Wie im orientalischen Märchen der Geist aus der Flasche, so projiziert sich aus einem Miniländchen an der östlichen Mittelmeerküste ein Konflikt in die gesamte Mittelostregion, und bei genauem Hinsehen nimmt er die Gestalt einer vielköpfigen Hydra an: Der heillos zerstrittene Libanon ist ein Mikrokosmos der arabischen Welt, seine Erschütterungen werden überall schmerzlich fühlbar — in Form des internationalen Terrorismus bis weit über die Region hinaus.
Mit der Niederlage und dem Exodus der PLO aus dem Libanon geriet Libyen in den Verdacht, Freihafen, Finanzier und möglicherweise Initiator des internationalen Terrorismus zu sein — nicht ohne Schuld seines Führers Gaddafi, der nicht nur Terroraktionen wie die Anschläge auf die Flughäfen von Wien und Rom (17. Dezember 1985) verteidigte, sondern weitere Anschläge androhte. Dies um so mehr, als die PLO Arafats gelobt hatte, Aktionen nur noch gegen Israel zu unternehmen. Die Spannung eskalierte, als es während amerikanischer Flottenmanöver in der Großen Syrte — die Libyen als Hoheitsgewässer beansprucht — zu Zusammenstößen zwischen amerikanischen und libyschen Luft-und Seestreitkräften kam. Nach Sprengstoffanschlägen auf eine TWA-Maschine über dem Mittelmeer und eine Berliner Diskothek, die Washington als libysch inspiriert ansah, unternahm die 6. US-Flotte den Schritt von der Drohgebärde zum Vergeltungsschlag, dem vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die mit dem Sturm auf die US-Botschaft in Tripolis am 2. Dezember 1979 begonnen hatte. Die arabischen Staaten reagierten darauf zurückhaltend, haben sie doch alle Grund, Gaddafi eher zu fürchten als zu lieben. Publizistische Unterstützung erhielt er aus der UdSSR, doch deutet wenig daraufhin, daß Moskau an einer weiteren Zuspitzung des Konflikts durch aktive Unterstützung interessiert ist. Das in westlichen Schlagzeilen häufige Klischee vom libanesischen Konflikt zwischen „rechten Christen“ und „linken Moslems“ hat nie gestimmt. Besser ist die von Itamar Rabinovich gewählte Bezeichnung der „Rechten“ als Statusquo-Koalition und der „Linken“ als Revisions-Koalition Darüber hinaus sind die Koalitionen in sich nicht stabil: Partnertausch oder Front-wechsel sind je nach Zielsetzung, Interessenlage und außenpolitischer Anbindung an der Tagesordnung, oft auch mit der Spaltung einer Gruppe verbunden.
Die Auseinandersetzungen gewinnen an Bitterkeit, weil gleichzeitig an der östlichen Peripherie der arabischen Welt ein weiterer Krieg tobt, bei dem es nicht so sehr um die Wasserrechte am Shatt el-Arab als vielmehr um die uralte Auseinandersetzung zwischen Arabern und Persern, zwischen Sunniten und Schiiten geht. Die Zeit der Blitzkriege in Mittelost scheint Vergangenheit: Der Krieg zwischen Irak und Iran geht nunmehr ins sechste Jahr; 1982 dauerte der eigentliche Feldzug Israels im Libanon, die „Operation Frieden für Galiläa“, zwar nur wenige Wochen, aber danach blieb die israelische Militärmacht fast drei Jahre im Libanon präsent, mit gelegentlichen Gefechten und den dabei unvermeidlichen Verlusten und der anscheinend unvermeidlichen Konsequenz, daß sie nach einiger Zeit nicht mehr als willkommener Befreier, sondern als verhaßter Besatzer angesehen wurde.
Dieser Krieg unterschied sich von anderen durch folgende Faktoren:
— Er wurde nicht gegen den Staat geführt, dessen Territorium dabei okkupiert wurde. Er richtete sich gegen die PLO, die sich selbst als Staat im Staat geriert und sich damit das unvermeidliche Besatzer-Image eingehandelt hatte.
— Das eigentliche militärische Ziel — die Zerschlagung der militärischen Infrastruktur der PLO, die Erbeutung ihrer Waffenlager, Ausbildungsstätten und Dokumentationszentren — wurde erreicht.
— Darüber hinaus hat die syrisch inspirierte Spaltung der PLO Arafats Machtbasis weiter geschwächt. — Aber abgesehen davon, daß Konfrontationen mit der syrischen Besatzungsmacht im nördlichen Teil des Landes und in der Bekaa-Ebene nicht ausblieben — sie sind bewußt in Kauf genommen worden —, schlug im Gefolge der von maronitischen Milizen in den Flüchtlingslagern von Sabra und Shatila angerichteten Massakern die Stimmung der Bevölkerung zuungunsten Israels um. — Wie inzwischen eindeutig belegt, bestand in Israel kein Konsens: Der kompromißlos zum Vormarsch auf Beirut drängende Verteidigungsminister Ariel Sharon konnte zwar weitgehend der Rückendeckung von Premierminister Menachem Begin sicher sein. Aber selbst sein Stellvertreter Mordehai Zippori — wie Sharon ein ehemaliger General —, der damalige stellvertretende Generalstabschef General Moshe Levy und der Oberbefehlshaber Nord, General Jekutiel Adam, der im Libanon fallen sollte, widersetzten sich seinen Plänen
In der Tat: Die Israel Defence Forces haben in der Vergangenheit hinlänglich bewiesen, wie schnell sie Entscheidungen gegenüber regulären arabischen Armeen herbeiführen können. Der eigentliche Gegner, die Kampfverbände der PLO, war auch hier nach kurzer Zeit aufgerieben. Aber nun folgte eine Periode des Besatzungsdienstes in einem seit Jahren vom Bürgerkrieg geschüttelten Land. Es wimmelte von bis an die Zähne bewaffneten Milizen, deren Ziele nicht immer klar erkennbar waren und auch im Verlauf des Konfliktes durchaus nicht immer konstant geblieben sind. Zu Beginn der Kämpfe waren sich Maroniten („Kataeb“ und „Numur“), Drusen (Miliz der Progressive Socialist Party) und Schiiten („Amal“) noch einig in ihrer Gegnerschaft gegenüber der PLO und sahen keinen Grund, dem israelischen Vordringen Widerstand zu leisten, doch führten gegenseitige Animositäten bald zu Feindseligkeiten und zu Konfrontationen mit den Israel Defence Forces, die zu schlichten versuchten und dann prompt beschuldigt wurden, jeweils den Gegner zu unterstützen.
