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Ansätze und Perspektiven einer Parlamentsreform | APuZ 24-25/1985 | bpb.de

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APuZ 24-25/1985 Der Verhaltenskodex von Abgeordneten in westlichen Demokratien Debattenordnung und Debattenstil Überlegungen zur Reform des Deutschen Bundestages Ansätze und Perspektiven einer Parlamentsreform Anmerkungen zur Diskussion um die Parlamentsreform Artikel 1

Ansätze und Perspektiven einer Parlamentsreform

Wolfgang Ismayr

/ 32 Minuten zu lesen

I. Einleitung

Erstmals seit Anfang der fünfziger Jahre ist es einer neuen Partei gelungen, die Hürde der Fünf-Prozent-Klausel zu überspringen und als „grüne" Oppositionsfraktion in den Bundestag einzuziehen. Viele Vertreter der traditionellen Bonner Parteien sehen darin auch eine Folge eigener Versäumnisse; sie gestehen ein, daß der in Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen sich artikulierende Bewußtseins-und Wertwandel sowie die zugrundeliegenden strukturellen Probleme von den Bonner Parteien nicht ernst genug genommen wurden

In der vorausgegangenen 9. Wahlperiode hatte sich eine parlamentarische Entwicklung zugespitzt, deren Fortsetzung zu einer einschneidenden Glaubwürdigkeitskrise der parlamentarischen Demokratie hätte führen können. Grundlegende Kritik und Alternativen der außerparlamentarischen Ökologie-und Friedensbewegung an vertrauten Zielvorstellungen und Handlungsmustern der Politik wurden beispielsweise auf Kirchentagen diskutiert, hatten teilweise auch Eingang in die innerparteiliche Diskussion der Bonner Regierungsparteien gefunden, blieben aber aus den Debatten des Deutschen Bundestages weitgehend ausgegrenzt. Die parlamentarische Opposition zeigte sich von dieser Diskussion wenig berührt, und die kleine Gruppe von SPD-Abgeordneten, die diese friedenspolitischen und ökologischen Alternativen zur Regierungspolitik zur Sprache bringen wollte, fühlte sich von ihrer Fraktionsführung unter Druck gesetzt. Diese Abgeordneten hatten Mühe, als Debattenredner eingeteilt zu werden oder Redezeiten außerhalb des Fraktionskontingents zu erhalten „Friedensdebatte überall, nur nicht im Parlament: Das kann nicht gutgehen" schrieb Klaus von Dohnanyi. In der Tat hätte die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik eine so eingeschränkte Wahrnehmung der Kommunikations-und Artikulationsfunktion durch den Deutschen Bundestag auf Dauer nicht unbeschadet überstanden. Eine krisenhafte Schwächung der demokratischen Legitimation staatlicher Entscheidungen wäre wohl die Folge gewesen. Diese Entwicklung ist erfreulicherweise nicht eingetreten. Mit dem Einzug der GRÜNEN in den Bundestag ist eine wichtige Integrationsleistung gelungen, zu der die bisherigen Bundestagsparteien (allein) nicht mehr in der Lage waren: die Vertretung der Anliegen der Ökologie-, Friedens-und Frauenbewegung sowie verschiedener Minderheitengruppen und ihrer überwiegend jüngeren Anhänger Die parlamentarische Präsenz und die beachtlichen Wahlerfolge der GRÜNEN bei Landtags-und Kommunalwahlen haben die anderen im Bundestag vertretenen Parteien stärker zur Auseinandersetzung mit neuen Themen und Inhalten herausgefordert, als dies eine nur außerparlamentarische Opposition vermochte, deren Aktivitäten zudem eher Schwankungen unterworfen sind. Die Palette der Themen, Inhalte und politischen Strömungen ist also im 10. Deutschen Bundestag breiter und vielfältiger geworden, wobei natürlich deren Gewichtung wie auch deren Wahrnehmung in den Massenmedien unterschiedlich beurteilt wird. Mit einer so verbesserten Wahrnehmung der Kommunikations-und Repräsentationsfunktion ist nicht nur nach Auffassung „grüner“ Abgeordneter der Bundestag attraktiver geworden. Vermutlich hat die neue parlamentarische Situation die parlamentarische Demokratie insgesamt mehr gestärkt, als dies eine Parlamentsreform bei einer Parteienkonstellation wie in der 9. Wahlperiode hätte bewirken können. Andererseits sind vielen Abgeordneten Strukturprobleme des parlamentarischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozesses, die Stellung des Bundestages sowie die Position von Mehrheits-und Minderheitsfraktionen gegenüber Regierung und Verwaltung aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre sowie aufgrund des Rollentauschs von CDU/CSU und SPD stärker bewußt geworden. Dabei geht es vor allem um den Zusammenhang von fraktionsinternen Mitwirkungsund Handlungsspielräumen der einzelnen Abgeordneten und den Mitwirkungsrechten nach der Geschäftsordnung des Bundestags und in der parlamentarischen Praxis. CDU-und CSU-Abgeordnete erfahren den Druck zur Geschlossenheit und zur Zurückstellung eigener Intentionen in einer „Regierungsfraktion", wenn Bundesminister oder gar der Bundeskanzler eindringlich um Zustimmung für einen in Koalitionsgesprächen zwischen Vertretern der Regierung und den Fraktionsspitzen der Koalitionsparteien ausgehandelten Kompromiß bitten — weil man den nun einmal erreichten Kompromiß nicht wieder aufs Spiel setzen und die Regierung nicht öffentlich bloßstellen dürfe.

In der SPD-Fraktion haben sich im Herbst 1983 während der fraktionsinternen Debatte um die Haltung von Partei und Fraktion zur „Nachrüstung" die Mehrheitsverhältnisse gewandelt Die Befürworter des NATO-Doppelbeschlusses waren es nun, die in der Fraktion um Respektierung ihrer Gewissensentscheidung und ihres von der Fraktionsmehrheit abweichenden Stimmverhaltens baten.

Das Klima in den Fraktionssitzungen hatte sich unter der integrationsfähigen wie toleranten Fraktionsführung des neuen Vorsitzenden gewandelt. Von einer „neuen politischen Kultur" im Umgang miteinander ist seither etwas zu spüren. Gerade jene Abgeordneten, die als „Abweichler" den Druck von Fraktionsführung und Kanzler zu spüren be-kommen hatten, plädierten nun versöhnlich für tolerantes Verhalten gegenüber der neuen Minderheit

Schließlich sind auch die Erfahrungen jener ehemaligen Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre erwähnenswert, die, soweit sie nicht in die Fraktionsführung einrücken bzw. sich als Arbeitskreisvorsitzende mit einem Stab von Mitarbeitern umgeben konnten, sich der beschränkten Einflußmöglichkeiten des „einfachen" Abgeordneten besonders bewußt wurden. Zu ihnen gehört auch Frau Hamm-Brücher, mit deren Namen die Anfang 1984 entstandene „Überfraktionelle Initiative Parlamentsreform" verbunden ist. 110 Abgeordnete aus allen Fraktionen hatten „Überlegungen und Vorschläge zur Parlamentsreform" unterzeichnet und dem Bundestagspräsidenten zugeleitet Unterstützt wurde die insbesondere an einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit des Bundestages interessierte Abgeordneten-Initiative um Frau Hamm-Brücher auch von einer etwa zur gleichen Zeit von den Abgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk und Helmuth Becker angeregten SPD-Arbeitsgruppe, der es vor allem um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der einzelnen Abgeordneten geht und die ebenfalls „Bündnispartner" in anderen Fraktionen (vor allem aus ländlichen Wahlkreisen) fand. Einig in der Kritik an zu ausgeprägten Fraktionshierarchien und mit dem Ziel einer Stärkung der Position des einzelnen Abgeordneten wird zwischen beiden Anliegen ein konditionaler Zusammenhang hergestellt. (Entsprechend hatte auch die Enquete-Kommission Verfassungsreform eine Alternative von Rede-oder Arbeitsparlament abgelehnt.)

