Bereits der Name ist eine bewußte Suggestion. Neue Medien — damit wird etwas tatsächlich Innovatives, Fortschrittliches und Modernes suggeriert; zukunftsträchtig und für uns alle unverzichtbar. Im Kern beginnen hier Mißverständnisse und gezielte Wortmanipulationen. Kommunikationswissenschaftlich betrachtet und nach publizistischen Kriterien eingeschätzt handelt es sich jedoch de facto bei den sogenannten Neuen Medien lediglich um erweiterte und neue Medien-techniken, eigentlich um nichts anderes also als um neue Distributionsformen längst bekannter und entwickelter Medien. Auf diesen, aus der Distanz betrachtet illusionsloseren Standpunkt reduziert, verliert das Wortspiel manches von seiner Faszination. Vielleicht kann allein durch diesen Ausgangspunkt die polemische und bisweilen zynische Debatte um die zukünftige , Medienversorgung 1 in der Bundesrepublik entscheidend versachlicht werden.
Die neuen Distributions-, Speicher-, Produktions-und Abruftechniken werden zu einer Vielzahl von sozialen und individuellen Auswirkungen führen, bei denen es gilt, rechtzeitig und wirkungsvoll gestalterisch tätig zu werden, will man nicht von einer neuen „Informations-und Kommunikationsgesellschaft“ überrollt werden, die den unvorbereiteten und unaufgeklärten Bürger verunsichert und in Teilen sicher auch verängstigt. An diese Stelle gehört eine informierende und autonome Diskussion.
Ob McLuhan, Winn, Mander oder Postman genauso wie in Teilen Capra — mit feuilletonistischer und höchst subjektiver Kritik ist dem Komplex der neuen Informationstechnologien nicht gerecht zu werden. Bezeichnenderweise jedoch werden diese Autoren von Politikern, Journalisten und Teilen der Öffentlichkeit stärker und publizitätswirksamer berücksichtigt als informations-und kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse und Analogieschlußfolgerungen — deren Einfluß nur sehr gering bleibt. Politikberatung einerseits und Technologiefolgenabschätzung andererseits sind chronisch unterentwickelt. Es bleibt festzuhalten, daß die Einführung der genannten medientechnischen Neuerungen weitgehend dem Determinismus der Technik gefolgt ist und soziale Rahmenbedingungen sowie politische Orientierungshilfen entweder gar nicht oder nur sehr spät präsentiert worden sind. Während die föderative Struktur der Bundesrepublik gerade bezüglich der Medientechnologien eher zu einem Kompetenzgerangel und Gesetzes-wirrwarr geführt hat, wird das rudimentäre Postulat mehrmaliger Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ignoriert: „Kommunikation ist ein besonderes Rechtsgut“, formulierten die Richter und meinten damit schlicht, daß eben jeder Kommunikation — gleichgültig ob personal oder medial — bestimmte Schutzzonen zugebilligt werden müssen, da es sich hierbei um ein „äußerst zartes Pflänzchen der Demokratie“ handelt. Diese Pflanze ist in den vergangenen zehn Jahren nicht gedeihlich behandelt worden. Erinnern wir uns:
Die wissenschaftliche und politische Diskussion begann mit der Vorlage des Berichtes der KtK 1976, also der „Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems“, die der damalige Bundespostminister Horst Ehmke 1974 eingesetzt hatte. Der umfangreiche Abschlußbericht sowie das Nachfolgegutachten 1978 lesen sich noch heute vorzüglich, wenngleich die technische Diskussion über-und die publizistische Argumentation unterrepräsentiert war. Die Aussagen, Empfehlungen (Einrichtung von vier Kabelpilotprojekten) und die angedeuteten Konsequenzen sind bis heute weitgehend unberücksichtigt geblieben. Die sozialliberale Koalition vertagte und verhinderte eher das Problem; der Kanzler formulierte im September 1979 den so-genannten Verkabelungsstopp, während gleichzeitig bundesdeutsche Großstädte und medien-technisch ungünstige Gebiete verkabelt und an Gemeinschaftsantennen angeschlossen wurden.
Von sinnvoller Koordination und langfristiger Konzeption kann nicht gesprochen werden; „wichtigere“ Themen bestimmten die damalige politische Agenda. Mit dem Regierungswechsel im Herbst 1982 und besonders seit der Bundestagswahl im März 1983 erhielt die Medienpolitik einen gewichtigeren Stellenwert. Der Bundespostminister, in Übereinstimmung mit dem Kanzler, forcierte die flächendeckende Verkabelung mit einem gewaltigen Investitionsprogramm, an deren Ende — zu Beginn des nächsten Jahrtausend — ein Universalnetz (ISDN) stehen soll, das sämtliche Dienste der Telekommunikation integrieren wird. Diese Vernetzung von produktiver wie rekreativer Kommunikation, von privater wie öffentlicher und Massen-wie Individual-Kommunikation beruht auf Entwicklungen in der Mikroelektronik und der Digitalisierung aller Kommunikationsvorgänge durch technische Hilfsmittel. Während die Bundespolitik offensiv und klar ist, streiten die Ministerpräsidenten der Länder nach wie vor um ein einheitliches Konzept, wahrscheinlich so lange, bis die realen Medienverhältnisse sehr rasch zu pragmatischen Kompromissen zwingen — quer durch ideologische und parteipolitische Positionen.
