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Die deutsch-deutschen Beziehungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre | APuZ 51-52/1985 | bpb.de

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APuZ 51-52/1985 Von Adenauer zu Kohl: Zur Ost-und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik 1949-1985 Die deutsch-deutschen Beziehungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre Die DDR und die Nationale Frage. Zum Wandel der Positionen von der Staatsgründung bis zur Gegenwart Artikel 1

Die deutsch-deutschen Beziehungen in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre

Wilhelm Bruns

/ 30 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die deutsch-deutschen Beziehungen sind an einem Punkt angelangt, wo gefragt werden muß, wie es weitergehen soll. Ohne neue Initiativen werden diese Beziehungen stagnieren. Es war zunächst richtig, sich auf die humanitäre Komponente deutsch-deutscher Beziehungen zu konzentrieren. Heute — nach den Erfahrungen mit der Vertragspolitik und unter Berücksichtigung der gewachsenen Rolle beider deutscher Staaten in ihren Bündnissen — muß dem eine sicherheits-und abrüstungspolitische Komponente hinzugefügt werden. Bei der Suche nach geeigneten Themen deutsch-deutscher Sicherheitspolitik ist es wichtig, sich der Grundlagen, Ziele und Instrumente einer solchen Politik, welche die „klassische“ Deutschlandpolitik der Bundesregierung nicht ersetzen, sondern ergänzen soll, zu vergewissern. Es wird gezeigt, daß es sowohl geeignete Themen gibt wie auch einen Weg, die klassische Deutschlandpolitik mit der sicherheitspolitischen Komponente zu verknüpfen.

I. Deutsch-deutscher Befund zum Ende des Jahres 1985 — Entwicklungen, Eindrücke, Ansatzpunkte und Fragen

Die deutsch-deutschen Beziehungen entziehen sich einer allzu schnellen und flächigen Beschreibung. Sie sind ambivalent, sowohl in ihren Ergebnissen wie in ihren Möglichkeiten. Bei dem Versuch, die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten auf eine Kurzformel zu bringen, ist es sicher zutreffend, folgendes festzustellen:

Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik sind besser als ihr Ruf, blieben aber auch im Jahre 1985 ein beträchtliches Stück von der Normalisierung entfernt. Sie sind in einigen Bereichen gut und stabil entwickelt (etwa im Bereich der Wirtschaft), in anderen Bereichen dagegen nicht einmal formalisiert (Kultur, Rechtshilfe, Wissenschaft und Technik). Die deutsch-deutschen Beziehungen sind zwar besser als die Ost-West-Beziehungen insgesamt, in die sie eingebettet sind, aber nicht so gut, wie sie sein könnten. Nicht wenige meinen — sowohl in Bonn wie in Ost-Berlin —, daß die Differenz zwischen Erreichtem und Erreichbarem nur deshalb noch so groß sei, weil es auf beiden Seiten an Phantasie, Konsequenz, Berechenbarkeit, aber auch an Geduld fehlt. Es wird beklagt, daß in. letzter Zeit zu wenig Deutschlandpolitisches auf Regierungsebene geschehen ist, obgleich der Handlungsbedarf unübersehbar ist.

Wir brauchen offenbar einen neuen Ansatz. Ansatzpunkt könnte dabei folgender Sachverhalt sein: Beide deutsche Staaten sind von der Rüstung betroffen. Sie sitzen auch an einigen abrüstungsrelevanten Verhandlungstischen. Dennoch spielt das Thema der Abrüstung in den deutsch-deutschen Beziehungen so gut wie keine Rolle, obgleich es dazu eine Festlegung im Art. 5 des Grundlagenvertrages gibt. Es drängt sich der Eindruck auf, daß dieses Ausklammern sicherheitspolitischer Themen in der Deutschlandpolitik in den späten achtziger Jahren nicht durchzuhalten sein wird.

Einige bei uns sehen in dem Versuch der SED, ihre Westpolitik zu intensivieren und zu diversifizieren, eine Gefahr für die deutsch-deutschen Beziehungen. Was ist davon zu halten? Werfen wir zuvor noch einen Blick auf einen anderen Punkt: Die seit Beginn der achziger Jahre bei uns zum Teil recht diffus geführte Debatte über die „deutsche Frage", . an der sich die Regierung bzw. Mitglieder der Regierung beteiligen, hat zwar nicht zur Klärung des Verhältnisses von „deutscher Frage“

und der deutsch-deutschen Beziehungen beigetragen, sondern eher zur Verunsicherung unserer Nachbarn. Nicht wenige sehen in dieser aufkommenden Diskussion einen Negativfaktor für die Entwicklung konstruktiver Beziehungen zur DDR. Hier sind Klarstellungen (durch die Bundesregierung) erforderlich.

Dazu werden in einem Exkurs einige Punkte zur Einordnung der deutschen Frage gemacht.

Die deutsch-deutschen Beziehungen gegen Ende des Jahres 1985 sind gekennzeichnet durch ein Gemisch aus Ungewißheiten und Fragezeichen, aber auch durch positive Tendenzen und etwas verbesserte Rahmenbedingungen.

So wird allgemein davon ausgegangen, daß die neuen Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der UdSSR, die am 12. März 1985 in Genf begannen, sowie die Bereitschaft beider Großmächte, zu einer „strategischen Stabilität" zu kommen, auch günstigere Bedingungen schaffen für die deutsch-deutschen Beziehungen. Positiv ist auch, daß die beiden Regierungen in Bonn und Ost-Berlin an der Fortsetzung der Gesprächskontakte interessiert sind. Dafür sprechen die zahlreichen Begegnungen zwischen Honecker und bundesdeutschen Politikern.

Wichtig war und ist die gemeinsame Erklärung von Honecker und Bundeskanzler Kohl nach ihrem Treffen am 12. März 1985 in Moskau (Tenor: „Von deutschem Boden muß Frieden ausgehen") Positiv sind auch die offenbar fruchtbaren Verhandlungen im Rahmen der KVAE in Stockholm. Sicher nicht zuletzt an Positiva sind zu nennen die Gespräche der SPD mit der SED, etwa im Rahmen der C-Waffen-Gruppe, bei denen es gelang, sich auf einen gemeinsamen Entwurf für eine chemiewaffenfreie Zone in Europa zu verständigen. Fragezeichen und Ungewißheiten dagegen ergeben sich aus einer Reihe von deutsch-deutschen Sachverhalten bzw. Stellungnahmen der DDR.

Generell:

— Was strebt die DDR-Führung in den deutsch-deutschen Beziehungen an? Welchen Stellenwert haben dabei die Geraer Forderungen (Respektierung der Staatsbürgerschaft der DDR, Auflösung der Salzgitter-Erfassungsstelle, Umwandlung Ständigen -der Ver tretungen in „normale" Botschaften und Verständigung über den Grenzverlauf der Elbe [Strommitte])?

— Was sind die Absichten der Bundesregierung in Bonn?

— Welchen Handlungsspielraum hat die DDR in den deutsch-deutschen Angelegenheiten gegenüber ihrer Bündnisvormacht?

Im einzelnen:

— Was bedeutet die Klarstellung der DDR vom 30. Januar 1985 im „Neuen Deutschland" (ND) in der Staatsbürgerschaftsfrage mit der Forderung nach Änderung des Grundgesetz-Artikels 116?

— Was bedeutet die publizistische Behandlung des heiklen Ausreisethemas für die deutsch-deutschen Beziehungen?

— Wann kommt es zum überfälligen Besuch Honeckers in der Bundesrepublik?

Dies sind einige der Ausgangspunkte und Fragen für die nachfolgende Analyse und die darauf aufbauenden Vorschläge.

