Flexibilisierung des Arbeitsmarkts durch Recht? Beschäftigungswirksame und sozialverträgliche Regulierung von Teilzeitarbeit, Überstunden und Kurzarbeit | APuZ 23/1986 | bpb.de
Flexibilisierung des Arbeitsmarkts durch Recht? Beschäftigungswirksame und sozialverträgliche Regulierung von Teilzeitarbeit, Überstunden und Kurzarbeit
Günther Schmid
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Zusammenfassung
Dieser Beitrag setzt sich kritisch mit der Verwendung des „Flexibilisierungs“ -Begriffs auseinander und erläutert am Beispiel von Teilzeitarbeit, Mehrarbeit und Kurzarbeit, daß das Steuerungsmedium Recht keineswegs nur prohibitiv Verhaltensspielräume der Arbeitsmarktakteure einengt, sondern durch seine verhaltenskoordinierende Funktion vielfach Flexibilität erst ermöglicht. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten ist eine durch gezielten Einsatz von Recht koordinierte Flexibilität am Arbeitsmarkt einer „Deregulierungs“ -Strategie vorzuziehen, die lediglich individuelle Machtdurchsetzungschancen am Arbeitsmarkt erweitert. Das im internationalen Vergleich geringe Niveau der Teilzeitarbeit in der Bundesrepublik signalisiert, daß rechtliche Barrieren oder mangelnde rechtliche Koordinierungsleistungen die Ausbreitung einer für alle Seiten akzeptablen Teilzeitarbeit hindern. Steuer-und sozialrechtliche Regelungen stellen jedoch nur geringe Barrieren für ein größeres Angebot von Teilzeitarbeitsplätzen dar. Eine weitere Lockerung dieser Bedingungen, etwa eine Ermäßigung der Sozialversicherungspflicht, ist unter Gesichtpunkten von Arbeitsplatzqualität und langfristigen sozialrechtlichen Folgen nicht zu empfehlen. Mangelnde verfahrensrechtliche Regelungen sind vermutlich ein gewichtiges Hindernis, daß von der Arbeitsangebotseite ein größerer Druck auf die Schaffung qualifizierter Teilzeitarbeitsplätze ausgeübt wird. Schließlich fehlt es an materiellen oder immateriellen Regelungsangeboten, beispielsweise an Rechtsansprüchen auf Teilzeitbeschäftigung in besonderen Lebenslagen (Eltern mit Kleinkindern oder pflegebedürftigen Personen, Personen mit besonderen physischen und psychischen Arbeitsbelastungen, ältere Erwerbspersonen) bei partieller Kompensation des Einkommensverlustes. Die im internationalen Vergleich große Zahl der gesetzlich erlaubten Überstunden im Jahr, die Mitbestimmungsregeln (Verfahrensregeln) oder auch der Mehrarbeitszuschlag von 25 Prozent stellen keine Flexibilitätsbarrieren dar, eher im Gegenteil: eine stärkere gesetzliche Begrenzung der Regelarbeitzeit, Regelungen des Freizeit-anstatt des monetären Ausgleichs und eine abgaben-rechtliche Verteuerung von Überstunden wären Voraussetzung für eine beschleunigte Einführung beschäftigungswirksamer flexibler Arbeitszeitsysteme. Die Regulierung der Kurzarbeit stellt gegenüber der Regulierung von Teilzeitarbeit und Überstunden einen modernen und im Vergleich zu anderen Ländern fortgeschrittenen Typ des Arbeitsmarktrechts dar. Es ist daher zu fragen, ob aus der Konstruktion dieser Regulierungsform nicht Lehren für andere arbeitsmarktpolitische Funktionen zu ziehen sind, und ob dieses erfolgreiche Instrument zur flexiblen Anpassung an Konjunkturzyklen auch für strukturpolitische Zwecke erweitert werden könnte.
I. Einleitung
„Mehr und sichere Arbeitsplätze können nur durch weniger und nicht durch mehr arbeitsrechtliche Schutzvorschriften geschaffen werden.“ Diese vom „Kronberger Kreis“ formulierte These kann stellvertretend für die verbreitete Meinung zitiert werden, wonach bestehende wohlfahrtsstaatliche Regulierungen im Arbeitsrecht und in der sozialen Sicherung zum entscheidenden Hemmnis für mehr Beschäftigung und zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit geworden sind.
Dieser These „Mehr Arbeit durch weniger Recht“ liegt eine einseitige Vorstellung von der Funktion des Rechts zugrunde: nämlich prohibitives Recht im Sinne der Einschränkung von Verhaltensmöglichkeiten zum Schutze der Bürger. Dieses Recht, das fundamentale Eigentums-und Lebensrechte, die Schwachen vor den Starken, den Bürger vor willkürlichen oder unnötigen Eingriffen des Staates schützt, habe sich — so das Argument — in sein Gegenteil verkehrt und schütze nun die Beschäftigten zu Lasten der Arbeitslosen.
Den prohibitiven Koordinationsleistungen von Recht steht jedoch der Typ von Recht gegenüber, der positive oder gewissermaßen präventive Koordinationsleistungen erbringt. Dieses präventive Recht garantiert z. B. die Einhaltung von Verträgen, indem es willentliche oder fahrlässige Vertragsbrüche sanktioniert. Es vermindert auch Risiken bei Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Alter und erhöht damit beispielsweise die Mobilitätsbereitschaft der Arbeitnehmer. Es schützt auch vor ruinösem Wettbewerb durch Setzung einheitlicher Normen wie Mindest-und Qualitätsstandards und erweitert schließlich individuelle Handlungsspielräume durch Schaffung sozialer Infrastruktur. Dieser Rechtstyp erhöht Kooperation oder Interdependenz allgemein durch Reduzierung von Unsicherheit oder, in anderen Worten, durch positive Sanktionierung von Verläßlichkeit. Der derzeit meistpropagierte, zugleich jedoch umstrittenste Vorschlag zur Lösung der Massenarbeitslosigkeit, nämlich .. Flexibilisierung durch Deregulierung“, vernachlässigt diese Seite der „RechtMedaille“.
Flexibilität tut not. Aber es muß eine koordinierte Flexibilität sein, die die unterschiedlichen Interessen soweit wie möglich vereinbart. Ein Arbeitsrecht, das unter der Fahne der Flexibilität unterschiedliche Rechte für Arbeitnehmer konstituiert, arbeitet auf Dauer auch gegen die Interessen der Arbeitgeber. Es unterminiert die Verläßlichkeit und Sicherheit, auf ihre Arbeitnehmer auf Dauer „bauen zu können“, die engagierte Mitarbeit und die gewünschte Leistungsbereitschaft. Innerbetrieblich programmiert die Schaffung eines Belegschaftsteils mit schlechteren Arbeitsbedingungen Reibungen und Spannungen. Unterschiede in den Arbeitsbedingungen bleiben selten geheim. Es entstehen Neidgefühle und Minderwertigkeitskomplexe bei den schlechtergestellten „Zweiter Klasse-Arbeitnehmern“ einerseits sowie Klassen-oder Kastendenken bei den bessergestellten Normalarbeitnehmern andererseits, die sich bis in die Betriebsratsarbeit auswirken können
Die nachfolgend zu begründende These lautet zusammengefaßt: Beschäftigungswirksame Flexibilisierung des Arbeitsmarkts wird nicht oder nicht in bedeutsamen Umfang durch zuviel prohibitives Recht, sondern durch zuwenig präventives Recht behindert. In anderen Worten: Das Problem be-steht weniger in der Abschaffung defensiver oder prohibitiver Regulierung („Deregulierung“), sondern in der Innovation offensiver oder gestaltender (also präventiver) Regulative.
Die Ausführung dieser These soll in der Beantwortung folgender Fragen geschehen: 1. Welche Bedeutung hat die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes im ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Kontext? 2. Wie werden Teilzeitarbeit, Überstunden und Kurzarbeit — drei wichtige Größen für die Flexibilität des Arbeitsmarktes — durch Recht gesteuert? 3. Welches sind die Bedingungen einer wirksamen flexiblen Arbeitszeitpolitik und welche Zusammenhänge zwischen Regulierungs-und Flexibilisierungsformen des Arbeitsmarktes lassen sich — auch im internationalen Kontext — erkennen?
II. Flexibilisierung im ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Kontext
Abbildung 3
Tabelle 2: Maximal erlaubte Zahl der Überstunden/Woche
Tabelle 2: Maximal erlaubte Zahl der Überstunden/Woche
1. Immer noch herrscht Massenarbeitslosigkeit, und ein Ende ist nicht abzusehen. Bisher hatten die Ökonomen die Hauptrolle in Analyse und Politikberatung gespielt. In Zukunft scheinen jedoch Politik-und Verwaltungswissenschaftler, Juristen, Organisations-und Entscheidungstheoretiker, Industrie-und Betriebssoziologen an Bedeutung zu gewinnen. So jedenfalls kann man wissenschaftssoziologisch die derzeitige Regulierungs-und Deregulierungsdebatte interpretieren.
Es gibt aber auch wissenschaftslogische Gründe, die für eine Bedeutungsverschiebung der wissenschaftlichen Fachrichtungen in Arbeitsmarktforschung und Politikberatung sprechen. Es sind zunehmend die Knappheit der Zeit und die Interdependenz der Ereignisse, die das wirtschaftliche und soziale Geschehen bestimmen. Die Knappheit der materiellen Ressourcen, ein traditioneller Gegenstand der Ökonomie , nimmt relativ an Bedeutung ab. Je knapper die Zeit und je verflochtener die Ereignisse, desto dringender die effektive Koordination der Verhaltenserwartungen. Und genau das ist — nach Max Weber, Talcott Parsons oder Niklas Luhmann — die eigentliche Funktion von Recht im weiteren Sinne, d. h. Herstellung, Erzeugung, Management und Sanktionierung kongruent erwartbarer Entscheidungen Interdisziplinäre Forschung zwischen Ökonomen, Juristen, Soziologen und Politologen ist daher besonders erforderlich.
