„Nur durch die volle Entwicklung der Warenwirtschaft wird die Wirtschaft wirklich belebt, werden die verschiedenen Betriebe veranlaßt, ihre Effizienz zu erhöhen...
Der Preis ist das wirksamste Regulativ. Vernünftige Preise sind eine wichtige Bedingung für eine belebte, doch geordnete Volkswirtschaft, und der Ausgang der Reform desganzen Wirtschaftssystems hängt von der Reform des Preissystems ab.“
(Aus dem Beschluß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas über die Reform des Wirtschaftssystems vom 20. Oktober 1984)
I. Ringen um ein Reformkonzept in der Nach-Mao-Ära
Nach dem Tode Mao Zedongs sah sich die neue chinesische Führung vor die Aufgabe gestellt, die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse baldmöglichst zu konsolidieren, um auf einer tragfähigen Grundlage das Vermächtnis Zhou Enlais einzulösen, — also die umfassende Modernisierung von Landwirtschaft, Industrie, nationaler Verteidigung sowie von Wissenschaft und Technik in Gang zu setzen und mit Nachdruck voranzutreiben. Parteidisziplin und Einheit schienen nun wichtiger zu sein als permanenter Klassenkampf und ziellose, unentwegte Revolutionierung. Nachdem die Glorifizierung der „Großen Unordnung" seit Mitte der sechziger Jahre wenig eingebracht hatte, galt nunmehr die „Große Ordnung" als Maxime entwicklungspolitischen Handelns. Damit war grundsätzlich eine Abkehr von der kulturrevolutionären „Demokratie der Massen" verbunden. Offiziell wurde erklärt, China werde dem Anarchismus keinen Raum mehr bieten, Rebellion sei nicht mehr erlaubt
Zwar wurde betont, daß neben der Initiative der Zentrale auch die der lokalen Ebenen ins Spiel gebracht werden müsse, gleichwohl aber kritisierte man die „Viererbande", u. a. auch deshalb, weil sie den Unternehmen die Freiheit der Produktion, des Austausches und der Investitionen gewährt habe, wodurch die Planwirtschaft zerstört worden sei
Zahlreiche nationale und lokale Wirtschaftskonferenzen sollten insbesondere dazu dienen, eine stärkere Bindung der einzelnen Ebenen an die Zentrale vorzubereiten und die Planabstimmung zu erleichtern. Im Oktober 1977 kündigte der Vorsitzende der Staatlichen Planungskommission, Yü Chiu-Li, an, daß die Pläne in Zukunft umfassender sein würden und die Verpflichtung bestehe, sie strikt einzuhalten
Diese Straffung des zentralen Lenkungssystems war indessen nicht dazu angetan, Chinas Wirtschaft die Bürde eines viel zu geringen wie unstetigen landwirtschaftlichen Wachstums, einer umfangreichen Unterbeschäftigung, eines veralteten Produktionsapparates, einer technologischen Rückständigkeit und eines völlig unzureichenden Reservoirs an Fachleuten endlich abzunehmen. Das ganze System erwies sich zunehmend als ineffizient und institutionell erstarrt sowie durch zahlreiche Ungleichgewichte und Engpässe in seiner Wirkungsweise schwer behindert. Es war demnach außerstande, in absehbarer Zeit eine ins Gewicht fallende Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung herbeizuführen
Demzufolge sollten nicht nur die strukturellen Schwächen und Ungleichgewichte beseitigt, sondern darüber hinaus auch die Reform des ganzen Systems ins Auge gefaßt werden. Eine solche Reform war durch wagemutige Parteiführer in einzelnen Provinzen, z. B. in Sichuan durch den damaligen ersten Provinz-Parteisekretär und derzeitigen Ministerpräsidenten Zhao Ziyang, bereits im „Modellversuch" faktisch eingeleitet worden.
Das auf einer Arbeitstagung des Zentralkomitees im April 1979 beschlossene Reformprogramm zur Umgestaltung der Wirtschaft sah ordnungspolitisch mit Vorrang eine Verbreiterung der Entscheidungsbefugnisse und der Selbstverantwortung auf den unteren Ebenen vor. Betriebe sollten nicht mehr dazu verurteilt sein, nur vorgegebene Produktionspläne zu erfüllen, unabhängig davon, ob diese mit Sachverstand aufgestellt waren und den örtlichen Gegebenheiten Rechnung trugen. Mit dem „Essen aus einem Napf”, bei dem sich niemand um Kosten, Gewinne und Verluste sowie um Qualität und Qualitätsverbesserungen kümmerte, sollte in den Betrieben Schluß gemacht werden. Marktkräfte und materielle Anreizsysteme sollten zur Geltung kommen und an die Stelle bürokratischen Ermessens ökonomische Gesetze treten. Der Staat hatte sich indessen verstärkt der indirekten Lenkung mittels Preis-, Kredit-und Steuerpolitik zuzuwenden.
Am 11. September 1980 konkretisierte Ministerpräsident Zhao Ziyang durch eine programmatische Erklärung wesentliche Zielsetzungen des Reformprogramms: „Wir sollten energisch die Entscheidungskompetenz der Betriebe stärken ... und das Wirtschaftssystem Schritt für Schritt umstrukturieren, indem wir die Lenkung der Wirtschaft durch Planung mit der Lenkung durch den Markt kombinieren." „Der Staat", so hieß es an anderer Stelle, „will sich nicht länger direkt einmischen."
