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Die grüne Welle | APuZ 45/1985 | bpb.de

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APuZ 45/1985 Die grüne Welle Ende des grünen Zeitalters?

Die grüne Welle

Wolfgang Rüdig Zur Entwicklung ökologischer Parteien in Europa

/ 35 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

In den meisten westlichen Industrienationen haben sich in den letzten Jahren grüne Listen und Parteien gebildet; in einigen Ländern haben diese Gruppen bereits Wahlerfolge erzielen können. Die Wahlbeteiligung von Okologisten ist damit zu einem wichtigen neuen Phänomen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch auf internationaler Ebene geworden. Es werden die wichtigsten Charakteristika grüner Politik in den einzelnen Ländern Westeuropas beschrieben. Die historisch-vergleichende Bestandsaufnahme folgt einem Drei-Phasen-Modell grüner Parteipolitik: — Die Pionierzeit grüner Politik beginnt Anfang der siebziger Jahre mit der Gründung der ersten ökologischen Parteien auf nationaler Ebene in Neuseeland und Großbritannien; — die Hauptphase beginnt mit den Erfolgen der französischen Okologisten bei den Kommunalwahlen 1977 und erreicht nach einer Welle grüner Parteigründungen mit dem Durchbruch der deutschen Grünen 1983 ihren Höhepunkt; — mit diesen ersten großen Erfolgen wird die dritte und bislang letzte Phase eingeleitet, in der grüne Politik sich als neuestes Modephänomen etabliert und in der die weltweite Ausbreitung grüner Parteien stimuliert wird. In zwei abschließenden Kapiteln werden Thesen zur vergleichenden Analyse grüner Parteien entwickelt und die Zukunft grüner Politik diskutiert. Während die Bundesrepublik Deutschland immer noch eine Ausnahmeposition im Hinblick auf die politische Relevanz grüner Parteien einnimmt, der z. Z. höchstens die belgischen grünen Parteien nahekommen, ist jedoch mit einer internationalen Kontinuität grüner Politik zu rechnen, die in einigen Ländern auch zu neuen politischen Durchbrüchen führen kann. Im Hinblick auf die fragliche weitere Entwicklung der Anti-KKW-und Friedensbewegungen ist die Zukunft dieser Parteien jedoch stark davon abhängig, ob sie neue politische Themen zur weiteren Festigung ihrer politischen Identität nutzen können.

I. Einleitung

Tabelle 1: Wahlergebnisse grüner Listen und Parteien bei nationalen Parlamentswahlen, Präsidentschaftswahlen und Wahlen zum Europäischen Parlament (in % der Gesamtstimmen)

Quellen: Europawahlergebnisse nach Informationen des Directorate-General for Information and Public Relations, Publications and Briefings Division, European Parliament; für die übrigen " Wahlergebnisse siehe die im Text angegebenen Quellen.

Grüne Parteien sind in vielen westlichen Industrienationen zu einer wichtigen neuen politischen Erscheinung geworden. Während sich das Hauptinteresse der Öffentlichkeit im In-und Ausland auf die deutschen Grünen richtete, haben sich auch in anderen Ländern grüne Parteien mit teilweise beachtlichen Erfolgen gebildet.

Im internationalen Vergleich sind die deutschen Grünen relativ spät entstanden: Die ersten grünen Parteien wurden schon 1972 und 1973 gegründet. Bereits vier Jahre vor dem Einzug der grünen Fraktion in den Deutschen Bundestag hatten sich grüne Kandidaten zum ersten Mal Zugang in ein Landesparlament verschafft. Vergleicht man jedoch die politische Bedeutung der einzelnen grünen Parteien miteinander, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß die deutsche Situation zumindest zur Zeit noch einen Sonderfall darstellt. In keinem anderen Land haben es vergleichbare Parteien geschafft, sich wie die deutschen Grünen im politischen Leben Gehör zu verschaffen.

Die historisch-vergleichende Bestandsaufnahme grüner Parteien, die in diesem Aufsatz versucht wird, will zunächst einmal die Vielfalt des Phänomens darlegen. Dabei wird auch auf die Geschichte kleiner und in der Bundes-republik wenig bekannter Parteien eingegangen. Ein solcher empirischer Überblicksartikel soll zudem auch zur international vergleichenden Analyse grüner Parteien beitragen. Abschließend sollen mögliche Erklärungen für internationale Gemeinsamkeiten und Unterschiede knapp angedeutet und die Zukunft grüner Parteien diskutiert werden.

Die folgende empirisch-deskriptive Übersicht ist im wesentlichen chronologisch angelegt. Drei historische Phasen lassen sich unterscheiden: — Die Pionierzeit zu Anfang der siebziger Jahre mit der Entstehung der ersten nationalen Parteien in Neuseeland und Großbritannien; — die Hauptphase grüner Parteibildung, eingeleitet durch Wahlerfolge der französischen ökologisten bei den Kommunalwahlen von 1977, gekennzeichnet besonders durch den Durchbruch der belgischen und deutschen grünen Parteien sowie weiterer grüner Parteigründungen und Wahlerfolge in Westeuropa;

— die „Post-Grünen" -Phase mit der weiteren Ausbreitung grüner Gruppen in westeuropäischen, aber auch außereuropäischen Ländern, vornehmlich inspiriert durch den Wahlerfolg der deutschen Grünen im Jahre 1983.

II. Die grüne Pionierzeit (1973-1977)

Die früheste Wahlbeteiligung ökologischerr Gruppen und die Gründung grüner Parteieni liegen schon relativ weit zurück. Sie sind allerdings nicht in Europa, sondern im fernen Ozeanien zu suchen. Im März 1972 formierte sich die United Tasmania Croup (Vereinigte Tasmanien Gruppe, UTG) mit dem Ziel, den ökologischen Protest gegen Pläne für ein neues Wasserkraftwerk in die Wahlen zum tasmanischen Landesparlament zu tragen. Die UTG war die erste ökologische Gruppe, deren Ziel die Teilnahme an Wahlen war. Als erste ökologische Partei der Welt auf nationaler Ebene kann jedoch die Values Party (Werte-Partei) Neuseelands angesehen werden, die im Mai 1972 gegründet wurde -In Europa gingen die bedeutendsten Initiativen zur Wahlbeteiligung von Okologisten zunächst von Frankreich aus; dort beteiligte sich ein ökologischer Kandidat an den Parlamentswahlen von 1973. Auch in Schweden gab es Umweltparteien auf lokaler Ebene schon seit 1973. Von der lockeren Organisationsform bis zur Gründung einer nationalen grünen Partei dauerte es allerdings noch ein weiteres Jahrzehnt

Trotz der frühen Wahlaktivität ökologischer Gruppen in Frankreich und Schweden ist die erste ökologische nationale Partei in Europa in Großbritannien gegründet worden. Ein sehr kleiner Personenkreis, der vorher nicht in Berührung mit der Umweltschutzbewegung gestanden hatte, gründete im Januar 1973 eine Partei mit dem Namen People (Leute, Menschen). Das Hauptmotiv für diesen Schritt war in den apokalyptischen Zukunftsvisionen zu suchen, wie sie zu dieser Zeit von Autoren wie Paul Ehrlich, dem Bericht des Club of Rome und der in Großbritannien besonders einflußreichen Schrift „Blueprint for Survival" (Plan für das Überleben) verbreitet wurden People setzte sich zum Ziel, die im Blueprint for Survival gemachten Vorschläge politisch umzusetzen, und der Hauptautor des Blueprint und Herausgeber des Magazins The Ecologist, Edward Goldsmith, trat der Partei daraufhin bei. Keine der neuen Umweltgruppen, wie z. B. die Friends 'of the Earth (Freunde der Erde), war jedoch für eine Beteiligung zu gewinnen. Alle derartigen Versuche schlugen fehl, und die Partei wies zunächst nur eine sehr begrenzte Mitgliederzahl auf, die erst Ende 1975 die 100-Marke überschritt. People nahm an den beiden Parlamentswahlen von 1974 teil, konnte aber nur Kandidaten in fünf bzw. vier Wahlkreisen (von insgesamt 635) aufstellen. Trotz des Namenswechsels in EcologyParty (Ökologie Partei) im Jahre 1975 kam die Partei bis 1979 aus der Existenzkrise nicht heraus. Ideologische Auseinandersetzungen führten überdies zum Bruch mit dem linken Flügel. Alle Versuche, die öffentliche Aufmerksamkeit etwa mit Hilfe der Beteiligung an Nachwahlen zu erlangen, schlugen fehl.