Ich möchte diese These mit der Erfahrung eines erfolgreichen Textilunternehmers illustrieren. Zu einem der wichtigsten Kriterien des Erfolgs zählt er die Verläßlichkeit, und was anders ist Verläßlichkeit als kongruent erwartbare Entscheidungen zwischen Produzenten, Lieferanten und Klienten? Demgegenüber sinkt die Bedeutung von Preisen und Löhnen als Koordinationsinstrument: „Die Verläßlichkeit hinsichtlich der Lieferzeit erlangt immer größere Bedeutung. Als ich im Alter von 24 Jahren in unsere Firma eintrat, bestand der Großteil unserer Kunden noch aus Meterwaren-händlern. Wenn dieselben die Stoffe nicht rechtzeitig geliefert bekamen, entging ihnen zwar ein Geschäft, sie machten aber deswegen nicht direkt einen Verlust. Heute sind die Abnehmer zu über 90 Prozent Groß-Konfektionäre, die Maschinen-bänder im Schichtbetrieb laufen haben. Wenn dieselben eine zugesagte Stofflieferung nicht rechtzeitig erhalten, steht ihnen der halbe Betrieb und sie machen dadurch enorme Verluste. Die Einhaltung der Lieferzeiten ist also um vieles bedeutungsvoller, als etwa vor 30 Jahren. Wenn man mit Kunden in einer halb privaten, gelösten Stimmung spricht, so geben sie auch ohne weiteres zu, daß ihnen das gleiche Produkt zu einem 15 Prozent billigeren Preis nichts nützt, wenn sie Angst haben müssen, es könnte zu spät geliefert werden. Hier haben Firmen in Ländern mit wenig Streiks und verläßlicher Arbeiterschaft einen großen Vorteil.“
Aus der Erfahrung dieses Textilunternehmers, offensichtlich ein Zulieferer-Betrieb, läßt sich noch eine weitere Verallgemeinerung ziehen, die direkt zum Thema der Flexibilität hinführt: Die zunehmende Verflechtungstendenz erhöht nicht nur die Bedeutung der Kongruenz von (wechselseitigen) Verhaltenserwartungen und ihrer effektiven Sanktionierung, sondern auch die Bedeutung der Mengenflexibilität gegenüber der Preisflexibilität. Zunehmende Kapitalisierung der Produktion verlängert den Zeithorizont der Amortisierung der Produktionsanlagen, während der Zeithorizont der Endnachfrager sich verkürzt und größere Vielfalt der Güter oder Dienstleistungen erfordert. Inkongruenz der Zeit-und Sachperspektiven zwischen Angebot und Nachfrage ist die Folge.
Anpassungsstrategien der Angebotseite sind einerseits der Versuch, die Zeit-und Sachperspektive der Nachfrager durch Mode und Werbung zu fixieren und zu vereinheitlichen, andererseits Flexibilisierung der Produktionsanlagen durch neue Technologien, die kleinere und variationsreichere Serien ermöglichen. Diese Strategien sind durchaus erfolgreich, reichen jedoch nicht aus. Eine dritte Flexibilisierungsstrategie gewinnt an Bedeutung, nämlich die Flexibilisierung des Arbeitskräfteeinsatzes, die wiederum in zwei Varianten erzielt werden kann: Variation der Menge durch „Heuern und Feuern“ (vor allem in Amerika praktiziert) oder durch Arbeitszeitvariation der gleichen „Kopfmenge“ (vor allem in Japan und in der Bundesrepublik praktiziert), sowie Variation des „Humankapitals“ durch Verbreiterung der Qualifikationen.
Damit sind die strategischen Optionen der Regulierungs-/Deregulierungsdebatte abgesteckt. Prinzipiell sind diese Optionen zwar kombinierbar und zum Teil ergeben sich notwendige komplementäre Beziehungen. Beispielsweise wird die Flexibilisierung des Kapitaleinsatzes auch flexiblere und breitere Qualifikationsprofile der eingesetzten Arbeitskräfte erfordern Typisch für die derzeitige Debatte ist jedoch eine politische Frontenbildung um den Begriff der Flexibilisierung, der ich mich nun zuwende. Offensichtlich fordern die durch neue Technologien und zunehmende Weltmarktverpflechtung veränderten „Kräftefelder“ zu einem neuen Arrangement der politischen Machtstrukturen heraus. 2. Unter den Ökonomen gab und gibt es bekanntlich solche und solche Auguren („Deuter des Vogelfluges“): hier die Keynesianer, die die Arbeitslosigkeit vor allem als Nachfragemangel deuten, dort die Monetaristen und Neo-Liberalen, die auf die Lohnkosten als das Hauptübel zeigen. Dazwischen finden sich wissenschaftliche Lebenskünstler, die beide Rollen zu spielen verstehen. Diese ökonomischen Schulen haben sich zur Unüberschaubarkeit differenziert, doch die Nachfrage nach ihnen sinkt. Kein Wunder, daß neue Auguren auftreten: nicht zu wenig Nachfrage, nicht zu viel Lohn ist es — zu viel Recht verursacht Arbeitslosigkeit. Befreit den Arbeitsmarkt von seinen regulativen Banden, macht ihn „gelenkiger“, „elastischer“, „flexibler“: Die richtige Nachfrage, der richtige Lohn zur Herstellung des Gleichgewichts wird sich dann von selbst einstellen. Einige Auguren wechselten auch nur den Standort. So beispielsweise der wortgewaltige US-Ökonom Lester Thurow, der die „Vogelschau“ seines neuesten Standorts immer in pinkfarbener „Nullsummen-Robe“ bekannt gibt
Hier seine neueste Deutung, die für die neue vorherrschende ökonomische Meinung repräsentativ ist: „Die Europäer sind sich bewußt, daß sie neue Arbeitsplätze in innovativen Industrien schaffen müssen. Doch eine ganze Reihe von Lohn-und Arbeitsmarktbedingungen verhindert den notwendigen Wandel. Am dramatischsten ist die Unfähigkeit der Betriebe, bedingungslos einstellen oder kurzfristig und ohne größere Abfindungszahlungen entlassen zu können. Wenn die Europäer neue Betriebe haben wollen, um in Computer oder andere Hochtechnologieprodukte zu investieren, brauchen diese neuen Firmen die Möglichkeit, ihre Beschäftigung schnell auszudehnen, wenn die Nachfrage wächst, und die Leute schnell feuern zu können, wenn die Nachfrage fällt. Arbeit ist wirklich ein variabler Kostenfaktor. Aber in Frankreich, beispielsweise, muß die Entlassung ein Jahr vorher angekündigt werden und außerdem sind Abfindungszahlungen fällig. Wer kann schon eine kleine Firma mit einem enormen Kapitalstock gründen und diese Verpflichtungen erfüllen? Dazu kommt, daß die Europäer das generöseste Arbeitslosenversicherungssystem der Welt haben. Das bedeutet doppelte Versicherung — gegen Entlässung und gegen den Verlust des Einkommens. Auch die europäischen Löhne stellen neue und kleine Firmen vor große Probleme. Bei einem vernünftigen Dollarwert ist der durch schnittliche Lohn in den Vereinigten Staaten und in Deutschland nicht sehr unterschiedlich. Aber in den Vereinigten Staaten gibt es eine größere Lohndifferenzierung, die eine ganze Reihe von Niedriglohnindustrien ermöglichen, die in Europa nicht existieren können. Unser Mindestlohn beträgt 30— 40 Prozent des durchschnittlichen Lohnsatzes in den Vereinigten Staaten, während der holländische Mindestlohn 90 Prozent des durchschnittlichen Arbeitslohnes beträgt und auch durchgesetzt wird. Unser Mindestlohn wird nicht durchgesetzt. Die Europäer sind mit hohen ?, sozialen Zusatzkosten und mit rigiden Vorschriften für die Beschäftiger konfrontiert; viele dieser Vorschriften sind gesetzlich verankert, viele werden als selbstverständlich erachtet. In Belgien muß jeder Betrieb jedem Arbeiter gesetzlich einen 6-wöchigen Urlaub gewähren, in Deutschland gibt es 42 gesetzliche Urlaubs-oder Feiertage. Wir haben ungefähr 12. Solche Anforderungen erhöhen die europäischen Arbeitskosten enorm, so daß der Preis der Arbeit gegenüber dem Preis des Kapitals gestiegen ist, während in den Vereinigten Staaten das Umgekehrte passiert ist. Es ist äußerst schmerzhaft, diese Entwicklung umzukehren. Alle drei Regionen — Europa, Japan und die Vereinigten Staaten — haben große strukturelle Anpasi sungsprobleme zu bewältigen; lang eingefahrene Institutionen müssen geändert werden.“
I Das Rezept, das der Weltökonom Thurow den i Europäern vorschlägt, ist klar: Macht den Unternehmern Heuern und Feuern leichter und reduziert die angeblich exzessiven Sozialleistungen.
Die Zahl der Auguren in Europa, die den „Vogelflug“ genauso deuten, wächst — leider — exponentiell. Immerhin läßt Thurow erkennen, daß eine so verstandene Flexibilität des Arbeitsmarktes nicht alles ist. Denn der amerikanische Arbeitsmarkt scheint zwar diesen Vorstellungen von Flexibilität zu entsprechen, dennoch steht die amerikanische Ökonomie nach Thurows Meinung vor einem Desaster: Die Steigerung der Produktivität sei gleich null, es werde zuviel konsumiert, zu wenig gespart und zu wenig investiert.
Hier erscheint Europa als Vorbild für Amerika:
Die Qualifikation der Arbeitskraft und die Sparquoten müssen auf europäisches Niveau steigen. 3. Thurows Rundumschlag ist mehr irritierend als „durchdringend“ (thorough): Alle hochentwickelten Industrienationen stehen angeblich vor der Notwendigkeit, ihre eingefahrenen Institutionen grundlegend zu ändern, obwohl die Institutionen wie auch die ökonomischen und arbeitsmarktpolitischen Leistungsbilanzen dieser Länder zum Teil völlig unterschiedlich sind. Thurows „Nullsummenlösung“ besteht in einem eklektischen Herauspicken der institutioneilen Rosinen der verschiedenen kulturellen Traditionen: Den Europäern wird der amerikanische und japanische, den Amerikanern der japanische und europäische und den Japanern der amerikanische und europäische Spiegel vorgehalten.
Erkenntnistheoretisch läuft Thurows Argumentation auf ein beliebiges „post hoc ergo propter hoc“ hinaus, eine logische — geschweige denn eine empirische — Stringenz ist nicht zu erkennen. Dies läßt sich dadurch veranschaulichen, daß sich seinen Thesen ohne Mühe Gegenthesen entgegenstellen lassen, die auf Grund empirischer Erfahrung die gleiche, wenn nicht größere Ad-hoc-Plausibilität beanspruchen können:
— Besteht nicht ein Zusammenhang zwischen der hohen Produktivitätsrate und dem scheinbar inflexiblen Arbeitsmarkt in Europa? Ist nicht hohe Produktivität Voraussetzung für generöse Transferleistungen und umgekehrt? Wie erklärt der „Nullsummen-Theoretiker“ z. B. die Tatsache, daß in der dynamischen und vielleicht wirtschaftsstärksten Region Europas, nämlich in Baden-Württemberg, gleichzeitig starke und aggressive Gewerkschaften vorhanden sind, die — neben mächtigen Betriebsräten — Heuern und Feuern kontrollieren?