In China sollte der Übergang zu einer starke Marktelemente nutzenden sozialistischen Wirtschaft vollzogen werden. Zum sozialistischen Plan sollte der sozialistische Markt treten. Um die Jahreswende 1980/81 geriet dann die Reformpolitik ins Stocken. In ihrem Leitartikel zum Neujahr 1981 verwies die Pekinger Volkszeitung (Renmin Ribao) auf die übermäßige Ausgabe von Zahlungsmitteln, auf das gewaltige Haushaltsdefizit und den anhaltenden Preisanstieg. Offenbar fehlten zu dieser Zeit angemessene institutioneile Sicherungen gegen Preistreiberei und ungezügelte Investitionsausweitung. Während der Staat bereits bemüht war, das Investitionsvolumen in Grenzen zu halten oder gar zu verringern, investierten lokale Behörden und Reformbetriebe munter mit eigenen Mitteln oder Bank-krediten — und dies anhand von Preisen und Profiten, die bei noch ausstehenden Preisanpassungen zu Fehlentwicklungen führen mußten. Zahlreiche Preise bewegten sich nun frei, aber ohne Wettbewerb. Betriebsleiter sollten aus freier Entscheidung heraus disponieren, ohne aber über grundlegende Managementkenntnisse zu verfügen. Insbesondere hatte sich die industrielle Reformpolitik bald festgefahren. Sie wurde gedrosselt oder gar zurückgestellt. Aber nach Wiederherstellung stabilerer monetärer Verhältnisse wurde sie mit Mut und Entschlossenheit wieder aufgegriffen und vorangetrieben.
Am 20. Oktober 1984 wurde auf dem 3. Plenum des XII. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas einstimmig der Beschluß über die „Reform des Wirtschaftssystems" gefaßt. Er bezieht sich zur Hauptsache auf die globalen Aspekte der Wirtschaftspolitik sowie auf die Industriewirtschaft Für diese Bereiche sind damit nach einer Phase vielgestaltigen Experimentierens die ordnungspolitischen Weichen für die weitere, absehbare Wirtschafts-und Sozialentwicklung gestellt worden. In der Landwirtschaft waren bereits ab Dezember 1978 im Anschluß an das 3. Plenum des XL Zentralkomitees tiefgreifende Reformen eingeleitet und in den nachfolgenden Jahren auch in weitem Umfange verwirklicht worden.
Versucht man, das umfangreiche Beschlußdokument vom 20. Oktober 1984 auf einen kurzen Nenner zu bringen, so verdienen insbesondere folgende Zielvorstellungen aufmerksame Beachtung:
1. Es wird prinzipiell eine klare, eindeutige Funktionsteilung zwischen staatlicher Verwaltung und betrieblicher Leitung angestrebt. 2. Im Rahmen des sogenannten Verantwortungssystems der Industrie wird dem Betriebsleiter eine starke Stellung eingeräumt. Die Betriebe sollen nicht mehr wie Marionetten an den Steuerungsfäden der zentralen Planung zappeln, sondern mit eigenen Entscheidungsbefugnissen ausgestattet werden.
3. Investitionen sollen durch Kredite finanziert werden. Mit der tilgungsfreien Finanzierung des Anlagevermögens und großer Teile des Umlaufvermögens aus dem Staatshaushalt zum Nulltarif — also zinslos — wird Schluß gemacht.
4. Im Planungssystem der chinesischen Wirtschaft nimmt neben der direkten Befehlsplanung die indikative Planung einen wichtigen Platz ein. Der Umfang der Befehls-bzw.der Direktplanung soll schrittweise angemessen verringert, die Indikativplanung entsprechend erweitert werden. Das Schwergewicht der Planungsarbeit wird auf die mittel-und langfristige Projektierung verlagert. Jahres-pläne werden vereinfacht. Möglichst viel soll dem Marktmechanismus überlassen werden. 5. Privatbetriebe werden ausdrücklich neben Staats-und Kollektivbetrieben zugelassen und anerkannt
Durch den Beschluß vom 20. Oktober 1984 sind die chinesischen Reformbestrebungen in ein entscheidendes Stadium getreten. Einzel-maßnahmen zur Umsetzung haben sich inzwischen zu einem sehr komplexen Reformprozeß mit einer Fülle von Folgewirkungen verdichtet die weit über den wirtschaftlichen Bereich hinausgehen. Chinas Reformprogramm ist zu einem Ereignis von historischer Dimension geworden. Greifbare Erfolge haben denn auch nicht lange auf sich warten lassen.
II. Reformmaßnahmen
1. Reformen in der Landwirtschaft Im Anschluß an das bereits erwähnte 3. Plenum des XL Zentralkomitees sind gewaltige Veränderungen in der chinesischen Landwirtschaft in Gang gebracht und in den nachfolgenden Jahren beharrlich durchgesetzt worden. Sie schufen im Rahmen des sogenannten Systems der „Eigenverantwortlichkeit" die Voraussetzungen für das Wiederaufleben von selbständigen Bauernwirtschaften 6).
Die Kollektivwirtschaft wurde eingeschränkt, während dem einzelnen Haushalt, also der bäuerlichen Einzelwirtschaft als „Wirtschaftseinheit", erhebliche Entscheidungsbefugnisse eingeräumt werden, verbunden mit wirksamen Leistungsanreizen, die das Eigeninteresse der Bauern an einer Erhöhung von Produktion und Produktivität zu wecken vermögen. Das Kommunensystem ist praktisch durch ein Kontraktsystem, d. h. ein Pachtsystem, abgelöst worden. Die alten Dörfer leben wieder auf. Grund und Boden bleiben zwar weiterhin Staats-oder Kollektiveigentum, aber einzelnen Familien oder größeren Ein-heiten, bestehend aus zehn bis zwölf Familien, wird Land für einen Zeitraum von mindestens 15 Jahren zur „eigenverantwortlichen" Bewirtschaftung zur Verfügung gestellt 7). Als Entgelt für die Landnutzung unterliegt ein Teil des Ernteertrages der Ablieferungspflicht zu staatlich festgelegten Festpreisen.
