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Soziale Konflikte und Parteiensystem in der Bundesrepublik | APuZ 49/1985 | bpb.de

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APuZ 49/1985 Der Wandel organisierter Interessen in der Bundesrepublik. Erosion oder Transformation? Soziale Konflikte und Parteiensystem in der Bundesrepublik

Soziale Konflikte und Parteiensystem in der Bundesrepublik

Joachim Raschke

/ 46 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Wie verarbeiten die Parteien in der Bundesrepublik den stattfindenden Gesellschaftswandel und die alten bzw. neuen soziopolitischen Konfliktlinien? Diese Wechselbeziehung von Gesellschaft und Politik wird in vier Schritten verfolgt: einer knappen Skizze des aktuellen Gesellschaftswandels; einer Analyse der sozial verankerten und politisch wirksamen Konfliktlinien; einer Darstellung des Parteiensystems als politischer Ausdruck alter und neuer sozialer Konfliktlinien; eines Versuchs schließlich über den neuen Partei-typ der „postindustriellen Rahmenpartei", die der weiterhin dominierenden Volkspartei gegenübertritt Der Gesellschaftswandel wird auf dem Hintergrund eines Übergangs von der industriellen zu einer nachindustriellen Gesellschaft diskutiert Konflikte entstehen dabei u. a. aus der Ungleichzeitigkeit fortwirkender bzw. sich verschärfender Probleme der industriellen Entwicklung und dem Entstehen sozialer Großgruppen mit verändertem Wert-und Interessenprofil, wie sie für die postindustrielle Phase charakteristisch sind. Bei der Untersuchung der soziopolitischen Konfliktlinien wird auf die traditionellen, nach wie vor wirksamen Konflikte eingegangen. Im Mittelpunkt steht aber die Frage, ob eine neue soziopolitische Konfliktlinie entstanden und ob sie stabilisierungsfähig ist Lassen sich die neuen Bewegungen, DIE GRÜNEN und ein Teil der Konflikte in der SPD zurückführen auf eine neue, gesellschaftlich verankerte Spaltungslinie oder sind sie nur Ausdruck kurzfristiger und labiler Wertverschiebungen? Obwohl es hierzu heute noch keine definitiven Antworten geben kann, werden Gründe zusammengetragen, die für die Möglichkeit einer neuen dauerhaften Konfliktlinie sprechen. Die neuen Herausforderungen verschärfen und erneuern zum Teil Probleme des Parteien-systems, die es schon zuvor hatte. Die Übersetzung von Konfliktlinien in das Parteiensystem verstärkt Immobilismus und Undeutlichkeit Das alte Problem der strukturellen Asymmetrie zwischen Linken und Rechten taucht unter neuen Bedingungen wieder auf und führt zu einer Demokratie ohne Machtwechsel. Das Ideal des Zweiparteiensystems verblaßt angesichts der Gründe, die heute für ein begrenzt differenziertes Mehrparteiensystem sprechen. Krise und Kritik der Volksparteien verstärken das Gewicht der Anti-Volksparteien (FDP, DIE GRÜNEN). Mit den GRÜNEN erscheint ein neuer Parteityp, der postindustriellen Entwicklungstendenzen Ausdruck verschafft.

Auch das Parteiensystem als Ganzes besitzt kein Monopol auf die politische Willensbildung des Volkes. Das Volk hat in den vergangenen zehn Jahren in Bürgerinitiativen und sozialen Bewegungen gezeigt, was es aus eigener Kraft vermag. Parteien sind dadurch nicht überflüssig geworden, aber ihre Grenzen treten deutlicher hervor als je, seit die Frage gestellt wurde: „Parteien — oder was sonst?" und die Allmachtsphantasien der Parteien durch die Parteienstaatslehre von Gerhard Leibholz Nahrung bekamen

Die verwaiste Zwischenebene zwischen Gesellschaft und Parteien hat sich wieder gefüllt. Welche Gründe auch sonst noch dafür heranzuziehen sein werden: Defizite, die die Parteien selbst zu verantworten haben, sind nicht zu übersehen. Dabei geht es um immanente Strukturschwächen des Parteiensystems, die sich unter dem Druck neuer Pro'bleme und Verhaltenserwartungen verschärft haben.

Obwohl es heute schwer ist, über Parteien im allgemeinen zu reden, ohne auf ihre Finanzierungsskandale zu sprechen zu kommen, hat das Ausklammern dieser Frage auch einen Vorteil. Vordergründiges Moralisieren kann dann nicht den Blick verbauen auf Entwicklungsfehler, für die hemmungslose Finanzierungspraktiken nur ein Symptom neben anderen ist. Diese Finanzierungsgewohnheiten sind Ausdruck eines Absolutismus in parteienstaatlicher Form, der die Herrschenden außerhalb des Rechts stellt und auf — der Öffentlichkeit — verborgenen Kanälen ressourcenstarken Gruppen (hier: den Finanzkräftigen) einen privilegierten Zugang und Einfluß auf die Machthaber verschafft.

Worin besteht der Gesellschaftswandel, auf dessen Herausforderungen das Parteiensystem reagieren muß, soll es seiner Vermittlungsfunktion gerecht werden?

Welche sozialen Verankerungen haben die traditionellen, vor allem aber die neuen Konfliktlinien, und was bedeutet das für ihre Dauerhaftigkeit?

Zu welchen Umstrukturierungen im Parteien-system führt der soziale Wandel? Wieweit zeigen sich dabei Schwächen und Grenzen des in der Bundesrepublik dominierenden Typs der Volkspartei und entwickelt sich mit den GRÜNEN ein alternativer Parteityp jenseits der Volkspartei?

I. Gesellschaftswandel

Der soziale Wandel, auf den die Parteien reagieren müssen, kann in diesem Rahmen nur in wenigen Stichworten angedeutet werden. Zu betonen ist die Gleichzeitigkeit des Auftretens objektiver gesellschaftlicher Probleme, die viele betreffen, aber — verglichen damit — relativ wenige mobilisieren, mit neu auf die politische Bühne drängenden Groß-gruppen, die die Probleme ideologisch verknüpfen, aufgrund ihrer Bedürfnislagen interpretieren und als Trägergruppen politischer Aktion in das politische System einführen. Probleme, die sonst als Teilaspekte eines sozioökonomischen Modernisierungsprozesses angesehen würden, erhalten so eine grundsätzlich sytem-und entwicklungskritische Dimension. ökologische Ziele z. B. sind nicht der Vielzahl anderer politischer Ziele additiv hinzuzufügen (im Sinne der Harmonisierungsformeln von Ökonomie und Ökologie und eines industrialisierten Umweltschutzes), sondern werden als eine der Grundlagen notwendiger gesellschaftlicher Neuorientierung verstanden.

Analytisch wäre der Gesellschaftswandel auszudifferenzieren in:

a) einen Problem -bzw. Aufgabenwandel, der sich aus den negativen Folgeerscheinungen des industriellen Wachstums auch schon bei immanenter Bewertung ergibt. Wenn das Wasser so verschmutzt ist, daß es für industrielle Zwecke nur noch begrenzt verwendungsfähig ist oder die Kosten für die „Reparatur der Arbeitskraft“ wesentliche Teile des erarbeiteten Einkommens auffressen, ist ein Grad an Kontraproduktivität erreicht, der schon auf zweckrationaler Ebene kritikwürdig wird;

b) einen sozialstrukturellen und Wertwandel, der neue Trägergruppen mit spezifischen Interessen und verändertem Wertprofil hervorbringt Probleme 4-------> Trägergruppen Gesellschaftswandel Auf unverändert kapitalistischer Grundlage findet dabei ein Systemwandel statt in Richtung von einer industriellen zu einer nachindustriellen Gesellschaft Die nachindustrielle Gesellschaft umfaßt nach wie vor einen umfangreichen industriellen Sektor, ist aber vor allem auf der Ebene der Arbeitskraft gekennzeichnet durch einen stark expandierenden Dienstleistungssektor. Mehr noch als an der offiziellen Sektorenstatistik ablesbar, wird Arbeit faktisch in ausgedehntem Maße Dienstleistungsarbeit mit zwar keineswegs durchgängig, aber vielfach charakteristisch größeren Autonomiespielräumen und höheren Qualifikationsanforderungen, als es bei der industriell geprägten Arbeit der Fall war. Der Übergang zur „industriellen Dienstleistungsgesellschaft", als welche die postindustrielle Gesellschaft charakterisiert werden kann, hat nun die Eigentümlichkeit, auf der einen Seite die Prägung der Menschen durch die Prozesse industrieller Fertigung zu senken. Auf der anderen Seite steigert er die faktische und ideelle Betroffenheit durch die externen Wirkungen von Industrien, die für die industrielle Entwicklungsphase charakteristisch sind (chemische Industrie, Automobil-, Atomindustrie etc.). Die Ungleichzeitigkeit der Emanzipation von der industriellen Produktion und die (gesteigerte) Betroffenheit durch diese bilden den Hintergrund für die neu entstandene soziopolitische Konfliktlinie.

Auf der Problemebene ist für die Politisierung der aufgeworfenen Fragen deren enge Verzahnung kennzeichnend. Wie Wissenschaft und Technik, die sozialen Träger des industriellen Wachstums (Arbeit und Kapital) und der bürokratisch-zentralistische Staat sich wechselseitig bedingen und symbiotisch zusammenwachsen, so auch die Technik-, Wachstums-und Bürokratiekritik. Diese Kritik entwickelt Maßstäbe der Umwelt-und Sozialverträglichkeit, durch welche die bisherige Bewertungsgrundlage, der materielle Fortschritt, umgestoßen wird. Durch die Verzahnung der Probleme wird einerseits die isolierte Lösung von Problemen erschwert oder unmöglich gemacht (immer wieder erfahrbar im Bereich der Umweltpolitik). Zum anderen wird dadurch die Suche nach einem gemeinsamen Nenner der Kritik, man könnte auch sagen: deren Ideologisierungspotential gefördert. Die Abwehr einer „Kolonialisierung der Lebenswelt" oder die Ausdehnung von Maßstäben der Lebensweise sind Beispiele für eine Verallgemeinerungstendenz, die — unabhängig von den intellektuellen Neigungen der sozialen Träger des Protests — schon in der Struktur der Probleme angelegt ist.

Wenn bereits an dieser Stelle die Intelligenz als soziale Gruppe, als wesentliches sozial-strukturelles Element der neuen Konfliktlinien eingeführt wird, so ermöglicht das, deren eigenen, subjektiven Beitrag zur öffentlich-politischen Definition der objektiven Systemprobleme in den Blick zu nehmen. Sie ist dabei weder als abhängige Variable des Konflikts zwischen herrschender und beherrschter Klasse noch als sozial freischwebend mit der Fähigkeit zur Synthese der Zeitströmungen zu verstehen Die Intelligenz ist immer, spätestens aber seit Erreichen eines Großgruppenstatus, eine Sozialgruppe mit eigenen Bedürfnissen und Interessen.

In unserem Zusammenhang soll das für sie charakteristische Bedürfnis betont werden, eine zeit-und gesellschaftsbezogene, intellektuell anspruchsvollere, soziokulturelle Identität zu gewinnen. In der Zeit des Kampfes um soziale und politische Herrschaft konnte die Identitätssuche sich am dominanten Klassenkonflikt festmachen: Die Intelligenz war zwischen den antagonistischen Großgruppen polarisiert und — rechts oder links — mit ihnen identifiziert. Unter den Bedingungen eines gezähmten Klassenkonflikts wird die Identitätssuche heute mit kritischen Systemproblemen verknüpft. Die Intelligenz wäre nicht Intelligenz, würde sie nicht das darin liegende Verallgemeinerungs-und Radikalisierungspotential ausschöpfen.

Zwei Realgrößen erzeugen also die Fragen, mit denen sich die Parteien in der Bundesrepublik auseinandersetzen müssen:

— die objektive gesellschaftliche Entwicklung im Übergang zum Postindustrialismus sowie — die durch diese hervorgebrachte neue soziale Gruppe der „Massenintelligenz".

Man kann beide Realitäten leugnen und die derzeitigen Probleme als notwendige Begleiterscheinungen industriellen Wachstums (und mit dessen Mitteln zu lösen), die Interpretationen der Intelligenz als Hirngespinste betrachten. Die Wirksamkeit der Grundsatzkritik beruht aber genau darauf, daß die Probleme ihre objektive Grundlage haben und erfahrbar sind

Für das Parteiensystem ergeben sich damit Herausforderungen auf mehreren Ebenen:

— Die Probleme sind nur noch eingeschränkt als immanente, d. h. als technisch beherrschbare Probleme zu behandeln, sobald die verallgemeinernde und radikalisierende Sichtweise der neuen Opposition alternative Interpretationen in Umlauf gesetzt hat.

