I. Die Wirtschaft floriert — aber die Arbeitslosigkeit bleibt
Die Suche nach den Ursachen für diese Diskrepanz zwischen Wirtschaftsentwicklung und Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt erfordert einen Rückblick auf Gründe und Verlauf der letzten Rezession und die Bedingungen des nachfolgenden Wirtschaftsaufschwungs. Die Bundesrepublik ist schon in die letzte Rezession mit einem „Sockel“ von knapp 900 000 Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt 1980 hineingegangen, und seitdem ist die Zahl der besetzten Arbeitsplätze von 26, 3 Millionen 1980 bis auf 25, 3 Millionen 1984 zurückgegangen und 1985 nur um knapp 200 000 wieder leicht angestiegen. Gleichzeitig hat sich aber die Zahl der Erwerbspersonen von
Dieser Verlust an Arbeitsplätzen war vielleicht nicht unvermeidlich, aber er war jedenfalls mit den eingesetzten Mitteln der staatlichen Wirtschaftspolitik nicht aufzuhalten. Ausgelöst wurde die letzte Rezession durch die zweite Ölpreiskrise, die zwischen 1978 und 1980 den Dollar-Ölpreis noch einmal verdoppelt hatte. Die Außenhandelsüberschüsse der OPEC-Länder stiegen dadurch auf mehr als 100 Milliarden Dollar im Jahre 1980 — und entsprechend groß war der kurzfristige Ausfall an kaufkräftiger Nachfrage in den Industrieländern. Gleichzeitig gab die zweite Steigerung der Ölpreise der weltweiten Inflationstendenz neuen Auftrieb. Während jedoch in der Phase nach dem ersten Ölpreisschock von 1973/74 die Wirtschaftspolitik der meisten westlichen Industrieländer (allerdings mit Ausnahme der Bundesrepublik) hohe Inflationsraten zunächst in Kauf genommen und sich darauf konzentriert hatte, den drohenden Nachfrageausfall und damit den Anstieg der Arbeitslosigkeit durch eine starke Ausweitung der inländischen Nachfrage auszugleichen, erhielt nun in den wichtigsten westlichen Industrieländern die Inflationsbekämpfung politischen Vorrang
Insbesondere die Vereinigten Staaten, die bis 1978 noch die Weltkonjunktur stabilisiert hatten, verfolgten nun eine extreme Restriktionspolitik, die die Dollarzinsen in die Höhe schießen ließ. Eine Folge davon war die Zuspitzung der Überschuldungskrisen in vielen Ländern der Dritten Welt und einigen Ostblockländern, die bis dahin wichtige Kunden der Industrieländer gewesen waren. Gleichzeitig zwang die internationale Verflechtung der Geld-und Kapitalmärkte, die in den siebziger Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatte, auch alle anderen Industrieländer zu einer Anpassung an die amerikanische Restriktionspolitik. Länder, die (wie etwa das sozialistische Frankreich im Jahre 1981) versuchten, sich der weltweiten Entwicklung entgegenzustellen und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine expansive Finanz-und Geldpolitik zu verfolgen, sahen sich durch Kapitalflucht und schwindende Devisenreserven, durch eine rapide Abwertung ihrer Währung und dementsprechend steigende Inflationsraten bald zum Einlenken gezwungen. Die amerikanische Restriktionspolitik setzte sich also nicht nur in den überschuldeten Entwicklungsländern, sondern auch in den Industrieländern durch. Dementsprechend kam es überall zwischen 1980 und 1982 zu einer tiefen Wirtschaftsrezession mit rasch ansteigender Arbeitslosigkeit, gegen die die nationale Wirtschaftspolitik weitgehend machtlos war.
Die amerikanische Restriktionspolitik änderte sich 1982, als die von der Reagan-Administration durchgesetzten Steuersenkungen zusammen mit einem ehrgeizigen Aufrüstungsprogramm die Staatsverschuldung dramatisch ansteigen ließen und so einen massiven Nachfrageimpuls für die amerikanische Wirtschaft auslösten. Diese expansive Finanzpolitik der Reagan-Administration führte die amerikanische Wirtschaft in einen steilen Aufschwung mit realen Wachstumsraten von 3, 7% im Jahre 1983, 6, 8% im Jahre 1984 und immer noch etwa 2, 5 % im Jahre 1985. Dementsprechend sank in den Vereinigten Staaten auch die Arbeitslosenquote von 9, 5 % im Jahre 1982 bis auf 7, 3 % im Jahre 1985, und die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer stieg zwischen Herbst 1982 und 1985 um insgesamt 8, 8 Millionen (9, 9 %)
Warum aber ging die Beschäftigung im gleichen Zeitraum in der Bundesrepublik bei einer wachsenden Wirtschaft per Saldo immer noch um knapp 200 000 zurück? Auch hier lagen die Gründe zum Teil in der amerikanischen Entwicklung. Für den Rest der Welt erwies sich nämlich der amerikanische Wirtschaftsaufschwung als ein durchaus zwiespältiges Geschenk. Die (im internationalen Vergleich niedrige) amerikanische Sparquote reichte bei weitem nicht aus, um den Finanzierungsbedarf des riesigen Staatsdefizits und der sich belebenden privatwirtschaftlichen Konjunktur zugleich zu decken. Der Ausgleich war also nur durch Kapitalimporte möglich, und zu diesem Zweck mußten die Dollar-Zinsen vergleichsweise hoch bleiben. Damit allerdings wurde ein sich verstärkender Zirkel in Gang gesetzt: Die hohen amerikanischen Zinsen zogen ausländisches Kapital an; die Kapitalzuflüsse ließen den Wechselkurs des Dollars (trotz zunehmender Leistungsbilanzdefizite) stetig ansteigen; und die mit dem steigenden Dollar-Kurs verbundenen Hoffnungen auf zusätzliche Wechselkursgewinne erhöhten noch einmal die Attraktivität des amerikanischen Kapital-und Geldmarktes für ausländische Anleger. Der Kapitalzustrom in die Vereinigten Staaten hielt also an.
Für die übrigen Industrieländer eröffneten sich durch die amerikanische Hochkonjunktur und die zunehmende kapitalmarktbedingte Unterbewertung ihrer Währungen gegenüber dem amerikanischen Dollar ungewöhnlich gute Exportchancen in die Vereinigten Staaten. Gleichzeitig wurde jedoch das andernfalls im Inland verfügbare Investitionskapital in die Vereinigten Staaten umgeleitet, und die nationale Wirtschaftspolitik durfte die Zinsdifferenz zum amerikanischen Dollar nicht zu groß werden lassen, wenn aus dem Kapitalexport nicht eine unkontrollierbare Kapitalflucht werden sollte. Das weltweite Zinsniveau blieb also verhältnismäßig hoch, und damit blieben die Möglichkeiten für eine Ausweitung der Binnennachfrage in den übrigen Industrieländern begrenzt. Das Wirtschaftswachstum zwischen 1982 und 1985 wurde deshalb in Westeuropa und Japan vor allem im Bereich der Exportindustrie erzielt, während der Aufschwung in den Vereinigten Staaten ausschließlich von der Binnenkonjunktur getragen war. Dieser Unterschied erklärt auch zu einem erheblichen Teil die Unterschiede in der Beschäftigungsentwicklung. Die überschäumende Inlandsnachfrage in den Vereinigten Staaten kam dort in erster Linie der Beschäftigung im Dienstleistungssektor zugute, die nicht nur in „modernen“ Bereichen wie Forschung, Entwicklung, Management und Informationsverarbeitung kräftig zunahm, sondern vor allem auch im Bildungs-und Gesundheitswesen und in ganz traditionellen Bereichen wie Einzelhandel, Gaststätten und Beherbergung. Da hier die Arbeitsproduktivität relativ niedrig ist und nur langsam ansteigt, schlug sich die höhere Inlandsnachfrage auch in besonders hohen Beschäftigungszuwächsen nieder. Die Industriebeschäftigung dagegen, die zwischen 1979 und 1982 stark gefallen war, nahm nur sehr langsam wieder zu. Sie litt insbesondere auch unter der durch den steigenden Dollarkurs geförderten Importkonkurrenz.