Am 1. Januar 1979 wurde die Landwirtschaftssteuer um zwei Punkte auf durchschnittlich 3 bis 5 Prozent ermäßigt, für rückständige bzw. benachteiligte Gebiete wurde sie ganz erlassen. Im gleichen Jahr wurden die staatlichen Ankaufspreise für landwirtschaftliche Produkte wesentlich erhöht Auch veränderte man entsprechend dem agrarpolitischen Reformprogramm die Preisrelationen so, daß Sie in etwa den neuen Bedarfsvorstellungen entsprachen. Waren bisher zur Förderung des Getreideanbaues die Getreidepreise gegenüber anderen Agrarerzeugnissen relativ hoch angesetzt worden, so wurde diese preispolitische Bevorzugung 1979 aufgegeben. Während der staatliche Ankaufspreis für Getreide lediglich um 20 Prozent erhöht worden ist — über den Plan hinaus an den Staat verkauftes Getreide erhält nochmals einen Preisaufschlag von 50 Prozent —, sind die Ankaufspreise für weitere 18 landwirtschaftliche Erzeugnisse und Nebenprodukte, u. a. für Schweinefleisch, Eier, Ölsaaten und Baum-wolle, im Durchschnitt um mindestens 24 Prozent angehoben worden.
Der Ablieferungspflicht unterliegt etwa ein Drittel der gesamten Ernte. Ein Teil der darüber hinaus anfallenden Produktion wird zu jeweils ausgehandelten Preisen an den Staat verkauft. Der verbleibende Rest kann auf freien Agrarmärkten nach marktwirtschaftlichen Prinzipien, also zu Knappheitspreisen, vermarktet werden
Bäuerliche Haushalte können nunmehr auch Eigentumsrechte an Produktionsmitteln wie landwirtschaftlichen Geräten, kleineren Maschinen, Transportmitteln und Zugtieren erwerben. Größere Maschinen, Pumpen usw. bleiben dagegen Eigentum umfassenderer, kollektiver Einheiten wie Brigaden und Genossenschaften. In Abhängigkeit von den jeweils örtlichen Gegebenheiten kann das System der „Eigenverantwortlichkeit“ weitgehend variiert werden. Auch sind inzwischen sogenannte spezi-alisierte Haushalte mit überdurchschnittlich hoher Vermarktungsquote entstanden, die „ihre Produktion auf wenige, für Ablieferung und freie Vermarktung bestimmte Erzeugnisse, insbesondere der Tierhaltung, konzentrieren"
Das Grundprinzip der Reform —-Vertragsabschlüsse über Nutzungsrechte und Bewirtschaftung sowie von Fixierung Leistung und Gegenleistung — wird indessen auch bei flexibler Anpassung an die sehr unterschiedlichen regionalen Verhältnisse nicht angetastet. Seit 1984 können „Verantwortlichkeitsverträge" sogar gegen Entgelt an Dritte übertragen werden
Alle diese aufeinander abgestimmten Reform-maßnahmen haben insgesamt bewirkt, daß erstmals in der chinesischen Landwirtschaft das vorhandene Leistungspotential freigesetzt und entfaltet werden konnte, verbunden mit ganz erheblichen Ertragssteigerungen, der Ausweitung der freien Märkte, der Reduzierung der Spannen zwischen staatlichen und freien Lebensmittelpreisen sowie mit beachtlichen Erhöhungen der bäuerlichen Familieneinkommen usw.
Die Höhe des Einkommens des einzelnen oder der Bauernfamilie hängt grundsätzlich vom Produktionserfolg ab, ist also leistungsbezogen. Nach offizieller Lesart zielt die Reform in den Dörfern darauf ab, „die Blindheit bei der Produktion und die Gleichmacherei bei der Verteilung" zu beseitigen
So blühen und gedeihen die freien Agrarmärkte. Bei den Bauern breitet sich „Wohlstand" aus, zumindest bei denjenigen, die in stadtnahen Gebieten anbauen. Hier überschreitet das bäuerliche Familieneinkommen vielfach das der bisher verhätschelten Industriearbeiter. Ferner hat das System der „Eigenverantwortlichkeit" in den ländlichen Gebieten einen unvorstellbaren Bauboom ausgelöst Massenhaft werden Bauernhäuser, meist zweistöckige Ziegelhäuser, gebaut Nach amtlichen Angaben wurde auf dem Lande von 1982 bis einschließlich 1984 neuer Wohnraum im Umfange von insgesamt 1, 9 Mrd. m 2 errichtet Während die landwirtschaftliche Bruttoproduktion zwischen 1952 und 1979 jahresdurchschnittlich um 3, 2 Prozent gewachsen ist konnten mit Einführung des neuen Agrarsystems in der Landwirtschaft überdurchschnittliche Wachstumsraten erzielt werden, die für die Periode 1979 bis 1983 auf jahres-durchschnittlich ca. 7, 5 Prozent veranschlagt werden. Der Bruttoproduktionswert der landwirtschaftlichen Produktion ist 1981 um 5, 7 Prozent, 1982 um 11, 6 Prozent, 1983 um 9, 5 Prozent und 1984 um
Das bisherige System der vollständigen Gewinnabführung an den Staat wurde durch das Konzept der Gewinnbesteuerung ersetzt Den Betrieben sollte als Anreiz für ökonomisches Handeln ein angemessener Teil des Nettoertrages belassen werde, der für Investitionen, für den Ausbau der Sozialeinrichtungen und für Prämienzahlungen zu verwenden war. Zahlreiche neue Formen einer Gewinn-Besteuerung, zumeist abgestellt auf die individuellen Belange der einzelnen Betriebe, wurden probeweise eingeführt
Wie in der Landwirtschaft waren auch in der Industrie Preisanpassungen entsprechend den gegebenen Kosten-und Knappheitsverhältnissen erforderlich. Bereits im November 1979 wurden die Preise von mehr als 10. 000 ausgewählten Produkten unter Setzung von Ober-und Untergrenzen freigegeben. Diese Zahl hat sich dann in den nachfolgenden Jahren erheblich erhöht, wenn auch weiterhin ein großer Teil der Warenpreise einer festen Preisbindung unterliegt.
