Rüstungsproduktion in der Bundesrepublik Industrielle Überkapazitäten und staatliche Finanzierungsengpässe
Peter Wilke/Herbert Wulf
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Zusammenfassung
Großen Teilen der Rüstungsindustrie in der Bundesrepublik drohen heute erhebliche Kapazitätsauslastungsprobleme. Industriellen Überkapazitäten stehen staatliche Finanzierungsengpässe gegenüber. Weder eine veränderte Beschaffungspolitik der Bundeswehr noch erhöhte Rüstungsexporte scheinen aufgrund der haushaltspolitischen Rahmenbedingungen und der Situation auf dem Weltrüstungsmarkt geeignet zu sein, diese Kapazitätsauslastungsprobleme zu lösen und damit verbundene Entlassungen in der Rüstungsindustrie zu verhindern. Der Aufbau industrieller Überkapazitäten ist ein typisches Phänomen für die Rüstungsproduktion, ein eingebauter Mechanismus, der sich aus den Interessen der Rüstungsindustrie, militärischem Nachfolgedenken in Waffengenerationen und neuen Optionen aufgrund technologischer Entwicklungen ergibt. Der allgemein übliche Hinweis auf die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft als Problemlösungsstrategie ist heute — angesichts anhaltender Massenarbeitslosigkeit — wenig überzeugend. Gemessen an den aufgrund bisheriger Planung prognostizierbaren Finanzproblemen muß die Politik weniger über zusätzliche Rüstungsobjekte als über die Möglichkeit der Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Fertigung nachdenken.
Große Teile der Rüstungsindustrie in der Bundesrepublik stehen heute — nach einer relativ langen Phase der Expansion und des Bemühens um internationale Wettbewerbsfähigkeit — vor erheblichen wirtschaftlichen Problemen. Die Situation ist gekennzeichnet durch industrielle Überkapazitäten einerseits und staatliche Finanzierungsengpässe andererseits.
Wir werden die laufende und die geplante Beschaffungspolitik des Bundesverteidigungsministeriums in ihren Konsequenzen für die Rüstungsindustrie und den Staatshaushalt darstellen und die Versuche analysieren, durch erhöhte Rüstungsexporte Kapazitätsauslastungsprobleme zu lösen. Heute sind Entwicklungen erkennbar, die für die Rüstungsproduktion typisch sind und geradezu beispielhaft Thesen früherer wissenschaftlicher Untersuchungen belegen. Aus der Analyse folgt die Notwendigkeit der Umorientierung der Beschaffungsplanung der Bundeswehr.
I. Zur Struktur und Entwicklungsdynamik der Rüstungsindustrie
Rüstungsproduktion und damit auch die Rüstungsindustrie sind in besonderem Maße abhängig von politischen Entscheidungen. Der Staat bestimmt direkt (über Nachfrage für die Streitkräfte) und indirekt (über Regelung der Export-bestimmungen) die Marktgröße bzw. Marktchance der Rüstungsindustrie.
Für die Entwicklung der Rüstungsindustrie in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg waren zwei politische Vorgaben wichtig: Man wollte auf der einen Seite aus politischen und volkswirtschaftlichen Gründen eine eigene Rüstungsindustrie schaffen, um Abhängigkeiten vom Ausland zu vermeiden, als vollwertiger Partner in der internationalen Politik anerkannt zu werden und um wirtschaftliche Vorteile dieser Staatsausgaben wie Technologieförderung, Stärkung bestimmter — als volkswirtschaftlich wichtig wahrgenommener — Industriezweige und Schaffung von Arbeitsplätzen zu nutzen Auf der anderen Seite sollte kein neuer, spezieller Industriezweig entstehen, sondern die Rüstungsindustrie sollte weitgehend in die übrige Industrie integriert werden. Dieses Bemühen wurde durch die Tatsache begünstigt, daß das Produkt „Rüstung“ immer komplexer wurde und heute typischerweise nicht mehr in einer Firma gefertigt werden kann. In ein modernes Waffensystem, wie z. B. einen Kampfpanzer, geht eine Palette von industriellen Produkten ein. Rüstungsproduktion ist heute nicht mehr die Sache von einigen wenigen Rüstungsschmieden oder Spezial-betrieben, sondern beansprucht eine breite industrielle Basis.
In Teilen wurden beide Ziele erreicht: der Aufbau einer nationalen Rüstungsindustrie, die heute in wichtigen Bereichen technologisch Anschluß an die führenden USA gefunden hat, sowie die Eingliederung dieser Industrie in die gesamte Wirtschaftsstruktur. Vergleichende Untersuchungen belegen, daß die bundesdeutsche Rüstungsindustrie z. B. stärker in die Gesamtwirtschaft integriert ist als die französische oder britische Nur in Ausnahmefällen hängen Firmen ganz oder überwiegend von militärischen Aufträgen ab. Das für die Rüstungsindustrie typische Phänomen ungleichmäßiger, zyklischer Auslastung der vorhandenen industriellen Kapazitäten durch die Nachfrage der Streitkräfte nach Waffen und Ausrüstung kann daher u. U. leichter von den einzelnen Firmen bewältigt werden.
Die Rüstungsproduktion — und mit ihr die Rüstungsindustrie — durchlief in der Bundesrepublik bislang vier Phasen die erste Phase: das langsame Anlaufen der Produktion bis 1955 noch vor der Gründung der Bundeswehr; die zweite Phase: die Fertigung der ersten Waffengeneration (meist in Lizenz) im Rahmen der Wiederbewaffnung 1956-1961; die dritte Phase: gekennzeichnet durch einen kräftigen Wachstumsschub 1961 bis ca. 1973; die vierte Phase: abermals gekennzeichnet durch kräftige Expansion der Kapazitäten ab ca. 1973 bis Anfang der achtziger Jahre.
Derzeit befindet sich die Rüstungsindustrie in einer Situation einerseits rückläufiger Aufträge und andererseits bemerkenswerter Konzentrationstendenzen. Während in der Vergangenheit eine große Zahl von Industrieunternehmen Rüstungsaufträge erhielt, entwickelten sich in den achtziger Jahren zwei dominante Rüstungskonzerne Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB), schon seit langem in der Spitzengruppe zu finden, wurde durch die Fusion mit VFW-Fokker und durch die Beteiligung am Panzerhersteller Krauss-Maffei zum größten Rüstungshersteller in der Bundesrepublik. Inzwischen signalisierte der Automobil-hersteller BMW Interesse an einer Mehrheitsbeteiligung bei MBB. 1985 entstand durch den Kauf von MTU (Triebwerksbau), Dornier (Luft-rüstung) und AEG (Militärelektronik, Marinerüstung) durch Daimler Benz ein zweites großes Rüstungsunternehmen in Süddeutschland. Beide Firmen sind durch die Konzentration in der Lage, eine breite Palette rüstungsindustrieller Produkte für Heere, Luftwaffen und Marinen anzubieten und verfügen über Tochterfirmen, die im Bereich der Hochtechnologie engagiert sind.
Während 1980 die zehn größten Rüstungsunternehmen 37 Prozent aller Rüstungsaufträge erhielten vereinigen die beiden neuen Rüstungskonzerne 1985 allein schätzungsweise knapp ein Drittel auf sich.
Die im Rüstungsbereich ohnehin kaum vorhandene Konkurrenz wird mit diesen Firmenzusammenschlüssen weiter eingeschränkt, zumal die beiden großen Rüstungsunternehmen über Bankenbeteiligungen mit weiteren Rüstungsfirmen verflochten sind. Aufgrund ihrer Kapitalkraft und ihres technologischen Know-hows werden die Firmen MBB und Daimler Benz in Zukunft eine stärkere Position auf dem Weltrüstungsmarkt einnehmen.
