Eine Bilanz
I. Zur Entwicklung Vertrauensbildender Maßnahmen von 1975 bis 1985
Seit der Vereinbarung von Vertrauensbildenden Maßnahmen (VBM) auf der KSZE-Konferenz in Helsinki im Jahre 1975 spielen VBM in der Abrüstungs-und Rüstungskontrollpolitik eine Rolle. Die mit dem Begriff „Vertrauensbildende Maßnahmen“ bezeichneten sicherheitspolitischen Instrumente haben jedoch schon eine längere Tradition und wurden keineswegs nur für das mitteleuropäische Dispositiv konzipiert und diskutiert. Solche Maßnahmen spielen ferner auch bei den MBFR-Verhandlungen in Wien als sogenannte „associated measures“ (AM) im Bereich der strategischen Abrüstung und im Rahmen der Vereinten Nationen (VN) eine Rolle. Die Diskussion über globale und regionale Anwendungsmöglichkeiten hat in den achtziger Jahren begonnen. 1. Die historischen Vorläufer Im Rahmen der Abrüstungsbemühungen der Supermächte tauchten bereits 1955 erstmals Maßnahmen auf, die zur Schaffung von „Vertrauen“ beitragen sollten. Sie waren in funktionaler Hinsicht dem ähnlich, was ab 1975 als Vertrauensbildende Maßnahmen bezeichnet wird. Sowohl die Sowjetunion als auch die USA machten Vorschläge zur Errichtung von Beobachtungs-, Inspektions-und Kontrollsystemen, von denen seinerzeit der „open sky“ -Vorschlag Präsident Eisenhowers besondere Beachtung verdiente. Diese Bemühungen gipfelten 1958 in einer — ergebnislos verlaufenden — Konferenz zur Verhütung von Überraschungsangriffen.
In den sechziger Jahren standen Versuche zur Verhütung eines unbeabsichtigten Krieges im Vordergrund. Aus dieser Zeit stammen die Abkommen zur Errichtung direkter Nachrichtenverbindungen, die als „hot-line“ -Abkommen bekannt wurden und bis in die jüngste Zeit im Gespräch blieben. Drei Abkommen aus den siebziger Jahren zwischen den USA und der Sowjetunion enthalten Maßnahmen, die in funktionaler Hinsicht den heutigen VBM ähneln:
— Das Abkommen zwischen den USA und der Sowjetunion von 1971 über Maßnahmen zur Verhinderung der Gefahr eines unbeabsichtigten Ausbruchs eines Kernwaffenkrieges;
— das Abkommen über Vermeidung von Zwischenfällen auf und über der hohen See von 1972;
— der SALT-I-Vertrag.
Im Rahmen des SALT-I-Vertrages wurden die bereits vorher vorgesehenen Ankündigungen von Raketenstarts zu Übungszwecken und das Nicht-verschlüsseln von Flugdaten durch die Einberufung der „Standing Consultative Commission“ (SCC) ergänzt. Dieses Expertengremium erlaubt den Supermächten einen Meinungsaustausch über technische Probleme der strategischen Rüstung unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Als zweiter wichtiger Entwicklungsstrang Vertrauensbildender Maßnahmen sind die bereits erwähnten „associated measures“ zu nennen, über welche seit 1973 in Wien im Rahmen der MBFR-Verhandlungen beraten wird. Sie dienen hier zur Verifizierung eines Truppenreduzierungsabkommens und waren zwischen Ost und West bisher stets umstritten. Während der Osten über eine Verifizierung erst nach erfolgter Abrüstung verhandeln will, sehen die NATO-Staaten die Vereinbarung von „AM“ als eine Voraussetzung für spätere Reduzierungen an.
Allen bisher erwähnten Vorschlägen zur „Vertrauensbildung“ war der Versuch gemeinsam, die Stabilität im militärischen Bereich zu erhöhen und ein Mehr an Sicherheit zu schaffen. Alle Maßnahmen hatten das Ziel, die Gefahr von Überraschungsangriffen zu verringern sowie Kriege aufgrund von Unfällen oder Fehlperzeptionen auszuschließen. 2. Das Dokument über Vertrauensbildende Maßnahmen im Rahmen der KSZE-Schlußakte von 1975
Der sowjetische Wunsch, eine europäische Si Das Dokument über Vertrauensbildende Maßnahmen im Rahmen der KSZE-Schlußakte von 1975
Der sowjetische Wunsch, eine europäische Sicherheitskonferenz abzuhalten, reicht bis ins Jahr 1954 zurück. Erst im Jahr 1970 war der Westen bereit, an einer solchen Konferenz teilzunehmen. Allerdings unter der Bedingung, daß die MBFR-Verhandlungen über einen gegenseitigen ausgewogenen Truppenabbau zwischen NATO und Warschauer Pakt parallel zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE) stattfänden und die USA und Kanada den anderen Teilnehmerstaaten gleichgestellt wären.
