Sowjetische Politiker und Propagandisten haben die Genfer Gipfelkonferenz als Erfolg verbucht.
Bereits auf der Pressekonferenz am 21. November im Anschluß an die Gespräche mit Präsident Reagan hatte der sowjetische Parteiführer entsprechende Akzente gesetzt Zwar seien die Gespräche „offen, ausgedehnt und scharf (ostryi) — manchmal sogar außerordentlich scharf'— gewesen. Auch seien die Standpunkte beider Mächte bei wichtigen Fragen — vor allem bei der Bewertung von SDI — weiterhin unvereinbar.
Beide Seiten hätten sich aber aufmerksam die Argumente der Gegenseite . angehört. In einigen Bereichen, zum Beispiel bei der Ausweitung wissenschaftlicher und kultureller Verbindungen, beim Erziehungswesen und dem Informationsaustausch, sei sogar Einigung erzielt worden. Vor allem sei aber ein guter Anfang zur Neuordnung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen gemacht worden. Genf habe neue „Möglichkeiten für Fortschritte“ eröffnet und rechtfertige es, die „Zukunft mit Optimismus zu betrachten“. Ganz im Einklang mit dieser optimistischen Sicht der Genfer Konferenz steht die Vereinbarung beider Seiten, die sowjetisch-amerikanischen Gipfelgespräche fortzusetzen. Inoffiziell verlautet, daß Gorbatschow im Juni 1986 Washington besuchen wird.
Diese Bewegung in den sowjetisch-amerikanischen Beziehungen ist erstaunlich. Das Verhältnis zwischen den Supermächten hatte sich ja seit Ende der siebziger Jahre ständig verschlechtert. Die sowjetische Intervention in Afghanistan, die Verhängung von Sanktionen gegenüber der Sowjetunion, die Nicht-Ratifizierung der SALT -II -Verträge, der Beginn verstärkter amerikanischer Rüstungsanstrengungen, die nur schwer verhüllte Politik Reagans, „vulnerabilities of the Soviet empire“ zu nutzen und, falls möglich, zu verschärfen, die Auseinandersetzungen um die „Nachrüstung“ der NATO und der Abschuß der südkoreanischen Verkehrsmaschine über Sachalin waren nur einige der Faktoren, die zu dieser Verschlechterung beigetragen hatten.
Obwohl gewisse Veränderungen in der Haltung Reagans die Wiederaufnahme der sowjetisch-amerikanischen Gespräche erleichtert haben, ist doch der Wandel der sowjetischen Politik besonders bemerkenswert. Noch in einer unter Andropows Namen nach dem Abschuß der südkoreanischen Boeing herausgegebenen Erklärung
wurde die Regierung Reagans einer gezielten, verbrecherischen Provokation bezichtigt und praktisch als Verhandlungspartner abgeschrieben. „Falls irgend jemand noch Illusionen hinsichtlich einer möglichen Entwicklung der gegenwärtigen amerikanischen Regierung zum Besseren hatte“, hieß es dort, „so sind derartige Illusionen durch die jüngsten Ereignisse völlig beseitigt worden.“ Unter Tschernenko wurden derartige Interpretationen fortgeführt bis hin zu Anspielungen und Karikaturen, in denen Reagan mit Hitler verglichen wurde.
Trotz all dieser sowjetischen Vorwürfe und Anschuldigungen wurden im Sommer und Herbst die Weichen in Richtung auf eine Wiederaufnahme der Gesprächskontakte mit den USA gestellt. Moskau gab seinen Standpunkt auf, daß Rüstungskontrollverhandlungen über strategische Waffen nur nach dem Abzug der amerikanischen Raketen mittlerer Reichweite aus Westeuropa stattfinden könnten
Aber auch nach dem Beginn der Genfer Rüstungskontrollverhandlungen und Gorbatschows Amtsantritt ist die sowjetische Politik immer wieder auf Positionen eingeschwenkt, die von der Regierung Reagan vertreten worden sind. Beispielsweise gab die Sowjetführung ihre Haltung auf, es sei nicht sinnvoll, eine Gipfelkonferenz auch dann abzuhalten, falls der Hauptzweck darin bestünde, Argumente auszutauschen und sich gegenseitig kennenzulernen. Und wie noch zu zeigen ist, hat es gewisse Differenzierungen bei der Bewertung dessen gegeben, was unter legitimer „Forschung“ im Rahmen von SDI zu verstehen sei.
Diese Entwicklungen werfen eine Reihe wichtiger Fragen auf:
1. Worauf sind die Veränderungen der sowjetischen Haltung zurückzuführen? Sind sie ein Ergebnis innenpolitischen Machtwechsels oder aber von Verschiebungen der internationalen „Korrelation der Kräfte“? Hat sich die sowjetische Sicht der Regierung Reagan gewandelt und werden weitreichende Abkommen mit den USA heute in Moskau als möglich angesehen, oder aber handelt es sich bei den neuen sowjetischen Ansätzen lediglich um eine taktisch bedingte, propagandistische Schwenkung? Trifft es zu, daß — wie vor allem in der amerikanischen Presse zu lesen ist — die Strategische Verteidigungsinitiative Reagans und das Wiedererstarken der amerikanischen Militärmacht die Sowjets an den Verhandlungstisch zurückgebracht haben? 2. Warum hat die Sowjetführung die Verhinderung der „Militarisierung des Weltraums“ zum Kernpunkt der rüstungskontrollpolitischen Auseinandersetzung mit den Vereinigten Staaten gemacht? Hat sie diese Entscheidung getroffen, weil SDI für sie eine große Herausforderung ist? Oder aber hat sie dieses Problem nur künstlich aufgebauscht?
3. Die ersten Runden bei den Rüstungskontrollverhandlungen in Genf sind von sowjetischer Seite als „völlig unfruchtbar“ bezeichnet worden. Wie groß sind die Chancen einer Einigung in den nachfolgenden Verhandlungsrunden? Ist unter der Voraussetzung, daß überhaupt ernsthaft verhandelt wird, anzunehmen, daß es zu einer Einigung in Teilbereichen kommt? Oder aber ist ein umfassendes Abkommen in allen drei Rüstungskontrollbereichen wahrscheinlicher? Befinden sich die Supermächte heute möglicherweise in einer Lage, in der Entspannung und Rüstungskontrolle getrennt werden können? Oder aber ist es noch immer so, daß Fortschritte bei Rüstungskontrollverhandlungen und eine Verbesserung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen fest miteinander verbunden sind?
Auf all diese Fragen geht die vorliegende Untersuchung ein
II. Die Wiederaufnahme der sowjetisch-amerikanischen Gespräche: Gründe und Hintergründe
Der Hauptgrund für die Wiederaufnahme sowjetisch-amerikanischer Kontakte und den Beginn von Rüstungskontrollverhandlungen in Genf lag zweifellos in der weitgehenden internationalen Isolierung der Sowjetunion im Zeitraum vom Herbst 1983 bis Herbst 1984. Nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages im November 1983 hatte die „Nachrüstung“ der NATO begonnen, und entgegen manchen westlichen Voraussagen kam es im Verlaufe der Stationierung weder in der Bundesrepunlik noch in anderen westeuropäischen Ländern zu nennenswerten außerparlamentarischen Störaktionen, geschweige denn bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Die westeuropäische „Friedensbewegung“, auf welche die Sowjetunion in den Jahren 1977 bis 1983 einige — wenn nicht sogar große — Hoffnungen gesetzt hatte, um die Dislozierung von amerikanischen Mittelstreckenwaffen in Europa zu verhindern, zeigte bereits Anfang 1984 gewisse Auflösungserscheinungen. Neue Zielsetzungen, vor allem im ökologischen Bereich, traten in den Vordergrund dieser Bewegung.