Dabei sind die Standorte eindeutig und alle Argumente ausgetauscht. Die wissenschaftliche Literatur, gleichgültig ob Monographien, Anthologien oder Zeitschriftenaufsätze, journalistische Beiträge sowie ungezählte Symposien und Tagungen haben zwei Grundpositionen deutlich gemacht:
I. Die am marktwirtschaftlichen Modell und am Menschenbild des „mündigen Kommunikationsbürgers“ orientierte Leitidee mit dem Versuch, durch ein vielzähligeres Medienangebot auch ein gerechteres, mehr an den Bedürfnissen der Bürger entwickeltes Kommunikationsumfeld zu schaffen. Versuche und Neigungen zum staatlichen Handeln und politischen Eingreifen werden abgelehnt oder bewußt zurückgestellt. Die Pluralität, ein Hauptkriterium der westlichen Demokratien, soll auch bei den AV-Medien Anwendung finden, das bisherige System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überwunden werden. 2. Dagegen steht, relativ unversöhnlich, eine medien-wie technikkritische Position, häufig im kulturkritischen Gewand, bei der ordnungspolitische Rahmenbedingungen und das Postulat der „Innenweltverschmutzung“ im Vordergrund stehen. Vertreter dieser Position warnen vor einer neuen Generation bildschirmgeschädigter Bürger, deren Sekundärerfahrung ständig steigt, während Primärkontakte und persönliche Kommunikation rückläufig sein werden.
Eine verantwortungsvolle, aber auch kompromißbereite Haltung zwischen diesen beiden skizzierten Extremen findet sich selten, obwohl begründbare Standpunkte zwischen dem freien Kommunikationsmarkt und dem bevormundeten Kommunikationsbürger möglich erscheinen. Aufschlußreich ist, daß eine Vielzahl von Argumenten pro und contra die neue Informationsgesellschaft beim Aufkommen heute längst „Alter Medien“ wiederzufinden sind. Denken wir nur an die Ausbreitung der „Massenpresse“, des Hörfunks und besonders des Films und des Fernsehens. Immer wurde die Diffusion von medien-technischen Neuerungen von massiven Hoffnungen und fatalen Befürchtungen begleitet. Sinnfälligstes Beispiel dafür können die „Comics“ sein, deren Aufkommen skeptisch begleitet wurde („Schundliteratur“), aber deren Existenz und besonders Akzeptanz für die Jugendlichen heute dazu benutzt wird, sie — didaktisch geschickt — im Unterricht einzusetzen. Dieses Beispiel mag auch verdeutlichen, wie ahistorisch die Diskussion um die neue Informationsgesellschaft bis heute geführt worden ist.
Medientechnische Einzelprüfung
Die öffentliche Diskussion um Videotext ist fast verstummt. Dieser durch die Dehnung der Austastlücke technisch und kapazitativ begrenzte Dienst wird wohl seine Hauptfunktion in der Untertiteleinblendung für Hörgeschädigte haben. Die programmbegleitenden, programmunterstützenden und programmankündigenden Informationen von ARD und ZDF spielen dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Auch die bei dieser technischen Erweiterung erstmals erprobte Form der Kooperation von öffentlich-rechtlichen Anstalten und erwerbswirtschaftlichen Presseunternehmen verläuft wenig brisant; dies gilt auch für den Zuschauer. Das ohnehin begrenzte Nachrichtenangebot wird vom Publikum kaum abgerufen. An dieser Technik läßt sich exemplarisch verdeutlichen, welch große Differenz zwischen den medienpolitischen Vorausgefechten („Scheingefechte auf medialen Nebenkriegsschauplätzen“) und den medienrealen Folgen liegen. Dieser Dienst wird durch das oben erwähnte Universalnetz substituierbar und zukünftig technisch effektiver zu transportieren sein.
Um die Einführung des Festbilddienstes Bildschirmtext (BTX) hat es unter den Beteiligten jedoch schon größere Auseinandersetzungen gegeben. Von den Verlegern lange als „Bildschirmzeitung“ bezeichnet, ist mittlerweile von diesem Dienst wenig an Brisanz übriggeblieben. Die Anschlußzahlen bei privaten Haushalten sind deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben, lediglich eine gewisse werbliche Nutzung kann konstatiert werden. BTX eignet sich besonders für geschlossene Benutzerkreise und in Verbindung mit Computern und Bildplatte für die Geschäftskommunikation. Ohne das Ergebnis der beiden Versuchsgebiete (Düsseldorf-Neuss/Berlin) abzuwarten, wurde die bundesweite Einführung beschlossen! Ein Lehrstück versäumter wissenschaftsgesteuerter politischer Exekutive, dessen Fortsetzungen folgen werden.
Der Videoboom zu Beginn der achtziger Jahre ist längst verflogen, realistische Marktzahlen haben allzu euphorische Markthoffnungen abgelöst. Die Ausbreitung des Videorecorders in Privat-haushalten hat noch lange nicht jeden vierten TV-Haushalt erreicht; wohlwollend berechnet, dürfte die Zahl bei etwa 20 Prozent liegen. Ein wichtiger Grund für diese vorzeitige Stagnation dürfte das zwischenzeitlich bereits erheblich erweiterte Programmangebot für viele Haushalte in der Bundesrepublik sein sowie die Programmreaktion der öffentlich-rechtlichen Anstalten auf diesen „Boom“. Konkret formuliert: bei meist fünf Spielfilmen allein am Samstagabend im traditionellen Fernsehen bleibt einfach keine Zeit und wenig Interesse an gekauften oder geliehenen Programmkassetten sowie privaten TV-Aufzeichnungen. Die Zukunft des deutschen Mediensystems spricht eher gegen eine breite Diffusion des Videorecorders als dafür. Diese Einschätzung läßt sich durch internationale Befunde weiter belegen.