Im August 1975 wurde die Schlußakte der KSZE in Helsinki unterzeichnet. Sie ist ein umfassend angelegtes Dokument, welches die für die Entspannung wichtigen Themen in drei sogenannten Körben behandelt. Das VBM-Dokument ist Bestandteil von Korb I und nennt folgende freiwillig anzuwendende Maßnahmen:
— Die Ankündigung größerer militärischer Manöver von Landstreitkräften 21 Tage im voraus (darunter werden solche mit mehr als 25 000 Teilnehmern verstanden);
— die vorherige Ankündigung auch kleinerer Manöver;
— den Austausch von Manöverbeobachtern;
— die vorherige Ankündigung größerer militärischer Bewegungen;
— den Austausch von militärischem Personal einschließlich Militärdelegationen 1). Charakteristisch für diese Maßnahmen ist, daß sie allesamt in irgendeiner Form die Vermittlung von Information — oder zumindest die Schaffung der Voraussetzungen dazu — zum Gegenstand haben. Ihr Anwendungsraum erstreckt sich auf ganz Europa einschließlich angrenzender See-und Lufträume. Allerdings unterliegt das sowjetische Territorium nur im Gebiet 250 km ostwärts der Grenze zu Polen den Ankündigungsvereinbarungen. An dieser geographischen Privilegierung der Sowjetunion haben sich in der Folgezeit heftige Kontroversen entzündet, auf die später noch einzugehen sein wird. Die Implementierungspraxis seit 1975
Bevor die Implementierungspraxis von Ost und West beurteilt werden kann, muß einerseits festgehalten werden, daß die Schlußakte von Helsinki kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag ist, dessen Verletzung als völkerrechtliches Delikt bezeichnet werden kann. Andererseits handelt es sich auch nicht um eine folgenlose Absichtserklärung. Vielmehr ist sie irgendwo in jener Grauzone anzusiedeln, in der sich staatliche Verhaltens-und Normvorstellungen aus völkerrechtlich-politischen Postulaten zu rechtlichen Normen verdichten 2).
Daraus folgt, daß die Nichteinhaltung von Vereinbarungen keine Vertragsverletzung im völkerrechtlichen Sinn ist und nicht sanktioniert werden kann. Die Anwendung der Vereinbarungen nach Buchstaben und Geist gibt jedoch Aufschluß darüber, welche Bedeutung der jeweilige Staat der Schaffung von Stabilität mit Hilfe von VBM beimißt.
Insgesamt gesehen ist bisher das westliche Interesse an einer dem Geist des VBM-Dokuments entsprechenden Implementierung größer als das östliche. Während auch der Osten Manöverankündigungen vor allem in den siebziger Jahren vornahm, hat der Westen wesentlich mehr Information bei der Ankündigung zur Verfügung gestellt. Der Hauptunterschied liegt jedoch im Bereich des Beobachteraustausches. Während die NATO und insbesondere die Bundesrepublik zu fast allen größeren Manövern Beobachter einlud, verfuhr der Warschauer Pakt von 1975 bis 1979 meist selektiv und hat in der Zeit von 1979 bis 1985 überhaupt keine Beobachter eingeladen 3). Dabei ist bemerkenswert, daß die Sowjetunion keineswegs jeder Einladung entspricht, sondern häufig das Angebot zur Manöverbeobachtung nicht wahrnimmt.
Ursache für diese unterschiedliche Implementierung ist der grundsätzliche Dissens über Aufgaben und Ziele von VBM. Während der Westen VBM nutzt, um zu zeigen, daß er keine Angriffs-absichten hat, empfindet der Warschauer Pakt den Austausch von militärischen Daten als Ein-Schränkung seiner Souveränität und Legalisierung von Spionage. Dahinter verbirgt sich die im Systemgegensatz begründete Kontroverse Transparenz versus Geheimhaltung. Die Weiterentwicklung des ursprünglichen KSZE-Konzepts Im Laufe der Folgekonferenzen der KSZE in Belgrad und Madrid haben eine Reihe von Teilnehmern Vorschläge zur Weiterentwicklung und Ergänzung bisher bekannter VBM gemacht. Diese Vorschläge lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen:
Einmal handelt es sich um Vorschläge, die auf eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Manöverbeobachtung hinauslaufen. Außerdem wurde dafür plädiert, die Manöver früher und auch bei geringeren Teilnehmerzahlen anzukündigen. Die zweite Gruppe bilden Maßnahmen, die nicht im VBM-Dokument der KSZE-Schlußakte aufgeführt sind, jedoch nicht völlig neu sind und nicht nur zur Verbesserung des militärischen Informationsaustauschs beitragen. Dazu zählen die Vorschläge zur Offenlegung und Beschränkung von Militärbudgets, das Verbot von Manövern in Grenznähe oder das Verbot der Errichtung neuer Militärstützpunkte, das Verbot des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen, die größenmäßige Beschränkung von Manövern und der Verzicht auf Erweiterung bestehender Militärallianzen.
Die Verhandlungen darüber auf den Nachfolge-konferenzen in Belgrad und Madrid haben jedoch zu keinen neuen Vereinbarungen geführt. Vertrauensbildende Maßnahmen im Rahmen der Vereinten Nationen Die auf Initiative der Bundesregierung 1978 begonnenen Beratungen von VBM im Rahmen der Vereinten Nationen haben zu einer erneuten Erweiterung des ursprünglichen KSZE-VBM-Modells geführt. Während VBM zunächst auf Europa beschränkt und für den militärischen Bereich konzipiert waren, werden nun global anwendbare Maßnahmen, die sich nicht nur auf den militärischen Bereich erstrecken, besprochen. 1978 forderte der VN-Generalsekretär die Mitgliedstaaten auf, ihre Ansichten über solche Vertrauensbildenden Maßnahmen zu übermitteln. 1979 wurde eine VN-Studiengruppe zum Thema „confidence-building measures“ eingerichtet. Den Vorsitz erhielt die Bundesrepublik Deutschland. Am Ende der Beratungen konnte eine umfassende Studie über Vertrauensbildende Maßnahmen verabschiedet werden. Sie enthält eine Fülle zumeist altbekannter Vorschläge, die von militärischen Beschränkungsmaßnahmen — so-genannten „constraints“ — bis zu Absichtserklärungen, ja sogar bis zur Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung reichen. Das Verdienst der VN-Diskussion über VBM ist der Beginn eines weltweiten Nachdenkens über Möglichkeiten und Sinn dieser Maßnahmen in unterschiedlichen regionalen Kontexten 4).
