I. Vorbemerkung
Wer sich die über die Jahrzehnte hinweg in der Bundesrepublik so nachhaltig und produktiv geführte Diskussion um Theorie und Didaktik der politischen Bildung vergegenwärtigt, stößt bei Durchsicht der immensen Literatur auf ein Manko, das allenfalls in marginalen Bemerkungen zur Sprache gebracht wird: Die gesamte Auseinandersetzung um die politische Bildungsarbeit war und ist eine „vorrangig auf die Schule zielende“ Entwicklung von Positionen und Gegenpositionen sowie Versuchen, die jeweiligen Standpunkte didaktisch, curricular und methodisch zu konkretisieren. Daneben gibt es aber einen „kaum beachteten Lernbereich außerhalb der Schule“ dessen Praxis nichtsdestoweniger Relevanz besitzt. Hierzu zählt auch die politische Erwachsenenbildung, deren Vertreter jedoch unter einem ausgesprochenen Defizit ihre Arbeit organisieren. Denn ihnen fällt es ganz offensichtlich schwer, eine den Bedingungen und „institutionellen Determinanten" entsprechende adäquate Theorie ihrer Arbeit zu verbalisieren Darüber hinaus ist bisher noch nicht einmal eine systematische Aufarbeitung ihrer Tradition und Historie erfolgt. Dies verwundert sehr, denn die politische Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik hat ihre eigene Geschichte, die zu verfolgen höchst aufschlußreich ist. In ihr spiegelt sich nämlich die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland, vor allem ihre ökonomischen und bildungspolitischen Stadien und Etappen, Umbrüche, Reformen und Restriktionen, wider.
Der theoretische Stand der Erwachsenenbildung im allgemeinen und der Volkshochschulen im besonderen hatte und hat insgesamt einen nahezu indikatorischen Charakter für die allgemeine Situation und Bewußtseinslage. Oft mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zwar — aber stets zuverlässig —, erreichte das, was gerade sozial und ökonomisch vor-und nachgedacht wurde bzw. sich entwickelte, auch die Konzeptionisten und Planer der VHS. Die Arbeit dieser Institution erwies sich so immer als zeit-und system-adäquat, sie hat quasi seismographische Aussagekraft für in Bewegung geratene Verhältnisse. Im folgenden soll versucht werden, die bestehende Lücke in der Literatur wenn zwar nicht zu schließen, so doch etwas zu verkleinern. In der historiographischen Schilderung beschränke ich mich auf die Volkshochschulen, die gegenüber anderen Trägern der Erwachsenenbildung auf der Bekanntheitsskala „die Spitzenstellung” innehaben. Die Geschichte der in der Reihe ihrer Protagonisten und Mitarbeiter diskutierten politischen Erwachsenenbildung mag in vielen Punkten auch stellvertretend für die politische Bildungsarbeit mit Erwachsenen überhaupt sein. Zumindest ist die Wirkung ihrer praktischen Tätigkeit beträchtlich: Im Jahr 1983 beispielsweise kamen zu den Kursen aus dem Bereich „Gesellschaft und Politik“ bundesweit 175 550 Hörer und 291 099 zu den Einzelveranstaltungen Um so notwendiger ist bei dieser stattlichen Bilanz eine Erinnerung an den Werdegang der politischen Bildungsarbeit der Volkshochschulen. Die Entwicklung dort zeigt auffallende und sicherlich nicht zufällige Parallelen zum Diskussionsverlauf der allgemeinen politischen Bildung.
Bei Sichtung der vorliegenden*Literatur lassen sich zunächst für die politische Erwachsenenbildung innerhalb der Volkshochschulen vier zeitlich aufeinander folgende Etappen finden:
— Die Phase des Neubeginns (1948— 1959) — Die Zeit nach der „realistischen Wende"
(1959— 1967)
— Die Auseinandersetzung um den emanzipatorischen Anspruch (1968 ff.)
— Die Etablierung der Volkshochschulen (1974ff.)
II. Der Neubeginn: Mitbürgerlichkeit durch Bildung und die Erziehung zum „rechten staatsbürgerlichen Denken und Verhalten" (1948-1959)
Das erzieherische Leitmotiv nach Kriegsende war unter den Volksbildnern, die zu einem großen Teil schon in der Weimarer Zeit aktiv waren sehr stark individualistisch und moralisierend geprägt; ihnen ging es um die Förderung von Tugendhaftigkeit und den entsprechenden Charaktereigenschaften. Man kann dies „sehr leicht als elitär empfinden" Keine Frage, daß man den politischen Status quo der neuen Demokratie uneingeschränkt bejahte und mit den dominierenden Appellen zur Gemeinschaftsförderung und „Mitbürgerlichkeit" dabei die kritische soziologische Analyse ausklammerte.
So heißt es beispielsweise in der „Volkshochschule im Westen", dem Organ des Landes-verbandes der Volkshochschulen von Nordrhein-Westfalen, deklamatorisch: „Es geht um den Menschen, es geht um den Bestand der Freiheiten der abendländisch gebildeten Menschheit." Schließlich ist die Bedrohung groß: Denn es besteht die „Gefahr, von den Zeiterscheinungen der Vermassung ... überwältigt zu werden" In dieser Not erhält die Volkshochschule ihren „Sinn“, und der kann „nur der sein: Erlösung des einzelnen von der Masse" Das Äquivalent hierzu ist ein pathetisch und bekennerisch formuliertes Verständnis vom Staat: „Staat als geistig-sittliche Organisation und VHS als pädagogische Hin-leitung gehören zusammen wie Wort und Gedanke, wie Verwirklichung und Idee." So formulierte es im Jahre 1952 der damalige Vorsitzende des Landesverbandes der Volkshochschulen von Nordrhein-Westfalen, Konrad Maria Krug. Kein Wunder, daß von der VHS gefordert wurde, dem Staat zu „dienen" daß ihr ohne jegliche Umschweife eine „staatstragende Funktion" zugeschrieben wurde.
