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Bedingungen und Perspektiven deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen | APuZ 24-25/1986 | bpb.de

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APuZ 24-25/1986 Kooperation mit Kontrasten Über Kulturzusammenhänge im Rahmen eines Abkommens mit der DDR Bedingungen und Perspektiven deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen Die Kulturbeziehungen zwischen Ost und West im KSZE-Prozeß

Bedingungen und Perspektiven deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen

Clemens Burrichter/Eckart Förtsch

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Zusammenfassung

Gemessen an dem, was beide deutsche Staaten an Wissenschaftskontakten zu anderen Ländern unterhalten, und gemessen an den gemeinsamen Problemen können die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen noch immer als besondere, d. h. als besonders ausbaufähige Beziehungen gelten. Sie sind in den KSZE-Prozeß eingeordnet, werden politisch allerdings von bilateralen Verträgen abhängig gemacht; hierzu gehören insbesondere das soeben unterzeichnete Kulturabkommen und das Wissenschaftsabkommen, über das noch verhandelt wird. Ausgangspunkt, Motiv und Gegenstand deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen sind wissenschaftsrelevante gesellschaftliche Probleme: globale Probleme, die eine grenzüberschreitende und kooperative Lösungssuche erfordern, und analoge Probleme. Zu den Bestimmungsfaktoren künftiger Wissenschaftsbeziehungen gehören ferner außen-und innenpolitische Optionen und Bedingungen sowie die jeweiligen Schwerpunkte der Wissenschaftsförderung. Mit dem Kulturabkommen und dem Wissenschaftsabkommen werden neue Chancen eröffnet, Wissenschaftsbeziehungen zwischen beiden deutschen Gesellschaften zu institutionalisieren. Das betrifft, vor allem in der Anlaufphase, den Austausch von Wissenschaftlern und Wissen, später die arbeitsteilige und gemeinsame Produktion von neuem Wissen in Forschungszusammenhängen. Dieses „Modell“, für das neben Verträgen noch zahlreiche andere Voraussetzungen geschaffen werden müssen, zielt auf eine Veralltäglichung grenzüberschreitender wissenschaftlicher Diskurse in verschiedenen Stufen.

I. Situationsskizze

Intersystemare Wissenschaftsbeziehungen gibt es nicht nur in der ebenso nötigen wie gehüteten „Grauzone“ informeller, insbesondere persönlicher Kontakte. Die für die achtziger Jahre verstreut publizierten Daten verweisen auf eine nicht einmal so geringe Frequenz. Sieht man von internationalen Fachkongressen und den sie tragenden internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften ab, so können wir west-östliche bilaterale Ansätze und Aktivitäten vor allem auf drei Ebenen registrieren: auf der Ebene politischer und wissenschaftspolitischer Beziehungen; auf der Ebene des Austauschs von Wissenschaftlern und Wissen; auf der Ebene gemeinsamer Wissensproduktion in Forschungszusammenhängen.

Die Wissenschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und europäischen sozialistischen Ländern sind, was die erste Ebene betrifft, in den KSZE-Prozeß eingeordnet. In der Schlußakte von Helsinki (1975) hatten die 35 an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) beteiligten Staaten ihre Absicht formuliert, die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit (WTZ) in Form direkter Kontakte „weiter zu verbessern“, die „bestehende Praxis ... in vollem Umfang zu nutzen“ und „Hindernisse“ zu beseitigen. Hier, in Korb II der Schlußakte, steht die WTZ im Kontext politischer, ökonomischer und sozialer Zwecke; sie soll insbesondere einer „Lösung der großen Probleme der Weltwirtschaft wie der Ernährungs-, Energie-, Rohstoff-und Währungs-und Finanzprobleme“ dienen. In Korb III werden Wissenschaften als kulturelles System an Bildung gekoppelt; hier ist die Rede von einer „Erweiterung von Verbindungen und unmittelbaren Kontakten zwischen Universitäten, wissenschaftlichen Einrichtungen und Vereini-gütigen sowie zwischen Wissenschaftlern und Forschern“, von Zusammenarbeit „auf Gebieten gemeinsamen Interesses“, von „Austausch von Kenntnissen und Erfahrungen“ Die in der KSZE-Schlußakte enthaltenen Absichtserklärungen laufen in der Regel auf vertragsförmige Beziehungen hinaus. Die Bundesrepublik hat 1973 mit Rumänien und 1975 mit Jugoslawien Kooperationsabkommen zur wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit abgeschlossen Ein entsprechender Vertrag mit der UdSSR liegt seit vielen Jahren auf Eis, weil sich die Partner noch nicht auf die Einbeziehung West-Berliner Forschungseinrichtungen verständigen konnten. Andere RGW-Länder, wie z. B. Polen und Ungarn, haben ihr Interesse an WTZ-Abkommen signalisiert.

Es sieht so aus, als läge derzeit noch der Schwerpunkt der Wissenschaftsbeziehungen zu osteuropäischen Ländern auf der zweiten Ebene, auf der des Austauschs von Wissenschaftlern und Wissen. Neben Universitäts-Partnerschaften — insgesamt 75 — und Beziehungen zwischen der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und Wissenschaftsakademien (UdSSR, Polen, CSSR, Bulgarien) sind es insbesondere Gastprofessuren und Forschungsstipendien, wie sie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und die Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) fördern. In ihrem Jahresbericht 1984 hat die AvH eine Über-sicht über hierzulande tätige Gastwissenschaftler veröffentlicht: Polen mit 189 Forschungsstipendiaten (57 Geisteswissenschaftler, 93 Naturwis-senschaftler, 39 Ingenieurwissenschaftler) rangierte noch vor den USA

Die Beziehungen auf der dritten Ebene können nicht quantifiziert werden. Welche gemeinsamen Forschungsprojekte in Arbeit sind, ist ebenso wenig zuverlässig zu erfahren wie deren Ergebnisse. Die Hinweise bleiben entweder allgemein (z. B. laut Bundesforschungsbericht 1984: schwerpunktmäßige Zusammenarbeit mit Rumänien und Jugoslawien bei Kernforschung, Materialforschung, Erdbebenforschung, Agrarforschung und nicht-nuklearer Energieforschung) oder sporadisch. Dabei sind, wie noch zu zeigen ist, in der KSZE-Schlußakte zahlreiche wissenschaftsrelevante Probleme aufgelistet, und auch das Wissenschaftsforum in Hamburg 1980 hat Bereiche gemeinsamer Forschung exemplarisch thematisiert (vor allem: alternative Energien, Medizinforschung, Umweltprobleme und Städtebau). Insgesamt gibt es, auch wenn bilaterale Verträge fehlen, diverse Möglichkeiten, etwa der Mit-bzw. Zusammenarbeit in Großforschungseinrichtungen (z. B. Desy) oder gemeinsame Forschungsprojekte (z. B. im Wissenschaftszentrum Berlin zu Fragen des Managements oder der Ökologie). Freilich scheint auch hier, wie auf der zweiten Ebene, ein Un-gleichgewicht zu existieren: Das meiste dürfte sich in der Bundesrepublik Deutschland abspielen, während Beziehungen in östlicher Richtung entweder weniger attraktiv oder — aufgrund spezifischer Restriktionen — weniger leicht möglich sind.