— Die neuen Gruppen mit ihren veränderten Wertpräferenzen und eigenständigen Handlungskompetenzen sind von den Parteien nur mit hohen Kosten (Verlust traditioneller Gruppen) als Wähler oder Parteimitglieder integrierbar.

— Die neuen Politikformen. (Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen, soziale Bewegungen) sind nicht nur Ausdruck von Repräsentationsdefiziten des etablierten Parteiensystems, sondern entsprechen auch genuinen Bedürfnissen der Massenintelligenz; sie sind durch Integrationsstrategien schwer oder gar nicht zu absorbieren.

Bevor die Reaktionsmöglichkeiten des Parteiensystems diskutiert werden, gilt es zunächst die neue Konfliktlinie genauer zu umreißen.

II. Soziopolitische Konfliktlinien

„Cleavage", das im Deutschen mit „soziopolitischer Konfliktlinie" übersetzt werden kann, bezeichnet eine dauerhafte politische Konfliktlinie, die in sozialen Strukturen verankert ist Das theoretische Konzept wurde im Rahmen einer Parteien-und Wähleranalyse entwickelt, die auf der Suche nach relativ stabilen gesellschaftlichen Grundlagen (und Erklärungsfaktoren) des Parteiensystems war -

Seymour M. Lipset und'Stein Rokkan unterschieden in ihrer Analyse vier Konfliktlinien. Zwei haben sozioökonomische Grundlagen: der Gegensatz von Land und Stadt (bzw. landwirtschaftlichen und industriell-kaufmännischen Interessen) und die Spaltung zwischen Arbeit und Kapital. Die beiden anderen Konfliktlinien sind soziokulturell bestimmt: der Gegensatz von Kirche und Staat (bzw. katholischer und protestantischer Konfession) und der Konflikt zwischen Zentrum und Peripherie, der auf ethnischen, sprachlichen und anderen kulturellen Unterschieden beruht Diese Konfliktlinien reichen zeitlich zum Teil weit hinter die Entstehung der europäischen Parteiensysteme zurück, waren aber in solchem Maße gesellschaftlich verankert, daß von ihnen parteibildende Kraft ausging. Weichenstellende Ereignisse führten zu politischen Verdichtungen mit ihrer fortwirkenden Prägekraft Dazu gehört das Zeitalter der Reformation, „in dem sich die neuen staatlich-politischen Zentren mit den Instrumenten der nationalen Kirche und der nationalen Sprache gegenüber den Peripherien durchzusetzen anschickten, dann die Französische Revolution, die im Kampf zwischen Staat und Kirche um die Schulaufsicht die . nationale'Revolution fortsetzte, sowie schließlich die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts mit ihrer Verschärfung des traditionellen Stadt-Land-Gegensatzes einerseits und der neuen Unterscheidung von Unternehmern (Besitz) und Arbeitern andererseits." Beeindruckt von den weit zurückreichenden historischen Grundlagen des Parteiensystems und vom langandauernden Fortbestehen der ursprünglichen Parteiformationen formulierten Seymour M. Lipset und Stein Rokkan die These, die westeuropäischen Parteiensysteme seien in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts „eingefroren", d. h, sie seien — was immer sich verändert habe — nicht aufgrund neuer grundlegender Konfliktlinien umgestaltet worden.

Aber schon kurz nach Veröffentlichung der Studie, vor dem Hintergrund der Studenten-bewegungen und eines sozialstrukturellen Wandels, steuerte Erik Allardt die These bei, es entwickle sich eine neue Konfliktlinie, die ihre strukturelle Grundlage in der „Bildungsrevolution" habe Die Fortsetzung des Studentenprotests in den Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre unterstützte die Annahme, hier sei eine neue, dauerhafte Konfliktlinie entstanden, die zum Teil ja auch — vor allem in der Bundesrepublik — zur Umstrukturierung der Parteiensysteme geführt habe

Wichtig am Konzept der soziopolitischen Konfliktlinien ist, daß es über kurzfristigere Themen, Strömungen und Aktionen hinweg eine dauerhaftere Verortung politischer Spal-tungen ermöglicht. Damit ist der makrostrukturellen, langfristigen Gesellschafts-und Politikanalyse ein wichtiges Hilfsmittel an die Hand gegeben.

Nicht zwingend dagegen sind zwei Einschränkungen, die häufig mit dem Ansatz verbunden werden:

a) Zum einen wird behauptet, der Konflikt müsse sich auf sozialstrukturell abgrenzbare „latente Interessengruppen" stützen: „Neue ideologische Spannungslinien wie der Gegensatz zwischen den traditionellen Parteien und ökologischen Bewegungen lassen sich nicht mehr auf Interessengegensätze zwischen bestimmten sozialen Gruppierungen zurückführen. Wenn Studenten und jüngere Akademiker stärker als ältere Wähler mit Bewegungen wie den GRÜNEN sympathisieren, vertreten sie nicht wie in der traditionellen Interessengruppenpolitik partikulare Interessen ihrer eigenen Gruppe, sondern setzen sich für öffentliche Güter ein wie eine saubere Umwelt, von deren Genuß später niemand ausgeschlossen werden kann. Insofern ist hier auch die Vorstellung von der allmählichen politischen Mobilisierung einer latenten Interessengruppe nicht angebracht Träger dieser neuen Bewegungen sind deshalb oft Wertgemeinschaften und nicht über ihre Interessenlage abgrenzbare sozialstrukturelle Gruppierungen."

Dagegen kann zweierlei eingewendet werden. Zum einen wird dabei die sozialstrukturell eingegrenzte und vor allem in der primären Trägergruppe deutlich umrissene Basis der neuen Konfliktlinie vernachlässigt, die auch interessenmäßiger Interpretation offen-steht (s. u.). Zum anderen ist die sozialstrukturell definierbare Gruppe nur eine Ausprägung der in diesem Zusammenhang wichtigen Bedingung, die heißt: Konfliktlinie mit dauerhafter gesellschaftlicher Grundlage. Wertgemeinschaften, zumal wenn sie sich über ein Milieu verfestigen, haben auch bei einer größeren Streubreite objektiv-struktureller Merkmale eine Stabilisierungschance. Auch bei der konfessionellen Konfliktlinie kommt es ja weniger auf das objektive Merkmal des Taufscheins bzw. das formelle Merkmal der Kirchenmitgliedschaft als auf die Aktualisierung von Wert-bzw. Glaubensüberzeugungen an (z. B. die Häufigkeit des Kirchgangs).

b) Die zweite Einschränkung besteht darin, daß die Politikform, in der sich die Konfliktlinie ausdrücken muß, auf die Partei begrenzt wird. Die Studie von Seymour M. Lipset und Stein Rokkan fragte nach „Parteiensystemen und Wählerbindungen“. Partei-und Wahlform waren historisch seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts naheliegende Ausdrucksformen polarisierter sozialer Konfliktlinien. Als Politikform sind sie indessen nicht zwingend bzw. allein möglich. Soziale Bewegungen und Initiativgruppen der verschiedensten Art können alternative politische Ausdrucksformen grundlegender gesellschaftlicher Konflikte sein. Allerdings sind nicht alle Konfliktlinien durch soziale Bewegungen politisiert worden, nicht jede Partei wiederum, die auf eine solche Konflikt-oder Spaltungslinie zurückgeht, hatte den Unterbau einer sozialen Bewegung.

Kann sich eine Konfliktlinie so einerseits auch außerhalb von Parteien in sozialen Bewegungen manifestieren so wird sie andererseits in den hochmobilisierten und formierten Parteiensystemen, mit denen wir es heute zu tun haben, nicht notwendig durch eine starke neue Partei ausgedrückt. Kleine — vielfach auch bestehende — Parteien können sich ganz der neuen Konfliktlinie öffnen. In größere, ideologisch nahestehende Parteien kann der Konflikt als eine innerparteiliche Spaltungslinie einziehen und so Einfluß auf die Konfliktformationen des gesamten Parteiensystems erhalten.

Für die Bundesrepublik heißt das, daß die Wähler der GRÜNEN allein nicht Indikator für die Stärke der neuen Konfliktlinie sind, sondern deren Wirksamkeit in den sozialen Bewegungen und vor allem in der SPD mitberücksichtigt werden muß

Im folgenden soll zunächst nach der Ausprägung der neuen soziopolitischen Konfliktlinie, dann nach Inhalt und Bedeutung der traditionellen Spaltungen gefragt werden. 1. Die postindustrielle Konfliktlinie Für die neue Konfliktlinie ist zunächst einmal eine geringere Eindeutigkeit als bei den traditionellen kennzeichnend. Der Inhalt des Kon-flikts kann sehr unterschiedlich definiert werden; er ist jedenfalls nicht wie die früheren Spaltungen durch ein zentrales, eindeutiges Problem bestimmt, sondern durch eine Problemkomplexität, die selbst wiederum der Interpretation bedarf. Auch die soziale Träger-gruppe zeigt weniger prägnante Merkmale als die Trägergruppen in den früheren Spaltungslinien. Das gilt für beide Seiten des Konflikts, also auch für den Konfliktgegner, der heute sehr verschiedenartige Teilgruppen umfaßt (Unternehmer, Arbeiter etc.).

Schließlich fehlt es bei dem Erfordernis der Stabilisierungschance an Kriterien mit vergleichbarer Eindeutigkeit wie bei den traditionellen Konflikten. Objektive sozialstrukturelle Merkmale sind bei der neuen Konfliktlinie keine hinreichende Basis für deren Stabilisierung. Da sie aber auch bei den alten Spaltungslinien die Grundlage für Milieubildung waren, die das wichtige subkulturelle Unter-futter darstellte und damit wesentlich zu ihrer Dauerhaftigkeit beitrug, ist zu fragen, wieweit die aktiven Träger der neuen Spaltungslinie zu solcher Milieubildung fähig sind.

So ergibt sich im Unterschied zu der übersichtlichen (wenn auch nicht heilen) Welt der alten Spaltungslinien eine Struktur, die durch das Stichwort der „Neuen Unübersichtlichkeit" (Jürgen Habermas) gut zu charakterisieren ist Auch die Argumentationsstruktur wird dadurch komplizierter, so daß für die um Differenzierung bemühten Darlegungen im folgenden Abschnitt wohl etwas Geduld notwendig ist

Geht man davon aus, daß nicht nur der Inhalt, sondern auch die interne Struktur der Spaltungslinie sich verändert hat, dann drückt die in diesem Beitrag entwickelte Argumentationslinie zugleich die Unwägbarkeiten aus, die in der Sache selbst liegen. Die hier vertretene, für manche sicherlich zu starke Behauptung eines neuen cleavage stützt sich auf im Kernbereich identifizierbare Trägergruppen, auf eine unverkennbare alternative Orientierung, die allerdings noch nicht auf den Punkt gebracht wurde und vielleicht auch gar nicht zu bringen ist, sowie auf Umrisse eines neuen Milieus, dem nicht nur deshalb die Stabilisierungschance abzusprechen ist, weil es anders als alle bisherigen Milieus strukturiert ist. a) Inhaltliche Dimension Es kann hier nicht ein neuer Versuch unternommen werden, die sehr verschiedenartigen Elemente der postindustriellen Konfliktlinie auf einen Nenner zu bringen (Technik-und Wachstumskritik, Ökologie, Partizipation, Frauenemanzipation, Rüstung, Dritte Welt etc.). Postmaterialismus Abwehr einer Kolonialisierung der Lebenswelt oder das Paradigma der Lebensweise sind Beispiele für solche Integrationsversuche, über deren Nutzen sich streiten läßt.

Festgestellt werden kann allerdings, daß eine veränderte Werthierarchie, in der ökologische und bestimmte soziokulturelle Werte nach oben gerückt sind, die alternative Orientierung ebenso charakterisiert wie der Versuch einer grundlegenden Veränderung der Lebensweise. Diese soll sich aus dem Selbst-lauf der Teilsysteme herauslösen, von individuell bestimmten menschlichen Bedürfnissen her eine nicht geliehene Identität aufbauen und von der Lebenswelt ausgehend das Gesamtsystem neu strukturieren. Allerdings fehlt dem oppositionellen Pol dieser Spaltungslinie der archimedische Punkt, von dem aus sich die kapitalistische Industriegesellschaft mit ihren normativen und institutionellen Begleiterscheinungen aushebeln ließe.