Diese grundsätzliche normative Orientierung der Volkshochschulen fand ihre methodisch-didaktische Übersetzung im damals zentralen Prinzip, dem Gedanken von der „Mitbürgerlichkeit": „Die Volkshochschule soll in der mitbürgerlichen Gesinnung und Zielsetzung ihre verbindende und verbindliche Mitte finden." Diese Vorstellung wurde von dem in dieser Zeit sehr beachteten Fritz Borinski explizit als Beitrag zur politischen Bildung verstanden Der „Mitbürger" sollte ihm zufolge„zur positiven politischen Verantwortung und Entscheidung" erzogen werden.
Nirgendwo diskutierten die Erwachsenenbildner in der Nachkriegszeit, wie nun eine politische Alternative zu den bestehenden Verhältnissen aussehen sollte. Dies verwundert indessen aufgrund der generellen Ziel-orientierung nicht.
Ab Ende des Jahres 1958 jedoch fällt auf, daß sich ganz offensichtlich ein Wandel im Verständnis von politischer Bildungsarbeit abzeichnet. Da kritisiert Hans Tietgens sehr deutlich die am „mitbürgerlichen Prinzip“ orientierte Arbeit, der er Konzentration auf „formaltechnische Fragen“ und „didaktische Tricks“ vorwirft Statt dessen führt er psychologische Kategorien als Aufgabe politischer Bildung ein: dem einzelnen zu „Selbstsicherheit“ zu verhelfen, die „rationalen Kräfte“ zu stärken, für „Bewußtseinsbildung“ zu sorgen Wohl von noch größerer Bedeutung ist, daß Tietgens, indem er vom bis dato vorherrschenden formalen Demokratiebegriff abrückt, nun die „Demokratisierung“ konstitu-tiv in die Bildungsarbeit miteinbezieht Dies — eine Konsequenz der allgemeinen sozialwissenschaftlichen Diskussion und neuen Theoriebildung — findet im folgenden in der „Volkshochschule im Westen” mehrfach engagierte Befürworter
Die Kurskorrektur in der politischen Erwachsenenbildung ist unverkennbar: Vom affirmativen, von Harmonie durchdrungenen „Mitmenschen" hat sich nun das Augenmerk hin zum „wollenden, handelnden und notfalls zum letzten bereiten“ Staatsbürger verlagert Dabei sind Formulierungen zu finden, die schon sehr deutlich der späteren Emanzipationspädagogik entsprechen Deren Begründung basiert nun auf der erkennbaren Rezeption und Verarbeitung politikwissenschaftlicher Analysen
Die erste Phase der politischen Erwachsenenbildung hatte so ihr Ende gefunden; der „neuhumanistische Bildungsidealismus" hinter dem „sich außer politischer Naivität und bewußtem Konservatismus auch Restaurationsabsichten" verbargen, war Vergangenheit
III. Die „realistische Wende'1: Qualifizierung durch Bildung. Politische Bildung zwischen kritischer Rationalität und unkritischer Funktionalität (1959— 1968)
Zunächst aber vollzog sich ein Schwenk hin zu einer völlig anderen Richtung: nämlich vom Kulturpessimismus zum Fortschritts-glauben, von der Innerlichkeit zur Leistungsorientierung, vom Humanismus zum Modernismus, von der Introvertiertheit zur Machbarkeit, vom Idealismus zum Pragmatismus, von der Bildung zur Qualifizierung. Der Ruf von der „Bildungskatastrophe" hatte auch die Erwachsenenbildung erfaßt; verbunden damit war der fast grenzenlos erscheinende Glaube an eine offenbar unbeschränkte mobile und dynamische Leistungsgesellschaft
In der „Volkshochschule im Westen" liest sich dies so:..... wir werden bald erfahren, daß sich überall Wandlungen vollziehen, daß ein Umdenken aus der Tradition in die pädagogische und soziale Revolution unserer Tage die neuen, ja ernsteren Bemühungen diktiert. An ihnen kommen wir nicht mehr vorbei; die Traum-und Saumseligkeiten volkspädagogi-scher Schöngeisterei versagt vor den Realitäten des beruflichen Umschulungsprozesses, der Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus zur Sicherung gleicher beruflicher Chancen für alle Begabungen in einer Zeit nachlassender wirtschaftlicher Konjunktur und härtester internationaler Industriekonkurrenz, in einer Zeit zumal, in der die Naturwissenschaften zwangsläufig einen wissenschaftlichen Vorrang gegenüber den anderen Wissenschaften haben, und in der es darauf ankommt, auch dem Volksschüler die entschlüsselte Mathematik aufzuschließen, weil er sie einmal brauchen wird."
Diese deutliche Positionsnahme für „den natürlichen Gang der Entwicklung" zeigt den Wandel weg vom bis vor wenigen Jahren noch so eindeutig vorherrschenden Bildungsidealismus in sehr prägnanter Weise. Auf dem Plan steht nun die Hinwendung zu den „realen" Herausforderungen der modernen Industriegesellschaften: Wir „müssen uns an der Schwelle der vor uns liegenden Jetten Bildungsjahrzehnte’ fragen, ob die Erwachsenenbildung, besonders in unserem hochindustrialisierten Land, den technischen Fortschritt und die unausbleiblichen sozialen Folgen versteht und bereit und fähig ist, sich diesen rasanten Entwicklungen zu stellen."
