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Nationalbewußtsein und Nationalstaat der Deutschen | APuZ 1/1986 | bpb.de

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APuZ 1/1986 Artikel 1 Die Brüder Grimm und die deutsche Politik Nationalbewußtsein und Nationalstaat der Deutschen Johann Gottfried Herder — Nationsbegriff und Weltgefühl

Nationalbewußtsein und Nationalstaat der Deutschen

Peter Alter

/ 37 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In der wiederaufgelebten Debatte über die „Identität der Deutschen“ wird oft übersehen, daß es hier um eine Frage mit langer Tradition geht. Zum erstenmal wurde sie zu Beginn des 19. Jahrhunderts ausgiebig diskutiert. Damals ging es darum, unter dem Eindruck der Französischen Revolution, der napoleonischen Herrschaft und der beginnenden industriellen Revolution die deutsche Nation zu definieren. Der erwachende Nationalismus in Mitteleuropa forderte nach dem Zusammenbruch des Ancien Regime für die Deutschen innere und äußere Selbstbestimmung im Nationalstaat als neuer politischer Organisationsform. Protagonisten des nationalen Gedankens und Schöpfer des frühen deutschen Nationalbewußtseins war eine kleine Schicht von Intellektuellen. Von ihnen sind Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn und Theodor Körner heute noch am bekanntesten. Über die Grenzen und die politische Verfassung des zu schaffenden Nationalstaats entwickelten die national gesinnten Intellektuellen unterschiedliche Vorstellungen, die sich dann im Bismarckreich von 1871 nur teilweise realisierten. Im historischen Rückblick wird deutlich, daß das sich wandelnde Nationalbewußtsein der Deutschen im 19. Jahrhundert ein Ergebnis spezifischer politischer Konstellationen war. Dazu zählen auch die Grenzen des Nationalstaats von 1871. Deutsche Kulturnation und deutsche Reichsnation brachte dieser Staat nicht zur Deckung. Obwohl er nur knapp drei Generationen lang bestand, hat er jedoch das Raumbild der Deutschen nachhaltig geprägt. Doch die Erinnerung an den Nationalstaat von 1871 verblaßt. Heute stellt sich die Frage, inwieweit er für die Deutschen in der Bundesrepublik noch als Orientierungsrahmen für die staatliche Organisation ihres Siedlungsraums maßgebend sein kann. Ist seine Restauration anzustreben, ungeachtet der westeuropäischen Integrationsbemühungen, oder sollen sich die Deutschen mit der Einsicht abfinden, daß der nationale Einheitsstaat und das auf ihn bezogene Nationalbewußtsein nur eine Episode in ihrer Geschichte waren? Unverkennbar gewinnt die Auffassung an Boden, der deutsche Staatenpluralismus sei die eigentliche politisch-historische Norm in der Mitte Europas. Die Frage nach der „Identität der Deutschen“ ist damit jedoch noch nicht beantwortet.

Die quälende Frage nach ihrer Identität, so scheint es, ist eine spezifische Frage der Deutschen. Immer wieder wurde sie gestellt — im späten 18. Jahrhundert und heute —, mit unterschiedlicher Intensität, nicht selten aus kaum erkennbarem Anlaß. Oft schien sie jahre-und jahrzehntelang vergessen zu sein, um dann auf einmal, meist unvermittelt und unerwartet, von neuem die politische Diskussion zu beherrschen. Ganz verstummt ist sie im Grunde nie.

Wer sind wir? Woher kommen wir? Was ist deutsch? Die Suche, ja die Sehnsucht nach präzisen Antworten auf diese existentiellen Fragen, die Schwierigkeit, ihr Selbstverständnis angemessen zu beschreiben, ist ein charakteristischer Bestandteil der politischen Kultur der Deutschen. Unausgesprochen wird vorausgesetzt, daß ein Konsens über Identität gemeinsame Erfahrungen und Ziele für die Stabilität eines politischen Gemeinwesens in Gegenwart und Zukunft lebensnotwendig sind. Verwiesen wird mit Vorliebe auf Engländer und Franzosen, selbst auf die Ita-liener, die den nationalen Einheitsstaat nur unwesentlich früher als die Deutschen gewinnen konnten. Deren Identität ist, zumindest aus deutscher Sicht, eindeutig, in sich ruhend, begünstigt durch Geographie und Geschichte. Hingegen ist der gemeinsame Erfahrungshorizont der Deutschen angeblich viel schwerer zu bestimmen. Ihr kollektives historisches Bewußtsein, fraglos ein zentrales Element gemeinsamer Identität, sei schwach entwickelt und höchst unterschiedlich besetzt. Eingedenk der tiefen Kontinuitätsbrüche, der Verwerfungen und der Abgründe deutscher Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert sollte das nicht verwundern.

Der Philosoph Karl Jaspers hatte den Westdeutschen Mitte der sechziger Jahre die schonungslose Diagnose gestellt — und in vielen ihrer Aussagen ist sie offenbar noch immer nicht überholt: „Man hat von einem Vakuum unseres politischen Bewußseins gesprochen. Wir haben in der Tat noch kein in den Herzen gegründetes politisches Ziel, kein Bewußtsein, auf einem selbstgeschaffenen Grunde zu stehen... Das Vakuum wird nicht erfüllt durch ein Nationalbewußtsein. Dieses fehlt entweder oder ist künstlich... Es gibt für uns noch immer keinen politischen Ursprung und kein Ideal, kein Herkunftsbewußtsein und kein Zielbewußtsein, kaum eine andere Gegenwärtigkeit als den Willen zum Privaten, zum Wohlleben und zur Sicherheit.“ Nach dem militärischen und politischen Zusammenbruch des Dritten Reiches war und ist die Rede von einem Identitätsdefizit der Westdeutschen, von einer Identitätskrise, gar von einem Identitätsvertust.

Die europäischen Nachbarn betrachten ihrerseits die sporadisch aufbrechende Diskussion über die deutsche Identität gleichsam als Seismographen für intellektuelle Unruhe unter den Deutschen — zugleich aber ist sie Anlaß für Beunruhigung über die Deutschen Verbergen sich hinter ihr letzten Endes „Unsicherheiten zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft Deutschlands“ wie unlängst der Politologe Werner Weidenfeld meinte? Deuten sie auf einen „gesteigerten Bedarf an Gemeinschaftserfahrung in einer Industriegesellschaft“ hin, der sich „in der Suche nach plausiblen Positionsbeschreibungen und Standortbestimmungen“ niederschlägt? Ist es also ein Bedarf, durch den sich die „Deutschen“ von ver-gleichbaren Industrienationen Westeuropas seit dem 19. Jahrhundert unterscheiden? Und wird man die Frage der Deutschen nach ihrer Identität, die weitgehend, wenngleich nicht ausschließlich, die Frage nach ihrem nationalen Bewußtsein ist, letztlich nicht doch als Element des neuerdings wieder oft behaupteten und ebenso oft bestrittenen „deutschen Sönderwegs“ verstehen müssen?

I. Die Entstehung des deutschen Nationalbewußtseins

Als die Frage nach der merkwürdig schillernden Identität der Deutschen von verschiedenen Seiten jüngst wieder nachdrücklich gestellt wurde, ging damit eine ungewöhnlich lange Periode zu Ende, in der das Problem entweder keine oder allenfalls eine nachgeordnete Rolle gespielt hat. Die Frage hatte nach Meinung der Politiker und Historiker eine weithin akzeptierte Antwort gefunden. Sie war nicht mehr aktuell, der Stellenwert der deutschen Nation, der Inhalt des deutschen Nationalbewußtseins schienen festzuliegen. Der nationale Einheitsstaat der Deutschen, 1870/71 „verspätet“ und in kriegerischer Auseinandersetzung mit europäischen Nachbarvölkern entstanden, hatte den Rahmen für das politische und soziale Zusammenleben der Deutschen geschaffen. Er formte fortan ihr politisches Bewußtsein, prägte ihre Identität.

An dieser Entwicklung, die das deutsche Nationalbewußtsein nach Jahrzehnten des Schwankens und der Ungewißheit auf das Gebiet des Bismarckreiches verengte, hatte die sogenannte borussische Geschichtsschreibung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts maßgeblichen Anteil. Als Heinrich von Treitschke, einer ihrer einflußreichsten Repräsentanten, 1879 den ersten Band seiner „Deutschen Geschichte“ veröffentlichte, sprach er von der „Freude am Vaterlande“, das mit der Reichsgründung nach langen Kämpfen endlich seine politischen Grenzen gefunden hatte — für die Gegenwart, für die Zukunft und rückblickend selbst für die Vergangenheit Deutschland war von nun an identisch mit dem neugeschaffenen Kaiserreich.

