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Luftverschmutzung und Luftreinhaltepolitik in Mexiko-Stadt | APuZ 33-34/1985 | bpb.de

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APuZ 33-34/1985 Umweltpolitik in der Dritten Welt. Ansätze und Engpässe Umweltpolitische Entwicklungen in Indonesien Forstwirtschaft in Liberia. Die Störung des ökologischen Gleichgewichts durch die Ausbeutung natürlicher Ressourcen Luftverschmutzung und Luftreinhaltepolitik in Mexiko-Stadt Umweltprobleme in der Dritten Welt. Was kann der Norden tun?

Luftverschmutzung und Luftreinhaltepolitik in Mexiko-Stadt

Vicente Sanchez/Margarita Castillejos

/ 14 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Der Anstieg der Bevölkerung auf 15 Millionen Einwohner, die Konzentration der Industrie und die Geographie des Tales haben in Mexiko-Stadt zu einer enormen Luftbelastung geführt Die Erfassung und Messung dieser Belastungssituation leidet unter unzuverlässigen Geräten. Die mexikanische Regierung hat aber die Bedeutung des Problems seit Ende der siebziger Jahre erkannt und hat umfangreiche Maßnahmenkataloge zur Minderung der Emissionen entwickelt, von denen der Energiepolitik bei den stationären Quellen die größte Bedeutung zugedacht war. Obwohl Erdgasvorkommen vorhanden sind, ist es in Mexiko-Stadt nicht gelungen, durch Umstellung auf diese Energie und Veränderung des Energieverbrauches das Belastungsniveau zu senken; nur der Anstieg der Emissionen konnte gebremst werden. Bei den mobilen Quellen, d. h. vor allem bei den Kraftfahrzeugen, wurde nicht einmal dieser minimale Erfolg erreicht Hier hat der ölboom die Expansion des Automobilbestandes ermöglicht dessen Veralterung angesichts der Wirtschaftskrise den fortgesetzten Anstieg der Emissionen mitverursacht

I. Einleitung

Tabelle 1: Emissionen stationärer Anlagen, Mexiko-Stadt 1972 bis 1976 (1 000 t/Jahr)

Mexiko hat sich in den letzten 50 Jahren vom Agrarland zur Industrienation mit städtischer Lebensweise entwickelt. In den vierziger Jahren hat die zentralistisch betriebene Industrialisierungspolitik der mexikanischen Regierungen ein unerwartet hohes und kaum geplantes Wachstum des im Mexikotal gelegenen Ballungsgebietes verursacht

Im Jahre 1900 beherbergte die mexikanische Hauptstadt eine halbe Million Einwohner. Vierzig Jahre später betrug die Zahl der Einwohner 7 Millionen; aber am Ende der siebziger Jahre hatte sich die Bevölkerung innerhalb einer ähnlich kurzen Zeitspanne verzehnfacht Gegenwärtig leben 15 Millionen Menschen in Mexiko-Stadt Die Stadtfläche beträgt ungefähr 2 500 km 2 (wobei die angrenzenden Gemeinden des Bundesstaates Mexiko bereits eingeschlossen wurden). In diesem Raum konzentrieren sich zur Zeit 20% der mexikanischen Bevölkerung; 44% des Bruttosozialprodukts wird hier produziert, 52, 15 % der Industriegüterproduktion, 54, 7% der Dienstleistungen und 45% des Handels werden hier erbracht 1).

Raum-und Zeitfragen sowie sozioökonomische Aspekte, die ein solches Wachstum •kennzeichnen, haben gegenwärtig neben den unbestreitbar positiven Folgen der Entwicklung auch negative Auswirkungen auf die Bevölkerung. Die rasche und unkontrollierte Landnahme trug zur Verschärfung der Wohnungsnot bei, verstärkte das Bedürfnis nach Infrastruktur und Dienstleistungen, begünstigte die Umweltverschmutzung und schuf einen allgemeinen und ständigen Mangel an Naturvorkommen, Energie und an Finanzmitteln. Diese Stadtentwicklung hat die Umwelt zunehmend belastet und stetig zu einer Verschlechterung der Lebensqualität der Men-sehen, die im Mexikotal und in einigen der angrenzenden Gebiete leben, geführt. Neben den wirtschaftlichen Vorteilen des Großstadt-lebens treten jedoch viele negative Erscheinungen auf, die in der Bevölkerung Besorgnis erregen und die Behörden unter Druck setzen, Lösungen finden zu müssen.