Im Libanon ist die Durchsetzungskraft eines Politikers analog der Stärke seiner Miliz. Da aber keine stark genug für einen eindeutigen Sieg ist, gilt es, den richtigen Verbündeten zu finden.
Der später zum Präsidenten gewählte Beshir Gemayel, Führer der Kataeb, setzte auf Israel. Als Maronit hatte er die nicht unbegründete Befürchtung — die übrigens viele Sunniten, große Teile der Palästinenser und auch die Drusen teilen —, daß Syrien einen Hilferuf als eine willkommene Einladung zur Verwirklichung der Träume vom großsyrischen Reich auffassen würde.
Aber auch Syriens Assad hatte einige Eisen im Feuer: Da waren einmal verschiedene palästina-arabische Kampforganisationen, wie die von jeher prosyrische „Saiqa“, aber auch die später unter Abu Musa von Arafat abgefallenen PLO-Sektionen; da waren die libanesischen Schiiten, ferner der prosyrische Flügel der „Baath“ -Partei und die „Syrische National-Sozialistische Partei“ (sie heißt wirklich so, und ihr Emblem ist das Hakenkreuz). Etwa 500 000 syrische Gastarbeiter könnten das syrische Potential weiter gestärkt haben Der große schiitische Bevölkerungsteil dürfte, schon wegen Assads Bündnis mit dem Iran, ebenfalls Syrien zuneigen. Den Drusen sind die Syrer als Helfer willkommen und als Hegemonialmacht suspekt.
Die Zusammenarbeit der Kataeb mit Israel endete praktisch mit der Ermordung Beshir Gemayels. Sein Bruder und Nachfolger Amin ist näher an Syrien herangerückt. Das mag man Opportunismus nennen oder Realpolitik -auf jeden Fall ist es eine plausible Überlebensstrategie für einen Gemayel, der weder das Charisma seines Bruders noch die Autorität seines Vaters hat. Ein Teil der Kataeb unter Fadi Frem, der Beshir als Kommandeur nachfolgte, machte den Kurswechsel nicht mit und wurde prompt entmachtet. Auch sein Nachfolger Eli Hobeika — von Israel ausgebildet —, der Verantwortliche für die Massaker von Sabra und Shatila, der ebenfalls einen pro-syrischen Kurs vertrat wurde inzwischen entmachtet.
Die Frage, ob solche Katzbalgereien „hinten weit in der (ehemaligen) Türkei“ in dieser Breite abgehandelt werden müssen, ist sicher berechtigt. Aber nur so läßt sich das ständige Lavieren erklären -das der PLO zwischen Damaskus, Kairo, Amman und Bagdad, das des Libanon zwischen Damaskus und Jerusalem. Ferner läßt es die Möglichkeiten fremder Einflußnahme erkennen: Israels z. B. im Südlibanon, Syriens im Norden und Irans im Osten der Bekaa-Ebene. Dies wiederum läßt Rückschlüsse auf die Einflußmöglichkeiten der jeweiligen Großmacht auf ihren mittelöstlichen Klienten zu.
Jassir Arafat — odd man out?
Im Libanon gibt es keinen Staat (der PLO) im Staat mehr; die militärische Macht der palästina-arabischen Kampforganisationen ist gebrochen, die PLO selbst mehrfach gespalten. Arafat ist in Syrien persona non grata. Nach wie vor weigert sich Israel, mit ihm zu verhandeln, nach wie vor scheuen sich die USA, seine Organisation — oder das, was davon blieb — als legitime Sprecherin der Palästina-Araber anzuerkennen. Moskau hält sich bedeckt: Gegen Israel erhält die PLO so gut wie keine Hilfe, gegen ihre arabischen Widersacher kaum mehr als verbale Unterstützung. Und das mit gutem Grund: Arafat, seine Organisation und ihr Ziel — der unabhängige Staat der Palästina-Araber — genießen seit mehr als einem Jahrzehnt sowjetische Unterstützung. Man kann ihn jetzt nicht einfach fallen lassen. Andererseits erscheint es nicht ratsam, Syrien zu verärgern.
Alles dies zusammen ist kein Grund für Arafat, sein Ziel aus dem Auge zu verlieren: den Staat Palästina. Es sollte aber auch kein Grund für Teile seiner (oder doch nicht seiner?) Organisation sein, das von ihrem Führer über Jahre hinweg mühsam aufgebaute Image des moderaten Staatsmannes mit Terrorakten zu diskreditieren. Immer, wenn es um die Sache der Palästina-Araber nicht zum besten steht, finden sich unter ihnen Gruppen, die durch Terroraktionen auf sich aufmerksam machen. Es scheint sie nicht zu stören, daß die hierdurch hervorgerufenen Schlagzeilen durchweg negativ sind. Nur in der Führung scheint man sich mehrheitlich einig, daß sinnloses Blutvergießen zwar einen gewissen Bekanntheitsgrad garantiert, aber von kaum jemand als Sympathiewerbung empfunden wird. Bei Terroraktionen 1985 sind einige neue Varianten zu beobachten: — Zum ersten Mal sind Sowjetdiplomaten in Beirut als Geiseln genommen worden; — zum ersten Mal wurde ein Passagierschiff entführt; — zum ersten Mal stürmten arabische (ägyptische) Anti-Terrorkommandos ein entführtes Flugzeug in einer der blutigsten Aktionen in der Geschichte der Luftpiraterie.
Inzwischen gibt es ganze Bibliotheken über den internationalen Terrorismus und seine Bekämpfung, über Drahtzieher und Hintermänner, über Ideologien und Motivationen. Die Mittel, ihn restlos zu ersticken, sind bisher nicht ausreichend wirksam gewesen. Das ist in der Mittelost-Szenerie nur zu begreiflich, werden doch hier nicht nur politische Extremisten jeglicher Herkunft und Couleur ausgebildet, sondern auch bezahlte Killer eingesetzt, deren ideologisches Manifest der Bankauszug ist Schließlich garantiert auch die genaueste Kenntnis der inneren Strukturen, der Kommandostränge innerhalb terroristischer Organisationen, den Erfolg bei ihrer Bekämpfung nicht, denn niemand kann vorausberechnen, ob sich der Terrorist im Einsatz an die Anweisungen seiner Zentrale hält — das kann ja auch der reguläre Soldat unter Gefechtsbedingungen nicht immer und schon gar nicht der zur Terrorbekämpfung eingesetzte.
