I. Zur Problematik
Hätte man nach der politischen Publizistik im Westen zu urteilen, könnte man zu dem Schluß gelangen, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sei im wesentlichen eine Großveranstaltung zur Förderung der Menschenrechte in den 35 Teilnehmerstaaten. Daß diese verbreitete Gleichsetzung alles andere denn selbstverständlich, ja eigentlich erstaunlich und erst das Resultat gewisser Entwicklungen im Ost-West-Verhältnis nach der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki August 1975) gewesen ist, hat die öffentliche Meinung leider weithin verdrängt.
So mag es vielen durchaus gerechtfertigt erscheinen, wenn hier und da aus Enttäuschung über die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in den sozialistischen Staaten der Ruf ertönt, die KSZE zu , kündigen 1, da sie jegliche Glaubwürdigkeit verloren habe und ein ebenso nutzloses wie teures Unternehmen geworden sei. Vor solchen Stimmen kann man nur warnen. Sie verraten ein tiefes Unverständnis für das politische Konzept der KSZE und verkennen die Bedeutung, die der Menschenrechtsauseinandersetzung zwischen West und Ost in diesem Rahmen zukommt, sowie die Grenzen, die einer Menschenrechtspolitik auf der Ebene der KSZE gezogen sind. Solchen und anderen Fehlschlüssen mitsamt der in ihnen lauernden Gefahr politischer Enttäuschung und resignativer Ohnmachtsgefühle kann man nur entgehen, wenn man sich auf die ratio essendi der KSZE besinnt und davon ausgehend nach dem möglichen Sinn, der Konzeption und den Grenzen einer KSZE-Menschenrechtspolitik fragt.
Die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat in ihrer langen Vorgeschichte als Projekt erhebliche Wandlungen erfahren. Im Ergebnis läßt sie sich als der groß angelegte Versuch der europäischen und nordamerikanischen Staaten bezeichnen, über den unaufhebbaren Gegensatz der Systeme hinweg Felder gemeinsamen Interesses zu definieren, insbesondere in den Bereichen der militärischen Sicherheit, der Wirtschaft, der Kultur sowie beim grenzüberschreitenden Austausch von Menschen, Informationen und Meinungen, zum wechselseitigen Vorteil so weit wie möglich zusammenzuarbeiten und das Verhalten zueinander an bestimmte, vom Völkerrecht anerkannte oder wenigstens mit ihm zu vereinbarende Grundsätze zu binden 1).
Das Ziel der gemeinsamen Anstrengungen sollte sein, so die Präambel zu , Korb I‘ der Schlußakte von Helsinki, „Bedingungen zu gewährleisten, unter denen ihre Völker in echtem und dauerhaftem Frieden, frei von jeglicher Bedrohung oder Beeinträchtigung ihrer Sicherheit leben können“. Anders gesagt: Der Frieden in Europa und darüber hinaus in der ganzen Welt sollte durch eine möglichst breite Entfaltung der Kooperation sowie durch die daraus resultierende Verstärkung und Erweiterung der Interdependenzen, Interessenverknüpfungen und Netzwerkbildungen zwischen West und Ost sicherer als bis dahin werden. Man erhoffte ein Mehr an Vertrauen zwischen den Blöcken bzw.den allmählichen Abbau des machtpolitischen Mißtrauens als einer der Hauptursachen des Wettrüstens.
Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, daß die KSZE keinem Teilnehmerstaat zumuten konnte, sein politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches System zu ändern. Die KSZE war ein durch und durch praxisorientierter politischer Kompromiß.
Freilich setzten Ost und West dabei sehr verschiedene Akzente. Während der Westen von einem dynamischen Ansatz aus besonderen Wert auf das Anerkenntnis legte, daß mehr Freizügigkeit für nicht in staatlicher Funktion stehende Menschen, für Ideen und Informationen ein selbständiger Faktor innerhalb des Entspannungsprozesses sein müsse, wies die sowjetische Verhandlungsposition eher statischen Charakter auf: Sie zielte primär auf eine Anerkennung des territorialen Status quo in Europa, auf eine Bestätigung der »Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges*.
Die Kompromißstruktur der KSZE läßt sich anhand der berühmten drei , Körbe* stark vereinfacht auf die folgende Formel bringen: — , Korb III* über die „Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen“ war Gegenstand vor allem westlichen Interesses. — An der Kooperation in Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, also an , Korb II*, war vorwiegend der Osten interessiert.
— Korb 111 schließlich, der Probleme der militärischen Sicherheit, insbesondere die sogenannten vertrauensbildenden Maßnahmen betrifft und den Verhaltenskodex der zehn Prinzipien (, Dekalog*) enthält, wird in wohlausgewogener Weise den Interessen beider Seiten gerecht.
II. Die Stellung des Menschenrechtsprinzips in der Schlußakte
Zu der Ausgewogenheit des Prinzipienkatalogs trägt das unter der umständlichen Überschrift „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, einschließlich der Gedanken-, Gewissens-, Religions-und Überzeugungsfreiheit“ stehende (Menschenrechts-) Prinzip VII in besonderer Weise bei. Das geht bereits aus seiner Entstehungsgeschichte hervor In der sieben Prinzipien umfassenden Friendly-Relations-Declaration vom 24. Oktober 1970 nahmen nämlich weder die vom Osten betonte (statische) Unverletzlichkeit der Grenzen noch die vom Westen geforderte (dynamische) Menschenrechtsverwirklichung einen herausgehobenen Platz ein. Ihre förmliche Anhebung in den Rang selbständiger Prinzipien war das Ergebnis eines Tauschgeschäftes. 1. Die Menschenrechtsproblematik während der KSZE-Verhandlungen Die UdSSR und ihre Verbündeten mögen diesen Schritt vielleicht schon bald darauf für einen Fehler gehalten und bereut haben; während der entscheidenden KSZE-Verhandlungen 1973 jedoch war ihre Haltung gegenüber einer internationalen Behandlung der Menschenrechte noch keineswegs so ablehnend. Damals waren die sozialistischen Staaten auf diesem Felde sogar eher in der Offensive. Denn während zu jener Zeit viele und auch bedeutende westliche Staaten, z. B. Frankreich und die USA, die beiden UN-Menschenrechtspakte vom 16. Dezember 1966 noch nicht einmal unterschrieben, geschweige denn ratifiziert hatten, hatte sich die UdSSR dazu bereits 1968 bzw. eben gerade 1973, gefolgt von ihren Verbündeten, entschlossen und trug so — ironischerweise — ganz wesentlich dazu bei, daß diese bedeutendste völkerrechtliche Kodifikation der Menschenrechte schon 1976, also unmittelbar nach der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki (1. August 1975), in Kraft treten konnte.