Im Frühjahr 1983 organisierte die Bundesregierung ein internationales Expertentreffen über VBM in Schloß Gracht bei Bonn, um den weltweiten Gedankenaustausch zu fördern 5). 6. Die Konferenz über Vertrauensbildung und Abrüstung in Europa (KVAE)
Bereits im Jahre 1978 unterbreitete Frankreich den KSZE-Teilnehmerstaaten ein Memorandum, in dem vorgeschlagen wurde, eine Konferenz über Abrüstung in Europa (KAE) einzuberufen.
Diese Konferenz sollte zwei Phasen umfassen: — die Förderung des Vertrauens sowie — die Begrenzung und Verringerung der wichtigsten konventionellen Waffen.
Der französische Vorschlag bildete die Grundlage für die langwierigen Verhandlungen über das Mandat für eine KVAE. Es konnte erst in allerletzter Minute auf der KSZE-Nachfolgekonferenz in Madrid verabschiedet werden. Aus westlicher Sicht hing das Zustandekommen einer KVAE davon ab, ob im Mandat für eine solche Konferenz festgeschrieben war, daß die zu verhandelnden VBM — militärisch bedeutsam, — politisch verbindlich, — angemessen verifizierbar und — vom Atlantik bis zum Ural reichen würden. Während über die beiden ersten Punkte im Verlauf der Mandatsverhandlungen Einstimmigkeit hergestellt werden konnte, waren die Forderung nach angemessener Verifizierbarkeit sowie der vorgeschlagene Anwendungsraum vom Atlantik bis zum Ural heftig umstritten.
Was die angemessene Verifizierbarkeit anbelangt, so konnte sich der Westen mit seiner Forderung nach einer klaren Regelung nicht durchsetzen. Die Forderung nach einem Anwendungsraum vom Atlantik bis zum Ural hat die Sowjetunion nur unter der Bedingung akzeptiert, daß ein Teil der an Westeuropa angrenzenden Seegebiete in die Vereinbarungen mit einbezogen werden. Die geographische Ausdehnung dieser Gebiete konnte jedoch bis heute nicht geklärt werden. Die Sowjetunion verlangte, daß das atlantische Seegebiet vor der europäischen Westküste soweit mit einzubeziehen sei, wie Europa sich nach Osten ausdehnt, wenn die Atlantikküste die Mittellinie des gesamten Anwendungsraumes ist. Hierdurch würden der gesamte Nordatlantik und Teile der Ostküste Nordamerikas in die Vereinbarungen über europäische Sicherheitsprobleme mit einbezogen. Einer solchen Regelung widersetzen sich die USA
Ungeachtet der hier beschriebenen Schwierigkeiten konnte die KVAE am 17. Januar 1984 in Anwesenheit der Außenminister der KSZE-Teilnehmerstaaten beginnen. Dem Mandat entsprechend waren 1984 vier Sitzungsperioden vorgesehen, während denen vertrauensbildende Maßnahmen verhandelt werden sollten. In der Zeit von Januar bis Mai 1984 wurden der Reihe nach vier Verhandlungspakete vorgelegt:
— von der NATO, — von Rumänien, — von den neutralen und nichtgebundenen Staaten (N + N-Staaten) — und von der Sowjetunion
Diese Vorschläge spiegeln die unterschiedlichen Präferenzen wider, welche schon auf den KSZE-Nachfolgekonferenzen zutage traten, unterscheiden sich im Detail aber teilweise erheblich von dem in Helsinki Vereinbarten. Hatten sich die VBM 1975 noch im wesentlichen auf Manöverankündigung und Beobachteraustausch beschränkt, so enthalten vor allem die Vorschläge der NATO und Rumäniens, aber auch die der Neutralen Ergänzungen und Erweiterungen nicht nur im Bereich der Informationsmaßnahmen, sondern auch im Bereich möglicher Restriktionen für militärische Potentiale.
Während die NATO-Staaten mit ihren Vorschlägen — ihrer Interessenlage entsprechend — das Schwergewicht auf transparenzfördernde Informationsmaßnahmen im militärischen Bereich legen, ist für die Neutralen die Beschränkung bestimmter militärischer Aktivitäten, durch die ihre Sicherheit bedroht wird, wesentlich.
Die Sowjetunion stellte deklaratorische Maßnahmen, insbesondere ein Gewaltverzichtsabkommen, in den Mittelpunkt.
Alle Vorschläge sind eine Reflexion der jeweiligen Bedrohungslage. Die NATO-Vorschläge zielen auf eine Reduktion der Gefahr eines Überraschungsangriffs, die Neutralen wollen sich gegen Einschüchterung durch bedrohliche, grenznahe militärische Aktivitäten schützen, und die Sowjetunion versucht die Vorteile, die aus ihrer konventionellen Überlegenheit resultieren, festzuschreiben und auf die westliche Öffentlichkeit einzuwirken.