Zweifellos hat die Todesbereitschaft zugenommen, wie die zahlreichen Kamikaze-Angriffe mit Autobomben im Libanon beweisen. Auch die Furcht vor Vergeltungsschlägen, die auch nicht immer die Schuldigen treffen, scheint nachgelassen zu haben. Ferner wird deutlich, daß die PLO nach ihrer militärischen Niederlage sich die Kanäle offengehalten hat, über die sie Waffen, Sprengstoff, Pässe und wahrscheinlich auch Geld erhält. Deutlich abgenommen hat schließlich die Rücksicht auf die Meinung der Weltöffentlichkeit.
Im Libanon sind Anschläge aller Art an der Tagesordnung, was mit der fortdauernden Bürgerkriegssituation und teilweisen Besetzung des Landes durch fremde Truppen leicht erklärlich ist. Jedoch hatten terroristische Anschläge erst im zehnten Jahr des Bürgerkrieges sowjetische Ziele: . Ende November 1985 wurde das sowjetische Kul-turzentrum in Beirut angezündet Doch schon Anfang Oktober waren vier sowjetische Diplomaten entführt worden, von denen der Botschaftssekretär Katkow im Laufe seiner Gefangenschaft ermordet worden ist. Zu der Tat bekannte sich die bisher unbekannte „Islamische Befreiungsorganisation — Chalid Ibn al Walid-Armee“. Nach sowjetischer Einschätzung handelt es sich bei ihnen um „ultrarechte Erzreaktionäre“ bzw. eine „extremistische moslemische Gruppe“ In Wirklichkeit weiß jedoch niemand genau, was sich hinter dieser bombastischen Bezeichnung verbirgt. Der libanesische Präsident Amin Gemayel distanzierte sich in einem Kondolenz-Schreiben an Ge-neralsektretär Gorbatschow von den Entführern Sowjetischerseits hieß es denn auch, der eigentlich Schuldige sei Israel, das die innerlibanesischen Konflikte schüre, mit denen die betroffenen Sowjetbürger nichts zu tun hätten. Die Kleinigkeit, daß die Entführung sicherlich nicht im Interesse Israels unternommen wurde, schien nicht der Erwähnung wert. Vielmehr sollte Syrien gezwungen werden, den Druck der Schiiten auf die sunnitischen Milizen in Tripolis zu bremsen.
An sich liegt in dem ganzen Vorgang eine sehr bittere, aber umwerfende Ironie: Die UdSSR sieht es als ihre Pflicht an, „anti-imperialistische, nationale Befreiungsbewegungen“ vorbehaltlos zu unterstützen, also PLO, Amal, Drusen. Was aber ist mit den Libanesen, die die syrische Politik als Aggression und die syrische Armee als Besatzer, gar als Kolonialmacht empfinden? Begin und Shamir galten in der englischen Mandatszeit als Terroristen, Arafat gilt heute in Israel als Terrorist. Es scheint, die Prädikate „Terrorist“ oder „Freiheitskämpfer“ sind durchaus von subjektiven Kriterien abhängig. Im Grunde sind die sunnitischen Entführer der sowjetischen Diplomaten eine der letzten Bastionen auch Jassir Arafats, die die Stellung auch gegen die syrische Sturmflut halten. Ihr Führer Sheikh Shabaan soll ein persönlicher Freund des PLO-Chefs sein
Verglichen mit dem Massensterben im Libanon wirkte die Ermordung des israelischen Diplomaten Albert Atrakschi in Kairo (20. August 1985) nur wie eine Episode. Aber sie zeigte nicht nur an, wie weit die anfängliche Euphorie über den Friedensschluß mit Israel der alten Konfrontations
Stimmung gewichen ist, sie ist auch ein Indiz für den Widerstand, der sich gegen die verschiedenen, bisher eher diffusen Friedenspläne zu formieren beginnt. Und es ist ein ominöses Symbol, daß wieder derjenige Ort Szene des Verbrechens wurde, von wo aus der Weg nach Camp David begann: Kairo. Dies um so mehr, als sich das ägyptisch-israelische Verhältnis nach dem israelischen Rückzug aus dem Libanon erheblich verbessert hat. Ende März 1986 wurden zwei weitere israelische Diplomaten Opfer von Anschlägen.
Eine Neuauflage der Situation nach der arabischen Gipfelkonferenz von Amman (November 1980) scheint sich abzuzeichnen: Wie damals opponieren Syrien und Libyen gegen jede Verhandlungslösung. Anders als damals tut Arafat dies nicht mehr; an seine Stelle sind die syrisch dominierten PLO-Rebellen um Abu Musa getreten.
Wie damals standen sich bis vor kurzem Jordanien und Syrien Gewehr bei Fuß gegenüber; anders als damals leben die jüdischen Siedler in den besetzten Gebieten zunehmend mehr unter dem Motto: „Lobet den Herrn und reicht die Munition rüber!“ — wenn es sein muß, auch gegen die eigene Regierung.