Zu den Besonderheiten der Rüstungsproduktion gehört, daß ihr Verlauf in Friedenszeiten stark von Nachfragezyklen bestimmt ist. Der Bedarf einer Armee wie der Bundeswehr verteilt sich nicht gleichmäßig über die Jahre, sondern folgt bestimmten „Lebenszyklen’ von Waffensystemen und politischen Vorgaben. Die Nachfrage nach Rüstungsproduktion zeigt immer wieder Höhen und Tiefen. Der wellenförmige Verlauf der Beschaffungen führt mit dazu, daß es einen quasi automatischen Mechanismus zum Aufbau von rüstungsindustriellen Überkapazitäten in Entwicklung und Produktion gibt Weitere Faktoren verstärken die Neigung zum Aufbau bzw. Erhalt von Überkapazitäten: Aufgrund sicherer und hoher Gewinne, die durch Rüstungsproduktion möglich sind, halten viele Firmen Kapazitäten in Erwartung eines zukünftigen Auftrags aufrecht und sind daher nicht bereit, Kapazitätsanpassungen vorzunehmen oder ihre Produktion umzustellen. Durch ständige technische Innovationen werden die „Lebenszyklen’ von Waffensystemen verkürzt bzw. neuer Bedarf geschaffen. Die anhaltende Innovation — und die daraus resultierende Veralterung vorhandener Waffensysteme — kommt dabei dem Denken der militärischen Planer entgegen.
Der hohe Input an Forschungs-und Entwicklungsgeldern muß zusammen mit extremen Leistungs-(und damit auch Fertigungs-) anforderungen wie ein ständiger Anreiz zur Produktivitätssteigerung wirken und wieder zur Schaffung von mehr Kapazitäten führen. Die britische Wissenschaftlerin Mary Kaldor hat das Ergebnis des Zusammenwirkens der verschiedenen politischen, militärischen und industriellen Interessen in der Rüstungsproduktion als „Rüstungsbarock“ bezeichnet Die Kombination von militäri-schem Konservatismus, in Waffengenerationen und Nachfolgesystemen zu denken, und technisch-industrieller Dynamik bringt allerdings bei steigenden Kosten immer weniger Effektivitätszuwachs: Die Waffensysteme werden von Generation zu Generation komplexer und teurer. Die Folgen sind einsichtig: Da die Kosten des einzelnen Waffensystems steigen und die finanziellen staatlichen Mittel nicht ohne wirtschaftlich und sozial negative Folgen im selben Maße erhöht werden können, bleibt nur die Alternative, weniger Waffensysteme zu bestellen und zu kaufen. Entweder werden die vorhandenen Kapazitäten noch weniger ausgelastet oder es müssen Abstriche in anderen Bereichen staatlicher Aufgaben vorgenommen werden. Verschärft wird dieses generelle Dilemma heute durch die allgemeine wirtschaftliche Krise, die den Rahmen staatlicher Finanzierungsmöglichkeiten drastisch einschränkt.
Die Politik hat ohne großen Erfolg versucht, in den Bereich der Rüstungsproduktion richtungsweisend einzugreifen. So gab es zwar immer wieder Bemühungen zu einer gemeinsamen westeuropäischen Rüstungspolitik, die sich aber nicht nachhaltig durchsetzen konnte. Immer noch bestimmen Konkurrenz und nationale Alleingänge die westeuropäische Rüstungsproduktion nachhaltiger als die politisch und militärisch gewünschte Zusammenarbeit Die folgende Analyse einzelner Bereiche der Rüstungsindustrie versucht zu zeigen, daß die Probleme in Teilbereichen inzwischen zu groß sind, um ein weiteres Durchlavieren zu erlauben.
II. Beschaffungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland: zwischen Innovation und Konservativismus
Abbildung 3
(in Millionen US-Dollar) 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 120 210 420 700 900 975 1 200 1 400 1 400 900 1 800 235 378 694 1 095 1-330 1 341 1 522 1 630 1 491 900 1 726 Tabelle 1: Deutschland Rüstungsexporte der Bundesrepublik Quelle: Jahr laufende Preise Festpreise 1982 U. S. Arms Control and Disarmament Agency, World Military Expenditures and Arms Transfers, Washington 1985, Tabelle II.
(in Millionen US-Dollar) 1973 1974 1975 1976 1977 1978 1979 1980 1981 1982 1983 120 210 420 700 900 975 1 200 1 400 1 400 900 1 800 235 378 694 1 095 1-330 1 341 1 522 1 630 1 491 900 1 726 Tabelle 1: Deutschland Rüstungsexporte der Bundesrepublik Quelle: Jahr laufende Preise Festpreise 1982 U. S. Arms Control and Disarmament Agency, World Military Expenditures and Arms Transfers, Washington 1985, Tabelle II.
Die Beschaffungsplanung der Bundeswehr steht heute in mehrerer Hinsicht vor einer entscheidenden Situation, in der langfristig die Weichen für die Rüstung der Bundeswehr in den neunziger Jahren und darüber hinaus gestellt werden. Verschiedene Faktoren erfordern und fördern eine neue konzeptionelle Festlegung: Nach Auslaufen der Beschaffungen und der damit verbundenen finanziellen Belastungen durch die 2. Waffengeneration der Bundeswehr werden in den kommenden Jahren wieder mehr Mittel für neue Projekte frei. Durch technische Weiterentwicklungen erscheinen in einigen Bereichen neue konventionelle Optionen möglich. Als dritter Faktor wirkt das allgemein-sicherheitspolitische Klima in Europa: im militärisch-politischen Establishment wird eine Umorientierung der Militärstruktur zugunsten einer größeren Betonung der konventionellen Bewaffnung thematisiert. 1. Anspruch und Wirklichkeit der Planung Mit drei Beschlüssen wurde 1984 versucht, die Richtung festzulegen, auch wenn in den Details noch vielfältige Widersprüche liegen:
— Anfang des Jahres legte das Verteidigungsministerium den Bundeswehrplan 1985 vor, in dem im Detail die Rüstungsbeschaffung für den Zeit-raum bis 1997 geplant ist (überarbeitete Versionen sind jährlich vorgesehen).
— Im November entschied sich die Botschafter-versammlung der NATO in Brüssel für das seit langem von ihrem Befehlshaber propagierte FOFA-Konzept (Follow-on forces attack, auch Rogers-Plan genannt). Umfangreiche konventionelle Um-und Aufrüstung mit neuen Trägersystemen, sogenannter intelligenter Munition und Aufklärungs-und Führungseinrichtungen erfordert die Durchführung des Rogers-Plans mit seinem Schwerpunkt „Angriff in die Tiefe“.
— Der Bundeshaushalt 1985, der für den Einzelplan 14 „Verteidigung“ eine Steigerung von 2, 4% vorsieht (der Gesamthaushalt steigt nur um 0, 9%), muß als Startschuß für die Aufrüstung der Bundeswehr mit der 3. Waffengeneration für die neunziger Jahre angesehen werden. Deutlich wird dies besonders im Untertitel „Forschung und Entwicklung“ mit beträchtlichen Erhöhungen. Die überproportionale Steigerung des Etats „Verteidigung" ist auch für 1986 vorgesehen; die Steigerung der Ausgaben liegt erneut höher als die Steigerung der gesamten Bundesausgaben. Die Forschungs-und Entwicklungsaufwendungen sollen von 1985 bis 1986 um 6% steigen Mit diesen Vorgaben geht das Verteidigungsministerium nach weitgehendem Abschluß der Beschaffungen der 2. Waffengeneration in eine neue Rüstungsrunde. Man legt sich in zahlreichen Einzelprojekten für eine neue Waffengeneration fest, ohne dabei ein schlüssiges Gesamtkonzept zu verfolgen. Zwar behauptet die politische Führung vom einfachen Nachfolgedenken Abschied genommen zu haben und neue Schwerpunkte zu setzen aber die Tatsachen deuten eher in eine andere Richtung. Eine Analyse der Beschaffungsvorhaben zeigt, daß zwei Tendenzen deren Planung prägen: zum einen das Nachfolgedenken und zum anderen die Konzeption einer Vielzahl von Systemen, die qualitativ neue Optionen für die Bundeswehr ermöglichen, wie sie auch im Rogers-Plan gefordert werden.