Im professionellen wie im gewerblichen Sektor scheint es jedoch noch weitere, bisher ungenutzte Möglichkeiten der Videotechnik zu geben. Der gesamte Bereich der „Inhouse“ -Information, mit dem „Fernsehen für Kunden“ sowie der Visualisierung heute vorherrschender materieller Information ist erst in Ansätzen bekannt oder gar installiert.
Die Bildplatte, nach dem ökonomischen Flop in den frühen siebziger Jahren jetzt wieder eingeführt, scheint nun bessere Chancen der Markt-durchdringung zu haben. Neben dem Musiksektor kann besonders der Lehr-und Ausbildungsbereich von der Bildplattentechnik — kombiniert mit einem Computer — profitieren. Es ist mehr als eindrucksvoll zu erleben, wie aus 40 000 Einzelbildern ein einzelnes Standbild auf den Bildschirm abgerufen werden kann, welches durch eine Computergraphik erläutert und verbessert werden kann. Die Funktionen von Video und Bildplatte ergänzen sich, wiewohl beide Möglichkeiten in Teilen auch konkurrieren.
f Diese vier hier aufgezählten privaten wie geschäftlichen AV-Medien stehen heute nicht mehr im Zentrum der politischen wie öffentlichen Diskussion. Das hat zunächst etwas mit der medien-rechtlichen Kompetenz, dann aber auch mit der gesellschaftspolitischen Irrelevanz zu tun. Videotext und Bildschirmtext markieren die technologische Übergangsphase und werden bald substituierbar sein; Video und Bildplatte haben zukünftig gegen ein vielzähligeres und kompletteres Medienangebot zu bestehen, die in den privaten Haushalten verfügbar sind. Im geschäftlichen Bereich werden die Konsequenzen wahrscheinlich gravierender sein, ebenso in Dienstleistungsunternehmen und am Arbeitsplatz, denkt man etwa an das Beispiel Videokonferenzen.
Das Fernsehen der Zukunft wird wieder — wie in seiner Experimentalphase — draht-bzw. glasfasergebunden ausgestrahlt. Zunächst das Kupferkoaxial-Kabel, dann im Universalnetz des Jahres 2000 die Glasfaser werden eine Reihe von technischen Verbesserungen und publizistischen Erweiterungen nach sich ziehen.
Profitieren wird davon auch der Kabelhörfunk, dessen zahlreicheres Programmangebot nun in sehr guter Stereoqualität zu empfangen sein wird. Eigenartigerweise ist der Bereich des Hörfunks kaum Gegenstand öffentlicher Diskussion, obwohl die Kommunikationsforschung weiß, daß Jugendliche vorrangig die Musik, Hausfrauen und Autofahrer das Medium als Sekundärtätigkeit nutzen. Fehlen die aufmerksamkeitsheischenden Bilder, fehlt offenbar auch das sozialpolitische Engagement. Dabei sind solche Entwicklungen wie das Lokalradio und die „Freien Radios“ Beleg für innovative Struktur-und Programmentwicklungen, die mehr wissenschaftliche und politische Aufmerksamkeit verdient hätten. „Low power stations“ heißt ein zusätzliches Schlagwort, auf das sich bereits die traditionellen Rundfunkanstalten eingestellt haben. Regionalisierung und Lokalisierung des Hörfunks sind die Stichworte, die fast alle ARD-Anstalten bereits in aktuelle Programmstrukturen integriert haben. Auch diese Reaktion der öffentlich-rechtlichen Anstalten ist bereits im Vorgriff auf private Radio-Konkurrenz zu sehen.
Private Programmanbieter haben es momentan noch schwer, ihre Marktnische und ihr publizistisches Profil zu finden. Erste Insolvenzen und Konkurse sind beredtes Beispiel für diese Entwicklung. Gerade beim Hörfunk wären auch alternative Programmformen zu entwickeln und innovative „Profile“ politisch zu fördern.
Im Zentrum der Diskussionen stehen jedoch das Kabel-und Satellitenfernsehen. Seit dem 1. Januar 1984, also mit dem Beginn des ersten Kabelpilotprojektes in Ludwigshafen/Vorderpfalz, ist das duale Mediensystem erweitert worden, sagen die einen; es ist zerschlagen und aufgebrochen worden, sagen die anderen. Was 1976 vorgeschlagen wurde, ist ganze acht Jahre später praktiziert worden, obwohl bereits die flächendeckende Verkabelung in Ballungsgebieten beachtliche Ausmaße erreicht hat. Seit diesem Datum haben auch private Programmanbieter die Möglichkeit, eigenverantwortlich Sendungen auszustrahlen. Diese Privatisierung des Mediums Fernsehen wird eine Kommerzialisierung des Programmangebots ebenso nach sich ziehen wie eine Internationalisierung der Inhalte auf weltweit vermarktbare Standards.
