Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 28/1985 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 28/1985 Artikel 1 Modernisierung — Kern neuer europäischer Identität? Das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland

Das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland

Peter Häberle

/ 50 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die politische, wissenschaftliche und allgemein kulturelle Aktualität des Themas „Kulturverfassungsrecht“ ist groß: sie spiegelt sich in Äußerungen von Octavio Paz bis Richard von Weizsäcker, von Helmut Coing bis Heinrich Böll und in Aktivitäten von der westberliner Deklaration der europäischen Kultusminister vom Mai 1984 bis zur Entdeckung der kulturellen Dimension der Europäischen Gemeinschaft. Frühe wissenschaftliche Anstöße kamen und kommen noch von Hermann Heller bis Ernst RudolfHuber, von RalfDahrendorf bis Hans Maier. Die Verfassungsrechtslehre hat die Aufgabe, das Thema „Kultur“ interdisziplinär zu erarbeiten und den von der Soziologie und Anthropologie formulierten weiteren Kulturbegriff ihren Texten differenziert zu integrieren: im Rahmen des Themas „Verfassungsstaat und Kultur“. Eine Bestandsaufnahme der „Sache Kultur“ im Spiegel bundesdeutscher Verfassungstexte ergibt vier Geltungsebenen (Länder-und Bundesverfassungsrecht in Sachen Kultur, Kommunales und Europäisches Kulturverfassungsrecht) und sechs rechtstechnisch typische Erscheinungsformen (allgemeine und spezielle Kulturstaatsklauseln, z. B. Art. 3 n. F. Verf. Bayern bzw. Art. 18 Abs. 1 Verf. Nordrhein-Westfalen, Präambeln, z. B.des GG, kulturelle Grundrechte, z. B. die Privatschulfreiheit, Einzelkompetenzen, z. B. das Urheberrecht nach Art. 73 Ziff. 9 GG, Erziehungs-und Bildungsziele, z. B. die Toleranz, kultureller Trägerpluralismus, z. B. im Hochschul-und Medienbereich). Als Strukturprinzipien des Kulturverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland erweisen sich die spezifische Offenheit des Kulturkonzepts (u. a. bewirkt durch kulturelle Pluralität dank Organisation und Verfahren und die Einhaltung von Grenzen der Verrechtlichung) sowie die kulturellen Grundrechte mit mehrdimensionalen Schutzrichtungen (z. B. „Teilhabe an den Kultur-gütern des Lebens"). Diese Freiheit der Kultur verlangt freilich auch eine „Kultur der Freiheit“, die das Verfassungsrecht nur bedingt garantieren kann.

I. Die politische, kulturelle und wissenschaftliche Aktualität des Themas

Wissenschaftliche Themen werden nicht „an und für sich“ formuliert und behandelt. Sie sind ihrerseits Ausdruck und zugleich Vehikel tieferer Vorgänge kulturellen Wandels, so schöpferisch die Leistung des einzelnen Wissenschaftlers ist Auch das Thema „Das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland" steht in einem größeren Zusammenhang. Das Verfassungsrecht unserer Republik besinnt sich auf seine spezifisch kulturellen Texte, ihre Inhalte und Funktionen, weil Entwicklungen im politischen, soziokulturellen und wissenschaftlichen Raum die Regeneration „alter" und vielleicht die Generation neuer kulturverfassungsrechtlicher Texte (erinnert sei an die Revision der Kulturstaatsklausel der Bayerischen Verfassung von 19841) provozieren, mit Leben erfüllen und ins Bewußtsein derer heben, die die „offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten" mitkonstituieren: z. B. Richard auch das Dictum von Weizsäckers, anläßlich der der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels 1984 an Octavio Paz sagte: „Der Mensch findet zu sich selbst in seiner “ und „Kultur ist Politik. -Kultur Kultur, ver standen als Lebensweise, ist vielleicht die glaubwürdigste, die beste Politik.“

Die Verfassungsrechtswissenschait ist in diesen Prozessen nur ein Teilbereich. Die anderen Disziplinen, etwa die Geschichts-, die Politikwissenschaft, sind auf ihre Weise gefordert, -und wenn es ein Thema gibt, das von vornherein „interdisziplinär“ anzulegen ist, dann das der „Kultur“. Die wachsende Aktualität unseres Themas läßt sich dementsprechend in politischer, kultureller und wissenschaftlicher Hinsicht belegen. 1. Die politische Aktualität Die politische Diskussion um den Staatsvertrag über die Errichtung einer Kulturstiftung des deutschen Volkes schien abgeschlossen, bis am 13. September 1984 die Meldung überraschte, der hessische Ministerpräsident Börner unterzeichne nicht. — Bundeskanzler Helmut Kohl, der für seine Regierung mehrfach eine „kulturfreundliche Politik“ angekündigt hat sah sich einer Großen Anfrage in Sachen Kulturpolitik gegenüber — bislang hatte der Streit um die Filmförderung des Bundes (anläßlich Norbert Achternbuschs „Das Gespenst") und um die Goethe-Institute für — eher negative — Schlagzeilen gesorgt. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage enthält eine Fülle von Stichworten Vorrang habe die Freiheit der Kunst, Kultur komme vom Menschen und sei für den Menschen da; wie kaum ein anderes Feld sei Kultur die Initiative offen für des einzelnen. Als Grundlage ihrer Kulturförderungspolitik stellt sie heraus „Die -Bundesre publik Deutschland ist ein Kulturstaat", sie ist „ein Teil der deutschen Kulturnation" und sie ist „eingebunden in die Kulturgemeinschaft der europäischen Staaten". Als Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur, die auf ihre „Kulturfreundlichkeit" zu überprüfen seien, nennt die Bundesregierung z. B. das Steuerrecht, das Urheber-, Arbeits-und Sozialrecht, aber auch ein „generell kulturfreundliches Klima“

Die innerdeutsche Szenerie wurde kürzlich durch eine Erklärung von SED-Generalsekretär Erich Honecker zum 35. Jahrestag der DDR provoziert; sie lautet „Die sozialpolitische Nationalkultur der DDR ist bereits das Werk mehrerer Generationen. Sie ist eine zutiefst demokratische Kultur. Sie wird von den Zielen und Idealen der Arbeiterklasse, von ihrer wissenschaftlichen Weltanschauung und den Maximen ihrer Lebensweise geprägt und entwickelt sich zur Kultur des ganzen werktätigen Volkes". Bildet der Osten und der Westen Deutschlands also schon nicht mehr die viel berufene „Kulturnation"? Weiten wir den Blick über unsere Grenzen hinaus Österreichs Bundeskanzler Sinowatz sieht zu den Idealen von 1789 „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" im 19. Jahrhundert die Forderung nach „sozialer Gerechtigkeit“, im 20. Jahrhundert die Bildung bzw. materielle Chancengleichheit hinzutreten. Insofern qualifiziert er Kulturpolitik als „Fortsetzung der Sozialpolitik

In der Schweiz hat vor nahezu vier Jahren der Schriftsteller A Muschg die Initiative für den „Kulturprozent" mit in Gang gesetzt: Der Bund soll künftig ein Prozent des Gesamthaushalts für kulturelle Belange aufwenden; das Schweizer Volk wird wohl demnächst darüber abstimmen Zwischen der Bundesrepublik und der Schweiz kam es übrigens 1984 fast zu einem „Kunst-Zwischenfall": Erinnert sei an den „Sprayer von Zürich“, Harald Naegeli. Er wurde nach einer Entscheidung der EGMR in Straßburg und einem Dreierbeschluß des Bundesverfassungsgerichts wegen in der Schweiz begangener Sachbeschädigung dann doch ausgeliefert, nicht ohne sich an einer Betonwand der Bonner Parteizentrale der SPD und am Zollhaus Lörrach „verewigt" zu haben

Frankreich betreibt herkömmlich eine besonders ehrgeizige kulturelle Außenpolitik — Kultur gilt dort als „zweites Bein“ der Außenpolitik und schon der Name seines gelegentlich überdynamischen Kulturministers unter Francois Mitterrand, Jack Lang, steht für ein Programm, das seine Gegner heftig kritisieren: Unter dem Vorwand des Kultur-schutzes werde eine „Staatskultur" unterstützt, weil der Staat besser wisse, was dem Bürger zuträglich sei, der vor der Massenkultur geschützt werden müsse.

Auf europäischer Ebene erzielt das Kultur-Thema fast spektakuläre „Geländegewinne“. Erwähnt sei an erster Stelle die West-Berliner Deklaration der europäischen Kulturminister vom Mai 1984 In der Präambel heißt es u. a.: „In Anbetracht der entscheidenden Rolle der Kultur, als Gesamtheit der Werte, die der Menschheit den Sinn ihres Daseins und Handelns vermitteln; eingedenk dessen, daß die europäischen Kulturen insbesondere auf einer Jahrhunderte alten Tradition des weltlichen und religiösen Humanismus grün-den, die Grundlage ihres unverrückbaren Festhaltens an der Freiheit und an den Menschenrechten ist"

Bei einer näheren Analyse des ganzen Textes fällt auf:

— Europa wird von seiner Tradition („europäisches Kulturerbe") und vom Blick in die und der Gestaltung der Zukunft als einer kulturellen her verstanden;

— Kultur wird „klassisch“ (2.. B. religiöse Werte, Humanismus) und entwicklungsoffen prozeßhaft verstanden des technischen Fortschritts, größere Flexibilität der Sozialordnung, vor allem Hinblick auf die im . Aufteilung von Arbeitszeit und Freizeit", Entwicklung „neuer Formen von Solidarität“; hier wird die Tendenz zur Kultivierung neuer menschlicher und zivilisatorischer Bereiche erkennbar (Absage an einen elitären Kultur-begriff); — als konstituierend für Kultur gelten (mit gutem Grund) die Menschenrechte, besonders die Freiheit (Gedanken-und Meinungsfreiheit), das Recht, „unter Beachtung der individuellen Rechte der anderen nach einer eigenen Überzeugung zu leben";

— als ein Teil der kulturellen Freiheit stellt sich die Forderung nach „Zugang aller zu diesem Kulturerbe“, zu Bildung und Ausbildung, zu „Austausch und Freizügigkeit der Kunst-schaffenden“, die Entwicklung „schöpferischer Tätigkeit“ dar;

— ein wesentliches Element ist die Toleranz (erkennbar in den Worten: „besseres Verständnis unter Menschen verschiedenen Alters und verschiedener Kulturen“, Religionen und Traditionen, „gegenseitige Achtung“ in den internationalen Beziehungen); und — ein Bekenntnis zur europäischen Kultur der Vielfalt („Vielfalt ... einer gemeinsamen Kultur", unter Beachtung der Vielfalt das Entstehen neuer Solidaritäten) — im Grunde also Pluralismus.

Die Suche nach Europa als kultureller Vielfalt und Einheit wird flankiert dadurch, daß die Europäische Gemeinschaft — obwohl herkömmlich „Wirtschaftsgemeinschaft“ — ebenfalls die Kultur zu „entdecken“ beginnt, so z. B. im Juni 1984, als die für kulturelle Belange zuständigen Minister der EG-Staaten sich erstmals zu einer formellen Ratssitzung zusammenfanden — symptomatischer Weise mitbedingt durch die rasche Entwicklung der neuen Medien! Die „Kulturpolitik zwischen EG und Europarat" macht aber auch darüber hinaus Schlagzeilen 2. Neuere wissenschaftliche Anstöße Stehen wir bei all diesen Vorgängen schon an der Nahtstelle zwischen politischen Leitzielen und ihrer Umsetzung ins (Verfassungs) Recht, so sei aus dem wissenschaftlichen Bereich an folgendes erinnert: Die programmatische Formel „Kultur für alle" (Hilmar Hoffmann) hat vom wissenschaftlichen Bereich (1979) ausgehend auch politisch Karriere gemacht, sie wurde zum „geflügelten Wort“ Und es ist kein Zufall, daß es neuere städtesoziologische Forschungen, etwa von Alexander Mitscherlich und Hans-Paul Bahrdt waren, von denen aus in der „untersten politischen Einheit“, der Stadt, die (Wieder-) Besinnung auf die Kultur bei uns ihren Aufschwung nahm Der Deutsche Städtetag hatte mit seinen Leitsätzen zur kommunalen Kulturarbeit (1972) auch im Rückblick eine kulturpolitische Pioniertat von Rang erbracht

Erst seit 1979 begann sich auch die Verfassungs-und Verwaltungsrechtslehre für das „kommunale Kulturverfassungsrecht“ als solches zu interessieren Die wissenschaftliche Arbeit an der Sache Kultur konnte, von den z. T. verschütteten älteren Ansätzen in Weimar (Hermann Heller, Albert Hensel u. a.) abgesehen unter dem Grundgesetz nur „punktuell" an Vorarbeiten anknüpfen Der bis heute bedeutsamste monographische Entwurf stammt von Ernst Rudolf Huber: „Zur Problematik des Kulturstaates" (1958), Teilbehandlungen von Herbert Krüger, Wolfgang Knies, Thomas Oppermann, Klaus Schlaich Später reüssierte das Problem des Kulturstaates als Tagungsthema: zunächst bei den Bitburger Gesprächen (1978) schließlich bei den deutschen Staatsrechtslehrern in Köln (1983) Wissenschaftler aus anderen Disziplinen, etwa Helmut Schelsky, Ralf Dahrendorf, Hellmut Becker, Hans Maier, haben das Ringen um den Kulturstaat zum Teil vorweggenommen, zum Teil begleitet

Zu einer „konzertierten Aktion“ von Verfassungsrechtswissenschaft und Politik in Sachen Kultur mag es schließlich kommen, wenn der Vorschlag der Sachverständigen-kommission „Staatszielbestimmungen" von 1983 aufgegriffen wird, Art. 20 Abs. 1 GG um einen Satz 2 zu ergänzen: „Sie (sc. die Bundesrepublik Deutschland) schützt und pflegt die Kultur und die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen" sowie Art. 28 Abs. 1 S. 1 um den Passus „Verantwortung des Staates für Kultur und natürliche Umwelt" zu erweitern. Bayern hat sich zum Vorreiter einer solchen Verfassungsrevision gemacht. Seine ohnedies einzigartige allgemeine Kulturstaatsklausel in Art. 3 der bayerischen Verfassung trägt jetzt den Zusatz (Absatz 2) : „Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung“ — womit (sehr „bayerisch“) einseitig der traditionale Aspekt betont erscheint. Von einem „offenen Kulturkonzept" aus muß indes der Weg für „Neues“ gleichermaßen frei bleiben 3. Hintergründe der . Wiederentdeckung der Kultur“

Was sind die Hintergründe für diese „Wiederentdeckung der Kultur“ durch Wissenschaften und Politik, für das in Gang kommende „Kulturgesprach“ über Kulturverfassungsrecht? Möglicherweise das Bewußtsein, an die „Grenzen des Sozialstaates“ gelangt zu sein, der häufig zu extensiv statt intensiv und nur materiell statt auch ideell verstanden wurde, vielleicht auch das Gespür dafür, daß Wirtschaft und Wohlstand, Soziales und Materielles allein dem Menschen keinen „Sinn“ vermitteln und seine Identität gefährden Hinzukommen mögen neben der Sensibilisierung des Umweltbewußtseins eher konservative Strömungen, literarische wie die Wieder-entdeckung von „Heimat“, der kleineren, „humanen", „erfaßbaren“ Einheit in Stadt und Land „vor Ort".

