I. Politische Trends
Der Abbau gemeinwirtschaftlicher Aufgaben, wie er sich im Zusammenhang der Struktur-wandlungen öffentlicher Unternehmen über einen langen Zeitraum hinweg entwickelte « trifft seit Mitte der siebziger Jahre auf einen kurz-bzw. mittelfristigen Trend der intensivierten Entstaatlichungsstrategien verschiedener gesellschaftlicher Gruppierungen. Unter dem Motto „Weniger Staat, mehr private Verantwortung" wird in vielen Bereichen nicht nur versucht, öffentliche Leistungen an private Träger zu delegieren, sondern vor allem ihre Finanzierung zu privatisieren oder sie ersatzlos wegfallen zu lassen
Privatisierung öffentlicher Unternehmen ist somit nur eine Facette des Gesamtbildes von Entstaatlichung als übergeordnetem Ziel, das primär den Abbau der Leistungsverwaltung aber unter den Stichwörtern Verwaltungsvereinfachung, Gesetzesreduzierung usw. auch die Verringerung der staatlichen Eingriffsverwaltung beinhaltet.
Im Feld der direkten wirtschaftlichen Tätigkeit öffentlicher Körperschaften sind solche Intentionen besonders populär, kultivieren sie doch bewußt das weit verbreitete Vorurteil von der Ineffizienz staatlichen Handelns etwa am Beispiel einzelner Betriebe wie der Bundesbahn und verweisen nicht ohne eine gewisse Plausibilität auf die Tatsache, daß von diesen Unternehmen, wenn überhaupt, nur noch wenige öffentliche Aufgaben erfüllt werden. Die augenscheinliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit wird so zur Privatisierungsfalle, die sich die Protagonisten öffentlicher Wirtschaftstätigkeit mit dem Konstruieren diffuser öffentlicher Interessen, die zuletzt unerfüllt bleiben, zu einem guten Teil selbst gestellt haben
II. Zum Privatisierungsbegriff
Im Vordergrund der öffentlichen Diskussion steht die materielle bzw. Eigentums-Privatisierung, wie sie beispielsweise die konservative Regierung Großbritanniens derzeit in großem Umfang und vergleichsweise rasch und weniger dramatisch die Bundesregierung vorexerzieren. Gleichwohl sind die zwei an-deren Formen, die formelle bzw. Organisations-Privatisierung und die Finanzierungsprivatisierung oder Kommerzialisierung be-deutsamer. Sie sind nicht nur Gegenstand viel häufigerer und wirkungsvollerer Forderungen und werden als Privatisierung in der politischen Auseinandersetzung selten identifiziert, sondern haben sich in vielen Unternehmen faktisch zu einem hohen Grad bereits durchgesetzt, ohne das äußere Erscheinungsbild gänzlich zu verändern. Die gemeinwirtschaftliche bzw. wirtschaftspolitische Instrumentalfunktion öffentlicher Unternehmen wurde durch sie sehr viel nachhaltiger reduziert als durch die einzelnen Maßnahmen der Eigentumsprivatisierung seit den fünfziger Jahren.
Unter Organisationsprivatisierung ist nichts anderes zu verstehen als die erwähnten Strukturprozesse, die Verselbständigung, die Unternehmungsumformung nach Örganisationsmodellen des privaten Rechts, eine wachsende Größenstruktur der Unternehmen bei vermehrter Kompetenzaufteilung auf verschiedene Träger und die zunehmende organisatorische und personelle Verflechtung mit der Privatwirtschaft. Sie wurde begleitet von der Kommerzialisierung als dem Vorrang der Finanzierungskonzeption unter Rentabilitätsgesichtspunkten, der Finanzierungsprivatisierung, d. h.der Überwälzung der Kosten auf den individuellen Konsumenten staatlicher Leistungen, und der zunehmenden erwerbs-wirtschaftlichen Ausrichtung. Die wirtschaftspolitisch motivierte defizitäre Betriebsführung in einzelnen Teilbereichen mit internem oder externem Ausgleich trat zugunsten des Kostendeckungs-oder gar des Gewinnmaximierungsprinzips in den Hintergrund Diese Unterscheidungen werden in der politischen Diskussion häufig verwischt Ebenso geht aus den jeweiligen Argumenten nicht immer deutlich hervor, worauf sie zielen: auf verwaltungsmäßige oder unternehmerische Dienstleistungen.