Inzwischen kam eine fast sechsstündige Selbstverständnis-Debatte des Bundestages (mit 45 Diskussionsbeiträgen) zustande, die sich entgegen manchen Erwartungen durchaus nicht als bloßer . Aufstand der Hinterbänkler" darstellte Einem einstimmig angenommenen Entschließungsantrag entsprechend, wurde alsbald die vom Bundestagspräsidenten geleitete Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform einberufen, die inzwischen erste Empfehlungen erarbeitet hat. Das Ziel ist eine Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte, eine Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten für Abgeordnete und — nicht zuletzt — eine lebendigere und offenere Gestaltung von Plenardebatten

II. Oppositionsverständnis und öffentliche Kontrolle

Der . klassische'Dualismus von Parlament und Regierung wurde in der Realität der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik durch eine andersgeartete und komplexere Funktionstrennung abgelöst, die nun angesichts zweier Oppositionsparteien in ein neues Stadium der Bewährung getreten ist. Entsprechend hatte sich seit der „Kleinen Parlamentsreform" (1969/70) nun auch bei Abgeordneten zunehmend die am stilisierten Vorbild des britischen Parlamentarismus orientierte Vorstellung durchgesetzt, daß im Parlamentarischen Regierungssystem insbesondere der Opposition die Aufgabe zufällt, die Regierung und die mit ihr verbundenen und sie unterstützenden Mehrheitsfraktionen öffentlich zu kontrollieren, sie zu kritisieren und Alternativen zur Politik der regierenden Mehrheit zu formulieren. (Die Mehrheitsfraktionen kontrollieren vor allem intern In diesem Sinne wurden die Minderheiten-rechte schrittweise ausgebaut, und auch die neue Geschäftsordnung von 1980 hat Verbesserungen gebracht. Die Stärkung der Opposition vollzog sich dabei im wesentlichen über einen Ausbau von Fraktionsrechten, womit den Bedingungen eines Mehrparteienparlaments Rechnung getragen wird. Diese Tendenz hat sich mit der neuen Geschäftsordnung noch verstärkt: Die Wahrnehmung von Minderheitenrechten ist nun fast ausschließlich Sache der Fraktionen Einzelne bedeutende Minderheitenrechte, so die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, einer Enquete-Kommission sowie die Beantragung öffentlicher Anhörungen der Ausschüsse kön-nen nur mit Unterstützung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages wahrgenommen werden; kleinere Fraktionen wie die GRÜNEN sind hier auf die Kooperationsbereitschaft der größeren angewiesen

Auch bei der Wahrnehmung der Kontrollund Gesetzgebungsfunktion hängt der Erfolg der Opposition entscheidend davon ab, wie die Vermittlung in der Öffentlichkeit gelingt.

In den Bundestagsausschüssen stimmen ja nach einer im allgemeinen kollegial geführten Diskussion bei Themen von einigem politischem Gewicht die Abgeordneten der Regierungsfraktionen fast durchweg so ab, wie dies zuvor in der Fraktion bzw. in den zuständigen Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen (nach Beratung und unter Einfluß von Regierungsvertretern) intern entschieden worden ist; dabei spielen auch die Vorentscheidungen im kleinen Kreis der Koalitionsgespräche eine kaum zu überschätzende Rolle. Von Seiten der Oppositionsfraktionen kann eine von der parlamentarischen Mehrheit unterstützte Regierungspolitik nur dann wesentlich beeinflußt werden, wenn es ihr gelingt, eine entsprechende Resonanz in den Massenmedien und den Fachöffentlichkeiten zu bewirken und einen Druck der öffentlichen Meinung auszulösen (wobei für SPD und GRÜNE die Unterstützung durch Gewerkschaften bzw. Bürgerinitiativen bedeutsam ist); zudem spielt das antizipatorische Einarbeiten oppositioneller Entwürfe eine Rolle. Mit ihrem weitgehenden Anspruch auf Öffentlichkeit aller parlamentarischen Gremien hat die neue Fraktion der GRÜNEN insofern eine wichtige Einstellung für ihre Rolle als Oppositionspartei mitgebracht (Die Situation verändert sich allerdings dann, wenn eine im Bundestag in der Opposition stehende Partei im Bundesrat über die Mehrheit verfügt und die Regierungsmehrheit in Bonn sich entsprechend veranlaßt sieht, schon im Vorfeld der Beratungen die bereits öffentlich artikulierten oder zu erwartenden Einwände zu berücksichtigen. Diese „konkordanz-demokratische Barriere" erschwert den „Machtwechsel": So geht es der SPD aufgrund früherer Erfahrungen zunächst um eine Bundesratsmehrheit.)

Der „Rollentausch" von CDU/CSU und SPD und vor allem die Konkurrenz der beiden Oppositionsfraktionen im 10. Deutschen Bundestag haben zu einer erheblich stärkeren Inanspruchnahme der öffentlichkeitswirksamen Kontrollinstrumente geführt So wurde wiederholt die Entlassung von Bundesministern oder die Herbeirufung von Regierungsmitgliedern ins Bundestagsplenum beantragt.

Bereits zur Halbzeit der Wahlperiode sind etwa ebensoviele Große Anfragen eingebracht worden, wie in der 8. und 9. Wahlperiode zusammen (bis Ende 1984: DIE GRÜNEN 40, SPD 19, CDU/CSU und FDP: 11 Große Anfragen stellen ein wichtiges Instrument dar, um die Regierung zu detaillierten Stellungnahmen zu bewegen und größere parlamentarische Debatten zu selbstgewählten Themen durchzusetzen — somit öffentliche „Richtungskontrolle''zu üben

Erst seit dem Regierungswechsel 1982 hat die vielleicht wichtigste Verbesserung der neuen Geschäftsordnung von 1980 Früchte getragen: Nun haben auch Minderheitengruppen in Frakionsstärke die Möglichkeit, unabhängig von der Fragestunde eine Aktuelle Stunde durchzusetzen (GOBT, Ani. 5, I, S. 27). Im Unterschied zur CDU/CSU-Opposition haben die derzeitigen Oppositionsfraktionen von dieser kommunikationsfreundlichen und aktuellen Möglichkeit zur Herausforderung der Regierung (5-Minuten-Beiträge) gerne und häufig Gebrauch gemacht, in der Anfangsphase vor allem die GRÜNEN. (Von den 40 Aktuellen Stunden bis Ende 1984 hatten die GRÜNEN 17 und die SPD und die SPD 16 beantragt). Seit Herbst 1984 zumindest haben sich auch die Regierungsfraktionen auf diese „Konkurrenzsituation" eingestellt, mit dem Ergebnis, daß nun meist drei Aktuelle Stunden in einer Sitzungswoche stattfanden und in jeder Woche ein interfraktionelles Taktieren und Aushandeln begann 16).