Die „unaufhaltsame Entwicklung" begrüßte man, sah man in ihr doch eine Chance, die den allenthalben formulierten Bildungsoptimismus zu rechtfertigen schien. Hinter dem „Prozeß der Rationalisierung, Mechanisierung und Hochmechanisierung“ entdeckte man ungeahnte Weiterbildungsmöglichkeiten: „Es liegt im Wesen des Automaten, schneller, präziser und qualifizierter als der Mensch zu arbeiten; er emanzipiert die Mehrheit der Menschen aus monotonen Verrichtungen und könnte sie für geistige und schöpferische Leistungen freimachen."
Dieser Fortschrittsoptimismus, der heute — zwanzig Jahre später — naiv und euphorisch zugleich wirkt, war für die Arbeit und die programmatische Ausrichtung der Volkshochschulen in der Bundesrepublik von großer Wirkung. Hans Tietgens, der Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, sprach 1966 von einem „Wandel des Aufgabenverständnisses" und von der „realistischen Wende", die sich vollzogen habe: „Bildung und Ausbildung werden nicht länger als Gegensatz gesehen." Die Zeit, in der „für eine . Verschulung'der Volkshochschulen" plädiert wurde, war nun angebrochen. Die Erwachsenenbildung der VHS wandte sich, ohne daß dabei auf ihrer Seite allzu große Zweifel festzustellen sind, vorbehaltlos den ökonomischen Rahmenbedingungen und Erfordernissen zu
Auch in die eigentliche politische Bildung war Bewegung eingetreten. Seit Mitte der sechziger Jahre hatte sich — so weit erkennbar — die Linie durchgesetzt, deren Zielvorstellung Rationalität, Urteils-und Kritikfähigkeit, aber auch Bereitschaft zum vernunftgesteuerten politischen Handeln und Engagement waren
Ein Kristallisationspunkt bei der nun unter neuen Vorzeichen geführten Diskussion war — synonym zur Auseinandersetzung im Bereich der allgemeinen politischen Bildung — die Frage nach der Reichweite politischen Handelns, zu dem die Veranstaltungen animieren sollten. Hier tat man sich — ebenso wie bei der Diskussion um die politische Bildungsarbeit der Schulen — sehr schwer. Ein deutlicher Abstrich wird beispielsweise erkennbar, wenn die Rede vom „vernünftigen Handeln" ist, oder die politische und pädagogische Ebene streng voneinander getrennt werden und dementsprechend das „Ziel primär politisches Lernen und erst sekundär politisches Wirken ist"
In der „Volkshochschule im Westen" werden die Vorstellungen Hermann Gieseckes ausgiebig von Hans Tietgens besprochen Gieseckes „Didaktik politischer Bildung" sollte — so der Rezensent — „auch im Bereich der Volkshochschulen diskutiert" und entsprechend umgesetzt werden
Die Rezeption der ab Mitte der sechziger Jahre verbreiteten emanzipatorischen Zielvorstellungen wurde in der Tat in den Volkshochschulen vorgenommen. Hellmut Becker — immerhin Präsident des Deutschen Volkshochschulverbandes — stellte in einem Vortrag 1966 sehr pointiert klar: „Die Demokratie als Glaube und Illusion, der politische Funktionsmechanismus als Vokabel können nicht bilden. Kritisches Bewußtsein und engagiertes Handeln müssen gleichzeitig geübt werden."
Der Aufbruch zu neuen Zielvorstellungen in der politischen Bildung und damit die Abkehr vom Bildungs-und Qualifikationspragmatismus der „realistischen Wende" hatte begonnen.
IV. Die Auseinandersetzung um den emanzipatorischen Anspruch: Demokratisierung durch Bildung (1968— 1973)
Auch in dieser jetzt beginnenden Phase wird die generelle Tendenz, daß sich in der Arbeit und in den Diskussionen der Volkshochschulen allgemeine gesellschaftliche Tendenzen — wenn auch mit einer leichten Zeitverschiebung, aber immer zuverlässig — widerspiegeln, bestätigt. Denn nun griff die Demokratisierungsdebatte, die in den sechziger Jahren die Sozialwissenschaften und politischen Akteure so nachhaltig bestimmt hatte, vollends auf die VHS-interne Diskussion über.
Vergegenwärtigt man sich rückblickend die damals geführten Auseinandersetzungen um die politischen Ziele und Inhalte der Erwachsenenbildung, so bleibt als Fazit wohl festzuhalten, daß die in der bisherigen Nachkriegszeit so uneingeschränkt affirmative und status-quo-orientierte Haltung nun erstmals auf breiter Linie aufgegeben wurde. Dies hing sicherlich auch damit zusammen, daß der durch die „realistische Wende" angeregte und vielfach auch praktizierte Ausbau des Erwachsenenbildungssystems einen neuen Typus von pädagogischen Mitarbeitern in die VHS brachte. Dieser war zu einem erheblichen Anteil sozialwissenschaftlich ausgebildet, geprägt von der Demokratisierungsperspektive, deren Vorgaben er im gesellschaftlichen Subsystem „Erwachsenenbildung“ einlösen wollte. Der Anspruch der Volkshochschulen änderte sich nun, und zwar „vom Pragmatismus zur Parteinahme" im Prozeß der Demokratisierung. Anfang der siebziger Jahre zog Hans Tietgens in der „Volkshochschule im Westen“ die folgende Bilanz, mit der er die neuen Intentionen politischer Erwachsenenbildung treffend beschrieb: „Was immer in der Vergangenheit im Namen Politischer Bildung versucht worden ist, gilt als folgenlos, und zwar nicht nur wegen der geringen Breitenwirkung, sondern am Maßstab einer emanzipatorischen Zielsetzung. Diese wird aus einer Gesellschaftsanalyse abgeleitet, nach der Herrschaftsstruktur, Eigentumsordnung und Erziehungsstil unauflöslich miteinander gekoppelt sind. Aufgrund dessen kann nur eine umfassende Gesellschaftsveränderung die Rechte'weitergeben, die formal verbrieft sind, aber in den Bedingungen einer Kapitalverwertungsgesellschaft ihre Grenzen finden bzw. von ihnen -verschlei ert werden. Angesichts solcher Verhältnisse parteiisch sein zugun muß Politische Bildung -sten derer, die im bestehenden System benachteiligt sind. Will Politische Bildung ihrem Selbstanspruch gerecht werden, muß sie auf grundlegende Veränderungen hinwirken. Sie kann dies nur, wenn sie die gegebene Situation bewußt zu machen vermag. Sich der damit verbundenen Anstrengung zu unterziehen, ist aber nur bereit, wer die Wirksamkeit seiner Bemühungen unmittelbar erfährt. Dafür sind Informationen und Reflexionen kein ausreichendes Mittel. Politisches Lernen — so lautet der Grundsatz — vollzieht sich erst im Zusammenhang mit politischem Handeln."