III. Die Konfliktlinien
Zunächst gilt es, sowohl die Argumente der Befürworter und die der Gegner der Privatisierung, aber auch jene gesellschaftlichen oder politischen Akteure selbst zu identifizieren. Zu den vehementesten Privatisierungsverfechtern gehören auf der Ebene der politischen Parteien die CDU/CSU — wobei sich insbesondere die niedersächsische Wirtschaftsministerin Breuel profilierte — und die FDP Im Verbändebereich taten sich besonders das Institut der deutschen Wirtschaft der Zentralverband des deutschen Handwerks, der Bund der Steuerzahler und andere, insbesondere mittelständische Gruppierungen hervor. All diese Organisationen werden dabei tatkräftig unterstützt von Gremien oder Einzelpersonen des Wissenschaftsbereiches (Wissenschaftliche Beiräte beim BMF und beim BMWi, Sachverständigenrat usw.)
Die wichtigsten Gegner der Eigentumsprivatisierung sind die SPD der DGB und vor allem die betroffenen Einzelgewerkschaften (OTV, GdED, DPG). Gemeinsam interpretieren sie solche Forderungen und Maßnahmen als . Angriff auf den Sozialstaat" und verfol-gen eine weitgehend identische Argumentationslinie Obwohl programmatisch häufig nicht nur die Erhaltung, sondern sogar die Ausweitung des öffentlichen Unternehmens-besitzes gefordert wird, so beispielsweise im neuen Grundsatzprogramm des DGB, sind alle Anstrengungen auf rein kurzfristige Abwehr von Privatisierung und weniger auf die Erarbeitung eines tragfähigen Konzepts der öffentlichen Unternehmen gerichtet, das mittel-bzw. langfristig den periodischen Privatisierungskampagnen strukturelle ökonomische und gesellschaftspolitische Restriktionen setzen könnte. Beides zu verknüpfen versucht etwa die Gesellschaft für öffentliche Wirtschaft und Gemeinwirtschaft (GOWG) im wissenschaftlichen Bereich.
IV. Die Argumentationen und ihr empirischer Gehalt
Mit erstaunlicher Beharrlichkeit werden insbesondere auf der Seite der Entstaatlichungsprotagonisten alte und teilweise doch recht verblaßte Begründungen wieder aufgewärmt Beispielsweise das Argument von der Vermögensbildung durch „Volksaktien“ neuer Art Im historischen Vergleich haben sich die Gewichte dennoch verlagert. So bildet die Renaissance neoklassischen Ideengutes gleichsam den Nährboden, auf dem sämtliche Privatisierungsforderungen derzeit üppig gedeihen. Ordnungspolitische Grundsätze bezeichnen den eigentlichen Kern. Beispielsweise dient daneben auch das den ursprünglichen Intentionen der katholischen Soziallehre zum Primat der kleineren Gemeinschaft weitgehend entkleidete Subsidiaritätsprinzip als Begründung geradezu einer Pflicht zur Privatisierung, wenn private Träger zumindest nicht ungeeignet erscheinen, partiell auch öffentliche Aufgaben zu übernehmen. Obwohl die mangelnde Reflexion über dieses Prinzip gelegentlich mit dem Hinweis auf rechtsstaatliche Normen zu übergehen versucht wird, läßt es sich am allerwenigsten aus Verfassungsgeboten ableiten. Auch die Rechtspraxis spiegelt dies eindeutig wider
Im Vordergrund stehen allerdings weitaus profanere Motive, die sich an der Finanzkrise der öffentlichen Körperschaften, an ihrer wachsenden Verschuldung und an dem stei-genden staatlichen Anteil am Bruttosozialprodukt orientieren.