Es war von Anfang an allen klar, daß es einen ausformulierten Fahrplan für die Entwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen nicht gibt bzw. nicht geben kann. Dies insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt, daß die Entwicklung abhängig ist sowohl von den innergesellschaftlichen Verhältnissen in beiden deutschen Staaten als auch Stand vom der jeweiligen Supermachtsbeziehungen. Was es jedoch gab bzw. gibt, ist die Bereitschaft, mit der DDR-Regierung aus verhandlungsfähigen Materien vernünftige Vertragsabschlüsse zur weiteren Normalisierung im Verhältnis zwischen Bundesrepublik und DDR zu machen.

Es war zunächst richtig, sich auf die humanitäre Komponente deutsch-deutscher Beziehungen zu konzentrieren. Hier gab es einen erheblichen Nachholbedarf, der entstanden war durch die lange Zeit der Nichtbeziehungen zwischen beiden deutschen Staaten.

Heute, nach den Erfahrungen mit der Vertragspolitik und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß beide deutsche Staaten in ihren Bündnissen eine sicherheitspolitisch große Bedeutung haben, muß eine sicherheits-und abrüstungspolitische Komponente hinzugefügt werden — eine bislang vernachlässigte Komponente sowohl in ihrer konzeptionellen Dimension wie in der praktischen deutsch-deutschen Politik.

II. Vergewisserung der Grundlagen, der Ziele und der Instrumente

Jeder, der sich mit den deutsch-deutschen Beziehungen befaßt und nach ihren Entwicklungsmöglichkeiten fragt, sollte sich der Grundlagen, der Instrumente und der Ziele deutsch-deutscher Bemühungen vergewissern. Was sind nun die deutsch-deutscher Grundlagen Beziehungen? Auf diese Frage gibt die Bundesregierung folgende Standardantwort:

— Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, — der Deutschlandvertrag, — die Ostverträge, — die Briefe zur „Deutschen Einheit" sowie — die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, — der Grundlagenvertrag vom 21. Dezember 1972 und die Urteile des Bundesverfas-sungsgerichts vom Juli 1973 und vom Juli 1975.

Diese regierungsamtliche Aufzählung verlangt offenbar eine präzisere Fragestellung. Was ist die zwischen den beiden deutschen Staaten vereinbarte Grundlage?

Auf diese Frage sollte es eigentlich nur eine Antwort geben. Basis der deutsch-deutschen Beziehungen ist der Grundlagenvertrag, der seit 1973 in Kraft ist Weiter fußen die deutsch-deutschen Beziehungen auf der fort-geltenden Vier-Mächte-Verantwortung, wie sie 1972 aus Anlaß des UNO-Beitritts der beiden deutschen Staaten bekräftigt wurde, dem Berlin-Abkommen von 1971, der Schlußakte von Helsinki von 1975 und dem Werbellin-Kommuniqu 6 zwischen Erich Honecker und Helmut Schmidt von 1981.

Für die operative deutsch-deutsche Verhandlungspolitik ist der Grundlagenvertrag mit seinen Anhängen sowie die Werbellin-Erklärung die vereinbarte Geschäftsgrundlage.

Was ist das Ziel deutsch-deutscher Politik? Hier hört man unterschiedliche Antworten von Vertretern der Bundesregierung und den Vertretern der DDR. Zugespitzt formuliert steht „Friedliche Koexistenz" gegen „Besondere Beziehungen". Aber auch hier hilft eine präzisere Frage: Was ist das vereinbarte Ziel deutsch-deutscher Beziehungen? Ein kurzer Blick auf den Artikel 1 des Grundlagenvertrages gibt die Antwort: Danach entwickeln die beiden deutschen Staaten „normale, gutnachbarliche Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung“.

Was sind die Instrumente in den deutsch-deutschen Beziehungen? Beide deutsche Staaten haben aus dem Spektrum möglicher Konfliktregelungsarten eindeutig das Mittel der Verhandlungen gewählt, d. h., daß versucht wird, mit der Regierung der DDR über Regelungsnotwendiges auf dem Weg von Kompromissen Verträge zu schließen. Dabei darf nicht verkannt werden, daß „Gegensätze und Unterschiede zwischen den beiden deutschen Staaten und Gesellschaftsordnungen durch Vertragspolitik nicht aus der Welt geschafft werden können"

Der ehemalige Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Ständige Vertreter der Bundesrepublik in Ost-Berlin, Günter Gaus, hat die „Räson" der Bonner Verhandlungspolitik gegenüber der DDR so umschrieben: „Nach unserem politischen Selbstverständnis ist es unsere Pflicht, die Kontakte zur DDR auszuweiten, und die humanitären Schwierigkeiten, die sich aus der Existenz der beiden Staaten ergeben, zu mildern." Und: Die „große Zahl offener Probleme" erlaube der Bundesrepublik „gar nicht", auf „Regelungen mit der DDR zu verzichten, nur weil die Regelungen nicht voll befriedigend sind und es innere Rückschläge geben wird" Diese Ratio deutsch-deutscher Verhandlungspolitik gilt auch heute noch.

III. Zwischenbilanz deutsch-deutscher Vertragspolitik

Auf der Basis des Grundlagenvertrages sowie unter Berücksichtigung der Interessenlage beider deutscher Staaten ist es im Zeitraum von 1973 bis 1985 zu einer Reihe von wichtigen Abkommen, Verträgen und Entwicklungen gekommen, die für die Menschen in beiden deutschen Staaten von z. T. vitaler Bedeutung sind. Nachfolgend dazu ein Überblick (Stand 1984) mit der jeweiligen Inanspruchnahme: t — Transitverkehr nach und von Berlin (West) 21 802 780 — Reisende in dringenden Familienangelegenheiten aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland und nach Berlin (West) 61 133 — Rentnerreisen aus der DDR in die Bundesrepublik Deutschland und nach Berlin (West) 1 546 467 — Reisende mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West), die nach Berlin (Ost) bzw. in die DDR gereist sind 1 600 000 — Reisende aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR 3 556 379 — davon Reisende aus den grenznahen Kreisen der Bundesrepublik Deutschland in die grenznahen Kreise der DDR 343 824 — Reisende aus der Bundesrepublik Deutschland von Berlin (West)

aus zu Tagesaufenthalten in Berlin (Ost) ca. 1 120 000 Und nicht zuletzt:

— Das Handelsvolumen im Innerdeutschen Handel stieg von 4, Mrd. (1969) auf über 15 Mrd. Verrechnungseinheiten.

Durch zahlreiche Abkommen wurden weitere Erleichterungen verwirklicht: im nicht-kommerziellen Zahlungsverkehr, im Post-und Fernmeldewesen, im Grenzverkehr, in den Sport-und Kulturbeziehungen. Eine Grenzkommission wurde eingesetzt, ein Gesundheits-und ein Veterinärabkommen geschlossen und die Transitautobahn zwischen dem Bundesgebiet und Berlin ständig verbessert 5).

Wie aus den eindrucksvollen Zahlen zu ersehen ist, ist viel erreicht worden; dennoch sind wir vom Erreichbaren und damit vom Normalisierungsziel des Art 1 des Grundlagenver-träges noch ein Stück entfernt. Dies zeigt sich auch bei den Bereichen, die bislang nicht geregelt wurden. So liegt trotz zeitweiser intensiver Versuche immer noch keine Einigung vor über:

— ein Rechtshilfeabkommen, — ein Abkommen über Wissenschaft und Technik, — ein Umweltschutzabkommen (Rahmenabkommen), — ein Kulturabkommen.

Dies sind Bereiche, die nicht nur regelungsbedürftig sind, sondern die von beiden Seiten auch als regelungsfähig angesehen werden. Die Gründe für das Ausbleiben von Verhandlungsergebnissen liegen einmal in der Materie selbst (am schwierigsten sind wohl die Verhandlungen über ein Rechtshilfeabkommen) wie in der Frage der Einbeziehung West-Berlins. Die Probleme wie die Problem-lösungsvorschläge sind allerdings seit Jahren bekannt.

