Die politische Gleichstellung der Frau erlangt auch im öffentlichen Leben der Bundesrepublik Deutschland zunehmendes Interesse. Der Frauenkongreß der FDP und der Parteitag der CDU in Essen, die Treffen der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen und eine Bundesfrauenkonferenz der Grünen kündeten 1985 ebenso davon wie die Regierungsbeteiligung von Rita Süssmuth, einer Expertin in Frauenfragen, als Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit. Demonstrative Aktionen dieser Art und das Presseecho darauf haben eindringlich die [freilich nicht neue Tatsache beleuchtet, daß Frauen in politischen Rollen im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung deutlich unterrepräsentiert sind.
Trotz des Diskriminierungsverbots in Art. 3 GG, schrittweiser Verbesserungen der rechtlichen Gleichstellung, ungeachtet höherer Bildung, besserer Ausbildungsabschlüsse und eines in den letzten Jahrzehnten merklich angestiegenen An(teils am Erwerbsleben, zeichnet sich die Teilhabe von Frauen an politischen Spitzenfunktionen weitgehend durch ein Nullwachstum aus. So stellten Frauen 1983 nur 9, 8% der Mitglieder des Deutschen Bundestags, während sich im Jahre 1919, als Frauen erstmals in der deutschen Nationalversammlung vertreten waren, ihr Anteil auf 9, 6% belief. Im Mittel betrug der Prozentsatz weiblicher Abgeordneter im Deutschen Bundestag für sämtliche Wahlperioden seit 1949 lediglich 8, 6%. Bis 1961 gab es keine weiblichen Regierungsmitglieder. Zwei Ministersitze markierten die Rekordhöhe weiblicher Repräsentanz in Bundeskabinetten
Wie läßt sich dieser offenkundige Mangel an —Frauen in der nationalen Volksvertretung und in sämtlichen Landesparlamenten, in Bundes-und Landesregierungen, in den Vorständen der politischen Parteien und gesellschaftlicher Verbände erklären? Inwieweit sind Parallelen hierzu in ideologisch und institutionell ähnlich strukturierten Regierungssystemen zu beobachten? Wie gestaltet sich demgegenüber die politische Rolle der Frau in den sozialistischen Ländern Osteuropas, in denen die Frauenemanzipation als weitgehend erreicht betrachtet wird?
Das Auseinanderklaffen von sozialer Wirklichkeit und der hier wie dort verfassungsmäßig verbrieften Gleichstellung der Frau legt in erster Linie die Frage nach den jeweiligen strukturellen und kulturellen Faktoren nahe, welche die Unter-repräsentation der Frauen in politischen Positionen hervorrufen. Zu erwägen wäre dabei auch, ob und inwieweit die möglichen Erklärungsvariablen systemübergreifende Gültigkeit haben. Von Interesse erscheint weiter, ob sich in der politischen Partizipation von Frauen bestimmte Entwicklungstendenzen erkennen lassen und welchen Einflüssen diese unterworfen sind. Schließlich kann die Thematisierung der politischen Teilhabe von Frauen neue Perspektiven auf die innere Struktur und die politische Kultur einzelner politischer Systeme sowie auf den Systemvergleich eröffnen.
Soweit der noch sehr lückenhafte Forschungsstand Daten vermittelt und erste Hypothesen zu stützen vermag, lassen sich einige Antworten auf den breiten Fragenfächer entwickeln. Diese können überblicksartig und beispielhaft vor dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftspolitischen Frauenleitbilder und im Kontext der soziostrukturellen Bedingungen für die Entfaltung von Frauenpartizipation dargestellt werden. Von daher läßt sich auch ein Ausblick auf Desiderate weiterer politikwissenschaftlicher Forschung gewinnen.
II. Die politische Rolle der Frau in den sozialistischen Systemen Osteuropas
Gingen die Begründer des „wissenschaftlichen Sozialismus“ im 19. Jahrhundert im wesentlichen von der Annahme aus, daß die Befreiung der Frau eine zwangsläufige Folge der Emanzipation des Proletariats sein werde, so sahen sich die Bolschewiki in den Anfängen der Sowjetrepublik unmittelbar mit den konkreten Aufgaben einer neuen Frauenpolitik konfrontiert. Noch im Revolutionsjahr 1917 propagierte Lenin die umfassende Gleichstellung der Frau und betonte deren wünschenswerte Rolle in der Politik Insbesondere setzte er sich für eine starke Vertretung von Frauen in der Kontrolle der staatlichen Verwaltung, in der organisatorischen Arbeit von Partei und Sowjets sowie in der Agitation und Propaganda ein. Er forderte die Wahl von mehr Frauen in die Sowjets, ob Kommunistinnen oder Parteilose
Lenins Vorstellung, daß „jede Köchin in die Lage gesetzt werden sollte, den Staat zu regieren“, hatte eine wahrhaftige Kulturrevolution und den Erfolg der angestrebten Formen von Massenpartizipation zur Voraussetzung. Welche tiefsitzenden Gewohnheiten und psychologischen Barrieren dabei auch für Kommunisten zu überwinden waren, sah der Parteiführer deutlich. So träfe auf viele Genossen der Spruch zu: „Kratzt den Kommunisten, und der Philister erscheint.“ Die Erziehungsarbeit sollte deshalb auf die Männer ausgedehnt werden, denn: „Wir müssen den alten Herrenstandpunkt bis zur letzten, feinsten Wurzel ausrotten.“
Lenins Hoffnungen auf eine breite Einbeziehung der Frau in die Politik und auf entsprechende soziokulturelle Umwälzungen fanden in der Wirklichkeit nur sehr begrenzte Erfüllung. Die tatsächlich kulturrevolutionären Theorien und Initiativen einer Alexandra Kollontai wurden bald blockiert, der relativ eigenständigen Rolle der Frauenabteilung der Partei (Zenotdel) wurde 1930 die organisatorische Grundlage entzogen Auch die besondere Rolle von Frauen in den Stäben der staatlichen Verwaltungskontrolle kam nicht zum Tragen. Hatte Lenin immer wieder darauf gedrängt, bis zu zwei Drittel Frauen in die Arbeit der „Staatskontrolle“, seit 1920 in die „Arbeiter-und Bauerninspektion“, einzubeziehen, so zeigte sich 1927, als eine Wiederbelebung der ursprünglichen Formen von Massenpartizipation erfolgte, daß Frauen in der „Arbeiter-und Bauerninspektion“ überhaupt nicht im Einsatz waren