Unter finanzpolitischen Aspekten soll die Privatisierung besonders zur Entlastung bzw. Sanierung der öffentlichen Haushalte beitragen. Unmittelbare Ziele sind dabei der Abbau von Defiziten durch öffentliche’Unternehmen und die Steigerung der Effizienz in öffentlichen Unternehmen. Vielfach werden nur Maßnahmen der Organisations-und Finanzierungsprivatisierung — häufig mit zusätzlichen bürokratiekritischen Argumenten unterlegt — gefordert, und zwar ohne Rücksicht auf stabilitäts-oder distributionspolitische Zusammenhänge. Abgesehen von der Kritik an der Organisationsprivatisierung, von der man wohl nicht zu Unrecht einen leichteren Über-gang zur materiellen Privatisierung befürchtet stimmen selbst die Entstaatlichungsgegner der Kommerzialisierung öffentlicher Dienstleistungen und Unternehmen im Sinne wirtschaftlicher Effizienzsteigerung weitgehend zu. Die Eigentumsübertragung an Private vermögen sie dagegen nicht als „Rationalisierungschance" begreifen. Soweit es sich um die materielle Privatisierung vor allem kommunaler Regiebetriebe oder um Dienstleistungen der Verwaltungen handelt, liegen die Konsequenzen der dann erfolgenden Produktivitätssteigerungen ganz klar auf der Hand. Wie J. H. Mender und W. Sauerborn in einer umfassenden empirischen Studie über die Privatisierung auf kommunaler Ebene für Niedersachsen zeigen, bestehen sie in einem rapiden Beschäftigungsabbau, in der Verschlechterung der Arbeits-und Entlohnungsbedingungen und in einer Belastung der Konsumenten durch Preiserhöhungen oder durch Leistungsreduzierung
Dies sind die realen Grundlagen der betriebswirtschaftlichen Kosteneinsparungen durch private Dienstleistungsangebote. Einmal davon abgesehen, daß marginalisierte Gruppen des Arbeitsmarktes (Frauen, Teilzeitbeschäftigte, Behinderte) von solchen Rationalisierungseffekten besonders betroffen sind, entstehen durch Umgehung von Steuern und Sozialabgaben, durch steigende Belastung der Sozialversicherungen in Folge der Arbeitsplatzvernichtung und ähnliches mehr recht erkleckliche, aber selten beachtete gesamtwirtschaftliche Folgekosten. So lange gewisse „Standards“ des sozialen Sicherungssystems noch unangetastet bleiben, erhöhen sich auch die staatlichen Transferleistungen. Eine Entlastung der öffentlichen Haushalte erfolgt mitnichten.
Stärker noch als bei der Übertragung öffentlicher Dienstleistungen auf Private trifft das Prinzip „Privatisierung der Gewinne — Sozialisierung der Verluste“ auf die Eigentums-privatisierung großer öffentlicher Unternehmen zu. Diese wecken gerade aufgrund hoher betriebswirtschaftlicher Effizienz die Begehrlichkeit der Privatwirtschaft. Grundsätzlich können nur die ertragsstarken Beteiligungen veräußert werden, das Interesse privater Anleger mithin nur für die „Perlen" geweckt werden. Die jüngsten an die Öffentlichkeit gelangten Privatisierungslisten enthalten folgerichtig auch nur Unternehmen (unmittelbare Beteiligungen: VW AG, VIAG, Deutsche Lufthansa AG, IVG, Deutsche Pfandbriefanstalt, Deutsche Siedlungs-und Landesrentenbank; mittelbare Beteiligungen: Prakla Seismos, Schenker & Co GmbH, DIAG) die zumeist dauerhaft und in hohen Gewinnzonen arbeiten. Sinnigerweise trugen gerade diese Unternehmen im Geschäftsjahr 1983 am stärksten zu einem Zuwachs der Einnahmen aus dem Beteiligungsbesitz um rund 22, 3 Mio. DM auf insgesamt knapp 247 Mio. DM bei
