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Technologischer Wandel in der Industrie der DDR 1945-1985 | APuZ 4/1986 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 4/1986 Die Wirtschaft der DDR 1981-1985. Bilanz des Fünfjahrplans Technologischer Wandel in der Industrie der DDR 1945-1985 Das Währungssystem der RGW-Länder

Technologischer Wandel in der Industrie der DDR 1945-1985

Raymond Bentley

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Zusammenfassung

Bei technologischem Wandel handelt es sich um die Entwicklung neuer Erzeugnisse und Verfahren, die Verbesserung existierender Technologien und die allgemeine Verbreitung moderner Technologien in der Volkswirtschaft. Obwohl die DDR technologisch einen führenden Platz in Osteuropa und ein achtbares Niveau in der Welt innehat, bleibt sie hinter der Bundesrepublik zurück. Am größten scheint die deutsch-deutsche technologische Lücke in den progressiven Technologien zu sein. Gründe dafür waren die schwächeren Forschungs-und Entwicklungsbemühungen der DDR verglichen mit denen der Bundesrepublik und die für den technologischen Wandel in der DDR nicht geeignete Beschaffenheit des bis 1962 bestehenden traditionellen Zentralplanungssystems. Diese Hindernisse wurden im Neuen Ökonomischen System (NÖS) von 1963 bis 1971 etwas abgebaut, aber nicht überwunden. In den Jahren 1968 bis 1971 wurde in der DDR ein großangelegter Versuch unternommen, das „Weltniveau“ der Technologie zu überholen. Diese offensive Strategie war zu ehrgeizig; sie spielte eine wichtige Rolle beim Abbruch des NÖS und enthielt unrealistische Ideen über industrielle Innovation, Prognostik und die Effektivität der Großforschung und Großproduktion. Unter Honecker war die Technologiepolitik zwischen 1971 und 1985 besonnener. Die Rezentralisierung der Wirtschaft 1971 und die Einschränkung indirekter ökonomischer Steuerung brachten allerdings eine weitgehende Rückkehr zu den traditionellen Hindernissen mit sich, die den technologischen Wandel hemmten, obwohl in den folgenden Jahren auh Maßnahmen ergriffen wurden, um ihn zu beschleunigen. Die wichtigsten Änderungen betrafen die Kombinate und ihre Leistungsbemessung, die Grundlagenforschung und eine stärkere Förderung progressiver Technologien wie Mikroelektronik, Robotertechnik und EDV. Dennoch reichen die bereits getroffenen und die voraussichtlich zukünftigen Maßnahmen in Richtung organisatorischer und planbezogener Verbesserungen und eines vorsichtigen Gebrauchs von „ökonomischen Hebeln“ nicht aus, um die technologische Lücke zwischen den beiden deutschen Staaten zu verringern oder gar zu schließen.

I. Die Bedeutung des technologischen Wandels

Der XI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), der vom 17. bis 21. April 1986 in Berlin stattfindet, wird dem technologischen Wandel abermals große Bedeutung für die weitere Entwicklung der DDR beimessen. Technologischer Wandel — die Entwicklung neuer Produkte und Verfahren, die Verbesserung existierender Technologien und die allgemeine Verbreitung moderner Technologien in der Volkswirtschaft — hat nämlich schon immer einen zentralen und positiv bewerteten Platz in der orthodox-marxistischen Ideologie eingenommen. Marx schrieb, daß der Konkurrenzkampf den Kapitalisten zwinge, seine Produktionsmittel ständig zu verbessern, und daß die Industrie „vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion“ abhänge Schließlich aber würden die Produktionsverhältnisse im Kapitalismus der Entwicklung der Produktivkräfte Schranken setzen. Dieser antagonistische Widerspruch werde durch Klassenkampf und Wirtschaftskrisen gekennzeichnet und könne nur durch die sozialistische Revolution aufgelöst werden.

Lenin wies der Wissenschaft und Technologie eine entscheidende Rolle bei der Industrialisierung und Entwicklung der Sowjetunion zu und forderte das „Einholen und Überholen“ der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder. Er räumte aber ein, daß es nicht leicht sein werde, die reichen „Schätze an Kultur, Wissen und Technik, alles das aus einem Werkzeug des Kapitalismus zu einem Werkzeug des Sozialismus zu machen“. Bürgerliche Spezialisten müßten „aus Dienern des Kapitalismus zu Dienern der werktätigen Massen“ avancieren

Stalin betonte angesichts des heraufziehenden Krieges, daß ein schneller technologischer Wandel für das Überleben des Landes unentbehrlich sei.. Die UdSSR sei hinter den fortgeschrittenen Ländern um fünfzig bis hundert Jahre zurück.

Werde dieser Abstand nicht innerhalb von zehn Jahren aufgeholt, so würde das Land „zermalmt“

werden. Es sei an der Zeit, daß die Bolschewiki selbst zu Spezialisten würden. „Man sagt, es sei schwer, die Technik zu meistern. Falsch! Es gibt keine Festungen, die die Bolschewiki nicht nehmen könnten Obwohl die UdSSR im Zweiten Weltkrieg nicht „zermalmt“ wurde, erlitt sie enorme personelle und wirtschaftliche Verluste.

Trotz des beachtlichen Fortschritts im „Meistern der Technik“ während der Herrschaft Stalins, konnte die technologische Lücke zwischen der UdSSR und dem Westen in den meisten Industriebranchen nicht geschlossen werden. Deshalb erhob Stalins Nachfolger Chruschtschow die Forderung, die USA in der Pro-Kopf-Produktion „einzuholen und zu überholen.“

Im Parteiprogramm der KPdSU von 1961 wurde die Wissenschaft als „unmittelbare Produktiv-kraft“ bezeichnet, und die folgenden Jahre in Osteuropa standen im Zeichen eines erhöhten theoretischen Interesses an dem Verhältnis zwischen Wissenschaft, Technik und gesellschaftlicher Entwicklung. Dieses Interesse fand Ausdruck in Konzepten wie „wissenschaftlich-technischer Fortschritt“, „technische Revolution“ und „wissenschaftlich-technische Revolution“ Für die SED-Führung war wirtschaftlicher Erfolg durch technologischen Wandel eine Voraussetzung für ihre Legitimation. Sie wollte die Anerkennung ihrer Bürger gewinnen, die UdSSR davon überzeugen, daß die DDR ein politisch zuverlässiger und technologisch interessanter Juniorpartner im Comecon sei, und nicht zuletzt wollte sie die Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus demonstrieren Der „Wettbe-werb der beiden Weltsysteme“ war für die DDR weit mehr als ein theoretisches Postulat. Im Gegensatz zu den anderen osteuropäischen Staaten teilt sie ihre Sprache, Geschichte und kulturelle Tradition mit einem westlich-kapitalistischen Land. Die Aufgabe der DDR war — und ist noch immer — das „Einholen und Überholen“ der Bundesrepublik Deutschland.

II. Die technologischen Niveaus der Industrie in der DDR

Sowohl Bemerkungen politischer Führer der DDR als auch westlicher Beobachter und Besucher des Landes weisen auf ein niedrigeres Niveau der Technologie in der DDR als in der Bundesrepublik hin. Nur selten jedoch werden solche Äußerungen mit konkreten Einzelheiten belegt. Neben der restriktiven Informationspolitik der DDR-Behörden ist ein weiterer Grund hierfür in den methodologischen Schwierigkeiten von Ost-West-Vergleichen zu sehen.