Diese — das für Israel typische instabile Koalitionskabinett — steht somit unter enormem Druck, der auch international zur Geltung kommt, denn die Anhänger des Rabbi Kahane nehmen den Vorwurf des Rassismus in Kauf, offenbar unfähig zu begreifen, was sie damit anrichten. Und es kann geschehen, daß Israel alle Vorschläge akzeptiert, aber immer ein halbes Jahr zu spät, wie es der US-Nahostexperte William B. Quandt einmal formulierte Das wiederum erleichtert die ägyptische Friedenspolitik nicht, an der Sadats Nachfolger Mubarak festhält. Der Druck auf Israels Regierung wird dadurch nicht abgemildert, daß es — auch in ihrer eigenen Einschätzung — in jüngster Zeit zunehmend zu Terroraktionen in den besetzten Gebieten kommt, die von jordanischem Gebiet aus gesteuert werden Dort residiert seit geraumer Zeit Khalil el-Wazir. — besser bekannt als Arafats militärischer Stellvertreter mit dem nom de guerre Abu Jihad (obgleich sein Name auf afghanische Abkunft hindeutet, liegt ihm die ritterliche Kampfesweise der Waziri nicht). Seine Spezialität sind (eher) Sprengsätze in Supermärkten oder Autobussen; auch Raketen auf Schulbusse empfindet er als ein legitimes Kampfmittel Zugenommen haben ferner Versuche, Israel von See her zu infiltrieren
Ende September 1985 wurden drei Israelis in Lar-naca/Zypern ermordet. Die Täter waren zwei Palästina-Araber und ein Brite, von dem nicht feststeht, ob es sich bei ihm um einen Überzeugungstäter oder um einen bezahlten Mörder handelt. Die Araber sollen Arafats Leibwache, dem Kommado 17, entstammen Daraufhin flog die Israeli Air Force den Vergeltungsangriff auf das PLO-Hauptquartier in Tunis. Dann wurde das italienische Kreuzfahrtschiff„Achille Lauro“ bei der Ausfahrt aus Alexandria entführt — wieder von Angehörigen des Kommando 17, wie es hieß, und darauf deutet hin, daß Arafats enger Vertrauter Abul Abbas mit den Tätern in Verbindung stand, um es vorsichtig auszudrücken. Diese Tat erscheint als der schiere Aberwitz: Sie erfolgte zu einer Zeit, als sich alle Welt über den israelischen Vergeltungsschlag weit mehr als über die Morde von Larnaca entrüstete. Denn es scheint ja Konsens darüber zu herrschen, daß Israelis den Tod durch Mörderhand als eine Art Berufsrisiko einzukalkulieren haben, so wie auch in diesem Fall: Ermordet wurde ein an den Rollstuhl gefesselter Greis, ein Klempnermeister aus New York. Er war Jude, das genügte.
Eine bessere Methode, das Ansehen der PLO auf Null zu bringen, ist bisher nicht einmal dem findigen israelischen Geheimdienst eingefallen, und selbst Arafat meinte, dies sei für die PLO schädlich. Die zynische Äußerung seines engen Vertrauten Faruk Kaddumi, womöglich habe Mrs. Klinghoffer ihren Mann über Bord gestoßen, um seine Lebensversicherung zu kassieren scheint auch nicht besser geeignet, die Öffentlichkeit für die PLO einzunehmen.
Interesse daran, das Prestige Arafats zu schädigen, um ihn als Verhandlungspartner zu diskreditieren und damit — das ist der Hauptzweck — Verhandlungen unmöglich zu machen, haben Syrien und Libyen. Und Syrien steht dafür wieder einmal Abu Nidal zur Verfügung, in Wirklichkeit Sabri al-Banna, 1937 in Jaffa geboren. Anders als die meisten PLO-Führer ist er kein Akademiker, sondern Elektriker. Seine Gruppe nennt sich „Fatah-Bewegung-Revolutionärer Rat“. Anders auch als die meisten PLO-Führer ist Abu Nidal offenbar ein pathologischer Killer, ein vom Blutrausch besessener Sadist. Seine Äußerungen lassen erkennen, daß es ihm gleich ist, wer seinen Kommandos vor die Visiere kommt, wenn es nur Leichen gibt
Vor einem Jahr wurde sein Tod gemeldet. Totgesagte leben lang, heißt es — in diesem Fall leider, wie jeder an einer friedlichen Entwicklung in Nahost interessierte Beobachter feststellen muß. Der Anschlag auf den israelischen Botschafter in London, Shlomo Argov, lieferte vor drei Jahren den Vorwand für den israelischen Einmarsch in den Libanon. Eine widersinnige Interessenkongruenz wird erkennbar: Der eine liefert den Vorwand, der andere marschiert ein, beide mit dem Ziel, Jassir Arafat zu entmachten. Mubarak, Arafat und König Hussein stehen auf Abu Nidals Abschußliste. Abu Nidals Drohungen sollen es auch gewesen sein, die Mohammed Milhem und Bischof Elia Khoury — zwei Mitglieder des palästinensischen Nationalrats — bewogen, Gespräche mit der britischen Regierung im Oktober 1985 abzubrechen und damit die Teilnahme der PLO an Verhandlungen zu erschweren Zu Abu Nidals Opfern gehören führende palästina-arabische Politiker, hochrangige PLO-Vertreter wie Issam Sartawi, Said Hammani, Fahd Kawasmeh und Naim Abdul Kader. Das vorläufig letzte Opfer wurde im März 1986 der gerade gewählte Bürgermeister von Nablus, Saafi al-Masri. Dieser Mord verrät deutlich die antijordanische Stoß-richtung. Im Fall der „Achille Lauro“ bestreitet Abu Nidal jede Schuld, doch ist man in Ägypten überzeugt, daß eine seiner Schutzmächte, Libyen, hinter dem Anschlag steckt Anders als bei früheren Unternehmen dieser Art ist nichts von irgendwelchen Forderungen der Piraten bekannt geworden. Man geht davon aus, daß es ihnen von vornherein „nur“ auf Blutvergießen ankam
Im Gegensatz zu Arafats Position ist diejenige Abu Nidals eher gestärkt. So bewegt sich der Führer der iranorientierten libanesischen Schiiten, Mohammed Hussein Fadlallah, voll auf seinem Kurs: Er hält die Existenz Israels für nicht akzeptabel, erklärt Terroristen zu Freiheitskämpfern und vergleicht charakteristischerweise die Lage der Palästina-Araber mit der der Deutschen, die ebenso unverschuldet (!) mit Niederlage und Teilung konfrontiert worden seien
Nachdem die Piraten auf der „Achille Lauro“ aufgegeben hatten, eskalierte die Gewalt. Ägypten ließ sie ausfliegen, weil man angeblich nicht wußte, daß es zu einem Mord gekommen war. Amerikanische Jäger zwangen die Maschine zur Landung in Sizilien und wenig später, am 17. November 1985, wurde dasselbe Flugzeug auf dem Weg von Athen nach Kairo nach Malta entführt. Die Luftpiraten töteten mehrere Amerikaner und Israeli, dann stürmten ägyptische Kommandos die Maschine. 59 der 97 Passagiere starben
Diese letzte Flugzeugentführung erscheint noch sinnloser als alles, was ihr vorausging. Mubarak hatte ernste Zerwürfnisse mit den USA und Israel riskiert, um den Terroristen das Entkommen zu ermöglichen. Dies tat er sicherlich nicht aus Sympathie, lediglich im Interesse seiner gesamtarabischen Politik und vielleicht auch, um Washington zu signalisieren, was er von dem Schlag gegen die PLO in Tunis hielt — will er doch nach wie vor Arafat in den Friedensprozeß einbinden. Genau das zu verhindern scheint aber das Motiv für den Schlag gegen ein ägyptisches Flugzeug gewesen zu sein.