Die zunächst beabsichtigte leve en mässe von Frauen in die Politik erwies sich nur im Bereich der Sowjetdeputierten und der Parteimitglieder als erfolgreich, wenn auch als sehr langsamer und gelegentlich selbst ins Stocken geratender Prozeß. Zwar stieg der Anteil der weiblichen Abgeordneten an den örtlichen Sowjets von I % im Jahre 1922 bis 1934 auf 27% auf dem Lande und bis zu 32% in den städtischen Bezirken Nach einer Stagnation bis in die fünfziger Jahre hinein wuchs der Prozentsatz an weiblichen Sowjetabgeordneten seither ständig. Heute liegt der Anteil der Frauen von der Ebene der lokalen Sowjets bis hin zur Republik bei 50, 1%. Im Obersten Sowjet der UdSSR beläuft er sich auf 32, 5%
Das Ansteigen des Frauenanteils in den sowjetischen Volksvertretungen deutet indessen nicht auf einen entscheidenden Durchbruch in das Feld der aktiven politischen Eliten hin, da Volksvertretungen in sozialistischen Systemen grundlegend anderen Repräsentationsprinzipien folgen als Parlamente in pluralistisch verfaßten westlichen Gesellschaften. Die Vertretungskriterien für die beiden Kammern des Obersten Sowjets und auch für das Zentralkomitee der KPdSU sind vorwiegend an einem sozialen, professionellen und nationalen Proporz ausgerichtet Während jedoch bei männlichen Abgeordneten Überein-stimmungen zwischen bestimmten Berufen, vor allem Karrieren in Partei und Verwaltung, und dem Abgeordnetenstatus festzustellen sind, gilt für Frauen diese professionelle Konvergenz nicht
So rekrutieren sich Frauen weitgehend nicht aus der Schicht der Intelligenz, an deren beruflichen Bandbreite sie jedoch einen hohen Anteil haben, sondern vorwiegend aus den Reihen ordensgeschmückter Arbeiterinnen oder Elitebäuerinnen. Mit Ausnahme von vier Männern sind die hundert im Obersten Sowjet vertretenen Kolchosbauern — ohne Einberechnung der Kolchosmechaniker und Traktorfahrer — sämtlich weiblichen Geschlechts. Andererseits findet sich unter den 251 Parteifunktionären im Obersten Sowjet keine einzige Frau Während dieser Befund mit der zahlenmäßig geringen Vertretung von Frauen unter höheren Parteifunktionären korreliert werden kann, läßt der starke Anteil von Bäuerinnen und Arbeiterinnen darauf schließen, daß hier vor allem eine breite, augenfällige Repräsentanz dieser beiden historischen Trägerschichten des Sowjetsystems gleichzeitig mit der weiblichen Bevölkerungsschicht optisch in den Vordergrund gerückt wird.
Auch bei den weiblichen Abgeordneten zur Volkskammer und den Staatsratsmitgliedern in der DDR lassen sich ähnliche Repräsentationsmerkmale beobachten Während ursprünglich der Typus der „einfachen Menschen aus der Produktion“ dominierte, rekrutierten sich in den sechziger Jahren die weiblichen Volksvertreter schon aus einem breiteren beruflichen Spektrum In der parlamentarischen Arbeit sind sie weitgehend auf herkömmliche , Frauenfragen‘ festgelegt Der von Wahlperiode zu Wahlperiode deutlich steigende Anteil von Frauen in den Volksvertretungen der DDR wird offiziell als demonstrativer Nachweis für die erreichte politische Gleichberechtigung der Frau genutzt, womit die tatsächlich weitgehend symbolischen Abgeordnetenfunktionen eine vorwiegend propagandistische Aufwertung erfahren.
Ein realistischeres Bild von der weiblichen Präsenz in den aktiven politischen Eliten läßt sich aus der Vertretung von Frauen in verantwortlichen Positionen in Partei und Verwaltung gewinnen. Die bloße Mitgliedschaft von Frauen in den kommunistischen Parteien ist seit deren Existenz stetig gewachsen, wenn auch in geringerem Maße als der Anteil von Frauen in den Volksvertretungen. In der Sowjetunion ist die Parteimitgliedschaft von Frauen von 7, 4% im Jahre 1920 bis auf 27, 4% im Jahre 1983 angestiegen Hier bekleiden Frauen etwa zwei Drittel der Posten eines Ersten Sekretärs in Parteigrundorganisationen. Je höher jedoch die Pyramide der Parteiexekutivkomitees mit wachsender politischer Entscheidungsgewalt reicht, um so mehr verringert sich der Anteil von Frauen. Auf der Stadt-und Rajonebene sind Frauen nur mit etwa 4%, auf Gebietsebene (Oblast) nur knapp mit über 3% repräsentiert. Der gleiche Vertretungsprozentsatz gilt auch für das Zentralkomitee der KPdSU. Allerdings läßt die Rekrutierung von Frauen ins Zentralkomitee ungleich den hier typischen Männerkarrieren über Partei-und Verwaltungsämter wiederum eher professionelle oder soziale Auswahlkriterien oder solche des besonderen Publizitätseffekts erkennen, wie etwa im Falle der Wahl der Kosmonautin Valentina Tereskoval Die Frauenpartizipation in den Hierarchien der kommunistischen Parteien und Verwaltungseliten Osteuropas folgt weitgehend dem gleichen Muster. Unter Sekretären des Zentralkomitees, Politbüromitgliedern und Ministern sind Frauen eine Ausnahmeerscheinung Mit diesem stationären Befund kontrastiert die stetige Zuwachsrate weiblicher Beteiligung in den symbolischen Eliten der Volksvertretungen und im , Fußvolk'der Parteien. Freilich kommt schon der bloßen Mitgliedschaft hohe Bedeutung für das soziale Leben und die berufliche Mobilität zu.