Allerdings wäre die Annahme verfehlt, als sei diese so skizzierte Position überwiegend oder gar durchgängig vertreten gewesen. Alles in allem nämlich läßt sich bei der Auswertung der damals veröffentlichten Literatur feststellen, daß die frühere personal-idealistische Vorstellung von der Erwachsenenbildung nun zwar überwunden war, jedoch bestimmten jetzt zwei Hauptstränge die Diskussion: Einmal die in sich recht facettenreiche und nuancierte (auch kontrovers gegeneinander vorgetragene) Absicht, per Weiterbildung mitzuarbeiten an einer forcierten Demokratisierung. Zum anderen aber waren die pragmatischen, manchmal sehr technokratischen Zielrichtungen nach wie vor ungebrochen manifest
Es hat daher an Stimmen nicht gefehlt, die von einer „Tendenz zur Polarisierung" sprachen und davor warnten, die Ziele „gegenein44) ander auszuspielen" Vor allem Willy Strzelewicz war es, der die . Aufhebung der falsehen Alternative" forderte: entweder Emanzipation oder Leistung und Lernen, entweder industrielle Technik oder Demokratisierung, entweder politische Bildung oder Berufsausbildung, entweder Freiheit oder Effektivität. Dieses Entweder-Oder ist falsch..." Emanzipatorischen Interessen — so Strzelewicz — müsse „unter den Bedingungen der industriellen Gesellschaft, wie wir sie heute finden, gedient werden .. ."
Um den Kurs der Weiterbildung und VHS der war einer gekom es zu heftigen Kontroverse -men Diejenigen, welche wie Strzelewicz die Alternative „Technokratie — Emanzipation" als falsch bezeichneten, argumentierten allem gegen Vertreter einer stark vor konfliktorientierten Pädagogik. Diese — teilweise marxistisch orientiert — kritisierten „die Unterordnung der Erwachsenenbildung in eine Weiterbildung, deren objektive Funktion in der systemkonformen Qualifikationsproduktion besteht.. .“ Hier wurde eine Erwachsenenbildung gefordert, deren Ziel es sein sollte, „sich an der Aufhebung von Herrschaft und Entfremdung praktisch zu beteiligen"
Dies ging bis zu einem „revolutionären“ Verständnis von der Erwachsenenbildungsarbeit ihr wurde im anzustrebenden Prozeß gesellschaftlicher Umwälzung sogar eine Schlüsselrolle zugewiesen, sollte sie doch „den kollektiven Emanzipationsprozeß im Klassenkämpf...organisieren"
Mit solchen und anderen Vorstellungen kam die VHS natürlich ins Schußfeld der öffentlichen Kritik. Dies so sehr, daß das Landesor-gan des Volkshochschulverbandes Nordrhein-Westfalen, die „Volkshochschule im Westen", eine ihrer Ausgaben des Jahres 1971 mit der schlagzeilendicken Frage aufmachte „Steht die VHS links? Diese Frage wird begründet und präzisiert: „Mehr als ein Viertel aller Berliner Diplom-Politologen ist inzwischen in die Erwachsenenbildung gegangen... Kommt die totgeglaubte APO durch die Hintertür der Erwachsenenbildung wieder auf die Gesellschaft zu — diesmal in einflußreicherer Position? Steht die Volkshochschule links?"
In der Tat waren die außerparlamentarische Opposition und die von ihr eingebrachten Themen eine Herausforderung für die Volkshochschulen, der sie sich durchaus annahmen. Die Studentenbewegung ging jedenfalls „nicht spurlos" an der Erwachsenenbildung vorbei: „Der Durchbruch der kritischen Theorie ... fand in den Zielvorstellungen der Erwachsenenbildung ihren Niederschlag"
Damit gerieten die Volkshochschulen ins Visier der publizistischen Kritik auf die mit entsprechenden Klarstellungen reagiert werden mußte. Dies geschah in einer mitunter souveränen Art und Weise was manchmal heute — etwas mehr als ein Dutzend Jahre später — fast schon unvorstellbar erscheint. Die Themen und Fragen, die sich aus und mit der Studentenbewegung stellten, fanden ihren Niederschlag in den Programmen der Volkshochschulen Man zögerte auch nicht, den prominenten Sprechern dieser Bewegung in den Volkshochschulen ein Forum zu geben
Dies macht deutlich, was sich binnen nur weniger Jahre geändert hatte: Viele Volkshochschulen waren nun dabei, sich von der Vorstellung einer systemkonformen Hilfestellung zu lösen und selbst zum „kritische(n) Korrektiv des Systems" zu werden.