Im Januar 1985 hat zunächst die Sowjetunion ihren Verhandlungsvorschlag präzisiert Er gliedert sich in sechs Unterpunkte:
1. Verbot des Ersteinsatzes von Nuklearwaffen 2. Gewaltverzicht 3. Einfrieren der Militärhaushalte 4. Verbot chemischer Waffen in Europa 5. Kernwaffenfreie Zone 6. Vertrauensbildende Maßnahmen
Der NATO-Vorschlag vom 6. März 1985 gliedert sich ebenfalls in sechs Unterpunkte 1. Informationsaustausch über Streitkräfte-Strukturen 2. Jahresübersichten der anzukündigenden militärischen Aktivitäten 3. Bestimmungen über die Ankündigung militärischer Aktivitäten 4. Beobachteraustausch 5. Einhaltung und Verifikation 6. Entwicklung von Kommunikationsmitteln. Nach langem Ringen haben die N + N-Staaten im November 1985 die in alle Einzelheiten gehende Ausarbeitung ihres ursprünglichen Verhandlungsvorschlags eingebracht Sie umfaßt neun Unterpunkte:
1. Bestimmung zur Ankündigung von Manövern 2. Jahresübersicht der militärischen Aktivitäten 3. Ankündigung anderer militärischer Aktivitäten außer Manövern 4. Beobachteraustausch 5. Beschränkungen der Manövertätigkeit 6. Beobachtung militärischer Aktivitäten auf Verlangen 7. Vereinbarungen über die Aufrechterhaltung von Telekommunikationsverbindungen 8. Konsultationen über die Anwendung der vereinbarten vertrauensbildenden Maßnahmen 9. Erklärung zum Gewaltverzicht.
Am Ende der 7. Verhandlungsrunde im Oktober 1985 wurden fünf „informelle Arbeitsgruppen“
eingerichtet, in denen die schriftlichen Formulierungen für ein Schlußdokument ausgearbeitet werden sollen. Diese Arbeit hat am 28. Januar 1986 in der 9. Verhandlungsrunde begonnen.
Schweden ist für die Arbeitsgruppe Notifizierung von Truppenbewegungen zuständig; Finnland für Manöverbeobachtung; die Schweiz für Information und Verifikation sowie in einer zweiten Gruppe für die zahlenmäßige Beschränkung von Manövern und den Austausch von Jahresübersichten; Österreich für eine Gewaltverzichtserklärung Dabei hat man sich darauf geeinigt, nur noch über Punkt 2 (Gewaltverzicht) und Punkt 6 (Vertrauensbildende Maßnahmen) des sowjetischen Vorschlags zu verhandeln, wenn die NATO ihrerseits die Punkte 1 (Informationsaustausch über Streitkräftestrukturen), 5 (Einhaltung und Verifikation) und 6 (Entwicklung von Kommunikationsmitteln) zusammenfaßt und damit teilweise preisgibt
Zu Beginn der 9. Verhandlungsrunde sieht es so aus, als ob Einigkeit darüber bestünde, daß das angestrebte Abkommen die Verpflichtung enthalten wird, wesentliche militärische Aktivitäten ein Jahr im voraus in Form einer Jahresübersicht anzukündigen. Zweitens ist man sich einig, daß die Ankündigungspflicht auch für militärische Aktivitäten verbindlich sein soll, die wesentlich unter der Schwelle von 25 000 Mann liegen. Drittens sollen die Bestimmungen für Beobachtungen umfassender und in jedem Fall verbindlich werden.
Und viertens steht der Bekräftigung des in der VN-Charta kodifizierten Gewaltverzichts nichts entgegen.
Weiterhin umstritten sind erstens Informationsmaßnahmen über die Dislozierungsstruktur von Streitkräften in Europa, zweitens die Notifikation von Luft-und Seeaktivitäten, die nicht unmittelbar mit Landaktivitäten der NATO-Streitkräfte in Europa in Verbindung stehen, drittens der Umfang und die Modalitäten der nötigen „on-site inspection“ und viertens Beschränkungsmaßnahmen von Manövern, die sich nicht asymmetrisch auswirken.
Gelingt es, diese Schwierigkeiten in der noch verbleibenden Zeit bis zum Ende der KVAE am 19. September 1986 zu lösen, dann sind die Chancen für ein Abkommen nicht schlecht.
II. Zur Konzeption Vertrauensbildender Maßnahmen
Den Kern des konzeptionellen Dissenses bildet die bereits erwähnte Kontroverse: Transparenz versus Geheimhaltung. Unter Transparenz im militärischen Bereich versteht der Westen die Durchschaubarkeit militärischer Strukturen. Nach westlichem Verständnis könnten beide Seiten grundsätzlich die Offenlegung vieler militä-rischer Details durch VBM vornehmen und vereinbaren. Mit Hilfe von VBM könnte der Gegenseite klargemacht werden, daß man keine militärischen Angriffsabsichten hegt und militärische Macht nicht als Instrument zur politischen Erpressung dient. Infolgedessen würde die politische Stabilität, aber auch die militärische Sicherheit, gefördert und ein Beitrag zur Schaffung von „Vertrauen“ im Umgang miteinander geleistet.
Im Gegensatz hierzu ist Transparenz im militärischen Bereich für die Sowjetunion offenbar bisher nahezu unerträglich. Aus ihrer Sicht ist Transparenz militärischer Strukturen eine unakzeptable Beeinträchtigung des Bedürfnisses, die Sicherheit durch Geheimhaltung zu waren. Darüber hinaus würden Maßnahmen zur Verringerung der Möglichke'it, mit militärischer Macht politischen Druck auszuüben, die Rüstungsanstrengungen vergangener Jahre nutzlos machen.
Die grundsätzliche Ablehnung des Transparenz-gedankens und die Besonderheiten geschlossener Gesellschaften führten dazu, daß die Debatte um Ziele und Aufgaben von VBM im Bereich der Rüstungskontrolle fast ausschließlich im Westen und in den N + N-Staaten geführt wird.