Der hier erörterte Umweltbegriff erfaßt die gesamte Umgebung des Menschen mit den physischen und biologischen Naturstoffen, den künstlich geschaffenen Bestandteilen (Technostrukturen) sowie den sozialen Elementen und ihre Beziehungen zueinander. Dieser Begriff der Umwelt ist allumfassend, da er praktisch die ganze Wirklichkeit des Menschen beinhaltet. Im komplexen Umwelt-system bestehen Sozial-und Naturphänomene, die miteinander in enger bedeutungsvoller Beziehung stehen.

In Interaktion mit der Natur hat der Mensch die Naturphänomene beeinflußt und in deren natürlichen Verlauf eingegriffen. Diese wechselseitige Beziehung hat die Natursysteme verändert, aber der Mensch und die Gesellschaft haben sich ebenfalls anpassend verändern müssen. Phänomene wie die Bebauung der Umwelt (Städte, Infrastruktur, Technologie usw.) sind Grundsteine der in der Interaktion erforderlichen Anpassung; sie erreichten eine künstliche oder vermenschlichte Umwelt, die außer Anpassungsfähigkeit zu verlangen, auch Probleme und Aufgaben stellt.

Im Grunde stellt die gegenwärtige Problematik der mexikanischen Hauptstadt ein Ergebnis der verschiedensten Faktoren dar: Einerseits haben sich die alten, aus der Nutzung der Naturvorkommen und der geographischen Lage ergebenden Probleme verschärft, andererseits sind neue Probleme verschiedener Art entstanden wie z. B. das Bevölkerungswachstum, die Zunahme der Kraftfahrzeuge, das Industriewachstum und die damit zu erklärende Verschmutzung. So ist der Druck auf die Umwelt langsam gestiegen; er hat neue und vielfältige Formen angenom men, zum einen wegen der Bevölkerungszunahme und deren ungleichen Verteilung über das Land, ferner wegen der ungleichen Chancen beim Zugang zu den Naturvorkommen, der Bedingungen des sozioökonomischen Systems im Verhältnis zur Umwelt und der in Mexiko entwickelten Technologie.

Als exemplarisches Beispiel für die vergleichbare Problemsituation auch anderer Ballungszentren nicht nur in Entwicklungsländern wird die Luftverschmutzung in der mexikanischen Hauptstadt in diesem Artikel erläutert.

II. Luftverschmutzung in Mexiko-Stadt

Tabelle 2: Entwicklung und Schätzung des Bestandes an PKW in Mexiko-Stadt

In weniger als vierzig Jahren ist Mexiko-Stadt, die als „das transparenteste Gebiet" hinsichtlich der Luftqualität bekannt war, zu einem der am stärksten verpesteten Orte der Welt geworden; sowohl die Gesundheit der Einwohner als auch die Möglichkeit einer langfristig positiven Entwicklung sind inzwischen ernsthaft bedroht Die frühesten Aufzeichnungen über die Luft-qualität stammen aus dem vergangenen Jahrzehnt 1974 wurde das erste Überwachungsnetz aufgebaut: Es zählte 15 automatische und 14 handbetriebene Anlagen; nur fünf Anlagen verfügen über Geräte, die Kohlenwasserstoff (HC), Ozon (O 3), Stickoxyde (NOX) und Schwefeldioxyd (SO) registrieren, während die übrigen Monitore nur Kohlenstoffmonoxyd (CO) und SO, messen. Dieses Netz war bis 1976 in Betrieb; seitdem werden die Aufzeichnungen ausschließlich aus dem handbetriebenen Netz entnommen. Einige Daten, die das Ergebnis dieser Untersuchung darstellen, werden im folgenden genannt, ebenso die Schätzungen, die damals gemacht wurden 1. Stationäre Quellen Nach diesen Daten gab es innerhalb von fünf Jahren eine Zunahme der SO-Emissionen um 50 % und der NOx-Abgaben um 27 %.