Die Wissenschaftsbeziehungen der DDR zu westlichen Industrieländern basieren nicht allein auf den KSZE-Vereinbarungen. Die DDR macht sie zusätzlich von staatlichen Rahmenabkommen abhängig, die sie — als Vertrag über wissenschaftliche, wissenschaftlich-technische, kulturelle oder Hochschul-Zusammenarbeit — mit vielen westlichen Ländern abgeschlossen hat, von den USA bis Frankreich, von Norwegen bis Spanien. Diese Abkommen werden durch kurzfristige Arbeitsprogramme implementiert; gemeinsame Kommissionen oder ständige Komitees sind hierfür bei der Festlegung von Programmprioritäten und wohl auch steuernd tätig. Zusätzlich gibt es Abkommen zwischen Akademien (z. B. Akademie der Wissenschaften der DDR und Schwedische Akademie der Wissenschaften) und Hochschulen (z. B. Humboldt-Universität Berlin und Universität Wien). Ferner hat die DDR Verträge über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit auf speziellen Gebieten (z. B. mit Österreich im Bereich der Land-und Forstwirtschaft) und über Umweltschutz (z. B. mit Schweden) abgeschlossen

Austausch von Wissenschaftlern und Literatur, Forschungsaufenthalte und Kongreßbesuche scheinen bevorzugte Formen der bilateralen Beziehungen zu sein. Hinzu kommen Ausstellungen bzw. „Technische Tage“ mit Vorträgen, mit denen sich die Partnerstaaten im jeweils anderen Land präsentieren (z. B. 1982: Technische Tage der DDR in Städten Frankreichs, Italiens, Spaniens und Kanadas). Demgegenüber finden gemeinsame Forschungsprojekte keine ausführliche öffentliche Erwähnung; vermutlich besteht hier ein ähnliches Defizit (relativ zu den Austauschbeziehungen) wie im Verhältnis zwischen westdeutschen und osteuropäischen Wissenschaften. Möglicherweise hat das einen Grund auch darin, daß die Wissenschaften in der DDR vorrangig auf Kooperation im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gelenkt werden und viele Kapazitäten entsprechend gebunden sind.

Die Wissenschaftsbeziehungen zwischen beiden deutschen Staaten und Gesellschaften könnten und werden wohl auch, außer auf der KSZE-Schlußakte, politisch auf dem Grundlagenvertrag aufbauen. Hier haben beide Staaten — unter strategischen Aspekten wie z. B. Friedenssicherung, Entspannung, normalen, gutnachbarlichen Beziehungen und Zusammenarbeit zum Wohle der Menschen — „ihren Willen, zum beiderseitigen Nutzen die Zusammenarbeit auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik zu entwickeln und die hierzu erforderlichen Verträge abzuschließen“, zu Protokoll gegeben. Verträge sind also zur Bedingung institutionalisierter Wissenschaftsbeziehungen gemacht worden. Die Verhandlungen darüber haben lange gedauert; zum Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit (Wis-senschaftsabkommen) ist bisher beispielsweise in über 30 Runden verhandelt worden. Es sieht so aus, als könnte in diesem Jahr ein Durchbruch erreicht werden. Politische und wissenschaftspolitische Kontakte — wie gegenseitige Besuche der zuständigen Minister und Staatssekretäre, Gespräche zwischen den Spitzen von DFG, Max-Planck-Gesellschaft und Akademie der Wissenschaften, Reisen von Parlamentariern u. a. — flankierten die Verhandlungen.

Einzelne, auch bilaterale Konferenzen (z. B. über Luftreinhaltung oder Forstwissenschaft), persönliche Kontakte und diverse Reputationshandlungen (wie Mitgliedschaften in Akademien, Preis-verleihungen und andere Ehrungen) können nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Zustand unbefriedigend ist. Das betrifft den institutionalisierten Austausch und erst recht gemeinsame Projekte, aber auch asymmetrische Zugangsmöglichkeiten, von denen bisher allein die DDR profitiert. Für ein solches Urteil muß nicht eigens an die Beziehungen bis zu den sechziger Jahren erinnert werden, die damals — entlang der bis dahin in der DDR gültigen Auffassung, „daß es eine unteilbare deutsche Wissenschaft gibt“ 8) — durch gemeinsame wissenschaftliche Gesellschaften und Zeitschriften, Editions-und Forschungsproj^kte, Personalunionen, jährliche Arbeitsbesprechungen der Akademien u. a. m. gekennzeichnet waren. Mißt man sie an dem, was beide deutsche Staaten jeweils an intersystemaren Wissenschaftskontakten unterhalten und an den gemeinsamen Problemen, so müssen die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen noch immer als besondere, d. h. als besonders ausbaufähige Beziehungen gelten.

II. Bestimmungsfaktoren und Funktionen deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen

Als Robert K. Merton den internationalen Charakter von Wissenschaft in Normen wie Universalismus und Kommunikation faßte meinte er damit zum einen die Irrelevanz von Geltungskriterien wie Rasse, Klasse oder nationale Zugehörigkeit gegenüber unpersönlichen Leistungskriterien. Zum anderen sollte die Gemeinschaftlichkeit der Zusammenarbeit, der Ergebnisse und der Verfügung darüber Wissenschaft als offene Kommunikation kennzeichnen. Diese Normen sind mittlerweile problematisiert, aber auch aktualisiert worden. Denn, wie noch zu diskutieren sein wird, Wissenschaftsbeziehungen verlaufen heute selten entlang dieses Idealtyps. Sowohl in kognitiver als auch in sozialer Hinsicht wirken nationale bzw. bündnisförmige Abschottungs-und Geheimhaltungsstrategien, Transfersperren, nationale und systemspezifische Organisations-und Integrationsweisen wissenschaftlicher Tätigkeit. Zugleich hat der traditionell internationale Charakter wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion heute in allen hochindustrialisierten Gesellschaften eine neue, besondere Qualität erhalten: Wissenschaft ist zusammen mit Technik zu einem wesentlichen, eigendynamischen Bestimmungsfaktor gesellschaftlicher Entwicklung geworden.

Die Abhängigkeit der Industriegesellschaften von wissenschaftlich-technischen Innovationsleistungen gilt kausal wie funktional. Kausal meint, daß wissenschaftlich-technische Innovationen tendenziell alle Gesellschafts-und Lebensbereiche in umfassender und tiefgreifender Weise beeinflussen und problematisieren. Indem Wissenschaft und Technik sich besonders rapide und sprunghaft entwickeln, führen sie im Zuge ihrer praktischen Anwendung zu einer Vielzahl weitreichender gesellschaftlicher Veränderungen, aber auch zu schwer antizipierbaren und gravierenden Risiken und Folgeproblemen. Diese lassen sich meist nicht mehr hinreichend auf der Basis des gesellschaftlich vorhandenen Orientierungs-und Handlungswissens erkennen und bewältigen. Sie erfordern aufgrund ihrer Komplexität und Neu-artigkeit vielmehr — und dies verweist auf den zweiten, den funktionalen Aspekt des gewandelten Stellenwerts von Wissenschaft und Technik — ihrerseits innovative und methodische, also vorrangig wissenschaftlich betriebene Lösungssuche. Damit ist wissenschaftliche Erkenntnistätigkeit in funktionaler Hinsicht als spezifische und notwenB dige Komponente gesellschaftlicher Problemlösungsprozesse aufzufassen und zu bestimmen, freilich ohne Fetischisierung der Wissenschaften. 1. Wissenschaftsrelevante intersystemare Probleme Diese Probleme sind für uns Ausgangspunkt, Motiv und Gegenstand deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen. Ohne daß wir auf Detailentwicklungen und theoretische Konzepte beider Gesellschaften eingehen wollen wir die Probleme allgemein (als Diskrepanz zwischen Handlungssituationen und -zielen, die nicht durch Rückgriff auf vorhandenes Wissen bewältigt werden können, sondern neuen Wissens bedürfen) und merkmaismäßig bestimmen. Um den Anschluß an politische Entscheidungen nicht zu verlieren, entnehmen wir die Beispiele dem Tableau der in der KSZE-Schlußakte formulierten Kooperationsfelder. Als wissenschaftsrelevante, d. h. in wissenschaftlich bearbeitbare Fragestellungen zu übersetzende und an existierende Forschungsfronten anzuschließende Probleme unterscheiden wir:

— Globale Probleme: solche, die ihren Ursachen und Folgewirkungen nach über die Grenzen von Staaten und Gesellschaftssystemen hinausgreifen und die deshalb auch transnationale Lösungsweisen erfordern (d. h. gleiche oder zumindest kompatible Kriterien der Definition; kooperative Wissensproduktion; strukturelle und normative Anpassungen an die Problemlösung). Zu den globalen Problemen — deren Wahrnehmung übrigens in der DDR zunehmend geschärft worden ist — zählen Kooperationsfelder wie z. B. Meeresforschung, Weltraumforschung, Ernährung der Weltbevölkerung oder Umweltforschung. Freilich macht der KSZE-Text hier Einschränkungen: Er verweist Wissenschaften insbesondere auf die technischen Aspekte der Probleme und thematisiert nicht fundamentale Lösungsvarianten; er hält die bestehenden politischen und sozioökonomischen Strukturen noch konstant gegenüber den Problemen selbst.