Ein ehrlicher politischer Wille, diese Verpflichtungen auch zu erfüllen, stand allerdings nicht dahinter. Offenkundig glaubten sich die sozialistischen Staaten gegenüber möglichen Menschenrechtsanmahnungen von Seiten ihrer Vertragspartner durch Hinweise auf das völkerrechtliche Verbot der Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten, durch die wesentlichen Menschenrechtsbestimmungen beigefügten Vorbehaltsklauseln des , ordre public* bzw.der nationalen Sicherheit* und wohl auch durch ihre Strategie der Neutralisierung des Freiheitsgehaltes der Menschenrechte im Wege ihrer marxistisch-leninistischen Umdeutung genügend abgesichert. Die östliche Kompromißbereitschaft erscheint rückblickend um so bemerkenswerter, als die sich gerade 1972/73 stark entfaltende und ihrem ersten Höhepunkt entgegengehende sowjetische Bürgerrechtsbewegung geeignet war, erhebliche Besorgnisse auszulösen, indem ihre Wortführer Alexander Solschenizyn, Nobelpreisträger von 1970, Andrej Sacharow und Roy Medwedjew ihrer freiheitsverpflichteten Systemkritik inzwischen weltweit Gehör verschaffen konnten. Schon damals, während der KSZE-Verhandlungen — und es ist nützlich, sich darauf gerade heute zu besinnen —, fand die vor allem von sowjetischen Bürgerrechtlern erhobene Forderung starke Resonanz in der westlichen Öffentlichkeit, mehr Toleranz der kommunistisch regierten Staaten im Umgang mit ihren Oppositionellen zum Maßstab, zur Bedingung westlichen Entgegenkommens im Entspannungsprozeß zu machen. Die Wirkungen zeigten sich besonders in den USA, wo Sacharows Brief an den Kongreß (14. September 1973) erheblich dazu beitrug, daß das nachmals berühmte Jackson/Vanik-Amendment zum Trade Act (mehr Ausreisegenehmigungen für sowjetische Juden gegen Handelsvorteile der UdSSR) erfolgreich das Repräsentantenhaus passieren konnte und sich 1973/74 ein Umschwung in der öffentlichen Meinung zugunsten einer idealistischeren bzw. menschen-rechtlich orientierten Außenpolitik vollzog. Noch vor der Annahme der Schlußakte von Helsinki entwickelte sich damit jener Streit um die Novellierung des Handelsgesetzes zu einem Lehrstück in der Frage, wie menschenrechtliche Verbesserungen mit ökonomischen Mitteln zu erreichen seien: Während Henry Kissinger den (innen-) politischen Druck des Amendments in geradezu klassischer Weise erfolgreich gegenüber der sowjetischen Führung dazu benutzte, eine liberalere Genehmigungspraxis bei Ausreiseanträgen sowjetischer Juden zu erwirken, überschritt die von Jackson und Vänik durchgesetzte förmliche Verankerung des Junktims zwischen der Einräumung der Meistbegünstigung im Handel und der Liberalisierung der Ausreise im Handelsgesetz (3. Januar 1975) das dem Prestige der UdSSR zuzumutende Maß und bewirkte gerade das Gegenteil: die Kündigung des sowjetisch-amerikanischen Handelsabkommens von 1972 und die Drosselung des Emigrationsstromes.
Die KSZE hat also, wie die zur gleichen Zeit auch in der Bundesrepublik Deutschland geführte politische Auseinandersetzung zeigt von Anfang an mit der Forderung einer entschiedenen Menschenrechtspolitik, speziell gegenüber der UdSSR, leben müssen. Ein bestimmender Einfluß auf die Regierungen blieb dem Begehren jedoch einstweilen versagt, weil die „praktische Philosophie'der Entspannung noch völlig unerschüttert war, nämlich Felder politischer Interessen Übereinstimmung zwischen Ost und West zu erschließen. Aber: Das mit den Menschenrechten gestellte Problem war nicht zu übersehen und mit deren Aufnahme in den Prinzipienkatalog potentiell in die KSZE einbezogen. 2. Menschenrechte und staatliche Souveränität Das Menschenrechtsprinzip bildet ein wesentliches Korrektiv zu dem an erster Stelle stehenden, vor allem von östlicher Seite mit äußerstem Nachdruck betonten Souveränitätsprinzip. Das gilt als erstes für die innere Souveränität, die von der Schlußakte ganz im sowjetischen Sinne definiert wird, nämlich: 1. durch das „Recht jedes Teilnehmerstaates..., sein politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles System frei zu wählen und zu entwikkeln“, sowie 2. durch das „Recht, seine Gesetze und Verordnungen zu bestimmen“.
Bereits hier wäre eine ausdrückliche Einschränkung zugunsten der völkerrechtlich verbrieften Menschenrechte wünschenswert gewesen, um von vornherein das mögliche Mißverständnis einer völligen Beliebigkeit der nationalen Staats-und Rechtsordnung auszuschließen. Die Lücke ist jedoch unschädlich, da das Prinzip X. („Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen nach Treu und Glauben“) erstens den Zusatz enthält, daß die Signatarstaaten „bei der Ausübung...des Rechts, ihre Gesetze und Verordnungen zu bestimmen,... ihren rechtlichen Verpflichtungen aus dem Völkerrecht entsprechen“ (werden), und zweitens klarstellt, daß innerhalb des Dekalogs jedes Prinzip „unter Beachtung der anderen ausgelegt wird“, mit der unabweisbaren Folge, daß die innere Souveränität des Staates ihre Grenze an den Menschenrechten findet.
Das Menschenrechtsprinzip beschränkt grundsätzlich aber auch die äußere Souveränität, denn es setzt sich gegenüber dem (sechsten) Prinzip der „Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ insoweit durch, wie seine Geltungskraft reicht.
Das Verhältnis beider Prinzipien ist nicht zuletzt wegen des namentlich von der UdSSR mit äußerster Entschiedenheit eingenommenen Stand-punktes, jede Kritik an ihrer Praxis auf dem Gebiete der Menschenrechte als unzulässige Einmischung in ihre Staatsgeschäfte zurückzuweisen, im vergangenen Jahrzehnt des öfteren untersucht worden, mit dem Ergebnis, daß man heute im Westen nahezu einhellig von einem Vorrang des Menschenrechtsprinzips ausgeht. Zugleich verstärkt sich der Eindruck, daß die sozialistischen Staaten hinter einem verbalen Rekurs auf das Prinzip der Nichteinmischung diese Position praktisch übernehmen. Das ist wohl einer der wichtigsten langfristigen Erfolge der west-östlichen Menschenrechtsauseinandersetzung im bisherigen KSZE-Prozeß.
Die meist schlagwortartige Erörterung des Problems in der Öffentlichkeit verdeckt, daß es sich hierbei gerade aus der Sicht der KSZE-Schlußakte um ein kompliziertes Problem handelt, bei dessen theoretischer Erfassung die juristische und die politische Seite im Ansatz sorgfältig voneinander unterschieden werden müssen Denn erst wenn das geschieht, wird der Blick frei für die strategische Dimension einer KSZE-Menschenrechtspolitik. Der Vorrang des Menschenrechts-prinzips vor dem Nichteinmischungsprinzip kann sich nämlich nicht schon (allein) daraus ergeben, daß die Schlußakte den Menschenrechten einen derartigen Rang zugewiesen und die von ihnen umschriebenen materialen Gestaltungsvorhaben innerstaatlicher Verhältnisse zu Lasten der domaine reserve nationale internationalisiert hat. Denn die Schlußakte ist lediglich eine nichtrechtliche Vereinbarung oder, positiv ausgedrückt, ein politisches Programmwerk, während der Grundsatz der (staatlichen) Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates seit langem Geltung im Völkerrecht besitzt und infolgedessen von dem KSZE-Menschenrechtsprinzip als solchem (juristisch) noch nicht verdrängt werden kann.