In Westeuropa — und insbesondere in der Bundesrepublik — profitierte zwar die Exportindustrie vom amerikanischen Aufschwung, aber diese Zusatznachfrage kam in erster Linie Wirtschaftszweigen und Unternehmen zugute, deren Kapazitäten zuvor unterausgelastet gewesen waren und die ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit ohnehin der vollen Ausnützung aller technischen Möglichkeiten der Produktivitätssteigerung verdankten. Überdies darf man den Anteil der Vereinigten Staaten an den deutschen Exportmärkten auch nicht überschätzen. Fast die Hälfte unserer Exporte geht in die EG-Länder. Auch wenn der amerikanische Anteil zwischen 1980 und 1984 von 6, 1 % auf 9, 6% stark anstieg
Die mit der „Operation ‘ 82“ begonnene und nach der politischen „Wende“ mit noch härterer Konsequenz verfolgte Politik der Haushaltskonsolidierung dämpfte zudem die öffentliche Nachfrage in der Bundesrepublik und vereitelte damit jede Möglichkeit einer von der staatlichen Finanzpolitik gestützten Binnenkonjunktur nach amerikanischem Vorbild. Da die Bundesbank gleichzeitig die (aus ihrer Sicht mit Inflationsrisiken verbundene) Abwertung der DM durch eine Politik des verhältnismäßig knappen Geldes zu bremsen versuchte, war auch von dieser Seite keine Unterstützung für eine stärkere Ausweitung der Binnennachfrage zu erwarten.
Die Erklärung für die ungünstige Beschäftigungsentwicklung und den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zwischen 1982 und 1985 liegt also auf der Hand: Das schwache bis moderate Wirtschaftswachstum war fast ausschließlich das Ergebnis der zunehmenden Exportnachfrage, die in erster Linie Wirtschaftszweigen zugute kam, in denen überdurchschnittliche Produktivitätssteigerungen eher Beschäftigungsverluste als mehr Beschäftigung zur Folge hatten. Das weiterhin hohe internationale und nationale Zinsniveau stand trotz deutlich verbesserter Unternehmensgewinne einer binnenwirtschaftlichen Investitionskonjunktur im Wege; der private Verbrauch wurde durch niedrige Lohnabschlüsse gebremst und die öffentliche Nachfrage durch die Sparpolitik der Bundesregierung gedämpft. Hinzu kam, daß der langfristige Trend der Arbeitszeitverkürzung seit Mitte der siebziger Jahre deutlich abgeflacht war und damit auch keine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt mehr bewirkte
ein Anlaß für beschäftigungspolitischen Optimismus?
Seit 1985 haben sich sowohl die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen als auch die von der nationalen Wirtschaftspolitik ausgehenden Impulse noch einmal grundlegend verändert. Der dramatische Verfall der Ölpreise (dessen Wirkung in der Bundesrepublik durch die gleichzeitige Aufwertung der DM noch verstärkt worden ist) hat gesamtwirtschaftliche Wirkungen ausgelöst, die sich genau spiegelbildlich zu den Problemen der beiden Ölpreiskrisen von 1973/74 und 1979/80 verhalten: Vom Ölpreis gehen heute stabilitätsfördernde Wirkungen aus, denen wir (zusammen mit der Aufwertung) die Annäherung an das Traumziel der Null-Inflation verdanken. Gleichzeitig ergibt sich aus der seit letztem Jahr halbierten Ölrechnung eine potentielle Erhöhung der Binnennachfrage um mindestens 20 Milliarden DM pro Jahr — eine Größenordnung also, die alle staatlichen Konjunkturprogramme der Vergangenheit weit in den Schatten stellt
Gleichzeitig ist der Wechselkurs des Dollars gegenüber der DM seit dem Herbst 1985 um fast ein Drittel gefallen, ohne daß die amerikanische Notenbank bisher durch höhere Zinsen den Kursverfall gebremst hätte. Damit ist nun auch für die Deutsche Bundesbank der letzte Grund für eine Politik des knappen Geldes und der hohen Zinsen weggefallen, und wir haben im Frühjahr 1986 endlich wieder das expansionsfreundliche niedrige Zinsniveau der Jahre 1977 bis 1979 erreicht. Die Finanzpolitik der Bundesregierung hat mit der Steuersenkung vom Januar 1986 einen gewissen Beitrag zur Erhöhung der verfügbaren Einkommen in den privaten Haushalten geleistet, und auch die gewerkschaftliche Lohnpolitik wird in diesem Jahr wohl zu einer spürbaren Erhöhung der Realeinkommen führen. Zum ersten Mal seit langem wird also jetzt auch in der Bundesrepublik der Konjunkturaufschwung durch eine kräftige Erhöhung der Binnennachfrage gestützt.
Niemand weiß allerdings, wie lange diese einmalig günstige Konstellation wirtschaftlicher Rahmenbedingungen andauern wird: Weder der Ölpreis noch der Dollarkurs können unbegrenzt weiter fallen; die Bundesbank kann durch außen-wirtschaftliche oder binnenwirtschaftliche Stabilitätsrisiken zur Rückkehr auf ihren früheren Restriktionskurs veranlaßt werden; die gegenwärtige Investitionskonjunktur kann durch steigende Zinsen gestoppt werden; und die Konsumfreude der privaten Haushalte kann auch wieder in das frühere „Angstsparen“ umschlagen. Kurz: Wir können nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß die ungewöhnlich günstige wirtschaftliche Situation des Jahres 1986 über längere Zeit hinweg Bestand haben wird. Um so entscheidender wird deshalb die Frage, wieviel man denn von der gegenwärtig so ungewöhnlich günstigen wirtschaftspolitischen Konstellation für den Abbau der Massenarbeitslosigkeit erwarten darf.
Beginnen wir mit den positiven Indikatoren: Im dritten Jahr nach dem Tiefpunkt der letzten Rezession konnte 1984 der Rückgang der Beschäftigtenzahlen endlich aufgehalten und 1985 sogar ein Beschäftigungszuwachs von 200 000 registriert werden. Selbst wenn man in Betracht zieht, daß darin nach den Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit etwa 80 000 zusätzliche Arbeitsplätze enthalten sind, die auf die (von der Bundesregierung bekämpfte) Verkürzung der Wochenarbeitszeit in der Metall-und Druckindustrie zurückzuführen sind
Zwischen 1977 und 1979 nahm die Zahl der Beschäftigten in der Bundesrepublik um insgesamt 600 000 zu, während die registrierte Arbeitslosigkeit lediglich um 154 000 (von 1, 03 Millionen auf 876 000) zurückging
Die demographischen Bedingungen, die seit 1977 Jahr für Jahr die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter haben steigen lassen, werden noch bis zum Ende des Jahrzehnts anhalten; und da die Erwerbsbeteiligung der Frauen in der Bundesrepublik immer noch erheblich hinter der in vergleichbaren Industrieländern zurückliegt, ist auch hier mit einem weiteren Ansteigen zu rechnen. Kurz: Alles spricht für die Vermutung, daß auch eine Fortdauer der gegenwärtig günstigen Wirtschaftsentwicklung die Zahl der registrierten Arbeitslosen allenfalls um einige Hunderttausend vermindern, aber keineswegs ausreichen würde, um die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. Und die Hoffnung, daß die gegenwärtige günstige Wirtschaftsentwicklung über vier bis fünf Jahre unverändert anhalten könnte, widerspricht ohnedies allen bisherigen Erfahrungen. 3. Konsequenzen für die Vollbeschäftigungspolitik Die Schlußfolgerung aus alledem ist nicht neu; viele — darunter auch wir — haben sie seit langem immer wieder vorgetragen. Aber für diejenigen, die die ganzen Jahre über immer noch auf den beschäftigungspolitischen Erfolg keynesianischer oder angebotsorientierter Wachstumsstrategien gesetzt haben, ist jetzt doch eine neue Situation eingetreten. Die Bedingungen für wirtschaftliches Wachstum sind heute günstiger als jemals seit Beginn der siebziger Jahre, und die Wirtschaft der Bundesrepublik reagiert durchaus positiv auf diese günstigen Bedingungen. Aber gerade damit wird nun auch in der Praxis deutlich, worauf Modellanalysen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung schon lange hingewiesen haben: Keine realistisch vorstellbare Rate des wirtschaftlichen Wachstums wird ausreichen, die gegenwärtige Massenarbeitslosigkeit vor der Mitte des nächsten Jahrzehnts abzubauen
Damit also sollte in der politischen Diskussion endgültig jener Punkt erreicht sein, an dem der Streit über die bessere oder schlechtere Wachstumspolitik — so wichtig er im übrigen bleiben mag — nicht mehr als sinnvolle Auseinandersetzung über den richtigen Weg zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit ausgegeben werden kann. Für alle jene jedenfalls, die das Recht auf Arbeit politisch ernst nehmen und für die unfreiwillige Arbeitslosigkeit in einer reichen Gesellschaft ein moralisch unerträglicher Skandal bleibt, müssen sich spätestens jetzt die Wege zwischen Wachstumspolitik und Vollbeschäftigungspolitik trennen. Wenn das politische und moralische Ziel eines Arbeitsplatzes für jeden Arbeitswilligen in diesem Jahrzehnt überhaupt noch erreicht werden kann, dann nur durch beschäftigungspolitische Strategien, die sich von den Möglichkeiten der Wachstumspolitik bewußt abkoppeln und auf direkte Weise die Zahl der besetzbaren Arbeitsplätze erhöhen.