Kennzeichnend für die alternative Position sind die thematische Heterogenität, die strategische Unsicherheit und der Wunsch nach ganzheitlich-utopischer Politik-und Lebensgestaltung. — Die ganzheitlich-utopische Orientierung will die weit fortgeschrittene gesellschaftliche Differenzierung — mindestens teilweise — rückgängig machen („Entdifferenzierung"), die verselbständigten Lebenssphären neu miteinander verkoppeln und auch die Politik aus der Borniertheit des Ressortprinzips herausführen. — Die strategische Unsicherheit, die ihren Ausdruck z. B. in den Gruppenkämpfen der GRÜNEN findet, ist Ergebnis der Nichteindeutigkeit zentraler Ansatzpunkte, der Reichweite zu verfolgender Ziele und der dafür anzuwendenden Mittel.

— Thematische Heterogenität ist Ausfluß eines eher erfahrungs-als theoriegeleiteten Politikansatzes, dem sich heute praktisch kein Teilbereich mehr als unproblematisch verschließt, und der Unmöglichkeit, eine begründete Rangordnung zwischen den vielfältigen Themen herzustellen.

Es gibt keine Kriterien, mit denen sich über eine Priorisierung von Themen und den erreichbaren Grad an Entdifferenzierung entscheiden ließe und damit auch keine Grund-lägefür eine Strategie, die die Grade und Formen der Radikalität festzulegen hätte. Diese Unsicherheiten schwächen den Versuch eines konsistenten Gegenprogramms, nicht aber die Kritik. Diese Kritik ist das einigende Band; eine im doppelten Sinne negative Integration entsteht. Beim „positiven“ Gegenentwurf blühen hundert Blumen, aus denen kein Strauß zu binden ist — eine schillernde Konfliktlinie also, ohne inhaltlichen Namen: post-industrielles cleavage. b) Strukturelle Basis Jedes cleavage hat einen aktiven, die Konfliktlinie konstituierenden Pol. Dessen soziale Trägergruppe ist häufig klarer umrissen als die des reaktiven Pols, der notwendiger Bestandteil des Konfliktverhältnisses ist. Im Falle der beiden in der Bundesrepublik wirksamen traditionellen Konfliktlinien bildeten sich die diese konstituierenden Trägergruppen einerseits aus den Arbeitern (beim Klassencleavage), andererseits aus den Katholiken (beim Konfessionscleavage). Die Wahlforscher haben diese Gruppen weiter eingegrenzt und die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter sowie die Katholiken mit größerer Kirchgangshäufigkeit als Kernbereiche bestimmt Welches sind nun die konstituierenden Trägergruppen der neuen Konfliktlinie? Anders als bei den beiden traditionellen Konfliktlinien reicht hier die Wähleranalyse noch nicht und nicht allein aus, da der wählersoziologische Ansatz einerseits ein politisch entfaltetes cleavage, andererseits die Verwendung sozialstrukturell aufschließender Kategorien voraussetzt. An beidem mangelt es bisher.

Neben der Wählerschaft der GRÜNEN sind vor allem die sozialen Trägergruppen der neuen Bewegungen von Interesse, die den Konstituierungsprozeß der postindustriellen Konfliktlinie wesentlich tragen Zwei Merkmale treten bei deren Kerngruppen besonders hervor: höherer Bildungsgrad (Studium und/oder Abitur) und — soweit (schön) gegeben — berufliche Tätigkeit im Dienstleistungsbereich. Dabei sind geistes-und sozialwissenschaftliche Disziplinen und Human-dienstleistungsbereich von besonderer Bedeutung. Daneben sind Momente der Marginalisierung relevant, die ihren Ausdruck vor allem in Arbeitslosigkeit und (neuer) Armut finden. Von wachsender Bedeutung scheint vor allem die Überschneidung von Marginalisierung (Arbeitslosigkeit, Gelegenheitsarbeit etc.) mit höherem Bildungsgrad zu sein. Da die Expansion der Intelligenz (in Verbindung mit umfassenden gesellschaftlichen Verwissenschaftlichungstendenzen) und des Dienstleistungsbereichs zentrale Merkmale im Rahmen der Postindustrialismustheorien darstellen und Marginalisierung in kritischen Versionen dieses Ansatzes gleichfalls als immanente Entwicklungstendenz des kapitalistischen Postindustrialismus erklärt werden, läßt sich von einem postindustriellen cleavagesprechen, mit sozialen Trägergruppen, die für diesen Gesellschaftstyp charakteristisch sind.

Die führende Rolle bei der Entfaltung der neuen Konfliktlinie spielt die Intelligenz. Dies bereitete sich vor mit der Studentenbewegung der sechziger Jahre, die zwar von wichtigen ihrer Strömungen als Revitalisierung marxistischer Praxis verstanden wurde, deren soziokultureller Protestgehalt aber für ihre gesamtgesellschaftliche Wirkung und für ihr thematisch verändertes bzw. erweitertes Fortwirken in den neuen sozialen Bewegungen tatsächlich von größerer Bedeutung war. Historisch neu ist nicht, daß größere Teile der Intelligenz „links" stehen. Das war auch schon in der Nationalbewegung und in der liberalen bzw.demokratischen Bewegung zwischen den Befreiungskriegen und der 1848er Revolution der Fall. Historisch neu ist, daß Intelligenz nicht nur Randbewegungen bildet oder nur ein (kleiner) Teil bzw. die Elite einer Bewegung mit primär anderem sozialem Hintergrund ist, sondern daß die neuen Bewegungen und die aus ihnen hervorgegangene Partei DIE GRÜNEN Ausdrucksform der nunmehr zu einer Großgruppe avancierten Intelligenz, eben der Massenintelligenz sind.

Zwar ist die Intelligenz bei weitem nicht groß genug, um auf Bündnisse verzichten zu können, sie muß sich aber erstmals zwischen einer Anlehnung an die herrschenden oder oppositionellen Großgruppen entscheiden, sondern hat in der postindustriellen Gesellschaft eine Basis zur Verfügung, von der aus sie ihre eigene Politik machen kann.

Welche Interessen hat nun die Intelligenz als soziale Gruppe im politischen Prozeß? Sicherlich verfolgt sie auch gruppenspezifische, partikulare Interessen beispielsweise berufspolitischer Art (Lehrer-bzw. Akademikerarbeitslosigkeit etc.) und sicher hat sie auch machtpolitische Ambitionen als Gruppe im Konflikt mit anderen Großgruppen. Die Intelligenz als soziale Gruppe ist nie so „freischwebend"

(Karl Mannheim), daß es nicht notwendig wäre, solchen Interessenlagen nachzugehen.

Charakteristisch ist hingegen, daß einige (viele?) ihrer Interessen zugleich universalistischer Art, einige (viele?) ihrer Forderungen also ohne partikularen Interessenbezug sind.

Ein Beispiel für die Verknüpfung partikularer und universalistischer Interessen ist die von der Intelligenz betonte Forderung nach Freiheit geistiger Arbeit, deren rechtliche und faktische Sicherung nicht nur ein Intelligenz-, sondern ein Menschenrecht darstellt. Ein anderes Beispiel ist die Gewinnung soziokultureller Identität, die ein Bedürfnis aller Menschen darstellt, für die Großgruppe Intelligenz aber auch deshalb besonders wichtig ist, weil sie — auf Zeit oder unbegrenzt — in relativen Freiräumen und mit der Aufgabe lebt, in Auseinandersetzungen mit den normativen Grundlagen der Gesellschaft ihre eigene Position zu gewinnen. Identitätsbildung über Kritik und kritische Aneignung ist besonders ausgeprägt bei der geistes-und sozialwissenschaftlichen Intelligenz und entsprechenden Dienstleistenden (Lehrer, Sozialarbeiter, Pfarrer etc.).

Die in Vergangenheit wie Gegenwart stattfindende Überprüfung von Tradition und die Suche nach soziokultureller Identität ist in Beziehung zu setzen zu kritischen Systemproblemen. Waren dies in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland Probleme der Staats-bzw. Nationsbildung und der Liberalisierung bzw. Demokratisierung des Staates, so verfügte danach der auf die soziale Gleichheitsfrage zentrierte Klassenkonflikt über die größte gesellschaftliche Dynamik. Mit der Befriedung dieses Konflikts drängten sich eher gruppenunspezifische Systemwidersprüche für eine Kritik auf: die autoritären Tendenzen einer sich demokratisch verstehenden Gesellschaft (Partizipationsthema), die sozialen, psychischen und psychosomatischen Kosten einer konkurrenzbetonten, hierarchischen Leistungsgesellschaft (Themen für Alternativkultur und -bewegung), die ökologischen Kosten eines aggressiven industriellen Wachstums (Okologiethema), die Unfriedfertigkeit und latente Sicherheitsbedrohung einer atomaren Rüstungspolitik (Friedensthema). Immer führten bestimmte Folgewirkungen des Systems zu Ergebnissen, die „eigentlich" nicht gemeint waren.

Diese Probleme waren so allgemein, daß sie keine sozialstrukturell eingegrenzten Träger-gruppen hatten, die ihre Politisierung hätten verfolgen können. Damit war eine Situation gegeben, in der die expandierende Intelligenz zum Bearbeiter von allgemeinen Problemen werden konnte, deren Lösung allen zugute kommen würde (im Sinne eines „allgemeinen Gutes"). Die Konstellation war also insgesamt gekennzeichnet durch die objektive Verschärfung allgemeiner, kritischer Systemprobleme, durch das Fehlen einer von ihnen primär betroffenen spezifischen Trägergruppe, durch die infolge der Bildungsexpansion und Tendenzen der Wissensgesellschaft zugleich ausgeweitete wie aufgewertete, gleichzeitig aber zum Teil auch „deklassierte" Massenintelligenz, die erstmals über ein politisch relevantes Eigenpotential verfügt Wenn dies — in der hier notwendigen Kürze — als plausibler Erklärungszusammenhang erscheint, bleibt die Frage: Warum geht der Hauptstrom dieser Bewegung nach links und zeigt eine überwiegend universalistische Wertorientierung, die als Aktualisierung der klassischen Wertetrias von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in bezug auf neue Probleme beschreibbar ist?

Historisch-politisch wäre zur Beantwortung dieser Frage zu verweisen einerseits auf die Diskreditierung der (radikalen) Rechten, der Hauptorientierung der deutschen Intelligenz in den vergangenen hundert Jahren, durch den Nationalsozialismus, andererseits auf die Herkunft der Führungsgruppen des Studentenprotests der sechziger Jahre aus dem linken Bereich, speziell der SPD (so der 1960 abgespaltene SDS und die junge innerparteiliche Opposition seit Mitte der sechziger Jahre).

Sozialstrukturell wäre die ausgeprägt egalitäre Orientierung der Intelligenz allgemein auf die Position ökonomischer Abhängigkeit, spezifischer auf die gleichzeitig stattfindenden Auf-wie Abstiegsprozesse zurückzuführen. Soweit die Intelligenz im postindustriellen Entwicklungstrend reale Aufstiegschancen hat, kämpft sie wie jede aufsteigende Gruppe mit der Forderung nach Egalisierung um ihre angemessene Berücksichtigung im Gratifikations-und Machtsystem; soweit sie eine absteigende Gruppe ist, meint die egalitäre Forderung Sicherung auf einem niedrigeren Niveau.

Bei der sozialstrukturellen Fundierung der neuen Konfliktlinie wurde die soziale Groß-gruppe der Intelligenz nicht deshalb betont, weil sie in den Führungsgruppen der postindustriellen Bewegungen und der Partei DIE GRÜNEN stark vertreten ist (dies wäre auf Parteiebene heute nicht auffällig und gilt auch für die etablierten Parteien), sondern weil die alternative Gesellschaftsinterpretation in dieser Gruppe einen besonderen Rückhalt findet. Die soziale Basis der neuen Konfliktlinie ist aber breiter. Sie reicht sozial-strukturell in den nicht akademisierten Dienstleistungsbereich hinein, ist dagegen schwach ausgeprägt in den Bereichen landwirtschaftlicher und industrieller Produktion. Eine Gruppe tritt bei den verschiedenen Untersuchungen besonders hervor: die Jugend Nun ist dies eine quer zur Schichtungsstruktur liegende Kategorie von sozial-strukturell eher begrenzter Bedeutung. Für die soziopolitische Analyse wird sie jedoch interessant a) als eine für gesamtgesellschaftlichen Wandel vor allem dann besonders offene Gruppe, wenn sie — wie in der Bundesrepublik — unter der Bedingung erodierender traditioneller Gruppenbindungen aufwächst;

b) als eine „Gruppe auf Zeit", bei der die Orientierung an Gleichaltrigen besonders hoch und die Ausstrahlung der Intelligenz (ca. 20% eines Altersjahrgangs besuchen die Hochschulen) besonders stark, d. h. die Chancen zur Ausbreitung politischer Innovationen beträchtlich sind;

c) als eine Gruppe, für die die Suche nach Identität ein besonders markantes, altersspezifisches Merkmal darstellt — auch unter anderen Lebens-und Arbeitsbedingungen als denen der Intelligenz und zumal, wenn diese individuelle Identitätssuche in gesellschaftlichen Umbruchzeiten sich an übergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhängen orientieren kann.