Das in allen sozialistischen Systemen Europas wiederkehrende Grundmuster der politischen Repräsentation von Frauen unterliegt allenfalls auf regionaler Ebene bestimmten Abweichungen. Dies trifft für Jugoslawien zu, wo die weibliche Parteimitgliedschaft in den weiter entwickelten Republiken Slowenien und Kroatien deutlich höher liegt als etwa in Bosnien-Herzegowina und in Mazedonienl
In der Sowjetunion ist die politische Partizipation der Frau am stärksten in den drei baltischen Republiken, in der Ukraine und in der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) ausgeprägt. Aufs Ganze gesehen variieren die regionalen Unterschiede in der UdSSR jeweils so, daß man sie nur schwer auf einen bestimmten Erklärungsnenner bringen kann. Die naheliegende Annahme eines west-östlichen Kulturgefälles gibt jedenfalls kein ausreichendes Deutungsmuster für diese eigentümliche Ausformung politischer Regionalismen ab Für die Kommunismusforschung ist dieser sich aus der Frage nach Frauenpartizipation ergebende Teil-befund des Sowjetsystems schon deswegen von Relevanz, weil damit ein deutliches Indiz für die keineswegs monolithische Natur dieses Regierungstyps sichtbar wird Zu den in allen sozialistischen Systemen wiederkehrenden, im übrigen auch in westlichen politischen Kulturen anzutreffenden Erscheinungen gehört, daß in bestimmten Politikfeldern wie Gesundheit und Erziehung verstärkt Frauen auf politischen Vorposten zu finden sind. In den sozialistischen Ländern kann hier eine einfache Relation zwischen dem überaus großen Anteil von Frauen in den Arzt-und Lehrerberufen und einem relativ hohen Frauenanteil in den leitenden Positionen dieser Bereiche hergestellt werden
Auch über andere professionelle Kompetenzen können Frauen hier Einfluß auf die Politik nehmen. Dies gilt vor allem für wissenschaftliche Tätigkeiten und Öffentlichkeitsarbeit; auf diesen Gebieten stellen Frauen in der UdSSR über 40% der dort Beschäftigten Angesichts des politischen Einflußpotentials solcher funktionalen Eliten in einem konsultativ-autoritären Regierungssystem sowjetischen Typs mag die , Dunkelziffer* politisch relevanter Rollen von Frauen nicht gering zu schätzen sein. Das aufsehenerregende so-genannte „Novosibirsker Papier“, mit dem vor wenigen Jahren die Wirtschaftswissenschaftlerin Tatjana Zaslavskaja sowjetische Wirtschaftsorganisationen einer grundlegenden öffentlichen Kritik unterzogen hat, wäre als ein Beispiel dieser Form von Politikbeeinflussung zu erwähnen
Demgegenüber bleibt die Unterrepräsentation von Frauen in den politischen Schlüsselrollen des Parteiapparates und der staatlichen Verwaltung das augenfälligste Defizit politischer Teilhabe von Frauen. Dies muß gerade in Ländern besonders widersprüchlich erscheinen, in denen die berufliche Emanzipation der Frau weit fortgeschritten ist. In der Sowjetunion haben Frauen viele traditionelle’ Männerberufe erobert; der gleiche Trend zeichnet sich deutlich in allen anderen sozialistischen Staaten ab Der prozentuale Anteil von Frauen im Erwerbsleben der UdSSR mit 51— 52% aller Erwerbstätigen ist der höchste aller Industriegesellschaften der Welt. Da es kraft dieser Entwicklungen nicht an den sozio-strukturellen Voraussetzungen wie an beruflicher Qualifikation oder an Bildungsniveau fehlen kann, muß die Annahme, daß es in erster Linie soziokulturelle Faktoren und damit verwobene psychologische Mechanismen sind, welche der politischen Teilhabe von Frauen entgegenstehen, weiter verfolgt werden.
Sowjetische Untersuchungen bestätigen, daß der Unterrepräsentation von Frauen in politischen Spitzenpositionen im wesentlichen drei Faktoren zugrundeliegen; Vorurteile der Männer gegenüber Frauen in politischen Rollen, mangelndes Selbstbewußtsein von Frauen, schließlich patriarchalische Familienstrukturen, welche in die Übernahme der Kindererziehung und der Haushaltsarbeiten allein oder weitgehend durch die Frau münden Zeitbudgetuntersuchungen bekräftigen dieses Bild Zu der politische Ambitionen behindernden Doppelbelastung von Beruf und Familie gesellen sich infrastruktureile Mangelerscheinungen wie z. B. ein unzureichendes Angebot an Kinderkrippen und -tagesstätten sowie an Haushaltsgeräten, Transportprobleme und ein hoher Zeitaufwand für Einkäufe von Konsumgütern
Neben diesen Behinderungen zeigen jedoch vor allem die psychologischen Barrieren in den traditionellen Auffassungen von Männern wie Frauen über „Politik als Männersache“ ihre Wirkung.