Grundsätzlich stehen einer Beschäftigungspolitik, die sich von den Möglichkeiten der Wirtschaftspolitik und damit vom erreichbaren Wirtschaftswachstum abkoppeln will, nur zwei Wege offen: 1. Sie kann eine Umverteilung des durch die jeweilige Wirtschaftsentwicklung bestimmten Arbeitszeitvolumens zwischen den derzeit Beschäftigten und den Arbeitslosen anstreben. 2. Sie kann zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten für die derzeit Arbeitslosen aus öffentlichen Mitteln finanzieren.
Mit den Vorschlägen, die wir in den beiden nachfolgenden Abschnitten entwickeln, wollen wirzeigen, daß beide Wege gangbar sind, daß beide nebeneinander beschritten werden müssen, wenn die Massenarbeitslosigkeit bis zum Ende dieses Jahrzehnts tatsächlich beseitigt werden soll, und daß die zusätzlichen Kosten einer solchen entschlossenen und praktikablen Vollbeschäftigungspolitik durchaus in engen und sowohl finanzwirtschaftlich als auch politisch vertretbaren Grenzen bleiben.
Die Kostenrechnungen, die wir im folgenden zu unseren Vorschlägen präsentieren, berücksichti7 gen die Tatsache, daß nicht nur eine aktive Beschäftigungspolitik, sondern*auch passiv hingenommene Arbeitslosigkeit die öffentlichen Haushalte belastet. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung hat die Massenarbeitslosigkeit allein im Jahr 1984 in den Haushalten von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern zu Ausgaben für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe und zu Einnahmeausfällen bei Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 54 Milliarden DM geführt; im Durchschnitt entstehen den öffentlichen Haushalten also „fiskalische Kosten der Arbeitslosigkeit“ von rund 24 000 DM je Arbeitslosen und Jahr. Eine wirksame Beschäftigungspolitik, die die Arbeitslosigkeit senkt, reduziert diese Kosten der Arbeitslosigkeit; sie nutzt damit diejenigen Mittel, die sonst zur Finanzierung der Arbeitslosigkeit eingesetzt würden, für deren Bekämpfung und finanziert sich auf diese Weise zumindest teilweise „selbst“. Die tatsächlichen, zusätzlichen öffentlichen Kosten einer aktiven Beschäftigungspolitik sind nur so hoch wie der Saldo aus den „Bruttokosten“ der Beschäftigungspolitik und den dadurch eingesparten Kosten der Arbeitslosigkeit. Er muß durch einen „Solidarbeitrag“ der Gesellschaft finanziert werden.
II. Zur Arbeitszeitverkürzung muß der Staat seinen Beitrag leisten
1. Verkehrte Fronten in der Arbeitszeitpolitik Die politische Diskussion über eine Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit mit dem Mittel der Arbeitszeitverkürzung wurde in der Bundesrepublik in den vergangenen Jahren mit verkehrten Fronten oder zumindest in einer schiefen Schlachtordnung geführt. Die Gewerkschaften, die nach ihrer grundsätzlichen Orientierung am wirtschaftspolitischen Keynesianismus der staatlichen Politik die Verantwortung für die Bewahrung und Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung zuschreiben mußten, unternahmen mit ihrer Kampagne zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit oder zur Vereinbarung von Vorruhestandsregelungen den Versuch, mit den Mitteln der tariflichen Arbeitszeitpolitik die herrschende Massenarbeitslosigkeit zu vermindern. Umgekehrt bekämpfte die Bundesregierung — die nach ihrer neoklassischen Wirtschaftstheorie von staatlichen Beschäftigungsprogrammen nichts hielt und statt dessen gerade die Verantwortung der Sozialpartner für die Beschäftigungsentwicklung hervorhob — jedenfalls den gewerkschaftlichen Versuch einer Umverteilung des Arbeitszeitvolumens durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit als „dumm und töricht“, während die Opposition sich im wesentlichen auf die moralische Unterstützung der gewerkschaftlichen Positionen beschränkte.
Wir gehen bei unserer eigenen Einschätzung der beschäftigungspolitischen Probleme von einer gesamtwirtschaftlichen Rollenverteilung aus, die die Verantwortung für die Bekämpfung von Massenarbeitslosigkeit in erster Linie der staatlichen Politik (und dabei insbesondere der Politik des Bundes) zuweist. Daran ändert es auch nichts, daß überhöhte Lohnabschlüsse durchaus einen Anstieg der Arbeitslosigkeit nach sich ziehen können — jedenfalls wenn eine restriktive Geldpolitik gleichzeitig die Überwälzung der höheren Lohn-kosten auf die Preise erschwert. Selbst dann aber dürfte nach unserer politisch-moralischen Über-zeugung der Staat sich nicht auf den bequemen Standpunkt einer „Reprivatisierung des Beschäftigungsrisikos“ zurückziehen, sondern bliebe politisch verantwortlich für das Schicksal der Opfer eines die wirtschaftliche Entwicklung schädigenden Verteilungskampfes zwischen den Sozialpartnern. Aber dies war ja nun keineswegs das Problem der späten siebziger und frühen achtziger Jahre in der Bundesrepublik. Seit 1975 sind die Lohnstückkosten bei uns fast in jedem Jahr langsamer gestiegen als in vergleichbaren Industrie-ländern
Allerdings war, wie oben dargelegt, die staatliche Wirtschaftspolitik unter den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen der frühen achtziger Jahre auch nicht in der Lage, mit ihren eigenen Mitteln die Massenarbeitslosigkeit zu vermindern oder auch nur ihren weiteren Anstieg zu verhindern. Der Staat hätte deshalb, so meinen wir, jeden An-* laß gehabt, nach neuen Mitteln zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit auch außerhalb des Kompetenzbereichs der konventionellen Wirtschaftspolitik zu suchen. Daß die Arbeitszeitpolitik potentiell zu diesen Mitteln gehört, ist analytisch wahr und kann überhaupt nicht bestritten werden. Umstritten war und ist dagegen das Verhältnis von positiven Beschäftigungseffekten und beschäftigungsschädlichen Nebeneffekten bei unterschiedlichen Modalitäten der Arbeitszeitverkürzung. Während die Gewerkschaften bei ihrer Kampagne für die Verkürzung der Wochenarbeitszeit allein die positiven Beschäftigungseffekte hervorhoben und die negativen Nebenwirkungen ignorierten, konzentrierte sich die Kritik der Arbeitgeber und der Bundesregierung ausschließlich auf diese. Die Bemühungen des Sachverständigenrats und einiger Wirtschaftsforschungsinstitute um eine ausgewogenere Betrachtungsweise
Nach unserer Einschätzung hätte man jedoch schon damals erkennen können, daß unter vernünftigen Bedingungen eine Arbeitszeitverkürzung in kleinen Schritten selbstverständlich positive Beschäftigungswirkungen haben mußte, daß aber eine so begrenzte Verkürzung der Arbeitszeit auch nicht ausreichen konnte, um die gewerkschaftlichen Hoffnungen einer spürbaren Verminderung der Massenarbeitslosigkeit zu erfüllen. Wir ziehen aus dieser Einsicht den Schluß, daß die Gewerkschaften sich selbst und die Handlungsspielräume der Tarifvertragsparteien überforderten, als sie unter dem Eindruck der beschäftigungspolitischen Tatenlosigkeit des Staates den Versuch unternahmen, die Massenarbeitslosigkeit allein mit tarifpolitischen Mitteln zu bekämpfen. Sie haben sich damit eine Verantwortung aufgebürdet, deren volle Last nur von der staatlichen Politik getragen werden kann.