Im Laufe der westlichen Konzeptdiskussion hat sich zur Typologisierung der verschiedenen Einzelmaßnahmen die Unterscheidung zwischen „Informationsmaßnahmen“ und „constraints“ durchgesetzt. VBM können völkerrechtlich verbindlich vereinbart, einseitig vorgenommen oder stillschweigend gegenseitig angewendet werden. 1. Die wissenschaftliche VBM-Diskussion in der Bundesrepublik Soll mit diesen Maßnahmen substantielle Politik gemacht werden, dann ist begriffliche Klarheit unbedingt herbeizuführen. Ohne sie wird am Gesprächspartner vorbeigeredet. Solange man mit dem Kürzel VBM inhaltlich ganz verschiedene Vorstellungen verbindet, dies aber nicht thematisiert, haben Übereinkünfte wenig Sinn. Neben begrifflicher Präzision in allen wichtigen Verhandlungssprachen muß die Konzeption von VBM auch etwas über die konkreten Aufgaben dieser Maßnahmen aussagen. Mit anderen Worten: Es muß klar sein, welche konkreten Funktionen VBM in der Sicherheitspolitik übernehmen können. Dabei kommt es auf Augenmaß und Realitätssinn an. Sind die Funktionen deutlich, können anzustrebende Ziele formuliert werden.
Bei der Konzipierung von VBM kann heute zwischen zwei Denkrichtungen unterschieden werden.
Erste Denkrichtung: Sicherheit durch Vertrauen Vertreter dieses Denkansatzes versuchen mit Hilfe von Vertrauensbildung Sicherheit zu schaffen. „Vertrauensbildung“ wird zu einem wichtigen politischen Mittel bei der Gewährleistung der äußeren Sicherheit von Staaten und kann an die Stelle von Verteidigungspolitik mit militärischen Mitteln treten oder sie zumindest ergänzen. Die Sicherheitsbeziehungen von Staaten könnten somit auf eine radikal neue Basis gestellt werden.
Typische Vertreter dieser Denkrichtung erklären den Begriff von VBM in Analogie zu Erkenntnissen der Individual-oder Sozialpsychologie: In der Psychologie ist Vertrauen als Verhaltensnorm von Individuen und sozialen Gruppen definiert, die der Verringerung sozialer Komplexität dient und damit Interaktion überhaupt erst möglich macht. Vertrauen kann als Bereitschaft eines Akteurs bezeichnet werden, im voraus und ohne gesichertes Wissen von einer bestimmten Handlungsweise eines anderen Akteurs auszugehen. VBM werden weiter als Hilfsmittel bezeichnet, um im Zustand objektiver Ungewißheit das subjektive Sicherheitsempfinden zu vergrößern. Vertrauen dient der Überwindung eines Unsicherheitsgefühls. Es wird durch wechselseitige Schritte des Vertrauensvorschusses und -gewinns ermöglicht. Die Wirksamkeit von VBM wäre durch einseitige Schritte zu sichern, die einen gegenseitigen Prozeß in Gang setzen würden. Dieser wechselseitige Prozeß bedürfe keiner vertraglichen Vereinbarung, sondern wirke gleichsam von selbst, sei er erst einmal in Gang gesetzt.
Hauptfunktion von VBM ist die Verbesserung des politischen Klimas zwischen Ost und West und ein Abbau von Spannungen und Furcht ganz allgemein. Ist erst ein solches Vertrauensklima geschaffen, dann wird Rüstungskontrolle und Abrüstung bald zu Ergebnissen führen. Letztlich zielen VBM auf eine Überwindung des gegenwärtigen Sicherheitssystems, das auf dem „worst-case-Denken" beruht. Die Doktrin der Abschreckung und die aktuelle NATO-Strategie müssen an ein neues, auf Vertrauen beruhendes System in den Beziehungen von Staaten angepaßt werden. Auf diese Weise könnte man ein gutes Stück auf dem Weg zum positiven Frieden vorankommen.
Zweite Denkrichtung: Vertrauen durch Sicherheit Im Gegensatz zu den Vertretern des ersten Denkansatzes geht es der zweiten Denkrichtung darum, die Bedingungen der Sicherheit zu verbessern, um auf dem Weg gewachsener Sicherheit vor möglichen Gefahren das gegenseitige Vertrauen in die friedlichen Absichten zu stärken und so zur Stabilität beizutragen. Vertrauensbildende Maßnahmen haben hier inhaltlich zuerst mit Sicherheit und Stabilität und erst in zweiter Linie mit Vertrauen im psychologischen Sinn zu tun. Um den semantischen Irrtümern zu entgehen, sollte man allerdings besser von stabilisierenden Maßnahmen (SM) sprechen, wie dies Vertreter des zweiten Denkansatzes teilweise bereits tun
Aufgabe solcher Maßnahmen ist die Übermittlung glaubhafter Beweise für die Abwesenheit tatsächlicher oder befürchteter Bedrohungen, vor allem im militärischen, aber auch im politischen Bereich. Mit anderen Worten: VBM sollen es der Gegenseite besser ermöglichen, die eigenen, grundsätzlich friedfertigen militärischen Absichten zu erkennen, und verhindern helfen, daß über Absichten der anderen Seite Fehlperzeptionen entstehen.