In den wichtigsten europäischen Ländern sah sich die Sowjetunion 1984 weiterhin entweder politisch konservativen und in Verteidigungsfragen atlantisch orientierten Regierungen gegenüber (Kohl in der Bundesrepublik, Thatcher in Großbritannien) oder Sozialisten, die die Nachrüstung und stärkere europäische Verteidigungsanstrengungen befürworteten (Mitterrand in Frankreich, Craxi in Italien). Für die Sowjetführung hatten sich infolgedessen die Chancen, Differenzen zwischen den westeuropäischen Staaten und innerhalb dieser Staaten zu nutzen, erheblich verringert.
Aber auch Moskaus Möglichkeiten, Konflikte zwischen den Vereinigten Staaten und Westeuropa zu instrumentieren, hatten sich abgeschwächt. Bis Herbst 1983 hatte der angebliche Mangel an Festigkeit der Westeuropäer und die Ungewißheit über das endgültige Schicksal des NATO-Doppelbeschlusses die amerikanisch-westeuropäischen Beziehungen stark belastet. Verstärkt wurde diese Belastung durch die Auseinandersetzungen um Wirtschaftssanktionen gegenüber der UdSSR und den Transfer von westlicher Technologie in die Mitgliedsländer des War-schauer Pakts. Mit dem Beginn der Stationierung hatten jedoch die Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen westeuropäischen Staaten und den USA an Schärfe verloren.
Zur Entschärfung der West-West-Beziehungen trugen gewisse Veränderungen in der amerikanischen Politik bei. Aus Wahlrücksichten mußte der Präsidentschaftskandidat Reagan ein zumindest taktisch motiviertes Interesse daran haben, ein weiches Image zu pflegen. Es gab aber, nachdem die USA gegenüber der UdSSR etwas mehr militärische Stärke und eine verbesserte Verhandlungsposition erlangt hatten, möglicherweise auch ein prinzipielles Interesse Reagans, weitreichende Rüstungskontrollvereinbarungen mit den Sowjets zu erzielen.
Gerade in dieser Entwicklungsphase der amerikanischen Politik stand aber die Sowjetunion unter dem Druck, ihre Drohungen mit politischen und militärischen „Gegenmaßnahmen“ in die Tat umzusetzen.
Sie nahm die offiziell von ihr im Oktober 1983 vorbereitete Stationierung von SS-21-und SS-23-Raketen in der DDR und der Tschechoslowakei auf.
Sie setzte die beiden anderen von ihr angedrohten militärischen Gegenmaßnahmen in Kraft: die Beendigung des von ihr einseitig verkündeten (und bereits vor Beginn der Nachrüstung der NATO verletzten) Moratoriums für die Errichtung neuer SS-20-Stellungen im europäischen Teil des Landes sowie die Verlegung von mit Nuklearwaffen bestückten U-Booten in „Seegebiete“ nahe der Küste der Vereinigten Staaten.
. Sie brach die Verhandlungen in Genf (INF) und Wien (START) ab und machte die Rücknahme der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa zur Vorbedigung für die Wiederaufnahme von Verhandlungen.
Der Logik der sowjetischen Verweigerungshaltung und der verbalen Strafaktionen entsprach es, daß die Politik der — ohnehin begrenzten — selektiven Entspannung gegenüber Westeuropa ganz aufgegeben wurde. Tendenzen zu einer verstärkten sicherheitspolitischen Zusammenarbeit der Westeuropäischen Union (WEU) in rüstungsund sicherheitspolitischen Fragen wurden scharf von Moskaus kritisiert. Insbesondere aber wurde die Bundesrepublik, die während der Nachrüstungsdebatte eine Schlüsselrolle gespielt hatte, zur Zielscheibe heftiger Angriffe: Sowjetische Politiker und Propagandisten stellten wieder ein Anwachsen von „Revanchismus“ und „Militarismus“ fest.
Die von der UdSSR eingeschlagene „steinharte“
Linie in der Westpolitik (aber auch gegenüber Japan und China) führte nicht nur zu einer weitgehenden internationalen Isolierung Moskaus.
Sie stieß auch im eigenen Lager auf Unverständnis und Widerspruch. Im Verlauf des Frühjahrs und Sommers 1984 machten vier der sowjetischen Partnerländer in Osteuropa — die DDR, Ungarn, Rumänien und Bulgarien — auf verschiedene Weise deutlich, daß sie kein Interesse an einer Verschärfung der Ost-West-Beziehungen in Europa hatten. Sie schreckten vor der gegenüber der Bundesrepublik von Honecker noch im Herbst 1983 angedrohten „neuen Eiszeit“ zurück.
Ihr Verhalten orientierte sich weniger an der sowjetischen Generallinie als an „Schadensbegrenzung“ und an der Suche nach „Koalitionen der Vernunft".
Die Abweichung der osteuropäischen Staaten von der „steinharten“ sowjetischen Westpolitik wurde allerdings von einem wichtigen Faktor begünstigt: der Führungsschwäche in der Sowjetunion. Nach dem Tod Andropows im Februar 1984 kam mit Tschernenko wieder ein Mann hohen Alters und mit gesundheitlichen Problemen an die Macht, ein Kompromißkandidat allerdings, ein Parteiführer unbestimmten Übergangs und zudem noch ein Funktionär von zweifelhaftem Ideenreichtum. Die Führungsschwäche und die Richtungskämpfe im Kreml waren nicht mehr zu verbergen. Bereits wenige Wochen nach Tschernenkos Amtsantritt wurde offenkundig, daß eine Art „Breschnewismus ohne Breschnew“ in der Sowjetunion wiedergekehrt war.
All diese eher kurzfristig wirksamen innenpolitischen und internationalen Faktoren verbanden sich 1984 mit sehr viel grundsätzlicheren, langfristigen Faktoren. Im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte war militärische Macht ein immer wichtigeres Instrument der sowjetischen Außenpolitik geworden. Diese Entwicklung beruhte zum Teil auf „subjektiven“ Faktoren (mangelnde Bereitschaft und Möglichkeit der amerikanischen Exekutive als Folge von Vietnam und Watergate, militärische Macht gegenüber der Sowjetunion zur Geltung zu bringen), zum Teil auf „objektiven“ Faktoren, insbesondere der quantitativen und qualitativen Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der Sowjetunion auf vier Ebenen der militärischen Konkurrenz mit der gegnerischen Supermacht: der konventionellen (in Europa und Fernost), der militär-strategischen, bei den nuklearen Trägersystemen mittlerer Reichweite und bei der Fähigkeit zur Machtprojektion und Intervention in von der Sowjetunion weit entfernten Gebieten. Unter dem Eindruck der sowjetischen Intervention in Afghanistan hatten aber die Vereinigten Staaten bereits unter Carter begonnen, die zu ihren Ungunsten verschobenen militärischen Kräfteverhältnisse wieder zurechtzurücken. Reagan fand dafür in seiner ersten Amtsperiode eine breite Mehrheit im Kongreß und in der Bevölkerung: Im Zeitraum von 1980 bis 1984 wuchsen die amerikanischen Militärausgaben jährlich real um 9%. Insgesamt wurde in diesem Zeitraum von der Legislative die schwer vorstellbare Summe von 1 007 900 000 000 US-Dollar für Verteidigungszwecke bewilligt Wenn dieser Dollarregen auch nicht überall zu einem entsprechenden Anwachsen tatsächlicher militärischer Fähigkeiten geführt hat, war die Tendenz einer Trendwende bei den militärischen Kräfteverhältnissen doch unverkennbar.