Aufgabe der deutschen Historiker mußte es sein aufzuzeigen, wie dieses Reich geradezu zwangsläufig als Vollendung der deutschen Geschichte entstanden war und was sich auf seinem Territorium in der Vergangenheit ereignet hatte. Für die Historiker rückte das Ringen um den deutschen Nationalstaat und das Wirken seiner Schöpfer in das Zentrum ihrer wissenschaftlichen Arbeit und ihres in die Öffentlichkeit gerichteten politisch-pädagogischen Bemühens. Preußen, neben Österreich im 19. Jahrhundert der stärkste deutsche Einzelstaat, war in diesem Ringen die Schlüssel-rolle zugefallen. Die „Erzähler deutscher Geschichte“ betrachteten es folglich als ihre vornehmste Pflicht, die Verwandlung der mitteleuropäischen Vielstaaterei in das „preußische Reich deutscher Nation“ immer wieder darzustellen und den neuen Staat historisch zu legitimieren. In der Interpretation der borussischen Historiker und eines großen Teils der zeitgenössischen Publizistik war der Weg „vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich“, meist unter Ausblendung der Revolution von 1848/49, mehr oder weniger gradlinig verlaufen. Diese Sicht verlieh der deutschen Geschichte eine frappierende, die historische Wirklichkeit jedoch verzerrende Zielgerichtetheit. Sie erfüllte die Zeitgenossen mit tiefer Befriedigung, aber auch mit einem Gefühl der Leere angesichts einer Gegenwart und Zukunft, die einer großen Aufgabe offenbar entbehrten. Heinrich von Sybel, Autor eines siebenbändigen Standardwerkes über die Reichsgründung, gab diesem Gefühl in seither immer wieder zitierten Worten beredten Ausdruck. „Wodurch hat man die Gnade Gottes verdient, so große und mächtige Dinge erleben zu dürfen? Und wie wird man nachher leben?“, fragte er Anfang 1871. „Was zwanzig Jahre der Inhalt alles Wünschens und Strebens gewesen, das ist nun in so unendlich herrlicher Weise erfüllt! Woher soll man in meinen Lebensjahren noch einen neuen Inhalt für das weitere Leben nehmen?“

Hermann Oncken, selbst noch in der borussischen Tradition deutscher Geschichtsschreibung stehend, kommentierte 1934 im Rückblick auch auf eigene Arbeiten: „So wurde es erst seit den Jahren 1866/71 möglich, unsere nationale Geschichte, als ob sie sich in sich selbst vollendet hätte, wieder in einem einheitlichen Bilde zu sehen und selbst ihre tieferen Gegensätze als Stufen der Überwindung im Lichte der Versöhnung zu begreifen. In dem Vollgefühl dieser Sicherheit hat die letzte Generation deutscher Historiker recht eigentlich gelebt und gearbeitet.“ Die auf den Nationalstaat von 1871 fixierte Sicht der deutschen Geschichte wurde im Grunde erst nach dem tiefen Einschnitt von 1945 und angesichts der „Last“, die von der „gescheiterten Großmacht“ Deutsches Reich herrührt zunehmend als problematisch empfunden, im wesentlichen aus zwei Gründen:

1. Die Konzentration auf Preußen, in dessen Politik nach dem Wiener Kongreß (1815) unzweifelhaft die Vorstellung von seinem „deutschen Beruf 1 eine Rolle spielte und dessen leitender Staatsmann Bismarck seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts der deutschen Einigung die entscheidenden Anstöße gab, führte bei der Darstellung der deutschen Geschichte zu einer Vernachlässigung der deutschen Mittel-und Klein-staaten. Ihre Interessen gingen mit denjenigen Preußens jedoch keineswegs immer konform; hinsichtlich der Ausgestaltung eines deutschen Nationalstaats vertraten sie durchaus eigene Positionen. Die Konzentration auf Preußen bedeutete zudem eine unzulässige Ausgliederung Österreichs aus der deutschen Geschichte schon vor dem Entscheidungsjahr 1866, in dem endgültig die Weichen für die „kleindeutsche“ Nationalstaatsgründung gestellt wurden. Das wurde nach dem Zusammenbruch des deutschen Nationalstaats von den Historikern deutlicher gesehen als zuvor.

2. Die Interpretation der deutschen Geschichte als „Vorgeschichte“ des Kaiserreiches von 1871 war dazu angetan, die Offenheit der historischen Entwicklung in Mitteleuropa seit dem frühen 19. Jahrhundert zu verdecken. Ein klar umrissenes „Ziel“ der deutschen Entwicklung war für die Zeitgenossen damals (wie heute für uns) nicht erkennbar. Allenfalls konnten sie über wünschenswerte Möglichkeiten, über Optionen und Alternativen deutscher Politik im nationalen Sinne diskutieren und spekulieren. Unter dem Einfluß der Französischen Revolution, der napoleonischen Herrschaft über Europa und der beginnenden Industrialisierung veränderten sich und zerfielen nicht nur die politischen Ordnungen, unter denen die Deutschen lebten, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in einer zuvor kaum vorstellbaren Radikalität.

In den Krisenjahren unmittelbar vor und nach 1800 entwickelte sich unter den Deutschen ein politisches Bewußtsein, das ungeachtet mancher Differenzierungen im einzelnen als deutsches „Nationalbewußtsein“ apostrophiert wird Es stützte sich auf die These, daß die Deutschen eine sprachlich-kulturelle Gemeinschaft bildeten, eine „Kulturnation“, der jedoch die politische Organisation in einem einheitlichen Staat bislang nicht gelungen war. Das sich kristallisierende Nationalbewußtsein der Deutschen in der Phase ihres „nationalen Erwachens“ setzte sich dabei aus Elementen zusammen, deren Kombination noch fließend war. Diese Kombination sollte sich in der Folgezeit nicht unerheblich verändern. Vom Nationalbewußtsein der Deutschen nach 1871 unterschied sich das frühe deutsche Nationalbewußtsein in vieler Hinsicht grundlegend Was die deutsche Nation war, wo die Grenzen des zu schaffenden Nationalstaats verlaufen sollten — das waren Anfang des 19. Jahrhunderts noch offene Fragen, auf die von den national gesinnten Deutschen höchst unterschiedliche Antworten gegeben wurden.

Die Kernfrage, warum die reichlich abstrakte deutsche „Nation“ und der deutsche „Nationalstaat“ zu Bezugspunkten für individuelle Loyalitäten wurden, entzieht sich einer präzisen Antwort. Letztlich läßt sie sich wohl nur mit Hilfe der Sozialpsychologie geben. Sicher waren verschiedene Faktoren dabei von Bedeutung. Der amerikanische Politologe Karl W. Deutsch hat, vor allem in seinem 1953 erschienenen Werk „Nationalism and Social Communication", darauf hingewiesen, daß verbesserte Kommunikation, begünstigt durch neue Verkehrsmittel, neue Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung, Alphabetisierung, Ausweitung des Pressewesens usw., eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung eines nationalen Bewußtseins in einer Bevölkerung ist. Eine Verbesserung der Kommunikation läßt sich in Mitteleuropa während dieser Jahre unschwer nachweisen

Um einen nennenswerten Bevölkerungsteil im Sinne der nationalen Ideologie politisch mobilisieren zu können, bedurfte es aber zusätzlicher Motive. In diesem Zusammenhang wurde schon früh eine Verbindung zwischen Nationalismus und umfassendem wirtschaftlich-sozialem Wandel hergestellt. Gerade im deutschen Falle ist die zeitliche Parallelität zwischen nationaler Bewegung und der Modernisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts unübersehbar. Die beiden Stichworte für den säkularen Modernisierungsvorgang sind die Auflösung der ständisch-feudalen Herrschaftssysteme unter dem Druck der Französischen Revolution wie auch der Herrschaft Napoleons und die industrielle Revolution. Die alte vertraute Welt Europas zerfiel.

Sprunghaftes Anwachsen der Bevölkerung, Binnenwanderung, soziale Entwurzelung, Pauperismus, sich enorm vertiefende soziale Ungleichheit — all diese Begleiterscheinungen des Zerfalls und der beginnenden Industrialisierung versetzten die europäische Gesellschaft seit dem späten 18. Jahrhundert in einen Zustand anhaltender Labilität. Durch Arbeitsteilung und Berufsdifferenzierung in der entstehenden industriellen Gesellschaft verloren die Individuen das Gefühl für die Einheit ihres sozialen Lebensraums „Der einst feste, auch im Geistigen und Religiösen verankerte Sozialkörper der ständisch-agrarischen Gesellschaft brach auf und entließ Myriaden von Einzelwesen, die nach neuen Sinngebungen suchten, sofern sie nicht allein mit der nackten Daseinsfürsorge befaßt waren.“ Das wurde in Mitteleuropa wie später auch anderswo die Stunde der nationalen Idee.

Die Aushöhlung traditioneller Legitimität, regionaler, ständischer und religiöser Bindungen, die schon lange vorher im ausgehenden Ancien Regime eingesetzt hatte, schuf Raum für neue Loyalitäten. In der kritischen Situation eines allgemein beschleunigten Wandels entwarfen die Ideologen des Nationalismus eine neue Ordnung von Staat und Gesellschaft, die aus den Trümmern der alten hervorgehen sollte und die das verunsicherte, auf sich selbst zurückgeworfene Individuum in neue Zusammenhänge einzubinden versprach. Die Nationalisten forderten nicht mehr und nicht weniger als eine Rekonstruktion der Gesellschaft. Sie stellten dem einzelnen mehr Raum für seine individuelle Entfaltung in Aussicht und eine Beteiligung am politischen Willensbildungsprozeß. Der Kampf gegen das Ancien Regime, gegen die Monarchen und Dynastien erschien in der nationalen Perspektive als Kampf für die Schaffung einer demokratischen und liberalen Gesellschaft. Im Anschluß an die französischen Revolutionäre forderten die national gesinnten Deutschen bzw. ihre Sprecher daher sowohl für die deutsche Nation als auch für den einzelnen Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung. Die Hinwendung zur Nation als der neuen Gemeinschaftsform wurde für den einzelnen, der durch die Auflösung traditioneller Bindungen zwar freier, aber zugleich isolierter war, so etwas wie ein inneres Bedürfnis. Er mußte seine Identität beim „Übergang in die Modernität“ in der sich sein tägliches Leben radikal veränderte, neu definieren Dies gelang ihm am ehesten, indem er sich mit dem spezifischen historisch-kulturellen Erbe der Nation, mit ihrer Sprache und Geschichte, mit ihrer gegenwärtigen und zukünftigen politischen Existenz identifizierte. Kurz: Im Übergang von der alten ständischen, agrarisch geprägten zur neuen, von den Gedanken der Revolution und modernen Produktionsformen bestimmten Welt wurde die Ideologie des Nationalismus zu einem Instrument, das die Massen politisch zu mobilisieren und zu integrieren vermochte. Die Vision einer nach anderen Prinzipien organisierten Gesellschaft, die dem einzelnen Freiheit und Glückseligkeit versprach, weckte Zuversicht, Erwartungen, politisches Engagement.