Konkrete Bedrohungselemente, die von VBM beeinflußt werden sollen, sind beispielsweise bestimmte, als besonders bedrohlich geltende militärische Aktivitäten und Manöver — etwa Landungsübungen, grenznahe Großmanöver zu ungewöhnlicher Zeit, Vorwärtsdislozierung besonders stoßkräftiger Waffensysteme in großer Zahl, Behinderung nationaler technischer Nachrichten-mittel oder mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten über militärische Strukturen, Poten-tiale und Absichten, die zu Mißverständnissen beitragen. Der Abbau so gearteter Bedrohungselemente ist die Aufgabe von VBM. Die Bereitschaft, VBM auch tatsächlich anzuwenden, sowie die Implementierung von etwaigen Vereinbarungen können als Gradmesser für das Interesse an der Verbesserung der sicherheitspolitischen Beziehungen angesehen werden. Gelingt eine Beschränkung des militärischen und politischen Nutzens von Streitkräften und Waffensystemen im Vorfeld substantieller Abrüstung zusammen mit einer Intensivierung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen, dann werden Unsicherheiten und Spannungen im Ost-West-Verhältnis geringer und erfolgreiche Rüstungskontrolle eher möglich.
Bewertung und Schlußfolgerungen Die Kritik an der ersten Denkschule muß bei der individual-oder sozialpsychologischen Begriffserklärung von VBM ansetzen. Da es grundsätzlich methodisch umstritten ist, Erkenntnisse auf die internationalen Beziehungen zu übertragen, welche die Psychologen auf der Individual-oder Gruppenebene gewonnen haben, ist eine Gleichsetzung der Erkenntnisebenen nicht ohne weiteres zulässig. Es können allenfalls Punkte oder Bereiche identifiziert werden, in denen die Psychologie für die internationale Politik relevant ist. Das ist z. B. überall dort der Fall, wo Personen als hauptsächlich für sich verantwortliche Individuen und nicht als Amtsträger die internationale Politik beeinflussen. Mit anderen Worten: Eine Übertragung von psychologischen Erkenntnissen auf die internationale Politik ist nur dann möglich, wenn die primäre Analyseebene die der internationalen Politik ist, d. h. wenn der historische, politische und juristische Kontext mitberücksichtigt wird.
Zum anderen ist es inhaltlich fragwürdig, individuelles, psychologisch definiertes Vertrauen gleichsam mit staatlichem Vertrauen oder gar mit dem Zweck von VBM gleichzusetzen. Das Ziel von VBM sollte nicht in erster Linie „Vertrauensbildung“, sondern leichtere Erkennbarkeit von genau definierten militärischen Strukturen und Aktivitäten sein, die als bedrohlich gelten.
Neben der Erhöhung von Transparenz und Offenheit können VBM in Form von „constraints“ zur Errichtung eines militärischen Regelsystems beitragen, wodurch bestimmte, besonders gefährliche militärische Optionen, die vor allem auch der politischen Erpressung dienen, eingeschränkt werden.
Die dritte wesentliche Funktion von VBM ist die der Verifikation von Rüstungskontrolle und Abrüstung. Hierunter fällt einerseits die Nichtbehinderung nationaler technischer Mittel und andererseits die aktive Verifikation in Form von „onsite inspection“ auf gegnerischem Territorium auch gegen den Willen des Betroffenen und ohne Ankündigung. Sie tragen dazu bei, daß Rüstungskontrollabkommen korrekt angewendet und auch eingehalten werden.
VBM haben mithin Informations-und Beschränkungsfunktionen und dienen der Verifikation. Werden VBM solche konkreten Aufgaben übertragen, dann kann substantielle Außenpolitik mit ihnen gemacht werden. Sie werden dagegen relativ erfolglos sein, wenn sie direkt das politische Klima zwischen Ost und West verbessern sollen, d. h., wenn sie Aufgaben übernehmen sollen, die ihrem funktionalen Charakter nicht entsprechen. Dies leuchtet ein, wenn man sich z. B. vor Augen hält, daß durch Ankündigung von Manövern allein, als einer VBM, das Gesamtklima im Ost-West-Verhältnis nicht grundlegend positiv beeinflußt werden kann, denn die Abhaltung von Manövern ist nicht die Ursache des Ost-West-Gegensatzes und des daraus resultierenden, teilweise schlechten Klimas zwischen den Blöcken.
Klare Begrifflichkeit und Aufgabenstellung bieten zudem eine gewisse Gewähr dafür, daß VBM nicht zum Vehikel anderer politischer Bestrebungen werden, denn manche Vorschläge haben nur im weitesten Sinne mit dem Abbau von konkreten sicherheitspolitischen Bedrohungselementen zu tun, wie etwa die Errichtung einer neuen Welt-wirtschaftsordnung oder ein Nichtangriffspakt. 2. Die VBM-Konzeption der Bundesregierung An der Konzipierung von VBM und der Festlegung der Position der Bundesregierung in den Verhandlungen, die VBM zum Thema haben, sind die Unterabteilung 22 des Auswärtigen Amtes mit seinen nachgeordneten Referaten sowie der Führungsstab der Streitkräfte im Verteidigungsministerium mit den entsprechenden Abteilungen maßgeblich beteiligt. Beamte und Soldaten aus beiden Ministerien nehmen im Kanzler-amt eine Koordinationsfunktion wahr. In diesem institutionellen Dreieck spielen sich die Entscheidungsprozesse ab. Das Parlament oder einzelne Abgeordnete haben nur geringen Einfluß, da VBM in der öffentlichen Sicherheitsdiskussion kaum eine Rolle spielen. Von Zeit zu Zeit treffen sich Wissenschaftler und Administratoren auf gemeinsamen Konferenzen zu einem Meinungsaustausch. In Einzelfällen bedient sich die Administration der Erkenntnisse, welche die Wissenschaft gewonnen hat, generell bleibt der Einfluß der Wissenschaftler jedoch marginal.