Kurzfristig und langfristig wirksame sowie innen-und außenpolitische Faktoren flossen also im Laufe des Jahres 1984 zusammen und legten der politischen Führung nahe, nach einem Weg zu suchen, um die Sowjetunion aus der Selbstisolierung herauszumanövrieren, um den Trend wachsender Gemeinsamkeiten zwischen den USA, Westeuropa, Japan und China in Sicherheitsfragen einerseits und wachsender Unterschiede zwischen all diesen Machtfaktoren und der UdSSR andererseits anzuhalten und, falls möglich, umzukehren.
Westlichen Berichten zufolge soll zu diesem Zweck bereits Anfang des Jahres eine Arbeitsgruppe unter Leitung des ersten stellvertretenden Außenministers, Kornienko, gebildet worden sein. Der Gruppe sollen Vertreter des ZK-Sekretariats, des Außenministeriums, des Generalstabs der sowjetischen Streitkräfte und des KGB angehört haben. Teilnehmer seien Sagladin, Samjatin (ZK-Sekretariat), Marschall Achromejew und General Tschernow (beide Generalstab) sowie Falin (der frühere sowjetische Botschafter in der Bundesrepublik, heute Kommentator bei der Iswestija) gewesen. Im Frühjahr soll diese Gruppe folgenden Weg aus der Isolierung skizziert haben:
— Wiederaufnahme von Rüstungskontrollverhandlungen und anderer Gespräche mit den Vereinigten Staaten.
— Fallenlassen des Standpunkts, die NATO müsse die Stationierung von Pershing-II-Raketen und Marschflugkörpern in Westeuropa zurücknehmen, ehe weiterverhandelt werden könne.
— Einstufung der Wiederaufnahme der Verhandlungen als „neu“, um das Gesicht zu wahren. — Ablösung der Mittelstreckenwaffen als „größte Bedrohung des Friedens und der Sowjetunion“; dafür Herausstellen des Aufbaus strategischer Verteidigungssysteme der USA und der „Militarisierung des Weltraums“ als größte Gefahr. — Herausstellen der Bereitschaft zu Gesprächen, um diese Gefahr zu bannen.
— Vermeidung all dessen, was eine Wiederwahl Reagans zum Präsidenten fördern könnte, gleichzeitig aber Vorbereitungen zu treffen, um sofort nach den Wahlen Gespräche über mögliche Rüstungskontrollverhandlungen mit dem Wahlsieger aufzunehmen.
Ob derartige Berichte der Wirklichkeit entsprechen, läßt sich nicht nachprüfen. Sie können jedenfalls als plausibel gelten. Zumindest spricht mehr für diese Darstellung der Gründe und Hintergründe der Genfer Verhandlungen als die weitverbreitete These, SDI und die Forcierung der amerikanischen Rüstungsanstrengungen hätten bereits Früchte getragen und die Sowjets an den Verhandlungstisch zurückgezwungen.
Wie aber verhält es sich mit SDI wirklich? Ist die amerikanische Initiative trotzdem eine Herausforderung für die Sowjetunion oder aber lediglich ein guter Ansatzpunkt für sie, neuen Spielraum in der Westpolitik zu gewinnen?
III. Die Strategische Verteidigungsinitiative der USA: Problem oder propagandistischer Ansatzpunkt für die UdSSR?
1. Was bedeutet SDI für die Sowjetunion? Jeder Versuch, herauszufinden, ob die amerikanische Strategische Verteidigungsinitiative für Moskau eine Herausforderung ist und, falls ja, als wie groß diese zu bewerten sei, stößt auf ein wichtiges Problem: Es ist zum jetzigen Zeitpunkt wohl auch für sowjetische Beobachter keineswegs klar, welche Lösungen einer strategischen Abwehr im Weltraum nicht nur denkbar, sondern auch machbar sind, welches Ausmaß eine derartige Abwehr haben könnte, welche Kosten für ihren Aufbau in den USA als noch vertretbar betrachtet würden und wieviel Geld dafür vom Kongreß bewilligt würde. Es ist ebenfalls unklar, welche Absichten die Vereinigten Staaten mit SDI verbinden. Denn je nachdem, welche — und zu welchem Zeitpunkt gemachte — Äußerungen Reagans, der nationalen Sicherheitsbehörde, des Verteidigungsministeriums, des Außenministeriums oder der Arms control Community man zu Rate zieht, ergeben sich ganz unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten. Aus Moskauer Sicht könnten diese wie folgt charakterisiert werden:
„Nichts-weiter-als-Forschung“ -Auslegung;
„Rüstungskontroll" -Deutung;
„Dominanz-der-Verteidigung“ -Sicht und „Überlegeriheit-über-die-Sowjetunion“ -Variante.
Der ersten „Nichts-weiter-als-Forschung“ -Auslegung zufolge könnte SDI lediglich ein unverbindliches und disponibles Forschungsvorhaben sein — eine Sache also, die nicht der Aufregung wert sei. SDI werde in Washington hauptsächlich als eine „prudent response“ auf bereits laufende sowjetische Forschungen und als eine Absicherung gegen einen militärtechnologischen Durchbruch oder einen Ausbruch der Sowjetunion aus dem ABM-Vertrag betrachtet. Es sei ein Programm, bei dem Entscheidungen darüber, welche bzw. ob überhaupt Waffen im Weltraum disloziert werden, nicht vor Anfang der neunziger Jahre fallen werden und auch dann nur in enger Abstimmung mit der Sowjetunion.
Die zweite, die „Rüstungskontroll“ -Deutung könnte in SDI etwas Substantielleres sehen. Es könnte in Moskauer Sicht um mehr als Forschung gehen, nämlich um eine Ergänzung der auf Offensivwaffen beruhenden Abschreckung durch Elemente der strategischen Verteidigung.
Infolge bereits vollzogener und kommender ziviler und militärtechnologischer Entwicklungen könnte die amerikanische Initiative auf eine notwendige, wenn auch begrenzte Anpassung bestehender Rüstungskontrollverträge (wie vor allem des ABM-Vertrags und der SALT-Verträge) an veränderte Bedingungen zielen. Umfang, aber auch Prinzip einer weltraumgestützten strategischen Abwehr seien durchaus verhandelbar. Worauf es ankäme, sei die gegenseitige Sicherheit zu erhöhen, und dies könne auch durch eine Ausweitung und Verbesserung landgestützter strategischer Verteidigungssysteme erreicht werden.