Daß die Bundeswehrplanung keineswegs die im Ministerium beschworene Abkehr vom Nachfolgedenken widerspiegelt, zeigen die wichtigsten Beschaffungsvorhaben der neunziger Jahre. Keine der drei Streitkräfte verzichtet auf „ihre“ Großwaffensysteme. Eingeplant sind unter anderem Jagdflugzeug 90, Marinehubschrauber 90, Panzerabwehrhubschrauber 2, Transporthubschrauber, gepanzerte Kampfwagen 90, Kampf-panzer, Pershing 1 b, Fregatten 90, Unterseeboote U-211, Minenjagdboote Bürokratisches Beharrungsvermögen bei den 2treitkräften und in der Rüstungsplanung sowie der Druck der Rüstungsindustrie fördern solches Nachfolgedenken. Gleichzeitig bieten aber neue Technologien neue Möglichkeiten für die Streitkräfte Der Kompromiß: sowohl die traditionellen Großwaffensysteme als auch neue Technologien (soge-nannte emerging technologies) wie etwa selbständig Ziele ansteuernde Streu-und Submunition und Flugkörper sowie Aufklärung-und Führungseinrichtungen werden verlangt und finden Eingang in die Beschaffungsplanung.
Es soll an dieser Stelle nicht versucht werden, eine strategische und taktische Bewertung der Bundeswehrlangzeitplanung vorzunehmen. Hier ist nur interessant, daß die Dynamik technologischer Innovation im militärischen Bereich zu zu sätzlichen Beschaffungen führt; im Zweifelsfall wird beides geplant, Altes und Neues. Es zeigen sich in der Planung sowohl die oben beschriebenen Linien , barocker Technologie 4, ein bürokratisches Beharrungsvermögen militärischer Planer (bei ihren traditionellen Hauptwaffensystemen) und Ansätze waffentechnologischer Innovation. Für die bundesdeutsche Rüstungsindustrie sind die gefaßten Beschaffungsbeschlüsse ein Silberstreifen an einem ansonsten sehr grauen Himmel. In den siebziger Jahren hatte sie durch die Fertigung der 2. Waffengeneration der Bundeswehr in weiten Teilen Anschluß an die wehrtechnische Weltspitze gefunden. Großprojekte wie MRCA Tornado, Fregatte 122, Leopard 2, Alpha Jet, Panzerabwehrhubschrauber etc. sicherten Gewinne, Technologie und Forschungskapazitäten. Zusätzlich konnte ein wachsender Anteil des Weltrüstungsmarktes in der Dritten Welt „erkämpft“ werden. Es war abzusehen, daß die so aufgebauten Kapazitäten mittelfristig nicht durch die Nachfrage der Bundeswehr allein ausgelastet werden konnten. Nach Auslaufen der verschiedenen Großprojekte ab 1986 ist für Teile der Rüstungsindustrie eine krisenhafte Entwicklung prognostizierbar, mit entsprechendem Druck auf die Politik und dem Versuch, Probleme über den Export zu mildern. Die neuen Beschaffungsvorhaben wirken sich bei der Rüstungsindustrie mittelfristig nicht in der Produktion, sondern in Forschung und Entwicklung aus. (Die Krise wird allerdings vor allem eine Beschäftigungskrise sein, da die weitgehende Monopolstellung den jeweiligen Herstellern auf ihrem speziellen Gebiet auch weiterhin Gewinne ermöglicht.) 2. Die Auslastungsprobleme der Rüstungsindustrie Eine Studie des Verteidigungsministeriums kommt auf der Grundlage geschätzter Aufwendung laut mittelfristiger Bundeswehrplanung (ca. 80% des geplanten Beschaffungsvolumens) zu folgender Prognose:
„Bezogen auf einzelne Branchen oder einzelne Betriebsstätten von Unternehmen kommt es je nach Investitionsschwerpunkt zu Beschäftigungsund Auslastungsschwankungen ... Rüstungsplanung und Vergabepolitik sind nur sehr begrenzt in der Lage, Höhen und Täler ausgeglichen zu moderieren ... Die Auswirkungen der Beschaffungsplanung auf die Beschäftigungslage einzelner untersuchter Industriebereiche sehen sehr unterschiedlich aus.
Elektronik: steigend Der Elektronikanteil an modernen Waffensystemen beträgt heute 40%. Er wird durch die Ab-29 rundung der beschafften Waffensysteme durch Peripherie wie durch die technische Weiterentwicklung weiter ansteigen und bis 1988 auf dem Rüstungssektor der Branche einen Anstieg des Arbeitsvolumens von rechnerisch rund 20% bewirken.
Waffen und Munition: stark steigend Auch in der Waffen-und Munitionsindustrie ist eine günstige Beschäftigungsentwicklung voraussehbar ... Das untersuchte Beschäftigungsvolumen wird sich bis 1988 um rund 50% erhöhen. Schiffbau: unterschiedlich Das Auftragsvolumen aus Großvorhaben der Bundeswehr für die Schiffbauindustrie verringert sich von niedrigem Niveau ausgehend bis 1988 weiter. Hiervon sind insbesondere die Großwerften betroffen ...
Panzer: starkfallend Bei der Panzerindustrie sinkt das verbleibende Beschäftigungsvolumen von 1984 bis 1988 um etwa 40%. Dies ist im wesentlichen die Folge des Auslaufens der LEOPARD-2-Produktion ab 1986. Neue Vorhaben im Bereich der Artillerie und der Kampfwertsteigerung gepanzerter Fahrzeuge setzen erst ab 1986/87 ein und reichen nicht aus, das Tal auszugleichen ...
Luft-und Raumfahrtindustrie: starkfallend Ohne die Avionikanteile, die der elektronischen Industrie zuzuordnen sind, sinken die beschäftigungswirksamen Aufträge bis 1988 wertmäßig um rund 30%. Die Entwicklung wird maßgeblich verursacht durch Auslaufen der laufenden Flugzeug- und Hubschrauberproduktion.“
Das Fazit: Würden die Planungsvorhaben nicht verändert, wäre das einzig größere Geschäft der Panzerindustrie die Kampfwertsteigerung des Leopard 1 Kampfpanzers. Die großen Panzerbauerfirmen MaK und Krauss-Maffei müßten mit erheblichen Einbußen rechnen. Im Schiffbau sind vor allem die Großwerften betroffen, die zudem im Handelsschiffbau keine Perspektive sehen. Die Vorstände bezeichnen daher den Export von Kriegsschiffen für die Werften als eine Über-lebensfrage Für die Luft-und Raumfahrtindustrie ist sowohl im militärischen wie auch im zivilen Flugzeugbau mit Problemen zu rechnen.