— Analoge Probleme: solche, die — trotz gleicher Ursachen und Wirkungen — in ihrer Reichweite begrenzt sind; die internationale Zusammenarbeit zu ihrer Lösung ist effektivitätssteigernd, muß aber nicht alle Phasen der wissenschaftlichen Problembearbeitung umfassen. Die KSZE-Schlußakte hat zahlreiche Probleme dieses Typs aufgelistet. Dazu gehören beispielsweise: Produktionsmethoden in der Landwirtschaft, Energienutzung, Verkehrstechnologien, theoretische und experimentelle Kernphysik, Seismologie, elektronische Datenverarbeitung, Medizin und öffentliches Gesundheitswesen. Daneben sind weitere mögliche Gebiete wissenschaftlicher Zusammenarbeit in Korb III der KSZE-Schlußakte genannt. Hier werden sowohl Disziplinen aufgelistet (wie Geschichte, Geographie, Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Linguistik, Soziologie, Rechts-, Staats-und Wirtschaftswissenschaften) als auch Projekte genannt (z. B. „vergleichende Untersuchungen über gesellschaftliche, sozioökonomische und kulturelle Erscheinungsformen“ insbesondere der Umwelt-und Städtebauprobleme; Methoden zur „Erhaltung und Restaurierung von Denkmälern und Kunstwerken“). 2. Politik als Regulationsinstanz Auf der KSZE-Ebene haben die beteiligten Staaten, also auch die Bundesrepublik und die DDR, die Wissenschaftsbeziehungen in mancherlei Weise vorwegdefiniert und -reguliert. Einerseits haben sich die Regierungen verpflichtet, Wissenschaftsbeziehungen zu fördern, auszubauen und zu erleichtern. Andererseits sind die Wissenschaftsbeziehungen von Politik abhängig gemacht worden, und das nicht nur in dem Sinne, daß sie von der Qualität der intersystemaren politischen Beziehungen tangiert bleiben. Vielmehr bieten sich konkrete politische Interventionsmöglichkeiten. Indem z. B. die intersystemaren Wissenschaftsbeziehungen in politische Prinzipien (wie etwa Nichteinmischung und Souveränität) und Regeln (wie vor allem Vertragsförmigkeit) eingebunden bleiben, können die staatlichen Verhandlungspartner wichtige und verbindliche Vorentscheidungen über die Ziele, Gegenstände, Formen und Bedingungen der Wissenschaftsbeziehungen treffen. Sie nehmen Einfluß auf die wissenschaftliche Definition und die Bearbeitungsprozesse der relevanten Probleme: indem sie traditionelle Beziehungsformen (wie den Austausch) favorisieren und indem sie Kooperationsfelder definieren und dabei zugleich Verwertungszusammenhänge vorwiegend auf einer ökonomisch-technischen Ebene festlegen. Damit aber, so ist zu vermuten, können Wissenschaftsbeziehungen als politische Handlungsentlastung funktionalisiert werden; die Verpflichtung der Wissenschaften auf wissenschaftliche Problemlösungen kann auch dazu dienen, die Suche nach politischen, ökonomischen, sozialen Ursachen und Lösungen kompensatorisch zu verschieben; fundamentale wissenschaftliche Änderungsvorschläge können dann immer noch unter das Verdikt der „Einmischung“ fallen.

Mittlerweile haben sich die RGW-Länder in ihrem „Komplexprogramm des wissenschaftlich-technischen Fortschritts“ erneut auf die Notwendigkeit einer intersystemaren Zusammenarbeit festgelegt. Zwar steht für sie die intrasystemare Integration — Konzentration und Kooperation auf „Hauptrichtungen“, Abstimmung bzw. Vereinheitlichung der Wissenschafts-und Technologiepolitik, Ausbau der Direktbeziehungen untereinander, Plan-Koordinierung, Ausbau gemeinsamer Infrastrukturen und Institutionen usw. — im Vordergrund, doch können sie ihre Modernisierungsprogramme und Wachstumsziele nicht ohne systemübergreifende WTZ realisieren. Diese müsse, so das Komplexprogramm, „globalen Charakter erhalten“, als „breiteste internationale Zusammenarbeit zur ausschließlich friedlichen Nutzung der revolutionären Fortschritte in Wissenschaft, Technik und Technologie“ entwikkelt werden und auf eine „Umgestaltung des gesamten Systems der internationalen wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Beziehungen auf gerechter und demokratischer Grundlage“ zielen.

Freilich ist mit all solchen Formulierungen noch nicht die Diskrepanz aufgelöst, die zwischen Autarkie-Bestrebungen innerhalb des sozialistischen Lagers einerseits und Wahrnehmung der wechselseitigen Abhängigkeit andererseits besteht. Der sowjetische Ministerpräsident Ryshkow hat dazu auf dem 27. Parteitag der KPdSU ausgeführt „Wir sind weit davon entfernt, auf die Ergebnisse der internationalen Arbeitsteilung und des wissenschaftlich-technischen Austauschs zu verzichten, aber in erster Linie müssen wir uns auf unser eigenes riesiges Forschungspotential stützen.“

Selbst wenn die intersystemare WTZ vorrangig eine kompensatorische Funktion hätte, blieb sie wohl eine strategische Orientierung. Zumal sie auch unter außenpolitischen Aspekten als stabilisierende und vertrauensbildende Option ansteht: Gemeinsame Forschung (z. B. im Weltraum und zur Lösung globaler Probleme) gehört ebenso wie Zusammenarbeit („Festigung“, „Suche nach neuen Formen“) in Kultur, Wissenschaft, Bildung und Medizin zu Gorbatschows Offerten im Kontext eines zu schaffenden Systems der internationalen Sicherheit Daß ideologische Konfrontationsformeln der KPdSU („Kampf der Systeme“) durch Orientierungen wie Wettbewerb, Konkurrenz und Kooperation abgelöst worden sind, unterstreicht diese Strategie.

Auf der deutsch-deutschen Ebene gelten wohl noch immer Absichtserklärungen, wonach die Bundesrepublik „an einem breiten Wissens-und Erfahrungsaustausch auf allen Gebieten unter Einschluß der Grundlagenforschung, der Geistes-und Sozialwissenschaften interessiert“ sei Die von der Bundesregierung gewünschten „Fortschritte“ bei den WTZ-Verhandlungen sind zweifellos zu verzeichnen (s. u.), doch bleiben die politischen Hypotheken. Zu ihnen gehören vor allem die vertragliche und praktische Einbeziehung West-Berlins in die Wissenschaftsbeziehungen und die Frage der Staatsbürgerschaft. Noch gibt sich die DDR zurückhaltend: Honecker würdigte zwar das Kulturabkommen („Ich bin überzeugt, daß es ein wichtiger Schritt zur Normalisierung der Beziehungen sein und den kulturellen Austausch fördern wird“), verzichtete aber darauf, den Stellenwert des WTZ-Abkommens („Im wissenschaftlich-technischen Bereich wird zur Zeit verhandelt. Eine Vereinbarung ist möglich“) zu beurteilen Gleichwohl hat er auf dem XI. SED-Parteitag im April 1986 das grundsätzliche Interesse der DDR signalisiert, die Zusammenarbeit mit dem Westen auszubauen und nach „neuen Formen der ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit, beim Umweltschutz, im Bereich der Kultur, des Bildungs-und Gesundheitswesens sowie in anderen Fragen zu suchen“ Freilich blieb offen, wer die Subjekte* und was die Ergebnisse dieses Suchprozesses sein werden. Andere amtliche Beiträge aus der DDR zum Thema sind nicht konkreter; Zitierungen der KSZE-Texte ersetzen in aller Regel spezielle Abhandlungen. Wissenschaftsbeziehungen, gar bilaterale zur Bundesrepublik Deutschland, sind eben für die DDR kein Eigenwert, kein „Separatum“, sondern von politischen und ökonomischen Zwecken geleitet und werden gleichzeitig als objektiver Prozeß gefaßt