. Jugend“ ist eine zu breite und heterogene Kategorie zur Erklärung der postindustriellen Konfliktlinie, aber einige jugendspezifische Merkmale scheinen diese neue Konfliktlinie zu prägen.

Abgesehen davon, daß eine — zumal, wie in der Bundesrepublik, die einzige — Alternativ-partei auch Objekt diffusen, d. h.sehr verschiedenartig motivierten, latenten Protests ist, mobilisieren solche Parteien auch disparitär Betroffene Gerade der allgemeine Charakter der heute kritischen Systemprobleme ermöglicht eine solche, in bezug auf die Schichtungsstruktur breit streuende Mobilisierung, die den Bauern, andere Selbständige oder Arbeiter zur Unterstützung der neuen Konfliktlinie führen können, ohne daß sie damit zu deren Kerngruppen gehörten.

Stark vereinfacht können die Kerngruppen, die durch die Stichworte „humanistische Intelligenz" (Alvin W. Gouldner), Humandienstleistungsbereich und Marginalisierung umrissen sind, dem Prozeß der Innovation (und politischen Definition der Konfliktlinie), die sozialstrukturell heterogenere Unterstützungsbasis hingegen dem Prozeß der Diffusion zugeordnet werden. Der Unterschied zur Entfaltung des alten industriellen Klassenkonflikts liegt darin, daß damals aus dem Handwerkertum hervorgegangene Industriearbeiter im Zusammenwirken mit einer von außen kommenden, quantitativ kleinen Intelligenz-gruppe bürgerlicher Herkunft ein cleavage konstituierten, für das über lange Zeit Industriearbeiter die „geborene“ Unterstützung darstellten, wohingegen heute eine stärkere sozialstrukturelle Differenz zwischen Kern-gruppe(n) und (potentieller) Massenbasis besteht. c) Stabilisierungschancen Die Gruppenbasis ist für die Konfliktlinie vor allem unter dem Gesichtspunkt der Stabilisierung bzw. Dauerhaftigkeit von Interesse. Dabei wird von einigen Wissenschaftlern die These vertreten, es gebe hinsichtlich der Stabilität eine Abstufung von den traditionellen, segmentierten Gemeinschaften (ethnisch, regional, konfessionell) über die sozioökonomischen zweck-und interessenorientierten Großgruppen (z. B. Arbeiter) zu den am wenig-sten stabilisierbaren, „reinen“ Wertgemeinschaften Wenngleich behauptet werden kann, die neue Konfliktlinie baue — vor allem in ihren Kerngruppen — auf einer relativ fest strukturierten Basis auf, so ist doch zuzugestehen, daß diese — verglichen mit der Arbeiterschaft — heterogener ist und aufgrund des geringen gesamtgesellschaftlichen Anteils der Intelligenz bei weiterer Ausdehnung noch heterogener würde. Die Frage nach zusätzlichen Stabilisierungsstützen bleibt also wichtig.

Hier nun gewinnt der Milieubegriff an Bedeutung. Die Kategorie des „Milieus" hat M. Rainer Lepsius im Sinne einer „sozialmoralischen Einheit" in die sozialwissenschaftliche Diskussion eingeführt Sie scheint geeignet, die gesellschaftliche Substruktur vor allem beim aktiven Pol der Konfliktlinie zu erfassen. Je ausgeprägter das Milieu, desto stabiler das cleavage.

Im Hinblick auf die in diesem Beitrag zu untersuchende Frage nach Strukturproblemen des Parteiensystems und ihren gesellschaftlichen Grundlagen ist die Frage interessant, welche Faktoren — über ein Interessen-und Wertbewußtsein hinaus — zu einem „ausgeprägten Milieu" führen. Die allgemeinste Antwort darauf hieße: eine Vielzahl möglichst stabiler kommunikativer Netzwerke. Was aber verbürgt deren Dauerhaftigkeit? a) Strukturelle Interaktion. Damit ist die durch bestehende Strukturen ermöglichte und nahegelegte häufige Interaktion gemeint, in der Wert-und Interessenorientierungen bekräftigt werden. Betriebe und die Konzentration in bestimmten Wohngegenden sind Beispiele dafür. Richtungs-bzw. gruppenspezifische Massenmedien leisten wichtige Beiträge zu diesem Integrationsmechanismus. b) Gesellschaftliche Organisation. Vereine und Verbände dienen der organisatorischen Stabilisierung kontinuierlicher Kommunikation und Integration.

c) Partei(en). Sie sind nicht nur Ausdruck des Milieus, sondern ihre Interpretations-und Orientierungsarbeit — soweit sie sich auf ein Wähler und Mitglieder sicherndes Milieu be-ziehen — trägt zur Stabilisierung des Milieus bei.

Eine spezifischere These besagt nun, ein Milieu sei nur bei hohem Organisationsgrad und hierarchischer Organisationsform längerfristig zu stabilisieren Betrachtet man historische Beispiele aus Deutschland, scheint diese These zutreffend. Auf der einen Seite stand das langfristig stabile Arbeitermilieu mit hoher Dichte struktureller Interaktion (Industriebetriebe, Arbeiterviertel, Parteipresse), der vergleichsweise hohe Organisationsgrad in politisierten, milieugebundenen Vereinen und vor allem den Gewerkschaften, schließlich die als Integrationspartei zu charakterisierende Arbeiterpartei Auf der anderen Seite fand sich das schwach ausgeprägte liberal-bürgerliche Milieu: im beruflichen Bereich konkurrenzorientierter Individualismus, viele Vereine und Verbände zwar durchaus bürgerlich, aber weniger in einem milieuspezifischen Sinne liberal, schließlich die locker organisierten Honoratiorenparteien. Der rasche Zerfall der liberalen Parteien in der Endphase der Weimarer Republik ist auch auf dem Hintergrund dieser Milieuschwäche zu erklären

Es scheint naheliegend, Individualisierung und Organisationsschwäche des heutigen „Bildungsbürgertums“ (in Gestalt der „Massenintelligenz") zum liberalen Milieu in Analogie zu setzen: Das Konfessionscleavage überdauerte durch die katholische Kirche, das Klassencleavage durch die Gewerkschaften, der Liberalismus lebt ohne organisierte Milieu-stütze von der Hand in den Mund. Was aber stabilisiert das postindustrielle cleavage?

Ohne Zweifel bestehen Milieuansätze: Es gibt räumliche Konzentration (vor allem spezifische Wohnviertel in Großstädten, Wohngemeinschaften); „betriebliche" Interaktion (z. B. alternative Ökonomie, Schulen, Hochschulen); Freizeit („Szenen", Popmusik etc.); Medien (Alternativpresse, TAZ); Selbsthilfegruppen, Bürgerinitiativen, Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) als Vereinigungen und Interessengruppen und es gibt die grün-alternative(n) Partei(en) All dies ist wichtig, doch läßt es sich nicht an Organisationsdichte und Hierarchisierung mit Kirche und Gewerkschaften vergleichen!

Gegen die Annahme von der prinzipiellen Labilität dieses Milieus ließe sich vorbringen, daß es zu den traditionellen Milieus alternative Stabilisierungsmöglichkeiten geben kann. Erstens könnte unter großstädtischen und postindustriellen Bedingungen (Freizeit, Massenmedien) eine hohe Dichte kommunikativer Wechselbeziehungen den Integrationsbeitrag formaler Organisation kompensieren. Zweitens besteht bei einem höheren Grad „kognitiver Mobilisierung" (Russell J. Dalton) und formaler Qualifikation die Wahrscheinlichkeit politischer Aktivierung auch bei einem zwischenzeitlichen Rückzug. Drittens leistet das zu erwartende Fortdauern der kritischen Systemprobleme einen externen Beitrag zur Stabilisierung eines wertmäßig integrierten, wenn auch formal locker strukturierten Milieus Uber die Tragfähigkeit solcher Alternativen läßt sich indessen nur spekulieren. d) Zusammenfassung Die skizzierte neuartige postindustrielle Konfliktlinie basiert in ihrem aktiven Pol auf Kerngruppen, die über eine stärker, und auf Unterstützungsgruppen, die über eine schwächer konturierte sozialstrukturelle Grundlage verfügen. Die Stabilisierungschance beider Gruppen ist ungeklärt Nach traditionellen Kriterien ist sie als gering einzuschätzen, bei Einbeziehung von Gesichtspunkten funktionaler Äquivalenz aber nicht von vornherein aussichtslos. Hinsichtlich des Ausdehnungspotentials dieser Gruppen läßt sich auf die Grenzen der Kerngruppen verweisen und auf das nicht strukturell begrenzte Potential, das sich aus einer weiteren negativen Entwicklung der Systemprobleme bzw. nicht zureichender Lösungsstrategien der etablierten Parteien ergeben würde. Für die Bedeutung eines cleavage in einem System gibt es keine Indikatoren. Sie läßt sich aber nicht allein an den Prozentzahlen der oppositionellen Partei ablesen, da Anhänger alternativer Politiksicht sich zum Teil außerhalb aller Parteien und zum Teil auch innerhalb etablierter Parteien finden. Die gesamtgesellschaftliche Wirksamkeit eines cleavage entscheidet sich vor allem durch dessen Polarisierungsstärke und die Bedeutung, die es dadurch für den politischen Prozeß gewinnt, d. h. die Fähigkeit des aktiven oder des reaktiven Pols, dem politischen Vermittlungssystem mindestens gelegentlich relevante Streitfragen aufzuzwingen. 2. Traditionelle Konfliktlinien Für das bundesrepublikanische Parteiensystem bildet die soziale Schichtungs-und Konfessionsstruktur nach wie vor in erheblichem Umfang die gesellschaftliche Basis. Säkularisierung und „Tertiarisierung" (d. h. Expansion des tertiären Sektors im Bildungs-und Beschäftigungssystem) haben zwar Auswirkungen auf diese Konfliktlinien, sie heben sie aber nicht auf.

Vor allem das Klassencleavage, das seine ursprünglichen Konfliktgegner in den Arbeitern und Unternehmern hatte, stellt nach wie vor die zentrale Grundlage des politischen Prozesses dar. Konfrontiert man die Kern-gruppen der wahlsoziologischen Analyse, so tendieren Arbeiter zur SPD, Selbständige zur CDU. Das Bild wird komplizierter, wenn man die neue Mittelschicht mit einbezieht Sie ist stärker als die beiden Kerngruppen politisch zwischen CDU und SPD gespalten und verändert im ganzen ihre Präferenzen (was aufgrund der inzwischen erreichten Gesamt-stärke politisch besonders einflußreich ist). Schon ihr politisches Verhalten als Groß-gruppe macht unwahrscheinlich, daß sie ein Eigeninteresse als Mittelschicht hat, z. B. als eine soziale Gruppe, die „weder Kapital besitzt noch produziert" Mehr Erklärungskraft für ihre (partei-) politische Ambivalenz haben drei Differenzierungen: a) Nach objektiven Schichtungsmerkmalen. So hat die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen über Jahre festgestellt, daß untere und mittlere Angestellte/Beamte stärker zui stärker zu CDU/CSU tendieren b) Nach Vorfeldorganisationen. Wie bei der einer SPD-Präferenz in der neuen Mittel-schicht, wenn Mitgliedschaft in Gewerkschaften gegeben ist c) Nach Wertorientierungen. An postmaterialistischen Werten orientierte Angestellte/Beamte wählen überwiegend „links" (DIE GRÜNEN und SPD)

In bezug auf das traditionelle Klassencleavage spaltet sich die Mittelschicht entlang Merkmalen sozialstruktureller Ungleichheit und Interessenverbandszugehörigkeit. Hinsichtlich des postindustriellen cleavage rekrutieren sich aus diesem Bereich (bzw. den oben erwähnten Eingrenzungen) die aktiven Trägergruppen.

An dieser Stelle ist lediglich festzuhalten, daß auf der politischen Ebene, und zwar orientierte abhängige Mittelschicht sozial-integrativen Gesellschaftsvorstellungen postmaterialistischen näher gerückt einander werden.