Die offenkundigen „Überbleibsel“ vorrevolutionärer Frauenleitbilder und ihre negativen Auswirkungen auf die politische Karriere von Frauen wurden denn auch auf Parteitagen und in der Parteipresse kritisch herausgestellt
Dies legt den Schluß nahe, daß die Kaderabteilungen der kommunistischen Parteien das Auseinanderklaffen von ideologischem Anspruch und sozialer Realität jedenfalls statistisch erfaßt haben, was den Ausgangspunkt zu einer stärkeren Förderung von Frauen in politischen Rollen im Wege regulativer Steuerungsmechanismen „von oben* bilden könnte. Auch in soziologischen Zeitschriften, im fiktionalen Gewand literarischer Erzeugnisse und seitens der in einigen sozialistischen Ländern in Ansätzen vorhandenen Frauenbewegung wird die Disparität zwischen den emanzipationstheoretischen Vorgaben und den in der Realität sich weitgehend noch behauptenden traditionalen Denkmustern und Verhaltensweisen zunehmend kritisch reflektiert und analysiert
III. Die politische Rolle der Frau in parlamentarischen Systemen der westlichen Welt
Auch in den westlichen, parlamentarisch-demokratischen Systemen ist die Stellung der Frau in Politik und Gesellschaft maßgeblich von konkurrierenden gesellschaftspolitischen Frauenleitbildern bestimmt. Dem offiziellen, in den meisten Verfassungen verankerten Gleichberechtigungsgebot stehen ideologisch begründete Frauenleitbilder gegenüber, welche einem Geschlechteregalitarismus grundlegend widersprechen. Während ersteres in sozialdemokratischen und liberalen Forderungen sowie in den bürgerlichen und sozialistischen Frauenbewegungen des 19. Jahrhunderts seinen Ursprung findet und sich meist in der Zuerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts für Frauen nach dem Ersten Weltkrieg erschöpfte, behauptete sich in den meisten westlichen Demokratien ein traditionales Leitbild von der Frau als einem biologisch determinierten, zur Unterordnung unter den Mann und zur Entfaltung in Haus und Familie , vorherbestimmten 4 Wesen noch bis in die siebziger Jahre hinein.
Das traditionale Frauenleitbild tritt als ein Konglomerat vielfältiger kultureller und religiöser Einflüsse entgegen, als Beiprodukt konservativer und selbst liberaler politischer Theorien, als Mutterkult völkischer Ideologien und als Lehrmeinung von Psychologen und Soziologen auch unseres Jahrhunderts. Dieses Frauenbild dominiert immer noch in Schul-und Geschichtsbüchern, in den Medien, in Werbetexten und -bildern. Zumal in der auflagenstarken Regenbogenpresse findet es wöchentlich eine Neuausgabe
Die vielen Aspekte des traditionalen Frauenleitbildes, dessen Entstehungs-und Wirkungsweisen bedürfen einer eigenständigen Behandlung. Im Rahmen einer auf die hautpsächlichen Ursachen der politischen Unterrepräsentation von Frauen ausgerichteten Erörterung kann im folgenden nur paradigmatisch auf einige Denkschulen hingewiesen werden, die den bekannten Geschlechtsrollenstereotypen zugrunde liegen:
Herausragende Vertreter der abendländischen Philosophie von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, geistige Wegbereiter der Menschenrechte und der politischen Demokratie, haben der Frau die gesellschaftliche und politische Gleichstellung bestritten Besondere Erwähnung verdienen Rousseaus Vorstellungen von dem natürlichen Gehorsam der Frau gegenüber dem Mann wie die Überzeugungen jener Väter der liberalen politischen Theorie, die keinen Widerspruch darin sahen, den von ihnen propagierten Individualismus mit patriarchalischen Konzepten zu kombinieren Von Hobbes und Locke bis Kant und Hegel wurde der Frau das Recht auf Persönlichkeit verweigert Selbst John Stuart Mills beachtliche Schrift über die „Subjection of Women“ zeigt, daß auch ein gegenüber der Frauenemanzipation aufgeschlossener Denker das aktive Engagement von Frauen in der Politik ausschloß. Immerhin machte Mill einen für den Zeitgeist bemerkenswerten Versuch, dem zur Idylle stilisierten, in Wirklichkeit autoritären viktorianischen Familienmodell ein partnerschaftliches Ehekonzept entgegenzuhalten
Vor dem Hintergrund einer patriarchalischen Gesellschaftsstruktur verfestigte sich Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine abwertende Einstellung der Frau gegenüber. Namhafte Psychologen wie Sigmund Freud vertraten die Auffassung von der inferioren Frau, von ihrer Natur als einem „verkrüppelten, kastrierten“ Mann Otto Weininger, B. v. Moebius, W. Liepman u. a. übertrafen sich gegenseitig in der Herabsetzung des Charakters der Frau. Die Frauenbewegung wurde als „Kennzeichen des Völkerverfalls" abgelehnt Mystifikationen vom legendären , Wesen der Frau'setzten sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort und beschränkten sich nicht auf die Arbeit von Geschlechtspsychologen. Auch Psychoanalytiker wie Erik Erikson und Soziologen wie Talcott Parsons haben diese Tradition mit anderen Denkkategorien weitergeführt