Schließlich dürfte die stürmische Entwicklung der neueren Medien und Kommunikationstechniken mit ihren Gefahren für die (bisherige) „Kultur“ und die drohende „Einheitskultur“ eine Ursache für das Interesse am „Kulturverfassungsrecht" sein. So werden vom kommerziellen Rundfunk und Fernsehen auch in Deutschland „kulturelle Defizite" befürchtet Doch handelt es sich bei der Wiederentdeckung der Kultur gewiß nicht nur um eine „Mode", so sehr Kultur in wirtschaftlichen Krisenzeiten (auch) zur Ablenkung von Alltagsnöten oder sozialen Konflikten mißbraucht werden kann

Die Verbindung von „Kultur“ und „Recht“ ist indessen in Europa schon klassisch: Helmut Coing begreift das „Recht“ als Element der europäischen Kultur und Heinrich Böll würdigt das Recht als die wichtigste Errungenschaft unserer Kultur Nähern wir uns dieser spannungsvollen Zusammengehörigkeit von Verfassungsrecht und Kultur durch eine interdisziplinäre Vergegenwärtigung der Sache „Kultur", denn „Kultur" verweist über die Rechtswissenschaft hinaus auf andere Disziplinen, vor allem Anthropologie und Soziologie: Im Gespräch mit ihnen sollte sich die Verfassungslehre ihren Weg suchen.

II. „Kultur" — interdisziplinär betrachtet — das Forum des Verfassungsstaates

1 . Anthropologie und Soziologie zur „Kultur“: Der weite und enge Kulturbegriff Die Wissenschaft vom öffentlichen Recht geht regelmäßig von einem Begriff der „Kultur" in einem engen Sinne aus, der sich in Anknüpfung an die Ausgestaltungen im positiven Recht sowie wissenschaftliche Grundlegungen zum Kulturverwaltungsrecht ziemlich konkret als jene Sphäre bestimmen läßt, in welcher der Staat mit der Welt des Geistes eine besonders enge Verbindung eingeht: nämlich in den drei Hauptbereichen Bildung, Wissenschaft und Kunst Dieser engere Kulturbegriff hat zudem den beachtlichen Vorteil, daß er an ein verbreitetes Alltagsverständnis von „Kultur“ anknüpfen kann.

Denkt man freilich nicht nur von Recht und Staat zur Kultur, sondern umgekehrt (auch) von der Kultur her zum Recht hin und ergänzt man das Alltagsverständnis von Kultur um anthropologische und soziologische Definitionen, dann zeigen sich schnell die (Erkenntnis-) Grenzen einer solchen begrifflichen Verengung (so sehr sie auch den Begriff der Kultur als juristischen praktisch handhabbar machen mag).

Nach einer klassischen Definition von Edward Burnett Tylor ist nämlich Kultur oder Zivilisation jenes komplexe Ganze, das Kenntnis, Glauben, Kunst, Moral, Gesetz, Sitten und andere Fähigkeiten und Gewohnheiten, die sich der Mensch als Mitglied der Gesellschaft erworben hat, einschließt Andere Definitionen sprechen von „sozialer Erbschaft" (Ralph Linton) oder vom „Ganzen der sozialen Tradition“ (Robert Harry Lowie). Nach Erarbeitung dieser frühen, klassischen Definition hat die weitere (kultur-) anthropologische Diskussion Begriffe wie Hochkultur, Volkskultur, Subkultur, Kastenkultur, parasitische Kultur und ähnliches mehr geprägt Diese Begriffe weisen darauf hin, daß die Kultur eines Gemeinwesens von vielfältigen horizontalen und vertikalen Unterteilungen geprägt ist Der essentielle Kern von Kultur besteht aus traditionalen (d. h. historisch abgeleiteten und ausgewählten) Ideen und besonders den ihnen zugeordneten Werten; Kultursysteme können einerseits als Produkte von Handlungen und andererseits als konditionierende Elemente weiterer Handlungen aufgefaßt werden

Alfred L. Kroeber und Clyde Kluckhohn haben aus über 150 Definitionen und begrifflichen Annäherungen an Kultur verschiedene Klassifikationsmerkmale und -ebenen erarbeitet: Neben der deskriptiven Beschreibung der Objektbereiche von Kultur halten sie folgende Begriffsschwerpunkte für zentral: Kultur wird historisch betrachtet (als soziales Erbe oder Tradition), normativ (als Regeln oder Lebensweise bzw. im Hinblick auf Ideale oder Werte und Verhalten), psychologisch (im Sinne von problemlösender Anpassung oder als Lernvorgang oder als Erfassung von Gewohnheiten), strukturalistisch (im Sinne der Erfassung der Muster („patterns“) bzw.der Organisation der Kultur) oder genetisch (im Sinne von Kultur als Produkt, als Ideen oder als Symbole) Solche anthropologischen bzw. soziologischen Ansätze zur Erfassung dessen, was Kultur ist, lassen sich kaum problemlos und sicher nicht ganz für „den Kultur-staat" und sein Verfassungsrecht operationalisieren. Drei Einsichten seien festgehalten: Kultur ist die Vermittlung dessen, was war — das ist der traditionale Aspekt Kultur ist die Weiterentwicklung dessen, was war — dies ist der innovative, (auch) auf sozialen Wandel ausgerichtete Aspekt Kultur ist nicht immer identisch mit der Kultur, d. h„ ein politi-sches Gemeinwesen kann verschiedene Kulturen haben — dies ist der pluralistische Aspekt An diesem System der drei Orientierungspunkte Tradition, Wandel und Pluralismus bzw. Offenheit hat sich eine Dogmatik des Kulturverfassungsrechts ebenso wie die Verfassungslehre als Kulturwissenschaft zu orientieren.

Auf der Kölner Staatsrechtslehrertagung 1983 hat Udo Steiner zusammenfassend in diesem weiten Begriffsverständnis eine soziologische Bestimmungvon Kultur als . Inbegriff der typischen Lebensformen, Werteinstellungen und Verhaltensweisen innerhalb der Gesellschaft" gesehen. Dieser . soziologisch erweiterte Kulturbegriff“ liege z. B.dem gegenwärtigen Konzept der auswärtigen Kulturpolitik (einschließlich Sport und Jugendaustausch) zugrunde Demgegenüber dominiere im öffentlichen Recht aber ein meist als . enger“ bezeichneter Kulturbegriff: ein Ubereinkunfts-und Sammelbegriff für »bestimmte, meist zum Staat in einer (in sich wieder sehr differenzierten) Sonderbeziehung stehende Bereiche geistig-schöpferischer Betätigung des Menschen": Bildung, Wissenschaft, Kunst und Religion

Erkenntnisfortschritt brachte die Umschreibung von Dieter Grimm «Kultur als ein überpersonales System von Weltdeutungen, Sinnstiftungen, Wertbegründungen und -Überlieferungen samt deren symbolischen Ausdrucksformen,...dessen soziale Funktion in der ideellen Reproduktion der Gesellschaft liegt"! Geglückt erscheint diese Formel, weil sie den Dualismus von . engerem“ (juristischem) und „weiterem“ (soziologischen) Kulturbegriff beiseite läßt, weil sie durch den Brückenbegriff der „sozialen Funktion“ eine Öffnung auch für Gegen-und Subkulturen erreicht und zugleich die „Vertikale“ des Ideellen erfaßt, schließlich weil sie via Kultur den einzelnen und die Gesellschaft in den Sozialisationsprozessen zugleich denkt

Auf diesem Hintergrund wird es möglich, einen variablen, erweiterungsfähigen, sowohl traditional orientierten als auch (in der Zeitdi-mension und im Heute) offenen (pluralistischen) Kulturbegriff bereitzuhalten. Auf ihn können die Einzelwissenschaften, aber auch die Verfassungsrechtslehre je nach ihren Aufgaben und unterschiedlichen Texten und Kontexten zurückgreifen (verschieden nach Raum und Zeit).

Dem jeweiligen Verfassungsgeber bleibt Gestaltungsspielraum in der Spezifizierung der Bereiche und Aufgaben, die er als „kulturell" für relevant hält und entsprechend bewerten will. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat entsprechende Möglichkeiten, aktuell z. B. in der Frage, ob ein ausdrückliches kulturelles Grundrecht auf Gründung von Privatuniversitäten in das Grundgesetz (oder Länderverfassungen?) aufgenommen werden soll Auch der einfache Gesetzgeber kann kulturell gestalten und Maßstäbe setzen, wie es oft genug geschieht; Regierung und Verwaltung haben ihrerseits im Rahmen ihrer Kompetenzen . Kulturgestaltungsmacht".

Schließlich können Wissenschaft und Rechtsprechung differenzierend und variierend den Kulturaspekt in die Auslegung und Fortentwicklung des geltenden Rechts — mitunter noch stärker als bisher — einbringen; die . Kulturstaatsjudikatur“ des Bundesverfassungsgerichts liefert genügend prätorisches Anschauungsmaterial Letztlich ist dieser Ansatz freilich schon vom Verfassungsstaat als Typus her gedacht und insoweit Ergebnis eines interdisziplinären Gesprächs vor dem Forum dieses Verfassungsstaates: Es sind die anthropologischen Gründe der Kulturbedürftigkeit des Menschen und seiner im Miteinander entfalteten Freiheit sowie die Tatsache, daß der Verfassungsstaat im Dienste dieses Menschen und seiner Würde steht, die ihn selbst in den Zusammenhang mit der Kultur rücken und von ihr aus legimitieren. 2. Kultur und Verfassungsstaat Die theoretische Erarbeitung der Strukturen, Inhalte und Formen des Kulturverfassungsrechts muß — über das Teilgebiet der Kultur-verfassung hinaus — den Verfassungsstaat insgesamt in seinem Verhältnis zur Kultur sehen. Dazu einige Überlegungen

Verfassungsstaat sei hier als Typus genommen. Als Typus ist dieser Verfassungsstaat eine kulturelle Errungenschaft der westlichen Welt, von der Verfassungsbewegung durch Revolution und/oder Reformen erkämpft, von nicht wenigen erlitten, von Klassikertexten eines John Locke und Baron de Montesquieu, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant erarbeitet, vom Bürgertum durchgesetzt, von der Sozialdemokratie mit reformiert. Er ist Ergebnis und Leistung langwieriger kultureller Prozesse, wie sie als „kulturelles Erbe“ etwa in Klassikertexten der erwähnten, auf einzelne Persönlichkeiten weisenden Art, aber auch in typischen Verfassungsrechtstexten der pluralistischen Verfassungsgeber tradiert und immer neu angeeignet werden, und er erhebt zugleich den Zukunftsanspruch, das einmal erreichte Niveau des Verfassungsstaates nicht mehr zu unterschreiten, sondern zu bewahren und in Prozessen der Bewährung fortzuentwickeln: soweit „Zwerge auf den Schultern" der Klassiker-Riesen besser sehen können

Dieser Verfassungsstaat konstituiert sich, im historischen und kontemporären Vergleich seiner Texte genommen und wissenschaftlich auf den Begriff gebracht, aus folgenden Elementen: — Zuerst die Menschenwürde als anthropologische Prämisse, erfüllt aus der Kultur eines bestimmten Volkes und aus universalen Menschenrechten, gelebt aus der Individualität dieses Volkes, das seine Identität in geschichtlichen Traditionen und Erfahrungen und seine Hoffnungen in Wünschen und im Gestaltungswillen für die Zukunft findet und sich seine Verfassung entsprechend individuell „gibt";

— sodann das Prinzip der Volkssouveränität als Formel zur Kennzeichnung des immer neu gewollten und öffentlich verantworteten Zusammenschlusses unter der Direktive der Gerechtigkeit und im Ringen um ein pluralistisch zustandekommendes Gemeinwohl — insofern geht in der Tat (mit Dolf Sternberger) „nicht alle Staatsgewalt vom Volk aus", der verfassungsstaatliche Verfassungsgeber steht in übergreifenden rechtskulturellen Zusammenhängen; — des weiteren ein Verständnis der Verfassung als Vertrag im Sinne eines immer neuen „Sich-Vertragens und Sich-Ertragens" aller Bürger und Gruppen, Vertrag verstanden als Konsensbasis und -rahmen für die Formulierung von Erziehungszielen und Orientierungswerten

— das Prinzip der Gewaltenteilung im engeren (staatlichen) und weiteren (pluralistischen) Sinne;

— das Rechtsstaats-und Sozialstaatsprinzip mit Teilelementen wie Gesetzmäßigkeit, Unabhängigkeit der Rechtssprechung, Staatshaftung; aber auch — das Kulturstaatsprinzip in all seinen Varianten. All dies fügt sich zu einer verfaßten Bürger-demokratie mit dem Pluralismus als Prinzip. Die Verfassung des Verfassungsstaates ist nicht nur rechtliche Ordnung für Juristen und von diesen zu interpretieren, sie wirkt auch als Leitfaden für Nichtjuristen: für den Bürger, für die Politiker. Die verfassungsstaatliche Verfassung ist nicht nur juristisches „Regelwerk“, sondern auch Ausdruck eines kulturellen Entwicklungszustandes, Mittel der kulturellen Selbstdarstellung des jeweiligen Volkes, Spiegel seines kulturellen Erbes und Fundament seiner Hoffnungen. Diese kulturelle Geltungsweise lebender Verfassungen ist am schönsten erfaßt in dem von Hermann Heller aktivierten Bild Johann Wolfgang Goethes, Verfassung sei „geprägte Form, die lebend sich entwickelt".