Die Ausweitung des Programmangebots soll zunächst einmal nur unter quantitativen Gesichtspunkten beschrieben werden: Anstelle der früher — je nach Sendegebiet — empfangbaren drei bis fünf Fernsehprogramme sind in den Pilotgebie5 ten rund 20 Fersehkanäle abrufbar von in flächendeckend verkabelten Gebieten etwa elf unterschiedlichen Sendern. Ohne über die Ergebnisse exakter Inhaltsanalysen verfügen zu können, ergibt schon ein Blick in die Programmzeitschriften, daß die Programminhalte in erster Linie dem fiktiven Angebot zuzurechnen sind, also vorrangig unterhaltsame Sendungen präsentiert werden. Es führt nun einmal kein Weg daran vorbei, daß erwerbswirtschaftliche Medienunternehmen auf eine möglichst große Anzahl von Zuschauern angewiesen sind, um darüber den Preis für die einzige Finanzierungsquelle, die Werbung, kostendeckend und profitorientiert zu steuern. Von diesen Sendern Minderheitenprogramme oder zielgruppenorientierte Spezialprogramme zu erwarten, wäre ein Anachronismus.
Dies zu leisten, bleibt den öffentlich-rechtlichen Programmanbietern vorbehalten, die neben ihren Universalprogrammen auch Kanäle für Teilpublika reservieren und ausfüllen sollten.
Ein bemerkenswerter Versuch ist die kommerzielle Nachrichtenpräsentation: „News shows“ werden dem Zuschauer angeboten, womit sogleich deutlich wird, daß Unterhaltungselemente auch beim Informationsangebot von den Kommunikatoren favorisiert werden.
Diese quantitative Ausdehnung des Programm-angebots führt auch zu verstärkter Berücksichtigung regionaler und lokaler Themen. Dies könnte einem latent vorhandenen Kommunikationsbedürfnis der Zuschauer entgegenkommen, und die ersten Erfahrungen sind durchaus positiv zu bewerten. Die Konzentration auf den Nah-raum oder die Region ist ein sinnvolles Äquivalent zur nationalen und zunehmend internationalen Berichterstattung im Fernsehen.
ARD und ZDF haben auch auf diesem Feld Anpassungsprozesse hinter sich; sie haben selbst hartnäckigen Kritikern bewiesen, daß Reformen und Strukturveränderungen bei ihnen möglich sind, und sei es erst auf äußeren Druck hin. Einen Sonderfall stellen zwei publizistische Angebote dar: einmal der „Offene Kanal“, mit dem bisher in allen Projekten eher skeptische Erfahrungen gesammelt worden sind, und zweitens die besonders bei Jugendlichen beliebten Musik-kanäle, die nahezu rund um die Uhr Video-Clips präsentieren.
Die bisher arbeitenden Fernmeldesatelliten — auf den ersten Rundfunksatelliten müssen wir noch etwas warten — strahlen in die vier Pilotprojekte Ludwigshafen, München (1. 4. 1984), Dortmund (1. 6. 1985) und Berlin (28. 8. 1985) ebenso ihr Programm wie sie in bestehende Kabelnetze „eingespeist“ werden. Insgesamt vier Programmveranstalter haben sich bisher mit ihrem Programm behauptet, nämlich: die drei privaten Sender SAT 1, RTL-plus und Sky Channel sowie das öffentlich-rechtliche Gemeinschaftsprogramm von ZDF/ORF und SRG mit dem Titel 3 SAT. Weitere Programmangebote werden folgen, wobei besonders ARD und EBU sich um Lizenzen bemühen. Auch ausländische Programminteressenten werden zukünftig auf den deutschen Fernsehmarkt drängen, ohne sich nur einigermaßen sicher sein zu können, ob ihre Produkte denn auch Abnehmer finden werden. Diese Aussage ist bewußt so formuliert, trägt doch die bisherige Debatte meist oder ausschließlich ökonomische Züge, während die notwendige publizistische Diskussion und Konzeption kaum behandelt werden.
Soziale und individuelle Folgen
Die neuen Informations-und Kommunikationstechniken werden zahlreiche und teilweise intensive Veränderungen herbeiführen, die sämtliche Phasen des Alltags, berufliche wie private, erfassen. Diese gesellschaftlichen und persönlichen Auswirkungen sind in sozial unerwünschten und sozial erwünschten Dimensionen zu diskutieren und wo nötig politisch zu gestalten. Kommunikationsmittel jeglicher Art und Funktion isoliert und monokausal für gesellschaftlich bedenklich zu apostrophieren, entspricht nicht dem kommunikationswissenschaftlichen Erkenntnisstand. Die Medien sind eine, wenn auch wichtige Sozialisationsinstanz neben den bekannten und traditionellen wie Familie, Freundeskreis, Kindergarten, Schule, Universität etc.
In diesem Beitrag soll der Diskussionsstand der komplexen Auswirkungen der neuen IuK-Techniken auf drei Ebenen erfolgen, die aus analytischen Gründen voneinander getrennt werden, obwohl Interdependenzen in der Realität sicher sind. Die Konsequenzen durch die Computertechnik am Arbeitsplatz werden hier weitgehend ausgespart, damit der Blick auf die publizistischen Konsequenzen klarer wird.
Die Computerisierung und Mediatisierung unserer Lebenswelt sowie die gesellschaftliche Entwicklung zur Informationsgesellschaft einerseits, bei der der Anteil von Information und Kommunikation am Bruttosozialprodukt stetig steigt, sowie die kontinuierliche Tendenz zur Freizeitge-B Seilschaft andererseits, die immer mehr Menschen eine vermehrte tägliche, wöchentliche, jährliche oder allgemeine Lebensfreizeit (vorzeitige Pensionierung) erbringt, werden die nahe Zukunft der Bundesrepublik Deutschland nachhaltig beeinflussen.