Dieser Trend des Wachstums der Emissionen setzte sich bis 1980 fort und erreichte schätzungsweise eine Gesamtmenge von 370 0001 Schwefeldioxyd und 85 000 t Stickoxyden. Anfang der achtziger Jahre wurden von der mexikanischen Regierung unterschiedliche Szenarien über die wahrscheinliche weitere Entwicklung und die Möglichkeiten der Eindämmung der Emissionsmengen entwickelt Bei der Fortschreibung der industriellen Entwicklung ohne eine Kontrolle der industriellen Emissionen werde für 1985 ein Anstieg der emittierten Mengen Schwefeldioxyd auf 410 000 t erwartet, allerdings unter Berücksichtigung einer teilweisen Umstellung eines der Kraftwerke der Hauptstadt von schwerem Heizöl auf Erdgas. Für die Stickoxyde wurde ein Anstieg um weitere 10 000 t auf 95 000 t pro Jahr erwartet. Geht man davon aus, daß bei der Industrie Emissionsminderungen von 5 % durchführbar sind — bei Stickoxyden im wesentlichen bei den chemischen Betrieben —, dann hätten die Emissionsmengen 1985 400 000 t Schwefeldioxyd und 90 000 t Stickoxyde erreicht. Erst die vollständige Umrüstung aller Kraftwerke auf Erdgas bringt eine spürbare Entlastung auf 280 000 t bei Schwefeldioxyd und 79 000 bei Stickoxyd, d. h., man wäre auf den Stand von 1975 zurückgekehrt. Erst wenn alle Energieverbraucher zu 75 % von schwerem Heizöl auf Erdgas umstellen, wird das Belastungsniveau von 1972 erreicht (ca. 200 000 t Schwefeldioxyd).

Die mexikanische Regierung betrachtet die Energieumstellung der Industrie als die wirksamste Maßnahme, um die Luftverschmutzung, die aus ortsfesten Quellen stammt, zu bekämpfen. Bis heute (1985) wurde aber erst eins von fünf thermischen Kraftwerken umgestellt, so daß von den obigen Szenarien der schlimmste Fall eingetreten ist und lediglich eine leichte Verlangsamung des Anstieges erreicht wurde. 2. Mobile Quellen Es wurde gemessen, daß die Abgase der mobilen Quellen für dieselbe Periode überwiegend von den privaten Kraftfahrzeugen stammen. 1970 machten die öffentlichen Verkehrsmittel nur 4 % aus. Tabelle 2 zeigt den Zuwachs der PKW für die Periode 1972 bis 1976 und die Schätzungen für 1985 und 25 Jahre später unter der Annahme, daß keine weiteren Veränderungen in der Tendenz auftreten.

Nach diesen Daten wuchs die Zahl der PKW um 70 % zwischen 1976 und 1985; aber diese Zahl tendiert eher dazu, mit'der Zeit höher zu werden, so daß in den darauffolgenden 25 Jahren dieselben Schätzungen eine Zunahme um 500 % annehmen.