Dieser kulturelle Ansatz schafft einen Zusammenhang, in der Tiefe wie in der Zeitperspektive, welchen Staat, Verfassung und positives Recht als solche für ein Volk nicht herstellen können. „Volk" im Sinne des Demokratieprinzips läßt sich überhaupt nur in dem durch Traditionen und Zukunftsentwürfe der Kultur gestifteten tieferen Generationen-Zusammenhang begreifen Zum „Volk" werden die vielen Einzelnen und Gruppen durch einen bestimmten geschichtlich gewordenen und sich weiter entwickelnden Kulturzusammen57 hang Insoweit darf man mit Fug und Recht von „kultureller Demokratie“ sprechen. Aber der in dieser Weise kulturell zu lesende bzw. einzubindende Satz in Art. 20 GG (Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus") ist seinerseits auf Art. 1 GG oder ähnliche verfassungsstaatliche Menschenwürdeklauseln als die anthropologische Prämisse zu „stellen“: im Bewußtsein freilich, daß die Lebenswelt des einzelnen ihrerseits kulturell konstituiert ist Juristisch gesehen het ein Volk eine Verfassung; erweitert kulturell und jetzt kulturwissenschaftlich betrachtet ist es in (mehr oder weniger guter) Verfassung!

Die Akzeptanz einer konkreten Verfassung, ihre Verwurzelung in Bürgerethos und Gruppenleben, ihr Verwachsensein mit dem politischen Gemeinwesen etc. — all dies hat zwar bestimmte rechtliche Normierungen zur Voraussetzung, aber darin liegt noch keine Garantie, daß eine verfassungsstaatliche Verfassung hic et nunc wirklich ist -Vielmehr steckt die Kultur eines Verfassungsstaates einen Identifikationsmöglichkeiten schaffenden Rahmen ab der Bürger, Volk und Recht „zusammenhält" und integriert, weil die Idee kultureller Freiheit alle eint. Doch bedarf es auch übergreifend gemeinsamer Kulturinhalte, damit ein Mindestmaß an gerade in offenen Ge-Seilschaftenunverzichtbarer Integration und Identifikation dank Kultur geleistet wird

Der so historisch und für die Gegenwart auch theoretisch erarbeitete Zusammenhang zwischen dem Typus Verfassungsstaat und der Kultur erfährt für Deutschland seine besondere Bestätigung: „Der deutsche Nationalstaat hat sich als Verfassungsstaat und zugleich als Kulturstaat im 19. Jahrhundert durchsetzen wollen und durchgesetzt. Nationalkultur ist ein notwendiges Pendant zum nationalen Verfassungsstaat" und: „Die Legitimation des modernen Verfassungsstaates ist ohne die kulturstaatliche Entscheidung nicht möglich."

Vom Typus des modernen Verfassungsstaates her gedacht und von der geschichtlichen Entwicklung sowie der theoretischen Konzeption seines — deutschen — Beispiels in der Bundesrepublik Deutschland aus sind also Kultur und dieser konkrete Verfassungsstaat von vornherein zusammenzudenken. Dies hat Konsequenzen für das Verständnis seiner verfassungsrechtlichen Texte: Der Kultur-aspekt ist in ihnen mitzudenken und mitzulesen, auch dort, wo die Texte fragmentarisch bleiben.

Speziell im Kulturverfassungsrecht aber intensiviert und konzentriert sich der skizzierte allgemeine Zusammenhang zwischen Verfas-sungsstaat und Kultur in einer für den deutschen Verfassungsstaat typischen Weise. Von der Bürgerseite her gedacht sind es seine die Menschenwürde konkretisierenden kulturellen Freiheiten, die das Kulturverfassungsrecht mit Leben erfüllen von der verfassungsstaatlichen, bundesstaatlich gegliederten Seite aus gibt es einen verfassungsrechtlichen Kulturauftrag, der sich „auf die Sicherung der kulturellen Grundlagen von Person und Gesellschaft, die Ermöglichung kreativer kultureller Prozesse und die Verbreitung kultureller Güter" bezieht Schließlich ist Kultur für die Lehre vom Verfassungsstaat und seinem „speziellen“ Kulturverfassungsrecht nur insofern greifbar, als sie vom Differenzierungspostulat aus erschlossen wird Je nach Lebens-und Funktionsbereichen ist Kultur vom Verfassungsrecht her verschieden zu begreifen: eher herkömmlich im Blick auf Bildung, Wissenschaft und Kunst und orientiert am Ideal des „Schönen, Guten und Wahren“ im Sinne des Humanismus, oder eher alternativ oder durchschnittlich: z. B. im Breitensport Damit wird der Blick frei für die rechtliche Ausformung des Kulturverfassungsrechts speziell in der Bundesrepublik Deutschland.

III. Die „Sache Kultur" im Spiegel bundesdeutscher Verfassungstexte (Bestandsaufnahme)

1. Die vier Geltungsebenen („Schichten“)

von Kulturverfassungsrecht Das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland erschließt sich den positiv-rechtlichen Texten nach aus vier Geltungsebenen: aus den Länderverfassungen (einschließlich „gemeindeutschen Kulturrechts"), aus der Bundesverfassung (einschließlich ungeschriebener Kompetenzen), aus dem „kommunalen Kulturverfassungsrecht" (das gemeinsam durch Länder-und Bundesverfassungsrecht konstituiert wird) und aus den sich zunehmend verdichtenden Konturen des europäischen Kulturverfassungsrechts einschließlich kulturrechtlicher Texte aus dem Internationalen Recht, etwa der Menschenrechtspakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, als Interpretationshilfen bei der Auslegung innerstaatlichen Kultur-verfassungsrechts. a) Länderverfassungsrecht in Sachen Kultur Zu beginnen ist mit dem Länderverfassungsrecht in Sachen Kultur, denn in unserem Bundesstaat lebt das Kulturverfassungsrecht in besonderer Weise aus der aktiv „erfüllten“ Kulturhoheit der Gliedstaaten, denen das Grundgesetz den Kulturbereich grundsätzlich überläßt (Art. 30, ff., 83 ff. GG) 70). Erscheinungsformen gibt es viele: Es finden sich allgemeine Kulturstaatsklauseln (wie in Art. 3 der bayerischen Verfassung eigene reich gegliederte Abschnitte wie in der Verfassung von Rheinland-Pfalz (Erster Hauptteil, Dritter Abschnitt: „Schule, Bildung und Kulturpflege", Art. 27— 40), bereichsorientierte Förderungsartikel wie Art 7 Abs. 1 der Verfassung von Schleswig-Holstein („Das Land fördert und schützt Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre"), beispielhafte Spezialkompetenzen des kommunalen Kulturverfassungsrechts (wie in Art. 83 Abs. 1 der bayerischen Verfassung: „örtliche Kulturpflege“), ein vorbildliches Erziehungsziel (wie Art 26 Ziff. 4 der Verfassung von Bremen: „Erziehung zur Teilnahme am kulturellen Leben des eigenen Volkes und fremder Völker"), ein Denkmal-und Landschaftsschutzartikel (wie in Art. 62 der hessischen Verfassung). Die allgemeine Schulpflicht (Art. 8 Abs. 2 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen) gehört ebenso hierher wie ein kulturelles Grundrecht (z. B. die Pri-vatschulfreiheit nach Art 28 der saarländischen Verfassung oder staatskirchenrechtliche Artikel, z. B. Art. 4— 10 der Verfassung von Baden-Württemberg).

Der Formenreichtum der deutschen kultur-verfassungsrechtlichen Regelungen ist groß und übertrifft die Länderverfassungen in anderen Bundesstaaten wie etwa der Schweiz und Österreich bei weitem; die Länder sind insoweit eine Art „Werkstatt" für die Erfindung und Bewährung, aber auch Fortentwicklung von Kulturverfassungsrecht.

An typischen Bereichen lassen sich differenzieren: Bildung, Wissenschaft, Kunst, Natur-und Denkmalschutz, Staatskirchenrecht, neuerdings auch Medienrecht und intensiviert Umweltschutz. Dabei kommt es zu Überschneidungen: Das Feiertagsrecht als spezifisches Kulturverfassungsrecht reicht auch in das Arbeits-und Wirtschaftsverfassungsrecht hinüber. Darum ist es mitunter hier geregelt (z. B. Art. 55 der Verfassung von Bremen). Ob und inwieweit es „gemeindeutsches" Verfassungsrecht und darin auch Kulturverfassungsrecht gibt, erschlossen aus einem Vergleich der Länderverfassungen, sei hier nur als Frage formuliert Jedenfalls vermag das Kulturverfassungsrecht der Länder auch dem Bund Anregungen zu geben und vice versa. b) Bundesverfassungsrecht in Sachen Kultur Nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung gemäß Art. 30, 70 ff., 83 ff. GG hat der Bund keine General-oder Grundsatzkompetenzen in Sachen Kultur. Ihm kommen nur einzeln aufgezählte Kompetenzen zu, die freilich (begrenzt) um ungeschriebene Kulturstaatszuständigkeiten zu ergänzen sind.

Der Bund besitzt nur fragmentarisch oder segmenthaft Kulturkompetenz: geschrieben in Gestalt einzelner Gesetzgebungszuständigkeiten wie Art. 73 Ziff. 9, Art Ziff. 5, 13, Art Ziff. 1 a GG und der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau" (Art. 91 Ziff. 1; siehe auch Art 91b GG), in Gestalt kultureller Grundrechte wie Art. 4 und 5 GG mit ihren durch Interpretation „angelagerten" objektivkulturstaatlichen Gehalten 74) sowie der Bildungsgrundrechte 75) in Form des institutionellen Staatskirchenrechts nach Art. 140 GG.

Ungeschriebene Bundeskompetenzen in Sachen Kultur finden sich (begrenzt) in der Zuständigkeit für auswärtige Kulturpolitik bzw. in der gesamtstaatlichen („nationalen") Repräsentation (aktuell im Streit um die deutsche Nationalstiftung oder die Bundeskunsthalle) '

Im ganzen läßt sich gewiß sagen, die Bundesrepublik Deutschland sei in Anspruch und Wirklichkeit ein Kulturstaat, nur ändert dies nichts an der beschriebenen Kompetenzverteilung und -Zuordnung zwischen Bund und Ländern (auch Gemeinden) in Sachen Kultur. Auch Bundeskompetenzen (etwa die zur auswärtigen Kulturpolitik) müssen in Rücksichtnahme auf die föderalistische Vielfalt ausgeübt werden Da das Landes-und das Bundesverfassungsrecht erst gemeinsam den Staat Bundesrepublik Deutschland „machen“, kann sich diese Bundesrepublik im ganzen mit dem Prädikat „Kulturstaat“ schmücken, unabhängig von einer ausdrücklich geschriebenen Staatszielbestimmung „Kultur“. c) „Kommunales Kulturverfassungsrecht“ „Kommunales Kulturverfassungsrecht" wird durch Landes-und Bundesverfassungsrecht gemeinsam konstituiert. Von der Wissenschaft begrifflich erst 1979 entwickelt und heute allgemein akzeptiert ist jetzt auf Grundgesetz-Ebene ein Stück kommunales Kulturverfassungsrecht aus Art. 28 Abs. 2 zu „entwickeln" („örtliche Gemeinschaft“ als kulturelle Gemeinschaft „vor Ort"). Hinzuzunehmen sind kommunale Selbstverwaltungsgarantien der Länderverfassungen mit ausdrücklichen Kulturhinweisen (vor allem Bayern: Art. 83 Abs. 1 — „örtliche Kulturpflege“ — auch Art. 10 Abs. 4 ebd.), ferner allgemeine oder spezielle kulturelle Förderungsaufträge, die sich auf Staat und Gemeinden beziehen Diese Verfassungstexte, gemeinrechtlich zu einer kommunalen Kulturhoheit verdichtet, konstituieren die Kommunen als dritte Säule im staatlichen kompetenziellen Trägerpluralismus in Sachen Kultur als ein Stück „kultureller Gewaltenteilung" im engeren Sinne. d) „Europ Abs. 1 — „örtliche Kulturpflege“ — auch Art. 10 Abs. 4 ebd.), ferner allgemeine oder spezielle kulturelle Förderungsaufträge, die sich auf Staat und Gemeinden beziehen 79). Diese Verfassungstexte, gemeinrechtlich zu einer kommunalen Kulturhoheit verdichtet, konstituieren die Kommunen als dritte Säule im staatlichen kompetenziellen Trägerpluralismus in Sachen Kultur als ein Stück „kultureller Gewaltenteilung" im engeren Sinne. d) „Europäisches Kulturverfassungsrecht“

Das europäische Recht ist eine letzte Ebene, die das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland mitprägt. Strictu sensu kann zwar noch nicht von europäischem Kulturverfassungsrecht gesprochen werden, denn es gibt noch keinen europäischen Verfassungsstaat 80). Indessen sind Vorformen erkennbar in dem Maße, wie Europa eine „werdende Verfassung" hat oder schon ist. Es gibt bereits eine Fülle von kulturellen Rechtstexten, die das interne Kulturverfassungsrecht der einzelnen Verfassungsstaaten in Europa mitprägen 81). Zu nennen sind aus dem Bereich kultureller Grundrechte einzelne Garantien der Menschenrechtskonvention von 1950, z. B. die Gedanken-, Gewissens-und Religionsfreiheit (Art. 9), aus dem Zusatzprotokoll von 1952 das Recht auf Bildung (Art. 2) 82), ferner die Satzung des Europarats 1949 mit einer Berufung auf das gemeinsame geistige Erbe schon in der Präambel und das Europäische Kulturabkommen von 1954 mit Aussagen über den Zugang zu den „europäischen Kulturgütern", die Bestandteil des gemeinsamen europäischen kulturellen Erbes sind. Hinzu treten aber mindestens als Interpretationshilfen auf Verfassungshöhe Garantien aus dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966/73, etwa gemäß Art 15 Abs. 1 a das Recht eines jeden, „am kulturellen Leben teilzunehmen“. 2. Die sechs rechtstechnisch typischen bzw.

bereichstypischen Erscheinungsformen von Kulturverfassungsrecht a) Allgemeine und spezielle Kulturstaatsklauseln Im geltenden deutschen Kulturverfassungsrecht begegnen, in der rechtstechnisch allgemeinsten Form, generelle und spezielle Kulturstaatsklauseln. Prägnantes Beispiel für jene ist Art 3 Abs. 1 S. 1 der bayerischen Verfassung: Bayern ist ein Kulturstaat. Die klassischen verfassungstextlichen Staatszielbestimmungen Rechtsstaat und — jünger — Sozialstaat sind hier ergänzt um die kulturelle Dimension. Eine derartig weit gespannte Generalklausel enthält unter den deutschen Ländern bisher nur Bayern. Sie ist Verfassungsdirektive für den Gesetzgeber, Handlungsmaxime und Interpretationsgesichtspunkt für die Verwaltung und Auslegungshilfe für die Rechtsprechung.