In der dritten, der „Dominanz-der-Verteidigung“ -Sicht könnte SDI als Auftakt zu einer völligen Umstrukturierung der strategischen Doktrin der USA und des militärischen Verhältnisses zwischen den Supermächten erscheinen. Es könnte tatsächlich darum gehen, wie Reagan in seiner Rede vom März 1983 sagte, die Nuklearwaffen „impotent and obsolete“ zu machen Dieses Ziel sei ethisch vertretbarer als die Abschreckung, technologisch realisierbar und könnte aus beiden Gründen für die USA nicht verhandelbar sein. Unabhängig davon, wie die Sowjetunion ihre eigenen strategischen Erfordernisse definiere, stünde am Ende der von den Vereinigten Staaten angestrebten Entwicklung eine „defense-oriented Strategie environment“. Das MAD-Prinzip („mutual assured destruction“) würde durch MAS („mutual assured Security“) abgelöst.
Der vierten, der „Überlegenheit-über-die-Sowjetunion“ -Variante zufolge könnte es Sinn und Zweck von SDI sein, den Vereinigten Staaten ein politisch nutzbares Maß an strategischer Überlegenheit zurückzugeben und ihnen neue politische und militärische Optionen gegenüber der UdSSR zu eröffnen. Gestützt auf die Erwartung, die Sowjetunion könne beim Aufbau einer weltraumgestützten strategischen Verteidigung technologisch und wirtschaftlich nicht mithalten, würde sich SDI in die amerikanische Politik der Wirtschaftssanktionen und der Begrenzung des Ost-West-Technologietransfers einfügen und die militärische Konkurrenz auf eine für die USA günstigere Ebene verschieben. Erforschung, Entwicklung und Stationierung eines breit angelegten strategischen Abwehrsystems im Weltraum seien deshalb auch für die USA nicht verhandelbar.
In der Politik, so soll Präsident Kennedy gesagt haben, sei der Anschein oft wichtiger als die Wirklichkeit. Diese Beobachtung trifft auch auf das vorliegende Problem zu. Denn die Entwicklung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen hängt weniger davon ab, welche Absichten SDI tatsächlich zugrunde liegen, sondern davon, wie Moskau die Absichten und die Chancen ihrer Verwirklichung sieht.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sieht die politische Führung der Sowjetunion (von der militärischen ganz zu schweigen) SDI nicht als ein verbindliches Forschungsvorhaben, als eine sinnvolle Anpassung bestehender Rüstungskontrollvereinbarungen an gewandelte Verhältnisse oder als ein Programm zur Gewährleistung gegenseitiger Sicherheit, sondern als Teil des Bemühens der Regierung Reagan, die „Korrelation der Kräfte“ im Weltmaßstab zugunsten der USA zu verändern. In Moskauer Sicht ist SDI infolgedessen weniger eine Strategie defense initiative als eine Strategie initiative (SI).
Diese Interpretation der mit SDI verbundenen Absichten Reagans liegt aus ideologischen Grün-* den nahe. Die Sowjetideologie hat ja verschiedene Funktionen in der sowjetischen Außenpolitik. Unter anderem ist der Marxismus-Leninismus eine Art Prisma, durch das die internationalen Ereignisse — oft verzerrt — wahrgenommen werden. Zur Beschaffenheit dieses Prismas gehört es, daß die Welt als historisch gegebener, unabänderlicher Antagonismus zwischen zwei sozioökonomischen Systemen und militärischen Bündnissen erscheint. Dies wiederum macht es für den Betrachter schwierig, gemeinsame Interessen zu erkennen und der anderen Seite lautere Absichten zuzubilligen.
Die Dynamik der militärtechnologischen Entwicklung in der Vergangenheit legt der Sowjetführung diese Deutung ebenfalls nahe. Denn in der Geschichte der sowjetisch-amerikanischen Rüstungskonkurrenz gibt es praktisch kein Beispiel dafür, daß der Fluß von ziviler Innovation zu militärischer Anwendung oder der Weg von militärischer Forschung, Entwicklung und Erprobung zur Einführung von Waffen in die Streitkräfte wirksam unterbrochen worden wäre. Es muß deshalb in Moskau als unwahrscheinlich gelten, daß dies bei SDI anders wäre.
Eine sowjetischen Interessen zuwiderlaufende Auslegung von SDI wird auch durch Äußerungen Reagans und seiner engsten Mitarbeiter seit Beginn der zweiten Amtsperiode des Präsidenten gestützt. In diesen Äußerungen wird strikt die Auffassung zurückgewiesen, SDI sei verhandelbar, ein „bargaining chip“ Während bei manchen diesbezüglichen Stellungnahmen nicht immer deutlich ist, ob mit „SDI“ lediglich Forschung oder auch Entwicklung, Erprobung und Stationierung gemeint sein könnte, gibt es derartige Unklarheiten bei Verteidigungsminister Weinberger nicht. Er schließe, so sagte er in einem Interview mit CBS, „die Möglichkeit eines Verzichts auf ein strategisches Verteidigungssystem sowohl im Forschungsstadium als auch ... im Stadium der Stationierung aus“ Auf diese Stellungnahme hat sein sowjetischer Gegenspieler, Marschall Sokolow, mit dem Kommentar hingewiesen: „Ein Kommentar hierzu ist überflüssig.“
Präsident Reagan ist ebenfalls dem Eindruck entgegengetreten, die Stationierung einer Raketen-abwehr sei verhandelbar: Auch dann, hat er erklärt, wenn es gelänge, ein internationales Abkommen über das Verbot von Nuklearwaffen zu erreichen, würde es sich lohnen, ein strategisches Abwehrsystem zu haben, um sich gegen Vertrags-verletzungen der anderen Seite zu schützen
Wegen all der hier genannten Faktoren betrachtet die Sowjetführung SDI aller Wahrscheinlichkeit nach als eine große politische und technologische Herausforderung. Die Frage, die sich deshalb in Moskau stellt, ist: Wie ist dieser Herausforderung am besten zu begegnen? Durch Einlenken und Eingehen auf den von den Vereinigten Staaten angebotenen „strategischen Dialog“? Oder durch konfrontative politische Taktik und verstärkte eigene Forschungen und militärische Rüstung?