Richtig war allerdings der Ansatz, die Arbeitszeitpolitik in das Instrumentarium einer auf Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit gerichteten Politik einzubeziehen. Und richtig war auch die Prämisse, daß Arbeitszeitpolitik in unserem institutioneilen Rahmen nur mit den Mitteln der Tarifvertragspolitik der Sozialpartner wirksam betrieben werden kann. Falsch war es jedoch, den Staat dabei aus seiner primären politischen Verantwortung für die Vollbeschäftigung zu entlassen. Dafür spricht nicht nur, wie bereits betont, unsere politisch-moralische Überzeugung von der unaufhebbaren staatlichen Verantwortung für die Vermeidung von unfreiwilliger Arbeitslosigkeit, sondern auch — was in der ganzen bisherigen Diskussion nicht genügend gewürdigt worden ist — die Tatsache, daß von einer Verminderung der Massenarbeitslosigkeit ja neben den Betroffenen selbst in erster Linie weder die Gewerkschaften noch die Arbeitgeber, sondern die öffentlichen Haushalte ihren Vorteil haben.
Wenn die fiskalischen Kosten der Arbeitslosigkeit heute die öffentlichen Haushalte mit etwa 54 Milliarden DM pro Jahr belasten und wenn jedes zusätzliche Beschäftigungsverhältnis die öffentlichen Haushalte finanziell entlastet, dann ist es politisch überhaupt nicht plausibel, daß der Staat ausschließlich als „free rider“ von den beschäftigungspolitischen Anstrengungen der Tarifvertragsparteien profitieren sollte. Unser nachfolgend entwickelter Vorschlag geht jedenfalls von der Prämisse aus, daß der ökonomisch begrenzte Handlungsspielraum einer beschäftigungspolitisch orientierten Arbeitszeitpolitik der Tarifvertragsparteien durch eine finanzielle Beteiligung des Staates wesentlich erweitert werden könnte und sollte.
Bei unserem Vorschlag konzentrieren wir uns auf die Verkürzung der tariflichen Wochenarbeitszeit. Wie wir an anderer Stelle dargelegt haben, halten wir die in Konkurrenz dazu diskutierte und praktizierte Verkürzung der Lebensarbeitszeit für beschäftigungspolitisch weniger wirksam und für gesellschaftspolitisch problematischer, während wir von der „Flexibilisierung“ von Dauer und Lage individueller Arbeitszeiten zwar eine Steigerung der Arbeitsproduktivität und — vielleicht — eine bessere Anpassung an die Arbeitszeit-wünsche von Arbeitnehmern erwarten, aber kaum positive Beschäftigungseffekte
Erfolgt die Verkürzung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich, so bleiben die Stundenlöhne konstant, die Brutto-Wochenlöhne oder Monats-löhne der bisher Beschäftigten vermindern sich jedoch proportional zur Arbeitszeitverkürzung — beim Übergang von der 40-Stunden-Woche zur 35-Stunden-Woche also um 12, 5%. Dementsprechend gehen auch die konsumierbaren Einkommen der bisher Beschäftigten und die von ihrem Einkommen erhobenen Steuern und Sozialabgaben zurück. Wenn man einmal die (unsicheren) Kompensationsmöglichkeiten durch privates Entsparen und öffentliche Kreditaufnahme außer acht läßt, vermindert sich dadurch also die private und öffentliche Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Zwar könnte der Nachfrageausfall teilweise wieder ausgeglichen werden, wenn die Arbeitgeber den (nach Ausschöpfung der Produktivitätsgewinne verbleibenden) Produktionsausfall durch Neueinstellungen kompensieren würden; aber gerade die Erwartung eines gesamtwirtschaftlichen Nachfrageausfalls wird sie dabei zögern lassen. Deshalb ist bei einer Arbeitszeit-verkürzung ohne Lohnausgleich mit einem nachfragebedingten Rückgang des Produktionsvolumens und damit auch mit einem über die Produktivitätsfortschritte noch hinausgehenden Rückgang des Arbeitsvolumens zu rechnen.
Wenn andererseits die Verkürzung der Wochen-arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich stattfindet, dann würden die Wochen-und Monatseinkommen der Beschäftigten und damit auch die Einnahmen der öffentlichen Hand aus Steuern und Sozialabgaben konstant bleiben. Die an Arbeitseinkommen geknüpfte private Nachfrage und die öffentlichen Einnahmen blieben dann zunächst ebenfalls unverändert und würden sich bei Zunahme der Beschäftigung erhöhen
Sowohl mit als auch ohne Lohnausgleich kann deshalb die Arbeitszeitverkürzung das durch den induzierten Produktivitätseffekt ohnehin schrumpfende Arbeitsvolumen noch weiter vermindern. Diese Zusammenhänge erklären auch, warum sowohl die um eine realistische Einschätzung bemühten Forschungsinstitute als auch der Sachverständigenrat in ihrer Diskussion der Beschäftigungswirkungen der 35-Stunden-Woche davon ausgingen, daß diese allenfalls in kleinen Schritten verwirklicht werden würde. Im Ergebnis entsprachen ja auch die Tarifabschlüsse von 1984 in der Metall-und Druckindustrie dieser Logik, wenn sie mit einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 1, 5 bis 2 Stunden innerhalb von zwei Jahren sogar noch einen Spielraum für Lohnerhöhungen offen hielten. So begrenzt kann die Arbeitszeitverkürzung in der Tat einkommens-und kostenneutral verwirklicht werden, nur ist mit einer solchen Strategie der kleinen Schritte keine spürbare Umverteilung des Arbeitsvolumens und damit kein Abbau der Massenarbeitslosigkeit zu erreichen.