Zwei globale Indikatoren des technologischen Niveaus sind Produktivität und Handelsstruktur. Seit Bestehen der DDR sind östliche wie westliche Ökonomen übereinstimmend der Auffassung, daß die DDR einen Produktivitätsrückstand gegenüber der Bundesrepublik aufweise. Schätzungen dieses Rückstandes weichen allerdings voneinander ab: Neues Deutschland bezifferte ihn 1982 mit 30 % Die Handelsstruktur zwischen den beiden deutschen Staaten deutet darauf hin, daß die DDR Güter importiert, die sich auf einem höheren technologischen Niveau befinden als die, welche sie exportiert. Während die wichtigsten Einfuhren der DDR aus der Bundesrepublik in der ersten Hälfte der achtziger Jahre aus chemischen Produkten, Maschinen und elektrotechnischen Erzeugnissen bestanden, waren die wichtigsten Lieferungen der DDR an die Bundesrepublik Mineralölerzeugnisse, Textilien und Bekleidung. Zwar hatten auch chemische Produkte einen bedeutenden Anteil an den Lieferungen der DDR, aber ihr Gesamtwert war um 28 % geringer als der des entsprechenden Bezugs aus der Bundesrepublik

Eine detailliertere Analyse des technologischen Entwicklungsniveaus'der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik und anderen Ländern, die auf der Grundlage von teilweise neu gewonnenen Statistiken erstellt wurde, zeigt; daß die drei wichtigsten Industriebereiche in der DDR — Maschinen-und Fahrzeugbau, Elektrotechnik, Elektronik und Gerätebau sowie die chemische Industrie — hinter den entsprechenden Bereichen in der Bundesrepublik Zurückbleiben. Die technologische Lücke auf dem Sektor Elektrotechnik, Elektronik und Gerätebau scheint am größten zu sein. Im Vergleich zur Bundesrepublik weist die DDR eine besondere Schwäche bei „progressiven“ Technologien wie Gerätebau, Elektronik, Datenverarbeitung, synthetische Fasern und Kunststoffe auf. Dennoch hat die DDR im Maschinenbau und bei chemischen Erzeugnissen eine führende Position in Osteuropa inne und ein achtbares technologisches Niveau im Welt-maßstab aufzuweisen

Das deutsch-deutsche technologische Gefälle kann durch ausschließlich systemunabhängige Faktoren wie die für die DDR ungünstigeren Startbedingungen und die geringeren Rohstoff-und Energieressourcen nicht zufriedenstellend erklärt werden. Sicherlich hatte ihre Industrie unter umfangreicheren Kriegsschäden und größeren Einbußen durch Demontagen zu leiden. Die DDR mußte höhere Reparationen leisten, sie erhielt keine dem Marshallplan vergleichbare Hilfe, und sie wurde von ihren traditionellen Handelspartnern im westlichen Deutschland, dabei insbesondere von der Schwerindustrie im Ruhrgebiet, abgeschnitten.

Obwohl solche Faktoren eine wesentliche Rolle bei der technologischen Auseinanderentwicklung der beiden deutschen Staaten während der ersten Nachkriegszeit spielten, gab es wichtigere, eher systemabhängige Determinanten der deutsch-deutschen technologischen Lücke der späten sechziger und der nachfolgenden Jahre. Erstens erlitt die DDR einen erheblichen Verlust an qualifizierten und ausgebildeten Personen durch Abwanderung in den Westen. Bis zum Mauerbau verlor sie mehr als zweieinhalb Millionen ihrer Bürger an die Bundesrepublik, darunter etwa ein Drittel ihrer Akademiker. Zweitens war die DDR gezwungen, ihre Handelsbeziehungen stark auf Osteuropa zu orientieren. Dadurch hatte die DDR einen im Vergleich zur Bundesrepublik begrenzteren Zugang zu modernen Technologien und war einem geringeren, aus dem internationalen Wettbewerb entstehenden Druck zur technologischen Innovation ausgesetzt. Ein dritter Faktor, der eng mit den beiden ersten verbunden ist, besteht darin, daß die Kapazität für technologischen Wandel in der DDR bis zum heutigen Tag schwächer ist als in der Bundesrepublik.

Um die Kapazität eines Landes für technologischen Wandel einschätzen zu können, ist es notwendig, seine Forschungsund Entwicklungsbemühungen sowie Aspekte seines wirtschaftlichen und politischen Systems in Betracht zu ziehen. Teil III dieses Aufsatzes befaßt sich mit den Quellen und Hindernissen des technologischen Wandels in der DDR innerhalb ihres FuE-Sy-stems 9) sowie mit Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen der DDR und anderen Ländern, insbesondere der Bundesrepublik und der UdSSR. Teil IV analysiert wichtige Hemmnisse des technologischen Wandels innerhalb des traditionellen Zentralplanungssystems, welches bis 1962 in Kraft war, und Teil V betrachtet die Kräfte, die diesen Hemmnissen entgegenwirkten. Teil VI untersucht den technologischen Wandel im „Neuen Ökonomischen System“ (NÖS), das 1963 das traditionelle Zentralplanungssystem ablöste. Teil VII befaßt sich mit Ulbrichts ehrgeiziger Strategie für technologischen Wandel ab 1968, die eine wichtige Rolle beim Abbruch des NÖS im Jahr 1970/71 spielte. Teil VIII erörtert schließlich den technologischen Wandel in der Post-NÖS-Ära von 1971 bis 1985 unter Honekker 10).

III. Die Forschungs-und Entwicklungsbemühungen der DDR

Nimmt man die verfügbaren DDR-Statistiken über das gesamte, vor allem über das industrielle FuE-Personal, so hat es den Anschein, als habe die DDR eine größere relative FuE-Bemühung unternommen als die Bundesrepublik (bezogen z. B. auf die Zahl der Industriebeschäftigten), obgleich ihre absolute FuE-Anstrengung geringer ist. Aber der Begriff von „Forschung und Entwicklung“ ist in der DDR breiter gefaßt als die in den westlichen Ländern gängige OECD-Definition, da er auch unterstützende Tätigkeiten wie Routinearbeit, Dokumentation und Standardisierung einschließt Gemessen an der OECD-Defmition war die industrielle FuE-Bemühung in der DDR also nicht nur absolut, sondern sehr wahrscheinlich auch relativ kleiner als in der Bundesrepublik. Dagegen schneidet die DDR günstig ab, wenn der Umfang ihrer FuE mit anderen OECD-Staaten als der Bundesrepublik verglichen wird.

Ein wichtiges Problem der DDR betrifft die Richtung ihrer FuE-Anstrengungen. Mindestens bis Mitte der sechziger Jahre legte die DDR relativ mehr Gewicht auf die Maschinenbauforschung als die Bundesrepublik und beträchtlich weniger auf die Chemieforschung. Ein wesentlicher Grund für ihren technologischen Rückstand gegenüber der Bundesrepublik war, daß die DDR zu wenig FuE in den „modernen“ Industriebranchen wie Kunststoffe, Datenverarbeitung und elektrischer Maschinen-und Apparate-bau betrieb. Eine weitere Schwäche der FuE-Bemühungen in der DDR im Vergleich zur Bundesrepublik resultierte aus dem Mangel an qualifiziertem technischen Personal.

Andere Probleme der industriellen und akademischen FuE in der DDR waren auch für die UdSSR charakteristisch. Das am höchsten qualifizierte FuE-Personal zog es eher vor, in der Akademie der Wissenschaften oder in Industrieinstituten statt in betrieblichen FuE-Einrichtungen zu arbeiten. Ausrüstungen und Lieferungen für FuE-Arbeit waren nur schwer zu bekommen, und die Verbindung zwischen Entwicklung und Produktion war keineswegs zufriedenstellend. Forschung und Entwicklung in der DDR zeigten jedoch auch einige Eigenschaften, die eher für das westliche als für das sowjetische System typisch waren. So fand in der DDR der größte Teil der industriellen FuE am oder unweit vom Produktionsstandort statt, während in der UdSSR die meisten FuE-Beschäftigten in geographisch vom Betrieb fern gelegenen Instituten arbeiteten. Akademische Forschungseinrichtungen in der DDR waren auch geographisch weniger weit von der Industrie entfernt als entsprechende Institutionen in der UdSSR, und wahrscheinlich spezialisierten sie sich in größerem Ausmaß auf Probleme, die für die örtliche Industrie wichtig waren. Ähnlich wie im Westen war die administrative Trennung zwischen industrieller FuE einerseits und der Produktion andererseits in der DDR weniger stark ausgeprägt als in der UdSSR. Während sowjetische Forschungsinstitute den Ministerien angegliedert waren, wurden in der DDR ab 1963 die meisten Forschungsinstitute den Vereinigungen Volkseigener Betriebe (WB) und ab 1968 den Kombinaten unterstellt. Die Gruppierung von Betrieben und Forschungsinstituten in den WB und später in den Kombinaten war formal eher mit der Organisation eines westlichen Unternehmens zu vergleichen als mit der sowjetischen Struktur von Forschung, Entwicklung und Produktion. In den siebziger Jahren führte die UdSSR eine organisatorische Reform in der Industrie durch, welche insbesondere darauf zielte, die administrative Trennung im Innovationsprozeß zu überwinden. Es wurden DDR-ähnliche Kombinate und WB gegründet: Ob'edinenie.