Im übrigen leidet die allgemeine Kulturstaatsklausel wohl in besonderer Weise darunter, daß es eine entfaltete verfassungsstaatliche Staatsaufgabenlehre bislang nicht gibt. Verfassungspolitisch ist für die Länderverfassungen eine allgemeine Kulturstaatsklausel uneingeschränkt zu empfehlen 83). Sie bringen die Kompetenz der Länderstaatlichkeit, die Kulturhoheit, ebenso angemessen wie anspruchsvoll zum Ausdruck. Besondere, d. h. bereichsspezifische Kulturstaatsklauseln treten in deutschen Landesverfassungen recht häufig auf. In Form und Inhalt repräsentatives Beispiel ist eine Norm wie Art 18 Abs. 1 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen: „Kultur, Kunst und Wissenschaft sind durch Land und Gemeinden zu fördern“. Eine Art „Spezialisierung“ hat die erwähnte bayerische Kulturstaatsklausel durch die Verfassungsänderung von 1984 in ihrem neuen Absatz 2 erfahren: „Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung." So erfreulich klar darin zum Ausdruck kommt daß heute Naturschutz zum Kulturschutz geworden ist, so fragwürdig ist es, daß der traditionale Aspekt jetzt einseitig betont erscheint Von einem offenen Kulturkonzept aus muß der Weg für neue Kulturaufgaben und -inhalte freibleiben. Darum empfehlen sich verfassungspolitisch spezielle Kulturstaatsklauseln im „Insbesondere-Stil" Freilich wird der Übergang zwischen der Kategorie spezieller Kulturstaatsklauseln und spezieller Kulturkompetenzen fließend, um so mehr, wenn man im Sinn des materiellen Kompetenzverständnisses interpretiert (Kompetenz als sachlicher Auftrag, z. B. Art 74 iff. 5 GG: Verfassungsauftrag, nicht nur Kompetenz zum Schutz der Abwanderung deutschen Kulturguts ins Ausland) b) Kulturverfassungsrecht in Präambelform Der allgemeinen und besonderen Kulturstaatsklausel recht nahe kommen kulturverfassungsrechtliche Gehalte in Präambelform. Die Präambeln des Europäischen Kulturabkommens und der Europäischen Menschenrechtskonvention wurden schon erwähnt. Eine tiefere kulturwissenschaftliche Interpretation vermag auch der Präambel des Grundgesetzes und vieler Länderverfassungen Kulturgehalte zu entnehmen c) Kulturelle Grundrechte Eine häufige und vielgestaltige Erscheinungsform von Kulturverfassungsrecht bilden kulturelle Grundrechte. Als Beispiel sei Art. 2 Abs. 1 der Verfassung von Bremen — eine eher teilhaberechtliche Garantie — zitiert: »Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben das Recht auf gleiche wirtschaftli-ehe und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten", oder eher objektivrechtlich: Art. 34 Abs. 1 der saarländischen Verfassung: „Kulturelles Schaffen genießt die Förderung des Staates". Die klassische abwehrrechtliche Fassung eines kulturellen Grundrechts wird z. B. durch Art. 10 der hessischen Verfassung repräsentiert: „Niemand darf in seinem wissenschaftlichen oder künstlerischen Schaffen und in der Verbreitung seiner Werke gehindert werden."

Art. 5 Abs. 3 GG wird mitunter zum maßgebenden Bezugspunkt der grundgesetzlichen Kulturverfassung erklärt Dimensionen, die der Grundgesetzgeber etwa für die Freiheit der Kunst bzw. das Zugangsrecht zu ihr als Teilhaberecht textlich nicht ausdrücklich verankert hat, beginnt das Bundesverfassungsgericht herauszuarbeiten Schon hier zeigt sich, wie sehr das Kulturverfassungsrecht in Wachstumsprozessen begriffen ist d) Einzelkompetenzen auf kulturellen Gebieten Ein vierter kulturverfassungstextlicher Typus ist die spezielle kulturstaatliche Kompetenz. Ein Beispiel liefert das Grundgesetz in der Zuständigkeit zur Bildungsplanung nach'Art 91b GG oder zum Urheberschutz nach Art. 73 Ziff. 9 So punktuell auf Bundesverfassungsebene die Kulturkompetenzen sind, so allgemein, aber doch in Einzelnormen aufgefächert, dürfen die im Besitz der Kulturhoheit befindlichen Länder in ihren Verfassungen vorgehen. Viele enthalten gegliederte Abschnitte über Teilaspekte des Kulturverfassungsrechts und darin finden sich dann ganze Bündel von Kulturaufgaben: von der Erwachsenen-und Volksbildung bis zum Denkmal-, Natur-und Umweltschutz. Die geschriebenen Verfassungen nennen Teilgebiete des Kulturverfassungsrechts wie Kunst und Wissenschaft, Schule und Hochschule, Erwachsenen-und Volksbildung, Kirchen und Religionsgesellschaften als Bereiche, für die speziell gestufte Kulturkompetenzen bestehen. e) Erziehungs-und Bildungsziele Eine weitere Kategorie von Kulturverfassungsrecht findet sich in Gestalt der Erziehungs- und Bildungsziele. Erst Ende der siebziger Jahre von der Staatsrechtslehre entdeckt können sie heute als ein Herzstück des Kulturverfassungsrechts gelten Sie führen in ebenso rationale wie emotionale Konsensgrundlagen des Verfassungsstaats überhaupt Die deutschen Länderverfassungen nach 1945 widmen sich ihnen besonders intensiv und durchaus variantenreich, wohl auch deshalb, weil sie damals erst so wieder „Grund“ finden konnten Art. 131 der bayerischen Verfassung gestaltet die Erziehungsziele detailliert, ja liebevoll, mitunter ein wenig naiv, aber auch grundsätzlich. Wie sehr die Erziehungsziele als Kultur-verfassungsrecht leben und sich (mit den übrigen Teilen der Verfassung) weiterentwikkeln, zeigt sich an der bayerischen Verfassungsänderung von 1984 in Sachen Umweltschutz: sie geht doppelt, d. h. sowohl juristisch als auch pädagogisch vor und erstreckt sich auf Art. 141 (juristischer Umweltschutz) und Art. 131 Abs. 2 (Erziehungsziele). Bei einem Einzelvergleich der deutschen Länderverfassungen untereinander kristallisieren sich als kulturverfassungsrechtlicher Standard die Erziehungsziele Toleranz, Menschenwürde, Verantwortungsbewußtsein, Demokratie und Völkerversöhnung heraus. Wo sie nicht ausdrücklich im Verfassungsrecht erscheinen, können sie auf interpretatorischem Wege erschlossen werden: in dem Maße, wie Verfassungstexte sich auch „als“ Erziehungsziele deuten lassen Insofern enthält das Grundgesetz selbst das Erziehungsziel „Toleranz“: als „andere“ Seite von Art 2 Abs; 1 GG („Rechte anderer")

Im übrigen bestehen innere Zusammenhänge und inhaltliche Entsprechungsverhältnisse zu den anderen Erscheinungsformen von Kultur-verfassungsrecht, insofern gleiche Sachgehalte in unterschiedlichen Normierungstechniken positiviert werden So entspricht z. B. das Bremer Erziehungsziel „Erziehung zur Teilnahme am kulturellen Leben des eigenen Volkes und fremder Völker" (Art. 28 Ziff. 4 der Verfassung von Bremen) den Teilhabestrukturen, die einzelnen kulturellen Grundrechten schon rechtstextlich ausdrücklich zuerkannt sind: innerstaatlich (Art. 34 Abs. 2 S. 2 der saarländischen Verfassung), prätorisch durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 31, 248 (254), aber auch auf international-menschenrechtlicher Ebene

Erneut zeigt sich, wie Erziehungsziele kulturelle Grundrechte, Präambeln und einzelne Kulturaufgaben den spezifischen Kulturinhalten der Verfassung zugehören und in einer gemeinsamen Schicht wurzeln, überdies wird der Zusammenhang zwischen dem Kultur-verfassungsrecht und anderen, bisher „nur juristisch" gedeuteten Grundprinzipien der Verfassung greifbar. Das Erziehungsziel „Menschenwürde“ ist nur die „andere Sei-te“ der Menschenwürdeklausel im Grundgesetz (Art 1) und in Länderverfassungen Art. 26 GG liegt die aus den Länderverfassungen bekannte „Völkerversöhnung“ zugrunde Die Verfassung bestätigt sich als eine kulturelle Einheit f) „Kultureller Trägerpluralismus“

In den Rahmen dieser Bestandsaufnahme typischer Erscheinungsformen und Inhalte von Kulturverfassungsrecht gehört die Pluralität von Trägern, die Kulturverantwortung haben, Kulturaktivitäten wahrnehmen und durchaus auch in kultureller „Konkurrenz“ miteinander stehen (Vielfalt kultureller Angebote, Bewertungen, Gestaltungen und Leistungen). Dieses Strukturelement des deutschen Kulturverfassungsrechts sei als „kultureller Trägerpluralismus" gekennzeichnet. Dabei ist zwischen formellem und materiellem Trägerpluralismus zu unterscheiden. Formeller Trägerpluralismus meint Kulturkompetenzen für voneinander unabhängige Träger; im staatlich-kompetenziellen Bereich sind dies im Rahmen verfassungsrechtlicher Vorgaben Bund und Länder (zum Teil Regionen) sowie Gemeinden, im gesellschaftlich-öffentlichen Bereich sind es vor allem Rundfunk und Fernsehen, staatliche Universitäten und — weiter vom Staat entfernt — Kirchen, Parteien, Gewerkschaften, Verbände (z. B. in der Erwachsenenbildung, der Jugendarbeit, den Privatschulen). Der materielle Trägerpluralismus bringt zum Ausdruck, daß es um kulturelles Gestalten nach unterschiedlichen Gesichtspunkten geht: So gibt es Erziehungsziele nach staatlich-schulischen, gesellschaftlich-öffentlichen und elterlich-privaten Gesichtspunkten. Der formelle Trägerpluralismus steht im Dienste des materiellen.

Dazu einige andere Beispiele: Im staatlichkompetenziellen Feld ist der Trägerpluralismus im kommunalen Kulturverfassungsrecht, andererseits die europarechtlich konstituierte Vielfalt hinzuzunehmen. Weniger geläufig sind so geglückte Normen wie Art. 12 der Verfassung von Baden-Württemberg: „Verantwortliche Träger der Erziehung sind in ihren Bereichen die Eltern, der Staat, die Religionsgemeinschaften, die Gemeinden und die in ihren Bünden gegliederte Jugend."

Dieser bereichsdifferenzierende Ansatz läßt sich über den kulturverfassungsrechtlichen Teilbereich Erziehung hinaus verallgemeinern: Man denke an den kulturellen Träger-pluralismus, den die staatlichen Universitäten für die Wissenschaft und Lehre vermitteln sollten auch an öffentlich-rechtliche Rundfunk-und Fernsehanstalten für ihren speziellen Kulturauftrag.

Der auf allen Geltungsebenen des Kulturverfassungsrechts nachweisbare kulturelle Trägerpluralismus kann in den verschiedensten Zusammenhängen und Rechtsfiguren zum Ausdruck kommen: in Gestalt von Kompetenzartikeln und Verfassungsaufträgen in Sachen Kultur, in Erziehungs-und Bildungszielen und im Ergebnis auch in Garantien kultureller Grundrechte.

Eine Besonderheit des kulturellen Trägerpluralismus ist das „korporative Kulturverfassungsrecht“. Es gilt im gesellschaftlich-öffentlichen und privaten Bereich (Art. 19 Abs. 3 GG in Verbindung mit kulturellen Grundrechten Gemeint sind Garantien wie Art. 37 der Verfassung von Rheinland-Pfalz, wo auf den an Staat und Gemeinden gerichteten Förderungsauftrag in Sachen Volksbildungswesen (einschließlich Volksbüchereien und Volkshochschulen) der Satz folgt: „Die Errichtung privater oder kirchlicher Volksbildungseinrichtungen ist gestattet.“

Der Reichtum des deutschen Staatskirchen-rechts an korporativem Kulturverfassungsrecht wird illustriert durch Art. 40 der saarländischen Verfassung: „Die von den Kirchen und Religionsgemeinschaften oder ihren Organisationen unterhaltenen sozialen und karitativen Einrichtungen sowie ihre Schulen werden als gemeinnützig anerkannt"

Eine weitere Facette des kulturellen Träger-pluralismus rückt in Art. 26 der Verfassung von Rheinland-Pfalz ins Bild: „In den Angelegenheiten der Pflege und Förderung der Familie und der Erziehung der Jugend ist die Mitwirkung der Kirchen und Religions-und Weltanschauungsgemeinschaften und Verbände der freien Wohlfahrtspflege nach Maßgabe der Gesetze gewährleistet.“

Zusammenfassend-, Der beschriebene kulturelle Trägerpluralismus kennzeichnet das Kulturverfassungsrecht insgesamt, aber auch seine Teilbereiche wie Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Kunst, Sport und Medien, auch Religion, Denkmal-und Naturschutz (als Kulturschutz). Was die (vor allem Länder-) Verfassungstexte hier rechtstechnisch und inhaltlich bisher geleistet haben, ist eine Herausforderung für die Kulturverfassungstheorie, den kulturellen Trägerpluralismus hochrangig einzuordnen und in den Wachstumsprozessen der verfassungsstaatlichen Verfassungen weiter zu entwickeln.