Zu einem nach internationalen Maßstäben bescheidenen Aufschwung kam es erst im Vorlauf zu den Wahlen von 1979. Diesmal wurden in 53 Wahlkreisen Kandidaten aufgestellt; das berechtigte die Partei zu einem einmaligen politischen Werbespot im öffentlichen Rundfunk und Fernsehen. Diese Sendungen machte die Ecology Party zum ersten Mal einer breiteren Bevölkerungsgruppe überhaupt bekannt. Die 53 Kandidaten erreichten in ihren Wahlkreisen durchschnittlich 1, 5% der Stimmen. Insgesamt entfielen auf die Partei aber nur 0, 1 % aller abgegebenen Stimmen. Die Mitgliederzahlen stiegen jedoch enorm und erreichten mit knapp 6 000 im darauf folgenden Jahr ihren Höhepunkt. Diese aufsteigende Tendenz hielt jedoch nicht lange an. Die Mitgliederzahlen gingen in den achtziger Jahren zurück und waren starken Schwankungen unterworfen. Obwohl sich interne Probleme in dieser Zeit in Grenzen hielten, blieben der Ecology Party nur wenige politische Themen, mit denen sie sich profilieren konnte. Die in Großbritannien nie sehr starke Anti-KKW-Bewegung löste sich Anfang der achtziger Jahre praktisch auf; die Anliegen der Friedensbewegung wurden relativ überzeugend sowohl von der Labour Party als auch von Teilen der Liberalen vertreten. Umweltschutzgruppen waren traditionell relativ gut etabliert Dazu kam der Aufstieg der Sozialdemokratischen Partei im Verbund mit den Liberalen, der das Interesse der Medien völlig absorbierte.

Für die Wahlen von 1983 wurden zwar in 106 (von 650) Wahlkreisen Kandidaten aufgestellt, diese erreichten jedoch durchschnittlich nur 1, 0% der Stimmen. Insgesamt geurteilt hat die Ecology Party es bisher nicht geschafft aus ihrer Rolle als einer politischen Randerscheinung herauszutreten; ihre im September 1985 beschlossene zweite Umbenennung in The Green Party (Die Grüne Partei) wird daran kaum etwas ändern

III. Der grüne Durchbruch (1977-1983)

Als die französischen Okologisten bei den Kommunalwahlen im März 1977 überraschend hohe Erfolge mit Einzelergebnissen von teilweise mehr als 10% erlangen konnten, zeichnete sich zum ersten Mal die Möglichkeit ab, daß die Wahlbeteiligung ökologischer Gruppen von größerer politischer Bedeutung werden könnte. Gegen Ende der siebziger Jahre hatten die grünen Wahlaktivitäten stark zugenommen. Obwohl die Probleme der Luft-und Wasserverschmutzung sowie die Befürchtungen eines weltweiten ökologischen Zusammenbruchs, die Anfang der siebziger Jahre von großer Bedeutung waren, in den Hintergrund traten, führte insbesondere die Diskussion über die friedliche Nutzung der Kernenergie zur weiteren Politisierung der Ökologiebewegung. Während die Kernenergiekontroverse in Ländern wie Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und Schweden sehr eng mit der Entwicklung grüner Parteien verbunden ist, kam der entscheidende Anstoß in anderen Ländern, wie z. B. in Belgien und Finnland, jedoch aus anderen Richtungen. 1. Frankreich Umweltschutzgruppen wie die 1970 gegründeten Amis de la Terre (Freunde der Erde) besaßen in Frankreich nur geringe Möglichkeiten, Einfluß auf den politischen Entscheidungsprozeß auszuüben. Eine Beteiligung an Wahlen war für die Umweltschützer einige der wenigen legalen Möglichkeiten, am politischen Prozeß teilzunehmen. Nach der ersten Beteiligung eines ökologischen Kandidaten an den Parlamentswahlen im März 1973 im Wahlkreis Mulhouse war das nächste bedeutende Ereignis der Pionierjahre die Kandidatur Ren Dumonts zu den Präsidentschaftswahlen von 1973. Das Ziel der Aktion lag hauptsächlich darin, den Wahlkampf zur Aufklärung der französischen Öffentlichkeit über Umweltschutzprobleme zu benutzen. Dumonts Ergebnis mit 1, 3% im ersten Wahlgang war vielleicht enttäuschend, jedoch war damit ein Anfang gemacht

Eine verstärkte Beteiligung an Wahlen stand auch in engem Zusammenhang mit dem Verlauf des Protestes gegen das französische Kernenergieprogramm, das seit 1974 zu einem zentralen Anliegen der französischen Ökologiebewegung geworden war. Der Verlauf der Demonstration gegen den Schnellen Brüter bei Malville im Sommer 1977, bei der es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei kam und ein Demonstrant getötet wurde, führte zu einem überdenken der politischen Strategie. Den Aktionsformen der direkten Aktion und Platzbesetzung, die in anderen Umweltkonflikten, wie z. B. um die Errichtung einer Bleichemiefabrik in Marckolsheim und die Erweiterung eines Truppenübungsplatzes bei Larzac, auch zu Erfolgen geführt hatten, waren offensichtlich Grenzen gesetzt. Mit den Wahlerfolgen von 1977 schien sich nun ein neues, vielversprechendes Aktionsfeld aufzutun.

Die Geschichte der Wahlbeteiligung französischer ökologisten ist jedoch ein stetiges Wechselspiel zwischen mäßigen Erfolgen und bitteren Enttäuschungen gewesen. Die Ergebnisse der ökologisten bei den Parlamentswahlen 1978 fielen mit 2, 1% deprimierend niedrig aus, obwohl jeder Kandidat durchschnittlich 4, 7 % der Stimmen auf sich vereinigen konnte. Die Europawahlen von 1979 und die Präsidentschaftswahlen von 1981 brachten mit 4, 4 % bzw. 3, 9 % wieder vielversprechende Ergebnisse

der Seit 1979 hatte ein großer Teil Anti-KKW-Bewegung auf die Zusammenarbeit mit der Conf^ddration francaise democratique du tra- vail (CFDT), dem zweitgrößten französischen Gewerkschafts-Dachverband, und der Sozialistischen Partei gesetzt. Die herbe Enttäuschung über Mitterands „Verrat" an der Ökologiebewegung nach seinem Machtantritt beschleunigte dann schließlich den Aufbau einer Parteiorganisation. Ideologische und personelle Auseinandersetzungen sowie die ausgeprägte Angst der ökologisten vor jeder auch nur annähernd hierarchisch strukturierten Großorganisation machten diesen Schritt jedoch sehr schwierig. An allen Wahlen von 1981 einschließlich der Präsidentschafts-und Parlamentswahlen beteiligten sich ökologische Listen, zu denen sich einzelne Gruppen jeweils nach meist zerreibenden Verhandlungen über Programm-und Personalfragen vorübergehend zusammengefunden hatten. Eine der Hauptströmungen der Ökologiebewegung, die 1980 gegründete Mouvement EcologiquePolitique (Ökologisch-Politische Bewegung) wollte dem ein Ende setzen und wandelte sich 1982 in eine Partei mit dem Namen Les Verts: Parti Ecologiste (Die Grünen: ökologische Partei) um. Am Vorabend der Europawahlen von 1984 kam es zu weiteren Verhandlungen mit anderen ökologischen Gruppen über die Bildung einer Partei. Hierbei wurde zumindest ein Teilerfolg erzielt: Die zweite Hauptströmung, die sich schon 1981 als Les Verts: Confqdqration Ecologiste (Die Grünen: ökologische Konföderation) formiert hatte, schloß sich mit der früheren MouvementEcologique Politique (MEP) zur Partei Les Verts: Parti Ecologiste — Conf^d^ration Ecologiste (Die Grünen) zusammen. Die Amis de la Terre, die eine so zentrale Rolle bei früheren Wahlen gespielt hatten, beteiligten sich jedoch nicht an der neuen Partei

Ihr früherer Leiter, Brice Lalonde, der bekannteste ökologist Frankreichs, schloß sich für die Europawahlen 1984 einer zentristischlinksliberalen Gruppe, der Entente Radicale Ecologiste (Radikal ökologischen Allianz) an Diese Liste gewann 3, 3% der Stimmen; die Grünen konnten mit 3, 4% nur ein etwas besseres Ergebnis erzielen. Es ist anzunehmen, daß die grüne Wählerschaft durch die Kandidatur der Entente Radicale Ecologiste (ERE) zumindest teilweise gespalten wurde.