Die konfessionelle Konfliktlinie ist vor allem bei „Moral-Issues" wie Schwangerschaftsabbruch und Scheidungsrecht wirksam. Dabei denzen auf der anderen Seite (Protestanten, vor allem ohne kirchliche Bindung, Konfessionslose). Franz Urban Pappi und Michael Terwey haben gezeigt, daß „die massive Säkularisierung der vergangenen 15 Jahre“ vor allem ein Mittelschicht-Phänomen war und den Sozialliberalen zugute gekommen ist, für deren Unterstützung aus dem Mittelschichtbereich ihr liberales Programm in Moralfragen offensichtlich relevant war. Die Säkularisierung hat die Konfliktlinie nicht bedeutungslos gemacht, sondern vor allem den antiklerikalen Pol gestärkt. Daß konfessionsbezogene politische Streitfragen dennoch im politischen Prozeß nicht im Mittelpunkt stehen, hängt einerseits mit Prioritätensetzungen der Wähler zusammen, für die überwiegend Sozialfragen vor Moralfragen rangieren, andererseits mit der Integrationsstruktur der Volkspartei, die gerade im Falle CDU das Zusammenfügen katholischer und protestantischer bzw. liberaler Strömungen erforderlich macht

Festzustellen sind also das Fortbestehen und die Erweiterung grundlegender Konfliktlinien mit gesellschaftlicher Verankerung, d. h. von einer Entstrukturierung des Zusammenhangs Gesellschaft — Parteiensystem kann nicht gesprochen werden. Ein Wandel ist eher innerhalb dieser Konfliktstruktur zu erwarten. Dabei haben Entkopplungsprozesse zwischen Bürgern und Parteiensystem, die an den verschiedenen Erscheinungsformen der Parteienverdrossenheit abzulesen sind zwei Seiten: Sie können als Entfremdung oder als wachsende Autonomie der Bürger diskutiert werden.

Die Entfremdungsperspektive betont die Erosion sozialer Milieus, wodurch emotionale Basis und Sinnhaftigkeit der Parteiunterstützung geschwächt werden. Die Entwicklung der Volksparteien ist — neben Faschismus und Industrialisierung — einer der drei großen Faktoren, die zur Abtragung der Milieus beigetragen haben. Volksparteien sind auch ein eigenständiger Entfremdungsfaktor, weil ihre konturloser werdende Programmatik und Politik gerade für ihre eigenen Kerngruppen die Identifizierungschance mindert (ohne daß diese im Parteiensystem eine Alternative hätten). Die Beziehungen zwischen Kerngruppen und Parteien werden instrumenteller, „kälter". Die materialistisch orientierte neue Mittel-schicht, die kein Milieu ausbildete, hatte von vornherein eine instrumentellere Beziehung zu den etablierten Parteien.

Die Autonomieperspektive betont demgegenüber die gewachsene Selbständigkeit des Bürgers gegenüber den Parteien. Diese läßt sich an vielen Indikatoren verdeutlichen zunehmende Ausschöpfung eines unterschiedlichen Gebrauchs von Erst-und Zweitstimme; gezielter Einsatz von Wahlenthaltung als Mittel der Kritik an einer Partei; abweichende Meinungen auch bei gegebener Parteipräferenz; abnehmende Parteibindung; kurzfristige Orientierung an rasch wechselnden Themen etc.

Die Erosion der Milieus ist eine Voraussetzung für die Verstärkung der Autonomie des einzelnen. Positiv gestützt wird sie unter anderem durch Bildungsexpansion, Massenmediatisierung und Individualisierung Dabei könnte die These, daß es sich hierbei zugleich um Tendenzen der Entfremdung und Autonomisierung handelt — die sich innerhalb der gesellschaftlich verankerten Konfliktlinien entwickeln —, die Doppelgesichtigkeit von Stabilität und Unruhe, Identifikation und Distanz, von Zustimmung und Ablehnung erklären, deren Zusammenwirken so oft verwirrt.

III. Parteiensystem

Die neuen Herausforderungen und Konfliktlinien verschärfen und erneuern zum Teil Probleme des Parteiensystems, die es schon zuvor hatte. Die Übersetzung von Konfliktlinien in das Parteiensystem verstärkt Immobilismus und Undeutlichkeit (III., 1.). Das alte Problem der strukturellen Asymmetrie zwischen Linken und Rechten taucht unter neuen Bedingungen wieder auf und führt zu einer Demokratie ohne Machtwechsel (III., 2.). Das Ideal des Zweiparteiensystems Verblaßt ange-sichts der Gründe, die heute für ein begrenzt differenziertes Mehrparteiensystem sprechen (iii., 3.). 1. Immobilismus und Undeutlichkeit Die Art, wie Konfliktlinien in das Parteiensystem übersetzt werden, beeinflußt sowohl die Lösungsmöglichkeiten der zugrundeliegenden Probleme wie die Struktur des Parteien-systems. Dabei führt eine Kumulation der Konfliktlinien, das heißt ihre Überlagerung und wechselseitige Verstärkung, zur Zuspitzung des gesamtgesellschaftlichen Konfliktpotentials. Radikalisierung der Problemlösung und Polarisierung des Parteiensystems wären die Folgen. Dies trifft indessen für die Bundesrepublik ebensowenig zu wie eine „Versäulung"

Das Konfliktmuster in der Bundesrepublik ist vielmehr durch querlaufende, sich überschneidende Konfliktlinien (cross-pressures) gekennzeichnet. Sie führen zu Immobilismus und Undeutlichkeit (obwohl sie nicht deren einzige Ursachen sind).

Zwar hat die CDU die Funktion der Zentrumspartei übernommen, den klerikalen Pol des Konfessionscleavage zu organisieren; durch ihre Öffnung zu protestantischen und liberalen Gruppen entsteht aber schon innerhalb der Partei ein Gegengewicht. Der Konfessionskonflikt führt der CDU katholische Arbeiter zu, die im Klassencleavage bei der CDU als Partei der Unternehmer, Manager und Landwirte auf der falschen Seite stehen und ein Hemmnis darstellen für eine nur an diesen Gruppeninteressen orientierte Politik. Die SPD mußte lernen, daß die Bundesrepublik nicht nur eine Verkleinerung des alten Reiches darstellte: Auf dem Gebiet der Bundesrepublik war der Anteil der Katholiken und katholischen Arbeiter erheblich größer als im Reich mit seinen Industrieregionen östlich der Elbe. Ohne symbolische Konzessionen an die katholische Kirche (Konkordat, Papstbesuche) waren die Vorbehalte katholischer Wähler nicht abzubauen, deren sozial-integrative Tendenzen ebenso wie die der neuen Mittelschicht insgesamt zur Mäßigung einer sich machtpolitisch orientierenden SPD in den sechziger Jahren beitrugen.

Der Einbau der postindustriellen Konfliktlinie in das Parteiensystem hat die Strukturprobleme des Immobilismus und der Undeutlichkeit, die zu Programm-und Identifizierungsdefiziten führen, verschärft. Dabei durchschneidet das postindustrielle cleavage wegen der immanenten Linksorientierung des postmaterialistischen Wertwandels vor allem die SPD. Das in seiner Bedeutung verblassende traditionelle Konfessionscleavage das die Partei in den fünfziger und sechziger Jahren beschäftigte, wird durch ein neu-kulturelles Konfliktmuster „ersetzt", das für die Partei Sprengkraft hat: Anders als die ideologisch gleichgerichtete Integration von Katholiken und neuer Mittelschicht in den sechziger Jahren weisen materialistische und postmaterialistische Wertorientierungen zunächst in entgegengesetzte Richtungen. Die prinzipielle Schwierigkeit der SPD und unter Helmut Schmidt auch ihr Mangel an Bereitschaft die materialistischen mit den postmaterialistischen Strömungen zu vermitteln, ist eine wesentliche Erklärung dafür, daß DIE GRÜNEN als eigene Partei den Zugang zum Parteiensystem trotz dessen institutioneller Schwelle (5 %-Klausel) geschafft haben. Die Undeutlichkeit der SPD im Spannungsverhältnis von Klassen-und postindustriellem cleavage fördert die Partei DIE GRÜNEN als konsequenten Pol der postindustriellen Konfliktlinie. Die Undeutlichkeit der CDU im Klassencleavage fördert die FDP als rechten Pol auf dieser Konfliktebene. Nur die Parteien, die in einer Konfliktlinie relativ homogen sind, können auf dieser Ebene auch eine dynamischere Rolle spielen. Dabei sind die homogeneren Flügelparteien FDP (für das Klassencleavage) und DIE GRÜNEN (für das post-industrielle cleavage) im Vorteil. .

Die Handlungsspielräume der Parteien unterliegen dabei — das zeigen diese Ausführungen — auch sozialstrukturellen Beschränkungen, wie sie sich aus der Vermittlung der soziopolitischen Konfliktlinien in das Parteien-system herleiten lassen. Zwar rangiert die CDU am „kapitalistischen" Pol des Klassencleavage, in der Sozialfrage ist sie hingegen gespalten und wird von der FDP deutlich rechts überholt. Beim Konfessionscleavage bildet sie konkurrenzlos den rechten Pol, ist aber intern in Moralfragen gespalten und steht gegen eine starke gesamtgesellschaftliche Säkularisierungs-und Liberalisierungstendenz. Bei diesen beiden Konfliktlinien ist die CDU kein profilierter und dynamischer Faktor. Dies könnte sie am ehesten beim postindustriellen cleavage sein, konkurriert dabei aber mit der FDP und muß sich als Volkspartei Zurückhaltung auferlegen, wo Einbrüche ihrer Wählerschaft aufgrund disparitärer Betroffenheit und/oder eines gewissen Wertkonservatismus möglich sind (z. B. Waldsterben). Die SPD bewegt sich am antiklerikalen Pol des Konfessionscleavage, hat aber -ihr Poten tial wohl ausgereizt (Reform des Abtreibungsund Scheidungsrechts) und müßte hier weitere Initiativen an DIE GRÜNEN abtreten (weitere Reform des Sexualstrafrechts zum Beispiel). Im Klassencleavage bildet sie mit Unterstützung der Gewerkschaften einen sozialstaatlichen Pol. Hinsichtlich der postindustriellen Konfliktlinie zeigt die SPD heute ihre tiefgehendste Spaltung, ohne bisher wirksame Integrationsstrategien entwickeln zu können. Profil und Dynamik im homogen besetzten Klassencleavage stehen also einer Lähmung bei der Vermittlung materialistischer und postmaterialistischer Wertorientierungen gegenüber.

Insgesamt vermittelt jede der beiden Haupt-parteien (zugleich nach Programm und Praxis Volksparteien) das Bild eines „Koloß auf tönernen Füßen" (Wolf-Dieter Narr). Ihre quantitative Stärke steht im Widerspruch zu ihrer Stärke hinsichtlich Initiative und Innovation. Diese sind eingeschränkt durch ihre sozial-strukturellen, in cleavages verankerten Grundlagen. In dieser Konstellation sind eher Scheingefechte zu erwarten (z. B. Stilisierung der SPD als Wachstums-und technikfeindliche Partei mit großer Nähe zu den GRÜNEN) oder das Ausweichen auf Fragen, die zu allen drei Konfliktlinien quer liegen (vor allem im Bereich internationaler Politik).

Initiative und Profil hinsichtlich der drei grundlegenden Konfliktlinien finden sich eher bei der FDP und den GRÜNEN. Die FDP bildet den rechten Pol im Klassencleavage und konkurriert mit der CDU um die Führung bei der Zurückweisung postindustrieller Themen, wobei sie wegen des bei ihr heute vorherrschenden Ökonomismus vor Einbruchs-gefahren vielleicht eher „geschützt" ist als die CDU. DIE GRÜNEN haben eine Vorreiterrolle bei der Entfaltung der postindustriellen Konfliktlinie, wobei die „Deutlichkeit“ dieser Position (ökologische Themen etc.) zu unterscheiden ist von ihrer „Undeutlichkeit“ bei der längerfristigen Zielklärung. In ihrer Bedeutung für die Polarisierung des Klassencleavage liegen DIE GRÜNEN hinter der SPD, auch wenn sie in ihrer egalitären Orientierung die SPD-Anhänger überflügeln mögen und von Teilen der Neu-Marginalisier-ten als Vertreter angesehen werden Libertäre Grundauffassungen können ihnen beim Konfessionscleavage die Initiative verschaffen.

Die Besetzung einer stärker polarisierenden Außenposition macht die beiden Flügelparteien für Teile der Wählerschaft attraktiver als die im Prinzip immobilen „Allesverwerter", die Volksparteien.