Auch König Hussein von Jordanien reagierte verärgert auf diese Vorgänge, und das wiederum kann nur im Interesse Syriens liegen, das seit September sein Verhältnis zu Jordanien wieder verbessert hat, wofür Arafat wieder einmal den Preis zahlt Die Verhandlungen zwischen Jordanien und der PLO endeten ergebnislos. Inzwischen hat sich eine weitere PLO-Gruppierung unter Abu Zaim (Attallah), dem ehemaligen Chef des PLO-Nachrichtendienstes, von Arafat getrennt. Sie befürwortet die weitere Zusammenarbeit mit Jordanien.
Arafat selbst hat ein weiteres Mal gelobt, seine Organisation enthielte sich der Gewalt außerhalb Palästinas — oder sagte er „außerhalb der besetzten Gebiete“? Das wurde nicht ganz deutlich. Der ägyptische Präsidentenberater Osama el-Baz erklärte, nach ägyptischer Auffassung sei Israel kein Teil des besetzten Territoriums
Vor mehr als zehn Jahren konnte Arafat vor der UNO einen persönlichen Triumph verbuchen. Inzwischen scheint sein Stern unaufhaltsam zu sinken. Aber, wie gesagt: Er gibt nicht auf.
Fühler zwischen Moskau und Jerusalem?
Der Abbruch der Beziehungen zwischen Israel und der Sowjetunion im Jahr 1967 bedeutete nicht das Kappen sämtlicher Kontakte. Da war einmal Rumänien, das als einziger Ostblockstaat die Beziehungen zu Israel nicht abgebrochen hatte. Nachrichten ließen sich auf dem Umweg über Washington übermitteln. Es gab kirchliche — moslemische wie christliche — Delegationen, und es gab internationale Konferenzen, denn die Kultur-und Wissenschaftsbeziehungen haben nicht völlig aufgehört.
Indes hörte man erst im Januar 1983 aus Jerusalem, Israel bemühe sich mit rumänischer Vermittlung um die Normalisierung seiner Beziehungen zu Moskau. Daran sei, so hieß es in Moskau, aber nur zu denken, wenn Israel seine expansionistische Politik grundlegend revidiere Wesentlich länger hielten sich Gerüchte (und wesentlich üppiger wucherten die Spekulationen) zwei Jahre später. Im April 1985 hieß es, der jüdische Weltkongreß bemühe sich um einen sowjetisch-israelischen Dialog, da beim jetztigen Zustand keiner der beiden Staaten in der Lage sei, die Mittelostpolitik des anderen zu beeinflussen Wenig später wurde das Glückwunschtelegramm des israelischen Staatspräsidenten Chaim Herzog an Generalsekretär Gorbatschow anläßlich des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation in der Ostblockpresse zitiert Herzog gratulierte auch Gromyko zu seiner Wahl zum Staatsoberhaupt Des weiteren fiel auf, daß Herzog eine Grußansprache an den 20. Parteitag der kleinen israelischen KP (Rakah) richtete, in der er ebenfalls auf den 40. Jahrestag der Niederlage Hitlerdeutschlands hinwies Das muß freilich kein Signal nach Moskau sein. Eher dürfte der ehemalige Major der Irish Guards eine Ehrung der kommunistischen Widerstandskämpfer und ihres Beitrags zur Rettung von Juden beabsichtigt haben. Leider liegen keine Informationen über die Reaktion des starken arabischen Anteils der Rakah vor.
Zum 40. Jahrestag besuchte ferner eine Delegation sowjetischer Veteranen Israel. Der Vorsitzende der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, informierte seinen israelischen Parteifreund Shimon Peres, Gorbatschow habe ihm zu verstehen gegeben, im Falle des Zustandekommens einer internationalen Nahostkonferenz könnte die Normalisierung der Beziehungen ins Auge gefaßt werden. Ferner hieß es, Treffen zwischen den USA-Botschaftern beider Länder, Anatolij Dobrynin und Meir Rosenne, hätten stattgefunden.
Mehr als alles andere aber machte ein Gespräch Schlagzeilen, das zwischen den Botschaftern in Paris, Julij Woronzow und Ovadia Sofer, am 17. Juli 1985 stattfand. Und dies wäre auch berechtigt gewesen, wenn das Gespräch so verlaufen wäre, wie es erste Berichte darstellten. Danach soll Woronzow den Abbruch der Beziehungen 1967 als schweren Fehler bezeichnet haben — was eine für einen sowjetischen Diplomaten geradezu unvorstellbare Desavouierung seiner eigenen Regierung gewesen wäre. Ferner soll Woronzow eine Änderung der sowjetischen Auswanderungspolitik signalisiert haben Sofers Bericht war zwar in Jerusalem als geheim eingestuft worden, doch gelangte er an die Öffentlichkeit, und das bedeutet mit Sicherheit eine Beeinträchtigung der Chancen einer Annäherung. Außenminister Shamir erklärte eilig, Sofer habe übertrieben, er, Shamir, hoffe indes in nicht zu ferner Zukunft auf ein Treffen mit seinem neuen sowjetischen Kollegen Eduard Schewardnadse
Aus Moskau erklang ein entschiedenes Dementi: Wladimir Lomejko erklärte, bevor sich das Verhältnis bessern könnte, müßte Israel seine aggressive und terroristische Außenpolitik ändern, und von Victor Louis war zu vernehmen, daß volle diplomatische Beziehungen gegenwärtig schlecht vorstellbar seien, eine Intensivierung der bestehenden Kontakte aber möglich erscheine Israel war von der Sowjetunion schon etwas früher davor gewarnt worden, auf seinem Gebiet Sender der „Stimme Amerikas“ aufzustellen, mit denen Afghanistan oder Sowjetisch-Mittelasien erreicht werden könnten Andererseits wurden weiter eifrig Indizien zusammengetragen, die auf eine Verbesserung der israelisch-sowjetischen Beziehungen deuteten, so der Aufstieg Schewardnadses, dem man eine flexiblere Außenpolitik zutraut, als sie unter Gromyko möglich war Aber gerade Gromyko selbst wurde fast gleichzeitig mit der Äußerung zitiert, die Sowjetunion sei gegenüber Israel nicht feindlich eingestellt und hoffe, daß der jüdische Staat in Frieden und Sicherheit unabhängig bleibe. Allerdings müsse Jerusalem seine Politik ändern, sonst wäre die Sowjetunion zu einer proarabischen Position genötigt. Gromyko übte gleichzeitig Kritik an den arabischen Extremisten, deren Ziel nach wie vor die Vernichtung Israels sei Nahezu gleichzeitig wiederum beschuldigte er aber vor einer Delegation aus dem Südjemen die USA und Israel, den Arabern ihr militärstrategisches Diktat aufzwingen zu wollen Auch die Kontakte des Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses, Edgar Bronfman, und des Industriellen Armand Hammer zu sowjetischen Stellen wurden für eine Normalisierung als günstig angesehen. Auch wurde angeführt, daß mit der Entmachtung Grigorij Romanows ein prominenter Antisemit sein politisches Gewicht verloren habe