III. Die Alternativen
Abbildung 4
Gesamtausgaben Arbeit und Sozialordnung (Epi. 11) Verkehr (Epi. 12)
Jugend, Familie und Gesundheit (Epi. 15) Forschung und Technologie (Epi. 30) Bildung und Wissenschaft (Epi. 31) Verteidigung (Epi. 14)
Diese 1984 prognostizierten Ergebnisse werden inzwischen durch die Entwicklung in der Rüstungsindustrie bestätigt. Einzelne Firmen versuchen schon jetzt, durch Entlassungen ihre Belegschaftsstärke anzupassen. Aber Entlassungen und Kapazitätsreduzierungen sind nur eine Möglichkeit, auf die Situation zu reagieren. Andere Auswege sind ein verstärkter Rüstungsexport oder auch ein politischer Lobbyismus hinsichtlich einer erhöhten Produktion für die Bundeswehr (d. h. Veränderung des Bundeswehrlangzeitplans). Theoretisch denkbar wäre es auch, die Umstellung rüstungsindustrieller Kapazitäten auf zivile Fertigung zu planen. 1. Chancen im Rüstungsexport?
Zweifellos sind die oben beschriebenen Konzentrationstendenzen der Rüstungsindustrie unter anderem auf das Bemühen zurückzuführen, am Weltmarkt konkurrenzfähiger zu werden. Ob die Firmenstrategie mit Blick auf den (vor allem im Zeichen der Weltraumrüstung) wachsenden Markt in den Vereinigten Staaten erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. In der Vergangenheit klagten westeuropäische Rüstungsfirmen regelmäßig über die unausgeglichene transatlantische Rüstungshandelsbilanz.
Die sinkende Auslastung der Kapazitäten in Teilen der Rüstungsindustrie wird von Seiten der Firmen zu einem stärker werdenden Druck für Rüstungsexporte vor allem in die Dritte Welt führen. Die erneut angefachte Debatte um den Export des Leo 2 sowie der geplante Verkauf einer Munitionsfabrik nach Saudi-Arabien sind nur erste Signale. Die Chancen für eine Offensive im Rüstungsexport hängen von zwei widersprüchlichen Tendenzen ab: Ökonomisch sind die Chancen weit schlechter als vor einem Jahrzehnt, politisch kann jedoch die Rüstungsindustrie mit stärkerer Unterstützung der Bundesregierung rechnen, als dies früher der Fall war. Die seit Mitte der siebziger Jahre steil nach oben weisende Kurve der Rüstungsimporte der Entwicklungsländer hat sich in den letzten Jahren abgeflacht; für einzelne Jahre ist sogar ein Rückgang der Rüstungsimporte zu verzeichnen. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI bezifferte den Export von Großwaffensystemen in Entwicklungsländer für das Jahr 1978 (inflationsbereinigt) auf zwölf Milliarden Dollar; für 1984 waren die Transfers auf unter acht Milliarden gesunken (siehe Schaubild).
Ursache der verminderten Rüstungsimporte der Dritten Welt ist allerdings keineswegs eine plötzlich entdeckte Abneigung der Waffenlieferanten gegen die Aufrüstung oder die Einsicht bei den Regierungen der Importländer in die Notwendigkeit, weniger für Rüstung und mehr für Entwicklung aufzuwenden. Vielmehr waren es im wesentlichen ökonomische Zwänge, die zur Zurückhaltung führten: Zahlreiche große Rüstungsimportländer der Dritten Welt gerieten in Zahlungsschwierigkeiten; die Devisen für Rüstungsimporte wurden knapper. Teilweise summierte sich die Auslandsverschuldung derart, daß der internationale Währungsfonds und westliche Gläubigerbanken in aller Eile Umschuldungs-und Beistandspläne vorlegen mußten. Zu den Problem-ländern, die von der Verschuldungskrise betroffen sind und gleichzeitig als große Rüstungsimporteure galten, gehören Argentinien, Chile, Ecuador, Peru, Venezuela, Zaire und Sambia, bedingt auch Brasilien. Hochverschuldet sind ebenfalls die Waffenimporteure Israel, Südkorea, die Philippinen und Indonesien. In welchem Maße die Verschuldung der Dritten Welt von Rüstungsimporten verursacht wurde, ist nicht einmal annäherungsweise bekannt, da Statistiken hierüber nicht existieren
Noch entscheidender für den rückläufigen Rüstungstransfer in die Entwicklungsländer waren sinkende Deviseneinnahmen einiger ölexportierender Länder. Gerade die an den Konflikten im Nahen und Mittleren Osten beteiligten OPEC-Länder Iran, Irak, Saudi-Arabien, Lybien und Kuwait hatten nach der ersten Ölpreiskrise 1973 durch ihre Käufe zu der bis dahin für undenkbar gehaltenen Ausweitung des Rüstungshandels beigetragen. 1977 wurden von den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens fünfmal mehr Groß-waffen importiert als 1972. Nachdem die Öleinnahmen nicht mehr so reichlich flossen, drosselten einige Länder ihre großzügige Auftragsverga-be. Das hohe Niveau der Rüstungsimporte des Nahen Ostens, nicht zuletzt durch den israelisch-arabischen Konflikt und den Iran-Irak-Krieg verursacht, ist vor allem auf drei Länder (Ägypten, Irak und Syrien) zurückzuführen, die 1983 rund 45% aller Importe von Großwaffen der Dritten Welt tätigten. Angesichts der wirtschaftlichen Lage in diesen Ländern ist auch hier eine Umkehrung des Trends zu erwarten.
In den letzten Jahren traten zusätzlich neue Anbieter auf den lukrativen Rüstungsmärkten auf, unter ihnen auch Waffenimportländer wie Israel und Brasilien. Sie bieten neben einigen komplizierten Systemen billige, robuste, einfach zu handhabende Waffen an, die anscheinend den Konflikten und den ökonomischen Gegebenheiten einiger Dritte-Welt-Länder besser entsprechen. Israel exportierte Waffen in über fünfzig Länder. Der Iran-Irak-Krieg wird unter anderem durch Ersatzteillieferungen aus Nordkorea und Taiwan angeheizt. Für Brasilien, so meint die International Herald Tribune, werden die Rüstungsexporterlöse bald so wichtig sein wie die Deviseneinnahmen für Kaffee und Sojabohnen. Auch Südafrika, Singapur und Südkorea haben Exportoffensiven angekündigt. Die Konkurrenz der Anbieter scheint also härter zu werden Firmen aus der Bundesrepublik haben trotz dieser insgesamt ungünstigen Bedingungen in den letzten Jahren lukrative Geschäfte abschließen können. Folgt man den Angaben der Rüstungskontroll-und Abrüstungsbehörde der amerikanischen Regierung (ACDA), dann stieg der Rüstungsexport aus der Bundesrepublik — nach einem Absinken 1982 — 1983 erheblich. Aus den Angaben der ACDA geht ebenfalls hervor, daß — trotz gegenteiliger Erklärungen — über 80% der Rüstungsexporte in Entwicklungsländer gingen, nämlich 5, 5 von 6, 6 Mrd. US-Dollar (1979— 1983)
In der bundesdeutschen Öffentlichkeit regte sich Kritik nur vereinzelt und am Beispiel besonders spektakulärer Geschäfte — wie kürzlich zu den beabsichtigten Lieferungen nach Saudi-Arabien. Dabei wird übersehen, daß die geplante Lieferung von Fabriken zur Herstellung von Panzer-und Artilleriemunition sowie die Lieferung von Panzerkanonen kein Einzelfall ist. Im Gegenteil: Saudische Waffeneinkäufer gehen in der deutschen Rüstungsindustrie seit Jahr und Tag ein und aus. Veröffentlichte Rüstungsexportstatistiken der regierungsamtlichen amerikanischen Rü-stungskontrollbehörde ACDA zeigen, daß zwischen 1979 und 1983 für rund 1, 5 Mrd. D-Mark Rüstungsgüter geliefert wurden. Mit diesem Exportvolumen ist Saudi-Arabien drittbester Kunde in der Bundesrepublik, übertroffen nur noch von Argentinien und der Türkei und vor allen übrigen NATO-Ländern.