— Sind hohe Sozialleistungen vielleicht sogar Voraussetzung einer hohen Flexibilität des Arbeitsmarktes, allerdings einer anders gearteten Flexibilität, als sie in Thurows Zitat angedeutet wird? Fällt es den Gewerkschaften nicht leichter, technischen Wandel zu akzeptieren oder gar zu unterstützen, wenn sie wissen, daß ihre (potentiellen) Mitglieder sozial gut abgesichert sind? Fällt es einem Unternehmen nicht leichter, maßvolle wirtschaftsbedingte Entlassungen auszusprechen, wenn es weiß, daß die entlassenen Arbeiter oder Angestellten nicht ins Bodenlose fallen? Ganz zu schweigen von den Möglichkeiten der Kurzarbeit, um Produktionsschwankungen aufzufangen, oder anderer arbeitszeitpolitischer Varianten.
— Stimmt also überhaupt die These von der In-flexibilität des europäischen, insbesondere des deutschen Arbeitsmarktes? Ist es nicht denkbar, daß die vielleicht mangelnde externe Flexibilität — d. h. Heuern und Feuern je nach Bedarf — durch interne Flexibilität im Betrieb oder am Arbeitsplatz wettgemacht wird? — Was ist eigentlich der Beurteilungsmaßstab für die Flexibilität des Arbeitsmarktes? Ist „mehr Arbeit“ wirklich in jedem Falle ein sinnvolles gesellschaftliches Ziel? Wollen wir — um es mit einer polemischen Analogie auszudrücken — wieder frühliberale Zustände des beginnenden 19. Jahrhunderts herstellen, in denen durch Deregulierung von Zunftregeln und Abschaffung arbeitsrechtlicher Orders aufgeklärter Monarchen oder Fürsten beispielsweise erst Fabrikarbeit von Kindern im großen Stil möglich wurde? Oder geht es nicht vielmehr um eine bessere Verteilung gesellschaftlich notwendiger Arbeitszeit bei gleichzeitiger Verbesserung der Arbeits-und Lebensbedingungen?
Diese und andere Fragen machen deutlich, daß die Zusammenhänge zwischen Rechten, die auf dem Arbeitsmarkt gelten, und Flexibilität ebenso wie die Zusammenhänge zwischen Flexibilität und Struktur sowie Niveau der Beschäftigung komplexer Natur sind. Weder die politisch pointierte Kausalbeziehung „Mehr Arbeit durch weniger Recht“ noch der Umkehrschluß „Weniger Arbeit durch mehr Recht“ noch die Gegenthese „Mehr Arbeit durch mehr Recht“ oder ihr Umkehrschluß „Weniger Arbeit durch weniger Recht“ werden sich mit einem klaren Ja oder Nein beantworten lassen. Mit wissenschaftlicher Seriosität haben solche vereinfachenden Behauptungen wenig zu tun. Die Debatte über Regulierung und Deregulierung der Arbeitsbeziehungen muß, wie Friedrich Buttler es so schön formuliert hat, „von ihrer untheoretischen Spontaneität“ befreit und auf eine befriedigende analytische, empirische und theoretische Basis gestellt werden.
Im folgenden sollen dazu einige begriffliche und theoretische Hilfestellungen gegeben werden. Um bloße Begriffsübungen zu vermeiden, möchte ich die Regulierungsdebatte auf das Flexibilisierungsthema Arbeitszeit konzentrieren und in diesem Rahmen wiederum den Schwerpunkt auf die Regulierung der Teilzeitarbeit, der Überstunden und der Kurzarbeit setzen. Meine Fragen zielen also auf die verteilungspolitische Dimension der Beschäftigungspolitik, d. h. auf das Ziel der gleichmäßigeren Verteilung vorhandener Arbeitsnachfrage (und damit von Einkommensquellen), ohne damit die Bedeutung wachstumsorientierter Beschäftigungspolitik zu leugnen. i Wie steuert nun das Recht den Arbeitsmarkt? Was und wer wird gesteuert? Was sind die Wirkungsbedingungen regulativer Steuerung? Gibt es erkennbare Zusammenhänge zwischen Regulierungsformen und Flexibilitäts-oder Rigiditätsmerkmalen des Arbeitsmarktes? Welches sind die erfolgversprechendsten regulativen Steuerungsinstrumente im Hinblick auf eine Arbeitszeitpolitik, die folgenden Kriterien/Bedingungen zu genügen hat:
— das nachgefragte Arbeitsvolumen soll gleich-bleiben, wenn möglich sogar steigen;
— die durch Arbeitsumverteilung geschaffenen Arbeitsplätze sollen im Hinblick auf Einkommen, Qualifikation, Stabilität und Aufstiegsmöglichkeiten nicht diskriminierend wirken.
III. Rechtliche Formen der Steuerung des Arbeitsmarktes am Beispiel von Teilzeitarbeit, Kurzarbeit und Überstunden
Recht kann verschiedene Formen annehmen, wobei die Unterscheidung in Verhaltensregeln und Regelungsangebote nützlich ist Verhaltensregeln schreiben vor, etwas zu tun (Gebote) oder zu unterlassen (Verbote). Regelungsangebote stellen normative Richtlinien für soziale Beziehungen oder für Beziehungen zu Sachen (z. B. Vertrags-, Mitwirkungs-, Eigentumsregelungen) zur Verfügung, von denen man Gebrauch machen kann oder auch nicht. Die Frage der Geltung von Regelungsangeboten ist also nicht eine nach Einhaltung oder Nichteinhaltung, sondern eine danach, inwieweit davon Gebrauch gemacht wird. 1. Verhaltensregeln Verhaltensregeln können ein konkretes Verhaltensziel (Norm) nennen oder bei bestimmten Entscheidungen auch nur ein Verfahren vorschreiben, ohne die Entscheidung selbst schon vorwegzunehmen. Die normativen Verhaltensregeln las-B sen sich wiederum unterscheiden in immaterielle und materielle. Immaterielle Verhaltensregeln steuern Verhalten über Verhaltensstandards, während materielle Verhaltensregeln das Arbeitsmarktverhalten über öffentliche Transfers oder Dienstleistungen (positive oder negative Anreize) steuern. Immaterielle Regulierung setzt die Befähigung des Adressaten zum gewünschten Verhalten voraus, materielle Regulierung setzt an der Befähigung zu einem bestimmten Verhalten selbst an.
1. Ein immaterielles Gebot im Rahmen arbeitszeit-orientierter Arbeitsmarkt-und Beschäftigungspolitik ist z. B. — nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz (BeschFG) vom 30. April 1985 — die Pflicht des Arbeitgebers, „einen Arbeitnehmer, der ihm gegenüber den Wunsch nach einer Veränderung von Dauer oder Lage seiner Arbeitszeit angezeigt hat, über entsprechende Arbeitsplätze zu unterrichten, die in dem Betrieb besetzt werden sollen“ (§ 3 BeschFG). Diese Informationspflicht begründet zwar keinen Rechtsanspruch, verbessert jedoch die Chancen für die (schon) Beschäftigten, flexible Arbeitszeiten zu wählen.
Informationspflichten gegenüber der Betriebsver-Vertretung und dem Arbeitsamt gibt es auch bei Kurzarbeit (§§ 63 ff. AFG). Die heute noch geltende Arbeitszeitordnung (AZO) von 1938 enthält neben der Festlegung von Regel-und Höchstarbeitszeiten (vgl. Verbote) auch Gebote, innerhalb derer unterschiedliche Arbeitszeiten an einzelnen Tagen gegeneinander verrechnet werden können, ohne daß Mehrarbeit anfällt. Bei regelmäßigen Arbeitszeitverkürzungen an einzelnen Werktagen und bei betrieblich erforderlicher ungleichmäßiger Verteilung der Arbeitszeit beträgt der Ausgleichszeitraum zwei Wochen, bei unregelmäßig anfallenden kürzeren Arbeitszeiten fünf Wochen (AZO § 4, 1 und 2) Diese Frage der Ausgleichs-zeiten ist verständlicherweise ein großer Konflikt-punkt zwischen Arbeitgeber-und Arbeitnehmer-seite; pointiert formuliert: die Ausgleichszeiten können für die Arbeitgeber nicht lang genug, für die Arbeitnehmer nicht kurz genug sein, es sei denn, sie erhalten die Freiheit, über die Inanspruchnahme der Ausgleichszeiten selbst zu entscheiden. 2. Gebote, die materielle Eigentumsrechte tangieren, ergeben sich im Zusammenhang mit Regelungen des Sozialversicherungsrechts oder mit dem Steuerrecht. So können sich z. B. die Abgaben zur Sozialversicherung je nach Ausgestaltung als materieller Anreiz oder als Barriere für Teilzeitarbeit (im folgenden TZ-Arbeit) auswirken: Beitragsbemessungsgrenzen nach oben oder pauschale Pro-Kopf-Abgaben sind Barrieren für TZ-Arbeit, hohe Geringfügigkeitsgrenzen und progressive Abgaben wirken sich vermutlich als Anreiz für mehr TZ-Arbeit aus.