Ebenso wie das Nichteinmischungsprinzip werden aber inzwischen auf der Ebene des universellen (und nicht nur partikulären oder regionalen) Völkerrechts die Menschenrechte grundsätzlich als rechtsverbindlich anerkannt, allerdings nur in dem äußerst engen Rahmen des sogenannten Mindeststandards individueller Rechtsgüter, zu denen Leben, Gesundheit, Bewegungsfreiheit und rechtliches Gehör gerechnet werden. Dieser Standard ist im Detail freilich so unklar und elementar, daß von ihm jene Menschenrechtsprobleme, die heute in der internationalen und insbesondere west-östlichen Menschenrechtsauseinandersetzung die zentrale Rolle spielen (politische Freiheitsrechte, habeas Corpus usw.), in aller Regel gar nicht berührt werden. Deswegen kommt der in Prinzip VII (Absatz 8 Satz 2) enthaltenen Verweisung auf die „internationalen Konventionen über die Menschenrechte“ zentrale Bedeutung zu, denn die wichtigsten von ihnen, die schon erwähnten Menschenrechtspakte vom 16. Dezember 1966, sind von den sozialistischen Staaten (mit Ausnahme Albaniens) ratifiziert worden und stellen daher eine in Ost und (inzwischen weithin auch in) West übereinstimmend anerkannte Menschenrechtskodifikation dar, welche die Partner dazu berechtigt, auf den KSZE-Folgetreffen, wie geschehen, Menschenrechtsverletzungen kritisch zur Sprache zu bringen und sich kraft dieser einvernehmlichen Internationalisierung der Materie über den (östlichen)
Einwand der unerlaubten Intervention hinwegzusetzen. 3. Die UN-Menschenrechtspakte von 1966 — ein tauglicher Maßstab west-östlicher Menschenrechtskritik
Die formelle Überwindung der Hürde des Interventionsverbotes führt freilich auch in der Sache nur dann wirklich weiter, wenn die Bestimmungen der Menschenrechtspakte so eindeutig sind, daß sie einen kritischen Maßstab gegenüber der Staatspraxis auf dem Gebiete der Menschenrechte abgeben können. Daß es hierbei zugleich um einen entscheidenden Punkt geht, nämlich um die intersystemare Objektivität des Maßstabes westlicher Kritik an östlichen Menschenrechtsverletzungen, ist in der bisherigen publizistischen Behandlung der Problematik viel zu wenig beachtet worden. Anstatt nämlich in der methodologisch gebotenen Weise zunächst bei den Texten der UN-Menschenrechtskonventionen anzusetzen, nach der in ihnen (objektiv) zum Ausdruck gekommenen Menschenrechtskonzeption zu fragen und so die einzelnen Vorschriften zu interpretieren, ist es leider weithin üblich, von der Unterschiedlichkeit des Menschenrechtsverständnisses in Ost und West auszugehen, und die als , sozial" apostrophierte »sozialistische und die als , liberal apostrophierte „bürgerliche’ Menschenrechtskonzeption als gleichermaßen legitime Interpretationsansätze der internationalen Menschenrechtsdokumente hinzustellen, ohne diese Behauptung anhand jener Texte selbstkritisch zu überprüfen.
Dieses unsachgemäße Vorgehen führt zwangsläufig dazu, die Menschenrechtskonventionen für bloße Formelkompromisse zu halten, für leere Worthülsen, die dann jede Seite legitimerweise nahezu beliebig mit ihrer jeweiligen Ideologie fülen kann. Im Ergebnis läuft das auf eine völlige Relativierung des Menschenrechtsgedankens im Ost-West-Verhältnis hinaus. Sie entzieht der westlichen Kritik an den sozialistischen Staaten die Grundlage und degradiert die west-östliche Menschenrechtsauseinandersetzung zu einer ideologischen Propagandaveranstaltung, in welcher jede Seite der anderen den letztlich sinnlosen Vorwurf der Andersartigkeit macht.
Daß es sich in Wirklichkeit jedoch um den Einsatz für die Einhaltung von Völkerrecht, eben um die Menschenrechte handelt, wozu sich sozialistische und nichtsozialistische Staaten gleichermaßen verpflichtet haben, und damit gerade nicht um Propaganda von Ideologien — das gerät unter solchen Umständen völlig aus dem Blick. Es liegt auf der Hand, daß dadurch der sowjetischen These Vorschub geleistet wird, die gegen die Menschenrechtspraxis der sozialistischen Staaten vorgebrachte Kritik sei »ideologischer Krieg". Demgegenüber werden hier die Thesen aufgestellt, daß 1. speziell den UN-Menschenrechtspakten von 1966 ein identifizierbares Menschenrechtsverständnis zugrunde liegt, nämlich ein im Ausgangspunkt liberales, das jedoch sozial-und kulturstaatlich modifiziert ist, daß 2. die östliche Menschenrechtskonzeption mit den Pakten unvereinbar ist, und daß 3. die Bestimmungen der Pakte überwiegend präzise genug sind, um auch konkrete Vorgänge von Menschenrechtsverletzungen feststellen und rügen zu können.
Das beweisen die folgenden sieben Punkte:
a) Zentrale Bedeutung besitzen die beiden aufeinander abgestimmten, nahezu gleichlautenden Präambeln der Pakte, die gemäß Artikel 31 Absatz 2 der Wiener Vertragsrechtskonvention Vertragsbestandteil sind. Sie bestimmen als Träger der Menschenrechte nicht den Staat, die Klasse, das Kollektiv und erst von ihnen abgeleitet das Individuum, sondern unmittelbar den einzelnen Menschen aufgrund der „allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnenden Würde“. Und diese Rechte besitzt der einzelne nicht nur gegenüber dem Mitmenschen, sondern auch gegenüber dem Staat, was z. B. e contrario daraus hervorgeht, daß die Präambeln auch auf die Pflichten des Individuums „gegenüber seinem Mitmenschen und der Gemeinschaft, der er angehört“, hinweisen.
b) Die namentlich der Meinungs-, Versammiungs-, Vereinigungs-und Religionsfreiheit beigegebenen Vorbehalte speziell der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Sittlichkeit sind nach dem Vorbild des rechtsstaatlichen Verfassungsvorbehalts konstruiert, d. h. sie ermächtigen den Staat in Übereinstimmung mit dem Grundsatz der Unveräußerlichkeit der Rechte lediglich zu negativ-verbietenden, gesetzlich genau umgrenzten Einschränkungen der Rechte, nicht aber zu ihrer Aufhebung und Beseitigung, sei es durch unbegrenzte Eingriffsermächtigungen zugunsten der Behörden oder aber durch die Umfunktionierung namentlich der politischen und sozialen Rechte in Gemeinschaftspflichten
Genau dies geschieht aber in der sowjetsozialistischen Konzeption des Verhältnisses von Staat und Bürger insbesondere aufgrund des Prinzips der , Einheit von Rechten und Pflichten 4. Die politischen Freiheits-und sozialen Gestaltungsrechte werden absorbiert von einer umfassenden Grundpflicht zur treuen Mitwirkung am , Aufbau des Sozialismus und Kommunismus 4 nach Weisung der Partei-und Staatsführung. Die sich im Rahmen dieser Grundpflicht ergebenden Dispositionsspielräume der Selbstbestimmung sind keine Menschen-bzw. Freiheitsrechte, sondern nur faktisch sich öffnende Verhaltensvarianten deren Bestand rechtlich im Regelfall nicht oder nicht ausreichend gesichert ist.