Darin liegt gewiß kein Argument gegen den beschäftigungspolitischen Nutzen von begrenzten Schritten der Arbeitszeitverkürzung: Wenn die ohnehin zu erwartenden Produktivitätsfortschritte vorab durch eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit abgeschöpft werden, dann werden bei stagnierendem Wirtschaftswachstum wenigstens die vorhandenen Arbeitsplätze sicherer, während sie andernfalls durch Produktivitätsfortschritte gefährdet wären. Im Konjunkturaufschwung würde sich überdies jeder Prozentpunkt des realen Wirtschaftswachstums in zusätzlicher Beschäftigung niederschlagen, während andernfalls zunächst einmal mindestens 2, 5 % Wirtschaftswachstum notwendig wären, um auch nur den gegenwärtigen Beschäftigungsstand zu halten. Deshalb hat auch im Aufschwung des Jahres 1985 die Arbeitszeitverkürzung in der Metall-und in der Druckindustrie sichtbare Beschäftigungseffekte zur Folge gehabt, obwohl ihr Umfang den Produktivitätsanstieg nicht überschritt. Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung hat sich die tarifliche Verkürzung der Wochenarbeitszeit um 3, 75 % im Jahre 1985 auf etwa vier Millionen Arbeitsverhältnisse ausgewirkt und zu einem Anstieg der Beschäftigung um rund 80 000 geführt
Eine wesentliche Umverteilung von Beschäftigungschancen wäre also mit einer lediglich produktivitätsorientierten Arbeitszeitverkürzung nicht zu erreichen. Wenn die Arbeitslosigkeit rascher abgebaut werden soll, dann müßte die Arbeitszeitverkürzung über den durch die Summe von autonomen und induzierten Produktivitätsfortschritten definierten realen Verteilungsspielraum der Sozialpartner hinausgehen. Sie müßte in größeren Schritten durchgeführt werden und könnte nicht mehr zugleich einkommens-und kostenneutral bleiben. Dann aber könnte entweder durch die Verminderung der Realeinkommen der abhängig Beschäftigten oder durch die Erhöhung der realen Lohnstückkosten das gesamtwirtschaftliche Produktionsvolumen und dadurch auch das Arbeitszeitvolumen zusätzlich vermindert werden. Aus diesem Dilemma gibt es für die Sozial-partner allein keinen Ausweg. Nur die öffentliche Hand könnte den verfügbaren Verteilungsspielraum erweitern. 3. Wochenarbeitszeitverkürzung in großen Schritten durch Beteiligung der öffentlichen Hand Die Logik einer Beteiligung der öffentlichen Hand an der substantiellen Verkürzung der Wochenarbeitszeit ist die gleiche, die bei der Diskussion um die Vorruhestandsregelung wie selbstverständlich angewandt wurde. Wenn ein bisher Ar-beitsloser Beschäftigung findet, dann entfallen öffentliche Ausgaben für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe, und dann erhöhen sich die öffentlichen Einnahmen bei den Steuern und Sozialabgaben. Auch wenn man berücksichtigt, daß nicht alle registrierten Arbeitslosen öffentliche Unterstützung beziehen und daß nicht alle Neueinstellungen aus der registrierten Arbeitslosigkeit kommen, verbessert sich mit jedem zusätzlichen Vollzeitbeschäftigungsverhältnis die Lage der öffentlichen Kassen um etwa 21 000 DM pro Jahr
Die öffentliche Hand könnte flankierende Maßnahmen zur Begrenzung der drohenden Arbeitsvolumenverluste bei einer über den Produktivitätsfortschritt deutlich hinausgehenden Arbeitszeitverkürzung ergreifen. Es käme also darauf an, einerseits den bei Reallohnsenkung drohenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrageausfall und andererseits den bei Erhöhung der realen Lohnstückkosten drohenden Preisanstieg und den daraus resultierenden wahrscheinlichen Beschäftigungsrückgang zu vermeiden oder jedenfalls zu vermindern. Prinzipiell könnte dies sowohl durch die staatliche Subventionierung von Arbeitnehmereinkommen (bei Lohnverzicht) als auch durch Lohnkostensubventionen für Arbeitgeber (bei einer Erhöhung der Lohnstückkosten) erreicht werden. Praktikabler erscheint uns die zweite Möglichkeit. Sie setzt voraus, daß durch die Vereinbarung konstanter Reallöhne sowohl gesamtwirtschaftliche Nachfrageverluste als auch Mindereinnahmen der öffentlichen Kassen vermieden werden. Dann könnten die bei abnehmender Arbeitslosigkeit zu erwartenden Minderausgaben/Mehreinnahmen der öffentlichen Kassen in vollem Umfang als Lohnkostenzuschüsse für zusätzliche Beschäftigung an die Arbeitgeber weitergegeben werden. Durch die Subventionierung würde also für Arbeitgeber, die die Zahl 'ihrer Beschäftigten erhöhen, der Anstieg der Lohnstückkosten vermindert. Die kostenseitigen Beschäftigungsverluste, die andernfalls mit einer über den Produktivitätsfortschritt hinausgehenden Arbeitszeitverkürzung verbunden wären, ließen sich also durch Lohnkostenzuschüsse für zusätzliche Beschäftigung neutralisieren oder jedenfalls begrenzen.
Gegenüber anderen Formen einer Kostenbeteiligung des Staates hätte die Subventionierung zusätzlicher Beschäftigungsverhältnisse den Vorteil, daß öffentliche Mittel nur dann aufgewandt werden müssen, wenn ein Arbeitgeber die Zahl seiner Beschäftigten gegenüber einem Stichtag tatsächlich erhöht und damit einen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leistet. Damit würde es auch finanzwirtschaftlich sinnvoll, die staatlichen Aufwendungen gegen die finanzielle Entlastung der öffentlichen Haushalte zu verrechnen. Beschäftigungspolitisch ist die öffentliche Förderung kürzerer Wochenarbeitszeiten ohnehin vorteilhafter als die von der Bundesregierung bisher favorisierte Subventionierung von Vorruhestandsregelungen. Während dort die freiwerdenden Arbeitsplätze nur teilweise wieder besetzt werden und deshalb die Zahl der Beschäftigten zurückgeht, bliebe hier die Beschäftigtenzahl zunächst einmal konstant und würden Subventionen überhaupt nur in dem Maße fällig, wie die Zahl der Beschäftigten tatsächlich ansteigt. Für die öffentlichen Haushalte liegt deshalb in der Subventionierung zusätzlicher Beschäftigungsverhältnisse ein geringeres Risiko als in der Finanzierung von beendigten Beschäftigungsverhältnissen bei ungewisser Hoffnung auf Ersatzeinstellungen. Um die Tarifautonomie zu respektieren, müßte jede Regelung als ein bedingtes Angebot des Staates an die Tarifparteien ausgestaltet werden. In seinen Grundzügen könnte dieses Angebot auf einen Lohnkostenzuschuß in Höhe von etwa 50 % der durchschnittlichen Brutto-Lohnkosten (21 000 DM pro Jahr für einen Vollzeitbeschäftigten) für zusätzliche Einstellungen bis zur Höhe des rechnerischen Beschäftigungseffektes der Arbeitszeit-verkürzung in den Jahren, in denen die Arbeitszeit um mindestens zwei Stunden vermindert wird, hinauslaufen
Die Vereinbarung mindestens konstanter Wochen-bzw. Monats-Reallöhne ist eine notwendige Förderungsvoraussetzung, weil nur so auch bei Beschäftigungskonstanz die Einnahmen der öffentlichen Kassen sichergestellt werden können. Jedes zusätzliche Beschäftigungsverhältnis würde dann zu einer Verbesserung der Haushaltslage der öffentlichen Hände beitragen. Die Höhe des Lohnkostenzuschusses (ca. 21 000 DM pro Jahr) sollte sich möglichst präzise an dieser bei einer Erhöhung des gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungsvolumens zu erwartenden verbesserten Haushaltslage der öffentlichen Kassen orientieren, um nicht von vornherein den Einwand der Nichtfinanzierbarkeit zu provozieren. Allerdings sollen bei einer solchen Rechnung die Minderausgaben und Mehreinnahmen des Gesamtfiskus (also von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozial-versicherungen) berücksichtigt werden. Die technischen Schwierigkeiten des internen Finanzausgleichs zwischen den verschiedenen öffentlichen Kassen bleiben hier also unberücksichtigt
Eine marginale Lohnkostensubventionierung mit einem Festbetrag von etwa 50 % der durchschnittlichen Lohnkosten hätte gegenüber anderen Subventionsmodalitäten zwei wesentliche Vorteile: Sie wäre spürbar genug, um die betriebliche Entscheidung über Neueinstellungen tatsächlich zu beeinflussen (anstatt lediglich Mitnehmereffekte zu provozieren). Zugleich bedeutet die Förderung mit einem festen Betrag eine Begünstigung von Neueinstellungen in den unteren Tarifgruppen. Damit würde ein zusätzlicher Anreiz für die Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne berufliche Qualifikation geschaffen, die von der Arbeitslosigkeit überdurchschnittlich betroffen sind. Dies käme der Beschäftigungspolitik von Betrieben entgegen, die gegenwärtig ohnehin qualifizierte Positionen überwiegend durch internen Aufstieg besetzen und Neueinstellungen auf die Eingangspositionen beschränken
Einzelbetriebliche Förderungsvoraussetzung wäre die Erhöhung der Zahl der (Vollzeit-Äquivalente der) Beschäftigten gegenüber einem vor der Arbeitszeitverkürzung liegenden Stichtag. Dabei könnten allerdings erhebliche (und für die öffentlichen Kassen teure) Mitnahmeeffekte bei ohnehin überdurchschnittlich expandierenden Betrieben und ein schwer zu kontrollierender Subventionsmißbrauch eintreten, wenn etwa Beschäftigungsverhältnisse in einem Betrieb abgebaut und umgehend wieder in einem anderen Betrieb neu geschaffen würden. Deshalb schlagen wir vor, daß für jeden Betrieb das maximale Subventionsvolumen begrenzt wird durch den rechnerischen Beschäftigungseffekt der Arbeitszeitverkürzung bezogen auf den Beschäftigungsstand bei Inkrafttreten der Arbeitszeitverkürzung. Zusätzlich könnte die Subventionierung beschränkt werden aufjene zusätzlichen Einstellungen, die in Jahren mit einer Arbeitszeitverkürzung um mehr als zwei Wochenstunden erfolgen.