Im Mai 1985 wurde von der Staatlichen Wirtschaftskommission offen zugegeben, daß im Preissystem Chinas großes Durcheinander herrsche: „Zahlreiche Warenpreise spiegeln weder ihren Warenwert wider, noch die Beziehung zwischen Angebot und Nachfrage."
Mittlerweile ist man sich darüber klaren, im daß die des Reform Preissystems die allerwichtigste Reformmaßnahme darstellt. Sie schließt ein Aufräumen mit der Subventionspraxis, die 1984 mehr als ein Drittel der gesamten Staatsausgaben in Anspruch genommen hat, ein
Damit aber fällt dem Staat die Aufgabe zu, die Banken angemessen auszustatten, sie also in die Lage zu versetzen, zu möglichst einheitlichen Zinssätzen unter Berücksichtigung der Fristigkeit den Betrieben Kredite zur Verfügung zu stellen. Die Bildung eines einigermaßen marktgerechten Zinses soll längerfristig auch die Voraussetzungen dafür schaffen, Kapital dorthin zu leiten, wo es am dringendsten benötigt wird.
Im Verlaufe der Reformdebatte sind in China die wohlfahrtsfördernden Wirkungen des Wettbewerbs entdeckt worden. Wettbewerb zwischen Institutionen auf zentraler Ebene, Wettbewerb zwischen den Provinzen, zwischen Städten, Kommunen und Betrieben ist ausdrücklich erwünscht. An Stelle der maoistischen Bemühungen, auf lokaler Ebene bis hin zu den Provinzen autarke Wirtschaftseinheiten und -regionen zu schaffen, versucht man heute im Rahmen der Reformpolitik neue Kooperationsformen zu entwickeln, von denen man Integrationswirkungen erwartet Selbstherrliche Staatsbetriebe, die als Selbstversorger auch ihre eigenen Produktionsmittel herstellten, wurden zur arbeitsteiligen Kooperation in der Produktion, bei der Beschaffung und im Vertrieb aufgefordert Insbesondere wurden sie auf die Vorteile verwiesen, die eine spezialisierte Zulieferung gegenüber der umfassenden Eigenproduktion bietet Inzwischen sind zahlreiche Kooperationsabkommen geschlossen worden. Sie beziehen sich auf die Zusammenarbeit von Staatsbetrieben mit Kollektivbetrieben, auf die Zusammenarbeit von Betrieben in unterschiedlichen Provinzen, zwischen Industrie und Landwirtschaft, zwischen Stadt und Land.
Im Rahmen der Reformdebatte ist erneut um eine angemessene Form des Betriebsmanagements und um die Ausgestaltung des Verhältnisses von Management zur Belegschaft gerungen worden. Die Abgrenzung des Verantwortungs-und Kompetenzbereiches der Betriebsleitung wie die Beteiligung der Belegschaft an betrieblichen Entscheidungsprozessen standen wieder zur Debatte.
Die Erweiterung der betrieblichen Selbstverwaltung mußte notwendig an einen großen Teil der Betriebsleiter von insgesamt 400 000. chinesischen Betrieben bisher unbekannte Anforderungen in bezug auf Absatz und Beschaffung, Finanzierung und Investitionen usw. stellen. Die Betriebsleiter traten aus dem Schattendasein der Planerfüller und Administratoren, die lediglich routinemäßig Weisungen von oben zu erfüllen hatten, nunmehr an die frische Luft des selbständigen Disponierens, der Entscheidungs-, Einsatz-, Risiko-und Verantwortungsbereitschaft. Nach einem Erlaß der Regierung werden Manager der Staatsbetriebe nur dann in dieser Funktion weiterbeschäftigt werden können, wenn sie bis Dezember 1985 einen Management-Lehrgang, verbunden mit einem Abschlußexamen, erfolgreich absolviert haben
Am 19. Juli 1981 hat das Zentralkomitee der KPCh gemeinsam mit dem Staatsrat dazu aufgefordert, „Belegschaftskonferenzen" in allen staatlichen Industriebetrieben zu bilden
Während lange Zeit Recht und Juristen als Behinderungen des revolutionären Schwunges verpönt waren, erleben wir nunmehr eine Flut von, Gesetzen, die sich über das Land ergießt. Die chinesische Regierung will das Land nach festen geschriebenen Regeln regieren, Willkür soll beseitigt, die für ein Industriesystem notwendigen stabilen Rechtsverhältnisse sollen geschaffen werden.