Eine solche Ambition kam vor allem der politischen Bildung zugute, die nun einen raschen Wandel erlebte und „stärker in den Mittelpunkt der erwachsenenpädagogischen Diskussion gerückt" wurde Sie wurde jetzt einer kritischen Prüfung unterzogen, wobei man ihr bisheriges „Versagen" ihre „herkömmliche affirmative“ Arbeit konstatierte und daher ihre „Revision" forderte. Man sah aber auch in den Impulsen, die aus der APO kamen, eine Chance, die VHS zum Forum tabufreier und kontroverser Diskussion zu machen
Einige gingen noch weiter: Für sie sollten nicht nur die Fragen diskutiert werden, die die Studenten aufwarfen, sondern es sollte darüber hinaus noch mehr geschehen: „Warum sollten eigentlich die Volkshochschulen nicht daran anknüpfen und auf diese Weise ebenfalls einige der Fragen aufnehmen, die die Studenten gestellt haben? Politische Erwachsenenbildung verliert sich allzu häufig noch in theoretischer und historischer Reflexion und ist noch lange nicht das, was man . politische Verhaltenslehre'oder gar direkte Aktivierung nennen könnte.“
Die Teilnehmer der politischen Erwachsenenbildung sollten mobilisiert und aktiv werden — die Volkshochschulen selbst sollten eingreifen in den Prozeß der weiterzuführenden Demokratisierung Hierfür wurde in den Kreisen der Volkshochschulen mitunter vehement Position bezogen vor allem die politische Bildung könne dazu beitragen, „die Voraussetzungen für eine Demokratisierung der Gesellschaft und die Emanzipierung ihrer Mitglieder zu verbessern" Durch Weiterbildung „emanzipatorische vielen (zu) eröffnen“ Chancen die sah man allenthalben als eine reale Möglichkeit an; „der . lange Marsch'durch die Institutionen der Kulturpolitik" sollte angetreten werden.
Im Klima dieser Zeit, als auch der damalige Bundeskanzler Willy Brandt davon sprach, „mehr Demokratie wagen" zu wollen, konnten radikaldemokratische Vorstellungen gut gedeihen. Zwar forderten nicht gleich alle, daß die Volkshochschulen „zur Aufhebung der tradierten Unterdrückungs-und Ausbeutungspraktiken beitragen (sollten)“ Aber immerhin der Präsident des Deutschen Volkshochschulverbandes, Hellmut Becker, konnte die VHS „als dynamisches Element in der Verwandlung der Gesellschaft“ charakterisieren, ohne anschließend gleich Protest-stürme abwehren zu müssen.
Die Volkshochschulen in der Bundesrepublik hatten ihr Erscheinungsbild ebenso wie ihre innere Verfaßtheit entscheidend gewandelt. Die Vielzahl von Modellen und Beispielen für konkrete emanzipatorische Bildungsarbeit, die allenthalben kreiert, diskutiert und erprobt wurden, sind Hinweise dafür — jedenfalls war man weitgehend von der „Realisierbarkeit kritischer Erwachsenenbildung" überzeugt.
Wenn auch das Spektrum der politischen Positionen eine beträchtliche Bandbreite hatte war man sich doch ingesamt darüber einig, daß es der politischen Bildungsarbeit darum gehen sollte, „das emanzipative Poten -
zu und das „Odium der Un tial mobilisieren" -verbindlichkeit ab(zu) streifen" Das didaktische Prinzip, das nun — wie in der allgemeinen Schule — auch in der Erwachsenenbildungsarbeit in den Mittelpunkt rückte, war das der Konfliktorientierung
Bei der Frage nach der konkreten Umsetzung dieser Vorstellungen kristallisierten sich neue Zielvorstellungen und Handlungsfelder heraus, die dann alles in allem die Substanz und typischen charakteristischen Merkmale emanzipatorischer politischer Erwachsenenbildung darstellten:
— Teilnehmerorientierung — offenes Curriculum — Parteinahme — Parteilichkeit — Politische Mobilisierung und Aktivierung — Stadtteilarbeit — Zielgruppenarbeit Hierfür sind in der Folgezeit zahlreiche Begründungen gefunden, pointierte Stellungnahmen vollzogen und eine Vielzahl von Modellen entwickelt worden
In dieser reformerischen Euphorie blieb die Antwort jedoch auf einen kritischen Zwischenton weitgehend ausgeklammert: „Wie indessen diese Postulate von den öffentlichen Trägern der Erwachsenenbildung, den Volkshochschulen, in konkrete Programme und praktikable Bildungsarbeit umgesetzt werden sollen, bleibt die entscheidende Frage."
Skeptizismus kam in der Tat recht selten auf; Probleme, daß dieser emanzipatorische Elan möglicherweise im Widerspruch zu den institutioneilen Gegebenheiten einer VHS stehen könnte, wurden kaum gesehen. Statt dessen hieß es kategorisch: . Ansätze emanzipatorischer Praxis" sind „realisierbar“, „jedoch nur unter der Prämisse, daß die Institution Volkshochschule die Voraussetzung für eine emanzipatorische Praxis schafft. Sie muß die Umsetzung ihres Anspruchs der Offenheit trotz der denkbaren inneren und äußeren Spannungen bewältigen, will sie nicht unglaubwürdig werden und sich den Demokratisierungsansprüchen unserer Gesellschaft verweigern."
Die Frage aber, wie dies organisatorisch und politisch im damals so optimistisch angesteuerten Ausbau der Weiterbildung zu bewerkstelligen sei, spielte dann im Eifer der Veränderung keine Rolle.