2. Vorläufige Festlegung der sowjetischen Haltung
Bisher haben sowjetische Politiker und Propagandisten auf Reagans Initiative mit Ablehnung und konfrontativer Taktik reagiert. Die Verhinderung der „Militarisierung des Weltraums“ ist von Moskau zum Lackmustest des Ost-West-Verhältnisses gemacht worden. SDI, so hat Gorbatschow auf der Gipfelkonferenz der Warschauer-Pakt-Staaten im April 1985 behauptet, „destabilisiert das gesamte System der internationalen Beziehungen und führt zu einer noch größeren Verschärfung der politischen und militärischen Konfrontation“ Bei den Rüstungskontrollverhandlungen in Genf, erklärte er in einem Interview für die Prawda, werde „jetzt entschieden, wohin die Entwicklung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen und die Entwicklung in der Welt insgesamt gehen wird“
Auch der von den USA angebotene „strategische Dialog“ ist vom Leiter der sowjetischen Verhandlungsdelegation in Genf, Karpow, scharf zurückgewiesen worden. Man müsse den Eindruck gewinnen, kritisierte er im sowjetischen Fernsehen, daß die amerikanische Seite nicht darüber sprechen wolle, wie ein Wettrüsten im Weltall verhindert werden könne, sondern nur daran interessiert sei, „Vorträge über die angeblichen Vorzüge des amerikanischen Konzepts des , Kriegs der Sterne’ zu halten, eines Konzepts, das darauf gerichtet ist, den Weltraum zu einer militärischen Bedrohung für die Menschheit zu machen“
Zu den vermeintlichen, allen übergeordneten politisch-strategischen Absichten der USA hat sich der sowjetische Verteidigungsminister, Sokolow, wie folgt geäußert Zur Zeit bestehe zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt ein ungefähres militärstrategisches Gleichgewicht. Dies sei eine „historische Errungenschaft“ der sozialistischen Gemeinschaft. Es sei eine unerläßliche Bedingung für ihre Sicherheit. Es zügle die „imperialen Ambitionen“ der USA. Und gerade deshalb würden in Washington erhebliche Anstrengungen unternommen, „die Parität zu zerstören und ein militärisches Übergewicht über die UdSSR und ihre Verbündeten zu erlangen“.
Weitere Kernpunkte der sowjetischen Argumentation können wie folgt zusammengefaßt werden: — Es besteht eine unauflösliche Verbindung zwischen Offensiv-und Defensivwaffen. Dies ist bereits Ende der sechziger/Anfang der siebziger Jahre erkannt und in den — aus triftigem Grund gleichzeitig abgeschlossenen — ABM-und SALT-I-Verträgen berücksichtigt worden.
— Es ist infolgedessen im höchsten Grad unlogisch, falls die USA tatsächlich eine Verringerung der nuklearen Arsenale wollen, nicht gleich zu einer drastischen Verringerung der Offensiv-waffen zu schreiten, sondern erst eine strategische Abwehr aufzubauen.
—. Man kann deshalb auch gar nicht davon ausgehen, daß die USA bei SDI an Verteidigung denken. Im Gegenteil, sie wollen das Potential für einen nuklearen Entwaffnungsschlag aufbauen. — Zu diesem Zweck verbessern sie die Treffgenauigkeit und Eindringfähigkeit der bestehenden nuklearen Angriffswaffen.
— Sie haben in Verfolgung des Ziels, einen nuklearen Überraschungsangriff führen zu können, Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper in Westeuropa stationiert.
— Und sie führen dieser Zielsetzung entsprechend neue strategische Angriffswaffen ein: MX und Midgetman, seegestützte ballistische Raketen (D-5 SLBM), neue strategische Bomber (B-l und ,, Stealth“ -Programm) sowie land-, lüft-und seegestützte Marschflugkörper.
— Der letzte Schritt zur Entwicklung einer Erstschlagsfähigkeit im Kalkül Washingtons ist die Herstellung eines Raketenabwehrschilds.
Dieser soll dazu dienen, einen Gegenschlag der UdSSR auf amerikanisches Territorium zu verhindern: Die sowjetischen Raketen, die den nuklearen Überraschungsangriff überstanden haben, sollen bereits in der Startphase vernichtet werden können
Hinsichtlich der rüstungskontrollpolitischen Auswirkungen von SDI richtet sich der Hauptpunkt der sowjetischen Kritik gegen die mögliche Verletzung des ABM-Vertrags durch das amerikanische Forschungsprogramm. In dieser Frage hat sich die sowjetische Position erst verhärtet und ist dann etwas flexibler geworden. In einem Fernsehinterview im Anschluß an sein Treffen mit Außenminister Shultz in Genf von Mitte Januar 1985 hatte Gromyko lediglich festgestellt: „Die Durchführung wissenschaftlicher Forschungsarbeit mit dem Ziel, ein breitangelegtes Raketenabwehrsystem zu entwickeln, ist in politischer und moralischer Hinsicht zu kritisieren“; sie sei „anfechtbar (ujazvimoj) und muß zurückgewiesen werden“ Seine Sorge war nur: „Wer kann garantieren, daß man sich nach der Beendigung der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten damit begnügt?“, d. h., daß es nach dem Abschluß nicht zur Erprobung und Stationierung käme
In seinem Interview mit einem TASS-Korrespondenten hat Verteidigungsminister Sokolow dagegen behauptet:
— Die Ausflüchte Washingtons, daß die „Forschung“ durch den Vertrag von 1972 angeblich zugelassen sei, sind nicht stichhaltig. Artikel 5 dieses Vertrages verbietet die Schaffung, Erprobung und Stationierung von Raketenabwehrsystemen und ihrer weltraumgestützten Komponenten. Die in den USA betriebenen sogenannten „Forschungen“ zur Schaffung eines Raketenabwehrsystems mit weltraumgestützten Elementen gehen aber schon heute über den Rahmen wissenschaftlicher Forschungen hinaus.
— Es wird an bestimmten Versuchsmodellen von Weltraumangriffswaffen gearbeitet, an verschiedenen Lasern, elektromagnetischen Kanonen, Abfangraketen und Satellitenabwehrsystemen. Das alles sind Komponenten einer weltraumgestützten Raketenabwehr, „Steinchen eines endgültigen Systems“, wie sich der Berater des Präsidenten, Keyworth, ausdrückte. Die Forschungsarbeiten zur Schaffung solcher „Steinchen“ ste-hen in direktem Widerspruch zum Vertrag von 1972, sie müssen eingestellt und verboten werden
Ganz offensichtlich ist dies eine unhaltbare Maximalposition. Denn keine der in den USA aktiv an Sicherheitspolitik beteiligten Regierungsinstitutionen und ernst zu nehmenden Interessengruppen sieht die zur Zeit laufenden Forschungsarbeiten als vertragswidrig an. Und keine dieser Institutionen und Gruppen wäre bereit, auf ein Mindestmaß an Forschung als „prudent hedge“ gegen sowjetische Entwicklungen zu verzichten. Wenn die Sowjetunion tatsächlich ein Abkommen über die Begrenzung offensiver oder defensiver strategischer Waffen will, muß sie ihre Maximalposition aufgeben.
Erste Anzeichen dafür hat es bereits gegeben. In seinem Interview mit dem amerikanischen Nachrichtenmagazin Time hat Gorbatschow zugestanden, daß sich die sowjetische Haltung nicht gegen Weltraum-Grundlagenforschung richte. Die Grenze zwischen dem, was zulässig und zu verbieten sei, liege in der Konstruktionsphase. Die Grenze werde dann überschritten, wenn Aufträge für die Erstellung von Prototypen vergeben würden
Ein großes Zugeständnis ist dies allerdings nicht. Was aber könnte die Sowjetführung veranlassen, größeres Entgegenkommen zu zeigen? Genauer: Aufgrund welcher Faktoren könnte sie bereit sein, nicht nur ihre starre Haltung zum Problem weltraumbezogener Forschung, sondern auch zur Frage der Entwicklung, Erprobung und Stationierung von weltraumgestützten strategischen Waffen zu revidieren? Wie steht es darüber hinaus mit den Chancen einer Verbesserung auch der politischen Beziehungen zwischen den Supermächten?