Diese inkonsistente Haltung, Wissenschaftsbeziehungen als Notwendigkeit anzuerkennen und sie zugleich zu instrumentalisieren, ist vielleicht nicht nur für die DDR charakteristisch. Nun erschöpft sich freilich die Rolle der Politik nicht in der Festlegung allgemeiner Zwecke und Bedingungen und im Aushandeln von Verträgen. Deutsch-deutsche Wissenschaftsbeziehungen sind im praktischen Vollzug auch abhängig von jeweiligen innerstaatlichen Regelungen und deren Handhabung. Dazu gehören in der DDR beispielsweise — das politische Monopol, Aus-und Einreisen zu genehmigen, zu verweigern und zu kontrollieren sowie die Zugänglichkeit wissenschaftlicher Einrichtungen für „Betriebsfremde“ zu regeln; — strafrechtliche Bestimmungen wie „landesverräterische Nachrichtenübermittlung“ (§ 99, bezogen auf „der Geheimhaltung nicht unterliegende Nachrichten“) oder „ungesetzliche Verbindungsaufnahme“ (§ 219, betrifft u. a. die Verbreitung von Nachrichten, Schriften, Manuskripten oder anderen Materialien im Ausland, „die geeignet sind, den Interessen der Deutschen Demokratischen Republik zu schaden“) — Möglichkeiten der Steuerung und Restriktion von Informationsflüssen durch Verlage, Zeit-schriften-Redaktionen, Bestimmungen zum Geheimnisschutz usw.

Derart rigide Kontrollen und Sanktionsbestimmungen gibt es in der Bundesrepublik nicht. Doch auch wir haben unseren § 99 StGB, der den unter Strafe stellt, der „für den Geheimdienst einer fremden Macht eine geheimdienstliche Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland ausübt, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist“. Wie der Fall des Freiburger Biologen Fahrig zeigte, kann dieser Paragraph auch zur Anwendung kommen, wenn offenes wissenschaftliches Material an DDR-Bürger geschickt wird, die der Absender nicht als MfS-Mitarbeiter kennt; die Umstände der „Tat“ wogen schwerer als der offenbar nicht eingetretene Schaden Auch andere Bestimmungen und Usancen — wie Informationspflicht für Ostreisen an manchen hiesigen Universitäten oder Registrierungen an der Grenze — wirken vermutlich nicht unbedingt motivierend und stimulierend. Für bestimmte wissenschaftliche und technologische Produkte setzen transferpolitische Entscheidungen (Ausfuhrverbote aufgrund der Cocom-Liste) und andere Exportbeschränkungen der West-Ost-Zusammenarbeit „eine sichtbare Grenze“ Diese Grenze zu verändern oder durchlässiger zu machen, liegt nicht imälleinigen Ermessen der Bundesrepublik; gegenwärtig sieht es eher nach einer Verschärfung der Cocom-Bestimmungen aus. 3. Wissenschaftsförderung Die politische Führung der DDR macht das Erreichen politischer Ziele — wie insbesondere: die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern; die Bevölkerung mit mehr und besseren Waren und Dienstleistungen zu versorgen; mittels Sozialpolitik politische Stabilität zu sichern; in der Systemkonkurrenz mit der Bundesrepublik zu bestehen — von wirtschaftlichem Wachstum abhängig. Das ist als qualitatives Wachstum konzipiert, d. h. auf wissenschaftlich-technische Innovationen, möglichst auf international konkurrenzfähige Spitzenleistungen, orientiert. Die „Schlüsselrolle von Wissenschaft und Technik“ ist heute in der DDR, in Rede wie in Praxis, kein bloßes Mittel; Wirtschaftswachstum und Wissenschaft/Technik haben vielmehr in dem Sinne ein Eigengewicht gewonnen, daß Politik keine Alternative zur Eigendynamik des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sieht und bereithält. Damit sind aus dem Katalog der amtlich zugeschriebenen Wissenschaftsfunktionen — Wissenschaft als Produktivkraft, Herrschaftskraft, Verteidigungskraft, Kultur-, Human-und Sozialkraft — insbesondere diejenigen gegenwärtig und wohl auch für eine geraume Zeit favorisiert, die wirtschaftliche und technische Relevanz und Effekte haben bzw. versprechen. Sie bestimmen auch die Handhabung spezifischer Wissenschaftsnormen wie „Parteilichkeit“, das Verhältnis von „gesellschaftlicher Bedingtheit und relativer Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft“, Kollektivität der Forschung und dergleichen. Diese Normen, obgleich verbal immer wieder bemüht und auch Gegenstand von Forschung, spielen heute zumindest in den Natur-und Technikwissenschaften eine geringere Rolle als die harten Relevanzkriterien; das erhellt auch daraus, daß etwa hiesige Diskussionen und Maßnahmen zur Leistungsmotivation und -Stimulierung in der DDR interessiert und beifällig zur Kenntnis genommen werden.

Von Belang für deutsch-deutsche Wissenschaftsbeziehungen sind vor allem solche wissenschaftspolitischen Regelungen, in denen die Interessenlage der DDR und die im Wissenschaftssystem institutionalisierten Bedingungen zum Ausdruck kommen. Dazu gehören — Forschungsprioritäten: „Schlüsseltechnologien“ und Schwerpunkte sind Mikroelektronik und Optoelektronik; rechnergestützte Konstruktion und Produktionssteuerung in Verbindung mit automatisierter Fertigung und neuen Technologien; neue Werkstoffe; Biotechnologie; Energie-forschung und -technik; Gesundheitsforschung Die ersten fünf Prioritäten entsprechen den „Hauptrichtungen“ des RGW-Komplexprogramms; ein großer Teil des Forschungspotentials ist schon seit langem an gemeinsame Projekte mit den sozialistischen Nachbarländern gebunden. Soziale Folgewirkungen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts sind als Aufgaben an gesellschaftswissenschaftliche Forschung delegiert (z. B. Arbeitswelt und -inhalte, soziale Beziehungen, Qualifikationsentwicklung, Umwelt, Orientierungsprobleme). — Wissenschaftsorganisation: Als Zentrum der Grundlagenforschung fungiert die Akademie der Wissenschaften (AdW); sie soll künftig mehr Aufgaben der angewandten Forschung und Entwicklung (F/E), der Überleitung und Versuchsproduktion übernehmen. Die AdW ist zuständig für die Koordinierung internationaler Wissenschaftsbeziehungen und leistet zudem wissenschaftspolitische Entscheidungsvorbereitung. Die meisten F/E-Kapazitäten sind in den Industriekombinaten etabliert. Weitere Forschungsträger sind die Universitäten und Hochschulen, Ressorteinrichtungen sowie der SED unterstellte gesellschaftswissenschaftliche Großinstitute. — Wissenschaftsplanung: Für Forschung (Gegenstände, Verwertungszusammenhänge, Potentiale usw.) gibt es langfristige Programme („Konzeptionen“), Fünfjahres-und Jahrespläne; wissenschaftliche Einrichtungen wie vor allem die AdW sind an der Konzeptualisierung, Planaufstellung und Implementierung beteiligt. Die Funktionalität von „Freiräumen“ ist offiziell anerkannt; sie betrifft vor allem die Übersetzung der Planvorgaben in wissenschaftlich bearbeitbare Fragestellungen und Projekte sowie Forschungsprozesse selbst.

— Forschungsfinanzierung: Neben Staatsmitteln (für Grundlagen-und sozialwissenschaftliche Forschung) finanzieren insbesondere Kombinate die Forschung an AdW und Hochschulen; geplant ist ein Anteil von über 50 Prozent. Verträge zwischen Forschungseinrichtungen und Kombi-naten legen Aufgaben, Projekte, Kooperationsbeziehungen, Forschungs-und Verwertungsprozesse, Abrechnungsmodi usw. verbindlich fest.