Die personalen Unverletztlichkeitsrechte des * Bürgers laufen gegenüber dem Staat weitgehend leer, angesichts der umfassenden Ermächtigung insbesondere der Staatssicherheitsbehörden, nach ihrem in keinem gerichtlichen oder ihm vergleichbaren Verfahren überprüfbaren freien politischen Ermessen die Unverletzlichkeit‘ der Wohnung, des Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnisses, der Privatsphäre sowie die Handlungsfreiheit und Freizügigkeit des Bürgers auf vielfältige Weise zu beschränken oder aufzuheben. c) Durch Artikel 2 Absatz 1 des Bürgerrechtspakts und Artikel 2 Absatz 2 des Sozialrechtspakts sind die Teilnehmer dazu verpflichtet, die Rechte allen in ihrem Hoheitsbereich befindlichen Menschen ohne irgendeine Diskriminierung insbesondere wegen „der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft“ zu gewährleisten. Es bedarf keines näheren Nachweises, daß die sozialistischen Staaten diese Verpflichtungen aufgrund ihres Staatsatheismus, ihrer politischen Intoleranz und ihrer sozialrevolutionären Zielsetzung schon im theoretischen Ansatz nicht erfüllen können, und die Praxis bestätigt dies auf der ganzen Linie.
d) Auch der Sozialrechtspakt stützt als solcher nicht den sozialistischen Interpretationsansatz. Dem steht nicht zuletzt die enge Verknüpfung mit dem Bürgerrechtspakt entgegen. Hervorzuheben sind folgende Gesichtspunkte:
1. die gemeinsame naturrechtliche Präambel;
2. die identische Technik des Grundrechtsvorbehaltes bzw.der „Schrankenschranke“, d. h. einer beschränkten Einschränkbarkeit der Grundrechte unter Wahrung ihres Wesensgehaltes;
3. die im liberal-demokratischen Geiste geregelte Gewerkschaftsfreiheit (Artikel 8); 4. das Streikrecht (Artikel 8 Absatz 1 lit. d);
5. die Anerkennung der Religionsfreiheit (Artikel 13 Absatz 3);
6. das Gebot der Toleranz im Bildungswesen und seiner Menschenrechtskonformität (Artikel 13);
7. die Freiheit der Berufs-und Arbeitsplatzwahl (Artikel 6 Absatz 1).
e) Aus dem Umstand, daß die Pakte das Eigentumsrecht nicht berücksichtigen, kann keine Entscheidung für das sozialistische Grundrechtsverständnis abgeleitet werden, denn durch ihre gleichlautenden Artikel 5 Absatz 2 erkennen beide die Kompatibilität mit sonstigen in den Vertragsstaaten geltenden „grundlegenden Menschenrechten“ an. Darin darf eine Schutzklausel auch zugunsten des Eigentumsrechts gesehen werden, das durch Artikel 5 lit. d des Internationalen Abkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. März 1966 auch von den sozialistischen Teilnehmerstaaten grundsätzlich als Menschenrecht anerkannt und im übrigen (wenngleich nur in engbegrenztem Umfang) ja auch von deren Verfassungen garantiert wird.
f) Außerdem ist der Umstand bedeutsam, daß die Bestimmungen des Bürgerrechtspakts in der Form der klassischen Menschen-und Grundrechtskataloge die jeweiligen Rechte dem Individuum als Adressaten unmittelbar zuerkennen („Jeder Mensch hat . „Niemand darf ...“), während im Sozialrechtspakt die Pflichten der Vertragsstaaten im Vordergrund stehen und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte nur mittelbar anerkannt werden („Die Vertrags-staaten erkennen das Recht an ...“). Diese Regelungstechnik spiegelt die liberale Grundrechts-auffassung wider, die bekanntlich einen wesentlichen Unterschied zwischen den individuellen Freiheitsrechten, die als seif executing gelten und vom Staat grundsätzlich ohne weiteres gewährleistet werden können, und den . sozialen 4 Rechten sieht, die der Staat nur aufgrund besonderer Leistungsanstrengungen seiner Dienste und letztlich der Bürger selbst erfüllen kann, wobei der Grad der Erfüllbarkeit entscheidend von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Gemeinwesens abhängt.
Der Sozialrechtspakt enthält daher, ganz in Übereinstimmung namentlich mit der bundesdeutschen Grundrechtstheorie, nicht mehr als einen Verfassungsauftrag zugunsten einer Sicherung der materiellen Existenzbedingungen des Bürgers, unter voller Wahrung seiner Rechte aus dem Bürgerrechtspakt. Das wird gerade an dem von östlicher Seite so oft beschworenen Recht auf Arbeit deutlich. Artikel 6 Absatz 2 des Sozialrechtspakts verpflichtet insofern die Staaten lediglich zu einer Politik der „produktiven Vollbeschäftigung“, und diese „unter Bedingungen, welche die politischen und wirtschaftlichen Grundfreiheiten des einzelnen schützen“. Eine Pflicht zur Arbeitsbeschaffung für jeden arbeitsfähigen Bürger um jeden Preis folgt daraus nicht.
g) Schließlich kann als weiterer Beleg für die aufgestellten Thesen gelten, daß der Bürgerrechtspakt die Menschenrechte als staatsgerichtete subjektive Rechte des Individuums versteht. Sein Artikel 2 Absatz 3 verpflichtet die Teilnehmerstaaten zur Institutionalisierung wirksamer Beschwerdemöglichkeiten im Falle von Rechtsverletzungen und favorisiert dabei den gerichtlichen Rechtsschutz. Unvereinbar mit dieser Forderung ist der in den meisten sozialistischen Staaten — trotz einer gewissen Tendenz zur Besserung — noch immer völlig unzureichende Schutz des einzelnen gegen Akte der öffentlichen Gewalt
Die durchaus naheliegende Frage, warum die UdSSR und ihre Verbündeten die UN-Menschenrechtspakte angesichts solcher mehr oder weniger offenkundigen Unvereinbarkeiten nicht nur ratifiziert, sondern im wesentlichen sogar vorbehaltlos ratifiziert haben, läßt sich nur mit der Vermutung beantworten, daß sie die internationale Arbeit an den Menschenrechtstexten als eine fein außenpolitische Veranstaltung verstehen, dazu bestimmt, die allgemeine Völkerrechtsentwicklung so weit wie möglich im marxistischleninistischen Sinne zu beeinflussen, die politische Aktionseinheit mit den Entwicklungsländern zu vertiefen und die heimischen Menschenrechtsverletzungen propagandistisch zu überspielen. Solche (und andere) Motive mögen aus sowjetischer Sicht zweckmäßig sein — von der Verpflichtung zur Verwirklichung der Menschenrechtskonventionen in ihrer authentischen Fassung können sie nicht entbinden.