Die belastenden Abgase, die aus mobilen Quellen stammen, betragen 30 % im Verhältnis zu den Industrieabgasen. Die Hauptemissionen aus den PKWs sind Kohlenmonoxyd (CO), Kohlenwasserstoff (HC) und Stickoxyde (NOX). Der Anstieg der Emissionen dieser Schadstoffe weist bis 1976 Zuwachsraten von 40% zwischen 1972 und 1976 auf, die denen bei den Schadstoffen aus stationären Quellen (Schwefeldioxyd und Stickoxyd) vergleichbar sind. Während der Anstieg bei Schwefeldioxyd sich Ende der siebziger Jahre laufend verringerte, nahmen die Emissionen von Kohlenmonoxyd und Kohlenwasserstoffen mit kontinuierlich hoher Rate zu, die zwischen 1980 und 1984 auf über 30% geschätzt wur, den. Die Planungen der mexikanischen Regierung gingen Anfang 1980 davon aus, daß im günstigsten Fall die Emissionen sich durch verschiedene Minderungsmaßnahmen auf dem Niveau dieses Jahren halten lassen würden. Da diese Maßnahmen nicht durchgeführt werden konnten, blieb der Anstieg erhalten. Im Vergleich hierzu wird die Luftreinhaltepolitik bei Schwefeldioxyd zu einem „Erfolg“. 3. Das Belastungsniveau Außer diesen Verursachern gibt es im Mexikotal natürliche Verseuchungsquellen, deren Ursprünge sich hauptsächlich in einem halb-trockenen erodierten Gebiet im ehemaligen Texcoco-Bassin sowie in den nicht asphaltierten Stadtgegenden und in den Abfallgruben befinden. Diese Art von Verschmutzung entsteht insbesondere während der Trockenzeit. Vor 1976 wurden die Messungen an Staubwirbelwolken und deren Windgeschwindigkeit und -richtung vorgenommen. Ab 1976 wird das Belastungsniveau durch Messungen der Schwebstoffe festgestellt Die aus dem manuellen Netz abgelesenen Werte wurden seit 1980 vervollständigt, deshalb wird die Untersuchung der gegenwärtigen Lage anhand .der ab jenem Jahr vorhandenen Angaben durchgeführt. Die Aufzeichnungen beziehen sich ausschließlich auf die Schadstoffe SO 2 und Schwebstoffe. Andere Schadstoffe wie Q wurden nur sporadisch gemessen; daher ist es schwierig, deren Tendenzen überhaupt festzustellen. Bisher liegen für Schwefeldioxyd monatliche Durchschnittswerte für 13 Meßstationen ohne und für 15 Meßstationen mit einer automatischen Aufzeichnung vor. Ein solches Meßnetz ist für Lateinamerika recht dicht, aber es kann immer nur Punkte der Schadstoffkonzentration in der Luft angeben.

Wertet man diese Daten regional aus, so zeigt sich, daß Belastungsniveau und -art sich je nach Zone beträchtlich unterscheiden. Der Nordwesten und das Stadtzentrum weisen die höchsten SO, -Konzentrationen auf. Diese Tatsache ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß der Nordwesten ein Industriegebiet mit wichtigen Verkehrsadern ist und daß im Stadtzentrum die verschiedenen Windströmungen aller Richtungen Zusammentreffen. Hinzu kommt die Konzentration des Verkehrs im Stadtzentrum. Sporadische Messungen ergaben in dieser Gegend hohe Ozon-(O 3) und HC-Werte im Vergleich mit den festgesetzten Normen vor allem um die Mittagszeit, wenn das Sonnenlicht am stärksten ist Andererseits verzeichnen der Südosten und der Nordosten der Hauptstadt die höchsten Schwebstoffwerte, da hier das ehemalige Texcoco Bassin liegt, das von November bis April bedeutende Wirbelstaubwolken verursacht Anscheinend ist der Südwesten die am wenigsten verschmutzte Gegend, doch dieser Stadtteil ist hauptsächlich eine Wohngegend mit viel Grün.

Die Luftqualität im Süden wurde noch nicht untersucht. Obwohl der Süden gegenwärtig ein niedriges Belastungsniveau aufweist, können die starke Urbanisierung und die hier vorhandene chemische Industrie diese Zone jedoch in Zukunft gefährden.