IV. Strukturprinzipien des Kulturverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland

Im folgenden sei das Kulturverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland in einzelnen Strukturprinzipien charakterisiert: „Kulturverfassungsrecht" wird dabei als Teilgebiet des Verfassungsrechts verstanden — ungeachtet aller tieferen Zusammenhänge zwischen Kultur und Verfassungsstaat im ganzen — , so wie man das Arbeitsverfassungsrecht oder das Wirtschaftsverfassungsrecht unterscheidet Erst das Zusammenwirken solcher im Verfassungsrecht des Bundes und der Länder bzw. gemeinsam verwirklichten Strukturprinzipien verleiht der Sache Kulturverfassungsrecht die Konturen, die es zum eigenen Bereich machen. 1. Spezifische Offenheit des Kulturverfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland a) Kultureller Trägerpluralismus Die spezifische Offenheit des Kulturverfassungsrechts unserer Republik wird geschaffen durch jenen kulturellen Trägerpluralismus, der die kulturellen Grundrechte ergänzt. Die Konkurrenz, ja Rivalität zwischen den teils staatlichen, teils gesellschaftlich-öffentlichen Kulturträgern (und ihren unterschiedlichen Kulturpolitiken) ist eine Garantie für Offenheit, Kreativität und Lebendigkeit der Kultur. Verfassungsrechtlich handelt es sich bei diesem Pluralismus um eine Form der Gewalten- teilung, teils im engeren „staatlichen“ Sinne, teils im weiteren „gesellschaftlichen" Sinne. Erweitert man den Blick auf die europäische Ebene, etwa das Europa der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Zehn, einerseits (Stichwort „Dezentralisation“) und auf die privaten kulturellen Freiheiten der Bürger und Gruppen andererseits, so wird die ganze Breite der Verfassung des Pluralismus in Sachen Kultur greifbar.

Auf der Ebene der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft formuliert, ist kultureller Trägerpluralismus das Prinzip, das die Kultur-verantwortung zwischen Verfassungsstaat und gesellschaftlichen Gruppen aufteilt bzw. verteilt; kulturelle Vielfalt und Freiheit erweist sich dabei als „Gemeinschaftsaufgabe“ eben dieses Verfassungsstaates und dieser Gesellschaft Ein Zuviel an Kulturstaat entspräche dem Grundgesetz ebensowenig wie ein Zuviel an gesellschaftlicher Kulturgestaltungsmacht (im Sinne Ernst Rudolf Hubers).

Speziell unser Bundesstaat ist so sehr Ausdruck der kulturellen Vielfalt des politischen Gemeinwesens, daß eine verfassungsstaatliche Bundesstaatstheorie am besten von der kulturverfassungsrechtlichen Seite aus zu erarbeiten wäre Man blicke einmal ganz praktisch auf das, was die deutschen Länder aus ihrer Kulturhoheit an Unterschiedlichem „machen“. Sie legitimieren und konturieren sich geradezu aus ihrer Kulturpolitik; man braucht nicht nur an das Süd-Nord-oder Nord-Süd-Gefälle zu erinnern.

Das kulturföderalistische Spannungsfeld wird z. B. sichtbar in den neuen Wegen der Hansestadt Bremen in der Arbeitsbeschaffung für Künstler im oft erfolgreichen Zugriff Bayerns auf berühmte Künstler (auch Professoren?), in Einrichtungen wie dem Hessentag oder in anderen Formen des kulturellen Selbstverständnisses eines Landes. Die Vielfalt und Konkurrenz gemeindlicher Kulturarbeit ist in Quantität (Haushaltei) und Qualität nicht minder beeindruckend.

Ein Wort zu den nach Maßgabe ihres Selbstverständnisses aktiv werdenden Kulturaufträgen im gesellschaftlich-öüenWichen Bereich: Wie sehr sie fehlen, zeigt die heutige Diskussion um die Wiederbelebung privaten Mäzenatentums, das letztlich immer ins öffentliche hineinwächst — auch das korporative Kulturverfassungsrecht ist eine unverzichtbare Ergänzung sowohl des staatlichen Trägerpluralismus als auch der Garantie kultureller Grundrechte des Individuums-. Kirchen, Religionsgemeinschaften und Wohlfahrtsverbände, auch private Kulturvereine leisten in Sachen Kultur vieles, was weder der Staat noch der einzelne Bürger zu erbringen vermögen Erst dadurch entsteht Freiheit der Kultur im sozialen Leben im ganzen: kulturelle Öffentlichkeit im Verfassungsstaat.

Der kulturelle Trägerpluralismus erweist sich heute rechts-und verfassungspolitisch in besonderer Weise erweiterungsfähig und -bedürftig: Man denke an die Diskussion um Privatuniversitäten, die vielleicht eines Tages ebenso ein Thema von Verfassungsgarantien werden können, wie die Privatschulen dies früher erreicht haben ähnliches gilt für das Vordringen der privaten Rundfunk-und Fernsehanstalten. In beiden Fällen dringen vom privaten Bereich her neue „kulturelle Träger" in den gesellschaftlich-öffentlichen Bereich vor: Die herkömmlichen kulturellen Träger geraten jetzt unter Konkurrenz-und Leistungsdruck. b) Das offene Kulturkonzept Der kulturelle Trägerpluralismus macht das Wort vom „offenen Kulturkonzept“ von der Autonomie kultureller Prozesse rechtlich greifbar, indem seiner formellen eine materielle Vielfalt und Offenheit der Kultur korrespondiert. „Offenes Kulturkonzept“ heißt: Die öffentliche Hand darf sich in ihrer leistungsrechtlichen Tätigkeit nicht auf eine Richtung fixieren, etwa nur die „Hochkultur“ fördern. Auch Alternativkulturen sollten eine reale Chance haben. Die Kreativität der Subkulturen, freilich auch ihre Gefährdungen und Gefahrenanlagen, sind bekannt. Gleichwohl sollte tendenziell der Gedanke der Kultur für alle und von allen, der Kultur „für das Volk und aus dem Volk“ Boden gewinnen.

Das Nebeneinander, der Austausch, auch die Konkurrenz von Hochkultur, Volkskultur und Subkultur von Konsum-und Aktivkultur sind eine Garantie für kulturelle Vielfalt Vor allem hat die Rechtswissenschaft die mit Namen wie Josef Beuys verbundene Erweiterung des Kunst-und Kulturbegriffs nachzuvollziehen — bis hinein in Einzelfragen des Kulturverfassungsrechts einschließlich von Aspekten der „Volksnähe" der Kunst (etwa auch in der Straßenkunst —, ohne falschen Zungenschlag. Nicht selten ist die Alternativkultur von heute ein Element der Hochkultur von morgen.

Der Kultur-und Kunstbegriff ist also genügend weit zu nehmen: Der dialektische Pendelschlag zwischen „Politisierung" der Kunst und ihrer „Privatisierung“, zwischen Defensive und Offensive des Künstlers, zwischen Provokation und Rückzug, zwischen Demokratisierung und Verinnerlichung sollte von ihm gleichermaßen umfaßt werden. Weder darf das Heil allein in einer großbürgerlichen Kultur als Nachphase höfischer Kultur gesehen, noch allein in der Subkultur als „wahrer" demokratischer (und damit schon verfälschter) Kultur aller gesucht werden. Ideologiefixiertes Entweder-Oder widerspricht dem hier vertretenen offenen Kultur-konzept und dem es tragenden Pluralismus-Prinzip. Kulturelle Vielfalt der skizzierten Art (bis hin zum „Durcheinander") lebt aus dem gerade „im“ Bundesstaat ausgebauten Kultur-verfassungsrecht mit seinen Elementen der kulturellen Freiheit, des kulturellen Pluralismus, der kulturellen Gewaltenteilung im formellen und materiellen Sinn. Entscheidend bleibt der anthropologische Ansatz: Der hat verschiedene kulturelle Bedürfnisse, — ihnen muß vom Verfassungsrecht her ein optimaler Rahmen gegeben werden. Das Recht ist insofern nur Instrument c) Kulturelle Pluralität durch Organisation und Verfahren Die im Verfassungsstaat garantierte Offenheit des Kulturkonzepts und Freiheit der Kultur stellen eine zentrale Maßstabsfrage: Einerseits sind dem Staat, d. h. Bund, Ländern und Gemeinden, von der Verfassung vielseitige Kompetenzen in den Bereichen der Kultur eingeräumt; auch identifiziert sich der Verfassungsstaat durchaus mit bestimmten kulturellen Inhalten — man denke an Aussagen der Präambeln und Erziehungsziele gerade die staatliche Schulhoheit (Art. 7 GG) ist (durch das Privatschulwesen nur zum Teil „gemäßigt") das Feld der Identifikation von Verfassungsstaat und Kultur Andererseits lebt der Verfassungsstaat davon, daß Freiheit und Offenheit der Kultur bestehen und er gerade nicht allseits verbindliche Kulturprogramme inhaltlich festlegt — die „Staatskultur" und Kunstdiktatur sozialistischer oder anderer totalitärer Staaten sollte warnen Aus diesem Dilemma hilft nur eine bereichs-spezifische Differenzierung. In Teibereichen gibt der Verfassungsstaat kulturelle Inhalte vor, besonders in den Schulen, wo es um zentrale Kulturgehalte als Teilelemente des Grundwertekonsenses im grundgesetzlichen Verfassungsstaat geht Auch die Rahmen-Bedingungen, die er durch den kulturellen Trägerpluralismus und die Garantie kultureller Grundrechte (auch ihrer immer wieder neu zu bestimmenden Grenzen, z. B. bei der Kunstfreiheitl) schafft, konstituieren im ganzen eine freiheitliche Kulturordnung — insoweit besteht durchaus Identität zwischen Verfassungsstaat und Kultur, bei aller Pluralität, Offenheit, Subsidiarität und Dezentralität

Auch gibt es Bereiche der staatlichen Kulturförderung, in denen der Staat teils inhaltliche Qualitätsmaßstäbe setzt, teils wegen ihres Fehlens bzw. wegen der Offenheit der Kultur noch reichhaltiger pluralismusorientierte Verfahrensformen suchen sollte. Man denke etwa an pluralistisch besetzte Gremien bei der Vergabe von Staatspreisen Die österreichischen Kulturförderungsgesetze liefern hierfür gute Modelle 4. Im übrigen ist es auch hier der Trägerpluralismus im gesellschaftlich-öffentlichen Bereich bis hin zur praktizierten privaten kulturellen Freiheit, der erträglich macht, daß der Verfassungsstaat in Teilbereichen in Sachen Kultur inhaltlich durchaus differenziert und wertet und dies auch tun darf. d) Grenzen der Verrechtlichung des Kultur-verfassungsrechts

Ein weiteres Element der spezifischen Offenheit des Kulturverfassungsrechts liegt in den Grenzen der Verrechtlichung. Trotz der Unverzichtbarkeit einer Fülle von kulturrechtlichen Normen, die garantieren, steuern, schützen und zum Teil auch inhaltlich „dirigieren“, trotz der Tatsache, daß das (Verfassungs-) Recht selbst eine Kulturerscheinung ist: je nach der Eigenart der in sich sehr unterschiedlichen Kulturfelder sollte gerade der Jurist daran denken, daß Kultur ihren eigenen . Aggregatzustand“ gegenüber dem Recht besitzt; man denke nur an die Schwierigkeiten der angemessenen rechtlichen Erfassung des Begriffs der „künstlerischen Bedeutung“ im Kulturdenkmalbegriff des Denkmalschutz-rechtes

Noch so gut gemeinte Normierung kann allzu leicht zur kulturfeindlichen Reglementierung werden und das Kreative, Irrationale, Willkürliche, ja mitunter Diffuse und Anarchische in der Kultur schädigen — das letztlich doch der offenen Gesellschaft zugute kommt Insofern ist immer wieder an die Autonomie oder „Eigengesetzlichkeit“ der Kultur zu erinnern. Freiheit der Kultur heißt insoweit auch zum Teil Freiheit vom Recht Die negative, private Ausgrenzung des Kulturschaffenden, das Nichtnormieren kultureller Lebenssachverhalte ist daher, so paradox dies zunächst erscheinen mag, ein konstituierendes positives Moment des Kulturverfassungsrechts. Daß hier dem Kulturverfassungsrecht heute besondere Gefahren drohen, liegt auf der Hand: Hat doch die Debatte um die (Grenzen der) Verrechtlichung weder praktisch-politisch noch wissenschaftlich bislang große Erfolge gezeitigt Dennoch bilden solche Grenzen der Verrechtlichung eine Lebensbedingung der Offenheit des verfassungsstaatlichen Kulturverfassungsrechts — die Gefahren sind im Teilbereich der Schule zunehmend einsichtig geworden 2. Kulturelle Grundrechte -— Schutzberei che und mehrdimensionale Schutzeinrichtungen

Im Bundes-und Landesverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Reihe unterschiedlicher kultureller Grundrechte, die vor allem nach zwei Prinzipien differenziert werden können: Einerseits mit dem Prinzip der Differenzierung nach Schutzbereichen wie Kunst, Wissenschaft, Religion, Sport, (Aus) Bildung, Medien, andererseits nach dem Prinzip der Mehrdimensionalität der grundrechtlichen Schutzrichtungen. Im Sinne allgemeiner Grundrechtslehren sind zu unterscheiden die negative Abwehrfreiheit (z. B. Art. 9 Abs. 1 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei“), die objektiv-rechtliche Dimension (z. B. Art. 40 Abs. 2 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: „Die Erzeugnisse der geistigen Arbeit, die Rechte der Urheber, Erfinder und Künstler genießen den Schutz und die Fürsorge des Staates"), die leistungsstaatliche Seite (z. B. Art. 31 S. 2 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: federn jungen Menschen soll zu einer seiner Begabung entsprechenden Ausbildung verhelfen werden") und schließlich der korporative Aspekt (Art. 41 Abs. 1 S. 2 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: „Die Freiheit, Religionsgemeinschaften zu bilden .."). Rheinland-Pfalz kann auf seinen Text in Art 40 Abs. 3 S. 2 stolz sein: „Die Teilnahme an den Kulturgütern des Lebens ist dem ganzen Volke zu ermöglichen.“ AU diese einzelnen „Seiten" kultureller Grundrechte spielen je nach der Individualität der Einzel-freiheit zusammen, die Dogmatik hat sie flexibel zu erarbeiten, auch im Wandel.