In der AZO wird auch die Mehrarbeitsvergütung geregelt. Dieses materielle Gebot legt fest, was unter angemessener Vergütung zu verstehen ist, wobei die Beteiligten freilich andere Regelungen (vgl. verfahrensmäßige Regelungsangebote) vereinbaren können. „Als angemessene Vergütung gilt... ein Zuschlag von fünfundzwanzig vom Hundert“ (AZO § 15 Abs. 2). Unter dem Gesichtspunkt der Arbeitsmarktflexibilisierung wird zu prüfen sein, ob dieser Regelsatz einschränkende oder begünstigende Wirkung für den Einsatz von Überstunden hat. Das Steuer-und Sozialversicherungsrecht kann auch für Überstunden indirekte materielle Anreizwirkungen ausüben. Progressive Steuersätze mindern die finanzielle Anreizwirkung von (bezahlten) Überstunden für höhere Einkommensbezieher, Beitragsbemessungsgrenzen nach oben erhöhen die Anreizwirkung für Unternehmen wie für Arbeitnehmer. 3. Ein verfahrensmäßiges Gebot ist z. B. die Mitbestimmungspflicht des Betriebsrates (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG) bei Einführung von TZ-Arbeit in starrer oder flexibler Form, insoweit es um die erforderliche Festlegung der Lage der Arbeitszeit geht. Dort, wo die Arbeitszeitregelung eines einzelnen Arbeitnehmers die Belange anderer Arbeitnehmer nicht berührt, wo mit anderen Worten der „kollektive Bezug“ fehlt, kann die Lage der Arbeitszeit allein durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer festgelegt werden. Das wird die Regel sein. Dagegen ist die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit der TZ-Beschäftigten (Überstunden/Kurzarbeit) gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG mitbestimmungspflichtig und durch Betriebsvereinbarung zu regeln Rigidere oder weitergehende Verfahrensregeln gibt es bei Überstunden und Kurzarbeit für Vollzeitarbeitende. Überstunden und Kurzarbeit unterliegen grundsätzlich der Mitbestimmung durch den Betriebsrat, und bei Anträgen des Arbeitsamtes auf Kurzarbeit ist eine Stellungnahme des Betriebsrats beizufügen (§ 72 AFG). Der Betriebsrat kann sogar selbst Anzeige erstatten, und die Rechtsprechung hat in Interpretation des § 72 Abs. 1 AFG bzw. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG und auf Reaktion einer konkreten Klage der Betriebs-vertretung das Initiativrecht auf Kurzarbeit zugesprochen, wenn sie glaubhaft machen kann, daß mit Kurzarbeit die Entlassung von Arbeitnehmern verhindert werden kann (Grundsatzentscheidung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts 1 ABR 15/84 vom 4. März 1986). 4. Beispiel für ein normatives Verbot ist das Verbot der unterschiedlichen Behandlung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern, „es sei denn, daß sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen“ (§ 2 BeschFG). Vor dem BeschFG von 1985 war Teilzeitarbeit praktisch ungeregelt.
Ein weiteres Verbot ist die Überschreitung der gesetzlichen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche und die darüber hinaus erlaubte Überstundenzahl (an 30 Tagen im Jahr bis zu 2 Stunden). Daraus ergibt sich eine Zahl von 444 möglichen Überstunden pro Jahr Eine vielfach geforderte weitere Begrenzung der zulässigen Überstundenzahl war für das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 vorgesehen, wurde jedoch aufgrund des Widerstandes der Arbeitgeberverbände aus dem Gesetzentwurf herausgenommen. Ein generelles Überstundenverbot gilt für Jugendliche und werdende Mütter. Die Novellierung (1984) des Jugendarbeitschutzgesetzes von 1976 hat allerdings durch verfahrensmäßige Regelungsangebote die Arbeitszeitbedingungen von Jugendlichen derjenigen der erwachsenen Arbeitnehmer etwas angenähert: Tarif-und Betriebsvereinbarungen können von den gesetzlichen Regelarbeitszeiten für Jugendliche unter bestimmten Bedingungen abweichen (§§ 21 a und b JArbSchG).
Auch im Zusammenhang mit Kurzarbeit gibt es verschiedene Verbotsregelungcn, die vor allem die mißbräuchliche Inanspruchnahme dieses Instruments — zum Beispiel branchenübliche, saisonal bedingte Kurzarbeit — ausschließen sollen. 5. Ein verfahrensmäßiges Verbot ist z. B. die Regelung der Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit durch eine Betriebsvereinbarung. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG deckt dies nicht mit ab. Auch eine freiwillige Betriebs-vereinbarung nach § 88 BetrVG über die Arbeitszeitdauer scheitert normalerweise am Tarifvorbehalt, durch den üblicherweise tarifvertraglich geregelte Arbeitsbedingungen der betrieblichen Mitbestimmung entzogen werden (vgl. § 77 Abs. 3 BetrVG), und am Vorrang der gerade für Teilzeitarbeit typischen einzelvertraglichen Regelung der Arbeitszeitdauer
Die scharfe Trennung der Begriffe läßt sich in der Praxis jedoch nicht durchhalten. Konkrete Gebote oder Verbote sind oft interpretationsbedürftig und erfordern zur Klärung ein Verfahren. Das gilt besonders für Generalklauseln, etwa der oben erwähnten Ausnahmeregelung, daß nur „sachliche Gründe“ diskriminierende Behandlung von TZ-Arbeit rechtfertigen. Liegen Interessenkonflikte vor, wird die Wirksamkeit derartiger Generalklauseln durch ökonomische und politische Machtstrukturen unterlaufen. Umgekehrt entwikkeln sich aus verfahrensmäßigen Geboten und Verboten Rechtspraktiken (Präzedenzfälle), die zu konkreten Verboten und Geboten werden. Die Wirksamkeit von Verboten oder Geboten zugunsten von Arbeitnehmern hängt dann sehr stark von der Mobilisierung des Rechts ab, und aus der Praxis wissen wir, daß sozial Schwache oft über ein geringes Mobilisierungspotential verfügen. 2. Regelungsangebote Auch bei Regelungsangeboten kann zwischen normativen und verfahrensmäßigen unterschieden werden, und bei normativen Regelungsangeboten wiederum zwischen immateriellen und materiellen; Kombinationen sind selbstverständlich möglich, etwa wenn eine Regelungsmaterie (beispielsweise Vorruhestand) freiwilligen Tarifverträgen überlassen bleibt, die dann bei Erfüllung bestimmter Bedingungen mit staatlichen Subventionsangeboten ergänzt werden. 1. Ein immaterielles Regelungsangebot ist das Angebot des Gesetzgebers an die Tarifpartner, Tarifverträge allgemeingültig zu erklären. Dieses Regelungsangebot wird vorzugsweise für Manteltarifverträge, in denen allgemeine Arbeitsbedingun-gen (Vertragsschluß, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigungsfristen usw.) geregelt werden, weniger dagegen für Lohntarifverträge in Anspruch genommen 2. Als materielle Regelungsangebote werden vorzugsweise Lohnsubventionen praktiziert, beispielsweise Subventionen für die Errichtung zusätzlicher TZ-Arbeitsplätze. In einigen Ländern gab es zeitweise auch Programme (z. B. in Holland), die einen Einkommensersatz für Vollzeitarbeitnehmer anboten, wenn sie freiwillig auf einen TZ-Arbeitsplatz wechselten. Häufig werden solche (materiellen) Regelungsangebote wieder mit Geboten oder Verboten verknüpft, d. h. die Bedingungen der Inanspruchnahme und der Kreis der möglichen Teilnehmer werden mehr oder weniger detailliert geregelt. Die Ausgestaltung dieser Konditionen und die damit erzielte Balance zwischen Anreiz und Kontrolle sind entscheidend für Inanspruchnahme und Wirksamkeit solcher Regelungsangebote.
Zu den konkreten materiellen Regelungsangeboten gehören auch Rechtsansprüche auf Leistungen, insofern eine solche Leistung erst auf individuellen Antrag wirksam wird. Die Wirksamkeit solcher Rechtsansprüche hängt also stark von der individuellen Inanspruchnahme ab. Das wird z. B.deutlich beim Elternschaftsurlaub — eine besondere Form flexibler TZ-Arbeit —, der in der Regel nur von Frauen in Anspruch genommen wird. Auch das Kurzarbeitergeld (68% des entgangenen Lohns) ist in Form eines Rechtsanspruchs geregelt, der bei Erfüllung bestimmter Bedingungen notfalls eingeklagt werden kann, in der Praxis jedoch vom (Inanspruchnahme-) Verhalten der Betriebe abhängt. Bei langjähriger Wirkung solcher Regelungsangebote entwickeln sich jedoch durch Erfahrung und Lernen Verhaltens-routinen 3. Ein verfahrensmäßiges Regelungsangebot ist beispielsweise der Vorrang von Tarifverträgen vor gesetzlichen oder anderen kollektiven Regelungen, von dem die Tarifpartner Gebrauch machen können oder auch nicht. Dieser Regulierungstyp eignet sich vor allem als Ergänzung für Verbote und Gebote, deren flächendeckend geltende Regelungen allenfalls Mindeststandards regulieren, der Komplexität der wirklichen Arbeitsmarkt-und Lebensumständejedoch nicht gerecht werden können.
Es ist zu erwarten, daß durch die regionale und sektorale Differenzierung (Feinregulierung), die mit derartigen Tariföffnungsklauseln möglich wird, die Arbeitsbedingungen gegenüber den gesetzlichen Mindeststandards verbessert werden. In der Regel trifft dies wohl auch zu. Um so überraschender ist es daher, wenn solche Tariföffnungsklauseln ausdrücklich dazu eingeführt werden, daß aus dem Ergebnis der Verhandlungen auch (gegenüber den gesetzlichen Standards) schlechtere Arbeitsbedingungen resultieren dürfen. Ein Beispiel dafür ist der § 6 Abs. 1 BeschFG, wonach durch Tarifvertrag von den Vorschriften zum Abschnitt Teilzeitarbeit „zuungunsten des Arbeitnehmers“ abgewichen werden kann. Der Gesetzgeber — so ein Kommentar dazu — geht in diesem Falle davon aus, daß die Tarifvertragsparteien sachlich gerechtfertigte Ausnahmebestimmungen zu den gesetzlichen Regelungen, insbesondere an den Besonderheiten verschiedener Branchen orientierte Regelungen, treffen werden. Wegen des Machtgleichgewichts zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden wird unterstellt, daß die sozialen Schutzinteressen der Arbeitnehmer dabei ausreichend berücksichtigt werden. Auch „Kirchen und öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften können in ihren Regelungen von den Vorschriften dieses Abschnitts abweichen“.
Tariföffnungsklauseln zuungunsten der gesetzlichen Mindeststandards liegen zwar in der Logik des Tarifvorbehalts, schwächen jedoch die Arbeitnehmerseite, weil sie nun unter Umständen selbst um die Einhaltung von Mindeststandards kämpfen muß, wenn die andere Seite Substandards für selbstverständlich hält oder auch nur verhandlungstaktisch ausnutzt.