Die Oppositionsfraktionen haben bis Ende 1984 67 Gesetzentwürfe eingebracht (SPD: 35; GRÜNE: 32). Daß keiner dieser Entwürfe verabschiedet wurde, überrascht nicht. Ihre Ausarbeitung ist für die Oppositionsfraktionen gleichwohl insofern von Bedeutung, als es darum geht, alternative Politikentwürfe öffentlich zur Diskussion zu stellen. Der lange Weg eines Gesetzentwurfs über die parlamentarischen Hürden gibt immer wieder Gelegenheit, erneut die Diskussion in der (Fach) -Öffentlichkeit anzuregen. Auch die GRÜNEN im Bundestag sehen dies offenbar ähnlich: „Unsere .. konstruktive Arbeit im Sinne von . machbar jetzt'— auch wenn sie fern jeder Durchsetzungschance ist (und das geht selbst der SPD so) — hat ihren Sinn darin, daß die betroffenen Verbände, Initiativen, sozialen oder wirtschaftlichen Gruppen sehen, daß es denkbare Ansätze zum Handeln, Anknüpfungspunkte für den . Umbau der Gesellschaft'gäbe, wenn der politische Wille und die entsprechenden Machtverhältnisse da wären." 17)

Die neue Fraktion der GRÜNEN hat im Prozeß der Parlamentarisierung Erfahrungen gemacht, die auch den anderen Fraktionen wohlbekannt sind: Sie beklagen fast einhellig, daß die konzeptionelle Abstimmung der zahlreichen Einzelaktivitäten noch nicht hinreichend gelungen ist. Dies hat wesentlich damit zu tun, daß die GRÜNEN in mehreren Politikfeldern erst jetzt (und nach dem Mißerfolg bei den Landtagswahlen 1985 unter erschwerten Bedingungen) in einen Prozeß der programmatischen Klärung und Konkretisierung mit unbestimmtem Ausgang eingetreten sind und damit einen programmatischen Wettstreit mit der SPD aufnehmen, der, sofern er von beiden Seiten öffentlich geführt wird, von großer Bedeutung für die politische Kultur in der Bundesrepublik sein kann Nicht minder haben die genannten Schwierigkeiten aber mit der (notwendigerweise) arbeitsteiligen, aber gleichwohl durch Parlamentsreformen korrigierbaren Struktur und Arbeitsweise des Bundestages zu tun, an die sich auch die Fraktion der GRÜNEN angepaßt hat. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Fraktion der GRÜNEN ebenso wie die SPD-Fraktion nicht darauf verzichten kann, sowohl auf die zahlreichen Vorlagen der Regierung als auch die der konkurrierenden Fraktionen zu reagieren und in Reden und Abstimmungen Position zu beziehen. Damit werden Kräfte gebunden, die für eine konzeptionelle Arbeit fehlen; die Glaubwürdigkeit der Arbeit wird beeinträchtigt. Bereits die Enquete-Kommission Verfassungsreform hat sich mit diesem Problem befaßt. An ihrem Beitrag zur Verbesserung dieser Situation müssen sich auch die Vorschläge in der gegenwärtigen Reformdiskussion messen lassen.

III. Informationsdefizite und parlamentarisches Selbstverständnis

Wirksame öffentliche Kontrolle setzt voraus, daß auch die Oppositionsparteien Zugang zu allen der Regierung und den bevorzugt informierten Regierungsfraktionen zur Verfügung stehenden Daten besitzen und über hinreichende Mittel verfügen, um sich von unabhängigen oder ihr nahestehenden Institutionen „alternative" Informationen und Gutachten zu verschaffen; ferner, daß sie über entsprechende . Analyse-Kapazitäten" verfügen. Sodann hängt eine stärkere Eigenverantwortung der Abgeordneten und damit auch eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit des Bundestages davon ab, ob eine angemessene personelle und sächliche Ausstattung den einzelnen Abgeordneten in die Lage versetzt, über sein Spezialgebiet hinaus Impulse aufzunehmen und in den fraktionsinternen und öffentlichen Diskussionsprozeß einzubringen. Beide Aspekte spielen in der gegenwärtigen Parlamentsreform-Diskussion eine wichtige Rolle.

Die deutliche Überlegenheit der Ministerial-Verwaltung gegenüber dem Parlament ist auch in der „Selbstverständnis-Debatte" von Abgeordneten verschiedener Fraktionen immer wieder hervorgehoben worden (beispielsweise verfügt das Bundeswirtschaftsministerium über 139 Referate). Hinzu kommt die Zuarbeit von nachgeordneten Instituten und Ämtern und die Unterstützung durch eine Vielzahl von Beiräten.

Eine Fülle von Informationen geht in die inzwischen zahlreichen Berichte der Bundesregierung ein, die häufig auch vom Bundestag angefordert werden und Anlaß für Debatten sein können Die Auswertung der oft umfangreichen, nicht-immer leicht lesbaren oder auf die Bedürfnisse der Abgeordneten zugeschnittenen Berichte hat auch den Wunsch nach übersichtlicheren Darstellungen in der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform ausgelöst. Seit Jahren wird außerdem auch eine bessere Gestaltung der Bundestagsdrucksachen gefordert.