Sollte die vorgesehene Linie des partiellen — es ist jeweils nur die Reduzierung von Unternehmensanteilen, im Einzelfall bis zu 50 % geplant — Verkaufs gewinnträchtiger Unternehmen tatsächlich durchgehalten werden, entwickelt sich der Unternehmensbesitz des Bundes langfristig zu einer „Kumulation von Verlustbeteiligüngen“ Die bisherige beteiligungspolitische Mischkalkulation, die Kompensation der Verluste einzelner Unternehmen durch die Gewinne anderer, wäre nachhaltig gestört Gleichzeitig würde das Volumen der Verlustabdeckung durch den Bundeshaushalt zwangsläufig in die Höhe schnellen. An dieser Stelle empfiehlt sich auch eine kurze Anmerkung zu den immer wieder lancierten Schreckensmeldungen über die angeblich so hohen Defizite, die dem Bundeshaushalt durch die Beteiligungen bislang entstehen. Abgesehen davon, daß dieses Argument zur Begründung von Privatisierungen schwerlich taugt, da Verlustbeteiligungen kaum abzusetzen sind, handelt es sich, besonders wenn konkrete Zahlen genannt werden, zumeist um äußerst dubiose Rechnungen. Eine exakte, langfristige Aufrechnung der Erträge durch die Unternehmen und der Kapitalzuführungen des Bundes lassen die komplexe Beteiligungsstruktur und die bislang ermittelbaren Daten im Grunde gar nicht zu. Auch die aus dem Bundesfinanzministerium bekannt gewordenen Trendrechnungen stehen auf sehr unsicherer Grundlage; sie kommen zudem zu Ergebnissen, die eine Belastung des Steuerzahlers durch die Bundes-beteiligungen eher ausschließen
Die Beteiligungsberichte schließlich enthalten nur das Bruttodividendenaufkommen. Ein Vergleich mit den entsprechenden Positionen der Haushaltsberichte ist wegen der Verteilung des Unternehmensbesitzes auf mehrere Ressorts und Sondervermögen und wegen der Vielfalt an Kapitalabfluß-bzw. Zuführungsmöglichkeiten bislang kaum zu bewerkstelligen. Darüber hinaus sollten weitere Fakten bedacht werden. Einige der gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, z. B. Forschungseinrichtungen, treten nur auf der Kostenseite in Erscheinung. Andere unterliegen beispielsweise im Wohnungsbau gesetzlichen Beschränkungen der Gewinnausschüttung, oder Dividenden fließen teilweise in Stiftungen bzw. werden aus besonderen Gründen zu Rückstellungen verwendet Letztendlich resultieren Kapitalzuführungen aus den unterschiedlichsten Bedingungen, nicht nur aus Unternehmens-verlusten. Die bisher einzige konkrete Maßnahme, die Teilprivatisierung der VEBA, bedeutet allerdings mit Sicherheit eine Belastung des Staatshaushaltes. Die 770 Mio. DM Veräußerungsgewinn die wider traditionelle haushaltspolitische Usancen zur kurzfristigen Verminderung der Nettokreditaufnahme des Bundes eingesetzt wurden, entsprechen selbst bei vorsichtiger Kalkulation den Gewinnausschüttungen der VEBA an den Bund über einen Zeitraum von zehn Jahren, wenn man die letzten drei Jahre und den früheren Bundes-anteil von 43, 75 % als Berechnungsgrundlage nimmt Der zukünftige Dividendenausfall spricht keinesfalls für die mittel-oder langfristige Wirtschaftlichkeit solcher vorgeblich fiskalischen Entscheidungen.