Im zeitlichen Verlauf eines Jahres fallen die Spitzenwerte in den Wintermonaten auf, die 1982 im belasteten Stadtzentrum mit mehr als 200 ug/m 3 mehr als doppelt so hoch waren als im Sommer. Zum Vergleich sollte man erwähnen, daß in der Bundesrepublik der langfristige Grenzwert bei 140 ugSO, /m 3 liegt. Das SO, -Niveau weist auf eine deutlich zunehmende Tendenz in den ersten drei untersuchten Jahren (1980 bis 1982) hin. So stiegen die Konzentrationen an drei von fünf Meß-Standorten, die 1980 alle noch unter 100 ug/m 3 lagen, 1981 auf Werte über 100 ug/m 3 und erreichten 1982 Werte über 200 ug/m 3. Im Jahr 1983 wurde eine sichtbare Reduzierung der monatlichen Durchschnitte für alle Zonen ermittelt. Eine zufriedenstellende Erklärung dafür gibt es nicht; möglicherweise handelt es sich hier auch nur um eine mangelhafte Unterhaltung der Meßgeräte. Die Zahlungsbilanzkrise von 1982 hat Auswirkungen auch auf die Verwaltung gehabt, da drastisch an Personal, Transportmitteln und Reagentien gespart wurde. Es gibt eine Reihe von Hinweisen darauf, daß diese Sparmaßnahmen den Zustand der Meßgeräte und damit die Messungen beeinflußt haben.

Die Schwebstoffbelastung weist auf eine deutliche Zunahme der Durchschnittswerte in den ersten drei Jahren von 200 ug/m 3 auf 400 ug/m 3 mit darauffolgender Abnahme im Jahre 1983 hin, obwohl sie nicht so auffallend wie im Falle des SO 2 ist. Eindeutige Erklärungen dafür gibt es auch hier nicht, obwohl ein möglicher Einfluß der klimatischen Faktoren nicht auszuschließen ist Im Unterschied zu den SO, -Daten ist die Schwebstoffkonzentration im Stadtzentrum genau so niedrig wie im Südwesten. Die Belastung durch beide Stoffe verschärft sich während der Wintermonate (Oktober bis Februar), wenn die klimatischen Bedingungen Wärmeumschläge begünstigen. Diese Daten wurden vom Amt für Umwelt-verbesserung und vom Ministerium für Stadt-entwicklung und Ökologie (SEDUE) zusammengestellt Beide Institutionen sind Aufsichtsämter, die sich mit der Luftqualität beschäftigen. Außerdem findet man weitere Auskunft in den Fachuntersuchungen, die im Zentrum für Studien zur Atmosphäre (CEA) der Universität Mexiko durchgeführt wurden, sowie in der Abteilung für Umweltwesen der Universität Atzcapotzalco (UAM-A). Die Daten erfassen weitere Verseucher wie Schwer-metalle, Teerstoffe, organische Substanzen usw., deren Ergebnisse nachfolgend behandelt werden., Bewertung der Belastung Die Auswirkungen dieser Verseuchung auf Pflanzen und Tiere sowie auf die menschliche Gesundheit in der Hauptstadt treten phänomenologisch und intuitiv immer klarer hervor. Verschiedene Bevölkerungsumfragen 4) zeigen die Einstellung der Bevölkerung gegenüber dieser Entwicklung. Leider gibt es keine Untersuchungen, die eine wissenschaftliche Analyse des Ausmaßes dieser Erscheinung zulassen würden.

Beim Vergleich der von der US Environmental Protection Agency (EPA) zugelassenen Maximalwerte mit den Werten, die in Mexiko gemessen wurden, sind jedoch einige Schlüsse möglich. Die Normen berücksichtigen sowohl die Wirkungen auf die menschliche Gesundheit als auch die möglichen Wirkungen auf Pflanzen und Tiere und Bauwerke; so kann auch -das Risiko für die Bevölkerung indirekt ermittelt werden.

Die Norm für Schwebstoffe beträgt 260 ug/m 3 im 24-Stundenmittel. Die im Nordosten offi-ziell registrierten Werte überschritten diese Norm um das Vierzigfache in den vier Jahren der Untersuchung und erreichten jeweils Höhen bis 653 ug/m 3 und 684 ug/m 3 im Winter 1980 und 1982. Die von UAM-A durchgeführten Untersuchungen des im Nordwesten gelegenen Atzcapotzalco ergaben für den Winter 1982, daß 85% der täglichen Proben über der von US National Ambient Air Quality tolerierten 24-Stunden-Norm lagen. Nach den Untersuchungsergebnissen lagen diese Werte zwischen 20 % und 30 % höher als die im Januar 1977 an demselben Ort gemessenen Werte. 1983 entsprachen 70 % der angezeigten Werte nicht der Norm. Der Durchschnittswert dieser Messung betrug jeweils 318. 80 ± 46, 71 und 274. 3 ± 63. 30 ug/m 3 für 1982 und 1983.