IV. Geraer Forderungen — berechtigt oder überzogen?

Unabhängig davon, wie und von welcher Position her der Stand der deutsch-deutschen Beziehungen analysiert wird, der Sachverhalt ist unbestreitbar: Von der Normalisierung sind wir noch weit entfernt. Damit komme ich zur Notwendigkeit einer weiteren Politik der Normalisierung, dem großen Handlungsfeld deutsch-deutscher Beziehungen, gemäß Grundlagenvertrag und Werbellin-Verabredung: Die sozial-liberale Koalition hatte sich 1972/73 viel vorgenommen. Es ist auch viel erreicht worden, aber es ist sicher auch angebracht, festzustellen, daß das Erreichte noch nicht mit dem Erreichbaren identisch ist.

Der Grundlagenvertrag wie die Werbellin-Erklärung geben deutliche Hinweise auf das Erreichbare. Die Felder dazu werden insbesondere in Art. des Grundlagenvertrages genannt. Es ist sicher nicht übertrieben, zu behaupten, daß die Verhandlungen über ein Kulturabkommen, über ein Rechtshilfeabkommen, das Wissenschaftsabkommen oder über Umwelt wie Wirtschaft nach Art. 7 des Grundlagenvertrages seit einiger Zeit nicht vorankommen. Dies liegt sicher nicht an den verhandelnden Fachleuten. Fragt man nach den Gründen für diesen Stillstand, so stößt man auf gegenseitige Schuldzuweisungen, die uns jedoch nicht weiterbringen.

Die Bundesregierung wirft der DDR vor, sie konzentriere sich nicht auf das Machbare. Die DDR verweist auf ihre vier Geraer Forderungen, um zu erklären, warum es einen Stillstand bei Verhandlungsabschlüssen gibt. Damit sind wir bei einem aufschlußreichen Punkt der deutsch-deutschen Beziehungen in den achtziger Jahren, den Geraer Forderungen Erich Honeckers von 19807).

Vergleich der Geraer Rede von Erich Honecker vom 13. Oktober 1980 mit seinem Interview im „Neuen Deutschland" vom 18. August 1984 1980 1. „Anerkennung der Staatsbürgerschaft der DDR"

2. ^Auflösung der sogenannten . Zentralen Erfassungsstelle'Salzgitter" 3. „Verwandlung“ der Ständigen Vertretungen „in das, was dem Völkerrecht entspricht", in Botschaften

4. „Regelung des Grenzverlaufs auf der Elbe entsprechend dem internationalen Recht" 1984 1. „Regelung der 90 km Elbgrenze"

2. „Uneingeschränkte Respektierung der Staatsbürgerschaft" der DDR 3. „Beendigung der gegen die DDR gerichteten Tätigkeit . Erfassungsstelle'

Salzgitter"

4. „Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften" Ein Vergleich der Forderungen von 1980 mit denen von 1984 zeigt zweierlei:

1. Die Forderungen haben sich in Nuancen verändert und zeigen eine gewisse Flexibilität der SED-Führung.

2. Die Reihenfolge ist immer auch eine Rangfolge. Insofern hat sich die Wertigkeit verändert im Regelbaren.

An der Spitze der DDR-Forderungen steht 1985 wieder die Respektierung/Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und die Auflösung der Erfassungsstelle Salzgitter. In den Hintergrund getreten ist die DDR-Forderung nach Umwandlung der Ständigen Vertretungen in „normale" Botschaften.

Im Ergebnis gilt: Die Bundesrepublik wird ä la longue wohl nicht daran vorbeikommen, die Zentrale Erfassungsstelle in Salzgitter aufzulösen bzw.deren Tätigkeit aus politischen wie aus grundvertraglichen Gründen einzustellen. Zur dritten Geraer Forderung: Die DDR wird sich erinnern lassen müssen, daß mit dem Artikel 8 des Grundlagenvertrages eine Basis gefunden worden ist Es sollte hier bei den Ständigen Vertretungen bleiben, wie dies 1972/73 verabredet wurde. Ich füge hinzu: Man kann nicht die Treue zum Grundlagenvertrag beschwören und gleichzeitig verlangen, einen ganzen Artikel zu revidieren. Im übrigen: Eine Revision des Grundlagenvertrages würde eine neue Debatte über den Grundlagenvertrag aufwerfen mit Konsequenzen, die heute noch niemand übersehen kann. Deshalb sollte die Umwandlungsforderung der DDR für den Umgang miteinander keine Rolle mehr spielen. Im übrigen: Die Ständigen Vertretungen in Bonn und OstBerlin leisten doch gute Arbeit

Es sollte ferner möglich sein, zu einer einvernehmlichen und praktikablen Lösung des sog. Elbe-Problems, d. h.der Feststellung des strittigen Grenzverlaufs von Lauenburg bis Schnackenburg, zu kommen. Hier gab es gute Ansätze und Gespräche in der deutsch-deutschen Grenzkommission. Daran sollte angeknüpft werden.

Bleibt die weitere Geraer Forderung, die Respektierung der Staatsbürgerschaftsfrage: Hier glaubte man, daß es möglich sein würde, einen Weg zwischen den Forderungen der DDR und den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten der Bundesrepublik zu finden. Für diese Annahme sprach z. B. auch folgende Feststellung: „Wenn beide Seiten die verfassungsrechtlichen Gegebenheiten und Regeln des Grundlagenvertrages respektieren, müßten sich auch bisher für schwierig gehaltene Fragen, wie bei der Staatsbürgerschaft, vernünftig beantworten lassen.“ Dieser Satz findet sich im Bericht des Politbüros an die 9. Tagung des ZK der SED (Berichterstatter: Der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Erich Honecker) Im „Neuen Deutschland" vom 30. Januar 1985 sprach man dann wieder von einer Anerkennung der DDR-Staatsbürgerschaft und forderte die Streichung des Art 116 unseres Grundgesetzes.

Die Geraer Forderungen der DDR müssen daraufhin geprüft werden, ob sie politisch angemessen und rechtlich einwandfrei sind. Angemessenheit läßt sich im Zusammenhang mit den Verhandlungsmaterien prüfen, im Zusammenhang etwa mit dem Artikel 7 des Grundlagenvertrages. Hier ist nicht zu sehen, in welchem Verhältnis etwa die DDR-Forderung nach Umwandlung der Ständigen Vertretungen in Botschaften zu den Verhandlungen über ein Kulturabkommen, über ein Abkommen über Umweltfragen usw. steht. Ein Zusammenhang ist nicht zu erkennen. Hier also eine Verknüpfung herzustellen, ist sachlich unangemessen.

Nicht zu bestreiten ist allerdings, daß es einen Zusammenhang gibt zwischen der DDR-Forderung nach Anerkennung (Respektierung) der Staatsbürgerschaft und einem Rechtshilfeabkommen. Denn in einem Rechtshilfeabkommen geht es um den Rechtsstatus der Bürger, und hier muß eine Regelung gefunden werden, die auch für die DDR annehmbar ist. Fazit: Die einzelnen Forderungen der DDR müssen differenziert werden, und es muß jeweils festgestellt werden, in welchem Verhältnis eine bestimmte Forderung zu den Verhandlungsthemen steht. Bei dieser Prüfung ist es dann auch erst möglich, Verknüpfungen vorzunehmen zwischen DDR-Forderungen und dem Verhalten der Bundesrepublik. Hinsichtlich der Forderungen von Gera — insbesondere von deren Unabdingbarkeit — gilt das mahnende Wort des ehemaligen Bundeskanzlers Schmidt: „Beide Seiten dürfen sich aber nicht gegenseitig blockieren, indem sie unerfüllbare Forderungen stellen" (Regierungserklärung vom 3. Dezember 1981 im Deutschen Bundestag). Dies ist gleichzeitig eine Erfolgsbedingung deutsch-deutscher Bemühungen, die Teilung Deutschlands für die Menschen erträglicher zu machen. Es kommt also sehr darauf an, inwieweit sich beide Seiten darauf konzentrieren, das Erreichte zu bewahren und — wie Bundeskanzler Schmidt in seiner zitierten Rede vor dem Deutschen Bundestag ausführte — „das praktisch Mögliehe zu tun und hinzuzufügen".