Tarifliche Regelungen können auch neben oder innerhalb des geltenden Rechts treten, um branchenspezifischen oder regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen. So können Tarifverträge monetäre Aufstockungen zum gesetzlich garantierten Kurzarbeitergeld regeln. Im Zusammenhang mit der Überstundenregulierung können Tarifverträge die tägliche Arbeitszeit auf maximal zehn Stunden pro Tag erweitern (§ 7 AZO), aber auch die gesetzlich erlaubte Überstundenzahl unterschreiten. Neben dem Tarifrecht als typischen Fall für verfahrensmäßige Regelungsangebote enthält auch das BetrVG zahlreiche Regelungsangebote, die für flexible Arbeitszeitgestaltung relevant sind. Allerdings betreffen diese nur die Lage der Arbeitszeiten, nicht die regelmäßige Dauer der Arbeitszeiten, für die der Tarifvorbehalt gilt. Hier liegt möglicherweise eine Barriere für die weitere beschäftigungswirksame Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, auf die später zurückzukommen ist. 3. Zwischenbilanz Eine thesenhafte Zwischenbilanz ergibt:
1. Der kurze Abriß des Spektrums regulativer Steuerungsinstrumente hat gezeigt, daß die Steuerung des Arbeitsmarktes über Recht sich nicht auf Gebote und Verbote beschränkt, sondern ein wesentlich weiteres Spektrum von Einflußmöglichkeiten umfaßt Die Frage ist nicht „mehr“ oder „weniger“ Recht, sondern „welches“ Recht oder schärfer: die Frage nach der richtigen und funktionsgerechten Kombination regulativer Instrumente. Recht in diesem weiter gefaßten Sinne grenzt nicht nur Handlungsspielraum ein, sondern kann ihn auch erweitern oder erst schaffen. Ein Urteil der Wirksamkeit darf sich nicht auf die einzelnen Regulierungstypen beschränken, sondern muß die faktischen und möglichen Kombinationen der Regelungsinstrumente und das Kräftefeld, in denen sie wirken, berücksichtigen. 2. Die Demonstrationsfelder, die hier gewählt wurden, sind sehr verschieden (durch) reguliert:
Teilzeitarbeit stellt regulativ praktisch noch ein weißes Feld dar. Vor dem Beschäftigungsförderungsgesetz gab es — mit Ausnahme der indirekt wirkenden Steuer-und Sozialversicherungsregelung — weder begünstigende noch einschränkende Regelungen. Die Überstunden-Regulierung stammt im wesentlichen noch aus der Arbeitszeit-ordnung des Dritten Reiches: Diese setzt durch Regel-und Höchstarbeitszeiten einen relativ großzügigen rechtlichen Rahmen, der durch tarifliche und betriebliche Vereinbarungen ausgestaltet wird; einige Arbeitnehmergruppen sind durch Verbote besonders geschützt. Gegenüber der Überstundenregulierung stellt die rechtliche Gestaltung der Kurzarbeit einen modernen Regulierungstyp dar. In diesem Feld der Arbeitsmarktflexibilisierung wird gewissermaßen mit der gesamten zur Verfügung stehenden Klaviatur rechtlicher Instrumente gespielt: Gebote und Verbote sind effektiv mit Verfahrensregeln der betrieblichen und überbetrieblichen Mitbestimmung (Verfahrensregulierung) kombiniert und werden durch materielle Regelungsangebote unterstützt. 3. Auf Anhieb ist nicht zu erkennen, daß die derzeitige Regulierung der Arbeitszeit für die Seite der Arbeitsnachfrage große beschäftigungshemmende Elemente enthält, die Deregulierung erfordern. Eher im Gegenteil: a) Die derzeitige Regulierungspraxis der Teilzeitarbeit ist dadurch gekennzeichnet, daß sie lediglich einige — an sich selbstverständliche — Mindeststandards des Arbeitnehmerschutzes formuliert. Typisch ist auch, daß erst jetzt mit dem BeschFG die ersten Regulative flexibler TZ-Arbeit geschaffen wurden, die jedoch noch als sehr zaghaft zu charakterisieren sind. So ist beispielsweise das Verbot der ungleichen Behandlung der TZ-Arbeit im BeschFG noch unzureichend ausformuliert. Die Möglichkeit der diskriminierenden Behandlung bei Vorliegen „sachlicher Gründe“ läßt noch zu viele Schlupflöcher für die Umgehung dieses Verbotes zu, solange die Mehrzahl der TZ-Arbeitsplätze von minderwertigem Rang sind. Grundsätzlich sind Betriebe frei, Arbeitsplätze mit beliebigen Arbeitszeitquanten und proportional gestaffelten Verdiensten unterhalb der durch Gesetz oder Tarifvertrag definierten Höchstarbeitszeit anzubieten; lediglich eine kollektive Einführung der TZ-Arbeit bedürfte der betrieblichen oder tariflichen Mitbestimmung. Auch die Arbeitnehmer sind formal frei in der zeitlichen Dimensionierung ihres Arbeitskräfteangebots; ihre faktischen Möglichkeiten der Beeinflussung des TZ-Arbeitsplatzangebots sind jedoch gering. Das im internationalen Vergleich geringe Niveau der TZ-Arbeit signalisiert jedoch, daß rechtliche Barrieren oder mangelnde rechtliche Koordinierungsleistungen die Ausbreitung einer für alle Seiten akzeptablen TZ-Arbeit hindern. So ist zu prüfen, ob die steuer-und sozialrechtlichen Regelungen Barrieren für ein größeres Angebot von TZ-Arbeitsplätzen darstellen. Auch die verfahrens-rechtlichen Regelungen verhindern möglicherweise, daß von der Arbeitsangebotseite ein größerer Druck auf die Schaffung qualifizierter TZ-Arbeitsplätze ausgeübt wird. Schließlich werden die Möglichkeiten materieller oder immaterieller Regelungsangebote, die bislang fehlen (von experiB mentellen Episoden wie TZ-Lohnkostenzuschüsse einmal abgesehen), zu prüfen sein.
b) Die im internationalen Vergleich große Zahl der. gesetzlich erlaubten Überstunden im Jahr oder auch die Zuschlagsregel von 25 Prozent stellen auf den ersten Blick keine Flexibilitätsbarrieren dar, eher im Gegenteil: Unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten, d. h.der Reduzierung von Überstunden zugunsten von mehr Beschäftigung, erwecken sie eher den Verdacht einer zu laschen oder phantasielosen Regulierung.
c) Die Regulierung der Kurzarbeit stellt gegenüber der Regulierung von Teilzeitarbeit und Überstunden einen modernen und im Vergleich zu anderen Ländern fortgeschrittenen Typ des Arbeitsmarktrechts dar. Es ist daher zu fragen, ob aus der Konstruktion dieser Regulierungsform nicht Lehren für andere arbeitsmarktpolitische Funktionen zu ziehen sind.
Ich wende mich nun der Empirie und Praxis von Teilzeitarbeit, Überstunden und Kurzarbeit zu. Das folgende Kapitel soll zeigen, ob es Zusammenhänge zwischen Formen rechtlicher Steuerung und zeitlicher Flexibilität des Arbeitsmarktes gibt, und welche unausgeschöpften Handlungsspielräume einer flexiblen Arbeitszeitpolitik vorhanden sind. Es handelt sich freilich um erste Überlegungen, die sowohl einer besseren empirischen Fundierung als auch einer weiteren theoretischen Durchdringung bedürfen.
IV. Wirkungsanalytische Aspekte und Handlungsspielräume flexibler Arbeitszeitpolitik
1. Rechtliche Gestaltungsspielräume der Teilzeitarbeit Die Aufmerksamkeit der Flexibilisierungs-und Regulierungsdebatte auf TZ-Arbeit rechtfertigt eine jüngst von der ILO veröffentlichte Studie, nach der die Bundesrepublik bei TZ-Arbeit im Vergleich zu den meisten entwickelten Industrie-und Dienstleistungs-Nationen zurücksteht. Das gilt vor allem für die Teilzeitbeschäftigung von Männern (vgl. Tab. 1). Nur Frankreich, Österreich und die Schweiz haben ähnliche oder niedrigere TZ-Beschäftigungsquoten wie die Bundesrepublik.
Sowohl die Erklärung als auch die Bewertung dieser Unterschiede ist schwierig. Dazu bedürfte es gesicherter vergleichbarer Statistiken vor allem über die Struktur und qualitativen Merkmale der Teilzeitbeschäftigung. Denn es kann nicht darum gehen, TZ-Beschäftigung um jeden Preis zu erhöhen. Darüber hinaus müßten alle für Arbeitszeit relevanten Regulative der einzelnen Länder bekannt sein, wofür derzeit ebenfalls systematische und vergleichbare Unterlagen fehlen. Einzelne empirische Studien und theoretische Überlegungen ermöglichen jedoch auch beim derzeit unbefriedigenden Stand der Forschung erste Hinweise, in welcher Richtung eine „präventive“ Regulierung zur Förderung beschäftigungswirksamer TZ-Arbeit zu gehen hätte
Wie schon im Zwischenresümee erwähnt, gibt es so gut wie keine Verhaltensnormen (immaterielle Gebote und Verbote), welche die Arbeitgeber daran hindern könnten, TZ-Arbeitsplätze einzurichten. Das Fehlen normativer Mindeststandards mag jedoch Grund für die Zurückhaltung und den Widerstand der deutschen Gewerkschaften gegen TZ-Arbeit sein. Die schlechten Arbeitsbedingungen vieler TZ-Plätze dienen als Legitimation für diesen Widerstand, und das Fehlen normativer Mindeststandards wiederum nährt die schlechte Wirklichkeit — so wird ein kleiner Teufelskreis geschlossen. Es ist daher denkbar, daß eine inhaltliche Füllung des jetzt noch zahnlosen § 2 Abs. 1 BeschFG (Benachteiligungsverbot) einen Grund für die Zurückhaltung der Gewerkschaften beiseite schieben und eine offensivere Tarifpolitik zugunsten einer beschäftigungswirksamen Expansion der TZ-Arbeit hervorrufen könnte. Ratsam wäre daher, einige Mindeststandards inhaltlicher oder verfahrensmäßiger Art zu konkretisieren, z. B. Teilnahme an betrieblicher Altersversorgung, anteilige Gewährung aller Nebenleistungen des Betriebes, Teilnahme an betrieblicher Weiterbildung und Unterstützung des betrieblichen Aufstiegs, Gewährleistung des Prinzips der Freiwilligkeit und Regelungen über die Rückkehr in ein Vollzeitarbeitsverhältnis. Diese Mindest-und Rahmenbedingungen wären dann durch Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen auszufüllen.