Obwohl die Ergebnisse der letzten Präsidentschafts-und Europawahlen auf eine relativ stabile Stammwählerschaft für die französischen Grünen hindeuten, steht der politische Durchbruch immer noch aus. Mit zur Zeit nur 700 Mitgliedern und sehr knappen finanziellen Mitteln sind die Möglichkeiten für weitere Wahlaktivitäten sehr begrenzt. Die Einführung eines neuen Wahlsystems für die Nationalratswahlen 1986 eröffnet den Grünen zwar zum erstenmal eine realistische Chance, auch auf nationaler Ebene politische Mandatsträger zu gewinnen. Das neue Verhältnis-wahlrecht mit einer Fünf-Prozent-Hürde benachteiligt jedoch kleine Parteien immer noch sehr stark, da in den meisten Wahlkreisen weit mehr als 5% für ein Mandat notwendig sind und es kein nationales Ausgleichsystem gibt, das die Proportionalität von Stimmen-und Mandatsteilen sicherstellt. Die Grünen rechnen daher höchstens mit zwei bis drei Sitzen deren Gewinn der Partei aber wohl kaum „einen Fuß in der Türe politischer Macht“ bringen würde. 2. Bundesrepublik Deutschland Auch bei den deutschen Grünen war die Verbindung zur Kernenergiekontroverse stets sehr eng. Die Geschichte der Grünen von der Gründung der Umweltschutzpartei in Niedersachsen im Mai 1977 bis zur Formierung einer nationalen Partei im Januar 1980 und darüber hinaus ist in ihren Grundzügen wiederholt dargestellt worden so daß hier nur festgehalten werden soll, daß der fortgesetzte und zumindest bis Anfang 1985 andauernde Aufstieg der Grünen nicht zuletzt durch eine einmalige Kombination verschiedener politischer Gruppen ermöglicht wurde: Außer Kernkraftgegnern und Umweltschützern ist hier vor allem die Integration wichtiger Teile der „neuen Linken“, Spontis, früherer K-Gruppen-Mitglieder sowie anderer politisch versprengter und vorher irrelevanter Kräfte wie die AUD zu nennen, die der Partei ein Reservat an politischen Aktivisten zuführte. Diese Kombination verschiedener Gruppen aus teilweise entgegengesetzten politischen Lagern besaß den großen Vorzug, daß die Grünen ihre Aktivisten und Wähler über eine relativ breite Palette politischer Themen mobilisieren konnten. Auf der anderen Seite trug jedoch gerade die Vielfalt der beteiligten politischen Strömungen auch zur Verstärkung interner Auseinandersetzungen bei, die die weitere erfolgreiche Entwicklung der Partei gefährden 3. Schweiz Trotz des vergleichsweise hohen Aktivitätsniveaus grüner Listen und Parteien in der Bundesrepublik und Frankreich wurden die ersten grünen Mandatsträger in der Schweiz in ein nationales Parlament gewählt Über einen längeren Zeitraum schon hatte der Umweltprotest eine politisch relativ starke Rolle in der Schweiz gespielt Besonders der seit 1975 anhaltende und an Intensität in den darauffolgenden zehn Jahren kaum abnehmende Konflikt um das Kernkraftwerk Kaiseraugst war hier von zentraler Bedeutung, aber auch andere Großprojekte wurden zum Gegenstand ökologischen Protestes

Seit 1978 wurden auf lokaler und kantonaler Ebene grüne Listen und Parteien gegründet, die offenbar nicht unbeeinflußt durch die Entwicklungen in der Bundesrepublik geblieben waren. Die einzelnen grünen Grupen taten sich jedoch sehr schwer, eine nationale politische Kraft zu formieren. Bei den Nationalratswahlen von 1979 wurden immerhin zwei „grüne“ Kandidaten gewählt In den achtziger Jahren entstanden dann weitere lokale und kantonale grüne Parteien. Eine nationale Vereinigung scheiterte jedoch an ideologischen Differenzen zwischen „grünen" und „alternativen“ Grünen. Die konservative-ren grünen Parteien schlossen sich schließlich im Juli 1983 zur Föderation der Grünen Parteien der Schweiz zusammen, während die „alternativen“ Gruppen ihre Unabhängigkeit beibehielten Bei den Nationalratswahlen erreichten alle grünen Kandidaten 2, 9% der Gesamtstimmen. Insgesamt vier Mandate wurden errungen, drei davon fielen auf die Föderation der Grünen Parteien der Schweiz

Es wird den Grünen jedoch schwerfallen, auch auf der nationalen Ebene eine bedeutende Rolle einzunehmen. Während ihre Spaltung sie sicherlich schwächt, stellt aber auch der in der schweizer Politik vorherrschende Konsensusansatz, der in der seit 1959 anhaltenden Koalition der vier größten Parteien seinen stärksten politischen Ausdruck findet, eine schwer zu nehmende Hürde für neue, kleine Parteien dar, über den Nationalrat an politischem Einfluß zu gewinnen. Die Grünen müssen sich außerdem noch der Konkurrenz anderer Kleinparteien, die in der Umweltpolitik hervorgetreten sind, wie etwa die aus der Studentenbewegung hervorgegangenen Progressiven Organisationen der Schweiz (POCH), stellen. 4. Schweden Schweden ist ein weiteres Beispiel für die zentrale Bedeutung der Kernenergiekontroverse für die grüne Parteibildung. Während auf der lokalen . Ebene Umweltschutzlisten schon seit 1973 bestehen, versuchten auf der nationalen Ebene auch etablierte Parteien, sich der Umweltschutzthemen besonders anzunehmen. Die Kernenergiefrage nahm in der Mitte der siebziger Jahre zentrale Bedeutung an. Zwei gegensätzlichen politischen Lagern zugehörende Parteien, die Zentrumspartei und die Kommunistische Partei, setzten sich an die Spitze der politischen Opposition gegen die Atomkraft. Während die kommunistische Position von den meisten Umweltschützern mit Skepsis betrachtet wurde, hatte man größeres Vertrauen zur Zentrumspartei. Die Glaubwürdigkeit der anti-nuklearen Position der Zentrumspartei wurde jedoch in der Zeit ihrer Regierungsbeteiligung nach 1976 schwer beeinträchtigt, als sie ihr Wahlver-sprechen, der Kernenergie ein Ende zu setzen, nicht erfüllte. Für Kernenergiegegner galt die Zentrumspartei forthin als nicht mehr wählbar; so entstand ein politisches Vakuum. Die Initiative für eine Umweltpartei kam von einem früheren Abgeordneten der Volkspartei, der seit 1979 unter Kernkraftgegnern und lokalen Umweltparteien Unterstützung für eine neue nationale Partei suchte. Nach dem Ergebnis der Volksabstimmung über die Kernenergie im März 1980 bekam diese Bewegung Zulauf. Im September 1981 wurde schließlich die Miljöpartiet(Umweltpartei) gegründet. Bei der Reichstagswahl 1982 erreichte die Umweltpartei jedoch nur 1, 7% der Stimmen und scheiterte damit klar an der in Schweden bestehenden Vier-Prozent-Hürde. Die meisten Stimmen für die Umweltpartei kamen von früheren Anhängern der bürgerlichen Parteien, während sich nur relativ wenige ehemalige Wähler der Sozialisten und Kommunisten für sie entscheiden konnten. Das Hauptproblem der Umweltpartei besteht darin, sich eine eindeutige politische Identität zu verschaffen, die sie von ihren Konkurrenten abhebt. Dies ist um so schwieriger, als auch andere politische Parteien mehr oder weniger glaubhaft umweltpolitische Forderungen vertreten. Neben der Zentrumspartei gilt dies auch noch für die kleine Christdemokratische Partei, die sich strikt gegen die Kernenergie wandte und 1982 die Umwelt-partei mit 1, 9% knapp überflügelte

Bei den Parlamentswahlen im September 1985 konnte die Umweltpartei mit 1, 5% keine Mandate erringen 5. Belgien Während eine ausgeprägte Anti-KKW-Bewegung ein wichtiger Anstoß, aber bei weitem kein hinreichender Faktor für eine erfolgreiche grüne Parteientwicklung ist, können starke grüne Parteien jedoch auch ohne eine solche enge Verzweigung mit der Kernenergiekontroverse entstehen. Hier ist insbesondere Belgien zu nennen, das kaum durch eine besonders starke Anti-KKW-Bewegung ausgewiesen ist.

In Belgien bestehen zwei separate grüne Parteien für die flämisch und französisch sprechenden Gebiete. AGALEV in Flandern und ECOLO in Wallonien und Brüssel. Es gibt keinen direkten politischen Wettbewerb zwischen beiden Parteien und nur relativ unbedeutende programmatische Unterschiede.

Beide Parteien haben jedoch ihre eigene historische Identität. Die AGALEV ging aus ei.

ner zunächst überhaupt nicht explizit politisch ausgerichteten Gruppe mit dem Namen Anders Gaan Leven (Anders leben) hervor, die im Jahre 1970 in Antwerpen gegründet wurde. Die Gruppe besaß eine religiöse Ausrichtung mit progressiv-christlicher Tendenz.

Ihr Interesse an einem alternativen Lebensstil brachte sie jedoch auch mit lokalen Umwelt-konflikten in Verbindung. Diese ersten politischen Erfahrungen motivierten Anders Gaan Leven zu politisch ausgeprägterem Handeln.

Ihre christlich-moralisch fundierte Ablehnung von Umweltverschmutzung, Kernenergie und Kernwaffen sowie eine allgemeine Desillusionierung der „Realpoli hinsichtlich -

tik" der flämischen Christlichen Volkspartei trugen entscheidend zur Entwicklung einer parteipolitischen Perspektive bei, die zunächst in Form einer Zusammenstellung „grüner Listen" von Kandidaten der etablierten Parteien begann. 1977 betrat Anders Gaan Leven (als AGALEV] selbst die politische Arena durch Unterstützung lokaler christlicher, Dritte-Weit-, Umwelt-und Friedensgruppen.

Zunächst wurde mit wenig Erfolg nur im Raum Antwerpen kandidiert. Der Durchbruch kam jedoch mit den Europawahlen von 1979:

AGALEV erhielt 2, 3% der Wählerstimmen und zog daraufhin Mitglieder aus der Umweltbewegung und anderen politischen Gruppen an. 1981 folgte der Einzug ins Parlament mit zwei Abgeordneten. AGALEV hatte zunächst nur als Wahlausschuß von Anders Gaan Leven zu Wahlzeiten bestanden; erst im März 1982 wurde AGALEV organisatorisch von Anders Gaan Leven getrennt und als Partei etabliert

Wenn AGALEV stark von progressiv-christlichen Einstellungen beeinflußt wurde, die im flämisch-niederländischen Kulturkreis besonders ausgeprägt sind, so fehlte dieser Aspekt im französisch-sprachigen Teil Belgiens. Erste „grüne Listen“ hatten hier schon 1976 an Kommunalwahlen teilgenommen, initiiert durch die belgischen Amis de la Terre (Freunde der Erde). Weitere ökologische Gruppen, die an den Parlamentswahlen vom März 1977 teilnehmen wollten, entstanden ebenfalls in diesem zeitlichen Umfeld; ECOLO war eine davon.