Parteiensysteme sollen nicht nur Bedürfnisse und Interessenlagen ausdrücken, sondern auch regierungsfähige Mehrheiten hervorbringen und — von Zeit zu Zeit — einen Machtwechsel ermöglichen. Die Mehrheit von ca. 55 % der Zweitstimmen, die CDU/CSU und FDP 1983 auf einem krisenhaften Hintergrund gewonnen haben, zeigt die Fähigkeit des Parteiensystems, ein koalitionsbereites Mehrheitsbündnis hervorzubringen. Das Interesse an der Erhaltung eines bürgerlichen Übergewichts wird durch eine auch taktisch motivierte Aufteilung der Stimmen zwischen den beiden Parteien ermöglicht. Die Chance der CDU/CSU, allein die Mehrheit zu erringen, erscheint dagegen kaum gegeben Wie aber steht es mit der realen Chance des Machtwechsels für die Opposition, die für Kontrolle, Innovation und faktische Legitimierung als unerläßlich erscheint? Der SPD fehlen die (sozial-) strukturellen Voraussetzungen für eine reale Mehrheitschance — dies ist eine Konstante ihrer Politik in den Westzonen bzw.der Bundesrepublik seit 1945. Selbst in der ungewöhnlich günstigen Konstellation von 1972 (Ostpolitik, Senkung des Wahlalters etc.) war sie mit ihrem Spitzenergebnis von 45, 8 % weit von der absoluten Mehrheit der Mandate entfernt. Die beiden wichtigsten aktuellen Gründe sind:

1. Der im Zuge postindustrieller Entwicklung abnehmende Anteil von Industriearbeitern, den strukturellen Stammwählern der Partei. In un-und angelernte Arbeiterpositionen nachrückende Gastarbeiter sind ohne Stimmrecht. 2. Die durch die Partei hindurchgehende Spaltung zwischen materialistischen und postmaterialistischen Orientierungen, für die es objektive Grenzen der Integration gibt (so wie — historische Analogie — die liberale Partei 2. Demokratie ohne Machtwechsel? anfangs Arbeiter rekrutierte, aber zunehmend auf objektive Integrationsgrenzen stieß). Es erscheint als unmöglich, durch eine Politik zugleich Mitte-Wähler im Grenzbereich zur CDU und linke Postmaterialisten im Grenzbereich zu den GRÜNEN zu gewinnen. Beides wäre notwendig, um auch nur eine reale Mehrheitschance zu erhalten.

Aus eigener Kraft kann die SPD somit bei den gegebenen Konfliktlinien nicht Mehrheitspartei werden. Da bisher in der Bundesrepublik alle Machtwechsel durch neue Partei-bündnisse zustande kamen (1969, 1982), stellt sich die Frage: Ist die SPD durch Bündnis mehrheitsfähig? Angesichts dessen, daß die FDP heute wie zu Anfang der Bundesrepublik im Bundestag dort sitzt, wo sie politisch steht (auf dem rechten Flügel), ist auf längere Zeit ein Zusammengehen mit der SPD ausgeschlossen. Dieser bleiben folglich zwei Bündniswege. Zum einen wäre dies die Große Koalition, die auf der Grundlage des fortgeschrittenen Wertwandels noch mehr Protest und Abwanderung bei der SPD hervorrufen würde als nach 1966. Damit würde die SPD ihren politischen Einfluß zweifellos verringern, so daß nur noch das Zusammengehen mit der Partei DIE GRÜNEN verbliebe. Das Dilemma der SPD besteht indessen darin, daß sie durch ein Bündnis mit den GRÜNEN auf ihrer rechten Seite verliert, ebenso wie sie durch ein Zusammengehen mit der CDU/CSU auf ihrem linken bzw. postmaterialistischen Flügel verlieren würde. Nur bei gedanklicher und in Politik sich ausdrückender Synthese zwischen beiden Positionen, einer längerfristigen Mobilisierungsarbeit und einer gewissen Arbeitsteilung könnte die SPD sich im Bündnis mit den GRÜNEN eine reale Mehrheitschance verschaffen.

Das Dilemma der GRÜNEN besteht darin, daß ein (kleinerer) Teil ihrer Wähler und ein (größerer) Teil ihrer Funktionäre gegen ein Bündnis mit der SPD eingestellt ist, ohne ein solches Bündnis aber keine wirkliche Interventionschance besteht. Ohne Interventionschance aber wird der politische Sinn, die Partei DIE GRÜNEN zu wählen, hinfällig. Damit ist den GRÜNEN die gleiche Aufgabe der Vermittlung materieller mit postmaterialistischen Positionen gestellt wie der SPD. Die Frage der GRÜNEN, ob man mit der SPD denn überhaupt zusammengehen könne, ist dabei vordergründig gegenüber dem dahinterliegenden Problem, das knapp umrissen lautet: Welcher gesellschaftliche Wandel ist in welchen Zeiträumen unter den in der Bundesrepublik gegebenen Kräfteverhältnissen überhaupt möglich?

Ein Ausklammern dieser Grundfrage, das einige Jahre lang den Wahlerfolg nicht verhindert hat, ist heute, da DIE GRÜNEN zum Bestandteil des Wettbewerbssystems geworden sind, nicht mehr möglich. Die Aufrechterhaltung der Nicht-Entscheidung führt, ebenso wie es eine fundamentaloppositionelle Strategie tun würde, angesichts der Mehrheitsunfähigkeit der SPD zu einer Zementierung der strukturellen. Asymmetrie im Parteiensystem, das heißt zu einer Demokratie ohne Machtwechsel. 3. Zwei-oder Mehrparteiensystem Das Parteiensystem in der Bundesrepublik Deutschland hat sich in rund zehn Jahren von einem Vielparteiensystem (Erster Bundestag: zehn Parteien) zu einem Drei-oder Zweieinhalb-Parteiensystem (1961: drei Parteien) entwickelt. Während dem verbreiteten Ideal der Volkspartei ein Zweiparteiensystem entspräche, geht die tatsächliche Entwicklung heute eher in Richtung einer stärkeren Ausdifferenzierung des Parteiensystems. Koalition ist somit Normalfall der Regierungsbildung in der Bundesrepublik.

Das Mehrparteiensystem drückt die heutige gesellschaftliche Differenzierung von Wertorientierungen und Interessenlagen angemessener aus als ein Zweiparteiensystem. Die organisatorische Selbständigkeit hinreichend unterschiedener Interessenlagen fördert die Deutlichkeit des Parteiensystems und kann seine Wandlungsfähigkeit erhöhen, weil Alternativen klarer herausgearbeitet werden als bei übermäßiger innerparteilicher Integration. Dieser Gewinn an Deutlichkeit wird dann wieder aufgegeben, wenn die Parteien im Mehrparteiensystem sich nicht zu zwei (in sich differenzierten) Blöcken gruppieren. Nur bei Blockbildung der Parteien bleibt der Differenzierungsgewinn für den Wähler an seine richtungspolitische Grundentscheidung angebunden. Er wird dagegen politisch entmündigt, wenn die Parteien eigenmächtig und ungebunden nach der Wahl über Koalitionen entscheiden.

Insgesamt zeigen die westeuropäischen Systeme eine Tendenz zu bipolaren Mehrparteiensystemen Abstrakte Argumente über Vor-und Nachteile von Zwei-oder Mehrpar-teiensystemen taugen nicht viel. Hier wird nicht der prinzipielle Vorteil des bipola- Mehrparteiensystems behauptet, sondern dessen Angemessenheit zur politischen Strukturierung differenzierter und hinreiauch unterschiedener Soziallagen und Wert-ren

IV. Volksparteien — oder was sonst?

Das aktuelle Parteiensystem der Bundesrepublik ist dadurch gekennzeichnet, daß Volksparteien keine alle Alternativen erdrückende Selbstverständlichkeit mehr darstellen. Zwei der vier im Bundestag vertretenen Parteien wollen keine Volksparteien sein und sind es auch nicht — wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Die FDP, die Anfang der sechziger Jahre ausdrücklich „Volkspartei" werden wollte (Ziel: 20% der Wählerstimmen) und mit der Zielprojektion eines Sozial-Liberalismus (Freiburg 1971) einen programmatischen Anlauf zur sozialen Verbreiterung unternahm, ist heute weitgehend „sozioökonomische Interessenpartei" die die forcierte Bedienung einer privilegierten Wirtschaftsklientel einem sozialen Interessenausgleich vorzieht Für DIE GRÜNEN, die vor allem aus der Unfähigkeit der Volksparteien entstanden sind, solche Allgemein-wie auch Spezial-interessen zu vertreten, die durch die kapitalistische Wachstumsgesellschaft systematisch vernachlässigt werden, bedeuten „Wähler an sich" keinen Gewinn, zumal wenn sie durch programmatische Verwässerung erkauft werden müssen.

Die Entwicklung zu einem (begrenzt) differenzierten Mehrparteiensystem enthält in sich zugleich die Kritik an der Alleinherrschaft der Volksparteien. Diese Kritik ist — knapp zusammengefaßt — auf vier Punkte zu bringen: a) Repräsentationsdefizite. Die Grundorientierung der Volkspartei besteht in der Verteilungspolitik für eine breite, aber sozialstrukturell konturierte Klientel auf der Grundlage quantitativen Wachstums. Dies bringt sie nicht nur in Schwierigkeiten bei ausbleibendem bzw. reduziertem Wachstum, weil die Balance gefährdet wird und der Sinn verloren zu gehen droht, der in der Prosperität darin liegt, eine Volkspartei zu wählen. Unabhängig von der ökonomischen Krise trifft die Volkspartei Kritik, weil sie qualitativen Anforderungen nicht gerecht wird. Ihre besondere Schwäche liegt in der Vertretung einerseits bestimmter gruppenübergreifender Allgemeininteressen (für die Umwelt-bzw. Naturpolitik heute das schlagendste Beispiel ist), andererseits profilierter qualitativer Interessen von Teilgruppen (wie z. B.der postmaterialistischen Intelligenz).

b) Partizpationsdefizite. Verstaatlichung (z. B. Verflechtung mit öffentlichen Diensten und Verlagerung wichtiger Parteiaktivitäten in den Staatsbereich), Oligarchisierung (als Verlagerung von wichtigen politischen Entscheidungen in die Führungsgremien), Bürokratisierung (als Hierarchisierung und normierte Regelhaftigkeit der Politikabläufe), Mediatisierung (als Orientierung an den Strukturen der Massenmedien) sind nur Stiqhworte für die innerparteiliche Situation der Volksparteien, die dem Bürger vielfach unmittelbare, effektive Partizipation verwehrt.

c) Immobilismus. Das Bild des Tankers (Peter Glotz) charakterisiert zutreffend die geringere Manövrierfähigkeit der Volksparteien überhaupt, nicht nur einer bestimmten. Die Volkspartei paßt sich an die gegebenen Herrschaftsstrukturen (Wirtschaftssystem, Groß-organisationen etc.) an und läßt sich von ihnen Grenzen des Handelns diktieren. So sehr sich Volksparteien an die Vielen zu wenden scheinen: Eine Machtverschiebung durch längerfristige Mobilisierung breiter Bevölkerungsgrupperi ist mit der Struktur von Volksparteien nicht vereinbar. Als eine der etablierten Großorganisationen reduziert sie vielmehr Mobilisierung auf die Erfordernisse des „Parlamentarischen Rituals“ Aktiver gesellschaftlicher Wandel hingegen erfordert Bewußtseinsveränderung und gesellschaftliche Mobilisierung beides ist mit den Strukturmerkmalen der Volkspartei, wie sie Otto Kirchheimer schon 1965 beschrieben hat unvereinbar.d) Gesellschaftliches Autonomiedefizit. Die Volkspartei sieht die Gesellschaft wie der Staat selbst: als ein Objekt der Steuerung und als Adressat Legitimation. Gesellschaft der verstanden als Ausgangspunkt und Träger eines demokratischen Prozesses ist damit nicht vereinbar. Der Volkspartei fehlt ein Begriff sinnvoller und notwendiger gesellschaftlicher allen Autonomie mit Risiken für ihre Berechenbarkeitswünsche. Wo der Staat nicht selbst kontrolliert, greift sie daher ein: Richtungskontrolle der Massenmedien, Inszenierung von Leserbriefkampagnen, Kanalisierung von Vereinen, Bürgerinitiativen etc. Dies darf nicht mit gesellschaftlicher Verankerung verwechselt werden, jedenfalls nicht, wenn der Maßstab (relativ) autonomer bzw. authentischer Bedürfnis-und Interessenartikulation vertreten wird.