Während seit Jahren die Lieferung des Leopard-Kampfpanzers nach Saudi-Arabien kontrovers diskutiert wird, ist — quasi unbemerkt von der Öffentlichkeit — das Geschäft Rüstung gegen Öl angekurbelt worden. Die amerikanischen Statistiken schweigen sich über die Art der Lieferungen aus. Doch Insidern ist bekannt, daß seit langem eine deutsche Fabrik für Schnellfeuergewehre in Saudi-Arabien arbeitet, daß über den Umweg Großbritannien und Frankreich Teile von Waffen aus deutscher Fertigung den Weg ins Königreich Saudi-Arabien fanden und daß Firmen aus der Bundesrepublik mit der Erstellung einer militärischen Infrastruktur beauftragt wurden Offensichtlich sind bundesrepublikanische Firmen in den letzten Jahren in der Lage gewesen, Anteile in dem stagnierenden Weltrüstungsmarkt zu Lasten anderer Anbieter zu erobern. Zur Durchsetzung dieser Tendenz bedurfte es nicht nur einer großzügigen Exportgenehmigungspraxis der Regierung, sondern darüber hinaus aktiver politischer und finanzieller Unterstützung. Die für vier norddeutsche Werften so interessanten Exporte von Fregatten nach Portugal und in die Türkei sind nur mit erheblicher staatlicher Unterstützung der Bundesrepublik durchführbar. Im Fall der Portugal-Fregatten zeigt der Finanzierungsplan, daß von den insgesamt erforderlichen 1, 95 Mrd. DM für den Portugal-Auftrag nur 410 Mio. DM aus Portugal selbst kommen bzw. durch Kredite finanziert werden. Der Rest wird wie folgt aufgebracht:
US-Mittel 750 Mio. DM öffentl. Mittel aus der Bundesrepublik 394 Mio. DM Preisnachlaß des Industriekonsortiums 96 Mio. DM Beiträge anderer NATO-Länder 300 Mio. DM Von 1, 95 Mrd. DM Auftragswert entfallen rund 900 Mio. DM Lieferanteil auf Firmen aus der Bundesrepublik. Das heißt, um diesen Auftrag zu erhalten, muß mehr als die Hälfte (nämlich 394 plus 96 Mio. von 900 Mio. DM) als Geschenk vergeben werden Ähnliche Finanzierungen sind auch für Exporte außerhalb der NATO erforderlich, um Waffen verkaufen zu können. Aber auch unter der Voraussetzung solch massiver finanzieller Unterstützung von Rüstungsexporten bleibt der Exportmarkt beschränkt. Im wesentlichen ist die bundesdeutsche Rüstungsindustrie auf die Aufträge der Bundeswehr angewiesen. 2. Anpassung der Bundeswehrplanung Die Rüstungsindustrie darf nun hoffen, daß angesichts ihrer Auslastungsprobleme (und auch angesichts der Wünsche der Streitkräfte) die Bundeswehrlangzeitplanung zugunsten steigender Beschaffungen korrigiert wird. Die Bundeswehr bereitet zur Zeit bei allen drei Teilstreitkräften bislang nicht geplante Beschaffungen vor. Zwei zusätzliche Fregatten der „Bremen“ -Klasse sind für die Marine beschlossene Sache. Die Luftwaffe soll 40 neue Tornado in einer Aufklärungsund elektronischen Kampfführungsversion erhalten. Und das Herr wünscht zusätzlich 250 Leopard-2-Kampfpanzer. Alle drei Vorhaben waren weder im Bundeswehrplan 1985 noch in der gesamtplanerischen Bestandsaufnahme des letzten Jahres enthalten, die alle Rüstungsvorhaben bis zum Jahre 1998 festlegte.
Selbst die der Rüstungsindustrie nahestehende Zeitschrift „Wehrtechnik“ mutmaßt, daß nicht eine solide Bedrohungsanalyse, sondern das Zusammenspiel zwischen Streitkräften, Industrie und Politikern den Prozeß der Umplanung in Gang setzte. Zum Beispiel bei den Fregatten: „Mal war es die Marine, die — trotz mangelnder finanzieller Mittel — nach den Fregatten rief wegen gestiegender Aufgaben im Nordflankenraum, mal — gelegentlich wenig koordiniert mit der „offiziellen’ Marinepolitik — die Werftindustrie, die von Auslastungssorgen geplagt war. Konstant gefordert wie auch gefördert wurden die zwei Fregatten durch die sogenannte ‘Küsten-mafia’ (so betitelt von den mehr Heer oder Luftwaffe zuneigenden Landratten) unter den Abgeordneten.“
Doch damit war die Finanzierung von fast 1, 2 Mrd. DM für zwei Fregatten noch nicht gesichert. Auch hier scheinen unterschiedliche Interessen zu einem Paket geschnürt worden zu sein. Die Wehrtechnik schreibt: „Stoltenberg (als Schleswig-Holsteiner) soll im Kabinett erst zugestimmt haben, diesen Auftrag nach Bremen und Niedersachsen zu vergeben, als einigermaßen sicher war, daß Hamburger und Schleswig-Holsteiner Werften die drei portugiesischen Fregatten bauen (für die der Bund — sprich Stoltenberg — über das Auswärtige Amt eine Rüstungssonderhilfe von 140 Mio. DM zur Verfügung stellen will), Bremen habe quasi als Dank für die Fregatten im Bundesrat als einziges SPD-regiertes Land der Frühpensionierung der Offiziere zugestimmt.“
Nun mag man dies als unzulässige Vereinfachung komplexer Politikprozesse abtun, aber auch bei den anderen Beschaffungsprojekten lassen sich gewisse Verbindungen aufzeigen. Die Luftwaffe hat Aufklärungsflugzeuge gefordert und soll für diese Aufgabe 40 MRCA-Tornado mit einem Gesamtaufwand von rund 3 Mrd. DM erhalten. Es wäre zwar billiger, die US-amerikanische F 20 zu kaufen, doch damit könnten keine Fertigungskapazitäten in der Bundesrepublik ausgelastet werden. Zusammen mit dem Tornado-Export über Großbritannien nach Saudi-Arabien und Oman (die Bundesregierung hat im Rahmen des Tornado-Programmes generell auf ihr Veto-Recht im Exportfall verzichtet) läßt sich so die Lücke für die Industrie bis zur Produktion des Jäger 90 zumindest teilweise schließen. Im Fall der Panzerproduktion gibt es eine besonders pikante Lösung. Der Zulauf von Leopard-2-Kampfpanzern sollte 1987 enden. Mit Exportgenehmigungen nach Saudi-Arabien tut sich die Bundesrepublik nach wie vor schwer. Die Industrie hat also ernsthafte Probleme. Die Lösung liegt in einer Koppelung verschiedener politischer Interessen: Die Türkei will seit längerem mehr militärisches Gerät, vor allem auch mehr Leopard-Panzer. Mit den Rechten der 1986 in Kraft tretenden vollen EG-Mitgliedschaft hat sie auch etwas zu „verkaufen“. Als Gegenleistung für eine restriktive Handhabung nationaler Gesetze — die Türkei wird dafür sorgen, daß die türkischen Staatsbürger das ihnen gemäß EG-Vereinbarungen zustehende Recht der freien Wahl des Arbeitsplatzes in allen EG-Staaten nicht wahrnehmen — wird sie von der Bundesrepublik eine voll ausgerüstete Panzerdivision bekommen, ausgestattet mit Leopard 1, die bei der Bundeswehr ausgemustert werden Die Bundeswehr bekommt für die Abgänge in die Türkei 250 neue Leopard 2, d. h. die Panzerindustrie kann ein sechstes Los der Leos auf Band legen. Bei der Analyse dieser drei Beschaffungsprojekte bleibt — unabhängig von der jeweiligen militärisch-strategischen Begründung — die Vermutung erfolgreichen industriellen Lobbyismus. Der in der Gesamtplanung nicht vorgesehene Aufwand beträgt für alle drei Projekte knapp 6 Mrd. DM. Diese zusätzlichen, möglicherweise zu vergebenden Aufträge lasten die Kapazitätsüberhänge bestenfalls zwei Jahre aus, sind jedoch keine langfristige Lösung