Bei all dem darf es keine „Schematik“ oder Automatik“ in der Übertragung allgemeiner Grundrechtslehren auf die — besonders sensiblen — kulturellen Grundrechte geben. So ist zu bedenken, daß kulturelle Teilhabe praktisch schnell in Unfreiheit umschlagen kann. Das „Bürgerrecht auf Kultur“ darf nicht zu politischen Teilzielen instrumentalisiert werden; totalitäre Gängelung von Kunst und Wissenschaft sind ein negatives Beispiel. Die Autonomie der verschiedenen kulturellen Teilbereiche verlangt viel Differenzierungskunst.

So steht z. B. die Privatheit, ja Einsamkeit, auch „Not“ des Künstlers nicht nur in Spannung zu Öffentlichkeit und egalitärer Demokratie, sie steht auch per se in einem prekären Verhältnis zu jeder Form staatlicher Förderung des künstlerischen Schaffens (man denke an den Streit um die staatliche Filmförderung in Deutschland!) oder zu anderen staatlichen . Kulturprogrammen". Teilhabe-strukturen im Bereich kultureller Freiheiten lassen sich daher nur behutsam einführen. Das abstrakte „Recht aller auf Zugang zu den Kulturgütern“ muß nach der Art der Kulturgüter konkret differenziert werden: Im (Aus) Bildungsbereich gelten andere (im numerus clausus z. T. schon erprobte) und „sicherere" Maßstäbe als in der (bildenden) Kunst, im Wissenschaftsbereich andere als im Felde der Musik

So differenziert der weite Begriff „Kultur“ (in der Schichten-und Zeitdimension sowie der Beteiligtenfrage) zu sehen ist, so unterschiedlich hat das Kulturverfassungsrecht im Zugleich von Freiheitsschutz, Verfassungsauftrag und Teilhabegarantie zu reagieren: Je „schöpferischer“ kulturelle Freiheiten sind bzw.sein sollten, desto vorsichtiger sind Teilhabestrukturen auszubauen (vor allem verfahrensrechtlich): je individueller („einsamer") sich kulturelle Freiheiten „erfüllen“, desto schwieriger wird die materielle Förderung — Egalität und Individualität kollidieren —, und die Quantität der Förderung macht noch keine Qualität des Kunstwerkes! Je korporativer kulturelle Freiheit im Sinne des korporativen Kulturverfassungsrechts ausgeübt wird (kulturelle Vereine, Museumsvereine, Gesangsgruppen, andere gemeinnützige Gruppen, Orchester etc.), desto leichter erscheint die staatliche Förderung. Das Kunst-verfassungsrecht z. B. ist stärker ausgegrenzt, das Bildungsverfassungsrecht stärker in das Recht eingebunden. „Freiheit der Kultur“ erwächst mithin im Verfassungsstaat immer neu aus der Erfüllung einer Vielzahl spezieller kultureller Grundrechte. Sie garantieren zugleich das mögliche Aufkommen von Alternativ-und Gegenkulturen — ganz im Sinne des angedeuteten „offenen Kulturkonzepts“. Kultur lebt von der Präponderanz der Freiheit des einzelnen und der Gruppen, aber auch und gerade im Verfassungsstaat bedarf es praktisch wahrgenommener kvllurstaatlicher Aufgaben: bei uns wahrgenommen von den Ländern, den Gemeinden und vom Bund. über die verfassungsrechtliche Ebene hinaus sind Grundrechte Ausdruck menschlicher Kultur, und sie ermöglichen solche. Die juristischen Freiheitsgarantien stehen im Kontext kultureller Zusammenhänge. Ohne sie lassen sie sich schon in ihrer juristischen Effektivität nicht beurteilen. Objektivationen kultureller Freiheiten, schöpferische Werke in Kunst und Wissenschaft, nichtjuristische Klassikertexte, aber auch Parteiprogramme und Förderung von Minderheiten ebenso wie die Bewahrung beruflicher Traditionen, z. B. im Handwerk, ja auch die staatliche Mitgestaltung des Sportsektors sind Teilaspekte des sozio-kulturellen Kontextes von Grundrechten. „Grundrechtskultur“, kulturelle Erfüllung grundrechtlicher Freiheit, kulturverfassungsrechtliches Grundrechtsverständnis, kulturelle Sinngebung individueller Freiheit — das sind Themen und Begriffe, Dimensionen und Topoi, die da anfangen, wo die herkömmliche juristische Grundrechtsdogmatik aufhört und aufhören zu können glaubt. Kulturelle Freiheit ist eine humane Bedürfnis-struktur. Alle Freiheit ist in einem tieferen Sinne kulturelle Freiheit, Freiheit jenseits des sogenannten „Naturzustandes".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert nach Frankfurter Rundschau (FR) vom 8. 10. 1984, S. 18.

  2. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 13. 9. 1984, S. 25, vom 2. 10. 1984, S. 25.

  3. Zitiert nach FAZ vom 12 9. 1984, S. 25. — So will die Bundesregierung z. B. privaten Kulturstiftungen steuerlich helfen (FAZ vom 2. 11. 1984, S. 13). Siehe auch den Vorstoß für ein „kulturfreundliches Steuerrecht“ seitens Helga Wex, MdB, im Rahmen eines Kultursymposiums „Privates Mäzenatentum" in Mülheim/Ruhr (Nordbayerischer Kurier vom 20. 11. 1984, S. 6). Auch sah Bundeskanzler Helmut Kohl auf der Frankfurter Buchmesse 1984 die privatwirtschaftliche Preisbindung als „kulturstaatliches Element unserer Wirtschaftsordnung" (zitiert nach FAZ vom 3. 10. 1984, S. 27).

  4. BT-Drucksache 10/2336 vom 31. 10. 84, S. 1 ff.

  5. Erstmals diskutierte der Bundestag über Kultur — die Debatte selbst hat kaum eine Vertiefung gebracht, sieht man von der Rede von Kultusminister Hans Maier einmal ab; vgl. Verhandlungen des 10. Bundestages, 99. Sitzung vom 9. 11. 1984, S. 7201 D.

  6. BT-Drucksache 10/2336, S. 2 f.

  7. BT-Drucksache 10/2336, S. 5.

  8. Zitiert nach FAZ vom 22. 9. 1984, S. 1.

  9. Dazu mein Diskussionsbeitrag, in: Veröffentlichungen der Vereinigung deutscher Staatsrechtslehrer (WDStRL), 38 (1980), S. 114-116.

  10. Siehe noch die Kritik der Arbeitsgemeinschaft Neuer Deutscher Spielfilmproduzenten am „staatlichen Kunstrichtertum" (Nordbayerischer Kurier vom 26. 9. 1984) aus Anlaß eines Verwaltungsabkommens zwischen der kulturellen Förderung des Bundesinnenministeriums und der Berliner Filmförderungsanstalt; ferner das „Förderprogramm Bildung und Kultur“ des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft unter dem Motto: „Verbindung zwischen Kunst, Bildung und Alltag", FAZ vom 24. 7. 1984, S. 5. Allgemein jetzt: E. Lieser-Triebrigg/S. Mampel (Hrsg.), Kultur im geteilten Deutschland, 1984.

  11. Zitiert nach seinem „Spiegel" -Gespräch in: Der Spiegel, (1984) 33, S. 94 (96). Zum Kulturverfassungsrecht in Österreich siehe jetzt H. -U. Evers, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts (JöR), 33 (1984), S. 189 ff.

  12. Vgl. zuletzt etwa FAZ vom 6. 9. 1984, S. 23; Diskussionsbeitrag von T. Fleiner-Gerster, in: WDStRL, 42 (1984), S. 92 f. (Diskussion).

  13. Vgl. Europäische Grundrechte-Zeitschrift (EuGRZ), 1984, S. 159 bzw. S. 271. — Naegeli saß, verurteilt zu neun Monaten Haft ohne Bewährung, im Bezirksgefängnis Winterthur (vgl. DIE ZEIT vom 12. 10. 1984, S. 57: „Kunst im Kittchen" und wollte nach seiner Entlassung am 27. 10. 1984 (nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe) seinen Wohnsitz in der Bundesrepublik nehmen.

  14. Vgl. die Nachweise in meinem Beitrag: Das Kulturstaatsprinzip im deutschen Verfassungsrecht, in: Politische Studien, 276 (1984), S. 368 (371); siehe auch FR vom 25. 4. 1984, S. 1: „Zum Abschied sprühte Naegeli noch ein Männchen ans Zollhaus". So verblüffend manche Ähnlichkeiten zum Spät-werk J. Miros sind: den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums kann auch kein — genialer? — Sprayer aus den Angeln heben, auch nicht unter Hinweis auf sein Selbstverständnis von Kunst und Kunstfreiheit; vgl. dazu ausführlich J. Hoffmann, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), 1985, S. 237 ff.

  15. Vgl. etwa FAZ vom 23. 7. 1984, S. 17. — Auch wurde der Kulturhaushalt noch einmal erhöht, um dem sozialistischen Wahlversprechen des „Kulturprozents“ näher zu kommen (FAZ vom 7. 11. 1984, S. 25).

  16. Vgl. FAZ vom 23. Mai 1984, S. 27.

  17. Die Rede ist ferner vom „europäischen Kulturerbe“; die Mitgliedstaaten werden gebeten, „den Zugang aller zu diesem Kulturerbe zu erleichtern und auf diese Weise dazu beizutragen, das Bewußtsein der europäischen kulturellen Identität zu wecken und angesichts neuer Kommunikationsmedien zu stärken“, „Freiheitsräume für schöpferische Tätigkeiten und Ausdrucksformen zu schaffen, den Austausch und die Freizügigkeit der Kunstschaffenden sowie die demokratische Nutzung neuer Kommunikationstechnologien zu fördern“, aber auch: „Die Anerkennung der kulturellen Identität von Wanderarbeitnehmern, von Minderheiten und von Regionen und ihre Beteiligung am sozialen Leben zu fördern, damit unsere Gesellschaften unter Beachtung der Vielfalt das Entstehen neuer Solidaritäten ermöglichen“, „in unseren Gesellschaften Bedingungen zu schaffen, die einem besseren Verständnis unter Menschen verschiedenen Alters und verschiedenen Kulturen, verschiedenen Religionen und Traditionen dienen“ u. a.

  18. Aus dem Schrifttum vgl. z. B. W. Weidenfeld, Was ist die Idee Europas?, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B 23-24/84, S. 3 ff.

  19. Nordbayerischer Kurier vom 26. 6. 1984.

  20. So wörtlich J. Altwegg, in: FAZ vom 21. 8. 1984, S. 19.

  21. Ein Aufbruch war insoweit die Entschließung des Europäischen Parlaments, am 18. 1. 1979, zitiert in: Die Aktion der Europäischen Gemeinschaft im kulturellen Bereich, 1980, S. 10 ff. mit Stichworten wie: „Kultur in Europa in ihren reichen und mannigfaltigen Erscheinungsformen (als) eines der wesentlichen Elemente der europäischen Identität“, „Schutz, Aufwertung und Förderung des europäischen Kulturgutes", Freizügigkeit für die „verschiedenen kulturellen Manifestationen", Kultur als einer der Werte des gemeinsamen Erbes der Völker Europas“ (Tindemans); weitere Nachweise in: P. Häberle, Europa in kulturverfassungsrechtlicher Perspektive, JöR, 32 (1983), S. 9 (18 ff.).

  22. Siehe z. B.den Aufsatz von D. Stolte, Kultur für alle, in: DIE ZEIT vom 27. 7. 1984, S. 14.

  23. Vgl. A Mitscherlich, Die Unwirtlichkeit unserer Städte, 1965; H. P. Bahrdt, Die moderne Großstadt, 1969, S. 132 ff.; ders., Umwelterfahrung, 1974, z. B. S. 15 ff., 92 ff., auch 147 ff. — Die Kultursoziologie gewinnt als Wissenschaft gerade jüngst wieder zunehmend an Terrain: z. B. H. Braun/A Hahn (Hrsg.), Kultur im Zeitalter der Sozialwissenschaften, Festschrift für F. H. Tenbruck, 1984; S. Paul (Hrsg.), Kultur-Begriff und Wort in China und Japan, Schriften zur Kultursoziologie, Band 3, 1984. — Die Gesamtausgabe der Schriften A Gehlens zur Philosophischen Anthropologie wurde mit den Worten begrüßt „Zurück zur Kultur“, so von W. Lepenies, in: FAZ vom September 1984.

  24. Einzelheiten bei P. Häberle, Kulturpolitik in der Stadt — ein Verfassungsauftrag, 1979, S. 2 m. w. N.; zuletzt W. Ismayr, Kulturförderung zwischen Neuorientierung und Sparzwängen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 27/84, S. 3 ff.

  25. Dieses neue Stichwort setzte sich in der Folgezeit rasch durch; erstmals vorgeschlagen in meinem Augsburger Vortrag von 1979: P. Häberle; Kulturpolitik in der Stadt (Anm. 24); sodann rezipiert u. a. von E. Pappermann, in: Deutsches Verwaltungsblatt (DVB 1) 1980, S. 701 ff. — Z. T. kritisch U. Steiner, in: WDStRL, 42 (1984), S. 7 (24); richtig D. Grimm, ebd. S. 46 (67 f). — Der Verfasser selbst suchte sich dem Kulturthema schrittweise von „unten nach oben" zu nähern: so folgten P. Häberle, Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat, 1980; zuletzt: ders., Europa in kulturverfassungsrechtlicher Perspektive, in: JöR, 32 (1983), S. 9 ff.

  26. Dazu P. Häberle, Verfassungslehre als Kultur-wissenschaft, 1982, S. 48 f. m. w. N.; speziell zu H. Heller jetzt: G. Robbers, Hermann Heller, Staat und Kultur, 1983, bes. S. 82 ff.

  27. So B. Pieroth, in: Der Staat, 22 (1983), S. 394 (401), dessen kritische Einwände (S. 402 ff.) deshalb dem gegenwärtig erreichbaren Diskussionsniveau etwas weit vorauszueilen scheinen. Noch die 2. Auflage des den Grundbegriffen gewidmeten großen Lehrbuchs von K. Stern (1984) kennt die Stichworte Kulturstaat oder Kulturverfassungsrecht nicht; auch der von'R. Wassermann herausgegebene Kommentar zum Grundgesetz in der Reihe der Alternativ-kommentare" von 1984 ist eine kulturell schweigsame, insoweit keine Alternative.