Das Entstehen von ECOLO ist eng verbunden mit dem Ausscheiden einer Gruppe von „Dissidenten“ aus der regionalistischen Bewegung; diese verließ 1973 die regionalistische Partei der Wallonischen Sammlungsbewegung (RW) und gründete die Gruppe Democratie Nouvelle (Neue Demokratie). Die Idee der regionalen Selbstbestimmung stand den ökologischen Konzepten der Dezentralisierung von Technologie und politischer Macht nahe. Die Democratie Nouvelle befaßte sich •vorwiegend mit ökologischen und anti-nuklearen Fragestellungen und ging 1976 in den Amis de la Terre auf.

Während die wenigen wallonischen ökologischen Kandidaten 1977 allein keine vielversprechenden Ergebnisse erzielen konnten, brachte der Erfolg der französischen Okologisten 1977 einen stimulierenden Einfluß. Dem französischen Vorbild entsprechend, brachen in der wallonischen parteipolitischen Bewegung die ideologischen Konflikte aber auch viel stärker aus: In Brüssel hatten sich zu den von 1978 zwei Parlamentswahlen Listen, ECOLOG und ECOPOL, gegründet. Während ECOLOG sich enger den Umweltthemen widmete, verband ECOPOL die Integration von Umweltschutz mit radikal-demokratischen Forderungen der „neuen Linken". Zwei entsprechende Gruppen, diesmal den Namen mit Ecologie Bruxelles und Ecologie-J, beteiligten sich auch bei den Parlamentswahlen von 1981. Hatten die Europawahlen von 1979, in denen ECOLO und AGALEV zusammen 3, 4% erreichten, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die beiden Parteien gelenkt, so konnten sie sich 1981 mit insgesamt 4, 8% vier Mandate im belgischen Parlament sichern.

Die Erfolge von 1979 und 1981 zogen schließlich auch die organisatorische Stabilisierung von ECOLO nach sich: ECOLO etablierte sich im März 1980 als „permanente Struktur politischer Intervention“. Die auf Brüssel beschränkten grünen Splittergruppen erlangten nach 1981 keine weitere Bedeutung, jedoch wurde der ihnen zugrundeliegende Konflikt zwischen einem pragmatisch orientierten reformistischen ökologischen Flügel und radikaleren Ansätzen der „neuen Linken“ auch in ECOLO vertreten Der Einfluß der „neuen Linken" auf die belgischen Grünen war jedoch nie so groß, wie dies in der Bundesrepublik der Fall ist; d. h. auch, daß interne Auseinandersetzungen nie die Intensität und Bedeutung annahmen, die die deutschen Grünen kennzeichnet.

Es stellt sich die Frage, ob die belgischen Grünen die Schwelle von der parlamentarischen Repräsentanz zu politischer Relevanz in naher Zukunft überschreiten können. Auf lokaler Ebene ist dies mit der Beteiligung von ECOLO an einer Koalition mit linken und regionalistischen Kräften in Lüttich seit 1983 bereits geschehen Auf nationaler Ebene kann eine eventuelle Regierungsbeteiligung auch nicht ausgeschlossen werden, jedoch ist die Position von AGALEV und ECOLO im belgischen Mehrparteiensystem mit einer Vielzahl von Koalitionsmöglichkeiten weniger günstig für kleine Parteien als etwa in der Bundesrepublik. Bei den Parlamentswahlen im Oktober 1985 erreichten AGALEV und ECOLO zusammen 6, 2% der Stimmen und konnten damit die Zahl ihrer Sitze von vier auf neun erhöhen. 6. Finnland Auch in Finnland gelang es den Grünen Anfang der achtziger Jahre, mit dem Einzug ins nationale Parlament Aufsehen zu erregen. Hier ging es weniger um die Kernenergie, sondern eine Auseinandersetzung über die Austrocknung eines kleinen Sees wurde zum Schlüsselereignis der grünen Bewegung. Der Koijärvi See in Südfinnland ist Brutstätte als vieler seltener Vogelarten bekannt. Als Farmer ihn zur landwirtschaftlichen Nutzung trockenlegen wollten, griffen Umweltschützerzu Mitteln des zivilen Ungehorsams und direkter Aktion, um den See zu erhalten Diese Ereignisse erregten landesweit Aufsehen; so wurde die Koijärvi-Bewegung schließlich zum zentralen Wegbereiter der grünen Bewegung in Finnland.

Umweltschutzgruppen beteiligten sich zum ersten Mal an Wahlen anläßlich der Kommunalwahlen von 1980. Wenige Monate vor den nationalen Parlamentswahlen im März 1983 wurde dann von Mitgliedern der Umwelt-, Friedens-, Frauen-und Alternativbewegungen eine grüne Liste gebildet; Mitglieder der Koijärvi-Bewegung waren dabei führend beteiligt. Eine wichtige Rolle spielte außerdem die Bewegung der Behinderten. Die Grüne Liste kandidierte in sieben von 14 Wahlkreisen und konnte mit insgesamt 1, 4% der Gesamtstimmen zwei Mandate erringen, die auf Exponenten der Behinderten-und der Koijärvi-Bewegung fielen. Nur zwei Wochen nach dem Einzug der deutschen Grünen in den Bundestag wurde damit Finnland zum vierten Land mit grünen Parlamentsabgeordneten. Es besteht bisher jedoch keine grüne Partei, sondern nur eine parlamentarische grüne Gruppe (Vihreä eduskuntaryhmä) 7.

Österreich Ende 1982, etwa zur gleichen Zeit wie in Finnland, kam die grüne Welle auch in Österreich in Bewegung; eine Vielzahl von Parteien wurde gegründet Zwei Organisationen erhielten schließlich nationale Bedeutung und nahmen an den Nationalratswahlen vom 24. April 1983 teil: die Alternative Liste Österreichs(ALO), die sich nach dem Muster gleichnamiger Gruppen in Hamburg und Berlin neben dem Umweltschutz besonders der sozialen Minderheiten und anderer „linker" Themen annimmt, und die Vereinigten Grünen Österreichs (VGÖ), die eher konservativ ausgerichtet sind. Mit 1, 4% (ALO) und 1, 9% (VGÖ) verpaßten jedoch beide Gruppen den Einzug ins Parlament

Die österreichischen Grünen besaßen wichtige Vorläufer in solchen lokalen Gruppen, die sich an Gemeinderatswahlen beteiligten. Die wichtigste war hier die Salzburger Bürgerliste, die aus Bürgerinitiativen hervorging und 1977 zum ersten Mal kandidierte. Mit 5, 6% zog sie auf Anhieb in den Gemeinderat ein. Der sensationelle Erfolg der Bürgerliste mit 17, 6% bei den Gemeinderatswahlen von 1982 trieb den Prozeß der grünen Parteibildung weiter voran.

Das Potential für eine steigende Bedeutung der grünen Parteien in Österreich erscheint zur Zeit günstig. Insbesondere die Auseinandersetzung um das Wasserkraftwerk Hain-burg hat die Popularität der Grünen stark erhöht. Die Spaltung in zwei Parteien könnte jedoch ihre weitere Entwicklung stark beeinträchtigen. Die erste gemeinsame Kandidatur von Grünen und Alternativen bei den Landtagswahlen in Vorarlberg im Oktober 1984 wurde mit einem Stimmengewinn von 13% honoriert 8. Irland Weniger Aussicht auf Erfolg hat die grüne Partei Irlands. Mit Anteilen von 0, 1% bzw. 0, 5% an den Gesamtstimmen bei den Parlamentswahlen 1982 und den Europawahlen 1984 ist sie zur Zeit nur eine marginale Kraft.

In Irland trug besonders das Vorbild der britischen Ecology Party zur Gründung der Ecology Party of Ireland im Dezember 1981 bei. Nach einer Reorganisation von 1983, die den einzelnen lokalen Gruppen mehr Macht gibt und das nationale Element der Organisation stark abwertete, wurde der Name auf ComhaontasGlas oder Green Alliance (Grüne Allianz) geändert. Sie ist damit ein relativ loser Verband von lokalen grünen Gruppen. Während die Konzentration auf die lokale Ebene den Aufbau eines nationalen Profils er- fehlt der Partei auch weitgehend der Bezug zu den zentralen Streitfragen der irischwert, Politik

IV. Grün als politische Modefarbe (1983— 1985)

Der Erfolg der deutschen Grünen, die im März 1983 mit 27 Abgeordneten in den Bundestag einzogen, hat zweifellos zur Aufwertung grüner Parteien auch in anderen Ländern beigetragen. Während die guten Landtagswahlergebnisse auch vorher eine stimulierende Wirkung ausübten, hatte der Erfolg von 1983 eine einmalige internationale Signalwirkung. In mehreren Ländern bildeten in den Jahren 1983 1984 neue grüne und sich Parteien auf nationaler Ebene. 1. Luxemburg Luxemburg hat eine relativ ausgeprägte Umweltbewegung, die Ende der siebziger Jahre besonders durch die Auseinandersetzung um das Kernkraftwerk Remerschen stimuliert wurde. Die erste ökologisch ausgerichtete Liste wurde zu den Wahlen von 1979 gegründet Die Alternative Lescht — Wiert Ich (Alternative Liste — Wehrt Euch), tendierte nach dem Vorbild der deutschen alternativen Listen stärker nach links Sie erhielt 1, 0% der Stimmen und löste sich daraufhin auf. Mit Blick auf die Wahlen von 1984 wurde jedoch die Gründung einer grünen Partei ins Auge gefaßt; diese formierte sich 1983 dann unter dem Namen D^i Creng-Alternativ(Die Grüne Alternative) und konnte mit 5, 1% der Stimmen bei den nationalen Parlamentswahlen von 1984 gleich zwei Mandate erringen 2. Niederlande In den Niederlanden ist bis vor kurzem noch keine grüne Partei in Erscheinung getreten.