III. Das Spannungsverhältnis zwischen KSZE-Konzept und Menschenrechtspolitik
Die Menschenrechtsauseinandersetzung zwischen West und Ost vollzieht sich aus den dargelegten Gründen nicht nur auf der Ebene der KSZE unter der eigenartigen Paradoxie, daß die ehrliche Erfüllung der Menschenrechtsverpflichtungen den sozialistischen Parteidiktaturen zwar eine grundlegende Änderung ihrer Verfassungsordnung hin zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abnötigen würde, sie dazu aber bekanntermaßen nicht bereit sind, und die westlichen Staaten sich ihrerseits darauf insofern eingestellt haben, als sie den an sich gebotenen Verfassungswandel nicht zur Bedingung ihrer grundsätzlichen Bereitschaft gemacht haben und machen, mit den sozialistischen Staaten zu kooperieren. Die Befürworter und Betreiber einer KSZE-Menschenrechtspolitik dürfen nicht die Augen davor verschließen, daß mit dem Problem der Menschenrechte gerade der fundamentale Systemgegensatz zwischen dem demokratischen, sozialgebundenen Rechtsstaat einerseits und einer partiell sozialistisch orientierten Parteidiktatur andererseits aufgeworfen ist, jener Systemgegensatz also, über den hinweg die KSZE gerade praktische Wege zu einem friedlichen modus vivendi aufzeigen und gangbar machen wollte und will.
Es ist daher nicht zu leugnen, daß zwischen dem Anliegen der Menschenrechte und dem Konzept der KSZE ein Spannungsverhältnis besteht. Dieses Spannungsverhältnis ist jedoch kein unaufhebbarer Gegensatz, sondern es ist integriert in die materielle Programmatik der Schlußakte.
Denn die Menschenrechte sind Teil jener . positiven 1 Friedensvorstellung, welche die Schlußakte in Absatz 5 des Menschenrechtsprinzips, übereinstimmend mit den Fundamenten der UNO-Charta, formuliert: Danach gilt die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten als „ein wesentlicher Faktor für den Frieden, die Gerechtigkeit und das Wohlergehen ..., die ihrerseits erforderlich sind, um die Entwicklung freundschaftlicher Beziehungen und der Zusammenarbeit ... zwischen allen Staaten zu gewährleisten“.
Mit diesem Satz erinnert die Schlußakte von Helsinki an die wichtige Erkenntnis, daß der Frieden zwischen den Staaten letztlich erst dann auf einer sicheren Grundlage steht, wenn die Staaten ihr Verhältnis zu ihren Bürgern an den Prinzipien der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und sozialer Gerechtigkeit ausrichten. Sie weist damit über ein pragmatisches, auf den , negativen 1 Frieden begrenztes Verständnis der KSZE hinaus und auf die innerhalb der heutigen Völkerrechtsgemeinschaft anzustrebenden weiterreichenden Werte und Ziele hin und macht damit zugleich unmißverständlich deutlich, daß der Einsatz für die Menschenrechte auch mit der „praktischen Entspannungsphilosophie 1 der KSZE grundsätzlich vereinbar und eine KSZE-Menschenrechtspolitik durchaus gerechtfertigt ist.
Ihre praktische Durchführung darf jedoch dem oben skizzierten Sinn und Zweck der KSZE nicht widersprechen. Sie darf vor allem nicht die Achtung vor den Menschenrechten zur conditio sine qua non einer Fortsetzung des , KSZE-Prozesses 1 machen, denn die Einhaltung der Menschenrechte stellt eine Maximalforderung mit system-politischen Konsequenzen dar, deren Erfüllung, wenn überhaupt, nur das Ergebnis einer langen soziopolitischen Entwicklung innerhalb der sozialistischen Staaten sein kann, einer Entwicklung, die sich von außen nur sehr begrenzt und mit nicht sicher berechenbaren Auswirkungen beeinflussen läßt.
IV. Die strategische Bedeutung einer KSZE-Menschenrechtspolitik
Da es eine Illusion wäre zu meinen, innerhalb der KSZE durch diplomatischen, politischen oder ökonomischen Druck die UdSSR und ihre Verbündeten zu einer entscheidenden Änderung ihrer Praxis auf dem Gebiet der Menschenrechte zwingen zu können, kann sich eine KSZE-Menschenrechtspolitik vernünftigerweise keine unmittelbaren praktischen Ziele setzen. Sie muß vielmehr strategisch angelegt sein, d. h. in langfristiger Perspektive auf die Durchsetzung der Menschenrechte im KSZE-Bereich (mit) hinarbeiten. Die Antwort auf die Frage, was dies des näheren bedeutet, hat bei der allgemeinen völkerrechtlichen Problematik der Menschenrechte im Ost-West-Gegensatz, wie sie oben dargelegt wurde, anzusetzen. Daraus folgt im einzelnen:'1. Eine KSZE-Menschenrechtspolitik muß sich maßstäblich auf die in Ost und West völkerrechtlich verbindlich anerkannten Menschenrechts-27 konventionen, voran den Bürgerrechtspakt und den Sozialrechtspakt der Vereinten Nationen vom 16. Dezember 1966, stützen. 2. Eine KSZE-Menschenrechtspolitik muß allen ideologisch motivierten bzw. bestimmten Versuchen entschieden entgegentreten, die Menschenrechte in einem verkürzenden, kollektivistischen Sinne lediglich als Ermächtigungen des Staates zu interpretieren, irgendwelche als fortschrittlich 1 ausgegebenen sozial-und kulturpolitischen Reorganisationen durchzuführen. Sie muß vielmehr im allgemeinen Bewußtsein wachhalten und dort fest verankern, daß (auch die völkerrechtlich verbrieften) Menschenrechte primär (subjektiv-öffentliche) Rechte des einzelnen sind, die ihm gegenüber der staatlichen Gemeinschaft zustehen und ihrer Verfügungsgewalt im Kern entzogen sind; sie muß immer wieder aufzeigen und nachdrücklich betonen, daß den UN-Menschenrechtskonventionen ein im Ansatz liberales, sozialstaatlich lediglich korrigiertes Menschenrechtsverständnis zugrunde liegt. 3. Da die KSZE eine im wesentlichen auf Europa begrenzte Veranstaltung ist, richtet sich der Hauptstoß einer in ihrem Rahmen betriebenen Menschenrechtspolitik zwangsläufig gegen die freiheitsfeindlichen und rechtsstaatswidrigen Strukturen in den sozialistischen Staaten Mittel-, Ost-und Südeuropas. Eine KSZE-Menschenrechtspolitik muß darauf hinarbeiten, daß die Idee der Menschenrechte in den betreffenden Völkern tiefere Wurzeln schlägt, daß die Texte der UN-Menschenrechtskonventionen dort allgemein bekannt werden und sich unter den Menschen ein kritisch wirkendes’ Bewußtsein ihrer persönlichen Rechte gegenüber dem Staat entwickelt.