  28. Sämtliche wiederabgedruckt in: P. Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, 1982.

  29. Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1977-78, oJ.

  30. Referate von U. Steiner und D. Grimm, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 7 ff. bzw. 46 ff. Begleitaufsätze: H. -U. Evers, in: NJW, 1983, S. 2161 ff.; F. Hufen, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), 1983, S. 516 ff.; thematisch enger Th. Oppermann, in: DVB 1 1983, S. 857 ff. Gleichzeitig erschien der Handbuchartikel von W. Maihofer in: E. Benda/W. Maihofer/H. -J. Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 953 ff.

  31. Sämtliche abgedruckt in P. Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit (Anm. 28).

  32. Der Bundesminister des Innern/Der Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetzgebungsaufträge, 1983, Rdn. 169 ff. Der Verfasser hat schon 1980 einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet: P. Häberle, Kulturverfassungsrecht (Anm. 25), S. 49ff„ 59. Zum Problem zuletzt Th. Oppermann, in: Festschrift für O. Bachof, 1984, S. 3 ff.; kritisch U. Steiner (Anm. 30), S. 38 ff. Allgemein zuletzt E. Wienholtz, Arbeit, Kultur und Umwelt als Gegenstand verfassungsrechtlicher Staatszielbestimmungen, in: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 109 (1984), S. 532 (543 ff.).

  33. In Kraft getreten am 1. 7. 1984.

  34. Konsequent ist die Neufassung auch des Art 131 Abs. 2 der bayerischen Verfassung. Denn das „neue“ Erziehungsziel steht in einem inneren Zusammenhang mit der 1984 präzisierten Kulturstaatsklausel, jedenfalls wenn man Verfassungsprinzipien „auch" als mögliche Erziehungsziele qualifiziert (dazu mein Beitrag Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele, in: (zweite) Festschrift für H. Huber, 1981, S. 211 ff.).

  35. Siehe Akzente bei W. Schmitt Glaeser, in: AöR, 107 (1982). S. 337 (363 ff„ 385 f.).

  36. D. Grimm, in: YVDStRL, 42 (1984), S. 74 ff., Stichwort: „passiver Medienkonsum“. — Die Frage der Kulturförderung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird zunehmend diskutiert, vgl. zuletzt den gleichnamigen Aufsatz von U. Steiner, in: Festschrift für H. Hübner, 1984, S. 799ff.

  37. Siehe die einäugige Polemik von B. Schlink, in: AöR, 109 (1984), S. 143 ff. (143, 148); siehe aus der weiteren Diskussion U. Karpen, in: Juristenzeitung (JZ), 1985, S. 31; H. P. Ipsen, in: Die öffentliche Verwaltung (DöV), 1983, S. 826.

  38. H. Coing, Das Recht als Element der europäischen Kultur, in: Das Parlament vom 9. 7. 1983, S. 18.

  39. So laut FAZ vom 12. 12. 1983, S. 27, aus Anlaß der VG-Wort Feier in München.

  40. So grundlegend Th. Oppermann, Kulturverwaltungsrecht, 1969, S. 8f„ jetzt in: P. Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit (Anm. 28), S. 249 (253 f.).

  41. Zur Definition von Tylor siehe E. B. Tylor, Die Kulturwissenschaft, in: R. König/A Schmalfuß, Kulturanthropologie, 1972, S. 51 (52); die Definition von Linton findet sich in seinem Werk R. Linton. The Study of Man, New York 1936; eine ausführliche Beschreibung von Kultur in den verschiedensten Koordinatensystemen bei A Kroeber, Anthropology, 1948, S. 252 ff„ bes. 265 ff., 274 ff„ 276 ff. (Kasten-und Parasitenkulturen), 280 ff. (Land und Stadt), 304 ff. (Funktion); zum Begriff der Subkultur R. König, über einige Grundfragen der empirischen Kulturanthropologie, in: R. König/A. Schmalfuß (Anm. 41), S. 7 ff (34 ff.) -, J. M. Yinger, Contraculture and Subculture, in: AS. R., 25 (1960), S. 625 ff.; F. Sack, Die Idee Subkultur: eine Berührung zwischen Anthropologie und Soziologie, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 23 (1971), S. 261 ff.

  42. A L. Kroeber/C. Kluckhohn, Culture, 1952, Reprinted New York: Vintage books oJ„ S. 357; vgl. auch M. Singer, Art. „The Concept of Culture“, in: International Encyclopedia of the Social Sciences, London 1968, Vol. 3, S. 527. Sehr anschaulich, wie umfassend die anthropologischen Kulturansätze sind — gegenüber einem mehr auf den Bildungsbereich konzipierten Alltagsverständnis von Kultur —, ist z. B. die beispielhafte Umschreibung von T. S. Eliot Notes towards the Definition of Culture, London 1948, S. 31: Der Gebrauch des Wortes Kultur umschreibe alle charakteristischen Aktivitäten und Interessen eines Volkes, so. z. B. für die Engländer den Tag des Derby, der Henley-Regatta, den Tag von Cowers, den 12. August, das Cup-Finale, die Hunderennen, das Darts-Spiel, gekochten Kohl, länglich geschnitten, rote Beete in Essig, gotische Kirchen aus dem 19. Jahrhundert und die Musik von Elgar.

  43. Diesem Verständnis entspricht die obige Aufzählung von Kulturbereichen in der Verfassung (Kultur i. e. S.), wie sie im öffentlichen Recht verbreitet ist

  44. AL Kroeber/C Kluckhohn, Culture (Anm. 42), S. 77 ff.; ausführlich (in primär kulturanthropologischer Sicht): I. -M. Greverus, Kultur und Alltagswelt, 1978, S. 52 ff.; siehe ferner auch R. Maurer, Art. Kultur, in: H. Krings u. a. (Hrsg.), Handbuch philosophischer Grundbegriffe, 1973, S. 823 ff. — Zur Begriffs-geschichte des Wortes Kultur siehe die vorzügliche Münchener Dissertation (phil.) von I. Baur, Die Geschichte des Wortes „Kultur“ und seiner Zusammensetzungen, 1951; J. Niedermann, Kultur. Werden und Wandlungen des Begriffs und seiner Ersatzbegriffe von Cicero bis Herder, 1941. — Siehe auch O. Jung, Zum Kulturstaatsbegriff, Johann Gottlieb Fichte — Verfassung des Freistaates Bayern — Godesberger Grundsatzprogramm der SPD, 1976.

  45. Vgl. zuletzt R. Liebermann, Zur Tradierung der kulturellen Werte. St Gallen 1982.

  46. Vgl. zustimmend W. Maihofer, in: HandbVerfR (Anm. 30), S. 957 ff„ 964 f„ 969 f.

  47. So auch die Bundesregierung selber in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage, vgl. BT-Drucksache 10/2336 vom 31. 10. 1984, S. 28.

  48. U. Steiner, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 8 f. und Ls 1.

  49. VVDStRL 42 (1984), S. 60 und Ls 7 (S. 80).

  50. So ausdrücklich D. Grimm, ebd. S. 60.

  51. Vgl. D. Grimm, ebd. S. 60 ff. und speziell für das kulturrechtliche Verständnis von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG (Rundfunk): „kulturelle Grundrechtsausstattung von Individuum und Gesellschaft".

  52. Dazu Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen (Anm. 32), Rdn. 197, 201, 204.

  53. Siehe als konkretes Beispiel BVerfGE 59, 216 ff. mit Anm. H. Schulze-Fielitz, in: JZ, 1982, S. 799 (800 ff.).

  54. Nachweise in P. Häberle, Kulturverfassungsrecht (Anm. 25), S. 35, 49-, ders. in: ders. (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit (Anm. 28), S. 25 f.

  55. Zum folgenden meine Studie: Verfassungslehre (Anm. 26), S. 18 ff.

  56. Vgl. R. K. Merton, Auf den Schultern von Riesen, 1965, dt. 1980.

  57. Dazu meine Studie: Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981.

  58. Zu dieser Sicht P. Häberle, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 110 (Diskussion); s. auch D. Grimm, ebd., S. 143 (Schlußwort):..... daß kulturelle Muster kollektiv und generationsübergreifend eingewurzelt sind“. Siehe im übrigen meine Ausführungen: Zeit und Verfassungskultur, in: A Peisl/A Mohler (Hrsg.), Die Zeit, 1983, S. 289 (333 ff.).

  59. Konsequent angesichts des Zusammenhangs von Verfassungsstaat und Kultur ist die Kompetenz zum Schutz gegen Abwanderung von (deutschen) Kulturgütern ins Ausland, auch der Kampf junger Staaten der Dritten Welt um Heimführung mehr oder weniger geraubter Kulturgüter (Gewinnung ihrer kulturellen Identität).

  60. Vgl. D. Grimm, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 61 f.

  61. Diese Skizzierung des allgemeinen und tieferen Verhältnisses von Verfassungsstaat und Kultur wurde von mir 1982 vorgeschlagen und von D. Grimm 1983 weiterentwickelt Zu der Erkenntnis: Kultur konstituiere nicht nur die Lebensweise des Individuums, sondern schaffe auch eine Art kollektiver Identität, das Selbstverständnis des Menschen als Individuum sei durch den kulturellen Entwicklungsstand der Gesellschaft bedingt, ein Kulturauftrag des Staates bestehe, unabhängig davon, ob ihn der Verfassungstext ausdrücklich formuliere oder nicht, die Funktion des Staates sei nach Art 1 GG auf die an die Spitze gesetzte Menschenwürde bezogen, dies bedeute auch, daß die kulturellen Grundlagen der Individualität mitgesichert werden, vgl. D. Grimm, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 62 ff. Darum stimmt er auch meiner Forderung nach einer kulturstaatlich erweiterten Grundrechtstheorie zu, vgl. D. Grimm, ebd. S. 67. Vgl. P. Häberle, Kultur-verfassungsrecht (Anm. 25), S. 72 ff. und ders., Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG, 19833, S. 385 ff.

  62. Vgl. auch D. Grimm, ebd., S. 69 f.

  63. Hier stellt sich etwa die Frage, inwieweit ein Verfassungsstaat eine (dank großer Ausländerminderheiten) multikulturelle Gesellschaft verkraften kann, siehe aus der Diskussion, in: VVDStRL 42 (1984), S. 137 (Püttner); S. 139 (Frowein).

  64. In das Bild kultureller Vielfalt bzw. kulturellen Pluralismus, wie es den Verfassungsstaat auszeichnet, gehört auch ein internationaler, d. h.seine Grenzen übersteigender Bezug; gemeint ist der internationale und Menschheitsaspekt der Kultur. Vgl. dazu Rauschning, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 140 (Diskussion); Bryde, ebd., S. 140 f. Er hat teils rechtlich faßbare Inhalte, etwa die Menschenrechtsidee, wie sie in der UN-Charta, in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in den Menschenrechtspakten der UN beschworen wird, teils nicht verrechtlichte Inhalte (wie die 9. Symphonie Beethovens, aber auch die Beatles, wie Kants Traktat zum Ewigen Frieden oder eine Weltreligion wie der Katholizismus). Sinnstiftung und Sinnerlebnis greifen dank dieser Inhalte über den je konkreten (noch so kooperativ gedachten) Verfassungsstaat hinaus. Insofern ist der einzelne Deutsche Bürger vieler Kulturwelten und selbst der kulturell begriffene Verfassungsstaat nicht das Maß aller Dinge; die Weltkultur ist insoweit Schutzgegenstand des Völkerrechts, vgl. M. Kilian, in: Neue Zeitschrift für Wehrrecht (NZWehrr), 1983, S. 41 ff.

  65. P. Badura, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 105 (Diskussion).

  66. P. Badura, ebd.

  67. Vgl. zum Zusammenhang von Menschenwürde und Kulturstaat auch C. -H. Heuer, Die Besteuerung der Kunst 19842, S. 106 ff.

  68. Siehe D. Grimm, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 68; siehe auch ebd.seine Trias „konservative, innovative und distributive“ Elemente. Vgl. dazu schon meine Unterscheidung des traditionalen und innovativen Aspekts im Einleitungsbeitrag, in: Peter Häberle, Kulturstaatlichkeit (Anm. 28), S. 31. Zu „Kulturelles Erbe-Klauseln: Mein Münchner Vortrag, in: A Peisl/A Mohler (Hrsg.), (Anm. 58), S. 295 ff.

  69. Zur Forderung nach Differenzierung nachdrücklich: W. Leisner/M. Heckel, in: VVDStRL, 42 (1984), S. 124 bzw. 129 f.; P. Häberle, ebd., S. 138.

  70. Siehe zuletzt F. Hufen, in: Bayerische Verwaltungsblätter (BayVBI), 1985, S. 1 (4 f.).

  71. Texte der Länderverfassungen zitiert nach Chr. Pestalozza (Hrsg.), Verfassungen der deutschen Bundesländer, 19812.

  72. Z. B.: Art 147 der bayerischen Verfassung; Art. 25 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen.

  73. Allgemein zum Problem meine Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, 1979, S. 213 f.; siehe kritisch F. -J. Peine, in: Der Staat, 21 (1982), S. 335 (353 ff.). — Die dem Bundes-und Landesverfassungsrecht in seinen unterschiedlichen textlichen Ausprägungen gemeinsam durch Interpretation und parallele Rechtsprechungsergebnisse „angelagerten" Gehalte verweisen — jenseits der formell unterschiedlichen Rechtsquellen — auf einen gemeinsamen (kulturentwicklungsbedingten) verfassungsrechtlichen Kern, der zumindest als Auslegungsgesichtspunkt eine starke gemeindeutsch vereinheitlichende Kraft entfaltet und erneut zurückwirkt

  74. Dazu meine Nachweise in: P. Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit (Anm. 28), S. 36, Anm. 108, und für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „Kulturstaatsjudikatur" ebd„ S. 26, Anm. 86, besonders BVerfGE 36, 321 (331): „im Sinne einer Staatszielbestimmung als Kulturstaat“, Aufgabe, ein freiheitliches Kunstleben zu erhalten und zu fördernl; E 35, 79 (114): . Einstehen des Staates, der sich als Kulturstaat versteht, für die Idee einer freien Wissenschaft"; E 45, 104 (125) für das „Schul-, Bildungs-und Ausbildungssystem".

  75. Siehe auch T. Ramm, in: Festschrift für Erwin Stein, 1983, S. 239 ff.

  76. Dazu mit Nachweisen mein Einleitungsbeitrag in: P. Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit (Anm. 28), S. 36 f.; zuletzt F. Hufen, BayVBl 1985 (Anm. 70), S. 1 ff. (7).