Die nationale Idee wurde zur Triebkraft einer politischen „Bewegung“. Doch zu einer umfassenden, geschlossenen Organisation fand die deutsche Nationalbewegung nie. Der Begriff „Nationalbewegung“, so wie ihn die Zeitgenossen und später die Historiker verwendeten, steht vielmehr für eine manchmal verwirrende Zahl von Einzelpersonen, Gruppen, Vereinen und publizistischen Organen. Ihre Vorstellungen und Programme zeigten im Detail erhebliche Differenzen. Aber sie einte das Streben nach Erreichung des einen großen Ziels: die Einigung und Selbstbestimmung der deutschen Nation.

II. Die Rolle der Intellektuellen

Die politische Situation in Mitteleuropa zu Beginn des 19. Jahrhunderts illustriert anschaulich die paradoxe Konstellation, in der das deutsche Nationalbewußtsein entstand. Der frühe deutsche Nationalismus orientierte sich einerseits am Vorbild des revolutionären Frankreich und an den dort propagierten Ideen der Menschen-und Bürgerrechte, der Demokratie und der Volkssouveränität. Andererseits trug der deutsche Nationalismus angesichts der napoleonischen Expansionspolitik, die unverhohlen die Herrschaft über Europa anstrebte und sie bis zu einem gewissen Grade auch verwirklichte, deutliche antifranzösische Züge. Die Deutschen erlebten, wie ihnen nach dem Ende des alten Reiches 1806 und dem Zusammenbruch Preußens 1807 Freiheit und Selbstbestimmung von der gleichen „grande nation“ verwehrt wurden, die diese Prinzipien als Errungenschaften der Revolution von 1789 in ganz Europa verkündete. Die Begriffe Nation und Nationalstaat, welche die Revolutionäre mit neuer Bedeutung gefüllt hatten, verwandelten sich in Mitteleuropa und anderswo in Waffen, die sich gegen ihren Schmied richteten. Sie wurden zu Losungen, die einen Neubeginn beschworen. Der deutsche Nationalismus wandte sich daher zugleich gegen den äußeren und den inneren Gegner. Er nährte sich aus dem Haß gegen das napoleonische Frankreich und aus der leidenschaftlichen Ablehnung des einzelstaatlichen Partikularismus. Die Protagonisten des nationalen Gedankens, vor allem in Preußen und in den von Frankreich annektierten Gebieten Nordwestdeutschlands, begriffen sich als die zum Handeln berufenen Vertreter der unterdrückten, zersplitterten und politisch passiven deutschen Nation, als Motor ihrer politischen Einheit. Ihre volle politische und wirtschaftliche Entfaltung konnte die deutsche Nation danach nur erlangen, wenn sie den Nationalstaat realisierte — und dessen Verwirklichung standen vorab die französische Vorherrschaft über den Kontinent und die Dynastien in den deutschen Einzelstaaten im Wege.

Spätestens an dieser Stelle ist die Frage aufzuwerfen, wer die Protagonisten des nationalen Gedankens bei den Deutschen waren. Die borussische Geschichtsschreibung hat im Grunde nie ausreichend deutlich gemacht, daß die deutsche Nationalbewegung in ihrer Geburtsstunde im frühen 19. Jahrhundert keine spontane Volkserhebung im Sinne des Liedes von Theodor Körner „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ war, son21 dem daß sie nur von einer kleinen aktiven, kulturnational orientierten Minderheit getragen wurde. Die meisten Deutschen ließen die politischen Ereignisse über sich ergehen, ohne selbst Stellung zu beziehen. Eine Anerkennung dieses Sachverhalts schmälert in keiner Weise die historische Bedeutung der national gesinnten Minderheit für die nachfolgende Politisierung breiter Schichten der Bevölkerung. Jene Begrenzung auf eine schmale Elite in ihrem frühen Stadium hat die deutsche mit anderen Nationalbewegungen gemein.

Die Hinwendung breiterer Bevölkerungsschichten zur nationalen Bewegung, ein entscheidender Schritt im „nation-building“, vollzog sich in der Regel überall in einem mehr oder weniger langen Prozeß, der allerdings durch bestimmte Ereignisse und Erfahrungen wie politische oder wirtschaftliche Krisen beschleunigt werden konnte. Dieser Vorgang des „nationalen Erwachens“, der sich seit dem frühen 19. Jahrhundert bei einer Reihe europäischer Völker in sehr ähnlichen Formen vollzog, ist trotz zahlreicher Studien über nationale Bewegungen letzten Endes erst wenig erhellt.

Unbestritten ist freilich, daß in ihm die „Erwekker“ eine herausragende Rolle spielten. Jede Nation hat später die Taten und Verdienste der „Vorkämpfer der nationalen Bewegung“ die den Anspruch des Volkes auf politische Eigenständigkeit und Selbstbestimmung begründeten und in den meisten Fällen auch durchzusetzen vermochten, nach Kräften gerühmt. Friedrich Schleiermacher bezeichnete sie, die „Gründer und Wiederhersteller von Staaten“, neben den Stiftern und „Reinigern der Religionen“ als die „großen Männer“, die geschichtsmächtigen historischen Individuen Georg Friedrich Wilhelm Hegel nannte sie „Heroen“

Zu den Schöpfern des frühen deutschen Nationalbewußtseins zählten die deutsche Nationalbewegung und später die Historiker, Männer wie der Ostpreuße Johann Gottfried Herder, der die Individualität eines jeden Volkes an der Sprache festmachte, und dann vor allem Johann Gott-liebFichte. Fichte rief in seiner Berliner öffentlichen Vorlesung „Reden an die deutsche Nation“

im Winter 1807/08 die Deutschen, die er angeregt durch Herder das „Urvolk“ nannte, zur nationalen Regeneration und zum Widerstand gegen die Unterjochung durch Frankreich auf. Zu den Schöpfern des deutschen Nationalbewußtseins gehörten aber auch der „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn der in der körperlichen Ertüchtigung der Jugend eine Vorbedingung für den zu erwartenden Kampf gegen Napoleon erblickte, der Dichter Theodor Körner, dessen Lieder in den Befreiungskriegen eine große Popularität erlangten, und Ernst Moritz Arndt, einer der stimmgewaltigsten Agitatoren für den nationalen Aufstand der Deutschen.

„Einmütigkeit der Herzen sei eure Kirche“, forderte Arndt 1813, „Haß gegen die Franzosen eure Religion, Freiheit und Vaterland seien die Heiligen, bei welchen ihr anbetet“ Die verklärende Überhöhung des deutschen Volkes, die bei Arndt wie bei Jahn nur allzu häufig in eine grotesk anmutende, parvenühafte Deutschtümelei um-schlug, fand bei Arndt ihre schärfste Ausprägung. „Wo ist das Volk, wo der Mann in Europa, der vor diesen deutschen Namen nicht anbetend niederfällt?“, fragte er nach der Aufzählung berühmter Deutscher in einer seiner Betrachtungen zum „Geist der Zeit“ die seit 1806 erschienen. Im gleichen Atemzug nannte er die Deutschen den „Nabel der europäischen Erde“, gar „das Herz unseres Weltteils“

Der Grundton der nationalen Rhetorik war angeschlagen. Das Gefühl sittlicher und kultureller Überlegenheit war seither Bestandteil des deutschen Selbstverständnisses. Es mischte sich im nationalen Bewußtsein der Deutschen, den „Söhnen der Germanen“ (Arndt), mit einer unverkennbaren Aggressivität, die sich in der Geburtsstunde des politischen Nationalismus in Mitteleuropa aus dem Kampf gegen den korsischen Usurpator speiste. Indem Arndt für „die Verschmelzung religiöser und politischer Antriebe wirkte“, so der Historiker Reinhard Wittram, „hat er wie kein zweiter dazu beigetragen, daß die nationale Bewegung in Deutschland religiöse Kraft bekam, — daß der Nationalismus die Religion der Zeit wurde“ Aber schon Heinrich Heine glaubte, aus Deutschland nur noch „Gepolter und Geklirre“ zu vernehmen.