Im Bereich verfahrensmäßiger Verhaltensregeln stellt möglicherweise der Tarifvorbehalt für Fragen der Dauer der Arbeitszeit eine Barriere für eine Erweiterung qualifizierter TZ-Arbeit dar. Regelungsangebote auch auf betrieblicher Ebene könnten hier Abhilfe schaffen. Denkbar wäre beispielsweise eine Erweiterung des Betriebsverfassungsgesetzes dahin gehend, daß den Belegschaftsmitgliedern z. B. das Recht eingeräumt wird, in selbstgewählten Arbeitsgruppen die Soll-arbeitszeit innerhalb der Gruppe zu verkürzen und in Abstimmung mit dem Betriebsrat mit der Unternehmensleitung zu verhandeln und dann innerhalb dieser Sollarbeitszeit die Arbeitszeit autonom zu variieren
Im Bereich der materiellen Verhaltensregeln könnten sich die Beitragsbemessungsgrenzen zur Gesetzlichen Krankenversicherung, zur Renten-und Arbeitslosenversicherung zuungunsten der TZ-Beschäftigung auswirken, wenn Arbeitsplätze mit Löhnen/Gehältern über den Beitragsbemessungsgrenzen geteilt werden. Die Bedeutung dieser möglichen Beschäftigungsbarrieren ist in der Bundesrepublik jedoch gering. Allenfalls bei den höchsten Einkommensklassen könnten sie eine Rolle spielen. Modellrechnungen und „Studien in Großunternehmen, die bekanntlich meist mehr Sozialleistungen bieten als kleinere Firmen, haben die gesamte diesbezügliche Mehrbelastung je aufgeteiltem Arbeitsplatz auf maximal 1 000 DM pro Jahr geschätzt. Dieser Wert dürfte die absolute Obergrenze darstellen“
Eine wirkliche Barriere für einen flexiblen Arbeitsmarkt stellen die derzeitigen Obergrenzen der Beitragsbemessung also nicht dar. Eine andere Frage ist, ob die derzeitigen Untergrenzen der Sozialleistungspflicht einen Anreiz bzw. eine Barriere für TZ-Beschäftigung darstellen. Je höher die Untergrenze der gesetzlichen Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung, desto größer der Anreiz für die Unternehmen, TZ-Beschäftigung zu bevorzugen. Ein empirischer Vergleich der TZ-Beschäftigung in Großbritannien und in der Bundesrepublik gibt dazu aufschlußreiche Hinweise 23).
In beiden Ländern sind die Arbeitnehmer u. a. von der Versicherungspflicht ausgenommen, wenn eine bestimmte Verdienstgrenze (im Jahre 1983 £29, 50 pro Woche in Großbritannien und DM 390, — pro Monat in der Bundesrepublik Deutschland) unterschritten wird. Setzt man diese Schwellenwerte in Beziehung zu den jeweiligen gesamtwirtschaftlichen Durchschnittsverdiensten, so ergibt sich, daß ein Arbeitnehmer in Großbritannien bis zu Prozent des nationalen Durchschnittsverdienstes erzielen darf, ohne der Sozialversicherungspflicht zu unterliegen. In der Bundesrepublik Deutschland beträgt der entspre-chende Prozentsatz dagegen nur 14 Prozent. Die höhere Sozialversicherungspflichtgrenze in Großbritannien stellt einen beträchtlichen Anreiz für die Arbeitgeber dar, TZ-Arbeitsplätze einzurichten. Dies gilt insbesondere für Wirtschaftszweige mit niedrigem Lohnniveau, da es vor allem dort, z. B. durch Aufspaltung von Vollzeitstellen, möglich ist, TZ-Positionen mit Verdiensten unterhalb der Sozialversicherungspflichtgrenze zu schaffen.
Die Studie kommt beim Vergleich der empirischen Ergebnisse überzeugend zu dem Schluß, daß — neben einem Struktureffekt, der aus dem höheren Anteil des Dienstleistungssektors an der Gesamtbeschäftigung in Großbritannien resultiert — vor allem die deutlich höhere Geringfügigkeitsgrenze bei der Sozialversicherungspflicht in Großbritannien das deutlich verschiedene Niveau, aber auch die verschiedene Struktur der TZ-Beschäftigung zu erklären vermag. Empirisch zeigt sich nämlich der gravierendste Unterschied zu Großbritannien bei der Betrachtung der absoluten Zahlen im Sektor „Handel und Gastgewerbe“, also einem Niedriglohnsektor. In diesem Wirtschaftszweig sind in der Bundesrepublik Deutschland 90 000 Nichtversicherungspflichtige beschäftigt; die entsprechende Zahl für Großbritannien beträgt dagegen rund 650 000 und ist damit um 560 000 höher.
Während das britische Beispiel wohl keine empfehlenswerte Grundlage für eine Reform der TZ-Regulierung darstellt, weil eine derartige Anreiz-politik über die Lohnnebenkosten die normativen Bedingungen qualifizierter TZ-Arbeit verletzt und für viele TZ-Arbeiter kein existenzsicherndes Einkommen gewährleistet, bietet das schwedische Beispiel Hinweise für eine Verbesserung der Bedingungen von TZ-Arbeit durch materielle Regelungsangebote in Verbindung mit normativen Rechtsansprüchen. In Schweden existiert seit Jahren ein Recht auf TZ-Arbeit für Eltern mit Klein-kindern und zweitens eine Elternschaftsversicherung, die den durch TZ-Arbeit entstehenden Verdienstausfall teilweise ausgleicht Derartige Rechtsansprüche könnten auch auf andere Arbeitnehmergruppen in besonderen Lebenslagen ausgeweitet werden, beispielsweise auf Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen mit besonderen Ar-beitsbelastungen im Erwerbsbereich oder auf ältere Arbeitnehmer
Eine weitere Möglichkeit wäre eine Kopplung verfahrensmäßiger und materieller Regelungsangebote in Analogie zum Vorruhestandsgesetz: Einkommensverluste bei „gleitendem“ Vorruhestand (etwa ab 55 Jahren) könnten durch freiwillige Tarifverträge teilweise kompensiert und eventuell (bei Wiederbesetzung freiwerdender Arbeitsplatzkapazitäten) durch Zuschüsse der Bundesanstalt für Arbeit ergänzt werden.
Um das Spektrum regulativer Instrumente zu vervollständigen, sind schließlich noch materielle Regelungsangebote in Form finanzieller Anreize zu erwähnen. In den letzten Jahren wurden in mehreren Ländern Initiativen zur Förderung des Ausbaus von TZ-Arbeit durch Lohnkostenzuschüsse für Arbeitgeber ergriffen: in fünf Ländern der Bundesrepublik, in Großbritannien und den Niederlanden. Einige Länder erprobten Maßnahmen, die bei Arbeitnehmern, die Vollzeit arbeiten (oder arbeiten wollen), die Bereitschaft zur TZ-Arbeit fördern sollten. Auch hier wurden entsprechende Versuche mit direkten finanziellen Anreizen unternommen, beispielsweise in den Niederlanden und in Belgien.
Die Erfahrungen zeigen jedoch, daß weder direkte Subventionen an Arbeitgeber noch solche an Arbeitnehmer besonders wirkungsvoll sind: Je anspruchsvoller die arbeitsmarkt-und beschäftigungspolitischen Zusatzkonditionen formuliert werden, um eine hohe Qualität der neu geschaffenen Teilzeitplätze zu sichern, desto größer sind Mitnahmeeffekte oder es werden qualitativ schlechte TZ-Arbeitsplätze geschaffen Derartige materielle Regelungsangebote erfordern generell eine heikle Balance zwischen Anreiz und Kontrolle, die nur in seltenen Fällen praktizierbar ist 2. Rechtliche Gestaltungsspielräume bei Überstunden Für das Jahr 1984 ermittelte das Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung durchschnittlich 1, 7 Überstunden je Arbeitnehmer und Woche oder 73, 4 Stunden im Jahr. In Beschäftigungsäquivalente umgerechnet entspricht das etwa 900 000 Vollzeitbeschäftigten In einer weiteren Reduzierung der Überstunden liegt daher ein großes rechnerisches Beschäftigungspotential: Selbst wenn nur ein Drittel dieses Potentials beschäftigungswirksam verringert werden könnte, würde die Beschäftigtenzahl um 300 000 steigen und die Arbeitslosenzahl um etwa 200 000 fallen. Angesichts solcher Größenordnungen lohnt sich die Frage, ob nicht durch eine Veränderung der Überstundenregulierung dieses rechnerische Beschäftigungspotential genutzt werden könnte.
Systematisch vergleichbare Daten für andere Länder liegen nicht vor, so daß beim derzeitigen Stand der Forschung die Grundlagen für eine empirisch-vergleichende Analyse der Auswirkungen unterschiedlicher Überstundenregulierung fehlen. Aber auch in anderen Ländern ist das Thema einer beschäftigungswirksamen Überstundenreduzierung ein Dauerbrenner. Ehrenberg/Schumann beziffern die Zahl der durchschnittlichen Über-stunden pro Woche und je Arbeitnehmer in der Verarbeitenden Industrie in den USA 1977 auf 3, 4 Stunden; schon eine Reduzierung der Über-stunden um 20 Prozent erbrächte rechnerisch eine Steigerung der Beschäftigung um 1, 7 Prozent In Großbritannien entfallen auf die Vollzeit-Arbeitskräfte durchschnittlich 2, 6 Stunden pro Woche (April 1984). Umgerechnet in Vollzeit-Beschäftigte reicht die Überstundenzahl für mehr als eine Million Arbeitsplätze
Zunächst ist zu klären, ob der zu beobachtende Rückgang von Überstunden mit regulativen Veränderungen in Verbindung gebracht werden kann. Denn das derzeitige Niveau der Überstunden ist zwar vor allem konjunkturbedingt niedrig, aber es hat sich seit 1975 auch insgesamt etwas gesenkt: 1960 arbeitete jeder Arbeitnehmer durchschnittlich 95 Überstunden im Jahr, 1965 waren es 119 und 100 in der Rezession 1967. Im Jahre 1970 wurde das Maximum von 156 Überstunden im Jahr registriert, in der Rezession 1975 waren es wieder 100. Auf der Grundlage dieser Daten ist die Vermutung geäußert worden, daß die deutsche Industrie schon jetzt die „unausweichliche Mindestzahl an Überstunden“ erreicht habe. Eine weitere Reduzierung würde die Beschäftigung eher mindern als erhöhen. Dahinter steckt das einfache ökonomische Kalkül, Überstunden seien wegen der Fixkosten der Arbeit billiger und die effizienteste Anpassungsform an variable Markt-bedingungen: werde billiger produziert, könne auf dem Markt billiger angeboten werden; dann werde mehr abgesetzt und mehr Personal könne eingestellt werden. Vor einer gesetzlichen Reduzierung der Überstunden wird gewarnt, allenfalls eine tarifpolitisch vereinbarte Reduzierung der Überstunden wird ins Auge gefaßt
Zunächst ist festzustellen, daß es weder aufgesetzlicher noch auf tariflicher Ebene in den letzten zehn (oder 25 ) Jahren nennenswerte Änderungen der Überstundenregulierung gab. Im Regulierungsbereich kann also nicht die Ursache für den Rückgang der Überstundenzahl gesucht werden. Vielmehr hätte ein indirekter regulativer Faktor, nämlich der relative Anstieg der (teilweise fixen) Lohnnebenkosten, die Überstunden theoretisch steigen lassen müssen; amerikanische Untersuchungen haben diese theoretische Erwartung auch empirisch bestätigt gefunden Weidinger und Hoff weisen überzeugend darauf hin, daß der über konjunkturelle Bedingungen hinausgehende Rückgang der Überstunden Folge der zunehmenden Flexibilität der Arbeitszeiten ist. Die in den letzten Jahren eingeführten flexiblen Arbeitszeit-systeme lassen auf Grund des eingebauten Zeit-ausgleichs einen Gutteil der herkömmlichen Mehrarbeit verschwinden, ohne daß eine Beschäftigungsausweitung stattfindet, weil die zusätzliche Arbeitszeit nun in beschäftigungsschwachen Zeiten meist zuschlagsfrei „abgefeiert“ wird
Aber auch ein beschäftigungswirksamer weiterer Abbau von Überstunden wird sich nur realisieren lassen, wenn er mit flexiblen Systemen der Arbeitszeit verbunden wird. Denn für die Arbeitgeberseite gibt es objektive Gründe für einen zunehmenden Bedarf an Mengenflexibilität, während sich die Gewerkschaften auf eine zunehmende Flexibilisierung nur einlassen können, wenn sie in beschäftigungswirksame Bahnen gelenkt wird. Wie eine derartige Koordination scheinbar gegensätzlicher Interessen durch Recht in die Wege geleitet werden kann, soll im folgenden gezeigt werden.