Freilich würde eine solche Begrenzung des Subventionsrahmens kleine Betriebe benachteiligen, wenn der rechnerische Beschäftigungseffekt für sie weniger als einen Vollzeitarbeitsplatz ausmacht. Deshalb wäre es zweckmäßig, bei der Berechnung des Subventionsrahmens den rechnerischen Beschäftigungseffekt jeweils zur nächsthöheren Zahl von Vollzeitarbeitsplätzen aufzurun-den. Hierin läge eine systematische (und struktur-politisch begrüßenswerte) Begünstigung der Beschäftigungsausweitung in kleineren Betrieben.
Die Rechtfertigung für die Begrenzung der Subventionierung auf zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse, die in den Jahren mit einer Arbeitszeit-verkürzung um mindestens zwei Wochenstunden begründet wurden, liegt auf der Hand: Kleinere Schritte der Arbeitszeitverkürzung können ja im Rahmen des normalen Produktivitätsfortschritts ohne Kostenmehrbelastung der Unternehmen aufgefangen werden. Schwieriger ist es, eine plausible Grenze für die Dauer der Subventionierung der förderungsfähigen Beschäftigungsverhältnisse festzulegen. Bei allzu kurzer Förderungsfrist verschwindet der Anreizeffekt für die Unternehmen; bei allzu langer Förderungsfrist verschwindet der Kausalzusammenhang zwischen der früher einmal erfolgten Arbeitszeitverkürzung und der Inanspruchnahme öffentlicher Mittel. Wünschenswert wäre jedenfalls eine Regelung, die für die Tarifparteien einen Anreiz zu einem möglichst großen „ersten Schritt“ der Arbeitszeitverkürzung schafft und frühzeitige Neueinstellungen der Betriebe begünstigt. Beides könnte erreicht werden, wenn die in Jahren gemessene Dauer der Förderung abhängig gemacht wird von der Zahl der Wochenstunden, um die die Arbeitszeit im ersten Jahr einer tariflichen Vereinbarung verkürzt wird. Selbstverständlich würde im Einzelfall der Anspruch auf Förderung wieder erlöschen, wenn die Zahl der Beschäftigten in einem Betrieb wieder unter das Niveau des Stichtags sinkt. 4. Illustration der Beschäftigungswirkungen Im folgenden wollen wir die Ergebnisse von Modellrechnungen zur Beschäftigungswirkung und zur Entwicklung der Lohnstückkosten bei drei Arbeitszeitvarianten vorstellen. Verglichen werden ein „Nullmodell", in dem die Arbeitszeit unverändert bleibt, ein „produktivitätsorientiertes Modell“, bei dem die Arbeitszeit in kleinen einstündigen Schritten reduziert wird („ 14-1 + 1 + 1 + 1“), und ein Subventionsmodell nach unserem Vorschlag, in dem einem größeren dreistündigen Schritt zwei weitere einstündige Schritte der Arbeitszeitverkürzung folgen werden („ 3+ 1 + 1“). Da die Beschäftigungsentwicklung auch wesentlich vom Wirtschaftswachstum abhängt, haben wir zwei unterschiedliche Raten des Wirtschaftswachstums angenommen (0 % und 3 % pro Jahr). Die Untergrenze der Lohnentwicklung ist dabei mit real konstanten Wochen-und Monatslöhnen angenommen worden.
In den Modellrechnungen haben wir einen Ausgangsbestand von 16 Millionen Vollzeitbeschäftigten im privaten Sektor zugrunde gelegt. Für die Berechnung der Beschäftigungseffekte sind wir in allen Varianten der Arbeitszeitverkürzung von der beschäftigungspolitisch pessimistischen Annahme einer 4 %igen Produktivitätssteigerung in jedem Jahr mit Arbeitszeitverkürzung ausgegangen, während wir für die Lohnstückkostenentwicklung nur im ersten Jahr der Arbeitszeit-verkürzung eine 4 %ige und sonst eine 2, 5 %ige Produktivitätssteigerung angenommen haben. Im „Nullmodell" ohne Arbeitszeitverkürzung sind wir sowohl bei der Beschäftigungs-als auch bei der Lohnstückkostenentwicklung von 2, 5 % Produktivitätszuwachs pro Jahr ausgegangen. Der Arbeitskräftebedarf wird in unseren Modellrechnungen ausschließlich durch die Wachstumsraten und die Produktivitätsentwicklung bestimmt. Die realen Lohnstückkosten werden bei der Unterstellung real konstanter Wochen-bzw. Monatslöhne bestimmt durch die Produktivitätsentwicklung, durch das Ausmaß der jährlichen Arbeitszeit-verkürzung und gegebenenfalls durch einen Lohnkostenzuschuß von 21 000 DM bei Mehr-beschäftigung. Diskrepanzen zwischen den Qualifikationsprofilen der Arbeitslosen und der neu geschaffenen Beschäftigung, die bei einer substantiellen Beschäftigungsausweitung auftreten könnten, sind nicht berücksichtigt; ihnen kann mit Fortbildungs-und Umschulungsmaßnahmen begegnet werden. Unberücksichtigt sind in den Modell-rechnungen auch die beschäftigungsfördernden Rückwirkungen einer steigenden Beschäftigten-zahl auf die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und damit auf das Wirtschaftswachstum sowie die möglichen beschäftigungsschädlichen Rückwirkungen (leicht) steigender Lohnstückkosten auf die Produktivitätsentwicklung und das Wirtschaftswachstum. Da die Beschäftigungswirkungen der hier vernachlässigten Sekundäreffekte gegenläufig wären, können die Ergebnisse unserer Modellrechnungen jedenfalls in der Tendenz die Auswirkung unterschiedlicher Arbeitszeitmodelle verdeutlichen.
Da im „produktivitätsorientierten Modell“ („ 1 + 1 + 1 + 1 + 1“) die Erhöhung der Stundenlöhne durch den Produktivitätsfortschritt ausgeglichen wird und deshalb die realen Lohnstückkosten gegenüber dem Ausgangsniveau nicht ansteiB gen, ist hier auch keine Subvention vorgesehen. Im „Subventionsmodell“ („ 3+ 1 + 1“) wird dagegen im ersten Jahr die Arbeitszeit um drei Stunden verkürzt, und bei konstanten Reallöhnen würden die Lohnstückkosten um 4 % ansteigen. Dem soll durch einen etwa 50%igen Lohnkostenzuschuß für zusätzliche der Arbeitszeitverkürzung zurechenbare Einstellungen begegnet werden. Aus den Modellrechnungen lassen sich die folgenden Tendenzaussagen ableiten:
Bei Nullwachstum des Bruttoinlandproduktes (vgl. Graphik) käme es ohne Arbeitszeitverkürzung innerhalb von fünf Jahren zu Beschäftigungsverlusten von fast zwei Millionen. Zu Beschäftigungsverlusten käme es gegen Ende der Fünfjahresperiode auch bei den Modellen mit Arbeitszeitverkürzung — allerdings lägen sie im fünften Jahr erheblich niedriger. Während jedoch bei der Arbeitszeitverkürzung in fünf Einjahresschritten die Beschäftigung kontinuierlich zurückginge, käme es bei der Arbeitszeitverkürzung mit einem größeren ersten Schritt zunächst sogar zu einem Anstieg des Arbeitskräftebedarfs und damit zu einer wenigstens vorübergehenden Entlastung des Arbeitsmarktes trotz fehlenden Wirtschaftswachstums. Auf Grund der durch die Arbeitszeit-verkürzung induzierten Produktivitätseffekte würde die Beschäftigung im Modell mit Einjahresschritten am Ende der Fünfjahresperiode geringer ausfallen.