Die erste Dimension: Journalismus Die Wortschöpfung aus den siebziger Jahren ist bezeichnend: vom „Redaktroniker“ wurde plötzlich geschrieben und gesprochen, wo man sich bisher doch angewöhnt hatte, vom Redakteur zu sprechen. Allein durch diese schlagwortartige Metapher wird deutlich, daß neue Produktions-, Speicher-, Satz-und Drucktechniken das Berufsfeld des Journalisten entscheidend verändern und damit zur Folge haben, daß dieses Berufsbild neue Aspekte erfahren hat oder erfahren wird. Im Printmedienbereich sind einzelne technische Berufe verschwunden, andere haben völlig neue Qualifikationsprofile erhalten.
Dieser Umstrukturierungsprozeß im Druckgewerbe ist durch den hohen Implementierungsgrad der neuen Technik in Printmedien-Unternehmen in seiner arbeitsmarktpolitischen und persönlichen Schärfe nahezu abgeschlossen, was nicht heißt, daß durch neue Computergenerationen hier eine dauerhafte Stagnation zu verzeichnen wäre. Die zahlreichen Streiks — auch von Journalisten — seit 1978 und die tarifrechtlichen Auseinandersetzungen um neue Tätigkeitsbeschreibungen der letzten Jahre sind hierfür eindeutiges Indiz. Während die häufig existenziellen Konsequenzen für Setzer, Metteure und Drucker klar geworden sind, herrscht, was die publizistischen Konsequenzen anbetrifft, noch Unklarheit. Vermutungen und Spekulationen von der veränderten Tageszeitung nach Umstellung auf die neuen Techniken sind bisher kaum wissenschaftlich untersucht. Ob durch den „Computerjournalismus“ die Inhalte uniformer und konsonanter, insgesamt kurzer und stereotyper verlaufen, muß noch überprüft werden; ob die gesteigerte Schnelligkeit des Transports von Informationen zu mehr Oberflächlichkeit führt und die journalistischen Stilformen von der Nachricht bis zur Glosse verarmen, ebenfalls. Ob durch die Bildschirmarbeit physiologische Schädigungen bei den Journalisten und Sekretärinnen zu konstatieren sind, bleibt umstritten, ebenso gegensätzlich ist die Einschätzung von „betroffenen“ Journalisten. Sicher ist, daß Arbeitsvorgänge zusammengefaßt und Arbeitsabläufe zentralisiert werden. Sicher ist auch, daß dezentrale Vorgänge effizienter und störanfällige Strukturen problemloser verlaufen können.
Produktivitätssteigerung und Rationalisierung einerseits sowie kommunikative Leistungserfüllung und jorunalistische Qualität andererseits müssen im Zusammenhang betrachtet werden, ehe ein abschließendes Urteil möglich wird. Der Journalist von morgen, eben jener „Redaktroniker“, hat sein neues berufliches Selbstverständnis noch nicht gefunden. Es ergeht ihm genau so wie den Mitarbeitern in anderen Dienstleistungssektoren. Kommunikation und Information über die neuen luK-Techniken sind unterentwickelt; Wissen und Aufklärung darüber häufig bizarr verzerrt.
Die zweite Dimension: „Alte Medien“
Die Gesamtauflage der deutschen Tageszeitungen, Umsätze und Erlöse aus diesem Kommunikationsgeschäft werden von anderen Branchen gleichermaßen bewundert wie beneidet. Selbst in Jahren der wirtschaftlichen Rezession sind rückläufige Tendenzen — wenn überhaupt — kaum festzustellen. Der Konzentrationsprozeß stagniert bei den Tageszeitungen seit etlichen Jahren bei etwa 125 publizistischen Einheiten (= Vollredaktionen). Die Situation bei den Wochenzeitungen ist nahezu unverändert, wogegen der Zeitschriftenmarkt sowohl von der Gesamtauflage und den Gesamtumsätzen als auch von Neugründungen nur Positives zu berichten weiß. Über 10 000 (!) Titel erscheinen derzeit, wobei das Marktsegment „special interest“ -Zeitschriften teilweise über enorme Steigerungsraten frohlockt. Die Bürger der Bundesrepublik haben noch nie mehr Bücher gekauft — auch gelesen? — als zur Zeit; nie ist die Chance für eine Drucklegung von langweiligen und überflüssigen, weil bereits ähnlich veröffentlichten Büchern größer gewesen als heute! Und das alles trotz größerer Werbung in den elektronischen Medien, trotz einer extensiven Programmerweiterung des Fernsehens und der Elektronisierung vieler Kommunikationsvorgänge. Die Tageszeitung wird auch weiterhin rund 40 Minuten täglich gelesen, da dieses Medium nicht mit den AV-Medien konkurriert, sondern diese ergänzt. Tageszeitungen konkurrieren untereinander, nicht jedoch mit Struktur-und angebotsungleichen Medien. Sie haben ein spezifisches Nutzungsprofil, eine unverwechselbare Funktionalität und — bisher noch teilweise nicht praktizierte Reaktionsmöglichkeiten auf die Informationsgesellschaft der Zukunft. Gerade durch die neuen Drucktechniken sind sie in der Lage, sich rasch neuen Gegebenheiten anzupassen. Es kann eine Menge „unternommen“ werden: — auf besondere Ereignisse wird in besonderer Form durch Beilagen, Sonderausgaben und aktualisierte Ausgaben reagiert;
— der oder die Erscheinungszeitpunkte können verändert werden;
— die Abfolge von Ressortbeiträgen kann umgestellt werden (Beispiel: Lokales nach vorn!); — die einzelnen Beiträge können hintergründiger, analytischer und präziser präsentiert werden; — tage-und wochenweise können „Themenseiten“ ausgewechselt werden;
— je unterhaltsamer die AV-Medien, desto informativer sollten die Printmedien werden;
— die Zeitung kann verschiedene publizistische Notwendigkeiten in anderen Medien kanalisieren. Diesen journalistischen und verlegerischen Anpassungsstrategien stehen natürlich noch wirtschaftliche und vertriebliche Aspekte des Problems zur Seite. Das auch durch ständige Wiederholung nicht richtiger werdende Argument der „Exixtenzbedrohung“ der Tageszeitungen durch die „Neuen Medien“ muß von Kommunikationswissenschaftlern zurückgewiesen werden. Die erfolgreiche ökonomische und publizistische Zeitung von morgen benötigt Innovationen, kein Wehklagen; ihr unverwechselbares Profil ist für die funktionierende Demokratie und ihre Bürger unverzichtbar.