  77. Siehe F. Hufen, ebd„ S. 7.

  78. P. Häberle, Kulturpolitik in der Stadt (Anm. 24); siehe auch den Diskussionsbeitrag in: VVDStRL, 36 (1978), S. 356 f; aus der Folgeliteratur vor allem E. Pappermann, in: DVB 1. 1980, S. 701 ff. Allgemein zuletzt: D. Sauberzweig, in: Festschrift für von Unruh, 1983, S. 731 ff.; W. Maihofer, HandbVerfR (Anm. 30), S. 984 ff.; siehe auch G. Lübbe-Wolff, in: Der Staat. 23 (1984), S. 577 (586 f.).

  79. Art. 140 Abs. 1 der bayerischen Verfassung; Art. 18 Abs. 1 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen: „Kultur, Kunst und Wissenschaft sind durch Land und Gemeinden zu fördern“; siehe auch Abs. 2 ebd.; Art 62 der hessischen Verfassung: Denkmal-und Landschaftsschutz als Aufgabe von Staat und Gemeinden; Art. 37 S. 1 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: Volksbildungswesen (Förderungspflicht) für Staat und die Gemeinden).

  80. Zum denkbaren Weg über eine Revision des Art. 28 GG siehe mein Beitrag: Die Bundesrepublik als Kulturstaat, in: DAS PARLAMENT, Nr. 24— 25/85 vom 15. Juni 1985, S. 14 (15).

  81. Siehe auch P. Häberle (Anm. 14), S. 368 (369).

  82. Trägerspezifisch ist Art. 83 Abs. 1 der bayerischen Verfassung: örtliche Kulturpflege der Gemeinde.

  83. Dazu mein Beitrag: Präambeln im Text und Kontext von Verfassungen, in: Festschrift für Broermann, 1982, S. 211 ff.

  84. Es gibt Zwischen-und Mischnormen der verfassungstextlichen Ausgestaltung der einzelnen „Seiten" kultureller Grundrechte: vgl. z. B. Art. 108 der bayerischen Verfassung (Freiheit von Kunst und Wissenschaft), Art 140 ebd. (Förderungsauftrag in bezug auf sie); hier sind die zwei Dimensionen desselben kulturellen Grundrechts an zwei verschiedenen Textstellen plaziert

  85. Siehe z. B. R. Scholz, 1977, in: Th. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 5 III/Rdn. 7 f.

  86. BVerfGE 31. 229 LS 3.

  87. Zu Art 29 GG: P. Häberle, Kulturverfassungsrecht (Anm. 25), S. 62 ff.; zur Kritik an der Projektfilmförderung durch den Bund mangels Kompetenz: F. Hufen (Anm. 70), S. 39 f.

  88. Dazu die Nachweise bei P. Häberle, Kulturverfassungsrecht (Anm. 25), S. 26 ff.

  89. Vor allem von H. -U. Evers, Die Befugnis des Staates zur Festlegung von Erziehungszielen in der pluralistischen Gesellschaft, 1979; P. Häberle Kulturpolitik in der Stadt (Anm. 24), S. 29 ff.

  90. Dazu P. Häberle, Erziehungsziele (Anm. 57); siehe auch W. Schmitt-Glaeser, in: AöR. 107 (1982), S. 383 ff.

  91. Siehe auch E. Denninger, in: E. Benda/W. Maihofer/H. -J. Vogel (Hrsg.), HandbVerfR (Anm. 30), S. 1293 (1293 ff.; 1303); zustimmend E. Benda, ebd., S. 1331 (1348).

  92. Konsequent Art 36 der Verfassung von Rheinland-Pfalz: „Lehrer kann nur werden, wer die Gewähr dafür bietet, sein Amt als Volkserzieher im Sinn der Grundsätze der Verfassung auszuüben". Das Grundgesetz hält den eigenen Verfassungstext für nicht so wichtig, daß es ihn den angehenden Schülern aushändigen läßt (vgl. aber Art 128 Abs. 3 S. 2 der Weimarer Reichsverfassung, Art. 128 der bayerischen Verfassung).

  93. Dazu mein Vergleich in: P. Häberle, Kulturverfassungsrecht (Anm. 25), S. 29 ff., sowie mein Einleitungsbeitrag, in: ders. (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit (Anm. 28), S. 12.

  94. Wer allerdings zwischen Freiheit und Gottesfurcht, Toleranz oder Nächstenliebe einen Widerspruch konstruiert (so G. Roellecke, in: Festschrift für H. J. Faller, 1984, S. 187, 189) und den — in den Länderverfassungen ausdrücklich formulierten — Erziehungszielen im Ergebnis einen totalitären Charakter unterstellt (G. Roellecke, ebd„ S. 190) bzw. ihren Sinn nur in einer (verfassungspolitisch entbehrlichen) Argumentationsstütze für Lehrer gegen Schüler sieht (ebd., S. 198 f.), der mag nicht nur die geltenden Verfassungstexte negieren oder die Sachprobleme zugunsten verbaler Paradoxien verfehlen — er selber gibt gerade Maßstäbe der Verfassung preis, die einer wirklich totalitären Erziehungsdiktatur präventiv gegensteuern könnten.

  95. Zum ganzen mein Beitrag: Verfassungsprinzipien als Erziehungsziele (Anm. 34), S. 211 ff.

  96. Siehe im einzelnen auch P. Häberle, in: Festschrift für Broermann, 1982, S. 235 ff. und Anm. 103.

  97. Vgl. oben Anm. 82.

  98. Z. B. Art 7 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen, Art. 26 Ziff. 1 der Verfassung Bremen, Art 31 Abs. 2 der bayerischen Verfassung; vgl. auch P. Häberle, Menschenwürde und Verfassung, in: Rechtstheorie, 11 (1980), S. 389 ff.

  99. Z. B. Präambel der Verfassung von Rheinland-Pfalz, Art. 100 der bayerischen Verfassung.

  100. Zu diesen Entsprechungsverhältnissen mein Beitrag in: Festschrift für H. Huber, 1981, S. 225ff., 230 ff., 237 f.

  101. Vgl. zuletzt das erneute Eintreten des FDP. Vorsitzenden H. -D. Genscher für Wettbewerb zwischen den staatlichen Hochschulen und für private Hochschulen (FAZ vom 29. 12. 1984, S. 1).

  102. Dazu schon mein Beitrag Kulturverfassungsrecht (Anm. 25), S. 32 f.

  103. Grundlegend zum Staatskirchenrecht als Kulturverfassungsrecht: K. Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, 1972, S. 157 ff.; z. T. auch in: P. Häberle (Hrsg.), Kulturstaatlichkeit (Anm. 28), S. 281 ff.

  104. Ähnlich Art. 46 der Verfassung von Rheinland-Pfalz; Art. 63 der Verfassung von Bremen.

  105. Speziell zur Familie jetzt allgemein meine Studie: Verfassungsschutz der Familie — Familienpolitik im Verfassungsstaat, 1984.

  106. Zu jenem etwa meine Aufsätze: „Arbeit als Verfassungsproblem", in: JZ, 1984, S. 345 ff. und . Aspekte einer Verfassungslehre der Arbeit“, in: AöR, 109 (1984), S. 630 ff. Zum Wirtschaftsverfassungsrecht: P. Badura, Grundprobleme des Wirtschaftsverfassungsrechts, in: Juristische Schulung (JuS) 1976, S. 205 ff.

  107. Dazu P. Häberle, in: *JöR, 32 (1983), S. 9 ff.

  108. Dazu die Beiträge von H. Ehmke (1962) und K. Hesse (1975), in: E. -W. Böckenförde (Hrsg.), Staat und Gesellschaft, 1976, S. 241 ff. bzw. 484 ff.; ferner W. Schmidt, in: AöR, 101 (1976), S. 24 ff.

  109. Ein Versuch ist meine Schrift Kulturverfassungsrecht (Anm. 25); s. jetzt F. Hufen (Anm. 70), S. 1 ff.. 5 ff.

  110. Dazu P. Häberle, Kulturverfassungsrecht (Arun. 25). S. 60.

  111. Mischformen sind möglich als Stiftungslehrstühle an staatlichen Hochschulen.

  112. Siehe ausführlich F. Müller, Das Recht der Freien Schule nach dem Grundgesetz, 19822. — Entsprechendes gilt für Probleme der Alten-Uni-versitäten in privater oder staatlicher Trägerschaft.

  113. Dazu mein Augsburger Vortrag: Kulturpolitik in der Stadt (Anm. 24), passim, bes. S. 34 f., 37.

  114. Ein pluralistisches, offenes, nicht nur an der Hochkultur („Hochschulen, Bischofssitze, Bibliotheken, Museen“) orientiertes Kulturverständnis wird z. B. bei Art 29 Abs. 1 S. 2 GG notwendig (dazu in Kritik der Gegenmeinung mein Beitrag Kulturverfassungsrecht (Anm. 25), S. 66 ff.).

  115. Siehe J. Beuys, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1977/1978, S. 135 ff.; zum Kunstbegriff zuletzt die Bilanzen bei P. Kirchhof, in: NJW, 1985, S. 225 (227 f.): J. Hoffmann, in: NJW, 1985, S. 237 (239 ff.) und G. Zöbeley, in: NJW, 1985, S. 254 ff.: mit insgesamt umfassenden Nachweisen.

  116. Siehe H. Bismark, in: NJW, 1985, S. 246 ff.

  117. Zu Erziehungszielen in diesem kulturellen Verständnis meine Studie: Erziehungsziele (Anm. 57); zu den Präambeln mein Beitrag in: Festschrift für Broermann (Anm. 86), S. 211 ff.

  118. Vgl. zuletzt H. Oberreuter, Wertwandel und politische Bildung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitschrift Das Parlament B 50/84, S. 45 (49 ff.).

  119. Dazu mit Textnachweisen mein Beitrag Kultur-verfassungsrecht (Anm. 25), S. 73 f.

  120. Vgl. zur Grundwerte-Debatte G. Gorschenek (Hrsg.), Grundwerte in Staat und Gesellschaft, 1977; dazu meine Studie über Erziehungsziele (Anm. 57), S. 19 ff.

  121. Der jüngste juristische Konflikt um die Kunst-freiheit spiegelt sich im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum sogenannten „anachronistischen Zug", dazu FAZ vom 23. 10. 1984, S. 5, jetzt abgedruckt in: NJW, 1985, S. 361 ff.; Besprechung bei G. Frankenberg, in: Kritische Justiz, (KJ) 17 (1984), S. 437 ff.; siehe auch schon zum „Fall“: J.

  122. Teilweise anders U. Steiner, in: WDStRL, 42 (1984), S. 28 ff.

  123. Vgl. auch am Beispiel der Filmförderung E. Schreyer, Pluralistische Entscheidungsgremien im Bereich sozialer und kultureller Staatsaufgaben, 1982, S. 135 ff.

  124. Dazu die Nachweise in meinem Beitrag Kultur-verfassungsrecht (Anm. 25), S. 77 f. — Speziell zur steuerrechtlichen Förderung der Kunst zuletz P. Kirchhof und C. -H. Heuer, in: NJW, 1985, S. 225 ff. bzw. 232 ff.

  125. Dazu zuletzt J. Namgalies, in: DöV, 1984, S. 239 ff.; 674 ff, und E. -R. Hönes, in: DöV, 1984, S. 671 ff.; DVB 1, 1984, S. 413 (415 f.).

  126. Zur Verrechtlichung allgemein siehe z. B. die Sammelbände von R. Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, 1980; ders. (Hrsg.), Gegentendenzen zur Verrechtlichung, 1983; ders. (Hrsg.), Abschied vom Recht?, 1983; am konkreten Beispiel des Baurechts siehe jetzt H. Sendler, in: Umwelt-und Planungsrecht (UPR), 1984 S. 317 ff.

  127. Die österreichischen Kulturförderungsgesetze haben sich vor einer legistischen Einschnürung der Kultur gehütet.

  128. Vgl. die frühen Warnungen bei H. Maier (1976) in: ders, Kulturpolitik. Reden und Schriften, 1976, S. 66 (75 f.); ders, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, 12 (1977), S. 11 (17 ff.); siehe als jüngste Bilanz zur Schulrechtsprechung: T. Clemens, in: NVwZ, 1984, S. 65 ff.; ferner L Dietze, ebd, S. 72 ff.

  129. Siehe allgemein mit ergänzenden Theorievorschlägen P. Häberle, Wesensgehaltgarantie (Anm. 61), S. 369 ff.

  130. Grundsätzlich zur Kunstfreiheitsgarantie: W. Knies, Schranken der Kunstfreiheit als verfassungsrechtliches Problem, 1967; siehe auch BVerfGE 31, 229 (238 ff.) und weitere Nachweise Anm. 118, sowie F. Hufen, Die Freiheit der Kunst in staatlichen Institutionen, 1982.

Weitere Inhalte

Peter Häberle, Dr. Jur, geb. 1934; Professor für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Kirchenrecht an der Universität Bayreuth, zugleich Dozent für Rechtsphilosophie an der Hochschule St Gallen (Schweiz) und Mitglied des Lehrkörpers der Hochschule für Politik in München; seit 1983 Herausgeber des Jahrbuchs des öffentlichen Rechts. Veröffentlichungen u. a.: Die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 Abs. 2 Grundgesetz, 1962, 3. Aufl. 1983; öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970; Grundrechte im Leistungsstaat, 1972; (Hrsg.) Verfassungsgerichtsbarkeit, 1976; Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978; Kommentierte Verfassungsrechtsprechung, 1979; Kulturpolitik in der Stadt — ein Verfassungsauftrag, 1979; Die Verfassung des Pluralismus, 1980; Kulturverfassungsrecht im Bundesstaat, 1980; Klassikertexte im Verfassungsleben, 1981; (Hrsg.) Horst Ehmke, Beiträge zur Verfassungstheorie und Verfassungspolitik, 1981; Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981; (Hrsg.) Rezensierte Verfassungsrechts-wissenschaft, 1982; (Hrsg.) Kulturstaatlichkeit und Kulturverfassungsrecht, 1982; Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 1982; Das Grundgesetz der Literaten, 1983; Verfassungsschutz der Familie — Familienpolitik im Verfassungsstaat, 1984.