IV. Hindernisse für den technologischen Wandel innerhalb des traditionellen Zentralplanungssystems 1945-1962

1. Schematismus und Widerstand Unter den Anhängern des SED-Regimes war zunächst die Auffassung verbreitet, daß die Zentralplanung alle Aspekte der Volkswirtschaft, einschließlich den des technologischen Wandels, wirksam und quasi im Selbstlauf regeln werde. Andererseits waren viele Wissenschaftler der Memung, daß die Planung von Forschung und Technik ein hemmendes Korsett sei, welches die Initiative behindere. Die Mehrzahl derjenigen, die mit der Zentralplanung betraut waren, verfügte über wenig Planungserfahrung und technisches Wissen. Die Konsequenzen davon waren schlechte Planformulierung und mangelhafte Übersicht bei der Planausführung. Die Planung von Forschung und Technik wurde zu stark an die Planung der Produktion angelehnt, und bis zum Anfang der sechziger Jahre blieben die spezifischen Eigenschaften der verschiedenen Industriebranchen ungenügend berücksichtigt.

Die Parteiführung und die Bürokraten der höchsten Ebene hatten offensichtlich überhöhte Erwartungen, was die Präzision in der FuE-Planung betraf. Eine extreme, aber nicht ungewöhnliche Ansicht lautete, daß alle Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung „genutzt“, alle neuen Konstruktionen in die Produktion eingeführt und — im allgemeinen — alle Pläne für Forschung und Technik erfüllt werden sollten. Sicherlich war die Kritik berechtigt, daß FuE in der DDR oft etwas langsam voranginge und daß es beträchtliche Verzögerungen gebe, FuE-Ergeb-nisse in die Produktion überzuleiten. Fraglich ist jedoch, ob die verspätete Erfüllung des soge-nannten „Planes Neue Technik“ (d. h.der Aufgaben im Bereich Forschung und Technologie) unbedingt zu tadeln war: Planerfüllung hängt von der Art der FuE-Arbeit und von den Kriterien der „Erfüllung“ ab. Es ist auch zweifelhaft, ob abgebrochene FuE-Aufgaben immer — wie behauptet — einen Verlust für die Volkswirtschaft darstellen. Denn abgebrochene Projekte sind abgeschlossenen, aber technisch überholten Innovationen vorzuziehen und haben vermutlich zumindest wertvolle wissenschaftlich-technische Informationen erbracht. 2. Bürokratie und Schwierigkeiten bei der Planungskoordination Im Verlauf des ersten Fünfjahrplanes (1951 bis 1955) wurde offensichtlich, daß die Wirtschaft der DDR an einer Überkonzentration von Entscheidungsbefugnissen und einem Übermaß an Dokumentationsarbeit litt. Die zentralen Organe hatten keine gute Übersicht über die Volkswirtschaft und konnten nur selten beurteilen, welche technologischen Änderungen im Betrieb notwendig oder möglich waren.

Ab 1954 wurde versucht, diese Situation zu verbessern, indem den mittleren und unteren Ebenen größere wirtschaftliche und administrative Freiheit gewährt wurde. Die Verwirklichung dieses Konzepts einer begrenzten Dezentralisierung war jedoch enttäuschend. Während die unteren Ränge manchmal ihre neugewährten Rechte benutzten, um sich der Planung und Leitung von Wissenschaft und Technik entgegenzusetzen, war man auf höherer Ebene nicht gewillt, Befugnisse abzutreten. Walter Ulbricht bemängelte, daß die Maßnahmen in vielen Fällen von den Mitarbeitern der Hauptverwaltungen und Ministerien in einen „bürokratischen Zentralismus“ verfälscht würden, der die „Werkleiter zu Laufjungen von Berliner Stellen“ mache, ihre Bewegungsfreiheit einenge und ihre Initiative lähme „Unsinnige Bürokratie“, beklagte Ulbricht, gebe es in der Forschung und Entwicklung. Nach einer festgelegten Ordnung wären bis zur Freigabe eines abgeschlossenen Entwicklungsauftrages 61 Verwaltungsakte, Beratungen, Besprechungen und Genehmigungen vorzunehmen

Die Koordination von Plänen war schwerfällig. Die Pläne, welche sich direkt mit dem technologischen Wandel befaßten, waren weder untereinander noch mit anderen wichtigen Plänen wie denen für Produktion, Material, Investitionen usw. entsprechend abgestimmt. Daher wurden die verschiedenen Etappen vom Beginn der For-schungsund Entwicklungsarbeiten bis zur Produktionsaufnahme voneinander losgelöst und unkontrolliert durchlaufen: Es fand eine Art „Staffellauf statt. Insbesondere war die Planung von Materialien viel zu starr. Bei Forschungsund Innovationsarbeit ist es aber besonders wich-'tig, sich schnell neuen Bedingungen anpassen zu können. Laut Gesetz mußten beispielsweise im Jahr 1961 alle Materialanforderungen einschließlich Zulieferungen elektrischer Baueinheiten für das kommende Jahr bis zum 30. Mai bestellt werden. Wenn ein Kollektiv von Wissenschaftlern und Konstrukteuren im August 1961 eine Entwicklungsaufgabe abschloß, war aufgrund des Gesetzes eine Materiallieferung für das Jahr 1962 nicht mehr möglich. Erst im Jahr 1963 konnte die im August 1961 getätigte Materialbestellung realisiert werden. 3. Probleme bei der Projektauswahl Eine in DDR-Schriften vertretene Auffassung war, daß Fuß-Projekte im Sozialismus „rationeller“ als im Kapitalismus ausgewählt werden könnten. Die zentralen Organe könnten sicherstellen, daß solche Projekte durchgeführt würden, die für die Volkswirtschaft und nicht nur für einzelne Firmen von Nutzen seien. Überdies könnten sie Doppelarbeit in FuE ausschließen. In der Praxis verlief die Projektauswahl in der DDR weniger „rationell“. Durch ihre administrative Distanz zu Betrieb und Forschungsinstitut und durch die aufgeblähte Bürokratie war es den zentralen Organen beinahe unmöglich, FuE-Projekte nach ihrer Relevanz für die Volkswirtschaft zu beurteilen und zu entscheiden, welche Projekte in den Zentralplan aufgenommen und welche der Verantwortung der Betriebe überlassen werden sollten. Das Ziel, Forschungsthemen zu konzentrieren und Doppelarbeit zu eliminieren, konnten sie ebenfalls kaum verwirklichen.

Forschungsinstitute wurden oft gerügt, weil sie sich „Hobbyforschung“ erlaubten, und für die Betriebe bestand meist wenig finanzieller Anreiz, FuE-Ergebnisse, die einen beträchtlichen technologischen Fortschritt darstellten, in die Produktion überzuführen. Ob jedoch Parallelprojekte immer eine Verschwendung von Finanz-und Arbeitsressourcen bedeuten, ist zweifelhaft. Erfahrungen im Westen zeigen, daß unabhängige, parallel laufende FuE-Projekte, die das gleiche Ziel haben, eine nützliche Strategie sein können.

In der Projektauswahl wurden die Bedürfnisse der Kunden und der Volkswirtschaft vernachlässigt. Die Marktforschung war unterentwickelt. Zahlreiche Betriebe produzierten nicht bedarfsgerechte Erzeugnisse, die kaum oder nur sehr schwer abgesetzt werden konnten. Das FuE-Personal war oft nicht sonderlich am ökonomischen Nutzen eines Projekts interessiert und gab sich mit den jeweiligen Forschungsergebnissen zufrieden. Ob eine Aufgabe erfüllt war oder nicht, wurde lange Zeit lediglich an der Inanspruchnahme der in den Plan eingesetzten finanziellen Mittel gemessen.