V. Die Etablierung der Volkshochschulen (ab 1974)
Was ist — von der heutigen Warte aus betrachtet — aus all diesen engagierten Ambitionen geworden? Zunächst einmal haben die Volkshochschulen im Zuge der bildungspolitischen Vorstellungen, die Weiterbildung zu einem gut ausgestatteten und gleichberechtigten Bildungsbereich zu entwickeln, einen enormen Aufschwung erlebt. Im Deutschen Volkshochschul-Verband waren im Jahr 1983 874 Volkshochschulen organisiert in denen insgesamt 1 592 hauptberufliche pädagogische Mitarbeiter 311 427 Kurse sowie 67 827 Einzelveranstaltungen planten, die sie zusammen mit 112 909 nebenberuflichen Kursleitern bzw. Referenten durchführten. Dabei erreichten sie insgesamt die stattliche Zahl von 4 606 622 Belegungen bei den Kursen und 3 227 467 bei den Einzelveranstaltungen Dies ist gewiß eine Bilanz, welche die VHS-Vertreter zufriedenstimmen kann.
Auch die im engeren Sinne politische Bildung hat — wie bereits oben gezeigt — ein beachtliches Resultat vorzuweisen — zumindest in quantitativer Hinsicht In einigen Bundesländern gibt es für die Weiterbildungseinrichtungen zudem noch Gesetze, die eine solide Grundlage ihrer Arbeit garantieren. Das Weiterbildungsgesetz im Land Nordrhein-Westfalen beispielsweise macht seit dem 1. Januar 1975 den Städten, Gemeinden und Kreisen in diesem Bundesland die Erwachsenenbildung zur Pflichtaufgabe Dies führte dort zur vollständigen Kommunalisierung der Volkshochschulen. Die Volkshochschulen sind alles in allem gut etablierte Einrichtungen im gesamten Bildungssystem der Bundesrepublik. Hinter dieser so gelungen wirkenden Fassade gärt es jedoch. Denn Erfahrungsberichte von Praktikern, die vor Ort in den Volkshochschulen die politische Bildungsarbeit betreiben wollen, weisen auf eine mühsame und mit vielen Frustrationen verbundene Wirklichkeit im Alltagsgeschäft: „In kaum einem Fachbereich ist die Kluft zwischen Theorie und Praxis so groß wie in der Politischen Bildung" . Anspruch und Realität klaffen zusehends auseinander" heißt es da beispielsweise. Und: „Po) litische Erwachsenenbildung leidet seit eh und je an ihrer Folgenlosigkeit.“
Die politischen Erwachsenenbildner sind zurückhaltender geworden, teilweise sogar resigniert. Dies hat einen wesentlichen Grund in der Tatsache, daß der Ausbau der Volkshochschulen auch vielfach die Integration in die bürokratischen Großapparate der jeweiligen Stadt-und Kreisverwaltungen zur Folge-hatte. In deren Hierarchien sind die Volkshochschulen eingegliedert, administrativ eingebunden und damit vielfach politisch reglementiert worden. Auf der Strecke geblieben sind dabei oft pädagogische Spontaneität, kreative Phantasie und vor allem auch der liberale Mut zur engagierten Aufklärungsarbeit
Es ist dies ein Thema, das die hauptberuflichen Erwachsenenbildner zwar ständig beschäftigt, das jedoch allenfalls als örtlicher da einmal in der Skandal hie und Lokalpresse erscheint, ansonsten aber als typisches „Praxisproblem" in der wissenschaftlichen Diskussion um die Erwachsenenbildung nur eine nebengeordnete Rolle spielt Jedenfalls ist bedenklich, daß — einer bundesweiten empirischen Studie zufolge — 31% der dort befragten pädagogischen VHS-Mitarbeiter angaben, „Selbstzensur aus Bedenken vor Vorgesetztenbedenken“ bei der Erstellung ihrer Bildungsprogramme zu praktizieren Eine direkte Zensur wurde in 12, 1% der Auskunft gebenden Institutionen explizit geübt
Eine eigene Umfrage bei Fachbereichsleitern für politische Bildung an nordrhein-westfälischen Volkshochschulen förderte Erkenntnisse zu Tage, die Einblick geben in das „Innenleben“ politischer Erwachsenenbildner und ihrer in kommunalen Behörden eingebundenen Volkshochschulen: 28 (= 82, 35%) von 34 Befragten gaben an, ihre bildungstheoretischen Ziele in der täglichen Arbeit zurücknehmen zu müssen; dabei wurden etliche VHS-externe Instanzen und Faktoren genannt, die dies erforderten: Verwaltungsvorgesetzte, politische Gremien und Rahmenbedingungen. 21 (= 61, 76%) der interviewten kommunalen Erwachsenenbildner fühlten sich in ihrer Arbeit ständigen Zwängen und Mißerfolgserlebnissen ausgesetzt. Als ein zentrales Problem wurde die geringe Teilnehmerresonanz genannt — die Ausfallquote beim politischen Bildungsangebot ist beträchtlich, sie dürfte nach dieser Umfrage bei etwa 40% liegen.
Dies sowie die spezifische Arbeitssituation der hauptberuflichen pädagogischen Mitarbeiter mag dazu führen, daß fast ein Drittel von ihnen — neun (von 33) — explizit erklärte, mehr sich nicht mit theoretischen des Voraussetzungen von ihnen organisierten Faches zu befassen. Treten nun in den etablierten Volkshochschulen Pragmatismus und Resignation an die Stelle von wissenschaftlich-theoretischer Fundierung und Engagement? Diese Tendenz wird aus berufenem Munde — von Hans Tietgens, dem Direktor der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes (DW) — bestätigt. Er stellte mit Blickrichtung auf das im Bereich der Volkshochschulen mit besonders hohem Stellenwert verwurzelte Postulat der . Ausgewogenheit“ fest: „Die Risikobereitschaft der Volkshochschulen ... scheint eher nachzulassen als zuzunehmen.“ Die Gründe hierfür liegen allerdings auch in der mangelnden Bereitschaft der Repräsentanten und Funktionäre der Volkshochschulverbände, die Folgen der . „kritischen Wende der Erwachsenenbildung" offensiv zu vertreten.