Ursache der Krise der Volksparteien die sich in der Verstärkung von Anti-Volksparteien und in der internen Belastung von Volksparteien zeigt, ist die gesellschaftliche Krise in ihrer doppelten Form:

— als sozioökonomische Krise, die einer wirtschaftsliberalen Interessenpartei (FDP) zur Profilierung verhilft und in der rechten Volkspartei (CDU/CSU) den Konflikt zwischen Wirtschaftsflügel und Sozialausschüssen verschärft;

— als soziokulturelle Krise, die ein wachstumskritisches Syndrom parteifähig macht (DIE GRÜNEN) und die linke Volkspartei (SPD) zwischen materialistischen und postmaterialistischen Wertorientierungen spaltet. Trotz aller Differenzierung, Polarisierung und Spaltung ist — berücksichtigt man die Spielräume, über die die Volkspartei verfügt (z. B. und nicht zuletzt: symbolische Integration) — bisher eine „typologische Veränderung“ der Volkspartei'bzw. (wie Richard Stöss sie nennt) der „demokratischen Massenlegitimationspartei" nicht zu erkennen

Was ereignet sich nun parteientypologisch jenseits der Volkspartei? Während die FDP in wesentlichen Mechanismen heute als „sozioökonomische Interessenpartei“ beschrieben werden kann sind DIE GRÜNEN weniger klar zu charakterisieren Weil ihre Entstehung auch aus einem partiellen Versagen der SPD herzuleiten ist, kann man damit beginnen, sie mit Bezug auf die Defizite der Volksparteien zu kennzeichnen. Sie verstehen sich als Repräsentanten vernachlässigter allgemeiner Interessen (z. B. Umwelt) wie auch spezifischer Interessenlagen (z. B. Marginalisierte). Mit der Leitvorstellung von „Basisdemokratie“ sollen auch Partizipationsdefizite der Volksparteien überwunden werden. Als Bewegungspartei schließlich versuchen sie, dem Immobilismus wie dem gesellschaftlichen Autonomiedefizit von Volksparteien entgegenzuarbeiten. Aus der Sicht vieler Parteienforscher sind neue bzw. Kleinparteien 1. in ihrer Entstehung aus den Integrationsdefiziten der etablierten Parteien zu erklären und 2. in ihrem Fortdauern davon abhängig, ob die Großpartei in Zukunft Integrationsstrategien verfolgt.

Daß die (Re-) Integration prinzipiell möglich ist, wird dabei unterstellt. Nun gibt es allerdings historische Beispiele dafür, daß Parteien, wollen sie ihre Identität bewahren, eine bestimmte (sicherlich nicht zu eng definierbare) Integrationsgrenze nicht überschreiten können. Die Liberalen beispielsweise konnten auf ihrer strikt marktwirtschaftlichen, individualistischen und staats-neutralen Grundlage die Arbeiterbewegung nicht integrieren. Trotz einiger ideologischer Gemeinsamkeiten überforderten Totalmobilisierung und Totali-tarismus der NS-Bewegung das Politikmuster der Konservativen. Heute spricht einiges für die These, es gäbe strukturelle Grenzen für die (Re-) Integration der neuen sozialen Bewegungen durch die SPD.

DIE GRÜNEN sind keine Möchtegern-Volkspartei und auch keine Miniaturausgabe davon. Sie sind als ein besonderer Parteityp zu kennzeichnen, der hier postindustrielle Rahmenpartei genannt wird. Mit der postindustriellen Rahmenpartei erscheint ein Partei-typ auf der politischen Bühne, der Themen und Sozialgruppen der postindustriellen Entwicklungsphase in einer bestimmten Struktur zum Ausdruck bringt („Rahmenpartei", d. h. ein die Autonomie des Milieus bzw.der Bewegungen respektierender, eher lockerer Organisationsrahmen). Der funktionale Schwerpunkt dieses Partei-typs liegt auf der Interessenvertretung. Die Partei bewegt sich dabei im Spannungsverhältnis allgemeiner Interessen, deren Realisierung allen zugute käme (Umwelt, Frieden etc.), andererseits von gruppen-bzw. milieu-spezifischen Interessen, die sich auf die materielle und rechtliche Sicherung alternativer gesellschaftlicher Aktivitäten beziehen (jugendliche Arbeitslose, alternative Ökonomieprojekte, Hausbesetzer etc.).

An den Grundfunktionen der Steuerung und Legitimation — den Schwerpunkten der Volksparteien — hat die Rahmenpartei Teil, aber doch in einer sehr spezifischen Art, die sich eher mit Interventionsfunktion umschreiben läßt Die Rahmenpartei interveniert in den industriegesellschaftlichen Prozeß, den sie nicht im ganzen zu steuern oder auf eine völlig neue Grundlage zu stellen vermag (weder als Industriegesellschaft, noch als Kapitalismus), dadurch, daß sie die schlimmsten Konsequenzen dieser Entwicklung abblockt und eine Umorientierung innerhalb des Systems anstrebt, die dessen Aggressivität, Natur-und Sozialschädlichkeit zu reduzieren sucht.

Dezentralisation, Basisdemokratie und politisch-kultureller Pluralismus sind Organisationsprinzipien, mit denen die Rahmenpartei einerseits versucht, das Versprechen einzulösen, Offenheit und Funktionsbegrenzung gegenüber der Basis zu praktizieren, und die andererseits in besonderer Weise Bedürfnissen der Intelligenz entgegenkommen. Die Praxis muß zeigen, wieweit Verselbständigung und Entfremdung, Verstaatlichung, Oligarchisierung und Bürokratisierung immanente Tendenzen der Parteiform sind, die sich auch bei guten Vorsätzen nicht oder nur sehr begrenzt beeinflussen lassen

Die Gegensätzlichkeit von Volkspartei und postindustrieller Rahmenpartei besteht in zweierlei Hinsicht: Zum einen in dem bereits angesprochenen Typ von Interessenvertretung, wobei die Volkspartei im Kern eine Verteilungs-und Legitimationsinstanz auf der Grundlage intendierten ökonomischen Wachstums für einen sozialstrukturell begrenzten Ausschnitt der Gesellschaft darstellt und die postindustrielle Rahmenpartei im Kern eine Interessenvertretung für strukturell im kapitalistischen System vernachlässigte soziokulturelle und ökologische Bedürfnisse ist. Zum anderen beruht der Gegensatz auf organisationsstrukturellen Unterschieden, die mit der Interessengrundlage korrespondieren. Dazu noch einige Gesichtspunkte.

Nur solange der alternative Parteityp Bewegungspartei bleibt, d. h. auch gekennzeichnet ist durch Spontaneität, Direktheit, Expressivität und Beimengung soziokultureller Motive, durch ein bestimmtes Maß an Unberechenbarkeit und immer durch relevante autonome Aktivitäten außerhalb der Partei, wird er sich strukturell und nicht nur durch seine Größe von der Volkspartei unterscheiden.

DIE GRÜNEN werden sich den Charakter einer Bewegungspartei jenseits der Volkspartei nur erhalten können, wenn sie ein Konzept entwickeln, das die (Bewegungs-) Organisation und die Gesamtbewegung in einem Spannungsverhältnis beläßt Nur in Parteiform aber werden sie andererseits zu dauerhafter, koordinierter Intervention in der Lage sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Wilhelm Grewe, Parteienstaat — oder was sonst?, in: Der Monat, 3 (1951) 36.

  2. Vgl. Gerhard Leibholz, Strukturprobleme der modernen Demokratie, Frankfurt 1974, und Wilhelm Hennis, überdehnt und abgekoppelL An den Grenzen des Parteienstaates, in: Christian Graf von Krockow (Hrsg.), Brauchen wir ein neues Parteien-system?, Frankfurt 1983, S. 28ff.

  3. Probleme innerparteilicher Demokratie, die mit den GRÜNEN wenn nicht eine neue Dimension erhalten haben, so doch mindestens neu auf die Tagesordnung gesetzt worden sind, bedürfen einer eigenen Darstellung.

  4. Ausführlich und auch im Zusammenhang mit politischen Konsequenzen diskutiert bei Joachim Raschke, Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß, Frankfurt-New York 1985 (dort auch Literaturhinweise).

  5. Ideologie hier im Sinne eines um Konsistenz bemühten Interpretationszusammenhangs.

  6. Vgl. Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Bd. 2, Frankfurt 1981.

  7. Vgl. Joachim Raschke, Politik und Wertwandel in den westlichen Demokratien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 36/80, S. 23 ff.

  8. Die interessanteste aktualitätsbezogene soziologische Analyse der Intelligenz findet sich bei Alvin W. Gouldner, Die Intelligenz als neue Klasse. 16 Thesen zur Zukunft der Intellektuellen und der technischen Intelligenz, Frankfurt-New York 1980.

  9. Wie Helmut Schmidt seinerzeit sinngemäß sagte: Die Krise findet in ihren Köpfen statt

  10. Ein zentraler Gesichtspunkt, der in der Untersuchung von Wilhelm P. Bürklin, Grüne Politik. Ideologische Zyklen, Wähler und Parteiensystem, Opladen 1984, völlig ausgeblendet wird.

  11. Die frühe, einflußreiche Analyse stammt von Seymour M. Lipset/Stein Rokkan (Eds.), Party Systems and Voter Alignments: Cross-National Perspectives, New York-London 1967.

  12. Hans Boldt, Stein Rokkans Parteitheorie und die Vergleichende Verfassungsgeschichte, in: Lothar Albertin/Werner Link (Hrsg.), Politische Parteien auf dem Weg zur parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Entwicklungslinien bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1981, S. 91 ff.

  13. Vgl. rik Allardt, Past and Emerging Political Cleavages, in: Otto Stammer (Hrsg.), Parteiensysteme, Parteiorganisationen und die neuen politischen Bewegungen, Berlin 1968, S. 66ff.

  14. Vgl. u. a. Ronald Inglehart, Traditionelle politische Trennungslinien und die Entwicklung der neuen Politik in westlichen Gesellschaften, in: Politische Vierteljahresschrift (PVS), 24 (1983), S. 139ff„ und Christian Fenner, Was ist eingefroren in den Parteiensystemen?, in: Jürgen W. Falter et al. (Hrsg.), Politische Willensbildung und Interessen-vermittlung, Opladen 1984, S. 23 ff. Vor allem zur historischen Vertiefung der Konfliktlinien interessant die kritische Ergänzung von Hans Boldt (Anm. 12), S. 92. Nach Abschluß des Manuskripts erschien Jens Alber, Modernisierung, neue Spannungslinien und die politischen Chancen der GRÜNEN, in: PVS, 26 (1985), S. 211— 226. Nur scheinbar an Seymour M. Lipset/Stein Rokkan anknüpfend, gibt die ahistorische Formalisierung des Lipset/Rokkan-Ansatzes deren so zentrale historisch-analytische Perspektive auf. Die mit den GRÜNEN verbundenen Konfliktlinien werden nicht als stabilisierbares cleavage interpretiert, sondern als generationsspezifische Unzufriedenheit. Die GRÜNEN seien im wesentlichen die „Partei frustrierter akademischer Plebejer“ (S. 220). Spätestens ab den neunziger Jahren werde das Wählerpotential der GRÜNEN in dem Maße'schrumpfen, wie „die geburtenschwachen Jahrgänge Einzug in die höheren Bildungsinstitutionen halten und die heutigen Absolventengruppen im Wirtschaftsleben Fuß fassen"

  15. Franz Urban Pappi, Konfliktlinien, in: Manfred G. Schmidt (Hrsg.), Westliche Industriegesellschaften, München-Zürich 1983, S. 183ff., hier S. 188f.

  16. Hans Boldt (Anm. 12), S. 97, betont den Gesichtspunkt, daß sich cleavages auch in Verbänden ausdrücken können.

  17. Für eine interessante Analyse der internen Spaltung der SPD-Wählerschaft hinsichtlich des neuen cleavage vgl. Helmut Thome, Wertorientierungen und Parteipräferenzen in der Berliner Wählerschaft, Berlin 1985, erscheint in: Wählerschaft und Führungsschicht in Berlin. Eine Analyse gesellschaftlich-politischer Konflikte anläßlich der Wahlen 1981, Opladen 1985.

  18. Vgl. Ronald Inglehart, The Silent Revolution.

  19. Vgl. Anm. 6.

  20. Vgl. Anm. 7.

  21. Vgl. dazu Karl-Werner Brand et al„ Aufbruch in eine andere Gesellschaft. Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt-New York 1983, und Roland Roth, Neue soziale Bewegungen in der politischen Kultur der Bundesrepublik — eine vorläufige Skizze, in: Karl-Werner Brand (Hrsg.), Neue soziale Bewegungen in Westeuropa und den USA Ein internationaler Vergleich, Frankfurt-New York 1985, S. 20ff.

  22. Zum sozialstrukturellen Profil und Literaturhinweisen vgl. Joachim Raschke (Anm. 4), S. 414 ff.

  23. Vgl. u. a. Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt-New York 1975, und Alain Touraine, Die postindustrielle Gesellschaft, Frankfurt 1972.

  24. Vgl. Fred Block/Larry Hirschhorn, New Productive Forces and the Contradictions of Contemporary Capitalism: A Post-Industrial Perspective, in: Theory. and Society, 7 (1979), S. 363 ff., und Andre Gorz, Wege ins Paradies, Berlin 1983.