In den Vereinigten Staaten wurde vor allem in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre der von Betty Friedan anschaulich beschriebene „Weiblichkeitswahn“ in Zeitschriften und Medien propagiert. Zu den Folgen dieser Strömung gehörte, daß Frauen schon im College jegliche politische Rolle abgesprochen wurde
Besonders deutlich markierte die Rechtsprechung amerikanischer Gerichtshöfe, zumal des Supreme Court, die von der „Natur“ abgeleitete Rolle der Frauen in der privaten, familiären Sphäre und ihre Heraushaltung aus dem öffentlichen, politischen Bereich So argumentierte der Oberste Gerichtshof 1961, daß „die Frau immer noch als der Mittelpunkt des Heims und der Familie“ angesehen werde und es deshalb dem Staate Florida überlassen bleibe, „bei der Verfolgung des allgemeinen Wohles“ eine Frau vom Schöffenamt freizustellen. Erst 1975 widersprach das Gericht seiner eigenen früheren Rechtsprechung und trat voll für die Wahrnehmung des Schöffenamts durch Frauen ein Ein Pendant zu der lange vorherrschenden Rechtsprechung, durch die Frauen von der Wahrnehmung öffentlicher Ämter und Funktionen abgehalten wurden, bildete die in der Strafgerichtsbarkeit nachweisbare Tendenz, gegenüber weiblichen Kriminellen vergleichsweise mehr Milde, Ritterlichkeit und Paternalismus an den Tag zu legen als gegenüber männlichen Delinquenten
In der Bundesrepublik Deutschland kündeten die Programme der politischen Parteien bis in die siebziger Jahre hinein von einer zumindest ambivalenten Haltung gegenüber der Gleichstellung der Frau in Politik und Gesellschaft Nach einer anfänglichen positiven Aufbruchstimmung und der Wiedergründung der 1933 aufgelösten verschiedenen Frauenverbände wurde die politisehe Rolle der Frau in der Nachkriegszeit bald durch eine Rückwendung zum traditionalen Frauenleitbild bestimmt. Eine EMNID-Umfrage förderte 1950 eine starke Mehrheit in der Bevölkerung für die Option zutage, daß „Politik Männersache“ sei. Warum dies so sein müßte, war immerhin 22, 7% der Befragten völlig unklar
Im politischen Klima der Nachkriegszeit schien der sogenannte „weiblich-mütterliche Versöhnungs-und Ausgleichswille“ besonders gefragt, welchem Bild auch die Altparlamentarierinnen entsprachen, die 1949 zu den weiblichen Abgeordneten zählten Erst Ende der sechziger Jahre, im Gefolge der weltweiten Studentenproteste und der sich aus ihnen auch in der Bundesrepublik herausschälenden neuen Frauenbewegung, geriet das traditionale Frauenbild ins Wanken.
Unter dem Einfluß der vor allem in den USA erstarkenden Frauenbewegung und dank der sich dort allmählich etablierenden Frauenstudien wurde in den siebziger Jahren damit begonnen, die Rolle von Frauen in der Politik, zumal der Vereinigten Staaten und Großbritanniens, wissenschaftlich zu untersuchen Bisher vorliegende Studien verdeutlichen die mentalen und strukturellen Faktoren, welche der Unterrepräsentation von Frauen in der Politik zugrunde liegen, und zeigen, daß letztere maßgeblich eine Funktion ersterer sind: In einigen Untersuchungen wurde die Haltlosigkeit der kraft des traditionalen Frauenleitbildes hypostasierten , natürlichen'Friedfertigkeit der Frau erwiesen. Man fand heraus, daß die tatsächliche Wahrnehmung politischer Ämter durch Frauen mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede zwischen den Geschlechtern zutage bringt Außenpolitische Einstellungen von weiblichen und männlichen politischen Führungspersönlichkeiten lassen demzufolge keinen Unterschied zwischen weiblichen , Tauben'und männlichen , Falken'erkennen; kompromißlose Einstellungen sind vielmehr eine Funktion der berufsspezifischen Situation der untersuchten Politiker, etwa im militärischen Bereich, in dem sowohl Männer wie Frauen eher Falken gleichen, während bei den Führungskräften im Medien-oder Erziehungsbereich vermittelnde Einstellun-gen dominieren Verhaltensweisen lokaler politischer Eliten bestätigen ebensowenig die auch von Teilen der Frauenbewegung hochgehaltene Auffassung von der besonderen Mütterlichkeit oder Kompromißbereitschaft von Frauen; dies zeigt die Tätigkeit von Frauen in leitender Stellung an amerikanischen Schulbehörden
In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien zeichnen sich im Vergleich zu anderen parlamentarischen Systemen die Vertretungskörperschaften durch einen besonders niedrigen Anteil an weiblichen Repräsentanten aus. Der Anteil weiblicher Abgeordneter im amerikanischen Kongreß und im englischen Unterhaus betrug bislang nicht mehr als 5%.