IV. Bestimmungsfaktoren der sowjetischen Politik gegenüber den Vereinigten Staaten
1. Günstige innenpolitische Bedingungen in der Sowjetunion
Eine optimistische Sicht der Entwicklung der sowjetisch-amerikanischen Beziehungen und der Genfer Verhandlungen ließe sich aus günstigen innenpolitischen Voraussetzungen ableiten. Das Problem der Führungsschwäche an der Spitze der Sowjetunion, so könnte man argumentieren, gehöre endgültig der Vergangenheit an. Nach dem Immobilismus der Ära Breschnew, der dynamischen, aber kurzen Übergangsphase von Andropow und dem Rückfall in die Ideenlosigkeit einer weiteren, ebenso kurzen Übergangsphase unter Tschernenko sei mit Gorbatschow nun endlich ein Generalsekretär ernannt worden, der die Zügel des Sowjetreiches wieder fester in der Hand hält. Von ihm könne erwartet werden, daß er die Geschichte der Sowjetunion vielleicht ähnlich lange und nachhaltig beeinflussen wird, wie seinerzeit Stalin — allerdings in einer ganz anderen Richtung: Von ihm sei zu erwarten, daß er die Modernisierung der Sowjetunion und die Öffnung des Landes nach außen energisch betreiben wird.
Um sein innen-und außenpolitisches Programm zu verwirklichen, hat er bereits ein umfangreiches Revirement vorgenommen. Allein in den ersten vier Monaten seiner Amtszeit hat er vier neue Vollmitglieder des Politbüros (Tschebrikow, Ryschkow, Ligatschow und Schewardnadse) und drei neue Sekretäre (Ligatschow, Sajkow und Eltschin) ernannt. Dieses Revirement auf höchster Ebene des sowjetischen Machtapparats ist wahrscheinlich keineswegs abgeschlossen und wird sich wohl auf der mittleren und den unteren Ebenen der Staats-und Parteibürokratie fortsetzen.
Als besonders günstig für das sowjetisch-amerikanische Verhältnis könnte sich die Beschneidung des Einflusses der sowjetischen Streitkräfte im Machtzentrum des Parteistaats auswirken. Nach der Herabstufung von Generalstabschef Ogarkow, dem Tod von Verteidigungsminister Ustinow (bis zu seinem Tod war er Vollmitglied des Politbüros) und der Ernennung von Marschall Sokolow zu seinem Nachfolger (er ist bereits 74 Jahre alt und nur Kandidat des Politbüros) mußten sie sich auch mit dem Ausscheiden von ZK-Sekretär Romanow abfinden, der als Vertreter rüstungswirtschaftlicher Interessen, Anwendung militärischer Macht nach außen und als größter Rivale Gorbatschows galt. Die politische Führung ist deshalb eher als in der Vergangenheit fähig, Rüstungskontrolle auch gegen Interessen und Vorstellungen des militärischen Establishments durchzusetzen. Allerdings ist große Sorgfalt bei der Bewertung der innenpolitischen Entwicklung der UdSSR geboten. Der bisher von Gorbatschow in der Innen-und Wirtschaftspolitik eingeschlagene Weg deutet darauf hin, daß er das „entwickelte System des Sozialismus“ vervollkommnen, nicht aber grundlegend verändern will. Er will Maßnahmen ergreifen, um Staat und Gesellschaft von „fremden Erscheinungen“ zu säubern, die „sozialistische Gesetzlichkeit zu festigen“ und die „Disziplin zu stärken“ Wie unter Andropow soll mit Hilfe eines entschiedenen Kampfes gegen Günstlingswirtschaft, Trunksucht, Faulenzerei, „Selbstgefälligkeit und Unverantwortlichkeit“ das Ansehen der Partei gefördert und die Arbeitsproduktivität in der Wirtschaft verbessert werden. Die notwendigen Veränderungen sollen „ohne Abweichungen in Richtung auf eine Marktwirtschaft“ erfolgen
Gorbatschow hat deutlich gemacht, daß es ihm nicht darum geht, eine Konsumgesellschaft westlichen Maßstabs herzustellen. Er will eine „intensive, hochentwickelte Wirtschaft“, weil nur diese „eine Festigung der Positionen [der Sowjetunion] in der internationalen Arena garantieren“ könne und weil von ihr die „Verteidigungsfähigkeit unseres Landes“ abhänge
Hinzu kommt, daß Gorbatschow nur eine erste Runde des innenpolitischen Machtkampfs zu seinen Gunsten entschieden hat. Seine Wahl zum Generalsekretär soll lediglich gegen den Widerstand konservativer und ideologisch-orthodoxer Gruppierungen in der Führungsspitze möglich gewesen sein Dieser Widerstand könnte sich wieder regen. In einer Situation gefestigter, aber noch nicht voll gesicherter Macht kann es sich Gorbatschow allerdings kaum leisten, nach innen oder außen als schwach zu erscheinen. Im Gegenteil: Er muß darauf achten, als prinzipien-treuer Verfechter sowjetischer Machtinteressen zu gelten.
2. Technologischer Rückstand und wirtschaftliche Kosten der militärischen Konkurrenz
Ein weiterer Gesichtspunkt, der zur Erhärtung der Auffassung genannt werden kann, daß die UdSSR ein großes Interesse an einem Arrangement mit den USA haben müsse, könnte wie folgt lauten: Die Sowjetunion könne beim Aufbau einer weltraumgestützten strategischen Abwehr in technologischer Hinsicht nicht mit den Vereinigten Staaten mithalten. Es gehe bei der mit SDI verbundenen Forschung nicht um punktuelle militärtechnologische Entwicklungen, sondern um eine ganze Bandbreite neuer — auch ziviler — Technologien: verbesserte Sensoren (Optoelektronik) und Satelliten zur genauen Erfassung von Raketenstarts und -flugbahnen, Hochgeschwindigkeits-und Miniaturelektronik, noch leistungsfähigere Computer und ganz neue Waffen — wie zum Beispiel Strahlenwaffen —, die mit diesen Computern verbunden sind.
Es ist auch zweifelhaft, ob die Sowjetunion in der Lage ist, die für den Aufbau einer strategischen Abwehr im Weltraum notwendigen wirtschaftlichen Kosten zu tragen. Geht man davon aus, daß der neue sowjetische Parteichef seine vorrangige Aufgabe in der Modernisierung der sowjetischen Wirtschaft sieht, würde die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für Verteidigungszwecke seinen Zielsetzungen in dreierlei Hinsicht entgegenstehen. Sie würde erstens diejenigen Machtapparate im sowjetischen Regierungssystem stärken, die bereits in der Vergangenheit allen Neuerungen im Wege gestanden haben: die mittlere Ebene der Planungsbürokratie und des Parteiapparats, die Schwerindustrie und das Militär (der „militärisch-industrielle Komplex“).