V. Diversifizierung der Westpolitik der DDR -eine Bedrohung der deutsch-deutschen Beziehungen?

Die DDR ist offenbar seit einigen Jahren dabei, ihre Westbeziehungen zu diversifizieren. Die Westpolitik der DDR war über Jahrzehnte im wesentlichen „BRD-Politik", d. h., sie war konzentriert, ja beschränkt auf die Bundesrepublik. In den achtziger Jahren bleibt zwar die Bundesrepublik ein wichtiger Faktor in der DDR-Außenpolitik; es gibt jedoch erhebliche Anstrengungen der DDR, andere, ausgewählte westliche Länder gleichermaßen zum Adressaten ihrer Diplomatie zu machen. Dies ist beispielsweise erkennbar an ihrer regen Besuchsdiplomatie. So haben im Jahre 1984 die Regierungschefs von Ländern wie Malta, Finnland, Kanada, Schweden, Griechenland, Italien und Österreich die DDR besucht.

Im Jahre 1985 waren der französische Ministerpräsident und der britische Außenminister — um die wichtigsten zu nennen — in der DDR. Es handelte sich hierbei durchweg um . Premieren'. Erich Honecker war in Italien und Griechenland und wird in absehbarer Zeit Frankreich und Schweden besuchen. Auch die Westkontakte auf Expertenebene (sog. Arbeitsebene) der Außenministerien nehmen zu. Umgekehrt zeigen westliche Wissenschaftler Interesse an Arbeitskontakten mit Ost-Berliner Institutionen

Ob mit dieser Kontaktpolitik verbesserte politische und ökonomische Beziehungen zwischen der DDR und anderen westlichen Ländern einhergehen, kann noch nicht gesagt werden In Bonn sehen einige Politiker und Publizisten hier offenbar Gefahren für die deutsch-deutschen Beziehungen. „DDR sucht stärkenden Einfluß in NATO-Staaten“, so lautete erst kürzlich eine Überschrift eines WELT-Berichtes (WELT, 1. 6. 1985, S. 4), oder „SED-Diplomatie an Bonn vorbei" (WELT , 8. 1. 1985, S. 8).

Wie ist dieser Sachverhalt zu bewerten? Dazu einige thesenartig verkürzte Gesichtspunkte:

1. Westpolitik ist, analytisch gesehen, ein ungenauer Begriff, der möglicherweise mehr aussagt, als tatsächlich vorhanden ist. Gemeint sind die Beziehungen der DDR zu kapitalistischen Staaten. Hier läßt sich feststellen, daß das gegenwärtige Niveau dieser Beziehungen noch gering ist, sowohl quantitativ wie qualitativ. Dies gilt für die politischen wie die kulturellen und ökonomischen Beziehungen.

2. Westpolitik der DDR ist im wesentlichen ihre Bereitschaft zu einem politischen Dialog, zu einer „Politik der Vernunft“ mit allen kapitalistischen Staaten, die dazu willens sind

3. Eine Bedrohung der deutsch-deutschen Beziehungen durch die forcierten Bemühungen der DDR, mit den Staaten Westeuropas zu normaleren Beziehungen zu kommen, ist nicht erkennbar. Dies aus drei Gründen:

— Erstens ist das Ausgangsniveau gering und die Entwicklungsmöglichkeiten äußerst begrenzt.

— Die meisten Weststaaten konsultieren Bonn, bevor sie mit Ost-Berlin Gespräche aufnehmen und berichten dann über diese Gespräche.

— Es ist nicht erkennbar, daß Ost-Berlin diese Westpolitik um Bonn herum betreiben will.

So sind eher Chancen als Risiken zu erkennen, die in normaleren Beziehungen zwischen der DDR und westlichen Staaten liegen:

— Die DDR wird eingebunden in ein immer dichter werdendes Ost-West-Kommunikationsnetz.

— Sie erhält durch ihre Westkontakte Informationen aus erster Hand über die Ost-West-Politik und über den Stand der Ost-West-Verhandlungen.

Sie ist also nicht nur angewiesen auf sowjetische Informationen.

— Soweit erkennbar ist, wird Ost-Berlin in diesen Gesprächen mit Sachverhalten konfrontiert, die nicht immer sehr angenehm sind. So wird in den Gesprächen nicht selten auf das Grenzregime und andere sensitive Punkte hingewiesen und die DDR dabei in Rechtfertigungszwänge gebracht, die vielleicht langfristig Verhaltensänderungen möglich erscheinen lassen.

Mit Bundesaußenminister Genscher wird davon ausgegangen, daß es „verständlich und vernünftig" sei, daß „beide deutschen Staaten um gute Beziehungen zu allen anderen europäischen Staaten bemüht sind" Die DDR hat in ihrer Westpolitik einen er- Nachholbedarf. Eine Gefährdung deutsch-deutscher Beziehungen durch den Versuch der DDR, ihre Westpolitik zu intenheblichen ist nicht erkennbar.

VI. Deutschlandpolitische Ansätze in den achtziger Jahren oder: praktikable Alternativen sind nicht erkennbar

Wir brauchen keinen neuen Rahmen in den deutsch-deutschen Beziehungen, sondern Initiativen, die den noch nicht ausgeschöpften Rahmen füllen. Diese Feststellung führt zugleich hin zu Überlegungen und Vorschlägen, die Einfluß auf die Deutschlandpolitik der achtziger Jahre zu gewinnen suchen. Welche Ansätze zur Weiterentwicklung deutsch-deutscher Beziehungen gibt es innerhalb der Wissenschaft oder in der Publizistik?

Mit dem Mut zur Verkürzung komplexer Gedanken sind folgende Ansätze bzw. Vorschläge zu nennen, wobei hinzugefügt werden muß, daß die explizite Aufzählung dieser Ansätze nicht mißverstanden werden darf, denn manche weichen doch nicht so signifikant voneinander ab, wie sie in der nachfolgenden Aufzählung voneinander getrennt sind. Gelegentlich werden nur unterschiedliche Gesichtspunkte akzentuiert Typ I: Der Grundlagenvertrag mit seinen Anhängen ist und bleibt der Rahmen für die deutsch-deutschen Bemühungen auch in den achtziger Jahren.

Typ II. Der Grundlagenvertrag bleibt zwar Rahmen deutsch-deutscher Bemühungen, er sollte jedoch durch einen zweiten Grundlagenvertrag ergänzt werden. Diese, den Typ I etwas modifizierende Auffassung findet sich etwa bei Werner Weidenfeld

Typ III: Der Grundlagenvertrag sei zwar wichtig gewesen für die siebziger Jahre. Heute komme es jedoch auf einen weitergehenden Ansatz an, nämlich auf einen Friedensvertrag mit einem konföderativen Deutschland

Typ IV: Es komme auf die Einbettung der deutschen Frage in einen europäischen Ansatz zur Aufhebung der Teilung Europas an. Es werden Überlegungen gefordert, „wie ein Zustand der Sicherheit und des Friedens in Europa aussehen könnte, in dem auch das deutsche Volk seine freie Selbstbestimmung wiedererlangt''(J. Baptist Gradl) Es könne nicht genügen, nur abzuwarten und das Ziel zu beschreiben.