Für die Zeitschriften gilt mit einer wesentlichen Ausnahme ähnliches. Allein die hochgradige thematische Spezialisierung und damit verbundene Zielgruppenorientierung könnte konzeptuell mit möglichen und bereits geplanten TV-Zielgruppenprogrammen kollidieren. Doch auch hier wird sich meines Erachtens einmal mehr die „more and more“ -Regel bestätigen: der Sportinteressierte z. B. nutzt bereitwillig Angebote in unterschiedlichen Medien — solange sich deren Produkt unterscheidet.
Die Zukunftsperspektive der Gattung Buch dagegen ist nur mit einer größeren Irrtumswahrscheinlichkeit zu prognostieren. Aber das äußerst „intime“ Verhältnis des Lesers zum Buch, dessen aufklärerischer wie unterhaltsamer Nutzen wiegen allemal mehr als das befürchtete „elektronische Buch“ oder die „immaterielle Bibliothek“ des Forschers. Seien Sie ehrlich: können Sie sich vorstellen, Karl May, Kurt Tucholsky oder Thomas Mann ausschließlich auf dem TV-Schirm durchzublättern ?
Ein anderes Problem ist dagegen wichtiger: Verlage und Printmedienunternehmen haben es durch eine geschickte Unternehmenspolitik geschafft, mit den Argumenten der Existenzgefährdung und des „publizistischen know-hows“ Zugang zu den elektronischen Medien zu finden. Dadurch gibt es — wie in den USA — das Problem der Doppel-oder Mehrfach-Eigentümerschaft an Print-wie AV-Medien. So wie es der Lizenzierungsbehörde (FCC) in den Vereinigten Staaten nicht gelingt, Entflechtungen und eine „De-Regulation" angemessen durchzusetzen, wird dies auch für die Bundesrepublik zu erwarten sein. Die Konsequenz aus diesen Diversifikationsbestrebungen von Medien-Konzernen sind die Reduzierung des thematischen Spektrums und die der journalistischen Stilformen. Diese kulturpolitisch zweifelhaften Auswirkungen gehen einher mit der medialen Austauschbarkeit von „Konzern-Journalisten“. Fluktuation und Mobilität, bis heute wenig in Journalistenkreisen zu beobachten, werden „zwangsweise“ verordnet! Die gesamte Entwicklung beim Medium Hörfunk (Radio) verläuft dagegen fast lautlos — in Praxis und Wissenschaft. Die neun Landesrundfunkanstalten der ARD, die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk in Köln, der RIAS in Berlin sowie einige Militär-und Alliiertensender strahlen eine beachtliche Zahl von Programmen aus, wobei die Servicewelle jeweils auch die Publikumswelle genannt werden kann. Hier hat sich das Magazin-Konzept weitgehend durchgesetzt;
gemixt werden Musik, Nachrichten, kurze Interviews und Kommentare, verbunden mit den Verkehrsdurchsagen und — bei fast allen Anstalten — Werbeeinblendungen. Die weiteren Kanäle stehen für regionale, lokale und Spezial-Programme zur Verfügung.
Wurden die Hörfunksender bisher nennenswert nur durch den von Luxemburg einstrahlenden Sender RTL beeinträchtigt, sind seit kurzem weitere Radio-Aktivitäten zu verzeichnen: Zuerst die alternativen oder affirmativen „Freien Radios“, dann private Stadtsender und nun auch kommerzielle Hörfunkanbieter „stören und störten“ das gewachsene Fundament der fröhlichen Wellen.
Die werbefinanzierten privatrechtlichen Radiostationen favorisieren eindeutig die nur von Nachrichten und Werbespots unterbrochene Publikums-Musik bzw. Musik für Jugendliche. Der Kanal wird total auf massenattraktive Unterhaltung gebracht, Spezial-und/oder Minderheiten-programme finden keinen Raum im Programm-angebot. Mittlerweile ist aber auch hier die vormalige „Goldgräbermentalität“ zugunsten einer realistischen Einschätzung gewichen. Erste Stationen geben ihre Lizenz zurück: das Werbeaufkommen einerseits, die fehlende breite Akzeptanz andererseits und die noch geringen Möglichkeiten der nationalen Verbreitung sind dafür die Gründe. Ein journalistisches Experimentiermedium wird der Hörfunk der Zukunft kaum werden. Verbesserte Klangqualität, Entspannung und Unterhaltung sowie Nachrichten in Schlagzeilen werden die publizistischen Funktionen sein und bleiben. Die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ARD und ZDF reagieren im Hinblick auf die kommende Fernsehkonkurrenz bereits sukzessive auf die Handlungen der privaten Programmanbieter. Nachweislich verläuft das Ergebnis eigener Aktivitäten in Richtung einer „SelbstkommerzialisieB rung“ der Anstalten, deren Programm sich im „Niveau“ bereits merklich antizipierten Privat-programmen nähert. Das zu besonderen Ereignissen, wie z. B. anläßlich der Olympischen Spiele, praktizierte „Frühstücksfernsehen“, das 1981 eingeführte Vormittagsprogramm, die Präsentation von Ansagen, Moderation und Unterhaltungssendungen sowie nicht zuletzt das überdeutliche Hinweisen auf die Unverwechselbarkeit des Senders sind Indikatoren dafür. Auch die erhöhten Anteile der Live-Berichterstattung und die früher undenkbare Ausdehnung von unterhaltsamen wie spannenden Sportübertragungen können als weitere Belege teilweise überhasteter Aktionen genannt werden.