Die Ursachen dieses offenkundigen Makels der ansonsten so traditionsreichen „participatory political cultures" sind in erster Linie in Sozialisationsfaktoren mit kumulativen negativen Effekten zu suchen: Während hier — im Unterschied zu den sozialistischen Systemen — die strukturellen Anforderungen an männliche und weibliche Kandidaten, nämlich ein bestimmter sozialer Status, Beruf, Kompetenz und Persönlichkeit, für Männer und Frauen grundsätzlich gleich sind, bleibt das weibliche Kandidatenreservoir von vornherein erheblich kleiner als dasjenige der Männer, da Frauen in den klassischen Rekrutierungsbereichen unterrepräsentiert sind. Dieser Tatbestand stellt wiederum nur eine Folge der am traditionalen Frauenleitbild orientierten Karrieremuster von Frauen dar. Angesichts der dürftigen Versorgung des weiblichen Wählerreservoirs schlägt — ganz ähnlich zu den Gegebenheiten in sozialistischen Ländern — die sozialisationsbedingte, geringe Selbsteinschätzung der Frau zusätzlich zu Buche, was viele von einer eigenen Kandidatur abhält
Eine weitere negative Auswirkung auf die Rekrutierung von Frauen in politische Rollen ergibt sich aus der ebenfalls sozialisationsbedingten Disposition der männlichen wie weiblichen Wähler, nach wie vor Männer gegenüber Frauen für politische Ämter zu bevorzugen. Kämen die Wähler in die Lage, in gleicher Weise mit Status-und Kompetenzmerkmalen ausgestattete Kandidaten des männlichen und weiblichen Wählerreservoirs , geschlechtsblind 4 zu küren, so müßte immerhin ein Viertel der Abgeordneten in den Vereinigten Staaten weiblichen Geschlechts sein Die Wähler neigen auch dazu, Frauen eher in die sogenannten herkömmlichen weiblichen Interessenbereiche, etwa in die Schulverwaltung, hineinzuwählen, hingegen vorzugsweise für Männer zu votieren, wenn etwa Richterämter zu besetzen sind Schließlich unterliegen weibliche Bewerberinnen der Diskriminierung durch die männlichen Parteimitglieder, welche mit der Rekrutierung befaßt sind und sich sogar über ausgewiesene weibliche Kandidaten hinwegsetzen
Zwar zeigt sich neuerdings auf lokaler Ebene eine auch in den sozialistischen Ländern zu beobachtende Tendenz zur Ausweitung der Frauenpartizipation. Wie Umfrageuntersuchungen in den USA ergeben haben, hängt diese Entwicklung jedoch ebenfalls mit traditionalen Frauen-leitbildern insofern zusammen, als politische Ämter auf lokaler Ebene wegen ihres niedrigen Prestiges und der geringen Machtfülle als eher für Frauen geeignet betrachtet werden
Daß Frauen auf dem Weg in hohe und höchste politische Ämter nicht nur besonders qualifizierten strukturellen Rekrutierungskriterien standhalten, sondern darüber hinaus auch gegen Verfemungen ihres Geschlechts wegen gewappnet sein müssen, hat die Kandidatur Geraldine Ferraros für das Amt des Vizepräsidenten der USA gezeigt Der erstmaligen Aufstellung einer Frau für dieses Amt lag 1984 vorwiegend die wahlstrategische Überlegung zugrunde, die weibliche Wählerschaft zugunsten der Demokraten zu mobilisieren. Gewiß kam der Nominierung Geraldine Ferraros auch der massive politische Druck seitens der Frauenverbände zu Hilfe
Bereits während ihrer Arbeit als Abgeordnete zum Repräsentantenhaus bekam sie jedoch die Attitüden der mentalen Verweigerung gegenüber Frauen an der vordersten politischen Front zu spüren. Ihre Bewerbung um die Mitgliedschaft im wichtigen Budget Committee kommentierte ein Komiteemitglied mit der wenig ermunternden Frage: „Do you think it’s appropriate to promote yourself as a woman?“ Äls sie im Präsidentschaftswahlkampf gegen George Bush das Fern-sehduell bestritt, stellte dieser in Zweifel, ob sie ohne militärische Erfahrung die Sicherheit der Nation gewährleisten könne; er gab auch zu überlegen, welchen militärischen Versuchungen der Sowjets sie Vorschub leisten würde, einfach aus dem Grunde, weil sie eine Frau sei Das Vorurteil gegenüber der mangelnden Verteidigungsfähigkeit des , schwachen'Geschlechts wurde auf einer Pressekonferenz mit der platten Frage — „Are you strong enough to push the button?“ — auf die Spitze getrieben
Trotz Behinderungen dieser Art leitete die Kandidatur der ersten Frau für die Vizepräsidentschaft und damit grundsätzlich auch für die Präsidentschaft die Abkehr von überkommenen Denkstrukturen und von den spezifischen Tabus der Ära des „Weiblichkeitswahns“ ein. Der mentale Durchbruch vermochte unterdessen nur wenig an dem weiterhin geringen Anteil von Frauen an den politischen Eliten des Landes zu ändern. Dies gilt für die USA ebenso wie für Großbritannien, wo sich schon seit Jahren eine Frau als Premierminister behauptet.
Hingegen zeichnet sich der Weg von Frauen in den amerikanischen Kongreß durch besonders eigentümliche, traditionale Vertretungsmuster aus. So folgen immer noch weibliche Kongreßabgeordnete ihren verstorbenen Ehemännern auf deren Abgeordnetensitze nach. Dieses Rekrutierungsmodell wurde erstmals 1923, also sechs Jahre nach dem Einzug einer Frau in das Repräsentantenhaus, praktiziert. Der Anteil der so Rekrutierten läßt sich auf eine von sieben der weiblichen Parlamentarerinnen berechnen. Auch bei allmählicher rückläufiger Tendenz gehört die Witwen-Laufbahn in den Kongreß zu den Grundmustern der amerikanischen politischen Kultur. Diese Art des , Nachrückens 1 läßt im übrigen ein Nord-Süd-Gefälle in der nationalen politischen Kultur insofern erkennen, als die Witwenkandidatinnen aus den Nordstaaten sich stärker politisch profilieren müssen als ihre Schicksalsgenossinnen aus den Südstaaten. Hier können die in der Regel auch sehr viel älteren Nachfolgerinnen stärker von der Führungsrolle oder Seniorität des Verstorbenen profitieren