Ministerpräsident Shimon Peres vermochte dagegen keine Änderung der sowjetischen Haltung zu erkennen Doch war es Peres, der Gorbatschow im September über Bronfman die Aufnahme von Beziehungen anbieten ließ in der Überlegung, nicht nur die angestrebte Teilnahme an einer internationalen Nahostkonferenz, sondern auch ein verbessertes Ansehen beim internationalen Judentum sei für die UdSSR ein ausreichender Anreiz Etwas später wiederholte Peres sein Ange-bot und ließ erkennen, daß für ihn die Lockerung der Ausreisebestimmungen Priorität vor der Aufnahme von Beziehungen habe. Er meinte auch, gegen die sowjetische Teilnahme an einer internationalen Nahostkonferenz habe Israel keine Bedenken. Er machte auch den Eindruck, als würde Israel einen direkten Dialog USA-PLO nicht mehr als unüberwindliches Hindernis ansehen
Doch hatte vorher schon der sowjetische Botschafter in Kuwait, Akopow; erklärt, die UdSSR beabsichtige keine Wiederaufnahme der Beziehungen, und den Verdacht geäußert, solche Gerüchte könnten von Israel ausgestreut worden sein, um die Sowjetunion bei den Arabern in Mißkredit zu bringen. Akopow hob bei dieser Gelegenheit die Aufnahme von Beziehungen zu den Golf-Emiraten und zu Oman als Beweis für das gestiegene sowjetische Prestige in der arabischen Welt hervor
Vermutlich aber hätte sich die arabische Entrüstung über einen solchen sowjetischen Schritt ohnehin in Grenzen gehalten. Einige arabische Staaten, darunter Ägypten und Jordanien, sollen die UdSSR diskret aufgefordert haben, Beziehungen zu Israel aufzunehmen, weil sie sich davon eine Beschleunigung des Verhandlungsprozesses, der einmal ein Friedensprozeß werden soll, versprechen Beide haben daran ein sehr reales Interesse: Ägypten, weil das einen weiteren Abbau seiner Isolation in der arabischen Welt bedeuten würde, und noch mehr Jordanien, weil dieser Weg der wahrscheinlichste wäre, verlorene Gebiete zurückzuerhalten und weil dazu die Chancen um so mehr schwinden, je mehr Zeit verstreicht. Ferner ließe das Israel nur noch einen Grund, die Teilnahme zu verweigern: nämlich die dann notwendigen Verhandlungen mit der PLO bzw.den von ihr benannten Vertretern der Palästina-Araber. Alle anderen Partner waren sich bis zu den Terroranschlägen der letzten Zeit über ein Mitspracherecht der Palästina-Araber einig.
Mochte sich also an der sowjetischen Haltung nichts wesentlich geändert haben, so trifft das nicht für den gesamten Ostblock zu. Zwar denken Ungarn und Polen noch nicht an die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen, aber doch immerhin an die Wiederherstellung ständiger Kontakte auf einer niedrigeren Ebene. Aus Jugoslawien ist ähnliches zu hören; die DDR und die SSR scheinen dagegen weiter auf Distanz bleiben zu wollen
Gute Beziehungen der Sowjetunion zu allen, oder: Griff ins Skorpionennest
Ganz allgemein läßt sich feststellen, daß die UdSSR im Verlauf der vergangenen anderthalb Jahrzehnte in Mittelost politisches Gewicht verloren hat. Die einst sehr engen Bindungen an Ägypten, Irak, Syrien, Sudan, Somalia, Algerien und Nordjemen sind überwiegend nuancenreicheren Beziehungen gewichen. Kühl-korrekte Beziehungen zu Ägypten, Somalia und Sudan stehen neben Bemühungen einiger Länder wie Algerien, Irak und Nordjemen, ein gleichermaßen distanziertes Verhältnis zu Ost und West zu unterhalten.
Das an der Oberfläche gute Verhältnis Moskaus zu Syrien vermag kaum darüber hinwegzutäuschen, daß beide Partner zu einer ganzen Reihe von Problemen verschiedene Auffassungen vertreten. Die relativen Neulinge in der sowjetischen Klientenschar, Libyen und Südjemen, haben zur Zeit die engsten Bindungen an Moskau. Beide sind im arabischen Lager ziemlich isoliert und bevölkerungsmäßig schwach. Ihre geographische Lage ist hingegen strategisch wichtig. Trotzdem ist es wohl berechtigt, sie eher für eine Belastung als für einen Gewinn für Moskau zu halten.
Die PLO, deren Anlehnung an Moskau im Verlauf der vergangenen zwölf Jahre immer enger wurde, ist heute abhängiger als je zuvor, aber auch von geringerem Nutzen für die sowjetische Mittelostpolitik; durch ihr tiefgehendes Zerwürfnis mit Syrien dürfte sie sogar ein ernsthaftes Handicap darstellen.
Einen diplomatischen Erfolg konnte die UdSSR hingegen am Persischen Golf verbuchen, wo die Vereinigten Arabischen Emirate und wenig später auch das Sultanat Oman Beziehungen zu Moskau aufnahmen was freilich nicht viel daran ändern wird, daß Sultan Qabus einer der dezidiertesten prowestlichen arabischen Staatsmänner bleiben wird. Dies könnte sogar dazu führen, daß nicht mehr das sowjetischen Vorstellungen gegenüber erstaunlich aufgeschlossene Kuwait Haupt-vertreter der Interessen der arabischen Halbinsel in Moskau bleibt.