Wer waren im deutschen Fall die „Erwecker", die den Prozeß des „nation-building“ in Gang brachten? Sie gehörten in ihrer großen Mehrheit der sozialen Schicht an, die vereinfachend und typisierend als Bildungsbürgertum bezeichnet wird. Sie waren Schriftsteller, Dichter oder Publizisten wie Ernst Moritz Arndt, Joseph Görres, Heinrich von Kleist oder auch Clemens Brentano. Sie waren Lehrer und Professoren wie Johann Gottlieb Fichte, Jakob Friedrich Fries, Heinrich Luden, Friedrich Ludwig Jahn, Friedrich Friesen, Lorenz Oken und Friedrich Schleiermacher oder Studenten wie Theodor Körner und Carl Theodor Welcker. Die „Demagogen“, wie sie bald nach dem Wiener Kongreß von den Regierungen genannt wurden, waren Intellektuelle im weitesten Sinne, die ihren Beruf nicht dank ihres Standes, sondern aufgrund ihrer Befähigung ausübten. Ihre Zahl war klein, ihre Wirkung in die Öffentlichkeit groß Man hat zutreffend von einem „Intelligenz-Nationalismus“ bzw. einem „Elite-Nationalismus“ gesprochen

So sahen es die Protagonisten des nationalen Gedankens selber. „Deutsche Vaterlandsliebe“, schrieb 1815 der Jenaer Professor Jakob Friedrich Fries, „ist und muß fürs erste seyn Sache der Gebildeten und weniger des gemeinen Haufens“ In den preußischen Freiwilligen-Einheiten des Jahres 1813 lag bezeichnenderweise der Anteil der Schüler, Studenten, höheren Beamten und Männer der „gebildeten Stände“ bei zwölf Prozent, während ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung nur zwei Prozent betrug Zur organisierten Massenbewegung, die aber auch dann nur einen Bruchteil der Bevölkerung erfaßte, wan-delte sich die nationale Bewegung erst sehr viel später.

Überdies gehörten die Schöpfer des frühen deutschen Nationalbewußtseins überwiegend der jungen Generation an. Um 1810 waren die meisten von ihnen zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt. Fichte war zu diesem Zeitpunkt mit 48 Jahren einer der Senioren. Die Ideen der nationalen „Erwecker“ fanden ihren Rückhalt ebenfalls vornehmlich bei der Jugend. Das galt z. B. für die Mitglieder im „Deutschen Bund“, den Jahn und Friesen im November 1810 in Berlin gründeten. Er sollte auf die „Neubelebung der Deutschheit" und die „endliche Einheit unseres zersplitterten, geteilten und getrennten Volkes“ hinwirken Der 1811 auf der Berliner Hasenheide gegründeten „Turngesellschaft“ schlossen sich hauptsächlich Gymnasiasten und Studenten an. Das Wartburgfest im Oktober 1817, eine mächtige Demonstration für die wachsende Stärke der nationalen und freiheitlichen Kräfte, ging auf die Initiative der 1815 in Jena entstandenen „Burschenschaft“ zurück. Ihr Wahlspruch lautete „Ehre, Freiheit, Vaterland“ Die Burschenschaft, der sich vor allem Studenten an den Universitäten Preußens und Mitteldeutschlands anschlossen, war im frühen deutschen Nationalismus nicht nur ein Ferment, sondern auch die wichtigste Organisation. Ihre Farben Schwarz-Rot-Gold wurden seit den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts als „teutsche Trikolore“ das Symbol der nationalen Bewegung. Die naheliegende Frage, warum gerade die junge Intelligenz Träger des nationalen Gedankens wurde, läßt sich nur schwer eindeutig beantworten. Generell ist es sicher zutreffend, daß die französische Fremdherrschaft zur Politisierung des deutschen Bildungsbürgertums entscheidend beitrug. Richtig ist auch die Beobachtung, daß sich das Bildungsbürgertum von den traditionellen Führungsschichten wie dem Adel und dem Klerus nach der Erfahrung der Französischen Revolution, der napoleonischen Herrschaft über Mitteleuropa und nach dem Versagen der alten politischen Systeme durch eine tiefe Kluft getrennt glaubte. Seine Entfremdung von der alten politischen Elite korrespondierte mit der Suche nach einer neuen, von ihm gedachten politischen Ordnung. Bei der Gestaltung der politischen Zukunft Deutschlands würde ihnen, so hofften die Intellektuellen, eine bedeutende Rolle zufallen. Daß ihre Vision einer nationalstaatlich verfaßten Gesellschaft, die die Chance freier politischer Betätigung und sozialen Aufstiegs in sich barg, gerade bei der akademischen Jugend auf Resonanz stieß, war verständlich

Die Anziehungskraft, die vom nationalen Gedanken auf die Bildungsschicht ausging, wurde von den Regierungen natürlich gesehen. In Momenten, in denen sie bestrebt waren, alle Kräfte im Widerstand gegen Napoleon zu mobilisieren, versuchten sie, das aufkeimende Nationalbewußtsein in ihre Dienste zu nehmen. Die preußischen Reformer um den Freiherrn Karl vom Stein, um Graf Neidhardt von Gneisenau und Karl August Fürst von Hardenberg sind dafür vielleicht die bekanntesten Beispiele. Der schwäbische Reichsgraf Philipp Stadion in Österreich und vom Stein in Preußen verstanden ihre Reformbestrebungen als Elemente der Befreiung. „Unsere Sache ist die Sache Teutschlands“, hieß es 1809 im Aufruf des österreichischen Erzherzogs Karl am Beginn des Krieges gegen Napoleon. „Mit Österreich war Teutschland selbständig und glücklich; nur durch Österreich kann Teutschland wieder beides werden“ Im Frühjahr 1813 war im Aufruf „An mein Volk“ König Friedrich Wilhelms III. nicht nur von den Preußen die Rede, sondern auch von den Deutschen, so daß die preußische Erhebung auch national-deutsch verstanden werden konnte.

Je entschiedener jedoch im Fortgang der nationalen Bewegung die liberale Komponente hervortrat, desto stärker empfanden die Regierungen in Wien und Berlin die Bedrohung durch den nationalen Gedanken. Denn nationales Denken war weithin identisch mit dem Streben nach bürgerlicher Emanzipation und der liberal-demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft. Die „Idee einer verfassungsmäßigen Regierung in Einstimmung mit dem Volke“ sollte im Nationalstaat verwirklicht werden. Er war also mitnichten bloßer Selbstzweck; Vielmehr wurde er als Rahmen für konkrete politische Ziele und Erwartungen gesehen. Für die Anhänger des nationalen Gedankens, die „Protestgeneration“ des frühen 19. Jahrhunderts, war der Nationalstaat das Synonym für den demokratischen Rechts-und Verfassungsstaat, für das nach außen und innen freie Deutschland Einheit und Freiheit waren für die nationale Bewegung miteinander gekoppelt, bedingten sich gegenseitig. Deshalb waren die Befreiungskriege gegen Napoleon in den Jahren 1813— 1815 in den Worten Theodor Körners kein Krieg, „von dem die Kronen wissen“, sondern ein „heil’ger Krieg“, der vor allem die Begeisterung und die Opferbereitschaft der studentischen Jugend zu wecken vermochte. Körner bezahlte seinen Einsatz in diesem „Kreuzzug“ für ein freies Deutschland wie viele seiner Altersgenossen mit dem Leben. Die deutsche Nationalbewegung hatte ihren Märtyrer.

III. „Was ist des Deutschen Vaterland?“

In den Reden, in der Lyrik und in den Liedern der national gesinnten Intellektuellen ging es um Deutschland, um das „deutsche Vaterland“. Mit der Propagierung des deutschen Nationalstaats als der Verkörperung der Einheit von Volk und Staat sollte eine historische Entwicklung nachgeholt werden, die bei den großen Nationen Westeuropas schon seit der frühen Neuzeit, nicht zuletzt begünstigt durch die Geographie, zur Selbstverständlichkeit geworden war.

Der Wunsch der „verspäteten“ Nation, den eigenen Nationalstaat zu schaffen, warf freilich eine Reihe von Fragen auf, die in der Nationalbewegung leidenschaftlich erörtert und von den Nachbarn der Deutschen seit dem frühen 19. Jahrhundert nicht ohne Mißtrauen verfolgt wurden. Wer sollte zu den Deutschen gehören? Sollte die Sprache maßgebend sein, selbst dann, wenn Gruppen von Deutschsprechenden nicht Deutsche sein wollten wie die Deutsch-Schweizer oder ein großer Teil der Elsässer? War jeder ein Deutscher, der in einem deutschen Staat lebte? Waren die Tschechen im österreichischen Böhmen, die Italiener in Tirol, die Polen in Preußen Deutsche? Österreich und Preußen stellten Staaten eines älteren Typs dar: vornationale Staaten, multinationale Reiche auf dynastischer Grundlage. Es war nur konsequent, daß den „Völkergefängnissen“

wie der Habsburger Monarchie von den Nationalbewegungen des 19. Jahrhunderts jede Legitimität abgesprochen, ein Recht auf Fortbestehen verweigert wurde.

Was also sollte unter Deutschland verstanden werden? Ließen sich seine Grenzen überhaupt eindeutig festlegen? Über diese Fragen ließ es sich trefflich streiten. Sie blieben bis zur Gründung des deutschen Nationalstaates 1871 aktuell.

„Deutschland? aber wo liegt es?“, fragten Johann • Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, nur wenige Jahre bevor die deutsche Nationalbewegung sich anschickte, den nationalen Staat für die Deutschen zu fordern. Ihre Antwort war lapidar: „Ich weiß das Land nicht zu finden“. Und ebenso unmißverständlich war ihr Rat für die Deutschen: „Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens; /Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus“ („Xenien“, 1796). Im verwandten Geiste schrieb noch 1836 Leopold von Ranke, damals Professor in Berlin:

„Unser Vaterland ist vielmehr mit uns, in uns.

Deutschland lebt in uns.“ Wenn der Freiherr vom Stein 1812 programmatisch erklärte: „Ich habe nur ein Vaterland, das heißt Deutschland“ dann war das zwar als Absage an den kleinstaatlichen Partikularismus zu verstehen;

aber es war keine Aussage darüber, was denn „Deutschland“ sei.