  25. Vgl. Detlef Murphy et al., Haben „links" und •rechts" noch Zukunft?, in: PVS, 22 (1981), S. 398ff.

  26. Vgl. u. a. Jugend '81. Lebensentwürfe, Alltags-kulturen, Zukunftsbilder, 3 Bde., Hamburg 1981; Heinz-Ulrich Kohr/Hans-Georg Räder, Jugend als Reproduktion von Gesellschaft. Problematisierung, Thesen und empirische Befunde, in: Heinz-Ulrich Kohr et al. (Hrsg.), Reproduktion von Gesellschaft Jugend — Partizipation — Politische Bildung, Weinheim/Basel 1983, S. 14 ff.; Die verunsicherte Generation. Jugend und Wertewandel, Opladen

  27. Mit dem Disparitäten-Konzept wurde eine horizontale Kategorie in die Analyse der Sozialstruktur eingeführt. Sie umfaßt besondere Benachteiligungen bzw. Betroffenheiten, die — prinzipiell — jeden treffen können (wie Umweltzerstörungen, Verkehrslärm etc.). Vgl. Joachim Bergmann et al„ Herrschaft, Klassenverhältnis und Schichtung, in: Theodor W. Adorno (Hrsg.), Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft?, Stuttgart 1969, S. 67 ff., und Claus Offe, Politische Herrschaft und Klassenstrukturen. Zur Analyse spätkapitalistischer Gesellschaftssysteme, in: Gisela Kress/Dieter Senghaas (Hrsg.), Politikwissenschaft. Eine Einführung in ihre Probleme, Frankfurt 1969, S. 155ff.

  28. Vgl. Scott C. Flanagan/Russell J. Dalton, Parties Under Stress: Realignment and Dealignment in Advanced Industrial Societies, in: West European Politics, 7 (1984), S. 5ff.; Franz Urban Pappi, Konstanz und Wandel der Hauptspannungslinien in der Bundesrepublik, in: Joachim Matthes (Hrsg.), Sozialer Wandel in Westeuropa, Frankfurt-New York 1979. S. 465ff. und ders. (Anm. 15).

  29. M. Rainer Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: Zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Wilhelm Abel et al. (Hrsg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte, Stuttgart 1966, S. 371 ff.

  30. Vgl. Scott C. Flanagan/Russell J. Dalton (Anm. 28), S. 18.

  31. Vgl. z. B. W. L. Guttsman, The German Social Democratic Party, 1875— 1933. From Ghetto to Government, London 1981.

  32. Naßmacher kennzeichnet in seiner hochinteressanten Regionalstudie das liberale Milieu als „personalintegriert". Vgl. Karl-Heinz Naßmacher, Zerfall einer liberalen Subkultur. Kontinuität und Wandel des Parteiensystems in der Region Olden-burg, in: Herbert Kühr (Hrsg.), Vom Milieu zur Volkspartei. Funktionen und Wandlungen der Parteien im kommunalen und regionalen Bereich, Königstein 1979, S. 29ff. Obwohl er die Konstanz auch des liberalen Milieus bis in die sechziger Jahre betont, widersprechen seine Ausführungen nicht der These von einer strukturellen Milieuschwäche des Liberalismus.

  33. Vgl. u. a. Joseph Huber, Wer soll das alles ändern. Die Alternativen der Alternativbewegung, Berlin 1980; Dieter Rucht, Zur Organisation der neuen sozialen Bewegungen, in: Jürgen W. Falter (Anm. 14), S. 609 ff. und die Literatur in Anm. 21.

  34. Karl-Heinz Naßmacher (Anm. 32), S. 106, unterscheidet organisationszentrierte Milieus (sozialistisch und katholisch) und personalintegrierte Milieus (liberal und konservativ). Diese Typologie fort-schreibend könnte man heute von einem symbolisch integrierten Milieu sprechen. Die Identifizierung erfolgt dabei über Themen, Sprache, Habitus, unkonventionelle Aktionsformen etc.

  35. Dazu vgl. Joachim Raschke (Anm. 4), 418ff.

  36. Wichtig ist die Trennung von Selbständigen („alter Mittelstand") und neuer Mittelschicht, weil sonst falsche Aussagen über den Bedeutungsverlust des Klassencleavage zustande kommen. So zu Recht Franz Urban Pappi (Anm. 15), S. 189f., gegen Kendall L. Baker et al., Germany Transformed. Political Culture and the New Politics, Cambridge-London 1981. Die von diesen herausgearbeitete Bedeutung der „neuen Politik“ wird nicht beeinträchtigt durch die Erkenntnis, daß die traditionellen cleavages fortwirken.

  37. Kendall L. Baker et al. (Anm. 36), S. 172,

  38. Vgl. Manfred Berger et al„ Konstanz und Wechsel von Wählerverhalten bei der Bundestagswahl 1983, in: Jürgen W. Falter (Anm. 14), S. 312ff.

  39. Ebd.

  40. Vgl. allgemein Ronald Inglehart (Anm. 18 und die Anm. 17 und 22).

  41. Franz Urban Pappi/Michael Terwey, The German Electorate: Old Cleavages and New Political Conflicts, in: Herbert Döring/Gordon Smith (Eds.), Party Government and Political Culture in Western Germany, London-Basingstoke 1982, S. 174 ff.

  42. Lijphart bestätigt in einer vergleichenden Analyse die nachgeordnete Bedeutung des Konfessionscleavage für die politischen Eliten bzw. die Regierungsebene. Vgl. Arend Lijphart, The Relative Salience of the Socio-Economic and Religious Issue Dimensions: Coalition Formations in Ten Western Democracies, 1919— 1979, in: European Journal of Political Research, 10 (1982), S. 201 ff.

  43. Vgl. Manfred Küchler, Staats-, Parteien-oder Politikverdrossenheit?, in: Joachim Raschke (Hrsg.), Bürger und Parteien. Ansichten und Analysen einer schwierigen Beziehung, Opladen 1982, S. 39ff.

  44. Scott C. Flanagan/Russell J. Dalton (Anm. 28), S. 16, beschreiben die Ausbreitung des politisch aktiven Nicht-Parteigängers. Vgl. auch Peter Radunski, Die Wähler in der Stimmungsdemokratie. Beobachtungen zum neuen Wahlverhalten, in: Sonde, 18 (1985) 2, S. 3ff.

  45. Zum gesellschaftstheoretischen Zusammenhang vgl. Ulrich Beck, Jenseits von Klasse und Stand?, in: Reinhard Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten (Soziale Welt, Sonderband 2), Göttingen 1983, S. 35ff.

  46. Es ist auch untypisch für die westlichen Demokratien. Vgl. Robert A. Dahl, Explanations, in: ders. (Ed.), Political Oppositions in Western Democracies, New Haven-London 1966, S. 348ff. Annäherungsbeispiele waren bzw. sind Belgien und Nordirland.

  47. Vgl. Arend Lijphart, Democracy in Plural Societies. A Comparative Exploration, New Haven-London 1977.

  48. Man CDU/CSU mit dem Abtreibungsthema.

  49. Für Berlin 1981 nachgewiesen bei Helmut Thome (Anm. 17).

  50. Vgl. Ursula Feist et al., Die politischen Einstellungen von Arbeitslosen, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 45/84, S. 3ff.

  51. Vgl. Manfred Berger (Anm. 38), S. 316ff.

  52. Zu einem sozialstrukturellen Stammwählerbegriff vgl. ebd., S. 313f.

  53. Sie stellt sich vielfach in den Formen einer Neuauflage zentristischer Integrationspolitik ä la Kautsky in der SPD vor 1914 dar.

  54. Vgl. Karlheinz Reif, Konsolidierungszeitpunkt, Polarisierung, Bipolarität. Einige Anmerkungen zu Rokkan, Sartori und dem Wandel europäischer Parteiensysteme, in: Jürgen W. Falter (Anm. 14), S. 142 ff.

  55. Der Begriff ist von Richard Stöss, der die FDP selbst anders einordnet. Vgl. Richard Stöss, Einleitung: Struktur und Entwicklung des Parteiensystems der Bundesrepublik — Eine Theorie, in: ders. (Hrsg.), Parteien-Handbuch, Bd. I, S. 17 ff.

  56. Vgl. z. B. die Kritik bei Hans Herbert v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984.

  57. Vgl. Roland Roth (Hrsg.), Parlamentarisches Ritual und politische Alternativen, Frankfurt-New York 1980.

  58. Vgl. Amitai Etzioni, Die aktive Gesellschaft. Eine Theorie gesellschaftlicher und politischer Prozesse, Opladen 1975.

  59. Vgl. Otto Kirchheimer, Der Wandel des westeuropäischen Parteiensystems, in: PVS, 6 (1965), S. 20ff. Zu einer jüngeren interessanten Diskussion der Volkspartei vgl. Gordon Smith, The German Volkspartei and the Career of the Catch-All Con-cept, in: Herbert Döring/Gordon Smith (Eds.) (Anm. 41), S. 59ff. Smith erklärt die im westeuropäischen Vergleich besondere Stärke der bundesrepublikanischen Volksparteien aus der Kumulation von zwei Faktoren: einerseits den gesellschaftlichen Veränderungen, wie sie für alle fortgeschrittenen Industriegesellschaften charakteristisch sind, andererseits aus der Stärke bzw.dem Nachwirken problematischer Elemente der politischen Kultur in Deutschland (Konfliktscheu, Staatsorientierung etc.) und der Diskreditierung radikalerer Alternativen auf der Rechten durch das NS-System und auf der Linken durch die DDR („ideologisches Trauma"). Nimmt man als dritten Faktor die Überlagerung soziopolitischer Konfliktlinien hinzu, verfügt man über ein mehrdimensionales Modell, das Variationen in der Ausprägung von Volksparteien erklären könnte.

  60. Sie wird von linker (vgl. z. B. Josef Esser/Jo-achim Hirsch, Sind die „Volksparteien" am Ende? Transformationsprozesse im Parteiensystem der BRD, in: Jürgen W. Falter (Anm. 14), S. 109ff.) wie von eher konservativer Position aus gesehen, vgl. Wilhelm Hennis (Anm. 2) und Rudolf Wildenmann, Die Zukunft der Partei-Regierung — neu überdacht Kritische Überlegungen zum Konzept und zur Problemlage, in: Lothar Albertin/Werner Link (Anm. 12), S. 401 ff.

  61. Vgl. allgemein z. B. Murray Edelman, Politik als Ritual. Die symbolische Funktion staatlicher Institutionen und politischen Handelns, Frankfurt-New York 1976.

  62. So Richard Stöss (Anm. 55), Einleitung, S. 238.

  63. Vgl. Anm. 55.

  64. Vgl. Bodo Zeuner, Die Bedeutung der grünen/alternativen Parteien für Parteientheorien und -typologien, in: Jürgen W. Falter (Anm. 14), S. 119ff.

  65. Vgl. Joachim Raschke, Jenseits der Volkspartei, in: Das Argument, 25 (1983), S. 54ff.

  66. Vgl. Hermann Kaste/Joachim Raschke, Zur Politik der Volkspartei, in: Wolf-Dieter Narr (Hrsg.), Auf dem Weg zum Einparteienstaat, Opladen 1977, S. 26ff

  67. Jänicke formuliert aus der Bewegung heraus mit großer Klarheit die begrenzten Möglichkeiten dieses Politikansatzes. Vgl. Martin Jänicke, Ökologische Krise und das Versagen der etablierten politischen Strukturen — 10 Thesen, in: Hans-Hermann Hartwich (Hrsg.), Gesellschaftliche Probleme als Anstoß und Folge von Politik, Opladen 1983, S. 170ff., und ders., Parlamentarische Entwarnungseffekte? Zur Ortsbestimmung der Alternativbewegung, in: Jörg R. Mettke (Hrsg.), Die Grünen. Regie-rungspartner von morgen?, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 69ff.

  68. Vgl. Joachim Raschke (Anm. 65), S. 62f.

  69. Zur grundlegenden Kritik der Parteiform vgl. Michael Th. Greven, Parteien und politische Herrschaft. Zur Interdependenz von innerparteilicher Ordnung und Demokratie in der Demokratie, Meisenheim am Glan 1977.

Weitere Inhalte

Joachim Raschke, Dr. phil., geb. 1938; Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Innerparteiliche Opposition, Hamburg 1974; Organisierter Konflikt in westeuropäischen Parteien, Opladen 1977; (Hrsg.) Die politischen Parteien in Westeuropa, Reinbek bei Hamburg 1978; (mit Detlef Murphy u. a.) Protest. GRUNE, Bunte und Steuerrebellen, Reinbek bei Hamburg 1979; (Hrsg.) Bürger und Parteien, Opladen 1982; Soziale Bewegungen. Ein historisch-systematischer Grundriß, Frankfurt-New York 1985.