Zweitens würde die Innovation noch stärker als bisher in den militärischen Sektor der Volkswirtschaft verlagert. Ihrer Struktur nach ist die Rüstungsindustrie aber wenig durchlässig. Sie produziert fast keine „spillover“ -Effekte für die Gesamtwirtschaft. Drittens ist die Sowjetwirtschaft bereits heute mit Verteidigungsausgaben stark belastet. Dies ist eine Tatsache, die möglicherweise zu dem (von CIA und DIA berechneten) Abflachen der Wachstumsraten bei den sowjetischen Militärausgaben von ungefähr 4% von Mitte der sechziger Jahre bis Mitte der siebziger Jahre auf ca. 2 bis 3% (bei der Beschaffung neuer Waffen sogar nur auf rund 1% im Zeitraum von 1976 bis einschließlich 1982) beigetragen hat. Schon heute ist die Belastung der sowjetischen Volkswirtschaft mit Militärausgaben doppelt so hoch wie die der USA, nämlich 12 bis 13% des Bruttosozialpro-B dukts. Eine noch höhere Belastung könnte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Sowjetunion insgesamt gefährden.
Einige Einschränkungen sind auch bei diesen Thesen angebracht. Ob die UdSSR technologisch und wirtschaftlich mit den USA wirksam konkurrieren kann, wird ganz entscheidend davon abhängen, ob strategische Verteidigung tatsächlich zu einem zentralen Aspekt der amerikanischen Militärdoktrin wird und, falls ja, ob der Kongreß die dafür notwendigen Mittel bewilligen wird. Zumindest ist die große Unterstützung, die der Präsident für seine militärischen Vorhaben in der ersten Amtszeit im Kongreß und in der öffentlichen Meinung hatte, zu Beginn seiner zweiten Amtsperiode erheblich zurückgegangen.
Zweitens ist gegenüber der Auffassung, die Sowjets könnten in technologischer Hinsicht bei der Erforschung und Entwicklung einer strategischen Abwehr mit den USA nicht mithalten, aus historischen Gründen Vorsicht geboten. Die Geschichte der sowjetisch-amerikanischen Rüstungskonkurrenz enthält viele Lehrstücke. Zu diesen gehört nicht nur die Überschätzung der sowjetischen Fähigkeiten in der Raumfahrt („Sputnik-Schock“) und der Interkontinentalraketen („missile gap“) Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre, sondern auch die Unterschätzung sowjetischer Fähigkeiten. Das beste Beispiel dafür ist die Fehleinschätzung des Zeitbedarfs für die Entwicklung einer sowjetischen Atombombe: Noch 17 Monate vor dem Test der ersten sowjetischen Nuklearwaffe im August 1949 meinten ernst zu nehmende westliche Wissenschaftler, die UdSSR würde noch gut ein halbes Jahrzehnt brauchen, um diesen Schritt tun zu können. Ähnliche — wenn auch weniger drastische — Fehlbeurteilungen gab es in den siebziger Jahren bei der Berechnung des von der Sowjetunion benötigten Zeitbedarfs für die Entwicklung von MIRV-Systemen und Marschflugkörpern.
Drittens zeigen kürzlich vom amerikanischen Verteidigungsministerium gemachte Angaben daß die USA der UdSSR zwar bei den meisten technologischen Entwicklungen im zivilen Bereich voraus sind, daß der Abstand zwischen den beiden Staaten in der Militärtechnologie aber nicht so groß ist und daß er bei den tatsächlich dislozierten Waffensystemen am geringsten ist, ja daß die Sowjetunion bei einigen modernen Waffen sogar einen Vorsprung besitzt.
Dieses Untersuchungsergebnis findet seine Erklärung darin, daß der Rüstungssektor in der UdSSR in vieler Hinsicht anders strukturiert ist als die zivile Wirtschaft. Er ist privilegiert, er ist zentralisierter, schärferer Kontrolle unterworfen und leistungsfähiger (wenn auch nicht unbedingt wirtschaftlich effizienter) als die Gesamtwirtschaft. In ihm gelten andere Gesetze. Trotz der besonderen Beschaffenheit des Rüstungssektors und seiner Verbindung mit technologischen Entwicklungen in westlichen Industriestaaten über ein umfangreiches Auswertungs-und Spionage-gesetz sowie legalen und illegalen Technologie-transfer könnten die USA (bei energischen Anstrengungen) Vorteile über die UdSSR bei der militärtechnologischen Konkurrenz erringen. Ob dadurch aber das militärstrategische Kräfteverhältnis wesentlich verändert und politisch nutzbar gemacht werden könnte, ist zweifelhaft.
Was viertens die Belastung der sowjetischen Wirtschaft mit Verteidigungsausgaben angeht, ist anzumerken, daß der Effekt, der durch eine scharfe Beschneidung dieser Ausgaben für die Volkswirtschaft erzielt würde, sehr umstritten ist. Franz Walter, ein deutscher Fachmann für sowjetische Rüstungs-und Wirtschaftsfragen, kommt in einer entsprechenden Untersuchung zu dem Ergebnis, daß selbst größere Kürzungen der Zuwachsraten bei den Militärausgaben das Wirtschaftswachstum nur um Bruchteile eines Prozents verbessern würden Abraham Bergson, ein amerikanischer Wissenschaftler, meint, sogar eine Halbierung der sowjetischen Verteidigungsausgaben würde nur zu einer Zunahme des Wirtschaftswachstums von ca. 0, 5% führen — und das auch erst nach einigen Jahren Das Interesse der Sowjetführung an Rüstungsvereinbarungen braucht deshalb — trotz drängender wirtschaftlicher Probleme — nicht sehr groß zu sein, wenn es darum gehen soll, das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen. Um Wachstumseffekte zu erzeugen, muß die Führung hauptsächlich bei der Beseitigung der systembedingten Hindernisse ansetzen. Zu berücksichtigen ist schließlich noch die Tatsache, daß die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie für strategische Waffen in der Sowjetunion — wie in den Vereinigten Staaten — nur einen geringen Prozentsatz der gesamten Rüstungsaufwendungen ausmachen (ca. 13% bei der ersten Ausgabenkategorie und ca. 21% bei der zweiten) Umschichtungen in der Ausgaben-Struktur würden es der UdSSR erleichtern, größere Mittel sowohl für Forschung und Entwicklung als auch für defensive oder offensive strategische Waffen bereitzustellen. 3. Schaffung neuer Stabilität bei den strategischen Offensiv-und Defensivwaffen Ein weiterer Grund dafür, warum der Sowjetführung daran gelegen sein könnte, auf den ihr von Präsident Reagan angebotenen „strategischen Dialog“ einzugehen, liegt in den Anstrengungen der Vereinigten Staaten, ihre offensiven strategischen Systeme zu modernisieren. Denn bei den land-, see-und luftgestützten Offensivwaffen der USA zeichnet sich deutlich folgender Trend ab: Verbesserung der Zielgenauigkeit, Durchdringungsfähigkeit und Zerstörungskraft der Träger-systeme sowie die Aufstockung der Anzahl der Sprengköpfe von heute ungefähr 9 000 auf 14 000 im Jahre 1990. Das strategische Potential der UdSSR würde dadurch einer qualitativ neuen Bedrohung ausgesetzt. Diesen Trend zu verzögern oder anzuhalten, würde durchaus im Interesse der Sowjets liegen.