Eine Politik der Überstundenbegrenzung und des beschäftigungswirksamen Freizeitausgleichs findet bislang nirgends ernsthaft Unterstützung, sondern stößt eher auf Widerstand. Aus der Sicht der Arbeitgeber bringt jede Einschränkung des bisher zulässigen Überstundenrahmens eine Verringerung der Flexibilitätsspielräume bei der Personal-planung mit sich. Es ist nun einmal sehr bequem, bei einem eiligen zusätzlichen Auftrag, bei unvorhergesehenen technischen Pannen oder bei plötzlichem Ausfall von Personal einfach Überstunden anzusetzen.
Für die Arbeitnehmer sind Überstunden vor allem als zusätzliche Einkommensquelle interessant. Die Meinungen sind hier jedoch durchaus geteilt: Nach einer Repräsentativerhebung des EMNID-Instituts 1979/80 machen 49 Prozent der Über-stunden leistenden Arbeitnehmer deshalb Über-stunden, weil sie sich ihnen „schlecht entziehen“ können; 14 Prozent gaben an, arbeitsvertraglich zur Ableistung von Überstunden verpflichtet zu sein. Demgegenüber machte nach eigener Angabe nur ein Viertel der Befragten Überstunden wegen des damit verbundenen zusätzlichen Einkommens, wobei jeder Dritte dieser Gruppe ausdrücklich erklärte, ungern Überstunden zu machen Zu ähnlichen Ergebnissen, jedoch mit anderer Gewichtung, gelangt eine Untersuchung in der bremischen Metallindustrie. Finanzielle Aspekte der Mehrarbeit stehen hier bei drei von vier Arbeitern im Vordergrund, während nur jede(r) fünfte kaufmännische Angestellte und jede(r) dritte technische Angestellte Einkommensinteressen mit Überstunden verbindet
Neben der eher ambivalenten Interessenlage der einzelnen Arbeitnehmer scheinen auch institutionelle Gründe der Interessenvertretung als Barriere für eine weitere Überstundenbegrenzung eine Rolle zu spielen. Überstunden unterliegen, wie oben ausgeführt, der betrieblichen Mitbestimmung. Untersuchungen haben gezeigt, daß Über-stunden für die Betriebsräte eine zentrale strategische Verhandlungsmasse darstellen. Vereinzelte Versuche, von Unternehmen beantragte Über-stunden zu verweigern, um Neueinstellungen zu erzwingen, haben die Verhandlungsposition der Betriebsräte geschwächt, so daß diese Versuche meist aufgegeben wurden
Dieser erste Blick auf die Interessenpositionen vermittelt das Bild einer Pattsituation. Doch bei genauer Betrachtung läßt sich die Interessenkonstellation eher mit der Situation des Gefangenen-dilemmas kennzeichnen, denn für beide Seiten lassen sich auch gute Gründe anführen, in Zukunft auf Überstunden zu verzichten:
Auch wenn Überstunden für den Arbeitgeber auf den ersten Blick vorteilhafter erscheinen als Neueinstellungen, kann diese Rechnung täuschen. So verschlechtert sich bei Überlastung auch die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers, was sich in höheren Fehlzeiten, sinkender Produktivität und abnehmender Qualität der Arbeit niederschlägt. Demgegenüber kann man in den meisten Fällen davon ausgehen, daß die Ersetzung von (Dauer-) Mehrarbeit durch Neueinstellungen kaum Mehrkosten mit sich bringt. Man vergleiche dazu die eingesparten Überstundenzuschläge mit den zusätzlichen Personalfixkosten und berücksichtige, daß sich neben den direkten Kosten pro Arbeitsstunde häufig auch Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt und andere Sonderzahlungen nach dem tatsächlichen Einkommen des Mitarbeiters einschließlich Überstunden richten. Zieht man zudem die Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitgestalzeitgestaltung ohne Anfall von Überstunden in Betracht, dann zeigt sich, daß Überstunden sogar eine teure Lösung betrieblicher Personalprobleme sein können.
Aus der Sicht der Arbeitnehmer ist der Nutzen von Überstunden ebenfalls fraglich. Neben den bereits genannten gesundheitlichen Bedenken können nämlich auch finanzielle Gründe gegen Mehrarbeit sprechen. Immerhin wird jede zusätzlich verdiente Mark mit dem Grenzsteuersatz belastet, der bei einem Bruttoeinkommen von monatlich DM 2 500, — bei ca. 33 Prozent liegt. Bei noch höherem Einkommen kann selbst bei einer mit Zuschlag vergüteten Überstunde netto weniger Lohn herauskommen als durchschnittlich pro Stunde der normalen Arbeitszeit. Diese Bilanz verschlechtert sich weiter, wenn man bedenkt, daß bei erhöhter Arbeitsbelastung durch Über-stunden die Möglichkeit der — steuerfreien — Eigenarbeit etwa am eigenen Haus oder als Nach-barschaftshilfe auf gegenseitiger Basis wegfällt. Eigenarbeit kann jedoch viele Ausgaben ersparen, die z. B. für Reparaturen anfallen, wenn man selbst keine Zeit dazu hat. Außerdem wird sie häufig als wünschenswerter Ausgleich gegenüber der regulären Lohnarbeit empfunden
Wenn diese objektive Analyse der Interessenlage richtig ist und zusätzlich der Gesichtspunkt der Solidarität mit denen, die keine Arbeit haben, berücksichtigt wird, dann liegt eine Lösung dieses Problems in Analogie zur Lösung des klassischen Gefangenendilemmas nahe: Erzwingung der Kooperation durch Verhaltensnormen und/oder durch entsprechende Verhaltensanreize. Oder in Worten des oben ausgeführten Regelungsinstrumentariums ausgedrückt: eine Kombination von normativen und materiellen Verhaltensregeln sowie verfahrensrechtlicher wie materieller Regelungsangebote. Man könnte zunächst an eine wesentlich engere Begrenzung der gesetzlichen Regelarbeitszeit auf beispielsweise 40 Stunden pro Woche denken. Im internationalen Vergleich ist die gesetzlich erlaubte Überstundenzahl pro Woche ohnehin eine der höchsten. Das britische Internationale Institut für Personalmanagement macht dazu die in Tabelle 2 dargestellten Angaben:
Diese Überstundenbegrenzung könnte mit dem Gebot des Freizeitausgleichs gekoppelt werden, wenn die Zahl der Überstunden eine bestimmte Schwelle überschreitet. In Belgien ist die vierteljährliche Überstundenzahl auf 65 Stunden begrenzt: Die Hälfte davon muß mit einem Zuschlag von 1, 5 bezahlt, die andere Hälfte in Freizeit ausgeglichen werden
Eine weitere Bedingung wären normative Regelungsangebote, welche die Regulierung der erforderlichen regionalen und sektoralen Differenzierung betrieblichen und tariflichen Vereinbarungen überließe. Hier kämen dann die flexiblen Arbeitszeitsysteme in Anwendung, wie sie in der Literatur verschiedentlich ausgeführt worden sind Dem oft vorgebrachten Einwand, daß eine Überstundenreduktion deswegen nicht wirksam ist oder gar kontraproduktive Effekte habe, weil die Qualifikationen für die freiwerdenden Arbeitskapazitäten auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar wären, muß mit dem Hinweis begegnet werden, daß dieser mögliche Engpaß eben durch eine Kopplung der Verhaltensnorm mit materiellen Regelungsangeboten der Qualifizierung vermieden werden kann.
So wie heute niemand an der Notwendigkeit einer zentralen Geldmengensteuerung zweifelt, wird sich auch die Einsicht durchsetzen müssen, daß in Zukunft eine zentrale Zeitmengensteuerung notwendiger denn je ist. Solche politisch gesetzten Rahmenbedingungen (Sollgrößen) schränken sicherlich den Handlungsspielraum vieler einzelner Betriebe oder Arbeitnehmer zunächst ein, weil sie einen Anpassungsprozeß an die neuen Sollgrößen erfordern, aber der dadurch erzeugte Kooperationsdruck setzt langfristig Flexibilitätspotentiale frei, die allen zugute kommen. So wie verschärfte Umweltnormen die Einführung umweltfreundlicher Produktionsanlagen oder Produkte beschleunigen (vgl. etwa Japan und die USA), können restriktive Sollgrößen der Arbeitszeit die Flexibilisierung der Grundarbeitszeiten beschleunigen und zugleich die Herausbildung neuartiger Schichtsysteme stimulieren, die zusätzliche Neueinstellungen ermöglichen. Wenn die Befähigung zur Einhaltung der neuen Verhaltensstandards fehlt (etwa bei Klein-und Mittelbetrieben), können materielle Regelungsangebote — beispielsweise kostenlose Beratung bei der Einführung flexibler und beschäftigungswirksamer Arbeitszeitsysteme — die Anpassung an die neuen „Sollwerte“ unterstützen.