Die Norm für SO, beträgt 393 ug/m 3. Diese wurde nach den offiziellen Angaben nie überschritten, weil sie sehr hoch gesetzt wurde, und möglicherweise, weil SO 2 sich rasch in schwefelsaures Salz und in Schwefelsäure umwandelt.

Die Bekanntmachung von CEA, nach der es seit drei Jahren sauren Regen gibt, hat bei der Kommission für Entwicklungsplanung des Bundesbezirks ernste Besorgnis erregt Nach Meinung der Ökologen ist der saure Regen schuld an der Beschädigung der wenigen um die Hauptstadt liegenden Nationalparks (Aiusco, Desierto de los Leones, Chapultepec)

und auch an der Beschädigung von Denkmälern wie dem Schloß von Chapultepec. Nach derselben Quelle betrug der 1980 gemessene pH-Wert des Regens 78 und sank im Jahre 1983 auf 5. 14 5).

Untersuchungen über Schwermetallwerte wurden von CEA und von UAM-A durchgeführt. Beide stimmen darin überein, daß die festgesetzten Normen in den von diesen Institutionen untersuchten Zonen für die verschiedenen Schwermetalle oft überschritten werden. Die folgenden Überschreitungen wurden im Winter 1978 festgestellt: In Atzcapotzalco wurde die festgesetzte Norm der ‘Bleibelastung bei den verschiedenen Messungen in 75 % der Fälle überschritten, bei Cadmium in 85 % der Fälle; das Ergebnis der Messungen war zehn mal höher als die Norm (0. 002 ug/m 3): Der Durchschnitt betrug 0. 0192 ug/m 3. Der Standard für Eisen im Schwebstaub wurde in 90 % der Fälle überschritten, der Durchschnitt betrug 3. 8512 ug/m 3 gegen 1. 50 der Norm, d. h. die Konzentration war um mehr als 100 % höher.

Die Zink-Norm von 11. 24 ug/m 3 wurde in 75 % der Fälle mit einem Durchschnitt von 0. 67 ug/m 3 überschritten. Aber mit hohen Werten wie 38. 02 ug/m 3 an einem Januartag wurde auch der höchste Schwebstoffwert während einer thermischen Inversionswetterlage registriert

Diese Daten zeigen zweifellos das hohe Risiko, das die Einwohner von Mexiko-Stadt tragen, obwohl es bisher noch keine epidemiologischen Untersuchungen gibt, die über die Reichweite dieser Lage aufklären würden.

Die vorhandenen amtlichen Statistiken sind leider kaum brauchbar, um die Kausalzusammenhänge zwischen Belastungen und Gesundheitsrisiko feststellen zu können. Nach Untersuchungen, die in anderen Ländern durchgeführt wurden, werden die Atmungsorgane von der Luftverschmutzung am stärksten in Mitleidenschaft gezogen. Auch in Mexiko sind die Atmungsorgankrankheiten die Haupterkrankungs-und Todesursache. Es ist aber schwierig, ohne kontrollierte Untersuchungen zu behaupten, daß Tendenzänderungen erst auf Grund der Luftbelastung aufgetreten seien. Die durch die Verseucher hervorgerufenen akuten Symptome ergeben oft kein klar umrissenes nosologisches Bild, und oft sind sie nicht so gefährlich, daß ein Arzt-besuch erforderlich wäre. Daher werden solche Symptome, wie z. B. die Austrocknung der Schleimhäute, Augenreiz und von photochemischen Oxidantien verursachte Kopfschmerzen in Statistiken nicht erfaßt. Andererseits bringt man kaum die chronischen Auswirkungen mit der Verseuchung in Verbindung. Trotzdem weiß man aus international anerkannten Studien, daß die Tatsache, ständig den Industriesubstanzen ausgesetzt zu sein, bei der Krebserzeugung eine große Rolle spielt. Mexiko macht hier keine Ausnahme. Die Ergebnisse aus anderen Ländern können Forschungsarbeiten zu diesem Thema initiieren; ihre Übertragung auf die konkrete Situation Mexikos ist jedoch nicht leicht nachvollziehbar, wenn die Daten aus den entwikkelten Ländern stammen. Die Unterstützung und Durchführung von Untersuchungen, die genaueren Aufschluß über dieses Problem zulassen, sind unerläßlich. Daran arbeiten die Autoren dieses Beitrages zur Zeit