Typ V: Die Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten seien „Beziehungen der friedlichen Koexistenz", wie sie zwischen allen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung üblich sind. Es komme nun darauf an, daß die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten so gestaltet werden, daß sie sich entsprechend der normalen Beziehungen völkerrechtlicher Art zu anderen kapitalistischen Staaten „ohne Wenn und Aber“ entwickeln. Dazu müsse die Bundesregierung ihren „grundsätzlichen" Beitrag leisten. Mit diesem Typ könnte in etwa die Position der DDR beschrieben werden. Mit ihrem Konzept der friedlichen Koexistenz wendet sich die DDR-Führung gegen das von Bonn favorisierte Konzept von den „besonderen Beziehungen" zwischen den beiden deutschen Staaten

Typ VI: In den Beziehungen zwischen Staaten, zumal zwischen Nachbarländern, geht es um die ganze Breite von grenzüberschreitenden Problemen. Wenn hinzukommt, daß es sich um Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung handelt, die im Zentrum Europas an der Nahtstelle zweier Systeme liegen und die wichtigsten Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen Militärkoalitionen sind, muß die Friedenspolitik (Friedenserhaltung wie Friedensgestaltung) im Zentrum ihrer Bemühungen stehen. Die beiden deutschen Staaten haben sich im Grundlagenvertrag zur Friedens-und Abrüstungspolitik bekannt. Sie sitzen gleichberechtigt an den verschiedensten Verhandlungstischen und erklären, daß von deutschem Boden Frieden ausgehen müsse. Doch hat ein solches Bekenntnis zum Frieden bislang noch nicht zu erkennbaren gemeinsamen bzw. abgestimmten Initiativen geführt.

Wie zu sehen ist, sind einige Ansätze durchaus kompatibel. Dies gilt insbesondere für die enge Verbindung zwischen Typ I und Typ VI. Man könnte einen weiteren Gedanken hinzu-fügen: Entscheidend für den Fortgang deutsch-deutscher Beziehungen dürfte es sein, inwieweit es gelingt, diese beiden Typen so miteinander zu verbinden, daß sie den Erfordernissen der sicherheitspolitischen Situation beider deutscher Staaten sowie ihren Möglichkeiten entsprechen.

Verkürzt formuliert: Deutschlandpolitik als Sicherheitspolitik greift Elemente der oben skizzierten Typen auf, mit Ausnahme des Typs III. Dort ist es reiner Voluntarismus ohne jeden Wirklichkeitsbezug, im vierten Jahrzehnt der Existenz beider deutscher Staaten, die eingebunden sind in unterschiedliche Militärkoalitionen und ökonomische Integrationssysteme, diese konföderieren zu wollen. Bestimmte • Merkmale der Teilung sind sicher „anachronistisch" (Beispiel Mauer!). Anachronistischer (wenn es hier überhaupt einen Komparativ gibt) ist jedoch die Fixierung auf Friedensverträge und Konföderationsüberlegungen, bei denen die Rechnung ohne den Wirt gemacht und über die Wirklichkeit hinweggedacht wird.

VII. Die sicherheitspolitische Komponente ist unumgänglich -Einige Gedanken zur Verbindung von originärer Deutschland-politik und europäischer Sicherheitspolitik

1. Warum scheiterte der Honecker-Besuch? Bislang hat sich die Bonner Deutschlandpolitik auf jene Fragen konzentriert, die sich aus der Teilung Deutschlands ergeben und vorwiegend Probleme der Familienzusammenführung, Verbesserung der-grenzüberschreitenden Freizügigkeit, Einbeziehung West-Berlins u. ä. auf dem Verhandlungswege mit der DDR zu lösen versucht. Mit partiell guten Erfolgen!

Eine Politik mit dem Versuch, die Folgen der Teilung Deutschlands für die Menschen erträglicher zu machen, ist auch weiterhin notwendig. Inwieweit sie möglich bleibt und hierbei auch Erfolge vorzuweisen hat, hängt von zahlreichen Faktoren ab, auf die die Bundesrepublik nur bedingt Einfluß hat. Es ist offensichtlich, daß es in den deutsch-deutschen Beziehungen seit einiger Zeit einen Stillstand gibt. Dabei ist es schwierig, zu sagen, ab wann genau dieser Stillstand (andere sprechen vom Wartestand) datiert. Es gibt keine Zäsur, ja es ist nicht einmal ein Ereignis zu erkennen (weder der Regierungswechsel in Bonn noch die Raketenstationierung nach dem Scheitern der Genfer Verhandlungen), auf das der Stillstand zurückzuführen wäre. Aber es gibt Vermutungen und Hypothesen: Eine Vermutung ist, daß die UdSSR ihren Einfluß auf die DDR-Führung geltend gemacht hat, damit diese ihre Kooperationspolitik („Politik des Dialogs der Vernünftigen“) nicht fortsetzt, weil sie fürchtet, daß dadurch ihre USA-Politik, die mehr eine Konfrontation ist, konterkariert wird. Als Fallbeispiel wird hier angeführt, daß die UdSSR Erich Honecker daran gehindert habe, die Bundesrepublik im Spätsommer 1984 zu besuchen.

Eine solche Einflußnahme ist schwer überprüfbar. Dies ist darauf zurückzuführen, daß wir über den Entscheidungs-und Willensbildungsprozeß im Verhältnis KPdSU und SED so gut wie nichts wissen, dieses Nichtwissen jedoch häufig kompensieren durch „plausible"

Erklärungen, wobei die Plausibilität nicht selten ein direktes Ergebnis unseres Vorverständnisses (weniger ambitiös ausgedrückt:

unserer Vorurteile) ist Es ist für viele DDR-Forscher ausgemacht daß der Handlungsspielraum der DDR-Führung gering ist. Andere gehen soweit, zu behaupten, daß die SED-Führung lediglich geschäftsführend für die KPdSU-Führung tätig wird. Das wird seit Jahren so behauptet, ohne daß dies durch nachvollziehbare Forschungsergebnisse gestützt würde.

Dabei wird häufig so getan, als stünden die Fenster des ZK der SED auch nachts offen, damit jeder Ruf aus Moskau vernehmbar sei.

Eine so simple Vorstellung vom Verhältnis der DDR zur UdSSR scheint mir nicht gerechtfertigt. Sie würde auch die Entwicklung in den achtziger Jahren ignorieren, wo es der DDR gelang, als Mitglied des Warschauer Paktes und „unwiderruflich“ mit der Sowjetunion verbunden, ihre Beziehungen zu ausgewählten Weststaaten zu normalisieren, und trotz der allgemein schlechten Ost-West-Beziehungen sich um kooperative deutsch-deutsche Beziehungen zu bemühen (i. S. einer Politik der . Schadensbegrenzung'nach der Raketenstationierung Es ist unverkennbar, daß sich die DDR sowohl bei der KVAE in Stockholm wie auch in der Genfer Abrüstungskonferenz in letzter Zeit um konstruktive eigene Beiträge bzw. Akzente bemüht

Die DDR hat schon vor einigen Jahren darauf hingewiesen, daß sich die deutsch-deutschen Beziehungen nicht in der Frage nach der Verbesserung des Reiseverkehrs erschöpfen dürften: „Für uns versteht sich von selbst, daß unsere Vertragspolitik mit der BRD ein Teil der abgestimmten Politik unseres Bündnisses der Staaten des Warschauer Vertrages zur Friedenssicherung ist. Dies nochmals deutlich zu machen, entspricht den Erfordernissen unserer Zeit. Niemand soll doch ernsthaft glauben, et könne aktiv die Politik des westlichen Bündnisses vertreten, aus Solidarität mit den USA die Olympischen Spiele in Moskau boykottieren, als Erfinder und Einpeitscher des Brüsseler Raketenbeschlusses auftreten und gleichzeitig so tun, als brauche man mit der DDR nur über Reiseerleichterungen’ zu sprechen.“

Vor dem geplanten Besuch Honeckers in der Bundesrepublik ist von Seiten der DDR mehr als deutlich gesagt worden (öffentlich wie nichtöffentlich), daß dieser Besuch dazu dienen solle, die gesamte Palette der Themen zu besprechen, die für beide Staaten wichtig sind. Während der Bundeskanzler nur über die genuin deutschlandpolitischen Themen sprechen wollte (unter Ausklammerung der vier Geraer Forderungen Honeckers aus dem Jahre 1980), haben DDR-Vertreter rechtzeitig darauf aufmerksam gemacht, daß Fragen der Friedenssicherung einen prominenten Platz in den Gesprächen einnehmen wie auch Eingang in das Kommuniqu finden sollten. Wie zu hören war, ging es der DDR insbesondere um zwei große Themen: Einmal um die Bekräftigung des Gewaltverzichts und um eine Aussage zur chemiewaffenfreien Zone. Wie weiter zu hören war, hatten die Bonner Unterhändler beides abgelehnt. Im Falle des Gewaltverzichts hätten sie gleichwohl eine Formel ins Kommunique aufnehmen können, die beide deutsche Staaten schon einmal in Madrid unterschrieben hatten, nämlich „etappenweise neue, wirksame und konkrete Schritte zu unternehmen, die darauf gerichtet sind, Fortschritte bei der Festigung des Vertrauens und der Sicherheit und bei der Verwirklichung der Abrüstung zu erzielen, um der Pflicht der Staaten, sich der Androhung oder Anwendung von Gewalt in ihren gegenseitigen Beziehungen zu enthalten, Wirkung und Ausdruck zu verleihen".