IV. Grenzen der Finanzierung
In der Gesamtbeurteilung kann man festhalten, daß es mittelfristig zu Kapazitätsauslastungsproblemen vor allem im Panzerbau, auf den Werften und in der Luft-und Raumfahrtindustrie kommen wird. Und Kapazitätsauslastungsprobleme bedeuten immer auch Beschäftigungsabbau, denn für die Rüstungsindustrie gilt wie für andere Branchen auch, daß „die Anpassung der Arbeitskräfte als alleinige Variable der Produktionserfordernisse“ die Realität in den Industriebranchen ist
Das Verteidigungsministerium und die Industrie nehmen dabei weniger das Beschäftigungsproblem zur Kenntnis als vielmehr die Möglichkeit, daß die Tiefe und Dauer der Einschnitte zu einem „Unterschreiten einer Mindestauslastungsgrenze, die notwendig ist, um den technologischen Leistungsstand und hier insbesondere die Systemfähigkeit zu erhalten“, führen könnte Man will „überwintern“ und hofft auf einen Aufschwung bei den militärischen Aufträgen in den neunziger Jahren, wie ihn z. B. die Planungen der Bundeswehr im Einklang mit dem Rogers-Plan versprechen. Die bekannt gewordene Bundeswehrplanung könnte mit ihrer Mischung aus konservativem Nachfolgedenken und innovativen Elementen (Förderung neuer Technologien) alle politischen und industriellen Wünsche und Erwartungen befriedigen. Der Fehler in dieser Rechnung sind jedoch die im Rahmen der vorgesehenen Haushaltsansätze dann auftretenden Finanzprobleme. 1. Zur Entwicklung des Militärhaushalts In den letzten Jahren ist der Militärhaushalt (hier der Einzelplan 14) bei Entscheidungen über die Höhe der Bundesausgaben immer bevorzugt behandelt worden, was zu einen deutlich überproportionalen Anstieg der Ausgaben für das Militär gegenüber anderen Haushaltsbereichen geführt hat. Die Ansätze des Einzelplans 14 — d. h.des Haushalts des Bundesverteidigungsministeriums — steigen von 1982 bis 1986 von 44, 3 Mrd. DM auf 50, 3 Mrd. DM, also um 6 Mrd. DM oder 13, 5% (nominal), während gleichzeitig in anderen Haushaltsbereichen wie „Arbeit und Sozia-les“, „Bildung und Wissenschaft“ sowie „Jugend, Familie und Gesundheit“ Mittel gekürzt werden (siehe Tabelle 2). Die mittelfristige Finanzplanung für den Bundeshaushalt zeigt, daß dieser Trend zugunsten der Militärausgaben bis 1989 fortgesetzt werden soll.
Der Finanzminister schreibt zum Einzelplan 14 für den Zeitraum 1984— 1988: „Die Bundesregierung hält es ... für notwendig und trotz der generell gebotenen Dämpfung der Ausgaben-Dynamik vertretbar, die Verteidigungsausgaben in den nächsten Jahren überproportional gegenüber den Gesamtausgaben des Bundes ansteigen zu lassen.“
Im langfristigen Trend steigen vor allem die Posten Beschaffung und „verteidigungsintensive Ausgaben“ (Forschung und Entwicklung, Beschaffung und Anlagen) überdurchschnittlich: 1982 wurde für Beschaffung 42% mehr aufgewendet als 1979, 1986 werden es abermals 6, 9% mehr sein. Die militärischen Forschungs-und Entwicklungsaufwendungen stiegen um mehr als 50% von 1982 bis 1986, ein Ergebnis der Beschaffungsplanung für die neunziger Jahre. Die Beschaffung der Großwaffensysteme erforderte sehr viel mehr finanzielle Mittel als geplant. Haushaltspolitisch konnte die „Rund-um-Erneuerung“ der Bundeswehr durch die sogenannte 2. Waffengeneration nicht im Rahmen der vorgegebenen Ansätze verwirklicht werden. Die Ko-sten von über 70 Mrd. DM überschritten die zu niedrigen Ansätze. Nur über Nachtragshaushalte, Streichungen bzw. Streckungen einzelner Programme und Einsparungen bei Betriebs-und Personalkosten war die Finanzierung möglich.
Bis zum Ende der achtziger Jahre wird die finanzielle Situation des Bundesverteidigungsministeriums daher angespannt bleiben, und schon heute ist abzusehen, daß neue Probleme drohen. Die Fortschreibung der bisher betriebenen Beschaffungspolitik setzt notwendig die weitere Umschichtung von Haushaltsmitteln zugunsten des Rüstungshaushalts und zu Lasten anderer Haushaltstitel voraus. Weder Inflation noch steigende Beschaffungskosten sind berücksichtigt Die Planer wiederholen alte Fehler: auch die Kosten der 2. Waffengeneration wurden jeweils systematisch unterschätzt. Internationale Erfahrungen belegen aber, daß die Preisentwicklung bei Rüstungsgütern überproportional zu anderen Bereichen ansteigt Der Ansatz der für „Verteidigungsinvestitionsausgaben“ vorgesehenen Mittel ist — gemessen an den geplanten bzw. schon beschlossenen Anschaffungen — zu niedrig. 2. Ist die Rüstung der neunziger Jahre finanzierbar?
Von Prognosen über die Kosten zukünftiger Waffensysteme darf man nach aller Erfahrung keine allzu große Genauigkeit erwarten. Zu viele Unbekannte spielen in den Berechnungen eine Rolle und in vielen Fällen wird man nicht mehr als eine ungefähre Schätzung der Größenordnung angeben können.
Basis für unsere Überlegungen sind im folgenden die mittelfristigen Planungen der Bundeswehr.
Das Bundesverteidigungsministerium stellt u. a.
zur Koordination von militärischem Bedarf und finanziellen Möglichkeiten Pläne über einen Zeit-horizont von 15 Jahren auf. Der in der Öffentlichkeit bekannt gewordene Bundeswehrplan 1984 enthält eine mittelfristige Finanzplanung bis 1988 und eine Schätzung bis über das Jahr 2000 hinaus.
Danach summiert sich die Planung für neue Waffensysteme im Zeitraum 1985 bis 1997 auf eine Gesamtsumme von 240 189 900 000 DM. In diese Summe sind jedoch die seit Herbst 1985 in die Planung einbezogenen neuen Objekte (250 Leopard 2, zwei Fregatten 122 und 40 MRCA-Tornado) mit einem Aufwand von knapp 6 Milliarden DM nicht berücksichtigt. Das Volumen übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der Periode 1985 bis 1997 (15 Jahre), wenn es bei den alten Ansätzen für Beschaffung pro Jahr (ca.
12— 14 Mrd. DM) bleibt. Allerdings ist für die Planung entlastend zu berücksichtigen, daß ein Teil der geplanten Systeme erst nach 1997 finanz-wirksam wird. Bei einem großzügigen Ansatz von 14 Mrd. DM pro Jahr für Beschaffungen wäre eine Summe von ca. 210 Mrd. DM Planungsobergrenze. Ein Ansatz von 240 Mrd. DM ist eine deutliche Überplanung, aber eine logische Konsequenz des Planungsvorgehens, da bei der Aufstellung des Bundeswehrplans allen Teilstreitkräften gestattet wurde, über vorgegebene Finanzansätze hinauszugehen (ca. 20%). Insoweit ist die Planung mehr eine „Wunschliste“ aller Teilstreitkräfte als eine politische Vorgabe des Ministeriums.