Materielle Privatisierung öffentlicher Unternehmen bewirkt per se keine Haushaltsentlastung. Sie erhöht auf Dauer vielmehr die Inanspruchnahme des Steuerzahlers und stellt eine versteckte Vermögensumverteilung dar. Dies reflektiert auch das Interesse vieler wirtschaftlicher Gruppen an der Entstaatlichung des öffentlichen Unternehmens-sektors, soweit es sich um profitable Bereiche handelt. Die gegenwärtig staatlich geförderte „Rosinenpickerei" weckt bisweilen Gelüste, die völlig unverhohlen mit erstaunlicher Dreistigkeit artikuliert werden. Konkret drückt sich das etwa in immer wiederkehrenden Forderungen zur Privatisierung des ertragreichen Fernmeldesektors der Post aus, oder in der Einrichtung einer Privatisierungsbörse durch den Deutschen Industrie-und Handelstag, der, um letztlich auch noch die gewichtigeren Sphären zu entstaatlichen, mit der Privatisierung aller europäischer Luftfahrtgesellschaften, insbesondere der deutschen, das Ziel eines „freien Himmels" anstrebt Noch etwas weiter reicht der jüngste Vorschlag des Instituts der Deutschen Wirtschaft zur Verwendung der Verkaufserlöse aus den geplanten Privatisierungen. Die geschätzten Mittel in Höhe von 2 Mrd. DM sollten zur Steuersenkung verwendet werden. „Damit wären dann auch noch die Privatisierungsgewinne privatisiert, und das ginge wohl selbst Gerhard Stoltenberg zu weit.“
Neben finanzpolitischen Argumenten wird zugunsten der materiellen Privatisierung geltend gemacht, sie diene der Steigerung der Wettbewerbsintensität, der Erhöhung und Verstetigung des wirtschaftlichen Wachstums und, bezogen auf kleinere Regiebetriebe, der Mittelstandsförderung.
Positiven wettbewerbspolitischen Effekten durch Privatisierung widerspricht die Tatsache, daß es sich zumeist um monopolistisch oder oligopolistisch strukturierte Unternehmensbereiche handelt, die übertragen werden sollen. Dies trifft auf Schlachthöfe und die kommunale Müllabfuhr genauso zu wie auf viele der großen Entstaatlichungs-Objekte. Deren Veräußerung ändert keineswegs die Marktverhältnisse, konzediert dagegen Machtkonzentration im privatwirtschaftlichen Bereich und verlagert bzw. erschwert staatliche Kontrolle. Ebenso sehr ist zu bezweifeln, daß die absolute Dominanz kurzfristiger Gewinnorientierung, die die Vielzahl der wirtschaftspolitischen Kriterien gänzlich ausblendet, zu einer qualitativen Wachstums-bzw. Stabilitätspolitik, selbst auf die Unternehmensebene beschränkt, beitragen kann
Bar jeder Realität ist das Argument von der Mittelstandsförderung durch Privatisierung kommunaler Betriebe oder Dienstleistungen. Zum einen kam es bei den bislang untersuchten Fällen etwa in Niedersachsen kaum zur Neugründung kleiner oder mittlerer Unternehmen. Zum anderen verhalfen Aufgaben-bzw. Eigentumsübertragung einzelnen bestehenden Unternehmen allenfalls zum Hinüberwachsen in betriebswirtschaftliche Größenordnungen, die kaum mehr als mittelständisch zu bezeichnen sind.
Seit den Teilprivatisierungen der Preussag 1959, der VW AG und der Vereinigten Tank-lager-und Transportmittel AG 1961 und der VEBA 1965 — denen im übrigen wiederum eine Ausweitung des Beteiligungsbesitzes folgte — wurden vergeblich immer wieder vermögens-und verteilungspolitische Ziele über die Ausgabe von Volksaktien angestrebt. Den Beziehern niedriger Einkommen (bis 8 000 DM bzw. 16 000 DM pro Jahr) wurden Aktien unter Anrechnung eines Sozialrabatts auf den Ausgabepreis zum Kauf angeboten.
Vor allem die VW-Teilprivatisierung entwikkelte sich zum vermögenspolitischen Debakel, zum großen Geschäft der Spekulanten, die die zahlreichen Mißbrauchsmöglichkeiten weidlich nutzten. So wurden Einkommenshöchstgrenzen und Voraussetzungen für den Genuß des Sozialrabatts nur sporadisch überprüft „Strohmann" -Geschäfte waren an der Tagesordnung, und es kam nicht gerade selten vor, daß Einzelpersonen bei bis zu 500 Banken gleichzeitig die sozialrabattbegünstigten Aktien erhielten Von den unmittelbar folgenden Kursexplosionen auf zeitweise 1 100% profitierten am wenigsten die Volks-aktionäre. Bis heute verblieben von den nach Abschluß der Zeichnung gezählten 1, 5 Mio. Kleinanlegern nur noch ein knappes Drittel. Von den 2, 6 Mio. Käufern von VEBA-Volksaktien des Jahres 1965 halten heute nur noch weniger als ein Viertel ihren Anteil.