Da die Ministerien zunehmend die neuen Informations-und Kommunikationsmedien nutzen und ihre Datenbanken ausbauen, sehen sich vor allem Oppositionsführungen, aber auch Abgeordnete aus allen Fraktionen vor die Herausforderung gestellt, eine weitere Informations-und Kompetenzverschiebung zugunsten der Ministerialverwaltungen zu verhindern. Darauf hat die „Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft" schon vor Jahren hingewiesen und ein generelles Zugriffsrecht des Bundestages auf Datenbanken der Exekutive empfohlen, das durch Ergänzung des Grundgesetzes und weitere zusätzliche Regelungen abgesichert werden soll. Sicherzustellen sei auch, daß die Regierung dem Parla-ment spätestens zum Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzes alle Daten und Programme einschließlich der durchdachten Alternativen zur Verfügung stellen müssen In diesen Zusammenhang gehört auch die in der Adhoc-Kommission Parlamentsreform erörterte wichtige Forderung, die Abgeordneten besser und gegebenenfalls früher über Gutachten zu unterrichten, die die Regierung sich durch Beiräte, nachgeordnete Institute und Ämter oder durch Aufträge an Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen erarbeiten läßt

In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugunsten des Antrags der Bundestagsfraktionen der SPD und der GRÜNEN auf vollständige Herausgabe der einstimmig vom Flick-Untersuchungsausschuß angeforderten Akten wird die Bedeutung wirksamer parlamentarischer Kontrolle unterstrichen. Betont wird, daß das Parlament „ohne eine Beteiligung am geheimen Wissen der Regierung weder das Gesetzgebungsrecht noch das Haushaltsrecht noch das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Regierung auszuüben vermöchte"

Allerdings dürfte eine Stärkung der Informations-und Kontrollbefugnisse in gebotenem Umfang nur durch entsprechende Verfassungsänderungen erreichbar sein. Dies gilt insbesondere für die im Kontext der Parlamentsreform-Diskussion geforderte Verankerung von Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem einzelnen Abgeordneten und ein allgemeines Akteneinsichtsrecht für alle Abgeordneten bei Behörden. Eine Ergänzung des Grundgesetzes hatte auch die Enquete-Kommission Verfassungsreform für notwendig gehalten, um den Enquete-Kommissionen ein umfassendes Informationsrecht einzuräumen

Beklagt wird, daß die Arbeit des Bundestages bzw.der Ausschüsse allzusehr durch die Regierungsvorlagen bestimmt wird. Von besonderer Bedeutung ist hier die Frage, wie das Parlament insgesamt, vor allem aber die Oppositionsfraktionen, besser in die Lage versetzt werden können, aufgrund eigenständig überprüfter Informationen begründete und durchdachte Alternativen zu entwickeln und welche aktiv-kreative Rolle die einzelnen Abgeordneten dabei spielen können. Aber auch für die Regierungsfraktionen, ja, für die von Verwaltungsvorlagen abhängigen Regierungsmitglieder selbst ist es von Interesse, Alternativen auf der Grundlage von Informationen „durchzuspielen", die nicht aus dem Regierungsbereich stammen. Da schon die Auswahl der Informationen aufgrund politischer Vorentscheidungen und 'verwaltungsinterner Nutzungsinteressen erfolgt, hat sich bereits die Interparlamentarische Gesellschaft für ein gesetzlich geregeltes Zugriffsrecht des Parlaments auf Datenbestände außerhalb des Regierungsbereichs und zudem für ein eigenes Informationssystem des Parlaments ausgesprochen. Dabei wird allerdings unzutreffend vorausgesetzt, daß das Interesse an der Entwicklung alternativer Politik-Konzeptionen und Programme bei Regierungs-und Oppositionsfraktionen etwa gleich gelagert sei. Die Frage nach den Auswahlkriterien stellt sich natürlich auch dann, wenn Informationssysteme bei der Bundestagsverwaltung stärker ausgebaut werden sollen, die sich als „neutrale Einrichtung" versteht. (Anzumerken ist, daß jedenfalls die großen Oppositionsfraktionen sich jeweils auf die Zusammenarbeit mit den von der entsprechenden Partei gestellten Landesregierungen stützen können.)

In diesem Zusammenhang spielen auch Bemühungen eine wichtige Rolle, den Bundes-rechnungshof stärker an das Parlament heranzuführen Nach dem Votum des Rechnungsprüfungs-Ausschusses soll zwar auch künftig von einer verbindlichen Auftragserteilung durch das Parlament abgesehen, doch in einem neuen Bundesrechnungshof-Gesetz verankert werden, „daß Ersuchen des Bundestages und des Bundesrates um Gutachten und Prüfungen durch den Bundesrechnungshof vorrangig berücksichtigt werden" Nach den Vorstellungen des Bundesfinanzministers sollen Präsident und Vizepräsident des Bundesrechnungshofes zwar künftig vom Bundestag gewählt werden, das Vorschlagsrecht soll aber weiterhin der Bundesregierung zustehen. Im Unterschied zur Empfehlung des Rechnungsprüfungs-Ausschusses, der ebenfalls ein Vorschlagsrecht der Regierung künftig ablehnt, sollen nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion der Präsident und der Vizepräsident des Bundesrechnungshofes künftig allein vom Bundestag (nicht auch vom Bundesrat) gewählt werden, und zwar mit ZweiDrittel-Mehrheit, um eine Beteiligung der Opposition zu sichern Dafür spricht in der Tat die spezifische Aufgabe der Opposition bei der Regierungskontrolle.

Die seit der „Kleinen Parlamentsreform" immer wieder gestellte Frage nach der angemessenen Ausstattung des Parlaments wird angesichts der raschen Entwicklung der Informations-und Kommunikationsmedien in allen gesellschaftlichen Bereichen neu gestellt; dabei wird je nach eigenem Rollenverständnis und Status bevorzugt an die Fraktionen und deren Arbeitskreise und -gruppen, die Wissenschaftlichen Dienste und die Bundestags-Ausschüsse (Fachdienste, Ausschuß-Sekretariate),nicht zuletzt auch an die Büros der Abgeordneten gedacht Während die Fraktionsführungen vor allem an einem Ausbau der Fraktionsdienste interessiert sind, setzen sich Abgeordnete aus allen Fraktionen für erhebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der einzelnen Abgeordneten ein. Es geht darum, die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter durch bessere Ausstattung von zeitaufwendigen Routinearbeiten zu entlasten und Zeit für wichtige politische Aufgaben sowie für die konzeptionelle Arbeit zu gewinnen. Es wird für Abgeordnete immer schwieriger, aus der täglichen (interessen-gesteuerten) Informationsflut die für seine Arbeit relevanten Informationen auszuwählen und zu verarbeiten

Die Mitarbeiter der Abgeordneten in Bonn sind überwiegend mit qualifizierter Sachbearbeiter-Tätigkeit ausgelastet; wissenschaftliche Zuarbeit ist nur sehr begrenzt möglich. Ohne erhöhte Analyse-Kapazität würde sich diese Situation für die einzelnen Abgeordneten auch mit dem unmittelbaren Zugang zu Terminals kaum verbessern, da eine sachgemäße Nutzung von Datenbanken bei komplexeren Fragen Spezialkenntnisse erfordert Die Fraktionsmitarbeiter (der großen Fraktionen) arbeiten ganz überwiegend den Arbeitskreis-und Arbeitsgruppen-Vorsitzenden und auch den Obleuten zu; allerdings ist die Praxis nicht einheitlich Im Hinblick auf die gebotene sachliche Konzentration der Arbeit wäre auch daran zu denken, die Zahl der Fraktionsmitarbeiter zu erhöhen, doch bestehen bei „nichtprivilegierten" Abgeordneten begründete Zweifel, ob ihnen diese Mitarbeiter dann auch zur Verfügung stünden. Die Forderungen der eingangs erwähnten Abgeordneten-Gruppe nach einer erheblichen Aufstockung der Mitarbeiter-Pauschale haben zu ersten Erfolgen geführt: Die Mittel wurden um 1 500 DM auf 7 200 DM erhöht; so haben die Abgeordneten jetzt die Möglichkeit, je einen vollen Mitarbeiter im Wahlkreis und in Bonn zu beschäftigen. Ein Sachbearbeiter im Wahlkreis sowie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und ein Sekretär in Bonn werden zumindest für erforderlich gehalten Die bessere finanzielle Ausstattung der Abgeordneten könnte es ihnen erlauben, über ihre Spezialistenrolle im Ausschuß hinaus auch Impulse von Gruppen, Bürgern und Initiativen zu „verarbeiten".