Im Falle der chemiewaffenfreien Zone in Mitteleuropa hätte man sich auf eine vage gehaltene Formulierung einigen können, die das weltweite Verbot der C-Waffen fordert und unter gewissen Bedingungen auch in der regionalen Zone schon einen Schritt zum weltweiten Verbot sieht. Inzwischen ist hier die Entwicklung weitergegangen: Nun reicht es nicht mehr, eine unverbindliche, vage Erklärung zu den C-Waffen abzugeben. Denn es liegt mittlerweile eine ausformulierte Empfehlung einer Arbeitsgruppe von SED und SPD-Bundestagsfraktion vor, die im Juni 1985 in Bonn der Öffentlichkeit bekanntgemacht wurde -Auch in der Frage eines Gewaltverzichts gibt es einen neuen Sachstand: Inzwischen liegt in Stockholm ein von der SED-Führung unterstützter sowjetischer Vertragsentwurf vor. Dazu müßte die Bundesregierung ihre Stellungnahme einbringen.

Meine These: Weil Bonn nicht begriffen hat, daß für die DDR-Führung die deutsch-deutschen Beziehungen mehr sind als nur Fragen der grenzüberschreitenden Freizügigkeit, und man in Bonner Amtsstuben sogar wußte, daß Ost-Berlin unter Rechtfertigungszwang gegenüber seinen Verbündeten stand, kam der Besuch nicht zustande.

Damit kommen wir zur Verknüpfung von Sicherheitspolitik und Deutschlandpolitik: Zwei Fragen, die situativer wie konzeptioneller Art sind, sollten beantwortet werden:

— Welche sicherheitspolitischen Themen eignen sich besonders für eine deutsch-deutsche Befassung?

— Was heißt „Verknüpfung" von europäischer Sicherheitspolitik und genuiner Deutschland-politik, bzw. wie könnte eine Verbindung zwischen beiden Handlungsbereichen aussehen? 2. Sicherheitspolltische Themen Bevor wir uns einzelnen Themen zuwenden, die Gegenstand von deutsch-deutschen Gesprächen und Verhandlungen sein können, sollten zunächst einige Bemerkungen zu den Prämissen deutsch-deutscher Sicherheitspolitik gemacht werden, damit nicht ein sicherheitspolitischer Voluntarismus Platz greift. Was im einzelnen Gegenstand deutsch-deutscher Bemühungen im sicherheitspolitischen Bereich sein kann, sollte nicht a priori festgestellt werden, sondern dies sollte sich aus den deutsch-deutschen Konsultationen ergeben. Es versteht sich dabei von selbst, daß beide deutsche Staaten als Partner ihrer jeweiligen Bündnisse miteinander sprechen, wobei für den Erfolg solcher Gespräche das direkte Betroffensein wie die direkte Beteiligung wichtig sind.

Weiter gilt, daß Bündnisentscheidungen nicht bilateral „ausgehebelt" werden dürfen. Als Beispiel mag hier der Hinweis auf Versuche der SED gelten, den NATO-Doppelbeschluß deutsch-deutsch zu „kippen". Hier gilt der Grundsatz: Multilaterale Entscheidungen der Bündnisse können nicht bilateral verändert werden. Bündnisübergreifende Initiativen sind dagegen möglich in den Fällen, wo es keine Bündnisentscheidung gibt.

Welche Themen eignen sich für gemeinsame bzw. parallele deutsch-deutsche Initiativen? Um hier einige Beispiele (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) zu geben:

— Die beiden deutschen Staaten könnten bei der Konferenz für vertrauens-und sicherheitsbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE) dem geltenden Gewaltverzicht durch konkrete Maßnahmen instrumentell Ausdruck und Wirkung verleihen. Betroffen sind beide, beteiligt sind auch beide.

— Vertrauen entsteht bekanntlich durch Abbau von überholten und unsinnigen Bedrohungs-und Feindbildern auf beiden Seiten. Warum ergreifen beide deutsche Staaten hier nicht geeignete Schritte?

— Der Atomwaffen-Sperrvertrag (NV-Vertrag), dem beide deutsche Staaten beigetreten sind, kennt bekanntlich zwei Kategorien von Staaten: die Kernwaffenländer und die Nichtkernwaffenstaaten. Die beiden deutschen Staaten sind bekanntlich Nichtkernwaffenstaaten. Warum gab es keine deutsch-deutschen Konsultationen in Vorbereitung der dritten Überprüfungskonferenz des NV-Vertrages, die vom 27. August 1985 bis zum 23. September 1985 in Genf stattfand?

— Reduzierung der Militärhaushalte und das Weiterleiten eines Teils der freiwerdenden Mittel an die Entwicklungsländer. Dieses Vorhaben ist Gegenstand der Vereinten Nationen. Die beiden deutschen Staaten haben prinzipiell ihr Interesse an diesem Vorhaben signalisiert; beide sind betroffen und könnten auch gleichberechtigt beteiligt sein.

— Ein weiteres Beispiel positiven Handelns der beiden deutschen Staaten läge in der Verhinderung einer weiteren Militarisierung der Dritten Welt. Von beiden wird wortstark die Militarisierung in den Entwicklungsländern beklagt und wechselseitig kritisiert, daß die Entwicklungsländer mit Waffen aus kapitalistischen bzw. kommunistischen Staaten beliefert werden. Die beiden deutschen Staaten sind zwar nicht Hauptgeber, könnten jedoch aus ihrer Mittelfeldposition der Geberländer Gespräche aufnehmen, mit dem Ziel, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern.

— Die Sicherheitsdebatte wird durch Bedrohungsbilder bestritten, bei denen der Eindruck besteht, daß sie einer methodisch-reflektierten Analyse nicht standhalten. Dazu liegt genügend Material vor Ein Vorschlag, der sich aus einem ganztägigen Hearing in der Friedrich-Ebert-Stiftung im letzten Jahr ergab, sollte auch von den beiden deutschen Staaten aufgegriffen werden: Ost und West müßten sich zusammensetzen, nicht nur um festzustellen, daß es eine gemeinsame Bedrohung „Krieg” gibt, sondern um sich auch gegenseitig klarzumachen, vor welchen militärischen Optionen sich die Gegenseite fürchtet, um diese Optionen dann durch entsprechende Vereinbarungen schrittweise abzubauen. Warum sollten die beiden deutschen Staaten hier nicht eine solche Anregung in ihre jeweiligen Bündnisse tragen? Um dies hier beispielhaft zu spezifizieren: Verzicht auf Elemente, die von der anderen Seite jeweils als am bedrohlichsten gewertet werden, d. h. z. B. Verzicht der NATO auf nuklearen Erst-einsatz bei Abbau der Panzerüberlegenheit des Warschauer Pakts.

— Abzug von C-Waffen aus einem Gebiet, das mindestens die beiden deutschen Staaten einschließt Dazu bedürfte es jetzt der baldigen Aufnahme von Verhandlungen zwischen beiden deutschen Regierungen. Denn der Entwurf von SPD und SED ist das Ergebnis von Gesprächen zwischen beiden Parteien. Es kommt jetzt darauf an, daß die Regierungen über den Abzug von Chemiewaffen Verhandlungen führen. Die Bundesregierung sollte hier initiativ werden.