Trotz aller Unterschiede im Detail blieb von der Gesamtheit der an die Volksaktie geknüpften Ziele — breitere Streuung des Produktivvermögens, Ertragsbeteiligung großer Bevölkerungsteile, neue und attraktivere Sparmöglichkeiten — nur eine unsichere und auf Dauer wenig profitable Ersparnisanlage.
Bei der neuerlichen Reduzierung des Bundes-anteils an der VEBA Anfang 1984 wurde von Regierungsseite bewußt der direkte Rückgriff auf das alte Volksaktien-Experiment der CDU vermieden. Insgesamt fiel eine deutliche Zurückhaltung in der Propagierung dieser Entstaatlichungsmaßnahme auf. Gleichwohl wurde auch dieses Mal wieder versucht, die Privatisierung mit dem Schleier vermögens-politischer Aktivitäten zu ummänteln.
Der Verkauf des 13, 75% VEBA-Anteils des Bundes wurde gekoppelt mit dem zum 1. Januar 1984 in Kraft tretenden 4. Vermögensbildungsgesetz (936-Mark-Gesetz). Die Bedingungen waren jedoch anders als bei früheren Gelegenheiten äußerst restriktiv angelegt. Neben der Vergabe von Belegschaftsaktien, für die die VEBA ihren Beschäftigten einen Rabatt gewährte, sollten diejenigen, die gemessen an ihrem Einkommen das neue Vermögensbildungsgesetz beanspruchen konnten, VEBA-Aktien bekommen — zum Börsenkurs und ohne Rabatt. Nunmehr war der Anreiz eine staatliche Zulage in Höhe von 23% (33% bei mehr als drei Kindern), die nach dem auf 936 DM aufgestockten Vermögensbildungsgesetz allerdings auch für andere Sparformen, etwa das Bausparen, gewährt wird. Zeitlich wurde der Aktienverkauf auf die knappe Frist vom 10. Januar 1984 bis 27. Januar 1984 begrenzt. Die volle Ausschöpfung der neuen Sparförderung gestattete den Bezug von sechs Aktien. Wer bereits nach dem 624-Mark-Gesetz sparte, konnte zusätzlich zwei Aktien kaufen. Gleichzeitig galt eine Festlegungsfrist von sechs Jahren. Spätestens die umständliche Kaufabwicklung über ein neu zu eröffnendes Konto und das Lohnbüro des Arbeitgebers, die Tatsache, daß bis zum Ablauf des Zeichnungstermins keine tarifvertragliche Regelung über das 936-Mark-Gesetz, also auch keine Arbeitgeber-sparzulage in Sicht war und besonders der hohe Börsenkurs zum Zeitpunkt des Verkaufs mußten geradezu abschreckend wirken. Bankenvertreter warnten einhellig gerade Bezieher geringer Einkommen vor dem Einstieg in solche Geldanlageformen.
Die Mehrzahl der vom Bund abgegebenen Aktien wurde vor allem von Fonds und ausländischen Großanlegern gekauft Ernsthaft waren vermögenspolitische Effekte offensichtlich auch gar nicht angestrebt worden. Innerhalb der gesamten Entstaatlichungsdiskussion werden die öffentlichen Unternehmen auch der allgemeinen Bürokratiekritik ausgesetzt. Im Zusammenhang mit der Forde-rung nach Effizienzsteigerung soll auch sie das Verlangen nach Eigentumsprivatisierung verstärken. Verkannt wird dabei, daß Bürokratisierungsprobleme ganz offensichtlich mit der strukturellen Entwicklung von Großorganisationen, nicht nur staatlicher, sondern auch privater, einhergehen und Verwaltungsapparate schlechthin kennzeichnen.
„Der Alltag der organisationssoziologischen Wirkung hochgradiger Arbeitsteilung, aufgesplitterter Verantwortlichkeit und von Ressortpartikularismus, wachsender Abhängigkeit von anderen (und die Schwierigkeit der organisations-und ressortübergreifenden Querschnittsaufgaben) und folglich von Entfremdung, auch Selbstentfremdung der einzelnen Menschen hat alle großen Verwaltungsorganisationen erreicht."