Sieht man sich die Programmankündigungen der öffentlichen wie privaten Medien einmal an, so kann bereits jetzt eine generelle Regel der nordamerikanischen Kommunikationsforschung zuverlässig bestätigt werden: Das Programm wird durch eine quantitative Vermehrung (Vielzahl) nicht unmittelbar auch qualitativ interessanter (Vielfalt). Die Regel des „more of the same“ erlangt hier wiederum Gültigkeit; die Folge ist ein Fernsehmedium mit einem eindeutig unterhaltsamen Programmangebot, in dem selbst politische, wirtschaftliche und kulturelle Fragen „mediengerecht“ aufgearbeitet werden müssen, im Klartext: publikumswirksam produziert, selektiert und präsentiert werden. Die Parkinsonsche Neigung zur seriellen Manie (Dallas, Denver, Schwarzwald-Klinik oder Lindenstraße), zur Publikums-bindung und möglichst hohen Einschaltquoten, verbunden mit kostendeckenden und profitablen Weibeerlösen ist dem privatrechtlichen Medien-mechanismus immanent. Mit zwei bis drei nationalen Sendern wird der lange gesellschaftlich privilegierte und aufgrund zahlreicher Affären sicher reformbedürftige öffentlich-rechtliche Rundfunk (Proporz/Ausgewogenheit) rechnen müssen, und dabei wohl den Programmauftrag oft zugunsten des Publikumsgeschmacks vernachlässigen. Hier bahnt sich ein viertes „Fernsehurteil“ des Bundesverfassungsgerichts bereits an. ARD und ZDF sowie die mittlerweile zu Vollprogrammen etablierten fünf Dritten Programme zeigen „Assimilationseffekte“, anstatt sich auf ihre originären Leistungen zu besinnen und ein unverwechselbares Profil im publizistischen Bereich zu gewinnen.
Die Kinotheater und Lichtspielhäuser befinden sich in einer langwierigen und schwierigen Phase auf der Suche nach eben jenem publizistischen Profil. Kontinuierlicher und dauerhafter Zuschauerschwund gehen einher mit Film-und Produktionskrisen, Schließung von Lichtspielhäusern und wichtigen Genre-Veränderungen. Film-förderung und die Kooperation mit dem Medium Fernsehen sorgen zwar für noch überdauernde Existenzen, aber nicht selten werden Kinofilme zuerst im Fernsehen und dann im Kino vorgeführt. Interessant ist jedoch eine weitere augenfällige Veränderung des Kinos: Die Räume werden kleiner, die Filme zielgruppenspezifischer, die Sujets ausschließlicher. Auf das Medium Fernsehen und seine übliche Rezeptionssituation einerseits eingehend, andererseits inhaltlich aber dem Versuch folgend, sich vom „großen, übermächtigen Bruder“ zu trennen, verharrt das Kino in einer Situation der Verunsicherung. Unübersehbar ist das Kino dem Fernsehen immer ähnlicher geworden —, sind Produktions-, Distributions-und Rezeptionsbedingungen ohne medien-spezifische Konturen. Ob zur Zeit bereits der Punkt einer medienfunktionalen Koexistenz gegeben ist, scheint fraglich. Weitere Reduzierungen und Modifizierungen des Kinos der Zukunft sind dagegen eher wahrscheinlich.
Die hier beschriebene Situation ist durch die Entwicklung und Ausbreitung des Videorecorders in Privathaushalten der Bundesrepublik noch verschärft worden. Das wesentliche Anschaffungskriterium eines Videorecorders ist die Aufzeichnung und zeitversetzte Wiedergabe von Fernsehsendungen, besonders von Spielfilmen, Musik-sendungen, Quiz und Shows. Daneben ist für viele Eigentümer auch das Abspielen von gekauften oder geliehenen Programmkassetten wichtig, besonders jener Genres, die im öffentlich-rechtlichen TV nicht angeboten werden können. Das „Pantoffelkino“ bekommt hier eine neue qualitative Dimension: Pornographie und Brutalität kann im Wohnzimmer, nahezu unkontrollierbar, auch an Zuschauer gelangen, die sicher noch nicht auf diese Inhalte vorbereitet sind und den Umgang damit auch nicht gelernt haben bzw. dazu auf Grund ihrer Entwicklung noch nicht fähig sind. Die tatsächlichen Konsequenzen werden kumulativ und damit langfristig sein, ihre genaue Dimension ist heute noch gar nicht festzustellen.