Die Parteien der sogenannten „kleinen Linken", insbesondere die Radikale Partei (PPR) und die Pazifistisch-Sozialistische Partei (PSP), schienen zusammen mit den Mitte-Links stehenden Demokraten '66 das Spektrum einer grünen Partei gut abzudecken. Die Gründung einer grünen Partei wurde daher auch nicht erwartet

Diese Annahme ist jedoch durch die Ereignisse der letzten zwei Jahre widerlegt worden. Im Vorlauf zu den Europawahlen 1984 hat sich die Form grüner Politik in den Niederlanden entscheidend verändert. Insbesondere zwei politische Kräfte haben zu dieser Entwicklung beigetragen: Zum einen hatte die historisch gut etablierte niederländische Umweltbewegung unter der konservativen Regierung aus Liberalen und Christdemokraten seit 1981 wesentlich an Einfluß verloren. Dadurch wurden unter Umweltschützern Überlegungen in Gang gesetzt, ob die bestehenden Interessengruppen nicht durch eine explizit parteipolitische Aktivität erfolgreich ergänzt werden könnten.

Die zweite politische Kraft, die auf eine „Ergrünung" niederländischer Politik hinarbeitete, kam von der „kleinen Linken", insbesondere von Teilen der Radikalen Partei. Die PPR war seit dem Ende der siebziger Jahre in eine Krise geraten und sah ihren politischen Einfluß sinken. Der Erfolg der deutschen Grünen bot der PPR nun ein alternatives Modell für eine politische Neuformierung als grün-rote Kraft an.

Diese beiden Szenarien gewannen weitere Attraktivität mit dem Ergebnis einer Meinungsumfrage von 1983; 12% der Befragten gaben an, eine grüne Partei wählen zu wollen. Die beiden Gruppen, Teile der PPR und parteipolitisch nicht gebundene Umweltschützer, fanden sich 1983 zur Groen Platform (Grüne Plattform) zusammen, um die Möglichkeiten der Formierung einer grünen Partei im Hinblick auf die Europawahlen 1984 zu diskutieren.

Dieser Schritt stand am Anfang einer Reihe verwickelter politischer Manöver, an deren Ende sich schließlich zwei grüne Formationen gebildet hatten: Auf der einen Seite gab es die Groen-ProgressiefAkkord (Grün-Progressive Allianz [GPA]), die von der PPR, PSP, der Kommunistischen Partei CPN und einer nur auf dem Papier bestehenden grünen Partei der Niederlande Groene Partij Nederland (GPN), die von PPR Mitgliedern zur Vorbeugung registriert worden war, bestand. Während zumindest Teile der PPR die GPA als ersten Schritt zu einem grün-roten Bündnis von größerer politischer Permanenz verstanden, waren PSP und CPN der GPA vor allem aus taktischen Gründen beigetreten: Da die Niederlande nur 25 Abgeordnete ins Europaparlament senden können, sind mindestens 4% für ein Mandat erforderlich. Keine Partei der „Kleinen Linken" konnte erwarten, alleine einen solchen Stimmenanteil zu erreichen. PSP und CPN erklärten, an einer dauerhaften grün-roten Allianz oder gar Partei nicht interessiert zu sein. Die meisten Umweltschützer, die sich der Grünen Plattform angeschlossen hatten, waren jedoch zu einer Beteiligung an der GPA nicht bereit; vornehmlich deshalb, weil die CPN daran beteiligt war und es sich um eine zeitlich begrenzte Allianz handelte, deren Zweck sie vornehmlich darin sahen, daß sich die „Kleine Linke“ ein „grünes Mäntelchen" zur Förderung ihrer Wahlchancen umhing. Zusammen mit anderen Umwelt-gruppen gründete dieser Kreis nun eine eigene Partei: De Groenen (Die Grünen) -

Die GPA erreichte 5, 6% der Stimmen und zog mit zwei Abgeordneten ins Europaparlament ein, konnte jedoch das kombinierte Ergebnis von CPN, PPR, und PSP von 1979 (5, 1%) nur knapp übertreffen; Die Grüben kamen auf 1, 3%

Während Die Grünen wahrscheinlich als Partei weiterbestehen und an den nationalen Parlamentswahlen von 1986 teilnehmen werden (das Europawahlergebnis könnte ihnen ein bis zwei Sitze einbringen), ist die Zukunft der GPA unsicherer. Die PSP und CPN (sowie auch Teile der PPR) sind weiterhin nicht daran interessiert, die „Kleine Linke" in einer grünen Partei aufgehen zu lassen. Da im niederländischen Verhältniswahlrecht schon 0, 67% der Stimmen für ein Mandat ausreichen, wäre ein Zusammenschluß vor den Wahlen nur dann attraktiv, wenn sie sich davon eine weit höhere Prozentzahl versprechen könnten. Mit der Konkurrenz der Grünen für das Image der grünen Partei und des Fehlens von Bonus-Stimmen bei den Europa-wahlen mag die Option einer vereinigten grün-roten Partei im Moment nicht attraktiv genug erscheinen. 3. Dänemark In Dänemark ist im Oktober 1983 die Partei De Gronne (Die Grünen) entstanden, die sich . dabei „nach eigenen Angaben ... am Vorbild der deutschen Umweltparteien", insbesondere den Grünen, orientiert Kernenergie-, Umwelt-und Friedensthemen waren zwar vorher schon von den Linkssozialisten und den Radikalen Liberalen abgedeckt worden, jedoch konnte dies — ähnlich wie in den Niederlanden (und Italien) — die Bildung einer eigenen 'grünen Partei nicht verhindern.

Während Dänemark ein Verhältniswahlrecht mit einer Zwei-Prozent-Hürde hat und damit es neuen Parteien scheinbar leicht gemacht wird, sich zu etablieren, gibt es jedoch ein anderes, wichtiges Hindernis: Um überhaupt zu den Wahlen zugelassen zu werden, muß jede neue Partei die Unterstützung von nicht weniger als 1/175 der gesamten Wählerschaft für ihre Kandidatur einholen zur Zeit sind das etwa 20 000 Unterschriften. Den Grünen war es so nicht möglich, an den Parlamentswahlen von 1983 teilzunehmen. Ende 1984 gelang es ihnen aber, die nötige Zahl der Unterschriften zusammenzubringen, und so werden sie bei den folgenden Parlamentswahlen das Recht haben, Kandidaten aufzustellen. Die Partei hatte Anfang 1985 etwa 500 Mitglieder und nach dem Erfolg der Zulassung zur Wahl scheinen ihre Chancen für den Einzug ins Parlament recht gut zu sein. 4. Italien In Italien hat der Erfolg der deutschen Grünen eine besonders eingehende Diskussion über grüne Politik ausgelöst Traditionell wurde die Radikale Partei (PR) als italienisches Gegenstück grüner Parteien angesehen. Ähnlich wie in den Niederlanden hat sich in Italien dennoch eine unabhängige Bewegung für eine grüne Partei gebildet. Neben der Stimulierung aus dem Ausland war es besonders die Unfähigkeit der PR, die einzelnen verschiedenen Minderheitsgruppen von Umwelt-, Anti-KKW, Friedens-und Frauenbewegungen etc. zu mobilisieren und sich zu ihrem parlamentarischen Vertreter zu machen. Die Politik der PR wurde auch stark von dem wenig effektiven und manchmal skurril wirkenden Verhalten ihres charismatischen Führers Marco Panella geprägt diese Politik hat andere grüne und radikale Parteien im neuen Europaparlament veranlaßt, jede weitere Kooperation mit der PR abzulehnen.