Trotz anderer Wissenschaftsverständnisse und Integrations-wie Organisationsformen, trotz eines unterschiedlichen Forschungsklimas und Entwicklungsstandes, trotz spezifischer Prioritäten und Förderungsmechanismen können in der hiesigen Forschungs-und Technologiepolitik Ansatzpunkte gefunden werden, die — neben den Problemlagen und den politischen Optionen — eine Voraussetzung für die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen darstellen. Dazu gehören etwa die vom Bundesministerium für Forschung und Technologie formulierten „Wirkungsfelder von Forschung und Technologie“ in denen sowohl Niveaus der Verwissenschaftlichung unserer Gesellschaft als auch Funktionszuschreibungen auf den Begriff gebracht werden. Die sechs Stichworte — Wissenschaft als Kultur-grundlage, als Produzent von Orientierungswissen, wissenschaftlich-technische Innovation, sozialer Fortschritt, Umwelt-und Ressourcenschonung, internationale Kooperation — geben zwar die tatsächliche systemische Integration der Wissenschaften für Politik und Wirtschaft hierzulande nur ungenau wieder. Aber sie verweisen doch darauf, daß Wissenschaft ein sozialintegratives Unternehmen ist, welches nicht nur erfolgs-orientiert instrumentelle Vernunft reproduziert, sondern auch verständigungs-und problemorientiert handelt. Von diesem Punkt aus sind im folgenden die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen zu konzeptualisieren. 4. Funktionen deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen Um zu einem Konzept intersystemarer Wissenschaftsbeziehungen zu kommen, das über die gegenwärtige Praxis hinausweist, wollen wir die Bestimmungsfaktoren gewichten und verknüpfen. Dabei kommt es vor allem darauf an, den innergesellschaftlichen Bedeutungszuwachs von Wissenschaft — ihren Stellenwert als Instanz der Problemerzeugung und -lösung — auf zwischengesellschaftliche Beziehungen zu wenden und Politik dabei als eine wichtige, aber nicht allein ausschlaggebende Variable zu begreifen. Eine solche Perspektive ist auch deshalb plausibel, weil — wenn denn die Rede von der „wissenschaftlichtechnischen Revolution“ einerseits oder von der „postindustriellen Gesellschaft“ andererseits einen Sinn haben soll — politische und sozioökonomische Strukturen, soziale Beziehungen und gesellschaftliche Wertsysteme nicht nur situative Gegebenheiten für technischen Wandel sind, sondern selbst Wandlungen unterliegen.

Die erste und wichtigste Funktion deutsch-deutscher Wissenschaftsbeziehungen wäre es, wissenschaftsrelevante Probleme zu identifizieren, zu bearbeiten und nach Lösungen zu suchen. Den Merkmalen der Probleme sollten die Modi der Problembearbeitung und die Wissenstypen entsprechen. Das bedeutet — in Weiterführung unseres Ansatzes — folgende näherungsweise Typisierung: — Für systemübergreifende (globale) Probleme ist ein Prozeß zu organisieren, der gemeinschaftlich und projektförmig abläuft und auf die Produktion und Anwendung neuen Wissens zielt. Dieser Prozeß umfaßt idealiter alle Phasen bzw. Komponenten der wissenschaftlichen Erkenntnistätigkeit, also insbesondere Problemdefinition, Hypothesenbildung und Formulierung von Erkenntnisregulativen, Transfer des Problems in Forschungsprogramm(e), Forschung, Überprüfung und Verwertung der Ergebnisse. Dem Problemtyp entspricht kausales Wissen, Regel-und Konstruktionswissen sowie Orientierungswissen. Beispiele für solche Probleme: Umweltschutz (Ursachen, Auswirkungen und Grenzen von Belastungen, technische u. a. Verfahren zur Schadstoff-Minimierung, Konzepte anderer Produktionsweisen usw.); Rüstungsursachen und -folgen und alternative Sicherheitsmodelle; ethische Implikationen und Kontrolle der Gentechnologie; Telekommunikation und ihre sozialen Folgen. — Analogen Problemen der wissenschaftlich-technischen Zivilisation genügt ein Prozeß, der arbeitsteilig organisiert ist und in dem einzelne Phasen bzw. Komponenten der Erkenntnistätigkeit gemeinschaftlich realisiert werden. Hier geht es vor allem darum, sich intersystemar über Ursachen und Merkmale der Probleme und über die erforderlichen Wissenstypen zu verständigen, Lösungswissen und Verwertungs-Erfahrungen auszutauschen und zu akkumulieren. Beispiele für Probleme dieses Typs: Veränderungen der Arbeitsinhalte und Arbeitsbedingungen; Sicherheitstechniken für Kernkraftwerke; regenerative Energiequellen; Recycling von Kunststoffen; Technology Assessment; Modelle gesellschaftlicher Wissenschaftskontrolle u. a. m.

— Für wissenschaftsintern erzeugte Erkenntnisprobleme, die auf der Ebene von Forschung und Wissensaustausch angegangen werden, behalten die traditionellen und bewährten Kooperationsformen entlang vorhandener Forschungsfronten ihre Bedeutung. Dazu gehören, etwa in der politisch legitimierten Fassung der KSZE-Schlußakte, vor allem: Austausch von Informationen und Literatur, gemeinsame Veranstaltungen, Austausch von Wissenschaftlern, Abstimmung von Forschungsprogrammen, gemeinsame disziplinäre oder projektorientierte Forschungsvorhaben, Arbeitsmöglichkeiten in nationalen oder internationalen Forschungseinrichtungen. Die meisten dieser Formen müßten freilich für die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen erst einmal wiederbelebt werden.

Eine zweite Funktion sehen wir darin, daß die wissenschaftliche Zusammenarbeit zu einem multistabilen System der Beziehungen beiträgt. Wissenschaftler aus beiden deutschen Staaten könnten eine kommunikative Infrastruktur aufbauen und verstetigen, die Konflikte in anderen Bereichen — z. B. bei den politischen oder den wirtschaftlichen Beziehungen — abfedert und überdauert. Von hier aus wäre auch die dritte Funktion zu umschreiben: die Institutionalisierung wechselseitiger Lernprozesse. Das bedeutet einen Dialog, der sich kritisch verhält zu seinen Bedingungen, d. h. beispielsweise zu den ordnungspolitischen Daten, zu speziellen politischen Erwartungen (sei es Ideologieexport, Wahrung der Einheit der Nation oder Unterstützung der jeweiligen Bündnisräson), zu ökonomischen Effektivitätskriterien und dergleichen.

III. Abkommen und Aussichten

Zwischen den konzipierten Funktionen und einem praktischen Funktionieren der deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen liegt ein weiter Weg. Ihn markieren nicht nur die genannten Bestimmungsfaktoren, sondern auch die einschlägigen Abkommen, mit denen beide deutsche Staaten die Zusammenarbeit auf diesem Sektor regeln wollen. Zwar ist erst das Kulturabkommen, noch nicht aber der Wissenschaftsvertrag unterschrieben worden, doch können wir beide Verträge auf ihre Ziele und Inhalte und daraufhin, ob und wie sie eine problemadäquate Zusammenarbeit ermöglichen, befragen.