Die Prozedur der Projektauswahl war zumindest formell nicht auf das FuE-Kollektiv und das Zentralplanungsorgan beschränkt. „Verteidigungsgremien“ und „zentrale Arbeitskreise“ sollten Kontrollfunktionen ausüben, doch war ihre Leistung unzureichend. Die Überprüfung der Forschungsvorhaben im zentralen Arbeitskreis erfolgte unter Kollegen nicht selten nach dem Motto: „Tust du mir nichts, tu’ ich dir nichts!“, und im Betrieb war die „Verteidigung“ häufig eine Formsache, die das Bedürfnis des zukünftigen Kunden und den möglichen externen Sachverstand ungenügend berücksichtigte. 4. Das betriebliche Prämiensystem Das Zusammenwirken von drei Faktoren war maßgeblich dafür verantwortlich, daß das betriebliche Prämiensystem die Einführung von neuen und verbesserten Technologien behinderte. Erstens betrachteten die übergeordneten Wirtschaftsorgane und deshalb auch die Betriebe den Produktionsoutput als die bei weitem wichtigste Aufgabe. Zweitens wurde betrieblicher Erfolg nicht absolut, sondern relativ zum Plan gemessen. Drittens war für den technologischen Wandel der operative Planzeitraum oft zu kurz. Haupterfolgskennziffer für den Betrieb war meist die „Bruttoproduktion“. Ein wichtiger Grund für die wiederholt beklagte langsame Überleitung von FuE-Ergebnissen in die Produktion war, daß die notwendige Unterbrechung und Änderung des Produktionsablaufs die Erfüllung der Plan-kennziffer „Bruttoproduktion“ gefährden könnte. Ein weiterer Grund ergab sich aus dem Wesen der Hauptkennziffer selbst. Wenn sie an der Stückzahl gemessen wurde, versuchte der Betrieb, möglichst viele Produkte herzustellen und vernachlässigte Qualität und Sortiment. Wenn sie am Gewicht gemessen wurde, versuchte der Betrieb, materialintensiv zu produzieren. Wenn sie im Preis ausgedrückt wurde, war der Plan leichter zu erfüllen, wenn so viel teures Material wie möglich verwendet wurde.

Betrieblichen Erfolg relativ zum Plan zu messen bedeutete, daß Betriebe ein Interesse hatten, „weiche Pläne“ zu erhalten, d. h. Planziele, die leicht zu erfüllen waren. Sie versuchten im betreffenden Jahr aber nicht, die Planziele so weit wie möglich überzuerfüllen und deshalb sehr hohe Prämien zu erhalten, da sie wußten, daß ihre tatsächliche Planerfüllung von den Zentralplanern zur Grundlage der Planziele für das kommende Jahr genommen würde. Prämien für die nachfolgenden Jahre wären dann nur mit äußerster Mühe oder gar unmöglich zu erreichen gewesen.

„Harte“ Produktionspläne behinderten den technologischen Wandel. Da solche Pläne nur schwer zu erfüllen waren, konnten es sich die Betriebe nicht leisten, den Produktionsfluß zu unterbrechen, um neue Technologien einzuführen. Auch im Falle weicher Produktionspläne war es zweifelhaft, ob technologische Innovationen für den Betrieb vorteilhaft sein würden. Denn die Zentralplaner konnten ja die neu eingeführten Technologien gleich in ihren nächsten Produktionsplänen berücksichtigen und höhere Planziele für Produktion, Arbeitsproduktivität usw. auferlegen.

Der operative Planzeitraum betrug ein Jahr. Obwohl FuE-Arbeit meistens einige Jahre dauerte, mußten FuE-Projekte jährlich geplant und Materialien, Personal und Finanzmittel von Jahr zu Jahr neu disponiert werden. Die Betriebe neigten deshalb dazu, ihre wissenschaftlich-technische Arbeit dem Rhythmus des Planjahres anzupassen. Sie bevorzugten kurzfristige FuE-Arbeit mit geringem Risiko und versuchten Lieferungsprobleme zu vermeiden, indem sie die FuE-Projekte in den Jahresplan aufnehmen ließen. 5. Preise Ein Betrieb, der technologisch veraltete Produkte herstellte, arbeitete in vielen Fällen rentabler, als wenn er neue Erzeugnisse hergestellt hätte. Die Produktion veralteter Erzeugnisse führte auch zu einer besseren Erfüllung anderer Plankennziffern wie Bruttoproduktion und Arbeitsproduktivität.

Ein Grund dafür waren die zusätzlichen Kosten bei der Einführung neuer Technologien — die sogenannten Anlaufkosten, die im ersten Herstellungsjahr am höchsten waren. Ein Teil der Anlaufkosten wurde durch den Staat gedeckt, den übrigen Teil mußte der Betrieb jedoch über den Preis in einem längeren Zeitraum erwirtschaften.

Noch wichtigere Gründe resultierten aus der Tatsache, daß Preise fest und im allgemeinen kosten-bezogen waren. Festpreise hatten die Eigenschaft, daß die im Laufe der Zeit eintretende Selbstkostenabnahme sich in einer größeren Gewinnspanne niederschlug. Kostenpreise bestanden zunächst aus den betrieblichen Selbstkosten zuzüglich 6 % Gewinn. Wie in der UdSSR betrachteten viele DDR-Theoretiker Kostenpreise als richtige Anwendung der Marxschen Wertlehre, nach der Preise den gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwand widerspiegeln sollten. Dennoch behinderten diese Preise den technologischen Wandel, da Betriebe weder für neue Produkte, die niedrigere Selbstkosten aufwiesen, noch für Produkte, die bei gleichen Selbstkosten einen höheren Gebrauchswert hatten, belohnt wurden.

V. Fördernde Kräfte für den technischen Wandel im traditionellen Zentralplanungssystem

Der grundlegende Stimulus für technologischen Wandel bestand im wirtschaftlichen Wettbewerb der beiden deutschen Staaten. Er veranlaßte die Parteileitung und die Zentralplaner, sich für den technologischen Wandel durch besondere Direktiven und Pläne, durch ideologische Akzentu-ierung und durch die verschiedenen Massenbewegungen einzusetzen.

Direktiven vermochten die Einführung neuer Erzeugnisse und Verfahren zu erzwingen und führten sogar zur Neugründung bzw. zum Neueinsatz von Betrieben, FuE-Instituten und WB (Vereinigungen Volkseigener Betriebe). Pläne für den technologischen Wandel hätten die Dominanz des traditionellen Produktionsplanes reduziert, wenn man die Betriebsprämien hauptsächlich von der Einführung neuer Technologien oder Erzeugnisse mit dem höchsten Gütezeichen „Q“ (Qualität) abhängig gemacht, dem Betrieb flexible Produktionspläne erteilt und die benötigten Lieferungen garantiert hätte.

Die ideologische Akzentuierung des technologischen Wandels nahm verschiedene Formen an. Führende Politiker betonten die Notwendigkeit, die Bundesrepublik in der Arbeitsproduktivität und in der Technologie einzuholen, und die Medien widmeten solchen Themen große Aufmerksamkeit. Für Leistungen in Forschung und technologischer Innovation wurden Personen, Kollektiven und Betrieben verschiedene Auszeichnungen und Privilegien gewährt. Weniger angenehm war ideologischer Druck in Form von öffentlichem Tadel von Betrieben, WB und Leitern, besonders auf wichtigen Tagungen , oder Konferenzen, vor allem, wenn dies durch die Parteiführung geschah.

Zu einem gewissen Grad dürften die Massenorganisationen wie die Parteiorganisation, die Gewerkschaftsbewegung, die „Aktivistenbewegung“, die. „Neuererbewegung“ und die „Kammer der Technik“ der Zurückhaltung der Betriebsleitungen entgegengewirkt haben, technologischen Wandel zu verwirklichen Daß sie diese Zurückhaltung jedoch ganz überwunden hätten, muß bezweifelt werden, wenn man den vorhandenen Interessenkonflikt bedenkt. Die betriebliche Parteileitung sollte beispielsweise auch helfen, die Erfüllung des Produktionsplanes zu sichern. In einer ähnlichen Situation war die Gewerkschaftsbewegung, die zusätzlich auch die Interessen der Beschäftigten vertreten sollte. In der Neuererbewegung bestand das Problem darin, einerseits die technische Kreativität des einzelnen zu fördern und andererseits die Belegschaft zur Erfüllung des Plans kollektiv mobilisieren zu müssen.

