative würde gewissermaßen den Teufel durch den Beelzebub austreiben. Eine solche Verlagerung käme einer „kalten“ Zentralisierung mit der Tendenz zum Einheitsstaat gleich. Sie ist in der Reformdiskussion, soweit ersichtlich, auch nie ernsthaft erwogen worden.
Die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgaben im Sinne einer Rückübertragung auf die Länder als originäre Aufgaben birgt neben der finanziellen Problematik (Ausgleich zwischen finanzstarken und -schwachen Ländern) die Schwierigkeit, wie die Länder untereinander die Aufgabenplanung und -entscheidung koordinieren können. Ohne den Mechanismus der Planungsausschüsse müßten die Länder zu bindenden Beschlüssen kommen, wohingegen das Einstimmigkeitsprinzip in Zwischenländergremien nicht selten zur Selbstblockierung tendiert. Von Länderseite und im wissenschaftlichen Schrifttum ist dieses Entflechtungsmodell wiederholt ernsthaft diskutiert worden Initiativen gingen nicht nur von finanz-starken, sondern — aus föderativen Überlegungen — auch von finanzschwachen Ländern aus. Vor allem finanzielle Interessengegensätze verhinderten letztlich eine Einigung auf diese Position in der Ministerpräsidentenkonferenz.
Die Variante einer Aufgabenentflechtung zugunsten von Bund und Ländern ist besonders von Frido Wagener verfochten worden Das Kriterium der Zuordnung zu einer der beiden staatlichen Ebenen wird im Planungs-, Verwaltungsund Finanzpotential gesehen, die jeweilige Aufgabe optimal allein erfüllen zu können. Unter Einbeziehung von Bundesaufgaben, die von den Ländern mitfinanziert werden (Großforschungseinrichtungen; Neubau von Bundesbahnstrekken), läßt sich bei dieser Lösung noch am leichtesten ein Ausgleich zwischen den finanziellen Ansprüchen beider Ebenen aus der Neuverteilung der bisher gemeinsamen Aufgaben erreichen.
Die Systematik ist bisher auf eine Gesamtlösung des Problems abgestellt; sie muß deshalb um die Alternative einer Teilentflechtung ergänzt werden. Überprüft man den Gesamtbestand der Gemeinschaftsaufgaben nach bestimmten Kriterien, dann läßt sich ein Teil dieser Aufgaben festlegen, der weiterhin von Bund und Ländern gemeinsam geplant, entschieden und finanziert wird. Für den Rest der Aufgaben ergibt sich die Alternative der — Verlagerung auf Bundesebene oder der — Rückübertragung in die Länderverantwortung. Ein mögliches Differenzierungskriterium besteht in der verfassungsrechtlichen Fixierung als obligatorische (Art. 91 a GG) oder nur als fakultative Gemeinschaftsaufgaben.
Der Vorschlag einer Teilentflechtung zugunsten des Bundes ist im Rahmen der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Bundestages 1976 gemacht worden Danach sollte bei „überverflochtenen“ Aufgabenbereichen der Bund für die gesetzliche Regelung sowie die Finanzierung zuständig werden; der Vollzug sollte in der Form der Bundesauftragsverwaltung erfolgen. Gegen dieses Lösungsmodell wurde hauptsächlich ein-gewendet, es vermindere die eigenständige Auf-gabenerfüllung der Länder wesentlich und schwäche damit ihre Eigenstaatlichkeit.
Die Alternative einer Teilentflechtung durch Rückübertragung bisher gemeinsam wahrgenommener Aufgaben in die alleinige Länderverantwortung eignet sich für pragmatische Lösungsansätze. Fakultative Gemeinschaftsaufgaben, die gesetzlich oder vertraglich geregelt sind, können mit Mehrheit von Bundestag und Bundesrat bzw. ein-vernehmlich von den Vertragspartnern entflochten werden. Auch die Ablösung der gemeinsamen Finanzierung erfolgt fallweise. Bund und Länder haben sich auf ein solches pragmatisches Vorgehen geeinigt. Danach sollen die Mischfinanzierungen nach Art. 104 a IV GG schrittweise abgebaut und neue Gemeinschaftsfinanzierungen nur noch bei Vorliegen zwingender Umstände ins Auge gefaßt werden.