Es ist grundsätzlich offizielle Auffassung, daß der Ost-West-Dialog an sich zur Stabilität und Sicherheit beiträgt. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Tatsache an, daß konkrete Ergebnisse erzielt werden, als vielmehr darauf, daß durch den Dialog auf vielen Ebenen ein Netz von Interdependenzen geschaffen wird, das die Gegenseite einbindet und der gemeinsamen Sicherheit verpflichtet. In solchen Verhandlungen erkundet man die Einstellung der anderen Seite und kann eigene Vorstellungen vermitteln. Dies fördert das gegenseitige Verstehen
Es fällt auf, daß der von 1975 an gebrauchte Begriff Anfang der achtziger Jahre modifiziert wurde. Auf der KVAE in Stockholm wird heute nicht mehr über Vertrauensbildende Maßnahmen (VBM), sondern über Vertrauens-und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) verhandelt. Die Verwendung dieses modifizierten Begriffs soll vermutlich zum Ausdruck bringen, daß es sich bei diesen Maßnahmen primär um Schaffung von Sicherheit und Stabilität handelt, wodurch auch das gegenseitige Vertrauen wachse. Die Verantwortlichen haben damit der Tatsache Rechnung getragen, daß Vertrauen allein in den internationalen Beziehungen eine kaum definierbare und meßbare Größe ist und der Begriff leicht zur semantischen Falle werden kann.
Im Gegensatz hierzu wird im Rahmen der Vereinten Nationen auch heute noch mit der alten Bezeichnung operiert. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, daß sich die Bundesrepublik im Rahmen der Vereinten Nationen mit ihrem weiteren Konzept verhandlungstaktische Flexibilität erhalten will. Im Gegensatz zu den für Europa feststehenden regionalen Rahmenbedingungen müssen global anwendbare VBM begrifflich und konzeptionell anpassungsfähig sein.
III. Zur Zukunft Vertrauensbildender Maßnahmen
Der traditionelle Diskussionsrahmen von VBM ist die Entspannungs-und Rüstungskontrollpolitik, wie sie Anfang bis Mitte der siebziger Jahre im Westen geplant war. Damals erhoffte man sich durch eine Intensivierung der Kooperation auf den Gebieten der Wirtschaft, Technik, Kultur und Sicherheit eine tiefgreifende Verbesserung des Ost-West-Klimas. Nach beachtlichen Anfangserfolgen ist seit Beginn der achtziger Jahre nur noch wenig von der Entspannungs-und Rüstungskontrollpolitik der siebziger Jahre übrig geblieben.
In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich zu fragen, ob VBM als Teil der damaligen Entspannungs-und Rüstungskontrollpolitik heute unter veränderten politischen Rahmenbedingungen gleichermaßen nützlich sind.
Während damals — in einer Phase relativer politischer Entspannung zwischen den Blöcken — die Klimaverbesserung mittels VBM auch auf den sicherheitspolitischen Bereich übertragbar zu sein schien, ist dies in Zeiten relativer Gespanntheit kaum denkbar, ja sogar als anachronistisch zu bezeichnen. Heute könnte ein verfeinertes, an die geänderten Rahmenbedingungen angepaßtes VBM-Konzept allenfalls künftige Rüstungskontrollmaßnahmen vorbereiten.
Das im Mittelpunkt der NATO-Verhandlungsposition auf der KVAE stehende Ziel der größeren Transparenz und Berechenbarkeit militärischer Strukturen und Aktivitäten richtet sich primär auf eine Offenlegung von Absichten und Motiven und erst in zweiter Linie auf eine direkte Beeinflussung militärischer Potentiale. Gelänge es jedoch, den politischen und militärischen Nutzen militärischer Macht durch die Errichtung eines Regelsystems für militärische Aktivitäten zu mindern, könnten sich neue Anreize für Rüstungskontrolle und Abrüstung einstellen. Mit Ausnahme der Sowjetunion haben der Westen und die Neutralen und Nichtgebundenen mit ihren Vorschlägen in Stockholm zu erkennen gegeben, daß sie diesem Ansatz Gewicht beimessen.
Während solche Ziele zunächst noch in weiter Ferne liegen, geht es dem Westen in Stockholm gegenwärtig lediglich um eine Präzisierung der Bestimmungen bei der Vorankündigung und Kontrolle von militärischen Aktivitäten außerhalb der Garnisonen von einer oder mehr Divisionen und um einen verbesserten Beobachter-11 austausch. Das Ziel ist ein wirksamer Schutz vor Überraschungsangriffen. Erreichen will man dieses Ziel, indem VBM militärisch so bedeutsam werden, daß sie Vorwarnzeiten verlängern und so den Überraschungsangriff erschweren. Aber können VBM militärisch wirklich so bedeutsam werden?
Es ist nur schwer vorstellbar, daß die auf der KVAE diskutierten VBM, auch wenn sie vertraglich bindend wären, militärisch bedeutsame Erkenntnisse liefern, durch die Vorwarnzeiten verlängert würden. Einiges deutet darauf hin, daß dies wirksam und eindeutig nur durch eigene Aufklärungsmittel möglich ist. Mit anderen Worten: Was die Nachrichtendienste und die nationalen technischen Mittel an militärisch bedeutsamer Information nicht liefern können, das kann durch VBM nicht ausgeglichen werden.