Ein Faktor, der den technologischen Wandel förderte und nicht institutionalisiert vom Zentrum ausging, war die Eigeninitiative. Viele Personen identifizierten sich mit dem Ziel, die Bundesrepublik technologisch einzuholen. Eigeninitiative mag eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben, die Inflexibilität und den unzulänglichen Anreiz des Planungssystems teilweise auszugleichen. Das FuE-Personal könnte seine Projekte gegen betriebliche Hindernisse bis zum Produktionsbeginn durchgesetzt haben. Von den Betrieben her mag der Plan durch informelle Kontakte ergänzt worden sein, um Lieferschwierigkeiten und andere Engpässe zu überwinden. Nicht zuletzt dürften wohl manche Betriebsleiter die technologische Innovation, trotz ihrer Nachteile für die allgemeine Planerfüllung, als eine ihrer wichtigsten Pflichten bzw. als auf längere Frist förderlich für ihre berufliche Karriere betrachtet haben.

VI. Technologischer Wandel im Neuen Ökonomischen System 1963-1971

Zusammengenommen waren die Kräfte, die den technologischen Wandel im traditionellen Zentralplanungssystem der DDR förderten, schwächer als die, welche ihm entgegenwirkten. Während die politische Führung früher eine „falsche“ ideologische Haltung für das nicht zufriedenstellende Funktionieren des Wirtschaftssystems verantwortlich machte, potentielle Reformer wegen revisionistischer Tendenzen maßregelte und die Notwendigkeit betonte, den Planungsmechanismus zu vervollkommnen, begann sie Anfang der sechziger Jahre, eine Änderung ihrer Wirtschaftspolitik zu erwägen. Motivierend wirkten die Stagnation der Wirtschaft, der freiere Ideenaustausch im Verlauf der Entstalinisierung, die Abriegelung der Grenze zur Bundesrepublik und die

Notwendigkeit, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Sehr einflußreich war die Liberman-Diskussion in der UdSSR, die ab September 1962 stattfand und zeigte, daß die UdSSR eine Reform ihres eigenen Systems erwog. Nachdem einige Betriebe in der DDR mit Reformideen experimentiert hatten, genehmigte der Ministerrat im Juli 1963 die „Richtlinie für das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“ Damit stellte sich die DDR zunächst an die vordere Front der wirtschaftlichen Reformbewegung in Osteuropa und leitete ihre Reformen zwei Jahre vor der Sowjetunion ein.

Für einen Abbau der Planungstätigkeit und eine Minderung der Schwierigkeiten der Bürokratie und der Plankoordinierung waren verschiedene Maßnahmen von Bedeutung. Man wollte mehr Entscheidungsbefugnisse auf die unteren Ebenen der Wirtschaft übertragen. Die zentralen Organe sollten sich auf die wesentlichsten und längerfristigen Ziele konzentrieren, die Betriebe mehr Eigenverantwortlichkeit erhalten und die WB sollten ökonomisch selbständig arbeiten. Einige Planungsprozeduren gedachte man durch monetäre Methoden zu ersetzen: „Ökonomische Hebel“ wie Gewinn, Preise, Prämien und Steuern sollten betriebliche und VVB-Aktivitäten in Richtungen steuern, die für die gesamte Volkswirtschaft von Nutzen waren. Nicht zuletzt sollten die Pläne vereinfacht werden. Die Zahl der Planteile im „Plan Neue Technik“ sollte beispielsweise von zwölf auf zwei schrumpfen.

Das Neue Ökonomische System (NÖS) führte auch monetäre Instrumente ein, um einerseits den zentralen Organen eine bessere Übersicht über wichtige Forschungsprojekte zu verschaffen und andererseits die Interessen der Betriebsleitung und des FuE-Personals dahin gehend zu stimulieren, Projekte auszuwählen, die geeignet schienen, beträchtlichen technologischen Wandel und eine Befriedigung der Kundenbedürfnisse herbeizuführen. In dieser Hinsicht waren die dezentralisierte Finanzierung von FuE sowie die geänderten Preis-und Prämiensysteme besonders wichtig.

Vor dem NÖS wurde der größte Teil industrieller FuE durch den Staatshaushalt finanziert. Im Oktober 1963 wurde die Bildung eines „Fonds Technik“ in den WB angeordnet, der die wissenschaftlich-technische Arbeit in den unterstellten Betrieben und FuE-Steilen finanzieren sollte.

Nur Aufgaben von besonderer Bedeutung für eine vorrangige Entwicklung der führenden Zweige der Volkswirtschaft sollten noch unmittelbar vom Staatshaushalt finanziert werden. Ab Januar 1969 fand eine weitere Dezentralisierung in der Finanzierung von wissenschaftlich-technischer Arbeit statt. Jetzt hatten nicht nur die WB, sondern auch die einzelnen Betriebe einen „Fonds Wissenschaft und Technik“ aus selbsterwirtschafteten Mitteln zu bilden. Da die meisten FuE-Aufgaben nun auf Auftragsbasis durchgeführt werden mußten, sollte das FuE-Personal einen Anreiz bekommen, sich mit kundenrelevanten Projekten zu beschäftigen.

Sehr interessante Maßnahmen wurden im Bereich der Preisbildung und des betrieblichen Prämiensystems im Zeitraum 1967 bis 1971 getroffen. Im Jahr 1967 wurde eine neue, dynamische Methode der Preisbildung eingeführt, die dazu dienen sollte, die Herstellung neuer und verbesserter Produkte zu stimulieren und die Herstellung veralteter Erzeugnisse einzuschränken. Zunächst war ein zusätzlicher Gewinn im Preis enthalten, der einen Anteil am ökonomischen Nutzen des Produktes darstellte. Um die mit der Zeit zunehmende Rentabilität bei der Herstellung älterer Produkte zu vermeiden, nahm der Preis einen degressiven, stufenartigen Verlauf. Der damit verbundene spätere Betriebsverlust sollte schließlich das Auslaufen veralteter Erzeugnisse aus der Produktion erzwingen.

Schon zu Beginn des NÖS wurde eine wichtige Änderung im betrieblichen Prämiensystem vollzogen: „Bruttoproduktion“ wurde durch „Gewinn“ als Hauptkennziffer des betrieblichen Erfolges ersetzt. Im Jahr 1968 folgten Maßnahmen, um die Probleme der relativen Planerfüllung und des kurzen operativen Planzeitraums in Angriff zu nehmen. Betrieblicher Erfolg wurde jetzt absolut und über längere Zeiträume als ein Jahr gemessen. Perspektivpläne — zunächst für 1969 bis 1970 und 1971 bis 1975 — erlangten damit eine größere Bedeutung als die Jahrespläne. Insgesamt war das Neue Ökonomische System ein beeindruckendes wirtschaftliches Konzept; theoretisch versprach es, den technologischen Wandel effektiver als zuvor zu stimulieren. In der kurzen Zeit, in der das NÖS in Kraft blieb, erwiesen sich seine Maßnahmen jedoch in der Praxis als ungenügend. Sie konnten die hartnäk-kigen Hindernisse, die das traditionelle Zentralplanungssystem dem technologischen Wandel entgegengesetzt hatte, höchstens etwas abbauen.

Immer noch wurde das Tempo der industriellen Innovation und Diffusion durch Probleme der Bürokratie, der Plankoordinierung und bei der Projektauswahl gebremst. Das System der degressiven Preise initiierte sogar Scheininnovationen, da Betriebe durch geringfügige Produktänderung höhere Preise erlangen konnten. Selten jedoch schlossen die Preise für neue Produkte einen Nutzenszuschlag ein; der ökonomische Nutzen eines neuen oder verbesserten Produktes ist grundsätzlich schwer zu berechnen, und Abnehmer in der DDR zeigten nur geringe Bereitschaft, notwendige Informationen für solche Berechnungen zur Verfügung zu stellen. Auch die Degressionskurve war von vornherein schwer zu bestimmen; oft wurde sie auf ein paar Stufen stark vereinfacht.

Betriebe fürchteten noch immer „harte Pläne“.

Erstens waren sie vertraglich verpflichtet, bestimmte Produktionsziele zu erfüllen. Zweitens wurde nur die Hauptkennziffer absolut gemes23 sen, andere staatliche Plankennziffern wurden wie bisher relativ zum Plan gemessen. Nichterfüllung von zwei vorgeschriebenen Nebenkennziffern führte zu einer viel stärkeren Reduzierung der betrieblichen Prämien als in der Vergangenheit. Drittens hingen die Prämien für die Betriebsleiter von der Erfüllung der zwei Nebenkennziffern, der Wirtschaftsverträge, der Exportaufgaben und der Kontinuität der Produktion ab.