In dieser (scheinbaren) regionalen Einseitigkeit einer KSZE-Menschenrechtspolitik, die durch die Kritik an der Menschenrechtssituation in der Türkei nur unwesentlich abgeschwächt wird und abgeschwächt werden kann, liegt die Ursache und zugleich die Gefahr, die KSZE-Menschenrechtspolitik als eine lediglich antikommunistische Veranstaltung mißzuverstehen. Es ist dies eine Versuchung, der man auf der rechten Seite des politischen Spektrums der Bundesrepublik Deutschland mitunter leider zu erliegen scheint; verhängnisvoller erscheint aber die komplementäre Neigung auf der linken Seite des Spektrums, KSZE-Menschenrechtspolitik pauschal unter Ideologieverdacht zu stellen und sich von ihr abzuwenden. Beide Gefahren können nur vermieden werden, wenn die besagten politischen Kräfte der Versuchung widerstehen, ihre innenpolitische Gegnerschaft auf die Ebene der europäischen Menschenrechtsauseinandersetzung zu projizieren und unbeirrt nach allen Seiten positiv für die in den Menschenrechten verkörperten politischen Leitwerte eintreten
4. Durch eine KSZE-Menschenrechtspolitik werden schließlich der gemeinsame Wertkonsens in und zwischen den demokratischen Verfassungsstaaten Europas sowie das Bewußtsein ihrer geistig-politischen Verbundenheit mit den USA und Kanada gestärkt. Namentlich die Staaten der Europäischen Gemeinschaft gelangen so zu einer noch 'lebendigeren Erkenntnis ihrer politischen Zusammengehörigkeit, ihrer kulturellen Identität und ihrer werbenden Ausstrahlungskraft auf den östlichen Teil des Kontinents.
5. Auch wenn, wie bemerkt, das Menschenrechts-prinzip (VII) der KSZE-Schlußakte für sich gesehen völkerrechtlich nicht verpflichtend ist, so bedeutet doch die förmliche Erhebung der Menschenrechte zu einem politischen Verhaltensprinzip innerhalb der wichtigsten Region der Staatengemeinschaft ein völkerrechtspolitisches Signal, das auf längere Sicht zu einer weiteren Aufwertung der Menschenrechte im universellen Völker-recht und zu einer Anhebung ihres vorläufig noch unzureichenden Mindeststandards (s. o.) beitragen kann.
V. Stationen der bisherigen KSZE-Menschenrechtspolitik
Wer sich der strategischen Bedeutung einer KSZE-Menschenrechtspolitik bewußt ist, unterliegt nicht der Gefahr einer kurzatmigen, aktuellen publizistischen oder tagespolitischen Bedürfnissen verhafteten Beurteilung der fraglichen Vorgänge. Er weiß, daß er es mit einem praktisch äußerst schwierigen, sich in langen Fristen entfaltenden politischen Problem zu tun hat, dessen Behandlung Nüchternheit, Ausdauer und Beharrlichkeit verlangt. Daher gelangt ein solcher Beobachter der Szenerie auch meist zu anderen Bewertungen und Schlußfolgerungen in bezug auf die bisherige KSZE-Menschenrechtspolitik. Aus dieser Sicht kommt insbesondere nicht den etwaigen Schlußdokumenten der jeweiligen KSZE-Folgetreffen die entscheidende Bedeutung zu, sondern dem „vertieften Meinungsaustausch“ zwischen den Signatarstaaten während der soge-nannten Konferenzphase 1 über die Fortschritte und die Mängel bei der Erfüllung der KSZE-Verpflichtungen. In diesen Implementierungsdebatten auf den Treffen von Belgrad (4. Oktober 1977 bis 9. März 1978) und Madrid November 1980 bis 9. September 1983) hat die kritische Überprüfung der östlichen Menschenrechtspraxis bekanntlich eine Schlüsselrolle gespielt und dabei eine außerordentlich lebhafte, weltweite Publizität erfahren. Jene bisher abgehaltenen Folgetreffen sowie das Expertentreffen über die Menschenrechte in Ottawa (7. Mai 1985 bis 18. Juni 1985) und auch das Kulturforum in Budapests^- Oktober 1985 bis 26. November 1985) können, entgegen einer landläufigen Ansicht, insgesamt durchaus als Erfolge der westlichen Menschenrechtspolitik betrachtet werden. 1. Belgrad Zweifellos war für die bisherige KSZE-Menschenrechtspolitik das Folgetreffen von Belgrad das wichtigste Ereignis; denn nach der voraufgegangenen Blütezeit der Entspannungspolitik, ermöglicht durch einen in West und Ost dominierenden Willen zum politischen Kompromiß und zur Zusammenarbeit und bestätigt durch praktische Erfolge namentlich im deutsch-deutschen Verhältnis, bedeutete die insbesondere von amerikanischer Seite als Antwort auf die Verfolgungen osteuropäischer Bürgerrechtler auf die Tagesordnung gesetzte Menschenrechtsfrage eine gezielte und für die Signatarstaaten neue Hervor-kehrung des konfrontativen Elements im , KSZE-Prozeß‘. Der Akzentwechsel mußte um so belastender wirken, als er in eine Phase stark gedämpfter Kooperationserwartungen — vor allem auf ökonomischem Gebiet — im Ost-West-Verhältnis fiel. Gleichwohl platzte das erste Folgetreffen nicht, und es bildete sich jene, in Helsinki so noch nicht erkennbare, seit Belgrad aber für die KSZE insgesamt typische Spannungslage von Kooperation und Konfrontation heraus.
Diese modifizierte Fortsetzung des KSZE-Dialogs, die den west-östlichen Systemgegensatz nicht ausblendet, sondern in die Konferenz verfahrensmäßig integriert, darf als ein bedeutender Erfolg im , Kampf um die Menschenrechte 4 in Europa und darüber hinaus gewertet werden.
Denn — erstens wurde die KSZE in Belgrad zu einem weltweit beachteten Forum der Menschenrechts-kontrolle gemacht, und der Osten nahm dies praktisch hin. Er erkannte damit de facto den Vorrang des Menschenrechtsprinzips vor dem Prinzip der Nichteinmischung an und schuf so ein wichtiges Präjudiz für alle weiteren KSZE-Folgetreffen und eine KSZE-Menschenrechtspolitik insgesamt;
— zweitens wurde in Belgrad Solidarität mit den. Menschen-und Bürgerrechtsbewegungen in den sozialistischen Staaten geübt, die durch die Schlußakte von Helsinki einen in diesem Ausmaße nicht erwarteten Auftrieb bekommen hatten 11) und nun vom Westen moralische Rücken-deckung für ihre kritische Aufklärungsarbeit über die Mängel bei der Verwirklichung der Schlußakte erwarteten;
— drittens schärfte die in Belgrad vorgetragene Kritik an der Staats-und Rechtsordnung der sozialistischen Staaten und an der sozialistischen’ Grundrechtskonzeption das öffentliche Bewußtsein für die Tatsache, daß die Menschenrechte primär keine Kompetenzen des Staates, sondern Rechtsansprüche des Individuums sind. Das östliche Menschenrechtsverständnis wurde nachhaltig in Frage gestellt, der , reale Sozialismus 4 verfassungspolitisch unter den bislang wohl kräftigsten öffentlichen Rechtfertigungsdruck gesetzt und in dieser geistig-politischen Auseinandersetzung stark in die Defensive gedrängt. 2. Madrid Unter dem Eindruck der scharfen Verfolgungen, denen die Bürgerrechtler in den meisten sozialistischen Staaten in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ausgesetzt waren, haben die westlichen sowie viele neutrale und nichtpaktgebundene Staaten ihr Engagement für die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf dem Folgetreffen von Madrid erheblich intensiviert und dabei sichtlich geschlossener Position bezogen, als das noch in Belgrad der Fall gewesen war. Sie haben sich insofern außerdem nicht auf die bilanzierende Implementierungsdebatte der ersten Konferenzphase beschränkt, sondern das Thema während der folgenden drei Jahre aus mancherlei Anlässen, namentlich im Zusammenhang mit der Verhängung des Kriegsrechts in Polen, immer wieder aufgegriffen Zahlreiche nichtstaatliche — nationale und internationale — Menschenrechtsorganisationen leisteten als Beobachter und Lobbyisten am Rande des Treffens Bedeutendes, um die Wirkung der Menschenrechtskritik zu erhöhen, das allgemeine Problembewußtsein zu schärfen und hinter den Kulissen die praktische Lösung von Härtefällen zu erreichen.