Mithin ist die westliche Forderung nach „militärisch bedeutsamen“ VBM inhaltlich problematisch, wenn VBM militärisch kaum so bedeutsam sein können, daß durch sie die Gefahr eines Überraschungsangriffs tatsächlich gemindert wird, zumal sich die Sowjets bisher gegen eine wirksame Kontrolle möglicher Vereinbarungen immer gewehrt haben.
Diese Überlegung zeigt exemplarisch, wie schwer es ist, durch VBM eine Verbesserung der Sicherheitslage zu erreichen. Das Hauptproblem liegt jedoch darin, daß die Sowjetunion das theoretische Konzept von konkreten VBM ablehnt und die Absicht des Westens nicht teilt, mit Hilfe von VBM zu zeigen, daß kein militärischer Angriff zu befürchten ist.
Die Aussichten einer Verwirklichung von VBM müßten grundlegend anders eingeschätzt werden, wenn der Osten die Bestimmungen des VBM-Dokuments von Helsinki dem Geist nach hinlänglich erfüllt hätte. Solange sich die Sowjetunion weigert, nachprüfbare Beweise für ihre Friedfertigkeit zu liefern, ist der Schluß unabwendbar, daß sie letztlich gar keine friedfertigen Absichten hat. Trifft dies zu, dann kann weder vereinbarte Rüstungskontrolle noch sicherheitspolitische Vertrauensbildung der Bedrohung, die von der Sowjetunion ausgeht, entgegenwirken.
Um eine Prognose über die Zukunft von VBM im Kontext der Ost-West-Abrüstungspolitik abgeben zu können, muß man sich das unterschied-B liehe politische Vorverständnis in Ost und West vor Augen führen, wie dies Falk Bomsdorf vor kurzem tat Ihm zufolge geht es dem Westen als einem Status-quo-Machtblock darum, durch Rüstungskontrolle neben innenpolitischen Zielen militärische Stabilität auf möglichst niedrigem Niveau zu erreichen. Denn nur so kann die zivile Qualität der westlichen Gesellschaftsordnung, die auf dem Prinzip der individuellen Freiheit beruht, dauerhaft gegenüber dem Osten behauptet werden.
Die Sowjetunion ist schon auf Grund ihres Selbstverständnisses keine Status-quo-Macht und daher nicht oder nur teilweise an Stabilität interessiert. Sie behauptet ihre Supermachtrolle allein mit Hilfe ihrer Militärmacht. Nach sowjetischer Auffassung kann nur überlegene militärische Macht politische Gewinne zeitigen und die Führbarkeit und Gewinnbarkeit eines Krieges, im schlimmsten Fall gegen die USA, Europa und China zusammen, gewährleisten.
Aus der Sicht der Sowjetunion hat Rüstungskontrolle folgende Ziele: Ihr Hauptziel und Kern der Verhandlungsstrategie in Stockholm ist eine Beeinflussung oder Veränderung des politisch-psychologischen Bewußtseins der Bevölkerung westlicher Staaten mit dem Kalkül, daß sich über ein verändertes Bewußtsein auch die politischen Verhältnisse zugunsten der Sowjetunion ändern. Rüstungskontrolle hat außerdem zum Ziel, dem Westen militärtechnische Vorteile zu verwehren und die Kosten für die Rüstung berechenbar zu machen.
Hieraus folgt, daß die Sowjetunion den westlichen Rüstungskontrollansatz und damit auch das westliche VBM-Konzept nur schwer akzeptieren kann, mit deren Hilfe eine Begrenzung oder Ausschaltung des politischen und militärischen Nutzens von offensiv nutzbarer militärischer Macht erreicht werden soll.
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen politischen Grundpositionen sind die Erfolgschancen von VBM, die auf eine Eindämmung des politischen Nutzens von militärischer Macht abzielen, nur dann positiv zu bewerten, falls die Sowjetunion erkennt, daß sie dem Westen militärtechnische Vorteile und eine Begrenzung der Rüstungsausgaben nur abhandeln kann, wenn sie zumindest partiell auf die westliche Rüstungskontrollphilosophie eingeht.
Aus der Sicht der Europäer und insbesondere der Bundesrepublik wäre es begrüßenswert, wenn dies im Bereich der VBM-Verhandlungen der Fall wäre und zunächst das Prinzip der Transparenz im militärischen Bereich von der Sowjetunion anerkannt würde. Wie der Überblick über die Entwicklung und Implementierung von VBM seit 1975 deutlich macht, steht die Sowjetunion diesem Konzept jedoch eher ablehnend gegenüber. Ob sich das in Zukunft ändert, bleibt auch nach den jüngsten Abrüstungsvorschlägen von Generalsekretär Gorbatschow abzuwarten.
Die Darstellung des Sachstandes der konzeptionellen Diskussion hat gezeigt, daß der Begriff VBM leicht Erwartungen wecken kann, die in der Substanz nicht erfüllbar sind. Es wäre völlig unangebracht, von vergleichsweise marginalen Maßnahmen einen Abbau von Spannungen im Ost-West-Verhältnis zu erhoffen. VBM sind auch kein Ersatz für Abrüstung und Rüstungskontrolle. Sie können allenfalls zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen beitragen.
Auch wenn VBM nur schwer sicherheitspolitischen Nutzen erbringen können, wäre es politisch begrüßenswert, wenn durch die Stockholmer Verhandlungen ein Regelsystem für militärische Aktivitäten zustande käme, durch das zusammen mit anderen Indikatoren mehr Klarheit über den Charakter der politischen und vor allem der militärischen Konzepte der jeweiligen Gegenseite erreicht würde.