Ende 1970 wurde das Neue Ökonomische System faktisch aufgegeben. Im Herbst 1970 war es zu einer Wirtschaftskrise gekommen. Es gab ernste Lieferungsprobleme, Vertragsrückstände, Exportrückstände und verzögerte Investitionen. Eine wesentliche Rolle beim Abbruch des NÖS spielten die hohen Ziele des Volkswirtschaftsplanes in den Jahren 1969 und 1970 sowie eine ehrgeizige offensive Strategie für technologischen Wandel.

VII. Ulbrichts Offensivstrategie für technologischen Wandel 1967/6841971

Die Offensivstrategie war ein großangelegter Versuch der politischen Führung und der zentralen Organe, den technologischen Wandel zu beschleunigen. Sie dürfte aus Ungeduld bzw. Enttäuschung über den bisherigen Verlauf und die Ergebnisse des NÖS entstanden sein. Ehrgeiziges Ziel dieser Strategie, die 1967 konzipiert und 1968 begonnen wurde, war es, die damals gegebenen wissenschaftlich-technischen Niveaus in der Welt sozusagen zu überspringen. Die alte politische Maxime „einholen und überholen“ galt nun selbst als überholt: jetzt hieß es „überholen ohne einzuholen“. Diese Strategie orientierte sich auf das Setzen und Fördern technologischer Prioritäten, die Konzentration der Produktion und Forschung und eine engere Verflechtung akademischer Wissenschaft mit der Industrie. „Pionierund Spitzenleistungen“ sollten in Forschung und Technik auf einigen für die Volkswirtschaft sehr wichtigen oder „strukturbestimmenden“ Gebieten erbracht werden. Über die „strukturbestimmenden“ Technologien wurden keine ausführlichen Informationen veröffentlicht, doch lassen Produktionsstatistiken darauf schließen, daß es sich dabei um Bereiche handelte, in denen die DDR einen besonderen Rückstand hinter der Bundesrepublik hatte. Die strukturbestimmenden Bereiche wurden angeblich aus Prognosen der zukünftigen Entwicklung der Volkswirtschaft abgeleitet. Strukturbestimmende Betriebe wurden dem direkten Regiment der Zentralplaner unterstellt, die den Betrieben staatliche Plankennziffern für strukturbestimmende Aufgaben vorschrieben. Nichterfüllung dieser Plankennziffern hatte eine drastische Minderung der betrieblichen Prämienfondszuführung und möglicherweise den Verlust von Prämien für die Betriebsleitung zur Folge.

Eine intensive Konzentrationswelle fand ab 1968 statt, um die Leistungsfähigkeit der Industrie zu erhöhen und um bessere Bedingungen für den technologischen Wandel zu schaffen. Große Bedeutung wurde der Bildung von Kombinaten — meistens aus dem Zusammenschluß mehrerer einzelner Betriebe — in „strukturbestimmenden Bereichen“ beigemessen. Im Gegensatz zu den nur horizontal organisierten (d. h. auf der gleichen Produktionsstufe) WB konnten Kombinate auch vertikal (d. h. auf verschiedenen Produktionsstufen vom Halbfabrikat bis zum Fertig-produkt) strukturiert sein. Während es vor 1968 wenige Kombinate in der DDR gegeben hatte, bestanden Ende 1972 120 Kombinate, und diese erzeugten fast 60 % der Warenproduktion in der zentralgeleiteten Industrie. Besondere Bedeutung wurde auch dem Aufbau „sozialistischer Groß-forschung“ beigemessen. Sie sollte durch große Forschungseinrichtungen, große Forschungskollektive und eine reduzierte Zahl von FuE-Projek-ten gekennzeichnet sein. Sogenannte Großforschungszentren wurden vornehmlich für die Kombinate geplant.

Ein weiteres Ziel war es, die Forschung der Akademie der Wissenschaften und der Universitäten „eng und wirksam mit der sozialistischen Großindustrie zu verbinden, hauptsächlich mit den Kombinaten und Großforschungszentren“, „damit gemeinsam Pionier-und Spitzenleistungen vollbracht werden“ könnten Reformen der Akademie und des Hochschulwesens wurden eingeleitet, um akademische Forschung sowohl institutionell als auch thematisch zu konzentrieren, um die industrielle Relevanz ihrer Forschungsprojekte zu erhöhen und um die Lehrinhalte auf den neuesten Stand zu bringen. Die globale, institutionell bezogene Finanzierung akademischer Forschung aus dem Staatshaushalt wurde im Januar 1969 abgeschafft und durch auftragsgebun-dene Finanzierung ersetzt. Die Akademie und das Hochschulwesen mußten sich jetzt um gesellschaftliche und insbesondere industrielle Auftraggeber bemühen. Die Wissenschaftler der Akademie „sollten vom ersten Schritt ihrer Arbeit an das Ziel verfolgen, daß die Endprodukte ihrer Forschungsarbeit auf der Grundlage vollautomatischer Fließverfahrenszüge hergestellt werden“, und die Hochschulen sollten „immer mehr zu Kombinaten der Wissenschaft“ werden

Trotz mehrerer positiver Aspekte war Ulbrichts Offensivstrategie unrealistisch. Die politische Führung schien die Komplexität des Innovationsprozesses und die verwickelten Verbindungen zwischen Grundlagenforschung, angewandter Forschung und Entwicklung zu unterschätzen. Sie verkannte bei radikalen industriellen Innovationen die'" Rolle von Grundlagenforschung, von Zufallsfaktoren sowie von Kreativität. Sie unterschätzte die wirtschaftliche Bedeutung von bescheidenerem, allmählichem technologischem Wandel und berücksichtigte nicht genügend die Zeitspanne, die bedeutende Innovationen von der Konzeption bis zur kommerziellen Einführung benötigen. Die Begeisterung der Führung für Prognostik und andere „rationelle“

Praktiken wie Operations Research, Computer-verfahren und wissenschaftliches Management wurde sicherlich durch das Interesse für diese Methoden sowohl in der UdSSR als auch in den kapitalistischen Industrieländern stark beeinflußt. Größere Praxisnähe und mehr ökonomischer Realismus hätten jedoch manche hochgesteckten Erwartungen in der DDR schon bald als unbegründet erweisen können. Der Glaube an die Effektivität der Großforschung und Großproduktion war teilweise durch die marxistisch-leninistische Theorie, aber auch durch sowjetische und westliche Befürworter beeinflußt. Eine stärkere Berücksichtigung der vorliegenden praktischen Erfahrungen in anderen Ländern hätte positiv ernüchternd wirken können. Statt dessen wurden in der DDR diejenigen kritisiert oder ignoriert, die öffentlich Zweifel an der Notwendigkeit einer schnellen Konzentration der Forschung und Produktion äußerten

Die hohen Ziele des Volkswirtschaftsplanes in den Jahren 1969 und 1970 konnten nicht gleichzeitig mit der schnellen Verwirklichung eines grundlegenden technologischen Wandels und der Bildung von Großbetrieben und Großforschung erfüllt werden. Die bevorzugte Förderung von „strukturbestimmenden“ Bereichen hatte die Vernachlässigung anderer Bereiche zur Folge, und dies wiederum verursachte Lieferungsprobleme für die strukturbestimmenden Bereiche. Mit der Wirtschaftskrise von 1970 wurde nicht nur der Abbruch des Neuen Ökonomischen Systems, sondern auch das Ende der Offensivstrategie und die Abdankung Walter Ulbrichts eingeleitet.