Dies wird besonders deutlich im umstrittenen zentralen Kernpunkt emanzipatorischer Bildungsarbeit: der Frage nämlich, ob politische Bildung selbst mit aktiv werden kann und darf beim Prozeß gesellschaftlicher Veränderung. Diese Frage trifft — so wie auch in den allgemeinbildenden Schulen — mitten in den Nerv der gesamten Kontroverse um die Reichweite einer ambitionierten Bildungsarbeit. Die Position des DW ist hier so eindeutig wie die Realität der Arbeit in den Volkshochschulen selbst: Ziel der Arbeit kann und darf es für den Verband der Volkshochschulen allenfalls sein, „für soziales Handeln Anregungen zu erhalten" keinesfalls darf der VHS-Kurs aber selber zum Akteur politischer Handlungen werden. Diese Formulierung ist unmißverständlich; sie zeigt auch, welche verbandsinternen Auseinandersetzungen dem vorausgegangen sein müssen. Dies belegt auch die Vehemenz, mit der sich Hans Tietgens der Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des DW, an die Adresse derer wandte, die die emanzipatorischen Leitziele politischer Bildungsarbeit in den Volkshochschulen verwirklichen wollten. Das ging so weit, daß er — ursprünglich selber ein engagierter Befürworter einer offenen und liberalen Bildungsarbeit — nunmehr viel Verständnis für restriktives Verhalten von Verwaltungsvertretern und Kommunalpolitikern zeigte. Als Ursachen hierfür machte er „die gesellschaftskritische Ansprüchlichkeit der Politischen Bildungstheorie" aus. Dies — so Tietgens — „mußte viele derer in Sorge versetzen, die Verantwortung für ein Gemeinwesen übernommen haben ... Und unumwunden stellt dieser wohl produktivste meinungsbildende DVV-Protagonist fest: „Handlungsorientierung und Parteilichkeit... sind Maximen, die sich nicht ohne weiteres mit der institutionellen Liberalität der Volkshochschule vereinbaren lassen."
Diese Fundamentalkritik, die auch von anderen im DW fest verankerten „Meinungsbildnern" wie z. B. Willy Strzelewicz vertreten wurde macht hinreichend deutlich, wie sehr die Vertreter einer emanzipatorischen Bildungsarbeit in die Defensive geraten sind. Die Etablierung der Volkshochschulen im Bildungssystem bedeutete auch das Werben um institutioneile und politische Anerkennung. Quer liegende politisch-bildnerische Absichten wirken da eher unbotmäßig, da sie den Glanz der so erfolgreich vollzogenen allgemeinen Anerkennung trüben könnten.
Viele, die in und mit den Volkshochschulen eine ambitionierte politische Bildungsarbeit verwirklichen wollten, haben ihre Vorstellungen zurückgeschraubt oder gar völlig aufgegeben. So ist es dann wohl auch ein bezeichnendes Zeugnis für das Klima in den Volkshochschulen, wenn der Präsident des DW, Dieter Sauberzweig, mittlerweise vor „politischer Duckmäuserei“ warnt: „Es wäre unrühmlich für unsere Demokratie, wenn Mitarbeiter der Volkshochschule aus Angst vor Repressalien die politischen Aspekte ihrer Gegenstände tabuisierten, wenn eine subtile Form von Selbstzensur das Spannungsverhältnis zwischen Volkshochschule und Kommune abbauen würde."
VI. Erwachsenenbildung heute: eine zweite „realistische Wende"?
Sicherlich kennzeichnen Zurückhaltung, Ernüchterung und oft auch Resignation heute die Situation der politischen Erwachsenenbildung in den Volkshochschulen. Neben den internen und arbeitsplatzspezifischen Schwie-rigkeiten ist vielen politischen Erwachsenenbildnern in den herkömmlichen Institutionen auch deutlich geworden, welche vergleichsweise unbedeutende Rolle sie bei den großen Politisierungsprozessen der Bundesrepublik gespielt haben. Wenn auch einzelne im VHS-Bereich engagierte Pädagogen forderten, daß die Volkshochschulen „zum Kristallisationspunkt von Unzufriedenheit und Bürgerprotest gegen die verhärteten politischen Strukturen" werden und „Brückenschläge" zur Bürgerinitiativ-, Alternativ-, Friedens-oder Ökologiebewegung schlagen sollten so verliefen diese politischen Artikulationsströmungen doch außerhalb und unabhängig von der politischen Bildungsarbeit der Volkshochschulen. Da ändert auch die Tatsache nichts, daß einige Volkshochschulen — vor allem solche in einem sozialdemokratisch beeinflußten kommunalpolitischen Umfeld — eifrig deren Themen in den Programmen verbalisierten Zuhörermassen erreichten sie dabei wohl nur in den allerseltensten Fällen — eher im Gegenteil: Diejenigen, die sich in der „alltäglichen" oder „außerinstitutionellen“ Erwachsenenbildung handlungsorientiert engagiert haben, reagier(t) en mit offener Abwehr und Skepsis gegenüber der „etablierten Erwachsenenbildung" Gemeinsamkeiten sind da nur schwer denkbar.