Am Vorabend der Befreiungskriege glaubte Arndt im patriotischen Überschwang die Frage nach des Deutschen Vaterland ein für allemal beantwortet zu haben: „So weit die deutsche Zunge klingt /Und Gott im Himmel Lieder singt/Das soll es sein!“ Arndt machte damit die Sprache zum Kriterium nationaler Identität. Und für ihn klang die deutsche Zunge „von der Nordsee bis zu den Karpathen, von der Ostsee bis zu den Alpen, von der Weichsel bis zur Schelde“

Aber dieser weitausgreifende Anspruch ging insofern an der geschichtlichen Realität vorbei, als er z. B. auf die Vorstellungen der deutschsprachigen Schweizer und Elsässer keine Rücksicht nahm. Eine Einbeziehung in den gedachten deutschen Nationalstaat entsprach kaum deren politischen Wünschen. Arndts Antwort auf die Frage, was des Deutschen Vaterland sei, war letzten Endes Utopie.

Die frühe deutsche Nationalbewegung war denn auch in ihrer Raumvorstellung bescheidener. Im Grunde hielt sie sich an die Grenzen des vornationalen Deutschen Bundes von 1815, wenn es darum ging, „Deutschland“ zu definieren. Jahns Konzept eines Großdeutschland, das auch die Schweiz, die Niederlande und Dänemark umfaßte, blieb ein isolierter Vorschlag ohne Widerhall Für die Nationalbewegung schloß „Deutschland“ aber selbstverständlich Österreich ein. Es reichte also von der „Etsch bis an den Belt“, wie es im 1841 entstandenen „Lied der Deutschen“ des ehemaligen Burschenschafters August Heinrich Hoffmann von Fallersleben heißt. Im Deutschland Hoffmann von Fallerslebens ging auch das ganze Preußen auf: Es reichte „von der Maas bis an die Memel“, griff damit weit über die Bundesgrenzen hinaus.

Die Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, die im Sommer und Herbst 1848 über die Grenzen des zu schaffenden deutschen Reiches intensiv debattierten, votierten denn auch ungeachtet mancher Nuancen und Vorbehalte im einzelnen für einen Staat, der aus dem Territorium des vormaligen Deutschen Bundes unter Einschluß von Schleswig, West-und Ostpreußen sowie des größten Teils von Posen bestehen sollte Doch die Reichsverfassung vom 28. März 1849 beschränkte das Deutsche Reich wieder auf das Gebiet des Deutschen Bundes. Damit hatte sich der historisch-politische Begriff Deutschland gegen den ethnisch-sprachlichen durchgesetzt.

Dieser Ausgang der Debatten in Frankfurt war ganz wesentlich auf den Abgeordneten Wilhelm Jordan zurückzuführen, der sich schon im Juli 1848 eindeutig für die Staatsnation im westeuropäischen Sinne ausgesprochen hatte: „Alle, welche Deutschland bewohnen, sind Deutsche, wenn sie auch nicht Deutsche von Geburt und Sprache sind.“ Den „nicht deutsch redenden Volksstämmen Deutschlands“ wurde in der Reichsverfassung ihre „volkstümliche Entwicklung“ garantiert, insbesondere die Gleichberechtigung ihrer Sprachen (§ 188). Ein Kleindeutschland unter Ausschluß Österreichs, das Interessen auf dem Balkan und in Italien verfolgte, hatten die Parlamentarier der Paulskirche noch nicht akzeptieren wollen. Doch schon damals war eine zunehmende Entfremdung zwischen Österreich und den anderen deutschen Staaten nicht zu verkennen. Mit dem Hervortreten des wirtschaftlich erstarkenden Preußen im deutschen Einigungsprozeß seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts rückte das kleindeutsche Konzept immer stärker in den Vordergrund. Die Entscheidung über den Ausschluß der Deutschen im Vielvölkerstaat der Habsburger, aus dem sich abzeichnenden deutschen Nationalstaat fiel dann endgültig 1866. In dem von Preußen geführten Deutschen Zollverein, dem Österreich nicht angehörte, hatte sie sich auf der wirtschaftspolitischen Ebene schon seit 1834 vorbereitet.

Daß bei der Festlegung der Grenzen des deutschen Nationalstaats wie in vielen ähnlich gelagerten Fällen (Griechenland, Italien) Elemente von Zufälligkeit und Willkür eine Rolle spielten, ist nicht zu übersehen. Das kleindeutsche Reich von 1871, das nach dem Ersten Weltkrieg territoriale Einbußen hinnehmen mußte, schloß nationale Minderheiten in seinen Grenzen ein: Dänen im Norden, Polen und Masuren im Osten, Elsässer und Lothringer im Südwesten, Wallonen im Gebiet um Malmedy. Insgesamt waren es vier Millionen Menschen, sechs Prozent der Reichs-bevölkerung. Das 1871 geschaffene Reich war also nie ein „echter“ oder „reiner“ Nationalstaat. Es umfaßte auch zu keinem Zeitpunkt alle in Mittel-und Ost-mitteleuropa lebenden Deutschen, sondern nur einen großen Teil der deutschen Sprachgemeinschaft. Die deutsche „Kulturnation“ war immer größer als die im deutschen Nationalstaat zusammengefaßte Nation. Dies führte dann zu der weithin üblichen Unterscheidung zwischen „Reichsdeutschen“ und „Volksdeutschen“.

Der Nationalstaat der Deutschen war darüber hinaus nicht wie die großen westeuropäischen Staaten zentralistisch, sondern föderalistisch organisiert. Er mußte Rücksicht nehmen auf ein Erbe der deutschen Geschichte: auf die eigenständige Entwicklung der deutschen Territorien. Aus ihr speiste sich mit dem Erstarken der Nationalbewegung der Widerstand der Partikularstaaten gegen das Ziel der Nationalbewegung, den deutschen Einheitsstaat.

Die Interessen der deutschen Nationalbewegung und die der deutschen Mittelstaaten (weniger die der Kleinstaaten) liefen im 19. Jahrhundert durchaus in unterschiedliche Richtungen, ja sie standen meist miteinander im Konflikt. Die deutschen Staaten, „Geschöpfe der Revolution und der Restauration zugleich“ verschanzten sich angesichts der Herausforderung durch den nationalen Gedanken, der sich auf das unterstellte Zusammengehörigkeitsgefühl aller Deutschen stützte, hinter den Regelungen des Wiener Kongresses, die den 39 Bundesstaaten ein hohes Maß staatlicher Unabhängigkeit garantierten.

Die nationale Bewegung war für die innere und äußere Stellung der fürstlichen Obrigkeiten eine Gefahr, die es zu bekämpfen galt. Allein schon aus diesem Grunde gehörten sie zu den Verteidigern des Status quo. Sie werteten die nationalen Bestrebungen als Subversion, gerichtet auf die Auflösung ihrer sich oft nur mühsam konsolidierenden Staaten und die Schwächung des monarchischen Prinzips. In den Augen des Fürsten Klemens von Metternich, des Schöpfers und Garanten der Ordnung von 1815, stellte das nationale Programm im gesamtdeutschen Sinne die Revolution dar. Metternich fürchtete die revolutionäre Sprengkraft des Nationalismus zu Recht, denn die Idee der sich selbstbestimmenden Nation sollte ihre größten Triumphe später gerade auf dem Gebiet der Habsburger Monarchie und in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft in Ostmittelund Südosteuropa feiern.

Vor allem Theodor Schieder und Werner Conze haben darauf aufmerksam gemacht, daß die größeren deutschen Partikularstaaten im frühen 19. Jahrhundert eifrig bestrebt waren, in ihrer Bevölkerung ein Staatsbewußtsein zu erhalten und zu entwickeln Da sich ihre Grenzen zwischen 1803 und 1815 zum Teil erheblich verändert hatten, mußten sie ein solches Bewußtsein bei ihren neuen „Untertanen“ oft überhaupt erst wecken. Mittelstaaten wie Hannover, Sachsen, Hessen, Bayern, Württemberg oder Baden gingen hier voran. Aber der von den Verfechtern der nationalen Einheit geschmähte „Partikularismus" dieser Staaten, das sonderstaatliche Bewußtsein ihrer Bevölkerungen, läßt sich nicht einfach als künstlich abtun. Er entsprang in seinem Kern einem traditionellen und zweifellos volkstümlichen Landesbewußtsein, das allmählich auch auf die neugewonnenen Landesteile ausstrahlte. Was hinderte also den Hannoveraner oder den Bayern daran, den Partikularstaat — und eben nicht „Deutschland“ — mit seinem Vaterland zu identifizieren? „Das ist die Aufgabe in Deutschland,“ schrieb der junge Ranke Anfang 1818, „daß sich das Leben eines jeden Stammes in seiner besonderen Eigentümlichkeit frei entwickeln könne: das Gemeinschaftliche aller wird die Vereinigung der Deutschen sein, in Wahrheit, aus den Herzen hervor, der innersten und tiefsten Natur. Ein jeder Stamm habe Achtung vor dem Andern. Ein jeder Stamm ... lebe herauf für sich, aus seinem Wesen. Sind wir nicht ein Volk in unserer tiefsten Natur, so wollen wir uns nicht zu einem drechseln.“

Im Berliner „Politischen Wochenblatt“ heißt es 1833: „Wir glauben, daß das deutsche Vaterland sein eigenstes Lebensprinzip eben in jener rechtlichen Mannigfaltigkeit habe, welche dem Trug-bilde des falschen Patriotismus hingeopfert werden soll... Jagen wir daher keinen Luftgebilden nach und gönnen wir den Franzosen ihre nivellierte Einheit, ihre Departements, ihre Zentralisation und Eitelkeit und bewahren wir uns das bessere Bewußtsein, Deutschlands Einheit bestehe umgekehrt gerade darin, daß in jedem, auch dem kleinsten Teile des deutschen Vaterlandes, besondere Lebenspulse schlagen, die alle dem Herzen Nahrung zuführen.“

In der Publizistik und politischen Literatur war damals häufig von der bayerischen oder der württembergischen Nation die Rede. Die Möglichkeit war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts keineswegs ausgeschlossen, in Ansätzen sogar schon weit gediehen, daß „neue Mittelstaatsnationen der Bayern, Sachsen, Hessen usw. entstanden, die mit der deutschen Nation wohl im Einklang stehen konnten, wenn diese so locker gefügt war wie in der Verfassung von 1815, die aber mit dem Deutschen in Konflikt geraten konnten, wenn die Vereinheitlichung Deutschlands in einem Nationalstaat erstrebt wurde“ Daß der nationale über den partikularstaatlichen Gedanken letzten Endes den Sieg davontrug, mag eher als Zufall angesehen werden und nicht als historische Zwangsläufigkeit ohne Alternativen, als vorgegebene Einbahnstraße, wie dies so häufig geschehen ist. Warum es schließlich so und nicht anders gekommen ist, läßt sich mit dem Verweis auf ein immanentes „Ziel“ der deutschen Geschichte nur unbefriedigend erklären.