VIII. Technologischer Wandel unter Honecker 1971— 1985

Der neue Parteichef war vorrangig bestrebt, die Stabilität in der Wirtschaft wiederherzustellen und die Situation der Konsumenten zu verbessern. Er entschied sich für eine Rezentralisierung der Wirtschaft, für die Einschränkung indirekter ökonomischer Steuerung, die Stillegung der Konzentrationswelle und für die Förderung vernachlässigter Industriebranchen. Statt großartiger technologischer Sprünge nach vorn galt jetzt die „Intensivierung der gesellschaftlichen Produktion“, d. h. die effektivere Nutzung vorhandener Anlagen, Arbeitskräfte, Rohstoffe und Energien. „Großforschungszentren“ wurden schlicht in „Forschungszentren“ umbenannt. Das bescheidenere Ziel war nun, weniger die „wissenschaftlichtechnische Revolution“ zu meistern als den „wissenschaftlich-technischen Fortschritt“ zu beschleunigen. Als Ergebnis der Konsolidierungsmaßnahmen wurde die Wirtschaftskrise rasch überwunden. Dennoch ergaben sich für die Wirtschaft der DDR bald neue Schwierigkeiten. Diesmal resultierten sie aus der Verteuerung ihrer Rohstoff-und Energieimporte und aus den verringerten Absatzchancen ihrer Produkte auf den westlichen, im Zeichen der Rezession und des Protektionismus stehenden Märkten. Kurzfristig konnten diese Schwierigkeiten überbrückt werden, indem die DDR sich nun stärker bei den westlichen Industrieländern und der UdSSR verschuldete. Längerfristig erachtete die SED-Führung ein größeres Wirtschaftswachstum und eine Steigerung ihrer Exportanstrengungen für notwendig. Diese Ziele sollten durch die intensivere Nutzung aller Produktionsfaktoren sowie eine Beschleunigung des technologischen Wandels, aber unter Verzicht auf eine Steigerung der Investitionsquote erreicht werden.

Die Bedingungen für einen schnelleren technologischen Wandel waren zunächst jedoch nicht sonderlich günstig. Die Rezentralisierung bedeutete eine weitgehende Rückkehr zu den traditionellen Hindernissen des technologischen Wandels. Die Zahl der Plankennziffern für die Betriebe und die allgemeine Bürokratisierung nahmen stark zu. Der betriebliche Erfolg wurde wieder relativ zum Plan gemessen, der operative Planzeitraum betrug wieder ein Jahr, und ab 1972 bestand die Hauptplankennziffer in der „Warenproduktion“, die stark an die „Bruttoproduktion“ früherer Zeiten erinnerte. Das System der Degressivpreise wurde in der DDR zur gleichen Zeit abgebrochen, als es in der UdSSR eingeführt wurde.

Im Laufe der siebziger und achtziger Jahre wurden allerdings auch Maßnahmen ergriffen, um die Bedingungen für den technologischen Wandel zu verbessern. Für alle Betriebe, Kombinate, WB und Ministerien wurde ab 1974 ein spezieller Abschnitt des „Planes Wissenschaft und Technik“ für „Überleitungsaufgaben“ verbindlich, um die verschiedenen Vorgänge zu bestimmen und zu harmonisieren, die für einen erfolgreichen Transfer wissenschaftlicher Ergebnisse in die Produktion notwendig waren. „Koordinierungspläne“ sollten als entscheidende Kettenglieder für umfangreiche Innovationsaufgaben fungieren, die das Zusammenwirken mehrerer Bereiche der Volkswirtschaft erforderten. Außerdem wurden sogenannte Pflichtenhefte eingeführt, um die Kosten und den Nutzen von FuE-Projekten zu dokumentieren. Ab 1976 bildete man Preise für neue bzw. weiterentwickelte Produkte nach einem „Preis-Leistungs-Verhältnis“. Der neue Preis sollte aufgrund der existierenden Preise vergleichbarer Erzeugnisse und der verbesserten Gebrauchseigenschaften festgesetzt werden.

Daß der technologische Wandel durch noch mehr Planung und Dokumentationsarbeit erfolgreich beschleunigt werden könnte, ist zu bezweifeln. Das Preis-Leistungs-Prinzip wurde von manchen DDR-Theoretikern wegen der Betonung des Gebrauchswertes und der Vernachlässigung des gesellschaftlich erforderlichen Arbeitsaufwandes kritisiert. Im Jahre 1983 wurde die Preisbildung nach diesem Prinzip aufgegeben. Die Hauptveranlassung dafür war die Schwierigkeit, Gebrauchseigenschaften zu messen und das Interesse der produzierenden Betriebe, diese Eigenschaften zu übertreiben.

Zwei Maßnahmen der SED-Führung, die positiver zu bewerten sind, betrafen die Grundlagenforschung und die Kombinatsbildung. Unter Honecker wurde die Stellung der Grundlagenforschung gestärkt. „Eine nur auf die Bedürfnisse der nächsten Jahre orientierte Wissenschaft wäre also dem Sozialismus ebensowenig angemessen wie eine Wissenschaft, die ausschließlich auf die Zukunft orientiert ist. ” 21) Die finanzielle Abhängigkeit der Akademie der Wissenschaften und der Hochschulen von der Industrie wurde reduziert.

In einer erneuten Konzentrationswelle zwischen 1976 und 1980 wurden neue zusätzliche Kombinate gebildet; die WB wurden abgeschafft. Ein wichtiges Ziel war es, die Innovationsarbeit unter eine einheitliche Leitung zu bringen. Für die gesamte Tätigkeit eines Kombinats war der Generaldirektor verantwortlich, der in der Regel auch über Zulieferbetriebe und ein eigenes Forschungszentrum verfügte. Er war eher als die Leitung einer horizontalen WB in der Lage, Lieferungsprobleme zu reduzieren, die Produktion zu koordinieren, FuE-Projekte anwendernah zu halten und einem „Staffellauf in der Innovation vorzubeugen. Durch die Eingliederung von Außenhandelskompetenzen in die Kombinate wurde der Innovationsdruck vom internationalen Markt her verstärkt. Zudem konnten die zentralen Organe leichter als bisher Innovationen nach unten verordnen. Der Generaldirektor unterstand direkt dem zuständigen Industrieminister und wurde von ihm berufen bzw. abberufen. Ab 1983 mußten die „Planentwürfe Wissenschaft und Technik“ der zentralgeleiteten Kombinate unter der persönlichen Leitung der Minister beraten werden. Im allgemeinen dürften der Umfang von Planungsarbeit und Bürokratie und die Probleme der Plankoordinierung durch die Kombinate reduziert worden sein.

Neben diesen Vorteilen sind auch einige Nachteile zu sehen. Die Kombinate waren häufig geographisch zersplittert; dies erschwerte der Kombinatsleitung eine gründliche Kenntnis der verschiedenen zum Kombinat gehörenden Betriebe und beeinträchtigte die Mobilität von Kombinatsangehörigen zwischen diesen Betrieben. Der Produktionsplan dominierte weiter: Die Bereitschaft der Kombinatsbetriebe, wichtige technologische Änderungen durchzuführen, die nicht im Staatsplan enthalten waren, dürfte nicht sonderlich groß gewesen sein. Ob die Möglichkeit, In-novationen nach unten zu verordnen, immer klug genutzt wurde, hing stark vom Informationsstand und von den Fachkenntnissen des betreffenden zentralen Personals ab. Nicht zuletzt ist es fraglich, ob die Kombinatsbildung tatsächlich den angenommenen Größenvorteil in Produktion und Forschung erbrachte. Empirische Untersuchungen zu diesen Fragen in westlichen Firmen zeigen, daß die Zweckmäßigkeit der Großproduktion von der Art des Erzeugnisses, der Industriebranche, der Größe des Marktes sowie des Standorts der Betriebe usw. abhängt, während die Eignung von Großforschung durch die spezifische Richtung und das Ziel des Projektes bedingt ist.