Sollte eine derartige Überstundenbeschränkung politisch nicht konsensfähig sein, könnte man immer noch an eine weichere Regulierungsform denken: an eine Verteuerung der Überstunden beispielsweise durch progressive Sozialabgaben, insbesondere der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, an eine entsprechende Senkung dieser Abgaben für Arbeitszeiten unter den tariflichen Regelarbeitszeiten und schließlich an eine generelle oder stufenweise Erhöhung der Überstundenzuschläge. 3. Rechtliche Gestaltungsspielräume bei Kurzarbeit Kurzarbeit ist ein gewichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument geworden, dessen Bedeutung in keinem anderen Land so groß ist wie in der Bundesrepublik. War der Beitrag von Kurzarbeit in den sechziger Jahren noch bescheiden, entwikkelte sich das Kurzarbeitergeld in den siebziger Jahren neben Fortbildung und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zum dritten Pfeiler der deutschen Arbeitsmarktpolitik. Grund dafür war nicht zuletzt auch die regulative Veränderung dieses Instruments im AFG 1969, die gegenüber dem AVAVG vor allem Leistungsverbesserungen für die Kurzarbeiter brachte Die Bedeutung von Kurzarbeit ist in den achtziger Jahren noch weiter gestiegen. 1960 bis 1969 entfielen durchschnittlich 0, 5 Ausfallstunden durch Kurzarbeit je Arbeitnehmer (mit 3, 5 als Höhepunkt während der Rezession 1967 und 0, 03 als Tiefpunkt in den Boom-phasen 1965 und 1969); 1970 bis 1979 betrug dieser Durchschnitt schon 4, 6 Ausfallstunden je Arbeitnehmer (Minimum 1970 = 0, 2, Maximum 1975 = 18, 7); 1980 bis 1984 (bedingt durch das Gewicht der dritten großen Rezession der Nachkriegszeit) entfielen durch Kurzarbeit durchschnittlich schon 13 Ausfallstunden je Arbeitnehmer. Die potentielle Arbeitslosenquote wurde in den Jahren 1975 bis 1979 um durchschnittlich 0, 3 Prozent, in den Jahren 1981 bis 1985 immerhin um durchschnittlich 0, 5 Prozent vermindert (die Perioden umfassen jeweils einen Abschwung und einen Aufschwung).
Effizienz und Verteilungswirkungen sind in diesem Instrument besonders wirksam kombiniert. Während konjunkturelle Nachfrageschwankungen beispielsweise in den USA durch befristete Entlassungen (Lay-offs) aufgefangen werden, die Last des Arbeitsmangels also von einer (begrenzten) Gruppe von Beschäftigten nach dem Prinzip „Last in, First out“ zu tragen ist, wird durch Kurz-arbeit die Last des Arbeitsausfalls auf mehrere Schultern verteilt. Für die Betriebe bleiben die qualifizierten Arbeitskräfte und für die Kurzarbeiter bleibt der Arbeitsplatz in jedem Fall erhalten. Das stärkt die Loyalität der Mitarbeiter zum Betrieb und ihre Solidarität untereinander, was wiederum der Qualität der Arbeit und der Verläßlichkeit der Mitarbeiter zugute kommt
Wie bereits dargestellt, ist die rechtliche Konstruktion der Kurzarbeit eine gelungene Kombination von normativen, verfahrensmäßigen oder materiellen Verhaltensregeln und Regelungsangeboten. Kurzarbeit bietet die Möglichkeit einer spürbaren und kurzfristigen Kostenbeeinflussung, mit der vor allem die sonst fixen Personalkosten vorübergehend und zum Großteil flexibilisiert werden können, da der Beitragsfonds der Bundesanstalt für Arbeit einen wesentlichen Teil der Lohnkosten übernimmt, aber auch die Arbeitnehmer, der Fiskus und die Sozialversicherungsträger am Beschäftigungsrisiko beteiligt werden. Kurzarbeit unterstützt vor allem die einleitend abgeleitete steigende Notwendigkeit der Mengenflexibilität. Die Arbeitszeitquanten können fast beliebig dosiert und je nach betrieblichem Bedarf flexibel gestaltet werden.
Diese Vorteile der Mengenflexibilität hat die amerikanische Bundesregierung veranlaßt, probeweise 1982 ein entsprechendes Gesetz einzuführen, daß die Restriktionen des Arbeitslosenversicherungssystems aufhebt. Nach dem bis dahin geltenden Gesetz wurde eine dosierte Mengenflexibilität verhindert, weil partielle Versicherungsleistungen beschränkt waren auf die Differenz zwischen wöchentlichen Voll-Leistungen der Arbeitslosenversicherung und den jeweils erzielbaren Wochenverdiensten. Diese restriktive Regelung partieller Leistungen der Arbeitslosenversicherung führte zum Ergebnis, daß Arbeitnehmer mindestens die Hälfte der wöchentlichen Arbeitszeit kurzarbeiten mußten, um in den Genuß partieller Arbeitslosenversicherungsleistungen zu kommen
Die Regulierung der Kurzarbeit ist sicherlich nicht ohne Probleme. Sie bietet eine Problemlösung für ein Beschäftigungsrisiko, das sektoral und betrieblich und damit auch personell und regional ungleich verteilt ist. Bei einer zentralen Fondsfinanzierung wie in der Bundesrepublik läßt sich daher eine Kreuz-Subventionierung nicht vermeiden. Das ist bei einer Beitragsfinanzierung mit ausdrücklichen Solidaritätsprinzipien solange tragbar, wie andere arbeitsmarkt-politische Funktionen (Lohnersatzleistungen für Arbeitslose, Weiterbildung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, berufliche Rehabilitation) nicht beeinträchtigt werden. Es hat sich gezeigt, daß bei langandauernder Massenarbeitslosigkeit diese Grenze zeitweise überschritten wurde Sollte sich darüber hinaus herausstellen, daß die Funktion der Kurzarbeit weiterhin an Bedeutung gewinnt (oder gewinnen muß), ergibt sich ein weiterer Regulierungsbedarf.
Die unvermeidliche Umverteilungswirkung der Kurzarbeit ließe sich durch einen regelgebundenen und steuerfinanzierten Zuschuß an die Bundesanstalt für Arbeit besser rechtfertigen als beim bisherigen rein beitragsfinanzierten System. Eine stärkere finanzielle Beteiligung der kurzarbeitsintensiven Tarifpartner würde möglichen Widerständen vorbeugen, die sich einem verstärkten Einsatz von Kurzarbeit auf Grund der Kreuz-Subventionierung entgegenstellen könnten. Diese ließe sich z. B. durch eine leichte Reduzierung der maximal zulässigen Dauer und/oder des Umfanges von Kurzarbeit erzwingen. Im beginnenden Computerzeitalter ist darüber nachzudenken, ob die Beitragssätze entsprechend der Inanspruchnahme von Kurzarbeit („experience-rating“) zu variieren sind. Da die Betriebe zunehmend automatisierte Buchungsverfahren zur Abrechnung von Löhnen und Beiträgen installieren, kann diese Variabilität technisch nun ohne größere Zusatzkosten bewältigt werden. Damit wäre ein Regelmechanismus geschaffen, der einen Anreiz zum möglichst sparsamen und effizienten Umgang mit Kurzarbeit schafft.
Kurzarbeit deckt nur ein spezifisches, nämlich das konjunkturelle Beschäftigungsrisiko. Denkbar wären auch eine Erweiterung des Instruments für strukturelle Beschäftigungsrisiken oder Instrumente in analoger Konstruktion zur Kurzarbeit. Trotz einiger Ansätze fehlt bisher ein Instrument, das einen flexiblen gleitenden Übergang vom Arbeitsleben in die Rente ermöglicht. Die Alternative ist meist immer noch, voll drinnen zu bleiben oder ganz aus dem Erwerbsleben auszuscheiden. Nach dem Modell der Kurzarbeit könnten flexible Teilzeitrentensysteme reguliert werden, sei es durch einen entsprechenden zweckspezifischen Fonds, sei es durch Erweiterung der Leistungsfunktionen von Kurzarbeit. Ebenso könnte eingeführt werden, daß bei längerfristigen Perioden der Kurzarbeit (z. B. länger als drei Monate) die Gewährleistung von Kurzarbeitergeld von der betrieblichen oder überbetrieblichen Weiterqualifizierung der Kurzarbeiter abhängig gemacht wird. 4. Ausblick Recht und Flexibilität erscheinen zunächst als Widerspruch: Recht vereinheitlicht, Flexibilität vervielfältigt die individuellen Reaktionsmöglichkeiten. Beim Wechsel der Ebene vom einzelnen auf die Ebene sozialer Systeme löst sich dieser Widerspruch in eine Paradoxie auf: Vereinheitlichung wird zur Voraussetzung individueller Flexibilität. Diese Paradoxie steht unter der Prämisse „koordinierter Flexibilität“, d. h., daß der Gewinn der Verhaltensfreiheit des einen nicht auf Kosten der Verhaltensfreiheit des anderen gehen soll. In anderen Worten: Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durch Recht soll ein positives Summenspiel und nicht ein Nullsummenspiel begründen. Viele Flexibilisierungsformen, die zur Zeit im Gespräch sind, entsprechen diesem Kriterium nicht. Bloß individualisierte Flexibilität erzeugt Reichtum hier und Armut dort. Nur koordinierte Flexibilität schafft Reichtum für alle. Funktion eines sowohl auf Effizienz wie Solidarität (Gleichheit) bedachten Rechts ist es, diese Koordinierung zu unterstützen. Dazu sollten diese Überlegungen beitragen.
Günther Schmid, Dipl. -Pol., Dr. phil., geb. 1942; 1970— 1974 Wissenschaftlicher Assistent am Fachbereich Politische Wissenschaft der Freien Universität Berlin; seit 1974 Wissenschaftler am Internationalen Institut für Management und Verwaltung und seit 1979 stellvertr. Direktor (Schwerpunkt Arbeitsmarktpolitik); Privatdozent für Politische Ökonomie an der Freien Universität Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Funktionsanalyse und Politische Theorie, 1974; (zus. mit Hubert Treiber) Bürokratie und Politik, 1975; Strukturierte Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktpolitik, 1980; (zus. mit Klaus Semlinger) Arbeitsmarktpolitik für Behinderte, 1985.
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