Die beiden deutschen Staaten sollten ihre sicherheitspolitische Konsultation dazu benutzen, geeignete Themen zu identifizieren, die für beide deutsche Staaten wichtig sind und bei denen sie ihren Einfluß am stärksten zur Geltung bringen können. In der o. a. Liste der möglichen Gesprächs-und Verhandlungsthemen fehlt die Weltraumrüstung. Es ist nicht zu übersehen, daß die DDR die Verhinderung der Weltraumrüstung zum Thema Nr. 1 in der Sicherheitspolitik macht (wie die Sowjetunion). Es wäre jedoch verhängnisvoll, wenn die Sicherheitspolitik reduziert und eingeengt würde auf die Weltraumrüstung. Für beide deutsche Staaten gilt die Verabredung zwi-sehen dem amerikanischen Außenminister Shultz und seinem sowjetischen Kollegen Gromyko vom 8. Januar 1985, daß sowohl die nuklearen Mittelstreckenwaffen, die strategischen interkontinentalen Raketen wie auch die Weltraumrüstung Gegenstand von Abrüstungsverhandlungen sind. Von der Interessenlage der beiden deutschen Staaten her gilt die prioritäre Aufmerksamkeit den nuklearen Mittelstreckenwaffen. Diese Interessenlage müßte sich in ihrer — wenn möglich — abgestimmten Politik niederschlagen.

Wie leicht zu erkennen ist: Es fehlt nicht an geeigneten Vorschlägen und Ideen, die Sicherheitspolitik behutsam in die Deutschlandpolitik einzubeziehen, sondern offenbar am Willen, dies zur Praxis werden zu lassen. Hier bietet sich eine Chance, die deutsch-deutschen Beziehungen zu befruchten, um so die Normalisierung zwischen den beiden deutschen Staaten voranzubringen.

Wer die Erklärungen und Stellungnahmen der CDU/CSU wie die der Bundesregierung, insbesondere de Bundeskanzlers Helmut Kohl, aufmerksam liest, wird jeden Hinweis darauf, daß die Sicherheitspolitik auch zu den deutsch-deutschen Gesprächs-und Verhandlungsthemen gehört, vermissen Der zuständige Bundesminister im Kanzleramt, Wolfgang Schäuble, hat in einem grundsätzlichen Referat am 15. Juni 1985 in Tutzing typisch defensiv argumentiert, als es um den Zusammenhang von Sicherheitspolitik und Deutschlandpolitik ging. Einerseits räumte er Verständnis „für die Sorgen der DDR-Führung gegenüber ihrer Überlastung mit militärischen Blockpflichten" ein, um dann festzustellen: . Aber Deutschlandpolitik wäre verloren, wenn sie sich darauf einließe, westliche Kernpositionen in der Sicherheit gegen kurzlebige humanitäre Konzessionen einzutauschen, über deren Dauer und Substanz die DDR letztlich allein entscheidet.“ Dieses Zitat beinhaltet insofern Mißverständnisse, als es nicht darum geht, außerhalb der Bündnisse Bündnisentscheidungen deutsch-deutsch „auszuhebeln". Natürlich geht es auch nicht darum, „westliche Kernpositionen“ gegen „kurzlebige humanitäre Konzessionen einzutauschen". Es geht vielmehr darum, daß die Bundesregierung aus ihren sicherheitspolitischen Interessen heraus mit der DDR-Führung Gespräche über geeignete sicherheitspolitische Themen führt, die deutsch-deutschen Bemühungen zugänglich sind. 3. Wie könnte eine Verknüpfung genuiner Deutschlandpolitik und europäischer Sicherheitspolitik aussehen?

Wenn es richtig ist, daß es aus objektiven Gründen geboten erscheint, sicherheitspolitische Probleme zu deutsch-deutschen Themen zu machen und darüber hinaus die DDR-Führung sicherheitspolitische Probleme in Gespräche bzw. Verhandlungen mit der bundesdeutschen Seite einbeziehen möchte, so muß ein Verfahren entwickelt werden, welches die Deutschlandpolitik im „klassischen“ Sinne mit der europäischen Sicherheitspolitik verbindet, und zwar so, daß beide ihre Eigenständigkeit nicht verlieren. Dies sollte aber nicht etwa so geschehen, daß das eine vom anderen abhängig gemacht wird; es könnte vielmehr so erfolgen, daß beide Problembereiche nebeneinander gleichrangig und gleichzeitig behandelt werden.

Inwieweit eine integrale Verschränkung deutschlandpolitischen Lösungsbedarfs mit sicherheitspolitischen Erfordernissen möglich ist, in der dann Deutschlandpolitik auch Sicherheitspolitik ist, muß sorgfältig geprüft werden. Voraussetzung für eine solche Prüfung ist jedoch die Bereitschaft dazu. Wenn ich es recht sehe, gibt es diese in vorsichtiger Form in Bonn wie in Ost-Berlin. Diese noch nicht festgelegte Bereitschaft sollte positiv aufgegriffen werden.

VIII. Exkurs: Deutsche Frage und deutsch-deutsche Beziehungen

In letzter Zeit ist in einigen Medien wieder intensiver über die „deutsche Frage" nachgedacht worden. Dies hat im westlichen wie im Ausland zu Irritationen und zu Fra-östlichen gen an die Bundesregierung geführt. Ich will darauf thesenartig kurz eingehen:

1. Das, was Frage" die „deutsche genannt wird, hat einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren. War sie 1959 noch die „Frage aller Fragen" (Nikita S. Chruschtschow), so hat sie heute international jede Dramatik verloren und ist seit dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag auf eine andere Basis gestellt worden. 2. Zur anerkannten Nachkriegsordnung in Europa gehören zwei deutsche Staaten, die in jeweils unterschiedlichen Bündnissystemen verankert sind. 3. Es ist nicht erkennbar, daß auch nur eine der Vier Mächte eine Status-quo-Veränderung in Mitteleuropa anstrebt und zum operativen Bestandteil ihrer Politik macht • 4. Die „deutsche Frage" ist insofern nicht offen, als in vier Jahrzehnten nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges Fakten geschaffen wurden, welche die „deutsche Frage" mindestens für die absehbare Zukunft beantwortet haben.

5. Die Deutschen haben ihre Antwort auf den beantwortbaren Teil der „deutschen Frage" in Form des deutsch-deutschen Grundlagenvertrages gegeben. Dieser verbaut nichts, öffnet jedoch eine verabredete Perspektive.

6. Die „deutsche Frage" heute ist die Frage danach, was die real existierenden Staaten in Deutschland für Frieden und Abrüstung sowie für Menschenrechte tun können und wie sie Bedingungen schaffen, die zu mehr Freizügigkeit zwischen den beiden deutschen Staaten führen.

IX. Was beeinflußt die deutsch-deutschen Beziehungen?

Gibt es eine gemeinsame Perspektive? Zunächst zu der Frage nach den Einflußfaktoren:

1. Entscheidend ist der Verlauf der Ost-West-Beziehungen, in die die deutsch-deutschen Beziehungen eingebettet und von denen sie abhängig sind.

2. Entscheidend ist das Verhalten der Sowjetunion gegenüber der DDR wie gegenüber dem, was die „deutsche Frage" genannt wird.

3. Wichtig ist das Verhalten der amerikanischen Administration. Hier bestand vorübergehend der Eindruck, daß sie in deutsch-deutschen Beziehungen kooperativer Art eine Konterkarierung ihrer konfrontativen Politik gegenüber der Sowjetunion sieht. Diese Phase scheint überwunden.

-4. Abhängig sind die deutsch-deutschen Beziehungen vom Verhalten der DDR-Regierung und von der Stabilität des DDR-Systems.

Hier gilt: Nur ein selbstbewußter Verhandlungspartner ist ein guter Verhandlungspartner.