Im Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ist vor allem Art. 2 der Wissenschaft gewidmet. Es heißt dort:

„Die Abkommenspartner fördern die Zusammenarbeit auf den Gebieten von Wissenschaft und Bildung einschließlich der Schul-, Berufs-und Erwachsenenbildung sowie der Hoch-und Fachschulbildung. Sie fördern 1. die Entsendung von Delegationen, Wissenschaftlern und Experten zum Zwecke des Erfahrungsaustausches, wissenschaftlicher Information und der Teilnahme an Kongressen und Konferenzen;

2.den Austausch von Wissenschaftlern zu Vorlesungs-, Forschungs-und Studienaufenthalten;

3.den Austausch von Studierenden, insbesondere postgradual Studierenden, und jungen Wissenschaftlern zu Studienaufenthalten;

4.den Austausch von Fachliteratur, Lehr-und Anschauungsmaterial sowie von Lehrmitteln.“ Zudem wollen die Vertragspartner „die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Museumswesens, den Austausch von Ausstellungen sowie die Gewährung von Leihgaben“ (Art. 3 Abs. 6), „die Zusammenarbeit zwischen Institutionen der Denkmalpflege“ (Art. 3 Abs. 7), die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Bibliothekswesens (Art. 6) und im Archivwesen (Art. 7) fördern. Bezogen auf die Wissenschaften ist das Kulturabkommen ein Austauschprogramm. Damit ermöglicht es Beziehungen, die es bisher in institutionalisierter Form nicht gab; deshalb sollte es zügig durchgeführt werden. Allerdings ist nicht zu übersehen, daß es keine wissenschaftliche Kooperation im Forschungssektor anzielt. Zusammenarbeiten sollen in erster Linie „Organe“ (Art. 1: „Diese Zusammenarbeit erfolgt zwischen den zuständigen Organen beziehungsweise Behörden, Institutionen und — soweit sie nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsordnung und Praxis an der Realisierung des Abkommens beteiligt sind oder werden — zwischen Organisationen, Vereinigungen und den im kulturellen Bereich tätigen Personen.“). Das verweist auf die Möglichkeit oder gar Absicht, ein hohes Maß an politischer Steuerung einzubringen. Die Betroffenen — die künftig den Austausch und die Zusammenarbeit zu praktizieren haben — sind offenbar im Stadium der Verhandlungen nicht konsultiert worden

Versteht man Wissenschaft in erster Linie als Bestandteil der Kultur, dann mag es angehen, im Rahmen einer dialogischen Politik den Austausch zu favorisieren: Es geht dann allein um die gegenseitige Übermittlung von kulturellen Wissensbeständen. Begreift man jedoch die Wissenschaften auch als gesellschaftliche Problemlösungsinstanz, dann kann der Austausch allein nicht ausreichen. Und auch die politische Steuerung muß hier einen anderen Stellenwert und eine andere Reichweite haben. Für die zentralen Problemfelder (Energie, Information, Gesundheit/Leben) weiß sich Politik heute nicht mehr in der Lage, eigenständige und zureichende Definitionen zu geben. Über Beratungswesen, Enquetekommissionen (Bundesrepublik) oder Wissenschaftliche Räte (DDR) wird Fachwissen eingeholt. So gesehen kann es nicht zuerst und allein Sache der Politik sein, die auf die globalen und analogen Probleme ausgerichtete wissenschaftliche Zusammenarbeit zu steuern; sie kann nur einen Rahmen vorgeben. Das angestrebte Wissenschaftsabkommen sollte also als ein Dokument gesehen werden, das es den Wissenschaftlern in beiden deutschen Staaten ermöglicht, den fachlichen Dialog über gemeinsame Probleme aufzunehmen.

Der Textentwurf für dieses Abkommen ist noch nicht veröffentlicht worden. Gleichwohl lassen sich Konturen aus diversen Absichtserklärungen, vor allem der letzten Bundesforschungsberichte, und aus den Abkommen mit anderen sozialistischen Ländern näherungsweise erschließen. Danach sind insbesondere zu regeln:

— die Gegenstände der Zusammenarbeit. Hier ist an das Interesse und die Praxis der Bundesregierung zu erinnern, alle Gebiete der Natur-und Technikwissenschaften, der Sozial-und Geistes-wissenschaften in die vertragliche Zusammenarbeit einzubeziehen (s. Bundesforschungsbericht V);

— die Durchführung der Zusammenarbeit. Hier dürften, wie z. B. im Kulturabkommen, Einzelvereinbarungen oder Arbeitspläne möglich sein; die Entscheidung über Einzelheiten (Thema, Beteiligte, Informations-und Koordinierungsleistungen) wird vermutlich, wie international üblich, einem Komitee oder einer Kommission übertragen; — die rechtlichen Fragen (z. B. Rechtsschutz von Erfindungen) und administrativ-technische Bedingungen (vor allem Reise-und Arbeitsmöglichkeiten); — die Formen der Zusammenarbeit.

Ob und inwieweit Wissenschaftler in die Vertragsverhandlungen einbezogen waren bzw. sind, wird die Bundesregierung — neben anderen Fragen — im Zuge einer parlamentarischen Anfrage zu beantworten haben Noch wichtiger scheint uns die Frage zu sein, in welchen Formen, zu welchen Projekten und mit welchen Partnern kooperiert werden wird — immer vorausgesetzt, daß das Abkommen eine neue Quantität der Wissenschaftsbeziehungen und eine neue Qualität der Zusammenarbeit verspricht. Wenn das Abkommen nicht nur Austauschprogramm sein, sondern Zusammenarbeit im Wortsinn ermöglichen soll, dann sollten alle in den internationalen Wissenschaftsbeziehungen bekannten Formen der Kooperation genutzt und die Zusammenarbeit schließlich in den „höheren“ Formen stabilisiert werden. Das heißt: Neben dem Austausch von Informationen und der Durchführung von wissenschaftlichen Konferenzen, neben dem gegenseitigen Austausch von Wissenschaftlern sind insbesondere synchrone und schließlich gemeinsame Forschungsprojekte anzustreben und durchzuführen. In diesem Sinne ist die von J. Nötzold aufgestellte Regel, komplexere Technologie erfordere engere Formen der Zusammenarbeit, auf den Zusammenhang von wissenschaftsrelevanten Problemen und Kooperationsformen zu übertragen. Das hieße, je komplexer die Gegenstände der Wissenschaftskooperation sind, desto notwendiger sind intensive Beziehungen zur gemeinsamen Erarbeitung und Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Gleichwohl gilt wenigstens für die Startphase nach Vertragsabschluß, daß die Beteiligten stufenweise, differenziert und erfahrungskontrolliert vorgehen. Immerhin handelt es sich um Beziehungen zwischen Wissenschaften, die in antagonistische Wert-und Gesellschaftssysteme eingebunden sind. Wir können nicht einfach wieder da anknüpfen, wo seit Beginn der sechziger Jahre die traditionellen Kontakte abgebrochen wurden; ein neues Beziehungsgefüge ist behutsam auf-und auszubauen. Mit einer Unterzeichnung des Vertrags beginnt daher wohl zunächst eine lernintensive Anlaufphase, in der das Austauschprogramm, auf das sich die deutsch-deutsche Wissenschaftskooperation erst einmal konzentrieren dürfte, eine Vorlauffunktion für die künftige Durchführung von Forschungsprojekten hat. In dieser Zeit wird es darauf ankommen, die Wissensdefizite über die Kollegen und das Fach im jeweils anderen Deutschland durch gegenseitige informative Hilfen abzuarbeiten.

Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine effektive Zusammenarbeit in — später — den höheren Formen, also bei der Durchführung von Forschungsprojekten. Eine andere Voraussetzung wäre es, die komplizierte Situation einer durch viele Faktoren und Widersprüche belasteten Wissenschaftskooperation dadurch verstehbar und beherrschbar zu machen, daß die Beteiligten neben offenen Informationen auch Leistungs-und Vertrauensvorschüsse einbringen. Das hieße beispielsweise, am Anfang das do-ut-des-Prinzip hintanzustellen und unsererseits auf die vorwiegend ökonomischen Interessen der DDR einzugehen. Als dritte Voraussetzung sollten die wissenschaftlichen Leistungsangebote an die „relative Autonomie“ der Wissenschaften gekoppelt werden. Das hieße, daß Wissenschaftler die Initiative zurückgewinnen und gegenüber der Politik behaupten, indem sie die Gegenstände, Formen und Modalitäten der Beziehungen so selbständig wie möglich bestimmen und so entstaatlicht wie möglich regeln. Dabei ist auszuprobieren, ob L. Grahams auf die UdSSR bezogene Feststellung noch immer und auch für die DDR gilt, „that fear of politicai effect internally is not strong enough to override their desires for the exchange of scientific and technical information and for the continuation of detente“

Viertens ist zu beherzigen, was G. Grass zum Kulturabkommen einwandte. So wie Kulturbeziehungen nicht nur auf der Ebene der Hochkultur zelebriert werden sollten, so sollte Subjekt der Wissenschaftsbeziehungen nicht nur die etablierte universitäre und außeruniversitäre Forschung und schon gar nicht nur die Wissenschaftsbürokratie sein. Das hieße, auch wissenschaftliche Alternativen und alternative Wissenschaftler sind an der Wissenschaftsentwicklung beteiligt und tragen deshalb die Wissenschaftskooperation mit (Geschichtswerkstätten oder Wissenschaftsläden, Mitarbeiter ökologischer Forschungsinstitute u. a. m.). Kämen — hier wie dort — das pluralistische Spektrum und die Paradigmenkonkurrenz der Wissenschaften nicht zum Tragen, so würde man mit den Subjekten auch den Objektbereich der Wissenschaftsbeziehungen verfehlen.