Der subsidiäre Einzug ins Parlament über die Leiche des Ehegatten hat auch in der parlamentarischen Geschichte Großbritanniens eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Hier rekrutierten sich die 1919 erstmals zugelassenen weiblichen Mitglieder des Parlaments zunächst über die ehemaligen Mandate ihrer Männer, welche teils verstarben, teils in das Oberhaus hinüberwechselten oder wegen Korruptionsaffären aus dem Parlament verbannt wurden Den ersten Parlamentarierinnen begegneten ihre männlichen Kollegen mit Brüskierung, Unsicherheit und Abwehr. Winston Churchill erklärte sein eigenes grobes Verhalten und seine Verwirrung gegenüber Lady Astor so: „Because I find a woman’s intrusion into the House of Commons as embarrassing as if she bürst into my bathroom when I had nothing with which to defend myself, not even a sponge.“ Lady Astor replizierte wenig verlegen: „Winston, you’re not handsome enough to have worries of that kind.“
Neben psychologischen Barrieren ihrer Kollegen standen den Parlamentarierinnen lange Zeit auch institutionelle Behinderungen entgegen. Erst Ende der siebziger Jahre konnte die Etablierung von Frauen im Unterhaus als vollzogen gelten, zu dem Zeitpunkt nämlich, als die Rauchsalons und Bars von Westminster endlich auch Frauen zugänglich gemacht wurden. Der Ausschluß aus diesen Räumen hatte sich als eine konkrete Beeinträchtigung der Arbeit weiblicher Parliamentary Private Secretaries erwiesen, die kraft dieses Amts dem Minister über die im Hause kursierenden Auffassungen berichten sollten; ohne Zugang zu den Rauchsalons war es jedoch sehr schwierig, die politische Lobby überhaupt zu erkunden
Die hauptsächlichen Hürden für politische Karrieren von Frauen sind jedoch vor der Einnahme eines Parlamentssitzes zu überwinden. Ähnlich dem amerikanischen Beispiel werden auch in Großbritannien die Chancen weiblicher Kandidaten bei Wahlen durch die kumulative Wirkung struktureller Faktoren und kultureller Normen beträchtlich geschmälert, so daß letztlich nur eine Minderheit der überhaupt kandidierenden Minderheit ins Abgeordnetenhaus gelangt Auf die politische Repräsentation von Frauen in Großbritannien und den USA wirkt sich außerdem das dort geltende Wahlrecht negativ aus. System-vergleiche machen deutlich, daß weibliche Kandidaten in Ländern mit proportionalem Verhält-niswahlrecht vergleichsweise bessere Chancen haben
Neben diesem Faktor bringen interkulturelle Studien auch die unterschiedlichen Einflüsse der Konfessionen auf die Entfaltungschancen der politischen Partizipation von Frauen zutage So erwies sich das Festhalten am traditionalen Frauenleitbild zumal in den rein katholischen Ländern als ein das politische Engagement von Frauen deutlich retardierendes Moment Protestantismus und Proportionalwahlrecht haben zweifellos günstige Voraussetzungen dafür geschaffen, daß der Anteil von Frauen an politischen Rollen in den skandinavischen Ländern während der letzten drei Jahrzehnte stetig und bei erstarkendem Einfluß der Frauenbewegung seit Mitte der siebziger Jahre sprunghaft angestiegen ist. Hier behaupten sich Frauen mit Anteilen von 20 bis 30% in den parlamentarischen Körperschaften und in den Regierungen. In den schwedischen politischen Parteien stellen Frauen sogar 40 und über 50% der Mitglieder, in den Parteivorständen zwischen 20 und 40%
Die deutliche Ausweitung des Frauenanteils an den politischen Eliten ist über die genannten zwei Momente hinaus in den letzten zwanzig Jahren einer ganzen Reihe von Faktoren zuzuschreiben. So wurde der Gleichstellungsprozeß maßgeblich von der Frauenbewegung und einer zunehmenden öffentlichen Anerkennung ihrer Forderungen vorangetrieben. Gesetzgeberische Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung im Erwerbsleben, Quotenregelungen und die Einrichtung von Gleichstellungs-Arbeitsgruppen in den Parteien waren die Folge
Die Kooperation des 1980 in Schweden geschaffenen, aus Repräsentantinnen verschiedener Frauenorganisationen zusammengesetzten Gleichstellungsrates mit der Regierung hat vor allem zu einer Reihe von bildungspolitischen Maßnahmen geführt, welche das Modell einer symmetrischen Familie zur Geltung zu bringen trachten. Die mit Hilfe von Lehrplanänderungen, Gleichstellungskursen für Schulleiter und Elternbildung betriebenen Aufklärungskampagnen richten sich vor allem darauf, die in Geschlechtsrollenstereotypen liegenden Werthaltungen und Verhaltensweisen zu ändern
Aufgrund dieser , von oben* wie , von unten* initiierten und konzertierten Bemühungen, die gesellschaftliche und politische Gleichstellung der Frau zu erreichen, kommt den skandinavischen Ländern im internationalen Systemvergleich eine positive konkrete Modellfunktion zu.
IV. Zusammenfassende Betrachtungen und Forschungsperspektiven
Im Fazit hat der skizzenhafte Überblick über Frauenpartizipation in westlich-demokratischen und sozialistischen Systemen gezeigt, daß bei aller Unterschiedlichkeit der ideologischen, sozioökonomischen und institutionellen Grundlagen die Stellung der Frau in Politik und Gesellschaft durch eine Reihe von Ähnlichkeiten charakterisiert ist. In beiden Systemtypen muß es vorwiegend dem Beharren oder Nachwirken von traditionalen Frauenleitbildern zugeschrieben werden, daß Frauen in den politischen Eliten unter-repräsentiert sind.
Neben den kulturellen Normen werden die Karrierechancen von Frauen von strukturellen Faktoren negativ beeinflußt. Während in den meisten westlichen Ländern die Chancengleichheit der Frau in der Politik durch ihre noch geringe Vertretung in den beruflichen und verbandlichen Einzugsbereichen für Politiker sowie durch die Belastung potentieller Kandidatinnen mit familiären Verpflichtungen beeinträchtigt wird, sind es in den sozialistischen Ländern insbesondere die Doppel-und Mehrfachbelastungen in Beruf und Familie, welche den politischen Aufstieg von Frauen behindern. Können in den pluralistischen Ländern des Westens Reformprozesse zugunsten einer tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter in erster Linie von der Aktivität der Frauenbewegung erwartet werden, so bleibt es in den konsultativ-autoritären Systemen sowjetischen Typs der Innovationskraft der Bürokratien, zumal deren bevölkerungs-, arbeits-und kaderpolitischen Planungswünschen und -zwängen, überlassen, die Leninschen Normen der Frauenemanzipation neu zu beleben.