Unter finanziellen Gesichtspunkten ist zudem die Schätzung der Gesamtkosten des Bundeswehr-plans völlig unzureichend. Es läßt sich aufgrund der vorliegenden Zahlen des Bundeswehrplans und unter Kenntnisnahme der politischen und militärischen Wünsche und Forderungen im Rahmen der NATO (Rogers-Plan) leicht eine Alternativrechnung aufmachen, die Erfahrungen mit der Preisentwicklung für moderne Waffensysteme berücksichtigt, wie sie in den letzten 20 Jahren international gemacht worden sind und wie sie auch militärischen Planern vorliegen. Diese Rechnung will nicht exakte Zahlen ermitteln, sondern lediglich deutlich machen, welche Planungsfehler voraussehbar in den Bundeswehr-plan eingebaut worden sind. Vor allem gilt es, die hohen Kostensteigerungen im Rüstungsbereich zu berücksichtigen.
Die Erkenntnisse des Verteidigungsministeriums führen — wie es im Ministerium wörtlich heißt — „... leider nicht daran vorbei, daß konventionelle Rüstung kostspielig ist. Die Kostensprünge von einer Waffengeneration zur nächsten können das 7-bis 8fache betragen. Sie beruhen ganz wesentlich auf sich beschleunigenden Fortschritten der Technik und Leistungsfähigkeit der einzelnen Systeme. Es ist unrealistisch zu glauben, die finanziellen Ressourcen würden in dem Maße erhöht werden können, wie die Kosten der Waffen steigen.“
Dennoch und entgegen der eigenen Erkenntnis plant man im Verteidigungsministerium mit viel zu niedrigen unrealistischen Zahlen. Ein Beispiel : Der Kampfpanzer Leopard 2 war zunächst in einer Größenordnung von 1, 5 Mio. DM pro Stück geplant; der Preis stieg schließlich nach Bundeswehrangaben auf 5 Mio. DM. Für die Nachfolgegeneration Leopard 3, die das 7-bis 8fache kosten könnte, plant das Verteidigungsministerium 10, 25 Mrd. DM für 1 800 Stück. Mit einem Stückpreis von 5, 7 Mio. DM würde der Leopard 3 somit nur 700 000 DM teurer als das Vorgängermodell. Alle Erfahrungen belegen, daß die Kostensprünge von einer Waffengeneration zur nächsten aber sehr viel höher sind, als hier kalkuliert Es scheint daher realistischer, von einem Stückpreis von 15 Mio. DM für den Kampfpanzer 3 auszugehen.
Ein zweites Beispiel: Je 70 Mio. DM werden als absolute Obergrenze für die insgesamt geplanten 800 Jagdflugzeuge Jäger 90 (davon 250 für die Bundesrepublik) angesetzt. Heute lanciert die Rüstungsindustrie Preisvorstellungen von 6 000 DM pro Kilogramm Flugzeug. Bei einer Auslegung von 8, 5 bis 10 t ergäbe das einen Stückpreis zwischen 51 und 60 Mio. DM. Erinnert sei hier nochmals nachdrücklich an die Tornado-Erfahrungen. Aus den ursprünglich genannten Stückkosten von rund 15 Mio. DM im Jahre 1970 wurden bis Ende 1981 40 Mio. DM, einschließlich der entsprechenden Systemzuschläge pro Stück gar 101 Mio. DM. Um Erklärungen zu dieser Misere waren Rüstungsindustrie und Verteidigungsministerium nie verlegen Die folgende Berechnung soll die Konsequenzen solcher Preissteigerungen auf die Beschaffungskosten und damit auf die Militärausgaben demonstrieren. Wir gehen dabei zur Berechnung der Haushaltsentwicklung von folgenden Annahmen aus:
1. Das Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik wächst jährlich um 2, 5 % (eine eher optimistische Schätzung).
2. Der Bundeshaushalt wächst proportional zum Wirtschaftswachstum, also jährlich um 2, 5%.
3. Zwei Drittel der geplanten Beschaffungen werden bis zum Jahre 2000 anfallen, d. h. 160 von 240 Mrd. DM.
4. Für den Rogers-Plan werden keinerlei zusätzliche (wir Beschaffungen gefordert gehen also davon aus, daß alle für den Rogers-Plan notwendigen Waffensysteme schon in der Beschaffungsliste enthalten sind. Eine sehr konservative Annahme). 5. Die geplanten Beschaffungen verteuern sich durch neue technologische Anforderungen, Veränderungen der Einsatzplanung usw. nicht um das 7-bis 8fache, sondern „lediglich“ um das 3fache (eine ebenfalls konservative Einschätzung, wenn man bedenkt, daß viele Waffen bisher nur auf dem Reißbrett existieren). Ergebnis: 480 Mrd. DM (160 Mrd. x 3) werden für Beschaffungen von 1985 bis 2000 benötigt (Schätzung 1). Legt man sich — entgegen allen Erfahrungen — noch mehr Zurückhaltung auf und setzt lediglich für die Beschaffung von Großprojekten (rund 100 Mrd. DM) Preissteigerungen um das 3fache der heutigen Planvorgabe an und hält die restlichen Beschaffungen von 140 Mrd. DM konstant, so werden bis zum Jahr 2000 immerhin noch knapp 300 Mrd. DM (100 Mrd. x 3 plus 140 Mrd. DM, davon zwei Drittel) benötigt (Schätzung 2).
Die Rechnung ergibt: Um den Finanzbedarf von 480 Mrd. DM aufzubringen, wäre die Steigerung des bisherigen Beschaffungstitels (1985 = 12, 2 Mrd. DM) um jährlich 11% (Schätzung 1) bzw. 5, 5% (Schätzung 2) erforderlich. Tatsächlich aber sieht der Bundeswehrplan einen konstanten Beschaffungsetat von gut 12 Mrd. DM jährlich für den gesamten Zeitraum vor — eine unrealisti -sche Einschätzung, wie die Rüstungsplaner selber einräumen. Treffen die oben gemachten fünf Annahmen zu, so wüchse der Gesamthaushalt des Bundes auf 375, 5 Mrd. DM im Jahr 2000, der Einzelplan 14 (gemäß der realistischen Schätzung 1) auf 112, 3 Mrd. DM; darin enthalten wären mehr als 50% (58, 6 Mrd. DM) für Beschaffung. Beträchtliche Umschichtungen im Haushalt wären also erforderlich. Von heute 19% würde der Anteil des Verteidigungshaushaltes auf knapp 30% ansteigen.
V. Schlußfolgerungen
Die vorausgegangene Analyse bestätigt die These, daß die Situation der bundesdeutschen Rüstungsindustrie in den kommenden Jahren von industriellen Überkapazitäten, Bemühungen um erhöhte Rüstungsexporte und steigende Bundeswehrbeschaffungen sowie staatliche Finanzierungsengpässe geprägt sein wird. Dabei ist der Aufbau von industriellen Überkapazitäten ein typisches Phänomen für die Rüstungsproduktion — ein eingebauter Mechanismus, an dem Industrie und staatliche Beschaffungsbürokratie gleichermaßen beteiligt sind.