III. Zur Umweltpolitik

Abbildung 8

Mexiko zählt zu den Entwicklungsländern, in denen die Öffentlichkeit sich der Umweltproblematik bewußt ist und in denen die jeweiligen Regierungen immer intensiver nach Lösungen suchen. Schon 1971 wurde das Untersekretärsamt zur Umweltverbesserung gegründet, das zum Gesundheitsministerium gehörte. Das 1977 gegründete Ministerium für Siedlungswesen beschäftigte sich mit städtischen Umweltproblemen. Auf Beschluß des heutigen Präsidenten entstand kürzlich aus diesen beiden Ämtern und anderen Abteilungen weiterer Ministerien das Ministerium für Stadtentwicklung und Ökologie. Im allgemein nen beobachtet man, daß die mexikanische Gesetzgebung in den letzten zehn Jahren zugunsten des Umweltschutzes geändert worden ist. So stellt man fest, daß die reformierte Gesetzgebung für die öffentlichen Bauten Fragen der Umweltproblematik und deren Untersuchungen berücksichtigt. Die Entwicklungsplanung des Landes, die zum Ressort des Planungs-und Haushaltsministeriums gehört, bezieht die Faktoren der Umweltproblematik mit ein und zielt auf eine Verhinderung der möglichen Probleme.

Trotz der erwähnten Maßnahmen hat sich die Lage der mexikanischen Hauptstadt zunehmend verschlechtert, denn in der Praxis können die gesetzlichen Vorschriften oft nicht eingehalten werden. Die Institutionen selbst sind manchmal nicht in der Lage, ihre Arbeit durchzuführen. Die Gründe liegen nicht in „bösen Absichten“, sondern an der Komplexität der Fragestellung. Außerdem werden alle Anstrengungen durch das rasche Wachstum der Bevölkerung in der Hauptstadt erschwert, dem auch eine insgesamt erfolgreiche Bevölkerungspolitik der mexikanischen Regierungen auf Landesebene keinen Einhalt gebieten kann, da die Stadt immer noch anziehend wirkt und die Landflucht anhält. Mit den Bevölkerungszahlen wächst auch die Zahl der Kraftwagen und somit die Luftverschmutzung. Tausende von alten PKWs entsprechen nicht der Norm zur Erhaltung der Luftqualität, wie dies bei den neuzugelassenen PKWs der Fall ist Sie aus dem Verkehr zu ziehen, ist politisch nicht durchsetzbar, da vor allem die breiten minderbemittelten Schichten betroffen wären.

Mexiko ist ein zentralistisch regiertes Land. In der Hauptstadt werden die meisten Entscheidungen getroffen; sie bietet bessere Bedingungen zur Abwicklung der Geschäfte als Industriestandort und für den Handel. Da hier die Hälfte des Bruttoindustrieprodukts entsteht, fällt es nicht schwer, die Entwicklung zu einer „Teufelsküche" zu verstehen. Bis vor kurzem hat man noch im Mexikotal neue Industrien gegründet, obwohl klar war, daß die meteorologischen Bedingungen die Luftverschmutzung begünstigen mußten.