Im August 1984 wurden von der amtlichen Statistik siebenhundert landesweit geltende Gesetze und Verordnungen genannt Zwar stammt der größte Teil davon aus den fünfziger Jahren, doch wurden die meisten dieser Gesetze spätestens mit Beginn der Kulturrevolution außer Kraft gesetzt. Nunmehr gelten sie wieder, sofern sie nicht der neuen Verfassung widersprechen. Daneben sind mit Nachdruck ein umfassendes Zivilrecht, Patent-recht, Urheberrecht und ein besonderes Vertragsrecht für den Außenhandel konzipiert worden. Offenbar wurde den Medien die Aufgabe zugewiesen, bei der Ausbreitung eines Rechtsbewußtseins mitzuwirken — durch Kritik an der Kaderwillkür und durch Vermittlung von Gesetzeskenntnissen
Im Industriesektor verzeichnen wir 1981 ein scharfes Absinken der industriellen Wachstumsrate auf 4, 2 Prozent gegenüber 8, 5 und 8, 7 Prozent in den Jahren 1978 und 1979. Diese Einbuße an quantitativem Wachstum war die notwendige Folge einer unumgänglichen Umstrukturierung der chinesischen Wirtschaft Investitionsschwerpunkte wurden in Richtung Landwirtschaft Leichtindustrie, Verkehr und Energieerzeugung verlagert, verbunden mit einer Förderung der Konsumgüterindustrie zu Lasten einer weithin aufgeblähten Schwerindustrie. So schrumpfte 1981 die Produktion der Schwerindustrie um 4, 4 Prozent, während in der Leichtindustrie ein Zuwachs von 14 Prozent zu verzeichnen war
An die Stelle einer einseitigen Betonung des Vertrauens „in die eigene Kraft“ ist mit dem Prinzip der „Öffnung nach außen“ die Anerkennung der Internationalen Arbeitsteilung und der Weltwirtschaftlichen Integration getreten
Ferner hat die Volksrepublik China ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Kreditfi-nanzierung ihrer Außenhandelstransaktionen aufgegeben, wenn auch bisher nur vorsichtig-zögernd von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist. China war in den zurückliegenden Jahren meist darum bemüht, möglichst günstige Kredite bei Internationalen Organisationen, z. B. bei der Weltbank, zu erhalten. Seit 1983 wird indessen verstärkt auch die Kreditaufnahme bei ausländischen Konsortien und Geschäftsbanken gepflegt. 1984 wurden zwei Anleiheemissionen in Tokio und auf dem Euromarkt vorgenommen. Im Mai 1985 wurde zwischen der Bank of China und einem Bankenkonsortium unter Führung der Deutschen Bank der Vertrag über die erste D-Mark-Anleihe der Volksrepublik China in Höhe von 150 Mio. DM unterzeichnet Insgesamt ist 1984 der Zustrom ausländischen Kapitals in die Volksrepublik China um 36 Prozent auf knapp 2, 7 Mrd. US-Dollar angestiegen
Im Rahmen der Offnungspolitik ist von 1980 bis 1984 die chinesische Währungseinheit RMB Yuan mehrfach in kleinen Margen von 1, 4984 auf 1, 9772 Yuan/US-Dollar abgewertet worden. 1984 wurde dann eine kräftige Abwertung auf 2, 32 Yuan/US-Dollar vorgenommen, die schließlich im März 1985 auf 2, 8459 Yuan/US-Dollar ausgeweitet wurde. Auf diese Weise wurde auch die Spanne zwischen amtlichem Kurs und internem Verrechnungskurs beseitigt.
Die Öffnung nach außen soll vor allen Dingen Chinas technologischen Rückstand beseitigen. Neben Anlageimporten werden moderne und modernste Technologien in Form von Know-how, Patenten, Lizenzen usw. eingeführt. Zhao Ziyang hat im Rahmen der bereits angeführten Erklärung darauf verwiesen, daß China im Verlaufe der Politik der Öffnung mit 147 Staaten bzw. Gebieten die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit aufgenommen habe. In besonderem Maße ist man um Auslandsinvestitionen bemüht, die bereits auch ohne chinesische Kapitalbeteiligung, also im Alleineigentum von Ausländern, zugelassen werden. Der Umfang der Kapitaleinfuhren durch private Direktinvestitionen belief sich 1984 auf 1, 3 Mrd. US-Dollar. Auf der anderen Seite haben die Bank of China, die China International Trade and Investment Corporation (CITIC) sowie eine Reihe chinesischer Außenhandelsgesellschaften Ausländsbeteiligungen insbesondere in den USA in Kanada und in Australien erworben, die dem Technologieerwerb, der Rohstoff-und Absatz-sicherung sowie dem verbesserten Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten dienen sollen. Die 117 chinesischen Beteiligungen im Ausland beliefen sich Ende 1984 auf insgesamt 150 Mio. US-Dollar
Am 8. Juli 1979 trat das „Gesetz der Volksrepublik China über Gemeinschaftsunternehmen mit chinesischer und ausländischer Kapitalbeteiligung" (Joint Ventures) in Kraft. Damit ist der gesetzliche Rahmen für Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischen Partnern auf dem Hoheitsgebiet der Volksrepublik China geschaffen worden. Die bisher vorliegenden Joint Venture-Erfahrungen zeigen offenbar, daß beide Seiten — die chinesische wie die ausländische — zwar noch in einem Lernprozeß stecken, der aber in relativ kurzer Zeit seit dem Inkrafttreten des Gesetzes gute Fortschrittegemacht hat Umfang und Formen der Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft des Auslandes sind im Verlaufe der Reformpolitik in einem Maße ausgeweitet worden, wie dies 1979 kaum erwartet werden konnte. Von 1979 bis 1983 sind nach offiziellen Angaben 14, 5 Mrd. US-Dollar nach China importiert und dort genutzt worden, und zwar durch 188 Joint Ventures, 1 047 Kooperationsunternehmen, 998 Kompensationsgeschäfte, 53 Unternehmen ohne chinesische Kapitalbeteiligung, 23 Projekte zur Erschließung von Erdölvorkommen im offshore-Gebiet sowie durch Pachtgeschäfte.
Ebenfalls im Juli 1979 beschloß die chinesische Regierung, in Shenzhen, Zhuhai, Shantou (Provinz Guangdong) sowie in Xiamen (Provinz Fujian) vier Sonderwirtschaftszonen zu errichten. Sie sollen als Versuchszonen für Wirtschaftsreformen sowie als „Schulen zum Erlernen des Wertgesetzes“ insbesondere der Einfuhr von Auslandskapital, fortschrittlicher Technologie und modernen Ausrüstungen dienen sowie zur Heranbildung von qualifizierten Fachkräften beitragen. Hier wird offenbar härter gearbeitet und mehr verdient als im übrigen China. Ausländischen Investoren werden in den Sonderwirtschaftszonen zahlreiche Vergünstigungen gewährt: reduzierte Steuersätze (auf 15 Prozent verminderte Körperschaftsteuer), attraktive Kreditbedingungen, günstige Voraussetzungen für die Land-und Gebäudenutzung, vereinfachte Ein-und Ausreisebedingungen, erleichterter Gewinntransfer usw.