Die Industrie wird versuchen, die auf sie zukommenden Probleme in alter Weise zu bewältigen: Sie wird mehr Rüstungsaufträge von staatlicher Seite fordern, wird teilweise durch Arbeitskräfte-abbau die Kapazitäten anpassen und vor allem für eine Lockerung der Exportbestimmungen und aktive Exportförderung eintreten. Die Bedingungen auf dem Weltmarkt sind ungünstig für eine Strategie, die auf massive Ausweitung der Rüstungsexporte setzt. Abgesehen von innenpolitischen Problemen, zu erwartenden außenpolitischen Komplikationen und ethischen Bedenken gegen eine solche Politik, sind ökonomische Begrenzungen gegeben. Erreicht wird durch solche Politik bestenfalls eine kurzfristige Gewinnmaximierung in der Rüstungsindustrie unter Inkaufnahme der politischen und sozialen Kosten, die dann in anderen Ländern anfallen. Vermehrter Rüstungsexport kann keine Antwort auf die Probleme der Rüstungsindustrie sein.
Von Seiten der Regierung ist eine umfassende vorausschauende Planung, die auch die Produktionskapazitäten der Rüstungsindustrie mit einbezieht, immer abgelehnt worden. Unter Hinweis auf die ordnungspolitischen Grundlagen des marktwirtschaftlichen Systems der Bundesrepublik war man der Auffassung, „daß die deutsche Wirtschaft, für die die Rüstungsproduktion im Vergleich zur Wirtschaft anderer Industrieländer in Ost und West eine geringe Rolle spielt, künftig etwa notwendige Umstellungen von Rüstungskapazität auf zivile Produktionskapazität aus eigener Kraft ebenso bewältigen wird, wie sie Anpassungsprobleme anderer Art in der Vergangenheit bewältigt hat“
Der allgemeine Hinweis auf die Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft scheint heute — angesichts anhaltender Massenarbeitslosigkeit — nicht sehr überzeugend. Zudem entsprechen die Bedingungen auf dem Rüstungsmarkt nicht den Modellvorstellungen der Vertreter der freien Marktwirtschaft. Der Rüstungsmarkt ist oligopolistisch. Auch gibt es nur einen Kunden: den Staat, der über Gesetze auch die Exportbedingungen regelt. Ein Wettbewerb verschiedener Anbieter existiert kaum.
Bisher wird jedes Nachdenken über die Umstellung von Rüstungsproduktionskapazitäten auf zivile Produktion abgelehnt, ohne eine überzeugende Handlungsalternative zu haben.
Betrachtet man die Planungen für die kommenden Jahre, so entsteht der Eindruck, daß heute Entscheidungen getroffen werden, die zu einem starken Anstieg der Rüstungsausgaben führen müssen. Wir haben versucht zu zeigen, daß die vorliegenden militärischen Planungen der Bundeswehr für die neunziger Jahre finanziell unrealistisch sind. Es sind nicht zu bezahlende Maximalforderüngen aller Teilstreitkräfte. Finanzielle Erwägungen haben offensichtlich in den Planungen eine untergeordnete Rolle gespielt. Dabei enthalten die Beschaffungsvorhaben nur einen Teil der für den sogenannten Rogers-Plan als notwendig erachteten Waffen (z. B. die Rakete LRSOM, Drohnen, den Raketenwerfer MARS, die Rakete ASRAAM, Aufklärungs-und Führungssysteme). Eine Verwirklichung der operativ-taktischen Überlegungen Rogers’ würde vermutlich noch weitere Beschaffungen notwendig machen; die Bundesregierung hat diesen Überlegungen im Rahmen der NATO (FOFA-Beschluß) schon zugestimmt.
Die vorgelegten Finanzierungsangaben des Ministeriums decken sich nur vordergründig mit den Finanzierungsmöglichkeiten im Rahmen der heutigen Haushaltsansätze, weil nach bewährtem Muster die zu erwartenden Kosten systematisch unterschätzt worden sind.
Die von NATO-Oberbefehlshaber Rogers geforderten Steigerungen des Verteidigungsetats von jährlich real 4% erscheinen daher im Licht unserer Kalkulationen wie eine Mindestvoraussetzung für die vorliegenden Beschaffungsplanungen. Die haushaltspolitischen Konsequenzen wären entweder ein Aufblähen der Staatsausgaben mittels Kreditfinanzierung oder ein radikales Zusammenstreichen anderer Haushaltstitel mit weitreichenden sozialen Folgen. Es ist heute die Gefahr gegeben, daß durch die rüstungspolitischen Entwicklungen „Sachzwänge“ geschaffen werden, die in Zukunft Handlungsmöglichkeiten auch für die Wirtschafts-und Sozialpolitik verbauen. Gemessen an den wirtschaftlichen und sozialpolitischen Problemen der Bundesrepublik muß die Politik weniger über neue Rüstungsprojekte als viel mehr über Möglichkeiten der Umstellung auf zivile Fertigung nachdenken. Leider sind bisher weder Unternehmen noch verantwortliche Politiker bereit, diesbezügliche Forderungen gewerkschaftlicher Arbeitskreise für „Alternative Fertigung“ zu erfüllen. Denn von den unmittelbar betroffenen Arbeitnehmern in den Rüstungsbetrieben wird die drohende Entlassung vielfach nicht einfach hingenommen. Dies zeigen die Arbeitskreise „Alternative Fertigung“, die auf gewerkschaftliche Initiative in verschiedenen Rüstungsbetrieben entstanden sind. Konfrontiert mit drohender Arbeitslosigkeit versuchen hier Arbeitnehmer selbst, Vorschläge für eine Umstellung der Produktion zu machen Zahlreiche technisch realisierbare und ökologisch sinnvolle Produkte sind vorgeschlagen worden. Meistens scheitern die Vorschläge jedoch an dem Widerstand der Firmenleitungen, diese Art „Mitbestimmung über die Produkte“ überhaupt zu akzeptieren, und auch an mangelnder Unterstützung durch die Politik.
Denn jede Umstellung von Rüstungsproduktion auf zivile Produktion wird zumindest erschwert, wenn nicht unmöglich ohne staatliche Hilfe. Auf Grund der wirtschaftlichen Bedingungen in einer entwickelten Industriegesellschaft wie der Bundesrepublik bedarf es für eine Umstellung mehr als nur einer Produktidee im zivilen Bereich. Die „Alternativen“, die diskutiert werden, betreffen überwiegend Bereiche, in denen der Staat Nach-frager ist bzw. über Gesetzgebung Grundlagen für eine veränderte Nachfrage schaffen müßte (Umwelt, Verkehr, Energieversorgung etc.). Die Forderungen, die von gewerkschaftlicher Seite erhoben werden, sind dementsprechend eingebettet in eine umfassende Forderung nach einer anderen Wirtschaftspolitik mit den zentralen Elementen: Stärkung des Binnenmarktes, Politik des qualitativen Wachstums und der Arbeitszeitverkürzung. Die Mittel hierfür wären leichter zu erbringen, wenn es zu einer Verringerung des Aufrüstungstempos und zu einer Senkung der Rüstungsausgaben kommen würde. Es ist keine neue Feststellung, aber sie kann nicht oft genug betont werden: Rüstungsausgaben sind allenfalls politisch begründete notwendige gesellschaftliche Kosten. Es sind unproduktive Ausgaben, die wirtschaftliche und soziale Lasten für die Gesellschaft darstellen. Jede vernünftige Politik sollte daher auf eine Verringerung dieser Ausgaben gerichtet sein.
Herbert Wulf, Dr. rer. pol., geb. 1939; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Rüstungsimport als Technologietransfer, München — London 1979; (Mitautor) Mit Rüstung gegen Arbeitslosigkeit?, Reinbek 1982; (Mitautor) Sicherheitspolitik, Rüstung und Abrüstung, Frankfurt 1982; (Herausgeber) Aufrüstung und Unterentwicklung, Reinbek 1983. Peter Wilke, Diplom-Volkswirt, geb. 1954; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Friedens-forschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: (Mitautor) Sicherheitspolitische Alternativen. Bestandsaufnahme und Vorschläge zur Diskussion, Baden-Baden 1984.
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