Es erscheint müßig, ein weiteres Mal auf ordnungspolitische Argumente einzugehen. Der irrationale Glaube an die gleichsam naturgesetzliche Funktionsfähigkeit der Marktkräfte, den die akademische Blüte der Neoklassik im politischen Alltagsgeschäft erzeugt, ist relativ oberflächlich an die Entstaatlichungsforderungen gebunden. Er äußert sich im Zeichen der gesellschaftspolitischen Wende als pure „Entsozialisierungsintention", die in dem gesamten Argumentationskontext zur Privatisierung — Effizienzsteigerung, Sanierung der öffentlichen Haushalte — die ideologische Folie abgibt, hinter der sich nicht selten ganz handfeste Umverteilungsinteressen verbergen. Zu deren Gunsten werden gelegentlich auch alle ordnungspolitischen Grundsätze fallengelassen.
V. Ein konkretes Beispiel
Die Brüchigkeit der gesamten Argumentationskette sowie die Inkonsistenz der einzelnen Glieder, die zur Begründung der Eigentumsprivatisierung bemüht werden, läßt sich an Hand der Auseinandersetzung um die Teilprivatisierung der Lufthansa AG verdeutlichen. Hier handelt es sich unbestritten um ein dauerhaft ertragreiches Unternehmen — allein die Gewinnausschüttung an den Bund betrug im Jahr 1984 47 Mio. DM —, das ebenso unstrittig nach wie vor raumordnungspolitische, infrastrukturpolitische, generell gemeinwirtschaftliche Funktionen erfüllt. Durch die Aufrechterhaltung von phasenweise wenig rentablen Linien im Fracht-und Personenverkehr trug es nicht unwesentlich zur infrastrukturellen Stützung der deutschen Exportwirtschaft bei. Zur Konsolidierung der notwendigen, stabilen Marktposition des Unternehmens wurde in manchen Jahren seitens sozialliberaler Regierungen auf die zustehenden Dividendenanteile verzichtet. Mangelnde Effizienz kann der Lufthansa nicht vorgeworfen werden. Weitere Rationalisierungsreserven wären allenfalls im Bereich der Personalkosten zu aktivieren — zu Lasten der Dienstleistungsqualität und langfristig der Wettbewerbsposition.
Mit der vorgesehenen Reduzierung des Bundesanteils um knapp 25% auf insgesamt 55% würde nicht nur eine stetige Einnahmequelle des Bundeshaushaltes zugunsten einer vergleichsweise geringen einmaligen Summe erheblich vermindert, sondern auch die Fähigkeit des Unternehmens zu einer weitsichtigen Refinanzierungs-und Investitionspolitik. Die anerkannte Konkurrenzfähigkeit der Lufthansa im Vergleich zu anderen Fluggesellschaften läßt sich durch Privatisierung genauso wenig steigern wie die Wettbewerbs-intensität in national nur bedingt beeinflußbaren chaotischen Marktverhältnissen des internationalen Luftverkehrs. Vermögenspolitische Ziele werden mit einer möglichen Veräußerung offensichtlich gar nicht verfolgt. Andererseits grassiert auch im Regierungslager selbst die Angst vor dem Aktienaufkauf durch ausländische Interessenten, der schwerlich zu verhindern wäre. Schließlich läßt sich auch das Subsidiaritätsprinzip als Dezentralisierungsgebot kaum zur Anwendung bringen. Die Struktur des Unternehmens würde durch Privatisierung, abgesehen von dem Druck zu erhöhter Profitabilität kaum angetastet Ordnungspolitische Gesichtspunkte bleiben andererseits aber spätestens dann unberücksichtigt, wenn weitere nationale Wirtschaftsinteressen . berührt sind Der Widerstand des bayrischen Ministerpräsidenten gegen die Teilprivatisierung der Lufthansa beispielsweise ist deutlich motiviert durch die Vertretung der Interessen eines Unternehmens aus dem Flugzeugbausektor, das ohne den Windschatten der staatlichen Luftfahrtgesellschaft schwerlich gegen die amerikanische Konkurrenz bestehen könnte.