Die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen werden, selbst wenn all diesen und noch anderen Voraussetzungen entsprochen wäre, von politischen Kontexten, Situationen und Entscheidungen beeinflußt bleiben. Damit meinen wir nicht nur die Restriktionen, die es — mit deutlichem Übergewicht auf Seiten der DDR — gibt, und die daraus resultierenden Asymmetrien. Wissenschaftsbeziehungen bleiben in alle Ebenen des Systemwettstreits eingebunden, also in weltanschauliche und politische Konflikte, ordnungspolitische und ökonomische Konkurrenz, Kooperation gesellschaftlicher Teilbereiche, kommunikative Beziehungen zwischen Menschen. Dies berücksichtigend, wollen wir ein differenziertes Modell der Wissenschaftskooperation vorschlagen.

Selbst wenn nach einer erfolgreich verlaufenden Austauschphase zwischen den entfremdeten Wissenschaften in Deutschland eine kooperationsfähige Situation entstanden ist, wird man aus vielerlei Gründen große Schwierigkeiten haben, gemeinsam zu bearbeitende Projekte zu formulieren und vor allem zu institutionalisieren. Wir schlagen daher eine zunächst synchrone Projektbearbeitungzwischen der Bundesrepublik und der DDR vor. Dieser Prozeß beginnt mit der Definition des Problems, um dessen Lösung man sich mit der systematischen Kreativität der Wissenschaften in den beiden Gesellschaften bemüht. Das gemeinsam definierte Problem bearbeiten Institute und andere wissenschaftliche Einrichtungen. Die Projektforschungen verlaufen je eigenständig, aber im ständigen Diskussions-und Informationskontakt mit dem Partner im anderen Lande. In regel-B mäßigen Abständen wird auf Konferenzen und Arbeitssitzungen, die von beiden Seiten durchgeführt werden, über den jeweiligen Stand der Forschung informiert.

Für diesen Typ der Kooperation erhält die Kommission, die die deutsch-deutschen Wissenschaftsbeziehungen regeln wird, eine zentrale Bedeutung. In diesem Gremium sollten nicht nur Repräsentanten der politischen Administration und der Wissenschaftsbürokratie vertreten sein, sondern insbesondere die Fachwissenschaftler. Zumindest wird die Kommission nicht ohne die fachgerechte Zu-und Vorarbeit von problembezogenen Subkommissionen auskommen können. In diesen Fachgremien sind — möglichst unter Beteiligung der Fachwissenschaftler selbst — die Projekte zu formulieren, während die Kommission den Ablauf der synchronen Projektbearbeitung festlegt.

Damit hätte die Kommission folgende Funktionen zu erfüllen:

— die Definition eines Forschungsprojekts als Reaktion auf ein globales oder analoges Problem auf Vorschlag der Subkommission;

— die Berufung der zu beteiligenden und Wissenschaftler;

— die Erstellung eines Ablaufplans für die synchronen Forschungen;

— die Koordination der verschiedenen Projekte; — die Regelung der Nutzung der gewonnenen Erkenntnisse.

Das Spektrum der möglichen synchronen Projekte ist so breit wie das der intersystemaren und analogen gesellschaftlichen und der wissenschaftsinternen Probleme. Zu empfehlen wäre, mit einzelnen Projekten zu beginnen, die einen hohen sozialen und politischen Aufmerksamkeitswert haben und an vorhandene wissenschaftliche Kompetenzen und Forschungsfronten anschließen: beispielsweise Energieforschung (etwa regenerative Energien, Entschwefelungs-und Entstaubungstechniken, Kraftwerkssicherheit), Umweltforschung und Biotechnologie (etwa Forschungen über Ursachen und Therapien des Waldsterbens, biotechnologischer Schutz von Pflanzen und Gewässern, Müllbeseitigung und Recycling), Kommunikationstechniken und ihre Folgen, arbeitswissenschaftliche und arbeitsmedizinische Forschung (etwa Arbeitsplatzgestaltung, Arbeitssicherheit, Probleme der Schichtarbeit, arbeitsbedingte Erkrankungen), Gesundheitsforschung, Friedensforschung, Technologiebewertung u. a. m. Projekte auf diesen Gebieten könnten eingeleitet werden durch Exkursionen und dergleichen zur Herstellung von Informationsund Diskussionskontakten; beide Partner könnten dann Vorschläge für Forschungsvorhaben einreichen, die die deutsch-deutsche Wissenschaftskommission fördert.

Während die synchronen Projekte gemeinschaftlich bei der Problemdefinition und arbeitsteilig bei der Forschung und Ergebnisbewertung angegangen werden können, wären für eine gemeinsame Projektbearbeitung durchgängig noch engere Formen der Kooperation erforderlich. Diese höchste Stufe der wissenschaftlichen Zusammenarbeit könnte das deutsch-deutsche Wissenschaftsabkommen insbesondere dadurch ermöglichen, daß es direkte Kontakte, gemeinschaftliche Nutzung der wissenschaftlichen Infrastruktur und der Forschungstechnik sowie gemeinsame Forschung gestattet und anzielt. Sind diese Bedingungen gegeben, so könnte sich die Kommission auf Funktionen der Koordinierung, der Information und der Förderung konzentrieren; Projektdefini-Institutetion und Auswahl der Beteiligten wären ebenso Sache der Wissenschaftler wie der Forschungsprozeß und die Präsentation der Ergebnisse.

Das ist freilich Zukunft; wenn das Wissenschaftsabkommen in Kraft ist, werden wohl zunächst Austauschbeziehungen und einzelne synchrone Projektforschungen im Vordergrund stehen. Über diese Stufen kann deutsch-deutsche Wissenschaftskooperation unspektakulär und alltäglich werden. Dazu gehört nach W. v. Bredow „— daß man die Problemfelder für derartige Kooperation enger und präzise formuliert, — daß nicht die halb schon mit politischen und Management-Aufgaben befaßten senior scientists allein oder hauptsächlich intersystemare Wissenschaftskooperation betreiben, sondern die direkt mit den so definierten Problemen arbeitenden Wissenschaftler, — daß diese Wissenschaftler kleine, überschaubare Arbeitseinheiten bilden, in denen durch Informationsaustausch, Methodenvergleich und gegenseitige fachliche Ergänzung und Kritik die ge-meinsam interessierenden Probleme besser angegangen werden können“.

Eine solche Veralltäglichung bedeutet Normalisierung, und das vielleicht nicht nur für den Wissenschaftsbetrieb, sondern auch für die Beziehungen auf anderen Gebieten. Indes sind Rückwirkungen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit (auf Politik, Wirtschaft, Kultur, Ideologie, Wissenschaft und gesellschaftliche Beziehungen) erst zu kalkulieren, wenn es diese Zusammenarbeit dauerhaft gibt. Daß die Abkommen dafür neue Chancen eröffnen, dürfte zumindest dann außer Zweifel stehen, wenn politische Interventionsmöglichkeiten und Tendenzen der Ökonomisierung auf das für die beteiligten Wissenschaftler erträgliche Maß beschränkt werden. Dabei muß nicht unbedingt eine deutsch-deutsche „Gelehrtenrepublik" entstehen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Oliver Bock danken wir für seine Recherchen. Die folgenden Angaben zur Situation stützen sich auf Ergebnisse seines Screenings einschlägiger Periodika (Fachzeitschriften, Veröffentlichungen wissenschaftlicher Institutionen, Förderungseinrichtungen, Stiftungen und dergleichen).