Dezentralisierung und Entflechtung als adäquate Maßstäbe für die Neuverteilung von Kompetenzen und Aufgaben zwischen Bund und Ländern würden wenig bewirken, wenn nicht auch die finanziellen Ressourcen berücksichtigt würden. Bei einer Rückverlagerung von Aufgaben in die Länderzuständigkeit muß die Finanzausstattung der Länder notwendigerweise auf Kosten des Bundes verbessert werden. Dies erscheint auch deshalb zweckmäßig, weil die Ausgleichswirkung der Mitfinanzierung des Bundes zugunsten der ärmeren Länder in festen Schlüsseln und Quoten erstarrt ist. Die Finanzmittel, die der Bund bisher für die Gemeinschaftsaufgaben und gemeinsamen Programme aufgewandt hat, sind deshalb den Ländern zu belassen. Über den Mechanismus des vertikalen Finanzausgleichs (Umsatzsteuerverteilung) kann diese Umverteilung realisiert werden. Um die bisherige Ausgleichswirkung zugunsten der finanzschwachen Länder sicherzustellen, ist die Verteilung auf die einzelnen Länder entsprechend zu modifizieren. 3. Komplementäres Bund-Länder-Verhältnis Reföderalisierung ist als Strategie definiert worden, die auf eine Stärkung der Stellung der Länder abzielt. Subsysteme mit mehr Aufgaben und Rechten stellen indes keinen Selbstzweck dar, sondern sind Mittel zum Zweck, den Föderalismus zu einem Element der Modernisierung des politisch-administrativen Gesamtsystems zu machen. Modernisierung heißt dabei, zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit beizutragen
Zentralisierung und Politikverflechtung haben ein starres Kooperationssystem entstehen lassen, das Konsens meist auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner produziert und sich häufig genug eher als problemerzeugende denn als problemlösende Struktur erweist. Die Stellung der Länder stärken, würde bedeuten, in die Beziehungen der Akteure und Organe des politisch-administrativen Systems Bewegung zu bringen. Bewegung schafft Raum für unterschiedliche Problemlösungen, für räumlich differenzierte Antworten auf sachliche Herausforderungen. Uneinigkeit zwischen den Ländern und mit dem Bund kann produktiv wirken, im Wettlauf um neue Problemlösungen zu Innovation und Fortschritt beitragen. Wettbewerb bringt Elemente des Marktmechanismus ins politisch-administrative System ein und kann durch Entlastung der zentralen Ebene die Fähigkeit zur Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme insgesamt steigern. Nur Länder, die über gewichtige Kompetenzen verfügen und eigenständig Aufgaben erfüllen, können dem Bund als selbständige Partner gegenübertreten und damit auch als Wettbewerber eine Rolle spielen. Sicherlich birgt ein solches Wettbewerbsmodell auch Gefahren. Fehlentwicklungen sowie Fehlleitung öffentlicher Mittel sind nicht ausgeschlossen und über das Korrektiv von Wahlentscheidungen nur mittelfristig zu korrigieren. Konkurrenz um der Konkurrenz willen kann zwar durch einen einheitlichen Rahmen verhindert werden, ist aber gerade in einem komplementären Bund-Länder-Verhältnis auch nicht gefragt. In diesem Sinn haben sich Bund und Länder einerseits zu ergänzen, durch Zusammenwirken ihre Leistungsfähigkeit bei der Erledigung öffentlicher Aufgaben zu steigern, andererseits aber auch bei der Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme zu konkurrieren. Föderaler Wettbewerb unterstützt auf diese Weise die parteipolitische Konkurrenz, begrenzt ihn aber gleichzeitig. Komplementärföderalismus muß freilich auch die Gestaltung des Zwischen-länder-Verhältnisses bestimmen und durch Einschränkung der Selbstkoordination die Autonomie der einzelnen Länder vergrößern. Denn föderaler Wettbewerb wirkt vertikal ebenso wie horizontal. Bei der Einschätzung der Möglichkeiten, den Reföderalisierungsprozeß in die politische Wirklichkeit umzusetzen, ist allerdings Skepsis angebracht. Die institutionellen Eigeninteressen der Akteure, die von der Existenz des Verbundsystems profitieren, stehen grundlegenden Veränderungen diametral entgegen. Insofern spricht manches für die Ansicht von Scharpf, ein Vor oder Zurück aus der Politikverflechtungs-Falle sei nicht möglich
Der technische und soziale Wandel, der noch stets Rückwirkungen auf Politik und Wirtschaft gezeitigt hat, könnte freilich durchaus bewirken, daß der Problemdruck eben doch Reformen erzwingt.