Die kursorische Erörterung der politischen Partizipation von Frauen in Ost und West hat auch deutlich gemacht, daß die Erforschung der The-matik aus einer breiten Perspektivik und in möglichst interdisziplinärer Zusammenarbeit zu unternehmen wäre. Frauenforschung kann nicht in einem Spezialgehege für gesellschaftliche Randprobleme einer strukturellen Minderheit, sei sie auch die Bevölkerungsmehrheit, fruchtbar betrieben werden Insbesondere scheint es Politik-wissenschaftlern, zusammen mit Soziologen, Sozialhistorikern und Sozialpsychologen, aufgegeben, die vielfältigen Ursachen für die fehlende Gleichstellung von Mann und Frau im Rahmen nationaler politischer Kulturen und in interkulturellen Studien herauszuarbeiten.
Stellt man — mit Charles Fourier — die Emanzipation der Frau als einen zentralen Parameter für gesellschaftlichen Fortschritt in Rechnung, und sieht man in ihr einen Bestimmungsfaktor des Partizipationsgrades einzelner politischer Kulturen und deren Fähigkeit, egalitäre soziale Strukturen zu entwickeln und zur Geltung zu bringen, so könnten weitere Untersuchungen dazu beitragen, von dem besonderen Aspekt der Lösung der Frauenfrage her die allgemeine Lernund Konfliktverarbeitungskapazität der entsprechenden politischen Systeme näher zu bestimmen. Beim Studium sozialistischer Systeme ist das Erkenntnisinteresse vorwiegend auf die sozialen Spannungsfelder zu richten, die aus der Koexistenz autoritärer Familien-und egalitärer Berufs-strukturen herrühren. Neben den regierungsoffiziehen Reaktionen auf solche, im systemeigenen Sprachgebrauch „nichtantagonistischen“ Widersprüche ist ihrer Thematisierung im Rahmen der dortigen Sozialwissenschaften wie auch in literarischen Verarbeitungen nachzugehen, um das Auseinanderklaffen von tatsächlichem und . zugelassenem'Wertewandel aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu orten. So finden sich in der Literaturproduktion der DDR eine ganze Reihe brisanter gesellschaftspolitischer Darstellungen dieses Genres Paradigmatisch könnte eine solche Analyse der Stellung der Frau in Politik und Gesellschaft auch durch einen Vergleich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR durchgeführt werden, sind hier doch die Konstanten und Variablen des Systemvergleichs am leichtesten zu fassen und ist das erkenntnisleitende Interesse zugleich durch die gemeinsame Geschichte und Kultur legitimiert.
Als ein zentrales Untersuchungsfeld bieten sich die neue Frauenbewegung, ihre Entstehungsgründe, ideologischen Ausrichtungen, Organisationsformen und ihre allfällige Interaktion mit anderen politischen Bewegungen an, beispielsweise mit der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland oder mit oppositionellen gesellschaftlichen Strömungen in den sozialistischen Ländern Osteuropas. Dabei verdient der Topos „Frauenrepräsentation“ eine stärkere theoretische Reflexion und objektbezogene Präzision, insoweit darunter die politische Vertretung von Fraueninteressen durch Frauen, aber auch durch Frauen und Männer, oder überhaupt nur die zahlenmäßige Gleichstellung von Frauen in politischen Vertretungskörperschaften verstanden werden kann. Die Entwicklung in den Vereinigten Staaten zeigt Ansätze in alle drei Richtungen Eine vor allem politiktheoretische Auseinandersetzung erfordert der von manchen Frauen-gruppen propagierte Leitsatz „das Private ist das Politische“, der die herkömmlichen Politikbegriffe von Grund auf in Frage stellt.
Zugleich mit der weiteren Klärung und Verfeinerung der Konzepte und Theorieansätze zur analytischen Erfassung der Thematik sind noch weite Bereiche durch empirische Studien zu erschließen. Dies gilt sowohl für die Zusammenhänge zwischen der Stellung der Frau im Erwerbsleben und in der Politik wie für den Konnex zwischen geschlechtsspezifischer Sozialisation und politischer Mobilität von Frauen. Für das politische System der Bundesrepublik Deutschland müßte in allen genannten Bereichen zunächst eine . Grundlagenforschung'in Gang kommen. Von besonderem Interesse erscheint es auch, die politische Rolle von Frauen innerhalb der Parlamente, Parteien und Verbände, auf regionaler und kommunaler Ebene, in den staatlichen Exekutiven etc. ersten Analysen zuzuführen
Wie in diesem Beitrag eingangs festgestellt wurde, ist auch hierzulande eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die politische und soziale Gleichstellung der Frau wahrzunehmen. Die sozialwissenschaftliche Forschung in der Bundesrepublik Deutschland hat sich einschlägige Fragestellungen allerdings noch kaum zu eigen gemacht. Das Desinteresse der . Zunft'läßt sich wohl maßgeblich mit der Unterrepräsentation von Frauen in diesem Wissenschaftszweig — wie bekanntlich auch in allen anderen Wissenschafts-bereichen — erklären. Eine solche „Erklärung“ verweist wiederum auf die sozio-kulturelle Befindlichkeit der Gesellschaft zurück, d. h. auf die insgesamt noch mangelnde Aufgeschlossenheit für soziale Gerechtigkeit und politische Gleichheit.