Die Effekte werden noch deutlicher bei einem mittleren Wirtschaftswachstum von 3 % (vgl. Graphik). Hier stiege auch ohne Arbeitszeit-verkürzung die Beschäftigung langsam an und läge im fünften Jahr um etwa 400 000 über dem Ausgangsniveau. Im Vergleich dazu läge das Beschäftigungsniveau bei den Modellen mit Arbeitszeitverkürzung im fünften Jahr um mehr als eine Million höher. Während jedoch dieser Endstand im „produktivitätsorientierten Modell“ nur in verhältnismäßig kleinen Jahresschritten erreicht würde, ginge die Beschäftigung im „Subventions-modell“ zunächst steil in die Höhe und würde dann nach Erreichung der 35-Stunden-Woche im vierten und fünften Jahr abflachen.
Die potentiellen Beschäftigungseffekte werden selbst dann nicht durch die Steigerung der realen Lohnstückkosten in Frage gestellt, wenn man die in dieser Hinsicht ungünstigen Produktivitätsannahmen zugrunde legt. Bei der „produktivitätsorientierten“ Arbeitszeitverkürzung in Ein-Stunden-Schritten bleiben die Lohnstückkosten durchweg unter dem Ausgangsniveau. Im „Subventionsmodell" mit einem größeren ersten Schritt der Arbeitszeitverkürzung hängt dagegen die Entwicklung der Lohnstückkosten wesentlich von den unterstellten Wachstumsraten ab. Da bei höherem Wirtschaftswachstum der rechnerische Beschäftigungseffekt der Arbeitszeitverkürzung früher erreicht und deshalb das volle Subventionsvolumen realisiert wird, steigen hier die realen Lohnstückkosten nur sehr begrenzt an und erreichen ihr Maximum nach Auslauf der Subventionen im vierten Jahr mit einer Zunahme um rund 2 %. Danach sinken sie jedoch wieder auf das Ausgangsniveau ab, weil konstante Wochen-bzw.
Monatslöhne angenommen wurden, aber keine Arbeitszeitverkürzung mehr erfolgt. Bei Nullwachstum dagegen, bei dem die Betriebe insgesamt den Subventionsrahmen nicht völlig ausschöpfen könnten, käme es schon mit Einführung der Arbeitszeitverkürzung zu einem Anstieg der realen Lohnstückkosten um etwa 2 %. Er erscheint so begrenzt, daß davon alleine keine wesentlichen Beschäftigungsverluste zu erwarten wären.
Die Modellrechnung hat also gezeigt, daß durch die staatliche Subventionierung eines größeren ersten Schrittes der Arbeitszeitverkürzung selbst bei Nullwachstum die Beschäftigungsentwicklung der kommenden Jahre spürbar verbessert werden könnte. Wenn aber wenigstens ein geringes Wirtschaftswachstum zustande käme, so bietet die subventionierte Verkürzung der Wochenarbeitszeit die andernfalls bis zum Ende des Jahrzehnts unerreichbare Chance, die Massenarbeitslosigkeit ganz erheblich zu vermindern. Diese Chance eröffnet sich allerdings nur dann, wenn der Verteilungsspielraum der Sozialpartner durch eine finanzielle Beteiligung des Staates an den Kosten der Arbeitszeitverkürzung erweitert wird.
III. Ein „Zweiter Arbeitsmarkt“ für längerfristig Arbeitslose ist realisierbar und finanzierbar
1. Langfristarbeitslosigkeit und Nachholbedarf bei öffentlichen Dienstleistungen Auch bei finanzieller Beteiligung des Staates und mäßigem Wirtschaftswachstum wird die geschilderte Strategie der Arbeitszeitverkürzung nicht ausreichen, um die Massenarbeitslosigkeit ganz zu beseitigen. Sie wird vor allem jene Arbeitslosen kaum erreichen, die schon lange ohne Beschäftigung sind und die mit zunehmender Dauer ihrer Arbeitslosigkeit ihre berufliche Qualifikation, ihre Arbeitsmotivation und schließlich auch ihre Arbeitsfähigkeit verlieren. Nach allen bisherigen Erfahrungen haben diese längerfristig Arbeitslosen auch bei einer raschen Zunahme der Arbeitsplätze nur geringe Chancen, schnell wieder eine Beschäftigung zu finden
Im September 1985 waren im Bundesgebiet von den registrierten 2, 15 Millionen Arbeitslosen rund 665 000 schon mindestens ein Jahr ohne Beschäftigung. Fast ein Drittel aller Arbeitslosen (31 %) gehört also inzwischen — der üblichen Definition gemäß — zur Gruppe der längerfristig Arbeitslosen, die in den letzten Jahren gewaltig angewach-sen ist und deren Umfang auch bei gleichbleibenden Arbeitslosenzahlen immer weiter zunimmt (1982 lag ihr Anteil an der Gesamtzahl der Arbeitslosen noch bei 18%, 1983 stieg er auf 25% und 1984 auf 29 %)
Für eine solche Expansion öffentlich fi
Für eine solche Expansion öffentlich finanzierter Arbeitsplätze sprechen nicht nur beschäftigungspolitische Gründe, denn in unserer Gesellschaft ist ja auch unabhängig von der Arbeitsmarkt-situation ein ungedeckter Bedarf an zusätzlichen öffentlichen und gemeinnützigen Arbeiten und Dienstleistungen erkennbar. Zu ihnen gehören Aufgaben des Umweltschutzes (z. B. Sanierung von Deponiealtlasten, Revitalisierung von Industriebrachen, Wärmedämmung von Gebäuden) ebenso wie soziale Dienstleistungen (z. B. ambulante Pflege und Betreuung für Alte und Kranke, Beratungsdienste, Erweiterung von Kindergartenplätzen und Weiterbildungsangeboten, Öffnung von Freizeiteinrichtungen und Sportstätten zu attraktiven Zeiten). Vor allem im internationalen Vergleich wird der erhebliche Rückstand der Bundesrepublik in der Versorgung mit öffentlichen (insbesondere sozialen) Dienstleistungen deutlich 28). Mit ihren niedrigen Beschäftigtenzahlen des öffentlichen Dienstleistungssektors bildet sie fast das Schlußlicht unter den westlichen Industriestaaten und liegt dabei weit hinter Ländern wie Schweden, Norwegen, Österreich und auch den Vereinigten Staaten, die ihre beschäftigungspolitischen Erfolge zu einem beträchtlichen Teil durch die Ausweitung der öffentlich finanzierten Arbeitsplätze im Bildungs-und Gesundheitswesen und in den sozialen Diensten erreicht haben. Hier besteht also durchaus ein Nachholbedarf.
Die Befriedigung dieses Nachholbedarfs stößt in der Bundesrepublik allerdings auf ein institutionelles Hindernis, das vermutlich auch den geschilderten Entwicklungsrückstand im Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen zu einem erheblichen Teil erklärt: Nach unserer Verfassungsordnung liegt die Zuständigkeit für die öffentlichen Dienstleistungen in den Bereichen Bildung, Kultur, Soziales und Gesundheit und für ihre Finanzierung nicht beim Bund, sondern fast ausschließlich bei den Bundesländern und bei den Gemeinden. Diese beiden Ebenen unseres Regierungssystems verfügen jedoch praktisch über keinerlei finanzielle Spielräume zur eigenmächtigen Erweiterung ihrer öffentlichen Dienstleistungen, da sie in ihrer Finanzausstattung nahezu vollständig vom Bundesgesetzgeber abhängig sind. Der Bund bestimmt nicht nur das Steueraufkommen der Bundesländer, sondern auch weitgehend das der Gemeinden, die zudem nur geringe Möglichkeiten zur Erhöhung ihrer Einnahmen aus anderen Quellen (Gebühren, Krediten) besitzen 29).