Natürlich beschäftigen sich die Volkshochschulen auch mit den neuen Problemen und Entwicklungen, der Ökologie beispielsweise oder den neuen Medien alles in allem jedoch muß festgestellt werden, daß die Zeiten für die politische Erwachsenenbildung offensichtlich schlecht sind, denn die ökonomische und arbeitsmarktpolitische Situation in der Bundesrepublik hat auch einen gravierenden Einfluß auf die Arbeit der Weiterbildungsinstitutionen mit sich gebracht „Volkshochschulen im Wandel — Trend hin zum arbeitsintensiven, abschlußbezogenen Lernen", bilanzierte die „Frankfurter Rundschau" die momentane Bildungsprogrammatik der Volkshochschulen In der Tat hat eine enorme Nachfrage nach bestimmten Kursen der Volkshochschulen eingesetzt; in erster Linie bezieht sie sich auf den stark ausgeweiteten Bereich der berufsqualifizierenden Kurse. Die Angst um den eigenen Arbeitsplatz oder die Hoffnung, mit Hilfe eines Zertifikats wieder den Einstieg in die Berufswelt zu schaffen, haben den Volkshochschulen z. B. ständig ausgebuchte EDV-Kurse beschert. Mit Genugtuung konnte daher der „Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft" die Schlagzeile bringen „Mehr Wissen gefragt" und feststellen, daß der „Motor für die beruflichen Weiterbildungsanstrengungen ... vor allem die neuen Techniken (sind)" Diese Entwicklung hat den Volkshochschulen wieder einmal eine „realistische Wende“ gebracht, die sie, genauso selbstverständlich an den ökonomischen Bedürfnissen orientiert, akzeptieren und forcieren wie die Wende in den sechziger Jahren.
Dabei gibt es eine Fülle bekennerischer Beispiele, die keinen Zweifel daran lassen, wie innerhalb der Volkshochschulen die neuen Technologien eingeschätzt und welche pädagogischen Konsequenzen von ihnen dabei gezogen werden. So beschäftigte sich im Mai 1985 beispielsweise der . Arbeitskreis hauptberuflich geleiteter regional arbeitender Volkshochschulen“ innerhalb des DW mit den elektronischen Medien und ihren Wirkungen auf das Lernverhalten und die Bildungserwartungen Erwachsener. Ein Kern-satz aus dem Bericht einer Arbeitsgruppe lautete: „Umgang mit Computertechnik entspricht einem natürlichen Bedürfnis des Mensehen...“ Formulierungen wie diese sind fast wortgleich mit Äußerungen nach der damaligen „realistischen Wende“ identisch. Dies läßt auf eine verwandte Stimmung, Bewertung und bildungspolitische Grundhaltungschließen. Die Folgerungen, die dann für die Bildungsarbeit vorgeschlagen werden, fallen entsprechend aus
Wenn dabei nun auch die ersten Volkshochschulen pädagogische Mitarbeiter für EDV einstellen und das Serviceinstitut der Volkshochschulen, die Pädagogische Arbeitsstelle, entsprechende Kurs-und Lehrgangs-materialien herausgibt 3, wenn die „Volkshochschule im Westen" 1985 ein ganzes Heft ihrer Ausgabe den „neuen Technologien“ widmet ohne dabei ideologiekritisch zu fragen, politisch-ökonomisch zu analysieren, geschweige denn die Konsequenzen für eine politische emanzipatorische Bildungsarbeit zu diskutieren, dann wird die inhaltliche Reichweite des 8. Deutschen Volkshochschultages im November 1986 wohl ohne weiteres abzuschätzen sein. Dieser steht unter dem Motto „Technische Entwicklung und menschliche Gestaltung". Was er dabei bezwecken will, liest sich in der Vorankündigung so: „Der Volkshochschultag soll u. a.der Öffentlichkeit demonstrieren, was Volkshochschulen zu leisten “ Sicherlich vermögen. werden dort auch organisationspolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Denn die Volkshochschulen leiden — das ist unübersehbar — unter der mangelnden Anerkennung die durch Bundesregierung. So hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft im Mai 1985 „Thesen zur Weiterbildung“ vorgelegt und dabei die Volkshochschulen mit keinem Wort erwähnt Dagegen ist aber in aller Deutlichkeit herauszulesen, welche Aufgabe der Bundesminister der Weiterbildung beimißt:
„Weiterbildung kann dazu beitragen, zusätzliche Fachkompetenz zu erlangen, neue Verhaltensweisen zu erlernen, unterschiedliche Lebenssituationen besser zu bewältigen, irra123) tionale Ängste gegenüber neuen Entwicklungen abzubauen und das soziale Zusammenleben zu intensivieren."
Die Politische Bildung bleibt dagegen fast ungenannt, allenfalls in der Forderung nach „sich sachkundig" auseinandersetzenden bzw. „sachgerecht" mitwirkenden Bürgern ist von ihr die Rede.
Ein um Reputation bemühter Deutscher Volkshochschul-Verband wird kaum ein Interesse daran haben, dieser bildungspolitischen Grundsatzprogrammatik entgegenzusteuern. Er wird vielmehr wohl auch hier versuchen, die Höhe der Entwicklung zu erreichen. Genau an diesem permanenten Bemühen der VHS-Vertreter sind — dies zeigte die geschichtliche Entwicklung der politischen Erwachsenenbildung in der Bundesrepublik — die Konzeptionen und Überlegungen zur politischen Erwachsenenbildung zu orten und einzuordnen. In ihr spiegeln sich — mit kritischen Zwischentönen, wenn die politischen Verhältnisse dem entsprachen, ansonsten aber in Harmonie-, Pragmatismus-Technokratievorstellungen verhaftet — mit präziser Klarheit die jeweiligen gesellschaftlichen und ökonomischen Phasen und Verlaufsformen der Bundesrepublik wider. Gegen diese ist Erwachsenenbildung — auch die politische — allenfalls zu denken, nicht aber institutionell umzusetzen.
So gesehen, trifft der aus den Reihen des DW kommende und selbstkritisch einräumende Vorbehalt den Nagel auf den Kopf, nämlich, „ob die Volkshochschule die geeignete Institution ist, die hochexplosive Themenstellung wirklich kritisch aufzunehmen. Sie war ursprünglich eine Einrichtung gegen das Establishment und ist möglicherweise jetzt schon Teil von ihr." Dieser vom DW selbst formulierte Zweifel zeigt treffend die Dimension und Reichweite, aber auch die Grenzen politischer Erwachsenenbildungsarbeit