Im Unterschied zu Belgrad endete das Treffen von Madrid mit einem offiziellen „Abschließenden Dokument“ welches das Menschenrechts-prinzip der Schlußakte in nicht weniger als zehn Punkten sowie den Abschnitt über die menschlichen Kontakte 1 innerhalb von , Korb IIP durch eine Reihe von Verbesserungen, insbesondere bei der Herstellung familiärer Begegnungen, ergänzt. Angesichts der Tatsache, daß sich die reale Menschenrechtssituation innerhalb des sowjetischen Hegemonialbereiches vor und während der Konferenz von Madrid insgesamt und zum Teil dramatisch verschlechterte, muß diese östliche Kompromißbereitschaft erstaunen und paradox erscheinen. Zweifellos sind der UdSSR und ihren Verbündeten jene verbalen Zugeständnisse nicht leicht gefallen. Augenscheinlich wurden sie zum einen gemacht, weil die Sowjetunion stark an dem Zustandekommen der von ihr vorgeschlagenen und inzwischen ihrem Ende entgegengehenden Stockholmer Konferenz über vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa interessiert war; zum anderen, weil die sozialistischen Staaten in der Schlußphase des Treffens von Madrid die Bürgerrechtsbewegungen weitgehend vernichtet oder aber fest im Griff hatten und nunmehr die innenpolitischen Risiken eines Entgegenkommens bei den Menschenrechten besser als noch in Belgrad abschätzen konnten.
Mag man daher auf westlicher Seite das Schlußdokument von Madrid für einen großen Erfolg gehalten haben und halten — die (wenig substantiell ausgefallenen) Ergänzungen des Menschenrechtsprinzips der Schlußakte jedenfalls geben eher zu Bedenken Anlaß Denn das Hauptproblem der Menschenrechte liegt heute und schon seit längerem nicht mehr in dem Mangel an einschlägigen Texten und Bestimmungen, sondern an ihrer mangelhaften Respektierung und Verwirklichung. Es bedeutet daher keinen echten Fortschritt, wenn sich die einzelnen KSZE-Schlußdokumentein Zukunft zu einem mehr oder weniger zufälligen, lückenhaften und unübersichtlichen Katalog schwammig formulierter Menschenrechtsbestimmungen addieren, zu einem Katalog, der zudem keine völkerrechtliche, sondern nur politische Geltung besitzt und der, wie sich in Madrid z. B. bei dem Tauziehen um die Berücksichtigung des Streikrechts gezeigt hat, hinter den besagten UN-Menschenrechtspakten, in diesem Falle hinter dem Sozialrechtspakt, auch noch sachlich zurückbleibt. Statt das Prinzip VII der Schlußakte mit wenig substantiellen Verpflichtungen aufzublähen, sollten auf dem bevorstehenden, am 4. November 1986 beginnenden dritten KSZE-Folgetreffen in Wien die verfügbaren Verhandlungskapazitäten und -energien darauf verwendet werden, dafür Sorge zu tragen, daß die Menschenrechtspakte von 1966 in den sozialistischen Staaten endlich die ihnen gebührende Publizität erlangen und daß die , Korb III’ betreffenden Festlegungen über menschliche Kontakte im grenzüberschreitenden Verkehr noch präziser und verbindlicher ausfallen. 3. Ottawa Ein sehr bemerkenswerter Erfolg der in Madrid betriebenen Menschenrechtspolitik war die Vereinbarung gewesen, ein „Expertentreffen der Teilnehmerstaaten zu Fragen betreffend die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in ihren Staaten in allen ihren Aspekten, wie in der Schlußakte festgelegt“, abzuhalten. Ein Erfolg war diese Vereinbarung nicht deswegen, weil man hätte hoffen können, den Osten in der Menschenrechtsauseinandersetzung sachlich zu überzeugen, sondern weil das Treffen über die Möglichkeit hinaus, die östliche Menschenrechtspraxis ein weiteres Mal kritisch in die Öffentlichkeit zu tragen, erstmals auch die Chance bot, sich in einer prinzipielleren Weise und eingehender mit den menschenrechtswidrigen Gesetzen, Verordnungen und sonstigen Rechtsakten und generell mit den Fragwürdigkeiten des sozialistischen Menschenrechtsverständnisses auseinanderzusetzen. Diese Chance wurde in Ottawa genutzt. Besonders bemerkenswert erscheint dabei, daß die Menschenrechtsauseinandersetzung zwischen Ost und West nicht in einem bloßen Schlagabtausch steckengeblieben ist.
Folgende Besonderheiten des Treffens verdienen hervorgehoben zu werden:
— Erstens wurde in Ottawa die Menschenrechts-problematik im Ost-West-Verhältnis in bisher noch nicht dagewesener Breite und Tiefe erörtert. Die westliche Seite ging dabei mit der gebotenen Differenzierung auf die sozialistischen Staaten, etwa hinsichtlich der Religionsfreiheit, ein. Erstmals wurde auch die Lage auf dem Gebiet der sozialen Rechte, namentlich in der UdSSR, einer kritischen Überprüfung unterzogen
— Zweitens verteidigte sich der Osten in sachlicher Hinsicht nicht mehr nur mit dem Gegenvorwurf einer Verletzung des Rechts auf Arbeit und sonstiger sozio-ökonomischer Rechte, sondern versuchte erstmals bei den klassischen Menschenrechten, speziell der negativen Glaubensfreiheit, den Spieß herumzudrehen, bis hin zur Rüge konkreter Freiheitsverletzungen. Zum einen dementierte er damit selbst den schon längst brüchig gewordenen Vorwurf einer unzulässigen Einmischung in die inneren Angelegenheiten; zum anderen eröffnete er auf diese Weise die von verschiedenen Seiten sofort aufgegriffene Möglichkeit, über den wechselseitigen Schlagabtausch hinaus wenigstens partiell in eine echte sachliche Diskussion konkreter Menschenrechtsprobleme einzutreten. — Drittens kam es in Ottawa, ausgelöst durch die — pikante — Kritik der Türkei an der Lage der türkischen Minderheit in Bulgarien, erstmals zu einer echten Menschenrechtskontroverse innerhalb des sowjetischen Hegemonialbereichs, nämlich zwischen Ungarn und Rumänien wegen der Unterdrückung der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen.