IV. Die prägende Kraft des Nationalstaats

Der Blick auf die knapp zweihundertjährige Geschichte des modernen Nationalismus seit der Französischen Revolution macht die historische Gebundenheit unserer Vorstellungen von Nation, Nationalbewußtsein und Nationalstaat deutlich. In Deutschland haben sich diese Vorstellungen im frühen 19. Jahrhundert mit Realität gefüllt und dann besonders nach 1871 verfestigt. So war es früher oder später auch in anderen Ländern Europas. Selbst die westeuropäischen Staatsnationen, die die Nation in der Theorie nicht primär auf sogenannte objektive Merkmale wie Sprache, Religion, Herkunft, gemeinsame Geschichte gründen, sondern auf den politischen sind Produkte histori Willen -der Individuen, scher Konstellationen und Entwicklungen. .

Das sich aus verschiedenen Wurzeln speisende individuelle Loyalitätsverhältnis, auf dem die Staatsnation beruht, ist ein entscheidendes Element des Nationalbewußtseins, aber es ist wie alle politischen und sozialen Strukturen dem historischen Wandel unterworfen. Wenn Ernest Renan in einer berühmten Formulierung die Nation als tägliches Plebiszit definierte, bedeutet dies ja auch, daß die Bindung an die Nation auf-gekündigt werden kann.

Die west-und südwesteuropäischen Regionalbewegungen, die in den letzten Jahren einen kräftigen Aufschwung erlebten, sind ein Indiz dafür, daß die behauptete Geschlossenheit der Staatsnation und das angeblich gefestigte Nationalbewußtsein in den „historischen“ Nationalstaaten mehr oder weniger eine Fiktion ist. In Spanien, Frankreich oder Großbritannien ist die Hülle des zentralistischen Nationalstaats heute aufgebrochen, sind die bestehenden staatlichen Strukturen in Frage gestellt oder durch Reformen inzwischen schon verändert worden. Darin äußert sich nicht nur Unzufriedenheit mit der Leistungsfähigkeit des Nationalstaats. Der Nationalstaat mit einer homogenen Nation, so kann die Schlußfol-gerung heute nur lauten, war in der Geschichte Europas immer nur theoretischer Entwurf. Daß seine oft mühselig erkämpfte Verwirklichung wie im Falle Deutschlands die Garantie für eine Existenz auf Dauer nach sich ziehe, mochte mancher Zeitgenosse im Überschwang der „Freude am Vaterlande“ glauben, doch dieser Glaube eines von Treitschke oder von Sybel erwies sich als Täuschung.

Der Blick auf die Geschichte des modernen Nationalismus macht aber auch deutlich, daß die Kategorien des Nationalen unter ganz verschiedenartigen historischen Umständen bis in die Gegenwart eine außerordentlich prägende Kraft besessen haben, in Deutschland wie anderswo. In den Grenzen ihres Nationalstaats, wie sie sich nicht zuletzt als Ergebnis der „Einigungskriege“ seit 1864 konkretisierten, glaubte die überwältigende Mehrheit der Deutschen, nach langem Suchen ihre nationale Identität gefunden zu haben. Nach der Reichsgründung hat sich der „staatsnationale“ Zug im deutschen politischen Denken und im „öffentlichen“ Bewußtsein immer stärker durchgesetzt. Das geschah auch ungeachtet mancher Bestrebungen, insbesondere von Seiten der Alldeutschen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, ein „größeres Deutschland“ zu propagieren, eine Konzeption, für die der Nationalstaat nur ein Übergangsstadium darstellte.

In dem Bemühen, dem Prozeß ihrer nationalen Selbstverwirklichung in der Geschichte nachzuspüren, vergaßen die Deutschen jedoch häufig allzu leicht, daß Nation und Nationalstaat wie Nationalbewußtsein keine Konstanten sind. Daß der Glaube an die Stabilität und Endgültigkeit der deutschen Lösung von 1864/71 eine Illusion war, hat auch die wiederaufgelebte Debatte über die Identität der Deutschen ans Licht gebracht. Indes, die Grenzen des kleindeutschen Nationalstaats haben in den knapp siebzig Jahren seines Bestehens die Vorstellung von der anzustrebenden politischen Ordnung des mitteleuropäischen Siedlungsraums der Deutschen und ihr Nationalbewußtsein nachhaltig geprägt — selbst dann noch, als dieser Nationalstaat als Folge der nationalsozialistischen Hybris längst zerbrochen war. Die Schaffung eines bis heute nachwirkenden Raumbildes für das nationale Dasein der Deutschen ist deshalb einmal zu Recht als „große geschichtliche Leistung der deutschen Nationalstaatsschöpfung“ gewertet worden

Aber die Erinnerung an den kleindeutschen Nationalstaat, in dem die Deutschen zum erstenmal die Nation als politische Realität erfuhren, verblaßt mit dem Wechsel der Generationen. Mit ihr schwindet auch das auf diesen Staat bezogene nationale Bewußtsein, das hinter dem Verlangen nach der Wiedervereinigung Deutschlands „in den Grenzen von 1937“ stand und steht. Hilft es den Deutschen bei der Suche nach ihrer nationalen Identität, wenn sie sich noch am deutschen Nationalbewußtsein, wie es sich im 19. Jahrhundert herausbildete, orientieren und sich auf den Nationalstaat von 1871 berufen? Vieles spricht gegen den Rückgriff auf eine gescheiterte Ideologie und auf überlebte Argumente.

Was jedoch an die Stelle des kleindeutschen Nationalbewußtseins treten könnte, ist heute noch weitgehend offen und zeichnet sich allenfalls in ersten Umrissen ab. Ob sich das bundesdeutsche Staatsbewußtsein in einem weiterhin national-staatlich organisierten Europa zu einem „bundesdeutschen“ Nationalbewußtsein auf Kosten des gesamtdeutschen Nationalbewußtseins fortentwickeln wird, bleibt abzuwarten Ob ein europäisches Bewußtsein das nationale Bewußtsein nicht nur überwölben, sondern letztlich ersetzen kann, ist fraglich. Die Epoche der Nationalstaaten ist eben noch nicht zu Ende — auch wenn das gern behauptet wird. Die Phase des Übergangs und des Umdenkens, deren Zeugen wir sind ist eine Zeit der Ungewißheiten, jedoch auch eine Zeit der Klärung und des Suchens nach neuen Maßstäben, eine Zeit der Vergewisserung von Kontinuitäten und der geschärften Wahrnehmung von Brüchen.

Eine eindeutige Antwort auf die Frage nach der deutschen Nation und ihrer anzustrebenden staatlichen Verfassung ist heute so wenig wie im frühen 19. Jahrhundert zu erwarten Die oft verdrängte Einsicht, daß die Frage eine lange Geschichte hat, sollte aber dazu anhalten, sie mit Toleranz und Gelassenheit zu diskutieren. Zutreffend ist möglicherweise das Argument, die aus der „deutschen Katastrophe“ (Friedrich Meinecke) hervorgegangene staatliche Vielfalt Mitteleuropas habe ihr, wenngleich in veränderter Gestalt, eine Dimension zurückgegeben, die von der Nationalbewegung erfolgreich diskreditiert und durch den nationalen Einheitsstaat für einen vergleichsweise kurzen Abschnitt der deutschen Geschichte überdeckt worden ist.

Die selbstverständliche Norm der deutschen Geschichte ist der geschlossene Nationalstaat, in dem die überwiegende Mehrheit der Deutschen lebt, jedenfalls nicht. Kulturnation und Staatsnation waren bei den Deutschen nie deckungsgleich. Der nationalstaatlichen Existenz in der knappen Zeitspanne von zwei oder drei Generationen stehen Jahrhunderte anderer politischer Gestaltungen gegenüber. In ihnen hat das deutsche Volk existiert, ohne daß es deshalb das Gefühl seiner Zusammengehörigkeit verlor.

Mithin lassen sich gute Gründe für die Auffassung anführen, die deutsche Gegenwart sei, wie es der amerikanische Historiker James Sheehan in einem bedenkenswerten Essay pointiert formuliert hat lediglich ein neues Kapitel in einer viel älteren Geschichte, ja sie stelle in gewisser Hinsicht sogar ein Anknüpfen an ältere Lebensformen der Deutschen dar.