Bis Ende 1983 haben die vier Sonderwirtschaftszonen mit ausländischen Unternehmen über 3 000 Verträge mit einem Investitionsbetrag von insgesamt mehr als 2 Mrd. US-Dollar unterzeichnet 1984 haben auch 14 Hafenstädte den Status der Sonderwirtschaftszonen erhalten. Das bedeutet u. a., daß auch diese Städte in die Lage versetzt werden, in vielfältiger Weise über Projekte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern eigene Entscheidungen zu treffen. Vor kurzem ist auch beschlossen worden, das Yangtse-Delta, das Perl-Fluß-Delta und das Zhangzhou-Quanzhou-Xiamen-Dreieck in Südfujian zu öffnen. Insgesamt werden die bisher geöffneten Gebiete von mehr als 100 Mio. Menschen bewohnt.
Unter entwicklungspolitischen Aspekten wird man sich die Frage vorlegen müssen, ob nicht durch solche regionalen Prioritäten Entwicklungen eingeleitet werden, die zumindest mittel-und langfristig unerwünschte Wirkungen auslösen. Wird nicht durch Sonderwirtschaftszonen, nun auch noch erweitert durch den Sonderstatus der 14 großen Hafenstädte und der erwähnten. Deltas von Jangtse-und Perlfluß, ein regionaler Dualismus entstehen, der im allgemeinen der Gesamtentwicklung nicht förderlich sein kann?
Sonderzonen haben nicht nur die Eigenschaft, unter ganz bestimmten Bedingungen auszustrahlen, sondern auch Ressourcen aus weniger entwickelten Gebieten anzuziehen und damit zu isolierten Enklaven zu werden. An der Diskussion über exportorientierte Sonderzonen, die mittlerweile seit Anfang der siebziger Jahre im Gange ist, haben sich auch internationale Organisationen beteiligt. Insbesondere die UNIDO (United Nations Industrial Development Organization), anfangs ein Hauptverfechter dieses Industrialisierungsinstruments, hat inzwischen auch negative Aspekte berücksichtigt. In ihrer Studie aus dem Jahr 1980 weist sie darauf hin, daß exportorientierte Sonderzonen dort, wo sie am stärksten zur Initiierung von Industriegüterexporten gebraucht werden, also in Ländern mit niedrigem Einkommen und allgemein schwach entwickelter Infrastruktur, krasse Enklaven bleiben, von denen keine positiven Ausbreitungseffekte ausgehen
Diese und weitere Bedenken nimmt die chinesische Regierung in Kauf. Sie kann sich auf den Sachverhalt stützen, daß China in seinen einzelnen Regionen sehr unterschiedlich mit Ressourcen ausgestattet ist. Das Gebot der Stunde besteht darin, sie so zu nutzen, wie sie jeweils anfallen. Gleichmacherei scheint ihr auch in der regionalen Wirtschaftspolitik abwegig zu sein.
Die chinesische Regierung hat verschiedentlich betont, daß ihre Offnungspolitik auf die ganze Welt gerichtet sei; kein Land werde diskriminiert. So ist im Rahmen der Offnungspolitik auch der Außenhandel mit der Sowjetunion verstärkt worden. Bevorzugte Handelspartner sind indessen auch weiterhin die westlichen Industriestaaten. 4. Zulassung privater Wirtschaftstätigkeiten Im Verlaufe des Reformprozesses sind wieder Privatbetriebe zugelassen worden — und dies nicht nur vereinzelt, sondern in erheblichem Umfang. Die im privaten Sektor stark ausgeprägte Entscheidungsbereitschaft, verbunden mit Initiative und Risikofreude, setzt auch für den staatlichen Bereich deutliche Zeichen. In fast allen Städten gibt es bereits wieder zahlreiche privat betriebene Restaurants, Reparaturwerkstätten, Handwerksbetriebe, Einzel-handelsgeschäfte und Transporteinrichtungen. Seit September 1980 sind sogar privat praktizierende Ärzte zugelassen. Auch in China lassen sich viele Patienten lieber privat gegen Honorar behandeln, als im Massenbetrieb der Polyklinik abgefertigt zu werden.
Kenntnisse und Fähigkeiten dürfen also vermarktet werden; die Lust am Geldverdienen wird ermuntert. Die Errichtung von Privatbetrieben wird offiziell nicht nur geduldet, sondern aktiv gefördert Steuerbe- — durch freiungen, Gewährung von Krediten, Bereitstellung von Materialien und Ladenlokalen, Hilfen bei der Wahrnehmung von Management-Aufgaben usw.
Am 29. August 1980 meldete Xinhua, die offizielle chinesische Nachrichtenagentur, daß selbständige Gewerbetreibende nunmehr als Teil der „werktätigen" Bevölkerung angesehen und nicht mehr politisch diskriminiert würden, wie dies in der Vergangenheit der Fall gewesen sei. Ihre Tätigkeit werde von der Gesellschaft respektiert und vom Staat geschätzt. Selbständige Gewerbetreibende hätten die gleichen Aussichten wie die übrigen Werktätigen, einen Regierungsposten zu bekleiden, in die Armee einzutreten oder eine Hochschule zu besuchen. Auch hätten sie weniger Steuern zu zahlen als in der Vergangenheit und erhielten leichteren Zugang zu Bankkrediten. Der Großhandel werde sie schneller mit Waren und Rohstoffen beliefern. Die städtische Privatwirtschaft solle wiederbelebt werden, da die staatseigenen Läden und die Genossenschaften die Bedürfnisse der Bevölkerung bei weitem nicht erfüllten.
Im März 1984 erklärte Hao Haifeng, der Leiter der für die Privatwirtschaft zuständigen Behörde: „Die Geschichte hat uns sehr eindringlich gelehrt, daß eine uniforme Volksrepublik China keinen Wohlstand bringen kann. Erst die Koexistenz von Staatswirtschaft, Kollektivwirtschaft und Privatwirtschaft ermöglicht es dem chinesischen Volke, in relativ kurzer Zeit zu Wohlstand zu kommen."