Der starke Druck auf die Regierungsbehörden führt oft zu kurzfristigen Lösungen der bestehenden Probleme, ohne daß man spätere Auswirkungen auf die Umwelt berücksichtigt Dieser Druck wird verursacht durch:

— die staatliche und die private Industrie, die ihre Anlagen in der Hauptstadt errichten möchte, um ihre Kosten zu reduzieren;

— die Suche nach besseren Arbeitsplatz-und Ausbildungschancen sowie die Hoffnung auf ein besseres Gesundheitssystem. Die Möglichkeiten sind in einer Großstadt stets besser als auf dem Lande;

— die Notwendigkeit, Arbeitsplätze in einer überbevölkerten Stadt zu schaffen, die einen Ausbau der Industrie verlangt;

— den Internationalen Währungsfonds, der eine Wirtschaftspolitik fordert, die die Rückzahlung der Auslandsschulden ermöglicht. Das wachsende Bewußtsein der Bevölkerung gegenüber den Umweltproblemen spiegelt sich insbesondere in den Massenmdien wider, die zwar täglich auf Umweltfragen und -Probleme eingehen, jedoch leider nicht die tragende Mitverantwortung der Bevölkerung ansprechen oder die Möglichkeiten aufzeigen, wie die Probleme zu lösen oder zu besei. tigen wären. Inzwischen sind jedoch Initiativgruppen innerhalb der Bevölkerung entstanden, die die Entstehungsmechanismen der Umweltverschmutzung erkennen.

Es ist zu hoffen, daß diese Gruppen den notwendigen Druck ausüben können, damit die erforderlichen Schritte zum Umweltschutz realisiert werden. Die mexikanischen Parteien nehmen sich mittlerweile ebenfalls dieser Fragen an und reihen sie in ihre Programme ein.

In dieser Arbeit konnten lediglich einige Aspekte der komplexen Umweltprobleme behandelt werden, um zu zeigen, weshalb der Umweltschutz in einem Entwicklungsland wie Mexiko hur so langsam vorankommt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die der ersten drei Angaben stammen aus Sistema Geografico de Informacion del D. D. F., Mexiko 1982.

  2. Für die Angaben über die Periode 1972 — 1976 siehe „Diagnostico de la Calidad Atmosförica del Valle de Mexico“, herausgegeben von der Subsecretaria de Asentamientos Humanos, Direccin General de Ecologia Urbana 1978, und „Situaciön Actual de la Contaminacin Atmosferica en el Area Metropolitana de la Ciudad de Mexico“, herausgegeben von der Secretaria de Salubridad y Assistencia.

  3. Alle Angaben über das handbetriebene Netz wurden den Autoren dieses Artikels von der Subsecretaria de Desarrollo Urbano y Ecologia gegeben, da sie nicht veröffentlicht sind.

  4. Die Umfragen wurden 1979 in verschiedenen Stadtteilen von Beatriz Bialik bei Eltern und Kindern im Schulalter durchgeführt. Noch nicht veröffentlicht.

  5. Die Daten erschienen in der Zeitschrift „Comercio", XXV (1984), S. 17— 22.

  6. Genaueres in den zahlreichen Arbeiten von Humberto Bravo, Centro de Ciencias de la Atmsfera. Die Daten der UAM-A erschienen in der Zeitschrift „Papalotl" der UAM-A Januar—März 1984.

Weitere Inhalte

Vicente Sanchez, Dr. med, geb. 1933; Studium der Medizin und Psychologie; Programmdirektor der World Commission on Environment and Development, Genf; Senior Research Fellow El Colegio de Mexico und Adjunct Professor, University of Texas, Houston, School of Public Health. Veröffentlichungen u. a.: Ecodevelopment: Issues and Possibilities, UED-Costa Rica, 1983, in Spanisch; Glossary on Environment, El Colegio de Mexico, 1982; Energy and Development in Latin America, in: F. Szekely (Ed.), Energy Alternatives in Latin America, Dublin 1983; Technologie adequate pour eco-developpement, in: Nouvelles de leco-developpement, 7, 1978. Margarita Castillejos, Dr. med., Master Public Health; Studium an der University of London; Assistant Professor of Public Health; Universita Autonoma Metropolitana de Mexico und Forschungsmitarbeiterin am Colegio de Mexico. Veröffentlichungen u. a.: Study on Mutagenicity and Carcinogenicity in Mexico City due to Pollution, Journal of Public Health, 1982, Mexiko.