5. Schließlich werden die deutsch-deutschen Beziehungen beeinflußt und bestimmt vom jeweiligen Ansatz und den Forderungen der Bundesregierung gegenüber der DDR-Regierung. Hier gilt: Nur auf der Basis des Grundlagenvertrages, und das heißt mit der DDR, sind Regelungen möglich.

Dies sind im wesentlichen auch die Bestimmungsfaktoren, welche die Grenzen und Möglichkeiten deutsch-deutscher Politik in den achtziger Jahren umreißen. Die deutsch-deutschen Beziehungen sind also eine abhängige Resultante der hier genannten fünf Punkte, die vielleicht etwas abstrakt klingen, jedoch ihre konkrete Wirkung entfalten. Es kommt nun darauf an, „alle Anstrengungen zu unternehmen, um auf der Basis des Grundlagenvertrages normale gutnachbarliche Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR im Interesse von Frieden und Stabilität in Europa zu entwikkeln und auszubauen". (Dies haben Kohl und Honecker am 12. März 1985 in Moskau nach ihrem offenbar fruchtbaren Gespräch gemeinsam zum Ausdruck gebracht.)

Gibt es nun eine gemeinsame Perspektive der deutsch-deutschen Beziehungen, die in die Ost-West-Sicherheits-und Entspannungspolitik eingebettet ist?

Beide wollen den Frieden. Dies sollte nicht in Zweifel gezogen werden. Beide erklären, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen dürfe. Auch dies ist ernst gemeint. Bundesrepublik wie DDR erklären sich zur Verantwortungsgemeinschaft.

Auf dieser sehr abstrakten Ebene fällt es offenbar leicht, übereinzustimmen. Der Dissens zeigt sich, wenn auf der operativen Ebene nach praktischen Schritten gefragt wird und danach, was aus solchen deklaratorischen Willensbekundungen folgen soll. Beide wollen z. B. Sicherheit mit weniger Waffen. Das Gegenteil geschieht. Beide machen sich wechselseitig Vorwürfe deswegen.

Perspektivisch interessant ist etwas anderes: Die Bundesrepublik erklärt, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk seine Selbstbestimmung verwirklicht. In scheinbarer Analogie erklärt die DDR, daß auch sie auf einen Zustand in Europa hinwirken will, „in dem Zusammenarbeit zwischen den Staaten zum Wohle der Völker und nicht Konfrontationspolitik die Norm ist“ Beide Perspektiven sind bislang als Gegensatz begriffen worden, als Antithese. Wenn man einmal den Versuch machte, beides in einen Zusammenhang zu bringen, wäre es vielleicht fruchtbarer. Der Zustand des Friedens in Europa hieße also: mit gesicherten Grenzen, aber ohne Mauern! Mit den real existierenden zwei deutschen Staaten, aber mit dem, was Bundesrepublik und DDR im Korb 3 der KSZE-Schlußakte unterschrieben haben: Mehr Freizügigkeit, besserer Informationszugang über die Grenzen hinweg und ähnliches: kurz: Mehr Menschlichkeit. Konkrete Utopie?

Fussnoten

Fußnoten

  1. Abgedruckt in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung v. 14. 3. 1985, S. 230.

  2. Zu den Grundlagen, zum Ziel und zu den Instrumenten deutsch-deutscher Politik vgl. im einzelnen Wilhelm Bruns, Deutsch-deutsche Beziehungen, Opladen 19843.

  3. Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU „Deutschlandpolitik", Bundestagsdrucksache 7/2934 v. 6. 12. 1974,

  4. So in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung v. 18. 3. 1974, S. 1.

  5. Zu den Ergebnissen deutsch-deutscher Vertrags-politik vgl. Bruns (Anm. 2).

  6. Die „Werbellin" -Erklärung von Honecker und Schmidt ist abgedruckt in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung v. 15. 12. 1981, S. 1033 ff.

  7. Der deutschlandpolitische Teil der sog. Geraer Rede Honeckers ist abgedruckt in: Deutschland-Archiv, 13 (1980) 11, S. 1221 ff.

  8. Hier abgedruckt in: Außenpolitische Korrespondenz (DDR) Nr. 47/1984, S. 374.

  9. Vgl. Christiane Lemke, DDR-Forschung in den USA in: DDR-Report, 18 (1985) 1, S. 2— 5.

  10. Es gibt immer noch eine erhebliche Diskrepanz zwischen forcierter Westdiplomatie und stagnierendem Westhandel (vgl. dazu den jüngsten Report des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, [1985] 32, S. 360 f.).

  11. Vgl. Max Schmidt/Gerhard Basler, Koalition der Vernunft und des Realismus, in: IPW-Berichte, 14 (1985) 5, S. 1— 7.

  12. Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung v. 8. 1. 1985, S. 33.

  13. Vgl. dazu sein Referat im Wortlaut in: 3. Deutschlandpolitisches Forum des DDR-Reports vom 22. 5. 1985, Bonn 1985, S. 10ff.

  14. Vgl. „Denkschrift: Friedensvertrag, Deutsche Konföderation, Europäisches Sicherheitssystem", Berlin, März 1985 (Eigenverlag), oder: Rolf Stolz (Hrsg.), Ein anderes Deutschland, Berlin 1985.

  15. Vgl. Rede des ehemaligen Bundesministers und

  16. Vgl. etwa: Institut für Internationale Politik und Wirtschaft der DDR (Hrsg.), Europa. Frieden oder Untergang? Zur Entwicklung der Systemauseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus in Europa, Berlin 1984. *

  17. Dieses Wort findet sich bei Schweisfurth (s. Anm. 14, S. 5), bezogen auf den „Status quo der dreifachen Teilung".

  18. Vgl. Wolfgang Seiffert über den Handlungsspielraum der SED-Führung: „Die DDR kämpft um ihre Existenz", in: Der Spiegel v. 10. 10. 1983, S. 64— 67.

  19. Vgl. Wilhelm Bruns, Die Außenpolitik der DDR, Berlin 1985.

  20. Vgl. Neues Deutschland (ND) v. 14. 10. 1980.

  21. Vgl. das Material: Chemische Abrüstung. Modell für eine chemiewaffenfreie Zone in Europa (= Politik. Aktuelle Informationen der SPD, Nr. 6 vom Juli 1985), vgl. auch zur Erläuterung Karsten D. Voigt, Gemeinsame Wege zur chemischen Abrüstung, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 32 (1985) 8, S. 736— 740.

  22. Vgl. Bruns/Ehmke/Krause Bonn 1985.

  23. Vgl. z. B. die Erklärung von Helmut Kohl am 4. 7. 1985 vor der Bundespressekonferenz (Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung v. 6. 7. 1985, S. 698.

  24. Die Rede ist abgedruckt in: Bulletin des Presse-und Informationsamtes der Bundesregierung v. 20. 6. 1985, S. 589— 600, hier S. 595.

  25. Vgl. Anm. 16, S. 11.

  26. „Es geht nicht darum, Grenzen zu verschieben, sondern Grenzen den trennenden Charakter für die Menschen zu nehmen" hat Bundespräsident Richard von Weizsäcker vor dem 21. Deutschen

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Wilhelm Bruns, Dr. phil., geb. 1943; Abteilungsleiter im Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn. Industriekaufmann, Lehrerexamen, Studium der Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Universität Hamburg. Seit 1981/82 Lehrbeauftragter an der Universität Bonn. Veröffentlichungen u. a.: Die friedliche Koexistenz, Hamburg 1976; Die UNO-Politik der DDR, Stuttgart 19802; Deutsch-deutsche Beziehungen. Prämissen, Probleme, Perspektiven, Opladen 19844; Uneinig in den Vereinten Nationen, Köln 1980; (zus. mit Ch. Krause u. E. Lübkemeier) Sicherheit durch Abrüstung, Bonn 1984; (Hrsg. zus. mit H. Ehmke u. Ch. Krause) Bedrohungsanalysen, Bonn 1985; Außenpolitik der DDR Berlin 1985.