Als Waffenlieferant dürfte Moskau allerdings noch lange im Geschäft bleiben und hierdurch Einfluß bewahren, vielleicht auch vergrößern. Allerdings gibt es Klagen, besonders aus Syrien, über die mangelnde Qualität sowjetischer Waffen im Vergleich mit den amerikanischen oder den selbstentwickelten Waffen der Israelis
Obwohl die Sowjetpropaganda nicht müde wird, den (insbesondere amerikanischen) Neokolonialismus anzuprangern — sei es in bezug auf den Libanonkonflikt, auf den Aufbau der Rapid Deployment Force, auf gemeinsame amerikanisch-ägyptische Manöver oder was auch immer —, ist heute das Verhältnis zahlreicher arabischer Staaten zu den ehemals klassischen Kolonial-mächten und zu den USA wesentlich entkrampfter als in der ersten Phase ihrer Unabhängigkeit. Selbst das amerikanische Engagement für Israel, das ja in seiner heutigen Intensität nicht mit der Gründung des jüdischen Staates einsetzte, sondern sich eigentlich erst nach dem Ende der Eisenhower-Ära zu entwickeln begann, steht heute guten diplomatischen Beziehungen zwischen Amerikanern und Arabern nicht mehr im Weg, sind es doch die USA, die über Einflußmöglichkeiten in Jerusalem verfügen und somit dort auch arabische Belange vertreten können.
Auch sollte nicht übersehen werden, daß eben für die nicht unmittelbar am arabisch-israelischen Konflikt Beteiligten oft andere Probleme Vorrang haben — Iran, Afghanistan, West-Sahara, um nur einige Beispiele zu nennen, oder auch die zahlreichen innerarabischen Konflikte. Diese schließen nicht nur eine gemeinsame Strategie aus, sie grenzen auch die Manövrierfähigkeit der Großmächte erheblich ein, weil jede Parteinahme automatisch ein gespanntes Verhältnis zum jeweiligen Gegenspieler zur Folge hat. Selbst die allerbehutsamste Politik erreicht nicht, z. B. ein gleich gutes Verhältnis zu Irak und Iran herzustellen.
1985 war nicht nur ein Jahr des Terrors, es war auch ein Jahr der Fühlungnahmen und der Verhandlungen. Manchmal freilich mit absurden Folgen: So hat der israeliche Rückzug aus dem Libanon den Eindruck bekräftigt, daß dort nur eine fremde Besatzung den Bürgerkrieg einzudämmen vermag. Der Streit um die künftige Struktur des Staates geht weiter, die Furcht vor der islamischen Unterjochung geht unter den Christen um, die Moslems beschuldigen die Christen, an ihrer alten Vormachtstellung festhalten zu wollen
1983/84 hatte Arafat dem jordanisch-ägyptischen Drängen auf einen Kompromiß, z. B. durch die Annahme der Resolution 242, widerstanden, obwohl besonders Hussein mahnte, die Zeit würde knapp, und die PLO vor Unbeweglichkeit warnte. Erst nach dem 17. Kongreß des Palästinensischen Nationalrates Ende November 1984 änderte Arafat seine Strategie unter dem Zwang der Verhältnisse: Dieser Kongreß war eine reine „Fatah“ -Veranstaltung. Die Gruppen Habbashs, Hawatmehs, Jibrils sowie die „Saiqa“ hatten ihre Teilnahme abgesagt. Arafat beschloß daher, auf die Einheit der PLO — die ohnehin nicht zu retten war — keine Rücksicht mehr zu nehmen und mit seiner Gefolgschaft seine Politik mit der jordanischen zu koordinieren Er stimmte seine neue Route auch mit König Fahd und Kronprinz Abdallah von Saudi-Arabien ab.
Im Februar 1985 hatten König Hussein und Arafat ein Abkommen ausgehandelt, nach dem sie sich beide gemeinsam um einen Friedensschluß im Rahmen einer internationalen Nahostkonferenz unter Einschluß der USA und der UdSSR bemühen wollten. Arafat scheint dabei seine Ansprüche reduziert zu haben, denn es war nun nicht mehr von einem unabhängigen Staat Palästina die Rede, sondern nur von einer Föderation mit Jordanien Dieser Prozeß wurde von Syrien wie von der Sowjetunion mit äußerstem Mißtrauen beobachtet. Syrien mußte natürlich jeder Machtzuwachs Jordaniens suspekt sein. Das allein wäre wohl noch kein Grund für Moskau gewesen, dagegen zu opponieren, aber anscheinend blieb es mißtrauisch, solange seine Teilnahme an der Konferenz nicht unwiderruflich feststand. Mos-kau sprach von einem zweiten Camp David oder auch von einer Wiederbelebung des Reagan-Plans obgleich König Hussein schon lange vorher erklärt hatte, ohne sowjetische Beteiligung sei ein Frieden im Nahen Osten nicht zu erreichen
Im Laufe des Jahres 1985 weilten Arafats Gegner Georges Habbash, Naif Hawatmeh und Khaled el-Fahum in Moskau, aber auch sein enger Vertrauter Abu Ijad. Gerüchteweise hieß es, Moskau sei bereit, Arafat zu „opfern“, um die PLO im Kampf gegen seine und König Husseins Linie neu zu einigen
Hussein und Arafat haben kein gemeinsames Kommunique über die Resultate ihrer Beratungen publiziert. Sie haben auch nicht mit völliger Klarheit gesagt, wie sie sich die Zusammensetzung der internationalen Nahostkonferenz vorstellen. Was Arafat sich von einer sowjetischen Beteiligung rebus sic stantibus verspricht, ist nicht recht klar, da Moskau auf seinen Intimfeind in Damaskus setzt. Genau das aber dürfte wiederum das Motiv für den Haschemitenkönig sein, denn der weiß genau, daß ein enges sowjetisch-syrisches Zusammenspiel alle Verhandlungen scheitern lassen kann. Und natürlich weiß er auch, daß der Syrer ihm die neue Zentralrolle Jordaniens als erfolgreicher Vermittler ebenso neidet wie die Aussicht, von Israel besetzte Gebiete auf dem Verhandlungswege zurückzubekommen.