Für eine „alternative" und längerfristig angelegte konzeptionelle Arbeit der Fraktionen — etwa in Fragen der Technologiefolgenabschätzung und -bewertung — ist einmal an die Bedeutung der Enquete-Kommissionen zu denken, gegebenenfalls aber auch an eine unabhängige, aber primär im Auftrag des Parlaments arbeitende Einrichtung, sodann an die Bedeutung der zahlreichen (öffentlichen) Anhörungen der Ausschüsse und der Fraktionen Auszubauen wären die Kapazitäten der Ausschüsse und Fraktionen, aber zusätzlich auch der einzelnen Abgeordneten, um Gutachten und Informationen von unabhängigen Einrichtungen einzuholen, und sie so von der spezifischen, interessengeleiteten Informationszufuhr der Bürokratie und der Verbände unabhängiger zu machen.

Die Verbesserung der Kontrollfähigkeit wie auch das Gelingen weitergehender Parlamentsreformen insgesamt sind jedoch nur dann zu erwarten, wenn auch bei den Fraktionsführungen der Regierungsparteien das gemeinsame Interesse an einer glaubwürdigen parlamentarischen Demokratie stärker gewichtet wird als der augenblickliche Vorteil privilegierter Machtteilhabe.

IV. Beteiligungschancen einzelner Abgeordneter und parlamentarische Kommunikationsfähigkeit

Auch die Mehrheitsfraktionen kontrollieren die Regierung; aber im Interesse der „Geschlossenheit" nach außen soll dies möglichst nicht-öffentlich geschehen. Kritik geübt wird etwa in Arbeitsgruppensitzungen oder im kleinen Kreis von Koalitionsgesprächen. Mit Rücksicht auf den großen Teilnehmerkreis wird auf Fraktionssitzungen i. d. R. zurückhaltender argumentiert, da kritische Stimmen von hier aus leichter an die Öffentlichkeit dringen. Die Kontrollchancen der Abgeordneten sind je nach der Position im Gefüge der Fraktionshierarchie sehr unterschiedlich gerade in den „Regierungsfraktionen". Unmut wird immer wieder darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Fraktionsführung die Abgeordneten zur Geschlossenheit und zum Verzicht auf die öffentliche Austragung von Kontroversen mahnt, während sich Spitzenpolitiker der Koalition mit kontroversen Stellungnahmen öffentlich profilieren So mahnt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion seine Fraktion stets aufs neue, nicht nur im Plenum, sondern bereits in der Fraktionssitzung geschlossen zu votieren, da die Abstimmungsergebnisse ja in der Öffentlichkeit ohnehin bekannt würden, und aus diesem Grund auch brisante Themen, die gegebenenfalls in den Arbeitsgruppen kontroverse Diskussionen ausgelöst haben, in einer entscheidungsreifen Phase am besten gar nicht mehr zu diskutieren. Da aber nur die Fraktionssitzungen allen Abgeordneten die Gelegenheit bieten können, sich über ihre Spezialaufgaben hinaus über Richtung und Kontext der Regie-rungs-und Fraktionspolitik zu informieren und auf diese einzuwirken, entstehen durch diesen Druck zur Geschlossenheit erhebliche Kommunikations-und Beteiligungsdefizite.

Die überfraktionelle Abgeordneten-Initiative hat eine wesentliche Ursache für den mangelnden Erfolg bisheriger Reformansätze herausgestellt: Vermieden wurden auch in der Geschäftsordnungsreform von 1980 all jene Reformvorschläge, von denen eine Beeinträchtigung der „Geschlossenheit" der Fraktionen sowie mehr Transparenz der innerfraktionellen Arbeit und der Ausschußarbeit erwartet wurde. In der Tat hat sich gezeigt, „daß die zur verbesserten Wahrnehmung der Kommunikationsfunktion des Bundestages wohl wirksamsten Regelungen gerade jene wären, die geeignet sein könnten, den engen Spielraum der „nicht-privilegierten" Abgeordneten gegenüber der Fraktionsregie zu erweitern" Die Bereitschaft hierzu ist im 10. Bundestag offenbar gewachsen

Von der Vereinbarung kürzerer Redezeiten im Zusammenhang mit dieser Geschäftsreform hatte man auch eine „Belebung" der Debatten erhofft. Warum haben sich die Erwartungen nicht erfüllt? In Kurzdebatten ist der Sprecher der Fraktion gehalten, den Fraktionsstandpunkt in konzentrierter Form darzustellen. In größeren Debatten sollten die Fraktionen ihre Redezeit so aufteilen, daß nur einem Redner bis zu 45 Minuten zur Verfügung stehen und alle anderen nicht länger als 15 Minuten sprechen können. Beeinträchtigt wurde ein möglicher Erfolg dieser Regelung dadurch, daß bei wichtigen Debatten Regierungs-und Bundesratsmitglieder von ihrem jederzeitigen Rederecht (Art. 43 Abs. 2) übermäßig Gebrauch machten. So kamen die meisten Abgeordneten erst nach dem Ende der Direktübertragung bzw. nach Redaktionsschluß der Zeitungen oder gar nicht mehr zu Wort Nach einer eigenen Untersuchung der Direktübertragungen des Fernsehens im ersten Jahr der 9. Wahlperiode betrug der Redezeitanteil der „einfachen" Abgeordneten bei der CDU/CSU-Fraktion nur knapp 10 % Entsprechend den Vorschlägen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform soll die Standard-Redezeit fürden einzelnen Beitrag künftig 10 Minuten betragen. Abs. 2) übermäßig Gebrauch machten. So kamen die meisten Abgeordneten erst nach dem Ende der Direktübertragung bzw. nach Redaktionsschluß der Zeitungen oder gar nicht mehr zu Wort 39). Nach einer eigenen Untersuchung der Direktübertragungen des Fernsehens im ersten Jahr der 9. Wahlperiode betrug der Redezeitanteil der „einfachen" Abgeordneten bei der CDU/CSU-Fraktion nur knapp 10 % 40). Entsprechend den Vorschlägen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform soll die Standard-Redezeit fürden einzelnen Beitrag künftig 10 Minuten betragen. Nun endlich sollen Zwischenfragen nicht mehr auf die Redezeit angerechnet werden.