Aber lassen sich die Dinge wirklich so sehen? Ist es statthaft, eine Parallele zu ziehen zwischen der deutschen Geschichte nach 1945 und den Jahrhunderten, in denen es keinen deutschen Nationalstaat gab? Werden sich die Bundesdeutschen auf Dauer damit zufrieden geben, in ihrem Staat nur einen großen Dienstleistungsbetrieb zu sehen?

Auch wenn die Schlußfolgerung Sheehans aus dem Gang der deutschen Geschichte in den letzten beiden Jahrhunderten in der bundesdeutschen Öffentlichkeit inzwischen Anhänger gefunden hat bleiben Zweifel, ob die Teilung Deutschlands quasi als Rückkehr zur politisch-territorialen Normalität des deutschen Staaten-Pluralismushingenommen werden muß. Sheehans Antwort auf die Frage nach der deutschen Nation und ihrer politischen Lebensform ist vielleicht doch zu glatt, zu rational argumentiert, zu „logisch“.

Vermag die Absage an den alten deutschen Nationalstaat und das Sichabfinden mit dem Nach-kriegszustand in Mitteleuropa die nationale Frage der Deutschen wirklich zu lösen? Ist nach 1945 durch die Einwirkung der Siegermächte die staatliche Organisation der Deutschen dauerhaft in eine stabile Form gegossen worden, immun gegen geschichtlichen Wandel? Deutschland — erneut nur ein geographischer Begriff? Das Wiederaufleben der „deutschen Frage“ seit Beginn der achtziger Jahre scheint nicht in diese Richtung zu deuten.

Gewiß, nach der Erfahrung des Dritten Reiches waren die Kategorien des Nationalen bei den Deutschen nachdrücklich diskreditiert. Auf der Suche nach Einbindung in eine größere Gemeinschaft richteten sich die freigesetzten Loyalitäten der Westdeutschen auf Europa. Aber spätestens seit den ausgehenden siebziger Jahren macht sich in der Bundesrepublik Ernüchterung über den Fortgang der westeuropäischen Integration breit. Auch hat sich der technologisch-wirtschaftliche Wandel in den letzten Jahren enorm beschleunigt. Die sozialen Auswirkungen sind tiefgreifend. Es ginge zweifellos zu weit, eine Analogie zur Umbruchssituation in Mitteleuropa zu Beginn des 19. Jahrhunderts behaupten zu wollen. Einige Parallelen sind indes nicht zu übersehen. In einer Phase der politischen und sozialen Verunsicherung, in der sich traditionelle Loyalitäten abschwächen, gewinnen die Nation und der Nationalstaat erneut an Anziehungskraft.

Sicher wird man bei einer realistischen Einschätzung der gegenwärtigen weltpolitischen Konstellation davon ausgehen müssen, daß an eine Restauration des im 19. Jahrhundert entstandenen und 1938/45 untergegangenen deutschen Nationalstaats nicht zu denken ist. „Deutschland bleibt im Horizont eines nationalstaatlich gegliederten Europas eine Frage“, schrieb Helmuth Plessner schon 1959. „Es wird nie mit allen seinen geschichtlichen Reserven bei einer nationalstaatlichen Lösung sein können, sie mag kleindeutsch oder großdeutsch ausfallen, weil die Einigung des deutschen Volkes unter einer Staatsidee die Sprengung anderer Staaten zur Voraussetzung hätte, d. h. eine gesamteuropäische Revolution.“ Ein Nationalbewußtsein, das sich am Deutschen Reich von 1871 oder von 1919 orientiert, ist offenbar überholt. Dennoch: Das Problem des deutschen Nationalbewußtseins und des deutschen Nationalstaats ist, wenngleich vor einem ganz anderen Erfahrunghorizont als im 19. Jahrhundert und unter total veränderten weltpolitischen Bedingungen, nicht vom Tisch. Die Frage nach der nationalen Identität der Deutschen in einem Europa, das in ideologische Blöcke geteilt ist und in dem sich ungeachtet der westeuropäischen Integrationsbemühungen seit 1950 der Nationalstaat weiterhin behauptet, hat sich nicht erledigt. Das Nachdenken über die deutsche Nation und ihre staatliche Verfassung in Gegenwart und Zukunft wird nicht aufhören. Aber „wenn wir heute über die Frage des Nationalbewußtseins diskutieren“, bemerkte dazu Manfred Hättich, „dann können wir das Problem nicht nur an der deutschen Teilung festmachen, sondern müssen auch die Gefahr sehen, daß ein Nationalismus als fanatischer, friedens-und freiheitszerstörender politischer Glaube jederzeit wieder erstehen kann“

Welche Ergebnisse das Nachdenken über die deutsche Nation im Verein mit politischen Veränderungen zeitigen wird, steht dahin. „Da die Vergangenheit die Zukunft nicht mehr erhellt, tappt der Geist im Dunkeln.“ Was Alexis de Tocqueville vor anderthalb Jahrhunderten nach seiner Nordamerikareise niederschrieb, sollte jedoch auch heute dazu anhalten, die Tragfähigkeit und Aussagekraft politischer Entwicklungsprognosen vorsichtig zu bewerten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. „Die politische Identität ist das Ergebnis eines Prozesses der Selbstzuschreibung vergangener politischer Erlebnisse und Verhaltensweisen, gewissermaßen die Summe des Gedächtnismaterials des eigenen politischen Verhaltens. Darin liegt die prinzipielle Änderungsmöglichkeit begründet, aber auch die kurz-und mittelfristig relativ hohe Stabilität“ (G. Schmidtchen, Was den Deutschen heilig ist. Religiöse und politische Strömungen in der Bundesrepublik Deutschland, München 1979, S. 141). W. Weidenfeld definiert Identität als „Summe unseres Orientierungswissens“ (Die Identität der Deutschen — Fragen, Positionen, Perspektiven, in: ders. (Hrsg.), Die Identität der Deutschen, München 1 9832, S. 19). Aus der kaum noch überschaubaren Literatur zur Problematik vgl. K. Weigelt (Hrsg.), Heimat und Nation. Zur Geschichte und Identität der Deutschen, Mainz 1984; B. Willms, Die Deutsche Nation, Köln 1982; H. Pross, Was ist heute deutsch? Wertorientierungen in der Bundesrepublik, Reinbek bei Hamburg 1982; J. Leinemann, Die Angst der Deutschen. Beobachtungen zur Bewußtseinslage der Nation, Hamburg 1982; W. Weidenfeld, Die Frage nach der Einheit der deutschen Nation, München 1981; A. Peisl/A. Mohler (Hrsg.), Die deutsche Neurose. Uber die beschädigte Identität der Deutschen, Frankfurt 1980; I. Fetscher, Die Suche nach der nationalen Identität, in: J. Habermas (Hrsg.), Stichworte zur „Geistigen Situation der Zeit“, Bd. 1, Frankfurt 1979, S. 115— 131; M. und S. Greiffenhagen, Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur Deutschlands, München 19792; K. Teppe, Das deutsche Identitätsproblem. Eine historisch-politische Provokation, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 20-21/76, S. 29— 39.

  2. K. Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, München 1966, S. 177ff.

  3. Vgl. z. B. E. Schulz, Die deutsche Nation in Europa. Internationale und historische Dimensionen, Bonn 1982, S. 135— 146, und P. Hässner, Was geht in Deutschland vor? Wiederbelebung der deutschen Frage durch Friedensbewegung und alternative Gruppen, in: Europa-Archiv, 37 (1982), S. 517— 526.

  4. W. Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität der Deutschen (Anm. 1), S. 9.

  5. Ebd.

  6. Zur darüber geführten Diskussion: B. Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980; ders., „Deutscher Sonderweg“. Zur Geschichte und Problematik einer zentralen Kategorie des deutschen geschichtlichen Bewußtseins, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 33/81, S. 3— 21; Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), Deutscher Sonderweg — Mythos oder Realität?, München 1982; K. Sontheimer, Ein deutscher Sonderweg?, in: W. Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität der Deutschen (Anm. 1), S. 324— 335.

  7. H. Plessner, Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 6, Frankfurt 1982, S. 7— 223; auch Th. Schieder, Das Deutsche Reich in seinen nationalen und universalen Beziehungen 1871 bis 1945, in: ders. /E. Deuerlein (Hrsg.), Reichsgründung 1870/71. Tatsachen, Kontroversen, Interpretationen, Stuttgart 1970, S. 422— 454.

  8. H. von Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1, Leipzig 1879, S. VIII. Vgl. dazu E. Fehrenbach, Die Reichsgründung in der deutschen Geschichtsschreibung, in: Th. Schieder/E. Deuerlein (Hrsg.) (Anm. 7), S. 259— 290, und W. Hardtwig, Von Preußens Aufgabe in Deutschland zu Deutschlands Aufgabe in der Welt. Liberalismus und borussianisches Geschichtsbild zwischen Revolution und Imperialismus, in: Historische Zeitschrift, 231 (1980), S. 265— 324.

  9. H. von Treitschke (Anm. 8), S. VIIf.

  10. H. von Sybel an H. Baumgarten, 27. Januar 1871, in: J. Heyderhoff (Hrsg.), Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung, Bd. 1, Bonn 1925 (Neudruck Osnabrück 1970), S. 494.

  11. H. Oncken, Wandlungen des Geschichtsbildes in revolutionären Epochen, abgedruckt in: Historische Zeitschrift, 189 (1959), S. 135.