— Viertens wurde dem in den letzten Jahren speziell von der UdSSR mit großem Propagandaaufwand unternommenen Versuch entschieden entgegengetreten, die moralisch-politische Pflicht der Staaten zur Friedenssicherung und Abrüstung in den Rang eines , Menschenrechts‘ zu heben, um durch eine derartige Begriffsverwässerung bzw. -Veränderung („Menschenrecht der 3. Generation“) das Problem auf eine andere, politisch erwünschte Ebene zu verschieben und vom Ernst und Ausmaß der echten Menschenrechts-defizite im , realen Sozialismus'abzulenken Die Ausstrahlungskraft des Treffens von Ottawa wurde allerdings dadurch erheblich beschränkt, daß die UdSSR sich in den schwierigen Verhandlungen über die Regularien dem Wunsche nach einer möglichst breiten Öffentlichkeit für die Sitzungen des Treffens erfolgreich widersetzen konnte. Angesichts dieses Publizitätsmangels, der durch die Abgelegenheit des Konferenzortes noch verstärkt wurde, muß man es sehr bedauern, daß in Ottawa kein offizielles Schlußdokument zustande kam, so verständlich es sein mag, daß die UdSSR keinen substantiellen Text mittragen wollte, der zumindest einige der 45 eingegangenen Vorschläge zur praktischen Menschenrechtssicherung sowie die Erwähnung von Menschenrechtsverletzungen in den Signatarstaaten und die Empfehlung eines weiteren Menschenrechtsexpertentreffens enthalten sollte.
VI. Menschenrechte und , Korb III‘
Zwischen der KSZE-Menschenrechtspolitik auf der Grundlage des in , Korb I’ enthaltenen Prinzipienkataloges und der in , Korb IIP der Schlußakte angesprochenen „Zusammenarbeit in humanitären und anderen Bereichen“ besteht zwar ein enger, ja untrennbarer Zusammenhang, doch handelt es sich bei ihnen, genau genommen, um verschiedene Dimensionen und Qualitäten menschlicher Freiheit. Die Menschenrechte betreffen die Gestaltung des rechtlichen Grundverhältnisses zwischen dem einzelnen, zum Teil auch Gruppen, und dem Staat, während es bei den von , Korb IIP erfaßten Problemen um das Ausmaß und die Leichtigkeit von grenzüberschreitenden Kontakten der Bürger und ihrer Organisationen geht. Beide Aspekte verzahnen sich beim Menschenrecht auf Ausreise aus und auf Rückkehr in das Heimatland.
Bei den sozialistischen Staaten tritt ihre Unterschiedlichkeit besonders deutlich hervor, da es diesen im allgemeinen leichter fällt, sich bei Auslandskontakten toleranter zu verhalten als bei den systembestimmenden Freiheitsrechten, da der Staat im ersten Falle die volle Kontrolle über die Bürger behält, weswegen er unmittelbare destabilisierende Auswirkungen auf das diktatorische Herrschaftssystem der kommunistischen Partei-und Staatsführung ernstlich nicht zu befürchten hat.
Es ist daher kein Zufall, daß die KSZE-Bilanz der sozialistischen Staaten seit Helsinki im Bereich von , Korb III’, insgesamt gesehen, günsti31 ger ausfällt als beim Menschenrechtsprinzip VII Eine KSZE-Menschenrechtspolitik, die diesen Unterschied im Auge behält, kann sich differenzierter an die erklärte Aufgabe begeben, für Verbesserungen in der sogenannten menschlichen Dimension der KSZE (Prinzip VII; Korb III) zu sorgen, d. h. einerseits in strategischer Hinsicht die Idee der Menschenrechte zu verbreiten und zu stärken und andererseits in unmittelbarer praktischer Absicht die Grenzen für Menschen, Informationen und Meinungen durchlässiger zu machen.
Vereinbarungen zu , Korb IIP besitzen den Vorzug, daß sie relativ präzise, weniger interpretationsbedürftig und folglich besser kontrollierbar sind und wegen ihrer Einbindung in das multinationale Interessengeflecht der Signatarstaaten und aufgrund der KSZE-Implementierungsdebatten wenigstens einer gewissen Garantie unterliegen. Freilich sind auf diesem Gebiet Zugeständnisse von Seiten der sozialistischen Staaten nur zu erwarten, wenn sie dafür substantielle Vorteile, etwa in den Wirtschaftsbeziehungen oder beim Technologietransfer, erwarten können, wenn also auch im weiteren KSZE-Prozeß die in der Schlußakte von Helsinki selbst angelegte, eingangs skizzierte Kompromißstruktur ausbalancierter nationaler Interessen gewahrt bleibt. Dabei kann letztlich allerdings kein Zweifel bestehen, daß sich die Bedingungen für grenzüberschreitende Kontakte auf nichtstaatlicher Ebene zwischen West und Ost erst dann durchgreifend ändern werden, wenn sich die Menschenrechtssituation in den sozialistischen Staaten entscheidend wandelt.
Den deutlichsten Beweis dafür liefert der Verlauf des erwähnten Budapester „Kulturforums“ der KSZE. Daran sollten nach dem in Madrid geäußerten Willen (auch) „führende Persönlichkeiten der Teilnehmerstaaten aus dem Bereich der Kultur“ teilnehmen. Tatsächlich aber waren von östlicher Seite nur (offizielle) Kulturfunktionäre vertreten, Während die Delegationen der westlichen und neutralen Staaten pluralistisch zusammengesetzt waren. Dementsprechend prallten die Positionen aufeinander. Der Wunsch des Westens, die Menschenrechte im Kulturbereich auszuformulieren, ein Bekenntnis zur Kontaktfreiheit zwischen den Kulturen abzulegen und in einem Anhang die 250 eingebrachten praktischen Verbesserungsvorschläge aufzulisten, stieß erwartungsgemäß auf die Ablehnung namentlich der UdSSR, die an der staatlichen Zuständigkeit für den Kulturaustausch und an der (partei-) politisehen Rolle der Kulturschaffenden in der Gesellschaft eisern festhielt und sich bereits einer schlichten Erwähnung der , Menschenrechte* widersetzte. Dennoch war das Budapester Kulturforum keineswegs ein Fehlschlag. Die relative Liberalität des Gastlandes machte es möglich, daß während der ersten vier Tage in einem halböffentlichen Rahmen ein von György Könräd, Ed Doktorow, Pawel Kohout und Hans Magnus Enzensberger organisiertes Alternativforum („Kultursymposium“) stattfand daß, ebenso wie in Madrid, nichtstaatliche Organisationen aus dem Westen von der ungarischen Regierung offiziellen Beobachterstatus erhielten (darunter sogar der „Weltbund Freier Letten“!) und daß schließlich die Diskussionen in den vier Facharbeitskreisen des Forums sich nicht selten aus den engen Fesseln obrigkeitlicher Weisungen lösten Die kommunistischen Kulturbürokraten befanden sich (auch) bei dieser KSZE-Veranstaltung allenthalben in der Defensive, wobei gewisse Auflockerungstendenzen unter den östlichen Delegationen nicht zu übersehen waren.
Auch wenn nicht zu erwarten ist, daß das am 15. April 1986 in Bern beginnende (weitere) Expertentreffen über menschliche Kontakte (im Sinne von , Korb IIP der Schlußakte) und das sich am 4. November 1986 in Wien anschließende (dritte) KSZE-Folgetreffen Bewegung in die starre Haltung der UdSSR und ihrer Verbündeten bringen werden — der Westen wird auf jenen Veranstaltungen aufs neue wertvolle Erfahrungen dazu sammeln können, wie er seine konfrontative KSZE-Menschenrechtspolitik am wirkungsvollsten mit seiner Kooperationsbereitschaft, insbesondere auf den Gebieten der Wirtschaft und der militärischen Sicherheit, verbindet.