Unternehmerische Tüchtigkeit steht in China derzeit hoch im Kurs. Verdienten Managern wird der Ehrentitel „Unternehmer" verliehen
Wenn auch das Volkseigentum an den Produktionsmitteln grundsätzlich nicht aufgegeben werden soll, so ist in dieser Hinsicht doch inzwischen manches in Bewegung geraten. Kollektive und private Eigentumsformen werden neben 'dem Volks-und Staatseigentum ausdrücklich anerkannt. Arbeiter haben verschiedentlich die Möglichkeit erhalten, Gesellschaftsanteile des Unternehmens, in dem sie arbeiten, zu erwerben. Das gilt auch für Arbeiter und Angestellte staatlicher Betriebe.
Besonderes Aufsehen erregte die Textilfabrik Nr. 17 in Shanghai, als sie die Gründung zweier Gemeinschaftsunternehmen mit ländlichen Kommunen durch die Ausgabe von Belegschaftsaktien zu finanzieren versuchte. Das Wirtschaftsamt des Kreises Lu-shan in der Provinz Henan gründete eine Aktiengesellschaft, die Bekleidungswerkstätten, Einzelhandelsgeschäfte und Großhandlungen unterhält. Bürokader, Arbeiter und Angestellte sowie Bewohner der Kreisstadt konnten Aktionäre werden. Die Stadt Fu-yang mobilisierte die zur Förderung der Leichtindustrie und des Handwerks erforderlichen Mittel durch Bildung einer Aktiengesellschaft. Die Zeichner der Aktien wurden entweder am Gewinn beteiligt oder ihre Familienangehörigen erhielten einen Arbeitsplatz. Die Stahl-und Holzmöbelfabrik Harbin rief ihre Arbeiter und Angestellten dazu auf, ihre Ersparnisse in Aktien des Betriebes anzulegen. Zur Finanzierung des Baues der längsten chinesischen Bahnstrecke in der Inneren Mongolei sollen Aktien im Wert von 1, 1 Mrd. Yuan ausgegeben werden. In chinesischen Bankkreisen wird bereits von der Wiedereröffnung der 1949 geschlossenen Börse in Shanghai gesprochen
Die Zahl der Privatbetriebe hat sich nach amtlichen Verlautbarungen 1984 gegenüber dem Vorjahr um 57 Prozent auf 9, 3 Mio. Einheiten erhöht, die vorwiegend im Handwerk und im Einzelhandel angesiedelt sind. Insgesamt waren 1984 13 Mio. Personen gegenüber 140 000 im Jahre 1978 im privaten Bereich beschäftigt. Zu Beginn des Reformkurses konnten selbständige Gewerbetreibende außer den Familienangehörigen bis zu zwei Helfer und bis zu fünf Lehrlinge beschäftigen. Inzwischen hat die Regierung festgelegt, daß im allgemeinen bis zu acht Arbeiter beschäftigt werden können. Kollektivbetriebe des privaten Bereichs beschäftigen indessen mitunter mehrere hundert Arbeitnehmer.
III. Behinderungen des Reformprozesses
1. Politisch-ideologische Hemmfaktoren Die Durchsetzung der Reformpolitik und die mit ihr verbundenen Liberalisierungsmaßnahmen sind notwendig mit zahlreichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbunden. Auf der politischen Ebene schaffen die Trennung von staatlicher Wirtschaftsverwaltung und betrieblicher Unternehmensführung, Umbau des erstarrten staatlichen Planungssystems sowie die Gewährung von weitreichenden Rechten an die wirtschaftlichen Sonderzonen und großen Hafenstädte manche Kompetenzprobleme zwischen unterschiedlichen Instanzen. Die um Kompetenz und Existenz ringende Wirtschaftsbürokratie sieht sich in Frage gestellt Chinas Reformbemühungen werden aber nur dann erfolgreich sein können, wenn die politische Macht der Bürokraten, Funktionäre und Kader wesentlich beschnitten wird — und dies in allen Bereichen und auf allen Ebenen
Erhebliche Sorgen muß der Regierung auch der enorme Anstieg der Kriminalität nach der Kulturrevolution und im Verlauf der Liberalisierung bereiten. Ultralinken Restgruppen kommt dies offenbar nicht ganz ungelegen, Verwerflichkeit in um die des sich China ausbreitenden „Kapitalismus" anzuprangern, der nach ultralinker Lesart notwendig krimimelle Handlungen nach sich zieht So werden die Zügel angezogen, vorsichtig und behutsam, um sie zu gegebener Zeit wieder lockern zu können, was in der Zwischenzeit wohl auch geschehen ist. überschwengliche Reaktionen sollen auf diese Weise korrigiert werden, ohne die Grundlagen der Modernisierungs-, Erneuerungs-und Öffnungspolitik anzutasten oder eine radikale Kehrtwendung vorzunehmen. Man sollte also solche Kampagnen nicht überbewerten, sondern sie in das heutige Gesamtbild Chinas einzuordnen versuchen. Jeder Besucher der Volksrepublik China wird sich an Ort und Stelle überzeugen können, welche gewaltigen Wandlungen hier stattgefunden haben: Keine Fahnen, keine Transparente, keine Parolen und Slogans, keine Porträts der Parteiführer, — ausgenommen ein Bild, das einzige Bild Mao Zedongs am Tian-anmen. Offenbar ist sich die chinesische Führung heute darüber im klaren, daß die dringenden Gegenwartsprobleme — Reform, Modernisierung, kräftigesWirtschaftswachstum und Aufrechterhaltung der monetären Stabilität — durch revolutionäres Bewußtsein und das Schwingen roter Fahnen nicht zu lösen sind. 2. Soziale Probleme im Verlaufe des Reformprozesses • Neben den politischen Schwierigkeiten sind im Verlaufe des Reformprozesses eine Reihe ernster sozialer Probleme aufgetreten, die einer angemessenen Lösung bedürfen.