Die dritte Dimension: Soziale Konsequenzen Die eingeleitete Computerisierung und Mediatisierung des Alltags, im Beruf wie in der Freizeit wird Folgen haben, die heute sicher noch nicht sichtbar sind. Sie wird jedoch weder apokalyptische noch einzig fortschrittliche Dimensionen zeigen. Die Medien sowie die technische Umwelt werden den Menschen nicht beliebig beeinflussen und verändern oder gar manipulieren können. Andererseits ist das Publikum auch nicht so autonom, als könne es quasi eigenständig und unbeeindruckt den Kommunikationsprozeß steuern. Beide, die Medien und der Mensch, stehen in einem dynamisch-transaktionalen Verhältnis zueinander, steuern und beeinflussen sich gegenseitig. Die zukünftige Informationsgesellschaft wird Konsequenzen für das Gemeinwesen, die Familie und den einzelnen haben. Diese Erkenntnis ist offensiv in politische Planungen und Steuerungen umzusetzen. Wie bereits nach kurzer Zeit auch hierzulande zu sehen ist, gibt es keinen immanenten Automatismus von medialer Vielzahl und publizistischer Vielfalt. Neben dieser generellen und wesentlichen Erkenntnis ist auch als empirisch gesichert anzunehmen, daß eine quantitative Vermehrung des TV-Angebots nicht oder kaum zur quantitativen Ausdehnung der Nutzungsdauer führen wird. Durchschnittlich wird kaum ein erhöhter Fernsehkonsum festzustellen sein. Die Ausnahmen jedoch sind wesentlich: Kinder, Jugendliche und ältere Menschen einerseits, Minderheiten, Arbeitslose und soziale Randgruppen andererseits. Die jeweilige Kombination — also etwa jugendliche Arbeitslose — führt sicher zur Potenzierung möglicher — eher negativer — Konsequenzen. Hier wird wieder einmal sichtbar, das weitblickende Sozial-oder Wirtschaftspolitik auch ein Stück Medien-oder Kommunikationspolitik sein muß.
Unschwer ist zu erkennen, daß das Medium Fernsehen zukünftig noch stärker als bisher ein weitgehendes Unterhaltungs-Medium sein wird. Information und Dokumentation, Kritik und Kontrolle werden im Fernsehen der Zukunft unterrepräsentiert, Ablenkung, Zerstreuung und Unterhaltung dagegen überrepräsentiert sein. Das vielfältige Programmangebot wird zur Segmentierung des Publikums führen, der bisherige gemeinsame Gesprächsstoff durch und mittels der Medien wird fehlen. Damit wird eine wichtige Wirkungsqualität der Medien, die soge-nannte Thematisierungs-und Themenstrukturierungsfunktion, eingeschränkt. Zahlreiche Zuschauersegmente werden verschiedene Gesprächsgrundlagen verzeichnen, da sie sich unterschiedlichen Fernsehinhalten zugewendet haben. Diese für den Alltag nicht zu unterschätzende negative Konsequenz geht einher mit einer weiteren sozialpolitisch wichtigen Auswirkung: Die Kluft zwischen den Wissenden und Informierten zu den eher Unwissenden und Uninformierten dürfte unter dem Einfluß der Massenmedien, besonders des Fernsehens, eher größer als kleiner werden. Dieses Anwachsen der Wissenskluft steht pädagogischen und demokratietheoretischen Erwägungen entgegen. Hier wird die Notwendigkeit einer professionellen Kommunikationspolitik deutlich, aber auch die offenkundige Diskrepanz zu den bisher praktizierten politischen Usancen.
Eine in den vergangenen Jahren zu beobachtende weitere Tendenz läßt jedoch den Stellenwert der Kommunikationspolitik — und das ist zu wünschen — wieder geringer erscheinen: Nie zuvor gab es so zahlreiche und intensive „Außer-HausAktivitäten“ der Bürger der Bundesrepublik. Die zunehmende Freizeit geht nicht ausschließlich in Medienkonsum über; sie wird verstärkt und vermehrt in spielerisch-sportliche, körperbetonte Beschäftigungen investiert. Die Mitgliederzahlen im Deutschen Sportbund, die breite gesellschaftliche Akzeptanz von verschiedenen Fitness-Wellen, die Nutzung und Benutzung kommerzieller Angebote in Ergänzung zum Sportverein sowie die Tatsache, daß das breitgefächerte Freizeitangebot auch von Bevölkerungsschichten oder -gruppen angenommen wird, die bisher daran selten beteiligt gewesen sind, läßt erahnen, daß sowohl die zukünftige Computergesellschaft im Arbeitsleben wie die komplette Mediengesellschaft in der Freizeit dem Individiuum Mittel und Möglichkeiten lassen, sich nach eigener Entscheidung davon zu lösen und als sinnvolles Äquivalent selbstgesteuerte Aktivitäten zu initiiren. Hier wird Kommunikation als soziales Handeln begriffen und erlebt, bei dem die Primärerfahrung und sinnliche Erkenntnis eine wichtigere Rolle spielen als Konsum, Rezeption und gesellschaftliche Passivität. Die Bürger der Bundesrepublik auf die „Kommunikationsrevolution“ vorzubereiten, zu befähigen und damit die Wirkungen kalkulierbar oder gar sozial erwünschbar zu gestalten, ist eine vordringliche Aufgabe von Wissenschaft, Politik und Praxis. Diese Aufgabe muß als dringlicher sozialer Auftrag verstanden werden, soll es nicht für einige Gruppen zu problematischen Konsequenzen kommen.