Mit der Kombinatsbildung und der von der SED auf ihrem X. Parteitag im Jahr 1981 entwickelten „Ökonomischen Strategie für die achtziger Jahre“ schien die SED-Führung gewissermaßen wieder an Ulbrichts „Offensivstrategie“ angeknüpft zu haben. Wieder sollten progressive Technologien stärker gefördert werden, diesmal vor allem Mikroelektronik, Robotertechnik, EDV und moderne Verfahren zur Rohstoffverarbeitung und zur Sicherung der Energieversorgung. Nochmals war die Sprache von der „Meisterung der wis-sesnschaftlich-technischen Revolution“. Um „Spitzenleistungen“ zu erreichen, wurden „Staatsaufträge“ für FuE-Projekte erteilt, denen Priorität zuerkannt wurde. Staatsaufträge umfaßten und verzahnten alle Schritte, die für die Durchführung der FuE und die Überleitung in die Produktion notwendig waren. FuE-Ausrü-stung und -Lieferungen wurden hierbei vorrangig zur Verfügung gestellt. Statt im Rhythmus des Ein-oder Fünfjahrplanes wurden Staatsaufträge für den gesamten Projektzeitraum geplant. Trotz unbestreitbarer Ähnlichkeiten zwischen der „Ökonomischen Strategie“ und Ulbrichts Offensivstrategie bestanden dennoch wichtige Unterschiede: die Erwartungen an Forschung, Entwicklung und neue Technologien waren realistischer, die Investitionsquote konnte nicht erhöht werden und die „Intensivierung“ nahm jetzt einen zentralen Platz in der neuen Strategie ein. vielen Eine wichtige von den gesetzlichen und administrativen Regelungen zur „Vervollkommnung der Leitung, Planung und wirtschaftlichen Rechnungsführung“, die im Zusammenhang mit der „Ökonomischen Strategie für die achtziger Jahre“ und insbesondere für die Kombinate erlassen wurden, betraf die Leistungsbewertung. Die „Warenproduktion“ wurde als Hauptplankennziffer im Jahre 1983 abgelöst, spielte aber weiterhin eine wichtige Rolle in der Planung. Seit 1984 gibt es die vier Hauptkennziffern: „Nettoproduktion“ „Nettogewinn“, „Erzeugnisse und Leistungen für die Bevölkerung“ und „Export“. Andere wichtige Regelungen sahen einen umfassenden Mechanismus zur Kontrolle der Erzeugnisqualität vor und dehnten die Kontrolltätigkeit der Banken bei Innovationsprojekten aus.

Westliche Experten sind sich uneins, ob die vielen Änderungen in der Organisation und Leitung der DDR-Wirtschaft zusammengenommen eine „Reform in kleinen Schritten“ darstellen oder ob sie als Weiterentwicklung ohne grundsätzliche Veränderung des wirtschaftspolitischen Instrumentariums zu bewerten sind Fest steht jedoch, daß die großen Hindernisse für den technologischen Wandel in der DDR, die aus dem Preismechanismus und der relativen Planerfüllung herrühren, nach vier Jahrzehnten noch nicht überwunden sind.

In der Förderung des technologischen Wandels sieht die SED-Führung eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Ungeeignete Maßnahmen könnten zu einem zu niedrigen Wirtschaftswachstum, einer zu geringen Exportleistung, einem zu niedrigen Lebensstandard und zu einem immer schlechteren Abschneiden im Wettbewerb der beiden deutschen Staaten führen, schließlich auch zu Unruhe in der Bevölkerung. Andererseits würde eine radikale Wirtschaftsreform in Richtung einer sozialistischen Marktwirtschaft das Tempo des technologischen Wandels merklich beschleunigen, aber gleichzeitig das Risiko in sich bergen, die politische Stabilität zu gefährden. Angesichts dieser Rahmenbedingungen und der Erfolge des gegenwärtigen Wirtschaftssystems hinsichtlich eines Abbaus der Auslandsverschuldung, einer Senkung des Material-und Energieverbrauchs und einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums darf erwartet werden, daß die zukünftigen Maßnahmen der SED-Führung weiterhin in Richtung organisatorischer und planbezogener Verbesserungen und auf einen erhöhten, wenn auch vorsichtigen Gebrauch von „ökonomischen Hebeln“ zielen werden. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit gering, daß die technologische Lücke zwischen den beiden deutschen Staaten gar sich entscheidend verringern oder verschwin -den wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin (Ost) 1974, S. 592.

  2. W. I. Lenin, in: Werke, Band 27, Berlin (Ost) 1972, S. 407— 409.

  3. J. Stalin, in: Fragen des Leninismus, Berlin (Ost) 1951, S. 398— 401.

  4. Zu diesen Begriffen siehe z. B. Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin (Ost) 1978, und DDR Handbuch, Köln 1985.

  5. Comecon = Council for Mutual Economic Assi-stance (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe). Im Jahr 1949 gegründete Organisation für die wirtschaftliche Zusammenarbeit der osteuropäischen Länder.

  6. Neues Deutschland vom 27. /28. 11. 1982, S. 3.

  7. Zur Entwicklung des deutsch-deutschen Handels im Zeitraum von 1980 bis 1984 siehe Deutschland Archiv, (1982) 5, S. 556f., (1984) 5, S. 555f., (1985) 9, S. 1018f.

  8. R. Bentley, Technological Change in the German Democratic Republic, Boulder (Col.) — London 1984, S. 11 f.

  9. Weitere Einzelheiten und Statistiken zu diesem Thema sowie erste Vergleiche der FuE-Bemühungen der DDR mit denen der Bundesrepublik und anderen Ländern sind in R. Bentley (Anm. 8), insbesondere in Kapitel 3, Kapitel 7 und den Anlagen zu finden. Für bundesdeutsche Arbeiten über FuE in der DDR siehe z. B. A. Scherzinger, Zur Planung, Organisation und Lenkung von Forschung und Entwicklung in der DDR, Berlin (West) 1977, sowie Institut für Gesellschaft und Wissenschaft Erlangen, abg Analysen und Berichte aus Gesellschaft und Wissenschaft.

  10. OECD = Organisation for Economic Co-operation and Development. Siehe The Measurement of Scientific and Technical Activities. „Frascati Manual“, Paris 1981.

  11. W. Ulbricht, Fragen der politischen Ökonomie der Deutschen Republik, Berlin (Ost) 1955, Demokratischen S. 17.

  12. Zur sozialistischen Entwicklung der Volkswirtschaft seit 1945, Berlin (Ost) 1960, S. 581.

  13. Zu diesen Organisationen siehe die Nachschlagewerke in Anm. 4.

  14. Gesetzblatt der DDR, Teil II, Nr. 64 (1963), S. 453— 498. Für einen allgemeinen Überblick des NÖS und die spätere Entwicklung siehe z. B. G. Leptin/M. Melzer, Economic Reforms in East German Industry, Oxford — London — New York 1978, und Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Handbuch DDR Wirtschaft, Reinbek 1984.

  15. Die Deutsche Akademie der Wissenschaften auf dem 17) Weg zur Forschungsakademie der sozialistischen Gesellschaft, Berlin (Ost) 1970, S. 104.

  16. Ebenda, S. 104, und: Die Wirtschaft, Nr. 15, 10. April 1969, S. 4.

  17. Innovationen, die einen bedeutenden technologischen Schritt vorwärts darstellen.

  18. Ausführlicher in R. Bentley (Anm. 8), insbesondere Kapitel 6, Kapitel 7, S. 181 f. und Kapitel 8, S. 214 f.

  19. Vergleiche Teil IV/2 dieses Aufsatzes.

  20. Produktion abzüglich Materialverbrauch und Abschreibung.

  21. D. Cornelsen/M. Melzer/A. Scherzinger, DDR-Wirtschaftssystem: Reform in kleinen Schritten, in: yierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, (1984) 2, S. 200— 223; und K. C. Thalheim/K. Erdmann/M. Haendcke-Hoppe/W. Homann/K. Krakat, Gegenwärtige Reformansätze im Wirtschaftssystem der DDR — Renaissance des , Neuen Ökonomischen Systems'?, in: FS Analysen, (1984) 1. Zusammenfassungen in Deutschland Archiv, (1985) 2, S. 140— 151.

Weitere Inhalte

Raymond Bentley, Dr. phil., B. Sc. (Hons), M. Sc., geb. 1949; Studium der Mathematik und Physik an der Universität Wales; postgraduierte Studien der wirtschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Dimensionen von Naturwissenschaft und Technologie an der Universität Sussex mit Schwerpunkt Industrielle Innovation und Technologietransfer; 1972 bis 1975 Lehrtätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland; anschließend Forschung an der Science Policy Research Unit der Universität Sussex; ab 1977, in Verbindung mit dem Science Policy Research Unit, Gastforscher der Abteilung für Wissenschaftsforschung an der Universität Ulm; 1977 bis 1978 Forschungsstipendiat des DAAD; Lehrbeauftragter der Universität Ulm und der Fachhochschule Ulm. Veröffentlichung: Technological Change in the German Democratic Republic, Boulder (Col.) — London 19842.