Eine zwingende Notwendigkeit, auf amerikanische Vorstellungen einzugehen, ergibt sich hieraus allerdings nicht. Die UdSSR befindet sich bei der Rüstungskonkurrenz auf dem Gebiet der strategischen Offensivwaffen keineswegs im Hintertreffen. Sie ist gegenüber den USA im Vorteil, weil den ihrer strategischen -sie größten Teil Of fensivwaffen auf landgestützte Systeme verteilt hat und dort wiederum auf die „schweren“ MIRV-fähigen Raketen des Typs SS-18 und SS-19, und weil sie darüber hinaus Produktionskapazitäten besitzt, die weit über die gegenwärtigen Stationierungs-, Test-und Austauschbedürfnisse der UdSSR hinausgehen.
Dies hat dazu geführt, daß die Vereinigten Staaten heute ein größeres Interesse als die UdSSR an der Einhaltung der SALT-II-Bestimmungen haben müssen. Denn würde die UdSSR beispielsweise in nächster Zeit ihre Drohung wahrmachen, den Verhandlungstisch in Genf zu verlassen und auf die Entwicklung, Erforschung oder den Beginn der Stationierung von weltraumgestützten Abwehrsystemen der USA mit dem Ausbau ihrer Offensivwaffen zu reagieren, könnte sie dies viel schneller tun als die USA.
Dieser Ausbau könnte explosionsartig verlaufen. Schätzungen des Congressional Research Service zufolge könnte die UdSSR bei einem Ausbruch aus SALT II die Anzahl ihrer strategischen Waf-fen von heute ca. 10 000 auf 30 000 im Jahr 1994 aufstocken Die Federation of American Scientists berechnet die noch höhere Zahl von 40 000 Waffen
Eine Aufstockung sowjetischer Offensivwaffen würde die Wirksamkeit einer weltraumgestützten strategischen Abwehr in zweierlei Hinsicht einschränken. Erstens könnte die Abwehr übersättigt werden. Nach Berechnung eines amerikanischen Fachmanns für sowjetische Militärfragen wäre die UdSSR fähig, unter Nutzung brachliegender Produktionskapazitäten bis Ende der neunziger Jahre ca. 6 000 Raketen herzustellen. Ohne daß es nötig wäre, sie mit Nuklearsprengköpfen zu bestücken, könnten sie in der „Boost“ -und „Post-boost“ -Phase des Flugs als Köder eingesetzt werden. Zweitens könnte die Produktion von derzeit jährlich weniger als 10 Bear-H Bombern relativ problemlos auf ungefähr die Produktionsrate äusgeweitet werden, welche der Herstellung des Backfire-Bombers zugrunde liegt, nämlich rund 30 Stück pro Jahr. Noch vor der möglichen Fertigstellung eines weltraumgestützten strategischen Abwehrsystems durch die USA könnten der UdSSR infolgedessen Ende der neunziger Jahre zwischen 1 500 und 3 000 Marschflugkörper für strategische Angriffs-operationen zur Verfügung stehen Die strategische Abwehr könnte dadurch umgangen werden, denn gegen derartige Systeme ist sie unwirksam.
Die politische und militärische Führung der Sowjetunion kann also und wird wahrscheinlich davon ausgehen, daß es möglich sein wird, eine von den USA aufgebaute strategische Abwehr zu umgehen — und darüber hinaus auch militärisch zu bekämpfen. Ihr dürfte bekannt sein, daß es in der Militärgeschichte noch kein Beispiel dafür gegeben hat, daß eine Verbesserung der Defensivwaffen nicht durch eine Verstärkung der Offensiv-waffen aufgehoben werden konnte. Sie wird auch wissen, daß sich die UdSSR bei den Offensivwaffen in einer vorteilhaften Position gegenüber den USA befindet. Es würde infolgedessen jeder Logik — und vor allem jeder „sowjetischen Logik“ — widersprechen, einer Reduzierung von Offensivwaffen zuzustimmen, ohne daß Begrenzungen von Defensivwaffen vereinbart worden wären. Es wäre deswegen auch unklug, die folgende, von General Tscherwow, einem Mitglied des sowjetischen Generalstabs, ausgesprochene Warnung als bedeutungslose Propaganda abzutun: „Wir werden nicht auf unseren Händen sitzen und warten“, bis sich die Vereinigten Staaten „entschieden haben“, eine Raketenabwehr aufzubauen. „Wir werden vor diesem Zeitpunkt anfangen, unsere strategischen Streitkräfte zu vervollkommnen.“
V. Fazit
Selbstverständlich muß die neue sowjetische Führung ein großes Interesse daran haben, ihre Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu verbessern. Ihr muß auch daran gelegen sein, einen für sie riskanten und wirtschaftlich kostspieligen Wettbewerb mit den USA bei der strategischen Abwehr zu vermeiden. Das trifft ganz besonders für den Wettbewerb bei den „exotischen“ Weltraum-Komponenten der Abwehr zu. Sie befindet sich zur Zeit aber keineswegs im Zugzwang.
Die für sie beste Verhandlungsstrategie und das durch diese anzustrebende Verhandlungspaket könnte wie folgt aussehen:
— Festhalten — vielleicht bis zum Ende der zweiten und letzten Amtszeit Reagans — an dem Rahmen, der durch die SALT-Abkommen und den ABM-Vertrag gezogen worden ist.
— Fortsetzung des Test-Moratoriums bei ASAT, um die Grenze zu den weltraumgestützten Abwehrwaffen nicht zu verwischen und das sowjetisch-amerikanische Kommunikationsnetz in Krisen nicht zu gefährden.
— Herausstellen der sowjetischen Bereitschaft, scharfen Beschneidungen bei den Offensivwaffen zuzustimmen — unter der Voraussetzung allerdings eines Verbots von Weltraumwaffen.
— Mit Hilfe entsprechender Vorschläge für strategische Rüstungskontrolle Einwirken auf die öffentliche Meinung in den USA und Westeuropa mit dem Ziel, das SDI-Programm politisch zu untergraben und seine Entfaltung zu verzögern und eventuell sogar ganz zu Fall zu bringen.
— Fallenlassen der Maximalposition, daß SDI„Forschung“ untersagt werden müsse; Anheben der Verbots-Schwelle durch eine Unterscheidung von (erlaubter) „Forschung“ einerseits und (verbotener) „Entwicklung“ und „Erprobung“ von Prototypen und der „Stationierung“ von Waffen andererseits.
— In einer späteren Phase Zustimmung zu Anpassungen des ABM-Vertrags an — auch im Rahmen von SDI-Forschung gemachte — neue militärtechnologische Entwicklungen, zu einer Modernisierung der landgestützten Komponenten strategischer Abwehr beider Seiten und einer Begrenzung der offensiven Systeme; im Austausch dafür aber Vereinbarung eines strikten Verbots der Stationierung von „Angriffs“ -Weltraumwaffen. Dem Kernpunkt der sowjetischen propagandistischen Position wäre dadurch Genüge getan: Die „Militarisierung des Weltraums“ würde in sowjetischer Sicht verhindert. Auch dem Kern des sowjetischen Interesses wäre gedient: Die de facto bestehende militärstrategische Parität würde nicht gefährdet und die UdSSR würde nicht zum Aufbau einer weltraumgestützten Abwehr gezwungen.