Die ersten grünen Wahlaktivitäten auf lokaler und regionaler Ebene fanden bezeichnenderweise im deutschsprachigen Südtirol statt Dort erreichte die Lista Verde, (Grüne Liste), die aus der Gruppe Nuova Sinistra (Neue Linke) hervorging, bei den Regionalwahlen im November 1983 1, 4% der Stimmen; dies reichte für ein Mandat aus Seit 1983 kam es zur Bildung weiterer grüner Gruppen im gesamten Land. Eine Reihe von Konferenzen zur Diskussion grüner Politik fand zwar statt, jedoch gab es für die Gründung einer nationalen Partei bisher keinen Konsens. Ein Haupt

Problem der Grünen sind die Annäherungsversuche der Radikalen Partei, die, so wird befürchtet, die grüne Bewegung vereinnahmen will. Alle grünen Gruppen auf lokaler Ebene wollen vorerst unabhängig bleiben Der erste größere Test für die italienische grüne Bewegung kam mit den Regional-und Kommunalwahlen im Mai 1985. Die Radikalen verzichteten hier auf jede Kandidatur und forderten zur Unterstützung der grünen Listen auf Die Wahlergebnisse waren relativ enttäuschend: Insgesamt vereinigten die grünen Listen 1 % der Stimmen bei den Kommunal-, 1% bei den Provinz-und 1, 7% bei den Regionalwahlen. Einige Einzelergebnisse bei den Kommunalwahlen in wichtigen Städten (Mailand 2, 6%; Rom 3, 0%; Brescia 3, 3%; Como 3, 4%; Bergamo 3, 4%; Mantova 4, 2%; Cuneo 4, 8%) waren jedoch vielversprechender

Es bleibt abzuwarten, ob sich die grüne Bewegung in Italien stabilisieren kann und insbesondere eine organisatorische Form findet, die den Bedürfnissen der lokalen grünen Gruppen nach Autonomie und der weitverbreiteten Angst vor hierarchischen Organisationsformen gerecht wird und dabei ebenso das Problem des Verhältnisses zur Radikalen Partei löst. 5. Spanien Die spanische Umweltbewegung konnte sich nur langsam nach dem Ende der Franco-Zeit entwickeln. Der Protest gegen die Kernenergie spielt eine große Rolle, wurde jedoch besonders von regionalistischen Kräften (Basken, Katalanen) getragen; große Bedeutung erlangte in den achtziger Jahren die unabhängige Friedensbewegung. Umweltschützer, Kernenergiegegner, Anti-NATO-Gruppen, Feministen, Alternative und versprengte Kräfte der „neuen Linken" sind an einem bislang unübersichtlichen Prozeß der grün-alternativen Listen-und/oder Parteibildung beteiligt.

Verschiedene grüne Gruppen, die die Beteiligung an Wahlen als zukünftige Aktionsform erwägen, wurden seit 1983 auf lokaler und regionaler Ebene gegründet. Eine breite Palette grüner Gruppen traf sich im Juni 1984 in Malaga zur Konferenz der Grünen Spaniens. Die Konferenz war für alle Gruppen offen und repräsentierte eine relativ lose Organisation, die die Diskussion über die Struktur einer zu bildenden grünen Liste oder Partei einleiten und vorantreiben sollte. Bevor eine zweite, für Dezember 1984 anberaumte Konferenz stattfinden konnte, hatten sich jedoch starke interne Konflikte manifestiert. Während ein Teil der Gruppen die Gründung einer Partei ablehnte, ging eine andere Fraktion 1984 mit der Gründung der Partido Politico Espaßol de los Verdes (Spanische Politische Partei der Grünen) voraus. Zu einem Eklat kam es bei dem schließlich im Februar 1985 stattfindenden Folgekongress Die die Parteigründung ablehnenden . Alternativen" protestierten u. a. gegen angeblich undemokratische und autoritäre Methoden in der Vorbereitung des Kongresses. Einigen . Alternativen", die ihre Kritik auf der Tagung vorbringen wollten, wurde mit Hilfe der Polizei die Teilnahme verweigert

Obwohl die Grünen auch als Folge der starken Friedensbewegung, der keine der etablierten Parteien überzeugend eine politische Heimat anbieten kann, potentiell eine wichtige Rolle spielen könnte, stellt die innere Zerrissenheit der Bewegung ein wichtiges Handicap für ihren politischen Durchbruch dar. 6. Portugal In Portugal gibt es eine sogenannte „grüne" Partei, mit der jedoch die Umweltbewegung nichts zu tun haben will. Die Gründung einer Partei Os Verdes (Die Grünen) im Jahre 1981 geht offenbar auf die Initiative der Kommunistischen Partei zurück. Ein auf der von Kommunisten gegründeten und geführten Vereinigten Volksallianz (APU) gewählter Unabhängiger fungiert seitdem als Vertreter der „Grünen“ im Parlament Im übrigen macht auch die kleine Monarchistische Volkspartei (PPM) Versuche, sich als Umweltpartei zu profilieren. Die portugiesische Okologiebewegung ist jedoch an einer grünen Partei bisher nicht interessiert, erwägt aber die Aufstellung eines eigenen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen 7. Sonstige Länder In Westeuropa ist zur Zeit nur noch in Griechenland und in Norwegen keine grüne Liste oder Partei anzutreffen, wenn auch Bestrebungen zu ihrer Bildung in diesen Ländern bestehen.

Die grüne Welle hat sich auch außerhalb Europas ausgebreitet, u. a. nach den USA Kanada und Japan. Die dort gegründeten grünen Gruppen und Parteien sind jedoch zumindest auf nationaler Ebene völlig unbedeutend geblieben. Ein Potential für eine stärkere grüne Partei besteht zur Zeit höchstens in Australien, wo die Nuclear Disarmament Party (Nukleare Abrüstungspartei, NDP) im Dezember 1984 6, 8% der Stimmen erhielt

V. Analyse

In den meisten westlichen Industriestaaten sind inzwischen grüne Parteien anzutreffen, die sich jedoch in ihrer historischen Genese, ideologischen Ausrichtung und politischen Bedeutung teilweise stark unterscheiden. Detaillierte empirische Studien sind notwendig, bevor überzeugende Erklärungen für diese Unterschiede gegeben werden können. Einige für die weitere vergleichende Analyse wichti-gen Punkte sollen nachstehend in Form von Thesen zusammengefaßt werden:

1. Das Entstehen einer „ökologischen Weltanschauung" zu Beginn der siebziger Jahre, die Umweltprobleme als Ausdruck einer globa-len, systemischen Krise der Industriegesellschaft auffaßte, deren katastrophales Ende nur durch radikale soziale und politische Umwälzungen vermieden werden könne, stellt den ersten wichtigen Schritt zur Entstehung von grünen Parteien dar. Während das Aufkommen solcher Ideen mit der Diskussion über die „Grenzen des Wachstums" unmittelbar zur Gründung von neuen Parteien in Neuseeland und Großbritannien beitrug, wären diese ersten Ansätze grüner Parteipolitik ohne die politische Eskalation von konkreten Umweltkonflikten in den siebziger Jahren wahrscheinlich isolierte Randerscheinungen geblieben. Von zentraler Bedeutung ist hier insbesondere der Kernenergiekonflikt, der in vielen Ländern zu starken Protestbewegun% gen führte und entscheidend zur Politisierung von Umweltfragen beitrug. Der konkrete Ablauf des Kernenergiekonfliktes in den einzelnen Ländern ist vielleicht der wichtigste einzelne Faktor für die Entwicklung grüner Parteien.

Seine Funktion als symbolischer Kristallisationspunkt der Politisierung der Umweltbewegung kann jedoch auch von anderen Konflikten ausgefüllt werden.

2. Die erfolgreiche Integration von Umwelt-protesten durch das jeweilige politische System kann die Gründung grüner Parteien verhindern, verzögern oder deren politische Anziehungskraft stark einschränken. Integrationsmechanismen variieren: Sie können entweder durch vornehmlich administrative Maßnahmen im Rahmen des Verhältnisses von Interessengruppen und Regierungsbehörden wahrgenommen oder durch andere politische Parteien, die im System schon etabliert sind, erfüllt werden.

Die USA und Großbritannien können als Beispiele für die erste Version angeführt werden Auf der parteipolitischen Ebene haben neben den meisten sozialistischen/sozialdemokratischen und einigen liberalen Parteien u. a. die Zentrumspartei Schwedens, die Radikale Partei Italiens und die links-sozialistisehen Parteien Dänemarks und der Niederlande ausgeprägte Versuche unternommen, die Umwelt-, Anti-KKW-und Friedensbewegungen zu integrieren

Der Erfolg dieser Integrationsmechanismen ist jedoch abhängig von einer Reihe anderer Faktoren: a) den politischen Stimuli in Form der Stärke und Politisierung von Umweltproblemen sowie anderer politischer Themen, wie z. B.dem der Abrüstung, die von der grünen Protestbewegung aufgegriffen werden;

b) dem politischen Handlungsspielraum, wie . er u. a. durch die Verteilung von Energieressourcen, der geo-strategischen Bedeutung des Landes und den internen Machtverhältnissen gegeben ist.

3. Die Gründung grüner Parteien profitierte in vielen Ländern von der Koalition von Umweltschützern und Kernenergiegegnern mit anderen, politisch schlecht integrierten Rand-gruppen.

In einigen Fällen, wie z. B. in Belgien, kam die Initiative zugunsten grüner Parteien letztlich von Gruppen, deren ursprüngliche Handlungsmotivation nicht im Umwelt-bereich lag.