VI. Privatisierung -rationaler Beitrag zu einem entstaatlichten Regulierungsmodell oder die Wiederaufführung einer „Komödie"?
Die jüngste Privatisierungskampagne entbehrt nicht nur jeglicher politischer Gesamt-konzeption; sie gibt auch unter rein fiskalischen Aspekten nichts von einer beteiligungspolitischen Systematik zu erkennen. Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, daß eine neue „Komödie der Privatisierung“ inszeniert wird; denn eine gewisse Logik der Entstaatlichungsbemühungen wird — zumindest andeutungsweise — sichtbar.
Mit der Privatisierung der gewinnträchtigen Perlen aus dem öffentlichen Unternehmens-besitz soll kurzfristig und eher kosmetisch das für das konservativ-liberale Regierungslager so evidente Problem der Staatsverschuldung angegangen werden. Darüber hinaus trägt man einem Verlangen der privatwirtschaftlichen Klientel Rechnung.
Wenn der Ausverkauf der rentablen Unternehmen so weit gediehen ist, daß sich im Besitz der öffentlichen Hand nur noch verlustreiche Unternehmen befinden, die hoher staatlicher Zuschüsse bedürfen, bestätigt sich ex post, worauf man allerdings erst zielstrebig hinarbeiten mußte: das Vorurteil vom Staat als unfähigem Unternehmer.
So scheint sich auch hier die These O'Connors zu bewahrheiten, daß das Privatkapital auch deswegen alles daransetzt, „... die profitablen Aktivitäten zu monopolisieren, um den Mythos zu verewigen, der Staat sei zu inkompetent, direkt produktives Kapital zu verwalten"
Bei nüchterner Betrachtung spricht nichts für die Eigentumsprivatisierung. Selbst der Verlust der gemeinwirtschaftlichen Instrumental-
funktion einzelner Unternehmen ist kein trif-
tiger Grund, wie gerade solche Positionen wingend"
glauben machen wollen, für die marktwirtschaftliche Systeme um so gemein-wohlfördernder sind, je mehr sie von staatlichen Eingriffen verschont bleiben.
Wenn vielfach die Notwendigkeit zur Existenz wirtschaftlicher Ausnahmebereiche und deren Gestaltung durch den Staat ignoriert bzw. negiert wird, so werden die Konsequenzen in ihrer Gesamtheit selten bedacht. Dafür spricht nicht zuletzt die Tatsache, daß etwa die wissenschaftliche Regulierungsdebatte, die mit der Krise des „Keynesianismus" einsetzte, den geringsten Einfluß auf die politischen Entstaatlichungsstrategien hierzulande besitzt.
Die Existenzberechtigung öffentlicher Unternehmen ist nicht allein abhängig von ihrer Gemeinwirtschaftlichkeit, die im Bedarfsfall und unter entsprechenden sozialen und politischen Bedingungen belebt bzw. reaktiviert werden kann -
Privatisierung aber bedeutet Umverteilung gesellschaftlicher Ressourcen zugunsten weiterer Vermögens-und Einkommenskonzentration. „Wenn im Zuge der neoklassischen Renaissance am Anfang der 80er Jahre wieder stärker den Kräften des Marktes vertraut wird, ein Staatsversagen festgestellt und privatisiert wird, so wird erneut deutlich, daß die private und die öffentliche Wirtschaft ökonomische Verteilungsmechanismen darstellen, die immer wieder normativ durch politische Entscheidungen neu bestimmt werden. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise und den zu bewältigenden Strukturveränderungen erscheint es allerdings problematisch, diese Aufgaben mit einem Abbau der öffentlichen Wirtschaft zu beginnen."
Solange es jedoch nicht gelingt, die öffentlichen Unternehmen in ein gemeinwirtschaftliches Gesamtkonzept der öffentlichen Wirtschaftstätigkeit einzubinden, werden sie, unbeschadet der ökonomischen und sozialen Auswirkungen, gerade in Krisenzeiten immer wieder solchen Verteilungskonflikten ausgesetzt sein.