  12. A. Hillgruber, Die Last der Nation. Fünf Beiträge über Deutschland und die Deutschen, Düsseldorf 1984, S. 30.

  13. Dazu ist immer noch wichtig F. Meineckes 1907 erschienene Studie Weltbürgertum und Nationalstaat, München 1969°. Ergänzend: R, M. Berdahl, Der deutsche Nationalismus in neuer Sicht (1972), in: H. A. Winkler (Hrsg.), Nationalismus, Königstein/Ts. 1978, S. 138— 154; Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800— 1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983.

  14. Vgl. W. J. Mommsen, Nationalbewußtsein und Staatsverständnis der Deutschen, in: R. Picht (Hrsg.), Deutschland, Frankreich, Europa. Bilanz einer schwierigen Partnerschaft, München 1978, S. 33 ff.

  15. O. Dann, Nationalismus und sozialer Wandel in Deutschland 1806— 1850, in: ders. (Hrsg.), Nationalismus und sozialer Wandel, Hamburg 1978, S. 77— 128.

  16. Siehe dazu H. A. Winkler, Einleitung: Der Nationalismus und seine Funktionen, in: ders. (Hrsg.) (Anm. 13), S. 26.

  17. H. Schulze, Der Weg zum Nationalstaat. Die deutsche Nationalbewegung vom 18. Jahrhundert bis zur Reichsgründung, München 1985, S. 54f.

  18. O. Dann (Anm. 15), S. 77. Vgl. auch H. Berding/H. -P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Königstein/Ts. 1981.

  19. J. L. Talmon hebt, wie vor ihm schon andere, stärker auf die Bedeutung der Säkularisierung und des Nationalismus als Religionsersatz ab: „The ’death of God’ in the eigtheenth Century sent many people in search of focuses for collective identity, quite dissociated from the church and the confraternity of Christian believers. Such a substitute was found in the nation“, J. L. Talmon, The Myth of the Nation and the Vision of Revolution. The Origins of Ideological Polarisation in the Twentieth Century, London 1981, S. 1.

  20. So M. Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas. Eine vergleichende Analyse zur gesellschaftlichen Schichtung der patriotischen Gruppen, Prag 1968.

  21. A. Dorner/O. Braun (Hrsg.), Schleiermachers Werke, Bd. 1, Leipzig 1910, S. 529.

  22. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, in: E. Moldenhauer/K. M. Michel (Hrsg.), G. W. F. Hegel, Werke, Bd. 12, Frankfurt 1970, S. 56.

  23. Auch Jahn sprach von den Deutschen als dem „ältesten, größten noch lebenden Urvolk von Europa". Vgl. F. L. Jahn, Das deutsche Volkstum. Quellenbücher der Leibesübungen, Bd. 3, Dresden 1928, S. 372.

  24. E. M. Arndt, Geist der Zeit. 3. Teil, in: H. Meissner/R. Geerds (Hrsg.), Ernst Moritz Arndt, Ausgewählte Werke, Bd. 11, Leipzig o. J. (1909), S. 185.

  25. E. M. Arndt (Anm. 24), 2. Teil, S. 100.

  26. Ebd., S. 88, 108.

  27. R. Wittram, Kirche und Nationalismus in der Geschichte des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert, in: ders., Das Nationale als europäisches Problem. Beiträge zur Geschichte des Nationalitätsprinzips vornehmlich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1954, S. 122. Immer noch wertvoll: H. Kohn, The Mind of Germany. The Education of a Nation, Neudruck London 1969.

  28. M. Wawrykowa, „Für eure und unsere Freiheit“. Studentenschaft und junge Intelligenz in Ost-und Mitteleuropa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1985.

  29. O. Dann (Anm. 15), S. 112 ff.

  30. Zitiert in: ebd., S. 113.

  31. H. Schulze (Anm. 17), S. 67. Vgl. auch W. Bußmann, Vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zur Gründung des Deutschen Reiches, in: ders. (Hrsg.), Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 5, Stuttgart 1981, S. 428 f.

  32. Zitiert in: H. Schulze (Anm. 17), S. 64.

  33. K. H. Jarausch, Deutsche Studenten 1800— 1970, Frankfurt 1984, S. 35 f.

  34. „Die Jungen wollten jenes graue, eintönige Leben, in dem sie — eigenem Urteil zufolge — nur Sklaven hätten werden können, verändern: Sie wollten der Welt der Väter ihre eigene Welt gegenüberstellen“, M. Wawrykowa (Anm. 28), S. 20.

  35. W. Conze, Die deutsche Nation. Ergebnis der Geschichte, Göttingen 1963, S. 39 f.

  36. J. Görres, Zum württembergischen Landtag (1815), in: M. Görres (Hrsg.), J. Görres, Politische Schriften, Bd. 3, München 1855, S. 306.

  37. So M. Wawrykowa (Anm. 28), bes. S. 40 ff.

  38. L. Gall, Liberalismus und Nationalstaat. Der deutsche Liberalismus und die Reichsgründung, in: H. Berding u. a. (Hrsg.), Vom Staat des Ancien Regime zum modernen Parteienstaat. Festschrift für Theodor Schieder zu seinem 70. Geburtstag, München 1978, bes. S. 287 bis 291.

  39. Th. Schieder (Hrsg.), Leopold von Ranke, Politisches Gespräch, Göttingen 1963, S. 57.

  40. Vgl. R. Rürup, Deutschland im 19. Jahrhundert 1815— 1871, Göttingen 1984, S. 20.

  41. E. M. Arndt (Anm. 24), 3. Teil, S. 177.

  42. Vgl. H. Kohn (Anm. 27), S. 91.

  43. G. Wollstein, Das „Großdeutschland“ der Paulskirche. Nationale Ziele in der bürgerlichen Revolution 1848/49, Düsseldorf 1977; H. Lutz, Zwischen Habsburg und Preußen. Deutschland 1815— 1866, Berlin 1985, S. 300— 307.

  44. Vgl. Th. Schieder, Das deutsche Kaiserreich von 1871 als Nationalstaat, Köln 1961, S. 41.

  45. Ders., Partikularismus und Nationalbewußtsein im Denken des deutschen Vormärz, in: W. Conze (Hrsg.), Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815— 1848, Stuttgart 19783, S. 9.

  46. Ebd., S. 9— 38; W. Conze (Anm. 35), S. 43— 47.

  47. L. Keibel, Einige Jugendarbeiten aus dem Nachlaß Leopold von Rankes, in: Historische Zeitschrift, 137 (1928), S. 245.

  48. Zitiert in: F. Meinecke (Anm. 13), S. 217f.

  49. W. Conze (Anm. 35), S. 45.

  50. Th. Schieder, Nation und Nationalstaat in der deutschen Geschichte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 12/71, S. 3— 15.

  51. Dazu weiterführend M. Hättich, Nationalbewußtsein im geteilten Deutschland, in: W. Weidenfeld (Hrsg.), Die Identität der Deutschen (Anm. 1), S, 274— 293, und W. J. Mommsen (Anm. 14), S. 41 ff.

  52. „Viele Bürger der Bundesrepublik Deutschland haben offenbar das diffuse Empfinden, an der Grenze zu einer neuen Epoche zu leben — ohne aber präzise angeben zu können, worin dieser Epochenwandel besteht oder bestehen soll. In diese ratlose Normalität stößt in wachsendem Maße die zweifelnde und kritische Frage nach den Maßstäben und Werten unserer Republik“, W. Weidenfeld, in: ders. (Hrsg.), Die Identität der Deutschen (Anm. 1), S. 17.

  53. Vgl. allgemein W. Sauer, Das Problem des deutschen Nationalstaates, in: H. -U. Wehler (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, Köln 19734, S. 407— 436.

  54. J. J. Sheehan, What is German History? Reflections on the Role of the Nation in German History and Historiography, in: The Journal of Modern History, 53 (1981), S. 23. Schon sehr früh argumentierte in diesem Sinne K. D. Erdmann, Nationale und übernationale Ordnung in der deutschen Geschichte, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 7 (1956), S. 1 f.

  55. Vgl. hierzu auch die Überlegungen von W. J. Mommsen (Anm. 14), S. 42ff., und K. D. Erdmann, Drei Staaten — zwei Nationen — ein Volk?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 36 (1985), S. 671— 683.

  56. H. Plessner (Anm. 7), S. 42.

  57. M. Hättich (Anm. 51), S. 290.

  58. A.de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, München 1976, S. 827.

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Peter Alter, Privatdozent, Dr. phil., geb. 1940; Studium der Geschichte, Anglistik und Volkswirtschaftslehre in Köln und Oxford; wissenschaftlicher Assistent an der Universität zu Köln 1970— 1976 und 1980— 1981; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in London 1976— 1980 und seit 1981. Veröffentlichungen u. a.: Die irische Nationalbewegung zwischen Parlament und Revolution. Der konstitutionelle Nationalismus in Irland 1880— 1918, 1971; (Hrsg, zusammen mit Theodor Schieder) Staatsgründungen und Nationalitätsprinzip, 1974; (Hrsg, zusammen mit P. Kluke) Aspekte der deutsch-britischen Beziehungen im Laufe der Jahrhunderte, 1978; Der Imperialismus. Grundlagen, Probleme, Theorien, 19852; Wissenschaft, Staat, Mäzene. Anfänge moderner Wissenschaftspolitik in Großbritannien 1850— 1920, 1982; (Hrsg, zusammen mit Wolfgang J. Mommsen und Thomas Nipperdey) Geschichte und politisches Handeln. Studien zu europäischen Denkern der Neuzeit, 1985; Nationalismus, 1985.