Mehr Spontaneität und eine Bereicherung des argumentativen Spektrums könnte vor allem durch die Realisierung jener Vorschläge der Abgeordneten-Initiative erreicht werden, die mit der Verbesserung der Redechancen auch den Partizipationsspielraum der einzelnen Abgeordneten (gegenüber dem Fraktionsreglement) erweitern wollen. Es wurde vorgeschlagen, mindestens 30% der Redezeit bei größeren Debatten für offene, von der Fraktion nicht verplante Debattenbeiträge freizuhalten; dabei soll es möglich sein, mit Kurzbeiträgen vor anderen Rednern zu Wort zu kommen 41).

Die Verbesserung der kommunikativen Kompetenz des Bundestages setzt voraus, daß auch Minderheitenmeinungen in der fraktionsinternen Diskussion, aber auch im Plenum und gegebenenfalls in öffentlichen Ausschüssen nicht nur ausnahmsweise und unter stark erschwerten formalen und psychologischen Bedingungen artikuliert werden können 42). Darum geht es offenbar auch der Abgeordneten-Initiative bei ihren Vorschlägen, wobei die fraktionsinterne Struktur nur indirekt angesprochen ist 43). Im Interesse der Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems ist es in der Tat geboten, für die Freiheit der Rede und der Abstimmung in der parlamentarischen Praxis unterschiedliche Maßstäbe anzulegen. Gewiß sollten im Gegensatz zur bisherigen Praxis auch gelegentliche Abstimmungsniederlagen — etwa wenn es um auch unter Experten umstrittene Folgewirkungen von Zukunftstechnologien geht — nicht schon als Gefährdung der Regierungsfähigkeit angesehen werden. Grundsätzlich ist freilich ein legitimes Interesse der Regierung und der sie stützenden Fraktionen anzuerkennen, sich auf Entscheidungen verlassen zu können, für die in den Regierungsfraktionen Mehrheiten zustande gekommen sind. Erleichtert werden soll aber die Möglichkeit, auch abweichende Gründe und Positionen vorzutragen. Dies ist im Interesse einer demokratischen Legitimation vor allem dann bedeutsam, wenn bestimmte Positionen von keiner anderen Fraktion, sehr wohl aber außerhalb des Parlaments in relevantem Umfang artikuliert werden.

Die Forderung der Abgeordneten-Initiative, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in der parlamentarischen Praxis stärker zur Geltung zu bringen, ist Mißverständnissen ausgesetzt: Es kann hier nicht in erster Linie um die Einlösung individueller Selbstverwirklichungs-Ansprüche gehen, sondern um die Verbesserung demokratischer Rückkoppelung. Will man den Satz, daß „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht" auch unter Bedingungen des parteien-staatlichen und durch Verbandseinfluß geprägten Parlamentarismus ernst nehmen, und sieht man gerade in der Volksrepräsentation ein unverzichtbares Verfahren zur annäherungsweisen Einlösung dieses demokratischen Partizipationsanspruchs, so ergibt sich für die Einschätzung des „freien Mandats" im Kontext mit Art. 21 Abs. 1 GG und der grundgesetzlich garantierten Kommunikationsfreiheit folgendes Sein Sinn in der parlamentarischen Demokratie ist es nicht, die Verbindung der Abgeordneten zur Basis zu reduzieren, sondern oligarchischen Tendenzen in Partei und Fraktion entgegenzuwirken und die Aufnahme neuer Themen und Ideen in die parlamentarische und fraktionsinterne Diskussion zu erleichtern. Begünstigt werden soll die Offenheit des Willensbildungsprozesses. Diese verfassungsrechtliche Schutzfunktion des Art. 38 Abs. 1 GG für die innerparteiliche Demokratie wird offenbar auch in der Bundestagsfraktion der GRÜNEN zunehmend erkannt. Jedenfalls haben die GRÜNEN im Bundestag die Vorschläge der Initiative Parlamentsreform (und den entsprechenden Entschließungsantrag) als Beitrag zur „Demokratisierung des Parlamentarismus" unterstützt

V. Parlamentarische Kompetenz und demokratische Legitimation

Ein Verzicht auf Fernsehübertragungen von Plenarsitzungen nach dem Beispiel Großbritanniens wurde (ungeachtet manch ungünstiger Auswirkungen auf das Debattenklima) in der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform nicht in Betracht gezogen. Schließlich ist der Bundestag bei der Wahrnehmung seiner de-mokratisch legitimierenden Kommunikations-und Kontrollfunktion auf die Vermittlungsleistung der Massenmedien angewiesen. Eine Einschränkung der Fernsehübertragungen, wie dies der gegenwärtigen Tendenz der Fernsehanstalten entspricht, ist schon deshalb nicht begrüßenswert, weil sie der Hierarchisierung der Partizipationsstruktur des Bundestages förderlich ist (1983 wurden noch ca. 30% der gesamten Debattenzeit übertragen, 1984 waren es nur mehr knapp 20%; das Pressezentrum des Bundestages beklagt diese Entwicklung) Nur wenig informativ sind oft die knappen, zusammenfassenden Fernsehnachrichten über Plenardebatten am Abend; angesichts der von der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform kritisierten gerin-gen Originalberichterstattung aus Plenarverhandlungen in der Regionalpresse können Informationsdefizite und Informationsverzerrungen die Folge sein. Als Lösung wäre an regelmäßige Sondersendungen mit zusammenfassenden Berichten zu denken Um die Parlamentsberichterstattung in den gedruckten Medien zu verbessern, wurden in der Ad-hoc-Kommission verschiedene Vorschläge erörtert; sie betreffen die Weiterentwicklung der Pressedienste, das Angebot von Matern-Seiten zur Übernahme der Texte durch Zeitungen sowie den subventionierten Vertrieb von attraktiver gestalteten Sitzungsberichten. Die öffentlichkeitswirksame Wahrnehmung seiner Aufgabe, politische Entwicklungen zu begleiten, zu bewerten und zu kritisieren wird dem Bundestag nicht nur durch die überwiegend gouvernementale Orientierung der Massenmedien erschwert. Seit Jahren wird nicht nur von der jeweiligen Opposition, sondern von Abgeordneten aller Fraktionen kritisiert, daß die Bundesregierungen über Kabinettsitzungen nicht zunächst im Bundestag selbst berichten, sondern in der Bundes-pressekonferenz oder mit Einzelinterviews von Kabinettsmitgliedern den Weg in die Öffentlichkeit sucht.