  2. Die KSZE-Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (Seminarmaterial des Gesamtdeutschen Instituts), Bonn 1975; E. Jost, Wissenschaft und Technik, in: Grünbuch zu den Folgewirkungen der KSZE, Köln 1977, S. 367 ff.; E. Förtsch/H. -J. Müller, Bedingungen und Tendenzen einer intersystemaren wissenschaftlichen Zusammenarbeit, in: DGFK-Jahrbuch 1979/80, Baden-Baden 1980, S. 635 ff.

  3. Bundesbericht Forschung 1984, S. 208.

  4. Stand der Auswärtigen Kukurbeziehungen mit den europäischen RGW-Staaten, Deutscher Bundestag, Drucksache 10/5017 (7. Februar 1986), S. 10.

  5. Aktuelle Angaben Gastwissenschaftler -über der Stif tung, in: Mitteilungen der Alexander von Humboldt-Stiftung 1985, S. 30 f. Die anderen sozialistischen Länder: Bulgarien 28 (1-24-3), Jugoslawien 38 (20-15-3), Rumänien 15 (9-4-2), UdSSR 9 (3-6-0), SSR 16 (210-4) und Ungarn 37 (6-27-4).

  6. Die Bundesregierung benennt im Hinblick auf die RGW-Länder „zahlreiche bürokratisch-administrative Hemmnisse und häufig schwierige Arbeitsbedingungen“ sowie die Ausreisepraxis als Belastungen und Erschwernisse (Anm. 4, S. 9).

  7. J. Rutsch/S. Ullrich, Ergebnisse nach zehn Jahren KSZE-Schlußakte, in: IPW-Berichte (1985) 7, S. 58 ff.

  8. R. K. Merton, Wissenschaft und demokratische Sozialstruktur, in: Wissenschaftssoziologie I (hrsg. von P. Weingart), Frankfurt/M. 1972, S. 48 ff.

  9. Siehe dazu etwa für die DDR: C. Burrichter, Zur Kontingenz ideologischer Reformation im wissenschaftlichen Zeitalter, in: Ideologie und gesellschaftliche Entwicklung in der DDR, Köln 1985.

  10. In: Außenpolitische Korrespondenz vom 27. Dezember 1985, S. 402 ff.

  11. N. Ryshkow, Über die Hauptrichtungen der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der UdSSR für die Jahre 1986 bis 1990 und für den Zeitraum bis zum Jahr 2000, in: Neues Deutschland vom 4. Februar 1986, S. 3 ff.

  12. M. Gorbatschow, Politischer Bericht des Zentralkomitees der KPdSU an den XXVII. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, in: Neues Deutschland vom 26. Februar 1986, S. 3 ff.

  13. Bundesbericht Forschung V (1975), S. 23. Im Bundes-bericht Forschung 1984 fehlt allerdings eine vergleichbare Passage.

  14. H. Kohl, Bericht der Bundesregierung zur Lage der Nation im geteilten Deutschland, in: Bulletin 27/1986, S. 206.

  15. Interview mit SED-Generalsekretär Erich Honecker, in: Die Zeit vom 30. Januar 1986.

  16. E. Honecker, Bericht des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands an den XI. Parteitag der SED, in: Neues Deutschland vom 18. April 1986, S. 3 ff.

  17. C. Grote, Leiter der DDR-Delegation auf dem Wissenschaftlichen Forum der KSZE-Teilnehmerstaaten: „Sehen wir Wissenschaftsbeziehungen nicht als Separatum, sondern beziehen uns auf die Schlußakte von Helsinki in ihrer Gesamtheit, auf deren wesentlichen politischen Gehalt.“ „Die Nützlichkeit einer engen wissenschaftlichen Zusammenarbeit, des Meinungs-und Informationsaustausches, gemeinsamer Arbeit an Projekten ist für die Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft der beteiligten Länder unbestreitbar. Viele Probleme, vor denen die Wissenschaft heute steht, lassen sich von den Wissenschaftlern eines einzelnen Landes nicht lösen.“ In: spectrum, (1980) 4, S. II ff.

  18. Strafgesetzbuch — StGB — sowie angrenzende Gesetze und Bestimmungen. Textausgabe, Berlin (Ost) 1981, S. 52 und 88.

  19. Beispielsweise § 172 Abs. 1 StGB. Er „stellt das unbefugte Offenbaren geheimzuhaltender wirtschaftlicher, technischer oder wissenschaftlicher Tatsachen sowie Informationen über Forschungs-und Entwicklungsergebnisse, Technologien oder Verfahrensweisen unter Strafe“. Dazu zählen auch „Bedienungsanweisungen und -anleitungen, das sogenannte Know-how, und auch sachliche Produkte wie beispielsweise Reagenzien“ — Strafrecht. Besonderer Teil. Lehrbuch, Berlin (Ost) 1981, S. 160 f.

  20. Vgl. z. B. Der Spiegel (1979) 44, S. 84 ff.; Vorwärts vom 10. April 1980, S. 7. Fahrig hatte einem Verwandten aus der DDR wissenschaftliche Veröffentlichungen übergeben, die beim MfS gelandet waren. Er wurde im Februar 1979 (in 1. Instanz) wegen „geheimdienstlicher Agententätigkeit“ zu zehn Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt.

  21. Bundesbericht Forschung 1984, S. 208. Dazu etwa J. Nötzold, Technologie in den Ost-West-Beziehungen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 2/1986, S. 15 ff.; M. Wandrow, Technologieblockade gegen beiderseits vorteilhafte Wirtschaftsbeziehungen, in: IPW-Berichte, (1985) 7, S. 22 ff.

  22. K. Hager, Gesetzmäßigkeiten unserer Epoche — Triebkräfte und Werte des Sozialismus, Berlin 1984; G. Kröber, Zu Stand und Problemen der Wissenschaftsforschung in der DDR, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, (1981) 2, S. 133 ff.

  23. E. Honecker (Anm. 17).

  24. Bundesbericht Forschung 1984, S. 11 ff.

  25. Text in: Bulletin 48/1986, S. dieser Zeitschrift S. 16— 19. 406— 408; s. auch in

  26. U. Wittstock, Der dünne Draht nach drüben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Februar 1986.

  27. Kleine Anfrage des Abgeordneten Fischer (Bad Hersfeld) und der Fraktion DIE GRÜNEN: Stand der wissenschaftlich-technischen Beziehungen mit europäischen RGW-Ländern, Deutscher Bundestag, Drucksache 10/5316 (14. April 1986).

  28. J. Nötzold (Anm. 22), S. 17.

  29. L. R. Graham, How Valuable Are Scientific Exchanges with the Soviet Union?, in: Science, Vol. 202 (27. Oktober 1978), S. 387.

  30. W. v. Bredow, Intersystemare Wissenschaftskooperation in der gegenwärtigen Entwicklung des Ost-West-Konflikts, in: Wissenschaft und Entspannung, Erlangen 1984, S. 42.

Weitere Inhalte

Clemens Burrichter, Dr. phil., geb. 1932; Direktor des Instituts für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen—Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Grundlegung der historischen Wissenschaftsforschung, Basel—Stuttgart 1979; (Hrsg.) Wissenschaft und Entspannung — Beiträge vom XL Erlanger Werkstattgespräch 1982, Erlangen 1984; (Hrsg.) Ein kurzer Frühling der Philosophie — DDR-Philosophie in der , Aufbauphase 4, Paderborn 1984; (Hrsg.) Wissenschaftsforschung — Neue Probleme, neue Aufgaben, Erlangen 1985; (Mitherausgeber) Technische Rationalität und rationale Heuristik, Paderborn 1986. Eckart Förtsch, Dr. phil., geb. 1937; wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Gesellschaft und Wissenschaft an der Universität Erlangen—Nürnberg. Veröffentlichungen u. a.: (zus. mit R. Mann) Die SED, 1969; Forschungspolitik in der DDR, 1976; (zus. mit H. -J. Müller) Bedingungen und Tendenzen einer intersystemaren wissenschaftlichen Zusammenarbeit, in: DGFK-Jahrbuch 1979/80; Preußenbild und historische Traditionen, in: Jahrbuch 1981 der Gesellschaft für Deutschlandforschung; Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik in der DDR, in: Deutschland — Porträt einer Nation, 1985; Literatur als Wissenschaftskritik, in: Lebensbedingungen in der DDR, 1984.