Ein zentraler Faktor grüner Parteipolitik betrifft die Beteiligung der „Neuen Linken", die in vielen Fällen entweder zu starken internen Auseinandersetzungen oder zu separaten Parteientwicklungen beigetragen hat. In diesem Zusammenhang kann man zwischen zwei Ansätzen grüner Politik unterscheiden: Der „Regenbogen"

-Ansatz sieht grüne Politik als Ausdruck einer breiten Allianz von Ökologie-, Jugend-, Frauen-. und Friedensbewegungen, konzentriert sich besonders auf die Belange bestimmter gesellschaftlicher Minderheiten und schließt die Zusammenarbeit mit anderen radikalen und linkssozialistischen Gruppen und Parteien (insbesondere auf internationaler Ebene) nicht aus. Grüne „Puristen"

konzentrieren sich dagegen enger auf ökologische Fragestellungen und lehnen die Assoziation mit linkssozialistischen Parteien und ihrer Programmatik ab Die Spaltung grüner Politik in Ländern wie der Schweiz, Österreich, den Niederlanden und Spanien kann ein gravierendes politisches Hindernis für den Durchbruch grüner/Parteien darstellen.

4. Letztlich spielt auch noch das Wahlsystem selbst eine wichtige Rolle. Jedoch ist es zu einfach, die Chancen grüner Parteien ausschließlich nach dem Vorhandensein eines Mehrheits-oder Verhältniswahlrechts einzustufen. Die „mageren“ Wahlergebnisse der britischen Ecology Party zum Beispiel könnten mit dem Hinweis auf das Mehrheitswahlrecht erklärt werden. Jedoch hat etwa die Values Party Neuseelands in einem weitgehend identischen Wahlsystem 1975 immerhin 5. 2 % der Stimmen erhalten. Neben dem Wahlsystem müssen deshalb auch noch andere Faktoren, wie z. B. die erfolgreiche Integration potentieller grüner Kräfte mit anderen Mitteln, berücksichtigt werden.

Neben dem System der Stimmenauswertung gibt es weitere wahlrechtliche Aspekte, die in der Gründungsphase eine wichtige Rolle spielen können. Hier sind besonders Hindernisse angesprochen, die überwunden werden müssen, bevor überhaupt eine Liste oder Partei an nationalen Wahlen teilnehmen darf. Trotz eines Verhältniswahlrechts mit einer Zwei-Prozent-Hürde stellt Dänemark z. B. neuen Parteien sehr strikte Bedingungen, bevor sie kandidieren können. Das britische System ist dem genau entgegengesetzt. Hier gibt es keine gesetzlichen Regelungen für Parteien, sondern nur Bedingungen für die Aufstellung einzelner Kandidaten, die sich im wesentlichen auf die Stellung einer Kaution beschränken. Dies hat es einem sehr kleinen Personenkreis 1973 erlaubt, die Partei People zu gründen und, wenn auch in sehr bescheidenem Rahmen, im darauffolgenden Jahr an nationalen Wahlen teilzunehmen.

Die unterschiedlichen Systeme des Verhältniswahlrechts, insbesondere die Höhe der zur Mandatsgewinnung zu überspringenden „Hürden", sind auch von Bedeutung. In der Bundesrepublik mag die Fünf-Prozent-Hürde zum Beispiel dazu beigetragen haben, daß so viele verschiedene Gruppen sich in der Partei Die Grünen zusammengefunden haben und, trotz starker interner Auseinandersetzungen, bisher eine Spaltung vermieden werden konnte. Das Schicksal der ökologisch DemokratischenPartei (ÖDP), die von Herbert Gruhl nach kurzer Mitarbeit bei den Grünen gebildet wurde, aber bisher völlig im Schatten der Grünen gestanden hat, ist ein abschrekkendes Beispiel.

VI. Die Zukunft grüner Parteien

Grüne Parteien werden in den nächsten Jahren auch weiterhin zum politischen Bild Westeuropas gehören. In einigen Ländern jedoch ist grüne Politik entweder eine wahrscheinlich vorübergehende Modeerscheinung oder andere politische Faktoren verhindern, daß ökologische Parteien aus ihrer marginalen Rolle ausbrechen. In Irland und Großbritannien sowie fast allen außereuropäischen westlichen Industriestaaten dürften grüne Parteien in nächster Zeit kaum von sich reden machen, zumindest nicht in Wahlen auf nationaler Ebene.

Grüne Politik befindet sich in Frankreich und Schweden zur Zeit in der Krise. Die schwedische Miljöpartiet hat nun zweimal klar die Vier-Prozent-Hürde verpaßt. Die französischen Grünen sind zu einer sehr kleinen Partei mit schweren finanziellen Problemen geschmolzen. Ein erster Mandatsgewinn in den Parlamentswahlen von 1986 könnte hier jedoch eventuell zu einem erneuten Aufschwung führen. Grüne Parteien in Finnland, Dänemark, den Niederlanden, Luxemburg und der Schweiz sind dagegen entweder schon im Parlament etabliert oder haben gute Chancen, daß dieser Schritt in näherer Zukunft gelingt, wahrscheinlich ohne jedoch direkten Einfluß auf die Regierungsbildung ausüben zu können. Nur eine Koalition einer er-grünten „Kleinen Linken“ mit anderen Klein-parteien und der Arbeiterpartei in den Niederlanden könnte hier eine Ausnahme bilden. Die sich noch in der Formierungsphase befindenden italienischen und spanischen Grünen könnten auch bald zu dieser Gruppe gehören. Größerer Einfluß könnte von den schon gut etablierten belgischen grünen Parteien ausgehen, falls diese ihre stetige Aufwärtsentwicklung weiter fortsetzen könnten. Auch ein Einzug der österreichischen Grünen in den Nationalrat, der besonders im Falle einer Über-windung ihrer Aufspaltung in zwei Parteien wahrscheinlich wäre, könnte eine potentiell größere politische Relevanz haben. Die deutschen Grünen gelten zu Recht als die politisch bedeutendste Kraft und haben vielleicht die größten Chancen, ihre Rolle weiter auszubauen. Die Zukunft grüner Parteien wird sicherlich zu einem großen Teil vom Aufkommen neuer politischer Streitfragen („issues") abhängen, die ihnen eine weitere Profilierung erlauben. Die Überlebenschancen dieser Parteien würden in der Tat steigen, falls sie eine politische Identität (und Stammwählerschaft) unabhängig von in ihrer politischen Aktualität stark flukturierenden Einzelthemen gewinnen könnten. Dies mag in der Bundesrepublik und vielleicht auch schon in Belgien bereits erreicht sein.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die UTG begründete eine bis heute anhaltende Tradition ökologischer Kandidaten auf Tasmanien, die sich aber nicht auf das australische Festland ausbreitete. Für Angaben über die Geschichte der UTG bin ich Dr. B. W. Davis, Department of Political Science, University of Tasmania, verbunden.

  2. F. Nullmeier/H. Schultz, Politische Strategien der Okologiebewegung in Frankreich, in: F. Null-meier u. a„ Umweltbewegungen und Parteiensystem: Umweltgruppen und Umweltparteien in Frankreich und Schweden, Berlin 1983, S. 15; F. Rubart, Schweden: Die . grüne'Zentrumspartei und die neue(n) Umweltpartei(en), in: F. Nullmeier u. a. S. 99— 104.

  3. E. Goldsmith u. a., Blueprint for Survival, Harmondsworth 1972, deutsche Übersetzung: Planspiel zum überleben: Ein Aktionsprogramm, Stuttgart

  4. Die Darstellung grüner Politik in Großbritannien beruht auf einer detaillierten Fallstudie, der eine Vielzahl von Interviews und Archivarbeiten zugrunde liegen. Erste Ergebnisse werden veröffentlicht in: W. Rüdig/P. Lowe, The withered greening of British politics: A study of the Ecology Party, in: Political Studies 34, (1986), im Druck; auch W. Rüdig, Die britischen Grünen in der Krise, in: Die Tageszeitung vom 19. November 1981; W. Rüdig, Ecology Party: In the wings, in: New Statesman vom 5. August 1983.

  5. F. Nullmeier/H. Schultz (Anm. 2).

  6. T. Chafer, The anti-nuclear movement and the rise of political ecology, in: P. G. Cerny (Eds.), Social Movements and Protest in France, London 1982, S. 202— 220; T. Chafer, The Greens and the municipal elections, in: Newsletter for the Study of Modern & Contemporary France, (1983) 14, S. 11— 16; T. Chafer, The Greens in France: An emerging social movement, in: Journal of Area Studies, (1984) 10, S. 36— 43; Die Tageszeitung vom 9. Februar 1984.

  7. W. Rüdig, The Dutch and French Greens in the European Elections 1984: Case studies in experimental politics. Paper presented at the U. K. Political Studies Association Conference, Manchester April 1985.

  8. Y. Cochet, Perspectives Economique et Politique du Mouvement Ecologique en Europe (Vortrag), Paris, Ecole Normale Superieure, Juni 1985; S. Parkin, International Liaison Secretary Report, Ecology Party, London, May 1985 (mimeo).

  9. L. Klotsch/R. Stöss, Die Grünen, in: R. Stöss (Hrsg.), Parteien-Handbuch: Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945— 1980, Bd. 2, Opladen 1984, S. 1509— 1598.

  10. W. Rüdig, The greening of Germany, in: The Ecologist, 13 (1983) 1, S. 35— 39.

  11. M. Sieber/H. Werner, Environmental politics in Switzerland. Paper presented at the Joint Session of the European Consortium for Political Research, Lancaster April 1981.