Die Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform hat die Anregung der Abgeordneten-Initiative aufgegriffen und die probeweise Einführung einer Kabinettsberichtserstattung vorgeschlagen, die (nach Vereinbarung auf Vorschlag der Bundesregierung oder des Bundestages) bei wichtigen und aktuellen Sachkomplexen im Anschluß an Kabinettsitzungen in Sitzungswochen erfolgen soll. Nach einem Bericht der Regierung schließen sich Fragen der Abgeordneten und Antworten des Berichterstatters der Regierung von jeweils höchstens zehn Minuten Länge an. Nach Ablauf von 40 Minuten sollen die Fraktionen die Möglichkeit (!) haben, eine Stellungnahme von jeweils fünf Minuten abzugeben. Darauf legt die SPD-Opposition größten Wert, während die Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dies, offenbar im Interesse einer dominanten Selbstdar-

Stellung der Regierung, bisher ablehnten und damit die Erprobung verzögerten. Weiterführend ist der Vorschlag, die Regierung auch aufgrund des Antrags einer Fraktion zur Berichterstattung zu veranlassen Bei neuen Informations-und Beschlußlagen sind die Oppositionsfraktionen nicht nur, gegenüber der Regierung, sondern häufig auch gegenüber den in Arbeitsgruppen bzw. Fraktionssitzungen informierten Regierungsfraktionen benachteiligt. Friedrich Schäfer hat daher konsequent gefordert, daß „alle Fraktionen vor einer Kabinettsitzung über die Tagesordnung der Kabinettsitzung und über die einzelnen Vorlagen mit den erforderlichen Unterlagen rechtzeitig unterrichtet werden" Frühere Versuche seien gescheitert, weil die Bundesregierung dazu nicht bereit gewesen war

Die Chance des Bundestages, als zentrale demokratisch legitimierte Entscheidungsinstanz ernst genommen zu werden, hängt wesentlich davon ab, ob er aktuelle und die längerfristige politische Entwicklung bestimmende Themen (Zukunftstechnologien) rechtzeitig und kompetent zu behandeln und zu diskutieren in der Lage ist. Hier liegt die Bedeutung der Aktuellen Stunden, der Enquete-Kommissionen aber eben auch einer günstig terminierten Kabinettsberichtserstattung im Bundestag und einer (erweiterten) öffentlichen Ausschußberatung, wie sie seit vielen Jahren vorgeschlagen und nun endlich auch nach den Vorstellungen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform erprobt werden spll.

Als Signal einer sich wandelnden parlamentarisch-politischen Kultur könnte die zunehmende Bereitschaft zur regulären oder jedenfalls häufigeren Öffentlichkeit der Ausschüsse gewertet werden Von der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Möglichkeit öffentlicher Ausschußsitzungen war fast nie Gebrauch gemacht worden. Angesichts der Bedeutung, die der steten Kommunikation zwischen Parlamentariern und Bürgern für die demokratische Legitimation des politischen Systems zukommt, ist eine Nicht-Öffentlichkeit der politisch bedeutsamen Ausschüsse in der Tat problematisch. Ein Abschirmen von Einflüssen der Verbände (Fachöffentlichkeiten) gelingt ohnehin nicht überdies gelangen laufend Informationen an die Öffentlichkeit, die dem Bürger eine Einordnung und Bewertung der oft parteitaktisch eingefärbten Berichte erschweren. Die Erfahrungen mit öffentlichen Anhörungsverfahren sprechen dafür, erklärte jüngst der Abgeordnete de With, daß sich Abgeordnete in öffentlichen Ausschußsitzungen nicht anders verhielten als sonst in ihrem Ausschuß. „Kreativität, Witz aber auch Kollegialität" würden vor der Öffentlichkeit sichtbar; das Verständnis für parlamentarische Arbeitsvorgänge würde zunehmen Seltener geworden ist jetzt das Standard-Argument, Öffentlichkeit würde die Kompromißfindung erschweren: Bekanntlich fallen die wichtigeren Entscheidungen zuvor in den Fraktionen, und auch nach einem facettenreichen Diskussionsverlauf wird — von marginalen oder parteipolitisch kaum festgelegten Fragen abgesehen — schließlich vor allem von der Regierungsmehrheit das in der Fraktion abgesprochene Votum in aller Regel durchgehalten. Von einer für die älteren Parteien provokativen Konsequenz ist daher die Forderung der GRÜNEN, Öffentlichkeit auch dort herzustellen, wo die Entscheidungen fallen: So sollten jedenfalls auch bei den anderen Fraktionen Fraktionssitzungen öffentlich sein. Ohne deutliche Verhaltensveränderungen der Abgeordneten könnte das allerdings (vor allem bei den Regierungsparteien) zu einer weiteren Verlagerung entscheidender Vorgänge in nichtöffentliche Gremien und Zirkeln führen.

Nach ersten Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform sollen die Ausschüsse (von den geschlossenen Ausschüssen abgesehen) von der Möglichkeit der Geschäftsordnung in § 69 Abs. 1 Satz 2 häufiger Gebrauch machen und die Öffentlichkeit zulassen — auch in gemeinsamen Sitzungen mehrerer Ausschüsse. Die Kommission schließt mit ihren Empfehlungen an den Bericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur Neugestaltung der Gesetzesberatung an, der eine erweiterte öffentliche Ausschußberatung empfiehlt Widerstände gegen eine Ausweitung der Publizität waren wohl auch der Grund, warum der Bundestag diesen Vorschlägen der Enquete-Kommission nicht näher getreten ist, deren Realisierung geeignet ist, Kommunikationsfähigkeit, Transparenz und Effizienz sowie die Beteiligungschancen der Abgeordneten gleichermaßen zu verbessern.

Die Kommission hatte mit Recht eine Alternative von-Rede-oder Arbeitsparlament abgelehnt. Sie suchte nach Lösungen, wie angesichts der oft detaillierten und hochspezialisierten Gesetzgebungsarbeit der Bundestag dennoch in die Lage versetzt werden könnte, sich vertieft mit grundsätzlichen und politisch bedeutsamen Fragen zu befassen. Die Enquete-Kommission wie nun auch die Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform gehen von der Erfahrung aus, daß in häufig mit thematisch sehr unterschiedlichen Tagesordnungspunkten überladenen Debatten der oft beklagte „Schichtwechsel der Spezialisten“ stattfindet Um das Plenum von allzu spezialisierten „Fachreferaten" der Ausschußexperten zu entlasten, soll nach Auffassung der Enquete-Kommission zwischen der ersten und einer in der Regel abschließenden zweiten Beratung eine gemeinsame öffentliche Sitzung des federführenden und der mitberatenden Ausschüsse durchgeführt werden. Diese Vorschläge sind mit der Hoffnung verbunden, daß diese Ausschußberatung ein (fach-) öffentliches Forum für knappe, freie und lebhafte politische Debatten sein könnte. Dabei sollen sowohl jene sachlichen Details erörtert werden, mit denen man die Diskussion im Plenum nicht länger belasten will, aber auch in kurzen argumentativem Austausch Akzente gesetzt werden.