Der Abbau der Subventionswirtschaft und die Entzerrung der Preisrelationen führten zu verteilungspolitischen Problemen, verschärft durch das zunehmend stärker werdende Einkommens-und Versorgungsgefälle von Ost nach West
Die unumgänglichen Rationalisierungsmaßnahmen werden dazu beitragen, bisher verdeckte Unterbeschäftigung in offene Arbeitslosigkeit umzuwandeln. Nach chinesischen Schätzungen sind gegenwärtig in der Industrie annähernd 10 Mio. „überflüssige Arbeitskräfte" beschäftigt In der Landwirtschaft „gibt es etwa 100 Mio. Arbeitskräfte zuviel"
So haben die Reformer ein schweres Erbe übernommen, das aus sozialen und politischen Gründen zum Handeln zwingt. Man hat die Erfahrung machen müssen, daß die Lockerungen im Innern und das notwendige öffnen der Schleusen für freie Meinungsäußerungen nicht nur Kräfte zur Modernisierung, sondern auch zur Zerstörung einer stabilen staatlichen Ordnung freigesetzt haben. Auf der anderen Seite kann die Regierung mit der Unterstützung all jener rechnen, die sich endlich von geistigen und ideologischen Fesseln befreit sehen wollen und zusätzlichen Freiheitsspielraum beanspruchen. Millionen von Chinesen entdecken sich zum ersten Mal als Individuum und als „Neuer Mensch", der mit seinen Einzelleistungen an Stelle des Kollektivs auch hinreichend materielle Anerkennung zu finden sucht 3. Wirtschaftsimmanente Schwierigkeiten Die Reformbemühungen stoßen natürlich besonders im wirtschaftlichen Bereich auf manche Hindernisse. Bei mangelnder Erfahrung mit marktwirtschaftlichen Wirtschaftsprozessen mußte der Versuch, die chinesische Planwirtschaft durch Einbau von Preismechanismen aufzulockern, auf besonders große Schwierigkeiten stoßen. Vielfach fehlt ein brauchbares betriebliches Rechnungswesen, das in der Lage ist, sachgerecht Kosten und Gewinne zu ermitteln.
Besonders schwache Glieder der chinesischen Industriewirtschaft bilden die Schlüsselbereiche Energie und Verkehr. Trotz einer Erhöhung der Primärenergieerzeugung kam es in den letzten Jahren wegen Energiemangel vielfach zu Produktionseinschränkungen. Engpässe im Verkehrswesen behindern die arbeitsteilige Integration von lokalen und regionalen Spezialisierungsmaßnahmen.
Offenbar bestehen gegenwärtig einige schwerwiegende Zielkonflikte: Auf dem XII. Parteitag wurde am 1. September 1982 das Wachstumsziel für den Wirtschaftsaufbau Chinas bis Ende dieses Jahrhunderts festgelegt. Der jährliche Bruttoproduktionswert von Industrie und Landwirtschaft soll in diesen zwei Jahrzehnten vervierfacht werden. Dies bedeutet ein jahresdurchschnittliches globales Wachstum von 7, 2 Prozent.
Ein weiteres, wesentliches Ziel der Reformpolitik bilden die Entzerrung der gesamten Preisstruktur und der Abbau der Subventionswirtschaft, verbunden mit dem Übergang zu realistischen Kosten und Knappheitspreisen.
Das dritte Ziel mit hohem Prioritätsgrad bildet die Aufrechterhaltung der monetären Stabilität, also die Vermeidung von inflationistischen Entwicklungstendenzen. Zhao Ziyang hat nunmehr auf der 3. Tagung des VI. Nationalen Volkskongresses am 27. März 1985 deutlich gemacht, daß im Jahre 1984 eine exzessive wachstumsbedingte Ausweitung des Kreditvolumens die Lohn-Preis-Spirale derartin Bewegung gesetzt hat, daß sie nicht nur die monetäre Stabilität aufzuheben droht, sondern auch erforderliche Preisanpassungen geradezu blockieren muß. Die chinesische Regierung hat daher die gesamte umlaufende Geldmenge einer strengen Kontrolle unterworfen. Darüber hinaus hat sie nicht gezögert, „die Jagd nach einer unangemessenen hohen Wachstumsrate" — wie es offiziell heißt — aufzugeben. Sie folgt damit dem Gebot der Stunde, sichert auf diese Weise die konsequente weitere Durchsetzung des Reformkurses und schafft damit auch eine neue Basis für zukünftiges stetiges Wachstum.
IV. Fortsetzung des neuen Kurses?
Angesichts der vielfältigen Schwierigkeiten wird man die chinesische Führung bewundern müssen, daß sie nicht nur ihren Kurs bis heute durchgehalten hat, sondern zielstrebig Schritt für Schritt auch weiterhin den vorgezeichneten Weg gehen will. Die Erfolge sind ja auch nicht ausgeblieben. Entscheidend wird allerdings sein, daß sie in Besonnenheit den pragmatischen Kurs beharrlich fortsetzt — und dies über die Ära Deng Xiaoping hinaus.
Aber wird man dies ohne weiteres unterstellen können? Ist nicht die Geschichte der Volksrepublik China seit ihrer Gründung im Jahre 1949 schließlich-über lange Zeitstrekken die Geschichte schroffer, unvorhergesehener Kehrtwendungen? Ist demnach nicht in Rechnung zu stellen, daß sich eines Tages wieder einmal die politische Richtung ändert, daß möglicherweise erneut der „Wind von links“ zu wehen droht und einem pragmatisch-vernünftigen Handeln ein Ende setzt?
Allzu häufig wie auch recht einseitig wird bei solchen Überlegungen das Augenmerk auf die Massenhysterie der Kulturrevolution mit all ihren exzessiven Ausschreitungen gelenkt. übersehen wird indessen, daß die chinesischen Kommunisten nicht erst bei der Durchführung der Wirtschaftsreformen, sondern bereits lange vor der Gründung der Volksrepublik China nach Kräften bemüht waren, ihren eigenen Weg zu gehen.
Immer wieder ist auf die vorrangige Bedeutung des chinesischen Alltags gegenüber einem abstrakten Marxismus und blutleeren Dogmatismus verwiesen worden.