  12. Neue Zürcher Zeitung vom 15. Oktober 1978.

  13. H. Lohneis, The Swiss elections of 1983: A glacier on the move, in: West European Politics, 7 (1984), S. 117— 119.

  14. Süddeutsche Zeitung vom l. Juni 1983; W. Bär, Schweiz: Stabilität ist Trumpf, in: Die Tageszeitung vom 22. Oktober 1983.

  15. European Journal of Political Research, 12 (1984), S. 341.

  16. F. Rubart (Anm. 2); E. Vedung, The environmentalist party and the Swedish five-party syndrome, in: K. Lawson and P. M. Merkl (Eds.), When Parties Fail: Emerging Alternative Organizations, Princeton, N. J. (im Erseh.).

  17. Die Tageszeitung vom 17. September 1985.

  18. P. Stouthuysen, De politieke identiteit van de Vlaamse Groene Partij AGALEV, in: Res Publica, 25 (1983), S. 349— 375.

  19. P. Stouthuysen, De Politieke Identiteit van den Ekologische Beweging: Een verkennend en beschrijvend onderzoek naar het verschijnsel groene partijen, Licentiaat, Vrije Universität Brüssel 1981, S. 220— 223; J. Fitzmaurice, The Politics of Belgium: Crisis and Compromise in a Plural Society, London 1983, S. 182— 183; J. Timmermans, Une autre manire de faire de la politique ...?, Mmoire de license en Information et Arts de Diffusion, Facult de Philosophie et Lettres, Universit de Liege, Anne Acadömique 1982— 83; F. Roelants/J. -L. Roland, La perce cologiste: Feu de paille ou lame de fond? Reflöxions ä partir du cas de la Belgique, Papier vorgelegt bei der Konferenz Perspectives Economiques et Politique du Mouvement Ecologique en Europe, Paris, Ecole Nationale Superieure, Juni 1985.

  20. J. Beaufays u. a., Les elections communales a Liege: cartels, Polarisation, et les cologistes au pouvoir, in: Res Publica, 25 (1983), S. 391— 415.

  21. T. Järvikovski, Alternative movements in Finland: The case of Koijärvi, in: Acta Sociologica, 24 (1981), S. 313— 320.

  22. V. Komsi, The Green Movement in Finland, Helsinki, Vihreä eduskuntaryhmä vom 21. Januar 1984 (mimeo); K. Wilska, The Greens in Finnish politics: A short background, in: Vihreä Lanka, (1983) 2. Ich bin außerdem Dr. Timo Järvikovski vom Institut für Soziologie an der Universität Turku für weitere Informationen und Kommentare zu grüner Politik in Finnland dankbar

  23. Laut Der Spiegel, (1983) 3, S. 116— 117, existierten zeitweilig 36 verschiedene „grüne“ Parteien in Österreich.

  24. F. Plasser/P. A Ulram, Wahlkampf und Wahl-entscheidung 1983: Die Analyse einer . kritischen'Wahl, in: österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 12 (1983), S. 227— 292.

  25. H. Dachs, Eine Renaissance des . unmündigen’ Bürgers? über den Aufstieg der Salzburger Bürger-liste, in: österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft, 12 (1983), S. 311— 330.

  26. Die Tageszeitung vom 23. Oktober 1984; Financial Times vom 24. Oktober 1984 und vom 10. Januar 1985.

  27. C. Feddes, Irish Greens: A straighter record, in: Green Line, (Februar 1984) 1, S. 19; Die Grünen in Europa — Irland, in: Grüner Basis-Dienst (1984) 4, S. 42— 43; Interview mit Christopher Feddes von der Green Alliance im März 1984; Informationsmaterial der Green Alliance; Wahlergebnisse nach The Irish Times vom 27. November 1982 und Angaben der Irischen Botschaft, London.

  28. F. Müller-Rommel, . Parteien neuen Typs'in Westeuropa: Eine vergleichende Analyse, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 13 (1982), S. 373.

  29. Tageblatt (Zeitung fir Letzebuerg) vom 18. Juni 1984. Bei den gleichzeitig stattfindenden Europa-wahlen, die nafh einem anderen System ausgezählt wurden, erhielt die Grüne Alternative 6, 1% der Stimmen; Schriftliche Mitteilung von Gilbertz An-dr vom Juli 1984.

  30. F. Müller-Rommel, Ecology parties in Western Europa, in: West European Politics, (1982) 5, S. 68. 74; L. Mez und F. J. Speckmann, Umweltparteien in den Niederlanden, vorgelegt als Papier beim Arbeitskreis Parteien, Wahlen, Parlamente der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft im April 1981 in Berlin.

  31. Die GPA und De Groenen führten einen ausgedehnten und leidenschaftlichen Wahlkampf gegeneinander für das Recht, alleine als die grüne Partei angesehen zu werden. Nach ausgedehnten Rechtsstreitigkeiten durften beide Gruppen schließlich nicht unter ihrem gewählten Namen antreten: Die GPA mußte unter den Namen ihrer Mitgliederparteien antreten, d. h. als CPN, GPN, PPR, PSP. De Groenen hatten sich als Reserve auch noch den Namen De Europese Groenen (Die Europäischen Grünen) registrieren lassen und durften darunter kandidieren.

  32. Eine ausführlichere Darstellung der niederländischen Vorgänge wird in W. Rüdig, The Dutch

  33. Die Tageszeitung vom 20. Oktober 1983.

  34. L. N. Johansen, Denmark, in: G. Hand u. a., European Electoral Systems Handbook, London 1979,

  35. Schriftliche Mitteilung von Anne und Ole Jorgensen vom Januar 1985.

  36. Siehe z. B. Un partito/movimento „verde" anche in Italia?, Dossier des Kongresses der Nuova Sinistra, Trento 18/19. Dezember 1982.

  37. Zur Rolle von Pannella vgl. A Langer, Warum es in Italien keine grüne, wohl aber eine Radikale Partei gibt, in: Freibeuter, 15 (1983), S. 82— 92.

  38. La Repubblica vom 22. November 1983.

  39. Die Tageszeitung vom 8. Dezember 1984 und 10. Dezember 1984; A Langer, Italiens grüne Tupfer mehren sich, in: Grüner Basis-Dienst, (1985) 2, S. 35— 36; schriftliche Mitteilung von Sandro Boato vom Februar 1984 und Januar 1985.

  40. Die Tageszeitung vom 6. November 1984.

  41. L'Unita vom 19. Mai 1985.

  42. Interviews mit Juan Jos Merino Carillo, Conferencia de los Verdes de Estado Espafiol, Lüttich und Malaga im März und Mai 1984.

  43. Für eine Darstellung der Vorgänge aus der Sicht der . Alternativen", s. Grüner Basis-Dienst, (1985) 2, S. 36— 37.

  44. A. Eloy, Wir stellen keine Bedingungen, in: Die Tageszeitung vom 28. April 1984; J. -M. Pierlot, Portugal — une Geologie en recherche, in: L'Ecologiste, (November 1983) 47, S. 41— 43; schriftliche Mitteilung von Antonio Eloy, Lissabon, vom März 1984.

  45. Interview mit Michalis Trempoulos, Thessaloniki Ecology Group, Lüttich im März 1984; schriftliche Mitteilung von Karl G. Hoyer vom März 1985 und von Erna Denborough und Jenny Cotterell vom Februar 1985.

  46. S. W. Rüdig/P. Lowe, The withered greening’ of British politics (Anm. 4); vgl. auch H. Kitschelt, New social movements in West Germany and the United States, in: Political Power and Social Theory, 5 (1985) (im Druck).

  47. Einige dieser Parteien waren auch sehr erfolgreich in ihren Integrationsbemühungen, wie Mül

  48. Dieser Konflikt hat sich auch auf internationaler Ebene manifestiert im Vorlauf zu den Europa-wahlen 1984; s. W. Rüdig, The Greens in Europe: Ecological parties and the European elections of 1984, in: Parliamentary Affairs, 38 (1985), S. 70— 71.

  49. F. Müller-Rommel, DIE GRÜNEN im Lichte von neuesten Ergebnissen der Wahlforschung, in: T. Kluge (Hrsg.), Grüne Politik: Eine Standortbestimmung, Frankfurt/M. 1984, S. 125— 141.

Weitere Inhalte

Wolfgang Rüdig, geb. 1956, Diplom-Politologe; Studium der Politologie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn, der Freien Universität Berlin und der London School of Economics and Political Science; Doktorand am Department of Science and Technology Policy, University of Manchester, England. Veröffentlichungen u. a.: (mit L. Mez und B. Ollrogge) Energiediskussion in Europa, Villingen 19813, Bürgerinitiativen im Umweltschutz: Eine Bestandsaufnahme empirischer Befunde, in: V. Hauff (Hrsg.), Bürgerinitiativen in der Gesellschaft, Villingen 1980; The Greens in Europe: Ecological parties and the European Elections of 1984, in: Parliamentary Affairs, 38 (1985); (mit P. D. Lowe) Environmental groups in Britain, in: P. Knoepfel/N. Watts (Eds.), Environmental Policy and Politics, London (im Druck); A comparison of antinuclear movements in the United States, Britain, France, and West Germany, in: R. Williams/S. Mills (Eds.), Public Acceptance of New Technology, London 1986 (im Druck).