Hussein, der die Brücken zu Ägypten schlug und dessen Isolation faktisch beendete, der andererseits Gastgeber für den Palästinenser-Kongreß war und über ein erträgliches Verhältnis zu Washington wie zu Moskau verfügt, hat zur Stunde die Fäden in der Hand, nach denen Assad und Gaddafi so gern greifen. Allerdings kann Hussein dem sowjetischen Wunsch, die Konferenz nicht unter der Verantwortung des UN-Sicherheitsrates, sondern unter gemeinsamem amerikanisch-sowjetischen Vorsitz abzuhalten, nichts abgewinnen * Es hat nicht an Versuchen gefehlt, den festgefahrenen Karren wieder flott zu machen. So hat Mubarak vorgeschlagen, die Konferenz in zwei Stufen abzuhalten: zunächst direkte Verhandlungen zwischen den Beteiligten, dann die „Absegnung“ der bei diesen Verhandlungen erreichten Ergebnisse durch eine internationale Konferenz Gegen den Vorschlag, die palästina-arabischen Belange durch Repräsentanten vertreten zu lassen, die keine Mitglieder der PLO sind, hat Arafat sich lange gesträubt. Dieser Vorschlag war auch von dem amerikanischen Emissär R. Murphy unterstützt worden, weil man so Israels kompromißlose Ablehnung aller Verhandlungen mit der PLO zu umgehen hoffte Das war Ende April 1985. Im August erklärte sich Arafat dann damit einverstanden womit nun wirklich Bewegung in den Prozeß kam, wenn auch nicht für lange.
Ende Oktober 1985 hielt Shimon Peres vor der UNO eine Rede, in der er Hussein — eigentlich auch Arafat — außerordentlich entgegenkam. Er führte aus, PLO-Mitglieder gälten nicht mehr als unakzeptable Verhandlungspartner, erwähnte die Möglichkeit von Grenzberichtigungen auf Grund von „Interimsregelungen oder permanenten Abkommen“ mit Jordanien und stimmte im Prinzip dem von der arabischen Seite gewünschten internationalen Rahmen zu. Dies gelte indes nur für die Aufnahme der Verhandlungen; die eigentlichen Verhandlungen müßten bilateral geführt werden.
Peres fügte allerdings hinzu, Staaten, die mit Israel keine diplomatischen Beziehungen unterhielten, sollten von der Teilnahme ausgeschlossen sein Damit konnte er eigentlich nur die Sowjetunion gemeint haben. Zwar haben die arabischen Staaten auch keine Beziehungen zu Israel, aber schließlich kann Israel nicht mit sich selbst verhandeln. In Israel sorgten Peres’ Koalitionspartner, der Likud, und weiter rechts stehende Kreise nach der Rede für starke innenpolitische Turbulenzen. Es mag sein, daß Peres seine Rede auch im Hinblick auf ihre Wirkung in der amerikanischen Öffentlichkeit, von deren Wohlwollen — über den Kongreß — Hussein nicht ganz unabhängig ist, so formuliert hat. Hussein kann also nicht einfach nein sagen, aber auch nicht ja, denn das Wohlwollen der manchmal recht selektiv prowestlichen Saudis braucht er auch. Er erteilte Peres denn auch keine klare Absage, sondern ließ erklären, sich auf keine „Teiloder einseitigen“ Friedenslösungen einlassen zu wollen — aber gerade darauf hatte ja Peres nicht bestanden Alle reden vom Frieden — aber wer will ihn wirklich? Jordanien und Israel sicher — aber der eine will keinen „Separatfrieden“, und der andere will ihn ohne die PLO. Der Libanon möchte schon Frieden mit Israel halten, aber er ist nicht Herr im eigenen Haus. Syrien als kriegslüstern zu bezeichnen, ist vielleicht übertrieben, aber es setzt nach wie vor auf Konfrontationskurs. Am wenigsten am Frieden sind diejenigen interessiert, die die Kriege nur als Zuschauer erlebten: Libyen, der Südjemen und Saudi-Arabien. Für PLO-Grup-pen, die Krieg und Terrorismus — nicht notwendigerweise gegen Israel; libanesische Zivilisten, Kreuzfahrt-und Flugzeugpassagiere tun es auch — für die einzig wahre Politik halten, sind auch verständigungsbereite arabische Politiker von jeher willkommene Zielscheiben gewesen.
Der Araber-Gipfel von Casablanca (7. -10. August 1985) war das erste Treffen auf höchster Ebene, das ohne einstimmigen Beschluß einberufen wurde. Es war die Idee Hassans von Marokko, Hussein und Arafat ein gesamtarabisches Plazet für Verhandlungen mit den USA aussprechen zu lassen. Syrien opponierte erbittert dagegen. Auch Südjemen und Algerien sagten ihre Teilnahme ab, ebenso der Libanon, und der vielleicht nicht einmal nur auf Grund syrischen Drucks. Hussein und Arafat erhielten auch keine vorbehaltlose Unterstützung, sondern würden nur ermächtigt, im Rahmen der Beschlüsse der Konferenz von Fez zu verhandeln — die aber sehen die Bildung eines PLO-Staates vor
Vor dem Hintergrund dieses ständig changierenden Kaleidoskops scheint es nicht haltbar, die stagnierende sowjetische Mittelostpolitik in den ausgehenden Breschnew-Jahren sowie unter Andropow und Tschernenko hauptsächlich auf Alters-oder Krankheitsgründe zurückzuführen. Mindestens in gleichem Maße machten es die der Region eigentümlichen Turbulenzen unmöglich, vorauszuplanen bzw. eine politische Marsch-route zu konzipieren, ohne unmittelbar in die innerarabischen Konflikte hineingezogen zu werden. Indessen zeichnet sich unter Gorbatschow-Sche-wardnadse eine Reaktivierung ab: Es erfolgte eine — noch überaus behutsame — Verminderung der Distanz zu Israel, dessen Politik noch am ehesten berechenbar ist, auch wenn der bevorstehende Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten von Peres zu Shamir eher auf den Kriegspfad als die Friedenskonferenz weist. Ein außenpolitischer Erfolg war die Aufnahme von Beziehungen zu Oman — übrigens einem entschiedenen Befürworter von Friedensverhandlungen. Das schwierigste Problem dürfte weiterhin die tiefgehende Feindschaft zwischen Arafat und Assad sein, als deren Sachwalter die UdSSR zu lange aufgetreten ist, als daß sie es sich jetzt erlauben könnte, einen von ihnen fallen zu lassen.
Man kann wohl aus den jüngsten sowjetischen Schritten schließen, daß man sich von einem durch moderaten Kurs erzielten Mitsprache-recht mehr Erfolg verspricht als von der Konfrontation.