Unter diesen Bedingungen ist weder von den Ländern noch von den Gemeinden eine Offensive zur Ausweitung der öffentlichen Dienstleistungen zu erwarten. Dies gilt erst recht, wenn die Dienstleistungsexpansion nicht nur sozial-und umweltpolitische, sondern auch beschäftigungspolitische Ziele verfolgen soll, denn die politische Verantwortung für die Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung wird von Ländern und Gemeinden zu Recht dem Bund zugewiesen, der die überwiegende finanzielle Last der Arbeitslosigkeit zu tragen hat und der deshalb von einem Abbau der Arbeitslosigkeit auch am ehesten finanziell profitiert. Mit spürbaren beschäftigungspolitischen Initiativen von Ländern und Gemeinden ist nur dann zu rechnen, wenn eine grundlegende Änderung der Finanzverfassung diesen beiden Ebenen zusätzliche einnahmepolitische Spielräume und größere finanzwirtschaftliche Eigenständigkeit verschafft. Eine solche Reform der Finanzverfassung erscheint uns notwendig
Nur mit einer massiven Ausweitung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Sinne eines „temporären Ersatzarbeitsmarkts“ (oder „Zweiten Arbeitsmarkts“) können also zusätzliche öffentlich finanzierte Arbeitsplätze gerade für die Gruppe der längerfristig Arbeitslosen geschaffen werden
— Jedem Arbeitslosen, der seit mindestens einem Jahr arbeitslos ist, wird für einen mittelfristigen Zeitraum eine Beschäftigung in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme angeboten.
— Die ABM-Beschäftigten werden von den Maßnahmeträgem (Kommunen, Ländern, „freien“ Trägern) nach Tarif bzw. nach dem ortsüblichen Vergleichslohn bezahlt. Für sie gilt in der Regel die normale Wochenarbeitszeit; Teilzeitbeschäftigungen kommen vor allem in den höheren Vergütungsgruppen in Frage und sind auch sonst auf Wunsch des Arbeitnehmers möglich. Die Beschäftigung in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen enthält Elemente der beruflichen Qualifizierung und Weiterqualifizierung.
— Die Maßnahmeträger erhalten von der Bundesanstalt für Arbeit einen Zuschuß in Höhe von 100% des Arbeitsentgelts (einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung) für jeden ABM-Beschäftigten. Der Bundesanstalt für Arbeit werden die entstehenden Zusatzaufwendungen aus dem Bundeshaushalt erstattet.
Wenn alle längerfristig Arbeitslosen die skizzierte Beschäftigungsgarantie in Anspruch nehmen, muß das Programm (nach dem Stand von 1985) rund 665 000 Arbeitsplätze in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bereitstellen
Diese Abweichung ist vor allem aufzwei Faktoren zurückzuführen: Im Gegensatz zu unserer Rechnung unterstellt die Schätzung des IAB, daß die-Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nicht nur zur Beschäftigung der in ihnen geförderten Arbeitnehmer führt, sondern auch zur Einstellung von zusätzlichen „Stammarbeitskräften“ und zu Vorleistungs-und Einkommensmultiplikatoreffekten, die die öffentlichen Haushalte weiter entlasten. Diese Annahmen sind in unserem Kontext unwahrscheinlich, denn von den Maßnahme-trägem kann nicht erwartet werden, daß sie ihr Stammpersonal und ihre Sachaufwendungen (die zu Vorleistungseffekten führen) analog zur enormen Ausweitung der ABM-Beschäftigtenzahl erhöhen; Einkommensmultiplikatoreffekte sind unsicher, da sie sehr stark vom Finanzierungsmodus des Programms abhängen (s. u. IV.). Außerdem geht die Rechnung des IAB davon aus, daß fast alle in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eingestellten Arbeitslosen vor ihrer Einstellung Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen haben und bei fortdauernder Arbeitslosigkeit weiter bezogen hätten
Die „Bruttokosten" unseres Programms — also jene Belastungen, die den öffentlichen Haushalten entstehen, wenn man die programmbedingten Haushaltsentlastungen an anderer Stelle nicht berücksichtigt — sind leicht zu berechnen: Im Jahr 1985 hat das Arbeitsentgelt eines ABM-Beschäftigten einschließlich der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung bei voller Arbeitszeit im Durchschnitt rund 36 000 DM betragen
Da das vorgeschlagene Programm direkt zu mehr Beschäftigung und zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit führt, stehen den „Bruttokosten“ Einsparungen und Mehreinnahmen in den öffentlichen Haushalten gegenüber, die sich aus der Senkung der Arbeitslosigkeit ergeben. Diese programmbe- dingten Entlastungen der öffentlichen Haushalte lassen sich wie folgt quantifizieren
Insgesamt addieren sich die aufgeführten Einsparungen und Mehreinnahmen, die sich aus der Realisierung des Arbeitsbeschaffungsprogramms für die öffentlichen Haushalte ergeben, zu einer Summe von 15, 1 Milliarden DMje Jahr. 63 % der „Bruttokosten“ des entworfenen Programms von 23, 9 Milliarden DM fließen also in Form von programmbedingten Haushaltsentlastungen in die öffentlichen Kassen zurück. Die vorgeschlagene Beschäftigungsgarantie für alle längerfristig Arbeitslosen, die unter realisierbaren Bedingungen zu über 600 000 zusätzlichen Arbeitsverhältnissen führt, finanziert sich zu fast zwei Dritteln „selbst“. Ihr tatsächlicher finanzieller Mehraufwand für die öffentliche Hand („Nettokosten“) beträgt nach dieser Rechnung — die, wie gesagt, auf skeptischen und vorsichtigen Annahmen beruht — knapp 9 Milliarden DM im Jahr (ca. 13 200 DM je Teilnehmer).
IV. Fazit
In der von uns vorgeschlagenen Kombination aus einer staatlichen Beteiligung an der Arbeitszeitverkürzung und einer massiven Ausweitung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen liegt — wie wir zu zeigen versucht haben — eine realistische (und zugleich die einzige) Chance zur Beseitigung (der Massenarbeitslosigkeit bis zum Ende dieses Jahrzehnts. Mit der skizzierten staatlichen Subventionierung einer Arbeitszeitverkürzung „in großen Schritten“ kann selbst bei mäßigem Wirtschaftswachstum ein Zuwachs der Beschäftigten-zahl erreicht werden, der deutlich über einer Million liegt. Der mit der Ausweitung der Arbeitsbebeschaffungsmaßnahmen geschaffene „temporäre Ersatzarbeitsmarkt“ kann daneben mehr als 600 000 längerfristig Arbeitslose aufnehmen.
Die zusätzlichen Kosten, die der öffentlichen Hand durch die Realisierung unserer Vorschläge entstehen, halten sich in engen Grenzen: Die Subventionierung des Beschäftigungszuwachses bei Arbeitszeitverkürzung ist nach dem von uns entworfenen Modell für die öffentlichen Kassen praktisch kostenneutral, da dem Subventionsbetrag eine Senkung der Haushaltsbelastungen durch Arbeitslosigkeit in gleicher Höhe gegenübersteht. Die Beschäftigungsgarantie für längerfristige Arbeitslose im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen führt bei vollständiger Inanspruchnahme zu zusätzlichen Haushaltsbelastungen von knapp 9 Milliarden DM im Jahr
Der drastische Abbau der Massenarbeitslosigkeit kann also insgesamt mit einem Zusatzaufwand der öffentlichen Hand erreicht werden, der nur rund 1, 5 % des öffentlichen Gesamthaushalts ausmacht
Zur Finanzierung dieses Zusatzaufwands kommt in erster Linie ein „Solidarbeitrag“ aller Einkommensbezieher in Form eines geringen Zuschlags zur Einkommen-und Körperschaftsteuer in Frage. Der Bund, der nach unseren Vorschlägen die Zusatzkosten einer aktiven Beschäftigungspolitik zu tragen hat, verfügt mit der im Grundgesetz vorgesehenen „Ergänzungsabgabe zur Einkommen-und Körperschaftsteuer“ über ein Instrument, durch das er für seinen Haushalt (ohne Zustimmung des Bundesrats) einen solchen Zuschlag erheben kann