Nach den Vorschlägen der Ad-hoc-Kommission (die sich nicht nur auf die Gesetzesberatung beziehen) kommen öffentliche Sitzungen vor allem für die Schlußberatung von Vorlagen in Betracht. Bei geeigneten Themen soll, den Konsens der Fraktionen vorausgesetzt, im Plenum in zweiter und dritter Beratung ohne Aussprache abgestimmt werden kön-nen. Die Bedeutung des von der Enquete-Kommission wie auch in abgewandelter Form von der Ad-hoc-Kommission vorgeschlagenen Verfahrens würde insbesondere darin liegen, jene in ein oder zwei Debattenrunden vorgetragenen speziellen Darlegungen von Fraktionsspezialisten aus dem Plenum herauszuverlagern und dabei der interessierten (Fach) -Offentlichkeit eine intensivere Befassung mit dem Thema zu ermöglichen, als dies die komprimierten Kurzdebatten im Plenum zulassen. Vor allem kommt es darauf an, Raum für vertiefte Debatten zu wichtigen Themen (z. B. durch verbundene Debatten anläßlich mehrerer thematisch verwandter Vorlagen) und zu politischen Richtungsentscheidungen zu schaffen und damit auch die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. (Nicht zu unterschätzen ist dabei die Bedeutung gemeinsamer öffentlicher Sitzungen der beteiligten Ausschüsse, weil so die Beachtung von Problemzusammenhängen besser gesichert werden kann; in Fraktionssitzungen fehlt hierfür oft die Zeit; überdies hat die CDU/CSU-Fraktion auf die mehrere Arbeitsgruppen übergreifenden Arbeitskreise verzichtet

Beachtung verdient der Vorschlag der „Initiative Parlamentsreform", bei öffentlichen An-58) hörungen der Ausschüsse nicht nur wissenschaftliche Sachverständige und Verbandsexperten zu hören, sondern auch solche Bürger und Gruppen zu beteiligen, die einschlägige Erfahrungen gesammelt bzw. spezielle Sachkenntnisse erworben haben In diesen Zusammenhang gehört auch die Empfehlung an den Petitionsausschuß, Gruppen oder Abordnungen von Petenten zur Erörterung ihrer Bitten und Beschwerden persönlich gegebenenfalls auch im Rahmen einer Anhörung zu empfangen, ferner die Zulassung von Massenpetitionen und deren Behandlung in Plenardebatten.

Für den Erfolg der vorstehend skizzierten Reform entscheidend ist jedoch nicht die Plausibilität der einzelnen Vorschläge allein, sondern die durchdachte Kombination und Abstimmung verschiedener Verfahrensänderungen und damit einhergehend entsprechende Verhaltensänderungen von Abgeordneten. Die (oft auch überzogene) öffentliche Kritik am Typus des abgeschliffenen, angepaßten, die politische Dauer-Karriere anstrebenden Politikers könnte hier stimulierend wirken

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. u. a. H. -J. Vogel, Kontinuität und Perspektive. Gedanken zur Arbeit der SPD-Bundestagsfraktion, Januar 1985; K. -W. Brand/D. Büsser/D. Rucht, Aufbruch in eine andere Gesellschaft. Neue soziale Bewegungen in der Bundesrepublik, Frankfurt — New York 19822; B. Guggenberger/U. Kempf (Hrsg.), Bürgerinitiativen und repräsentatives System, Opladen 19842; E. Eppler, Wege aus der Gefahr, Reinbek 1981.

  2. Vgl. W. Ismayr, Parlamentarische Kommunikation und Abgeordnetenfreiheit. Praxis im 9. Deutschen Bundestag und Perspektiven einer Parlamentsreform, Frankfurt 1982, S. 43 ff.; W. Ismayr,

  3. K. v. Dohnanyi. Ärger über die . Außenseiter". Die Friedensdebatte findet überall statt, nur nicht im Bundestag, in: Die Zeit vom 12. 6. 1981; vgl. R. Zundel, Die Auswanderung der Opposition, in: Die Zeit vom 12. 6. 1981.

  4. Vgl. u. a. DIE GRÜNEN, Das Bundesprogramm (1980); P. Kelly/Jo Leinen (Hrsg.), Prinzip Leben.

  5. Meinen Ausführungen zu fraktionsinternen Vorgängen liegen u. a. eine Reihe von Interviews zugrunde, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann.

  6. Z. B. Sitzung der SPD-Bundestagsfraktion am 13 9 1983

  7. Vgl. ZParl, (1984) 2, S. 171 ff.; Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/85, S. 6 ff.

  8. Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll (PIPr) 10/85/20. 9. 1984, S. 6202 ff.; Parlamentarier fordern mehr Rechte und bessere Information, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 21. 9. 1984.

  9. Entschließungsantrag zur Stellung und Arbeit des Deutschen Bundestages, Bundestags-Drucksache (BT-Drs.) 10/1983, 17. 9. 1984; vgl. H. Hamm-Brücher, Die Krise des Parlamentarismus und Chancen zu ihrer Überwindung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/85, S. 3 ff.

  10. Vgl. unten, Kapitel IV; zur sog. „Kleinen Parlamentsreform" vgl. U. Thaysen, Parlamentsreform in Theorie und Praxis, Opladen 1972; W. Steffani, Warum die Bezeichnung „Kleine Parlamentsreform 1969"?, in: ZParl, (1981) 4, S. 591.

  11. Vgl. PIPr. 8/225/25. 6. 1980, S. 18280 B; R. Stücklen, Rechte der Minderheit stärken, in: DAS PARLAMENT vom 9. 10. 1980; H. -A Roll/A Rüttger, Zur Neufassung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, in: ZParl, (1980) 4, S. 484 ff.

  12. Art. 44 GG; Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT), § 56 und § 70 Abs. 1; Erfahrungen aus der Sicht der GRÜNEN IM BUNDESTAG in deren 2. Rechenschaftsbericht (November 1984), S. 3— 6.

  13. Bundesprogramm, S. 29; Bundesdelegiertenversammlung der GRÜNEN in Sindelfingen, 16. 1. 1983 (Beschlüsse); ihrem Selbstverständnis entsprechend haben die GRÜNEN IM BUNDESTAG auch gleich zu Beginn der Wahlperiode die Öffentlichkeit der Bundestagsausschüsse gefordert (BT-Drs. 10/4, 29. 3. 1983), und sie haben auch weitgehend die Öffnung der Fraktionsarbeit beibehalten.

  14. Zahlen zu Großen Anfragen, Aktuellen Stunden, Gesetzgebung: Sach-und Sprechregister des Deutschen Bundestages und „Stand der Gesetzgebung", 10. Wahlperiode.

  15. G. Witte-Wegmann, Recht und Kontrollfunktion der Großen, Kleinen und mündlichen Anfragen im Deutschen Bundestag, Berlin 1972, S. 80; P. Stadler, Die parlamentarische Kontrolle der Bundesregierung, Opladen 1984, S. 167 ff.

  16. DIE GRÜNEN IM BUNDESTAG, Rechenschaftsbericht I (März 1984), S. 19; vgl. Rechenschaftsbericht II (November 1984), S. 7.

  17. Überwiegend wurden die Aktuellen Stunden um 8 Uhr morgens „eingeschoben". Darunter leiden Beteiligung und Attraktivität. Das in der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform diskutierte „Nachmittags-Modell" der Sitzungswochen brächte auch hier eine Verbesserung.

  18. Vgl. E. Eppler, Grundwerte für ein neues Godesberger Programm, Reinbek 1984, S. 11 f.: „Der Prozeß, der zum Programm führt, ist sicher nicht weniger wichtig als das Programm selbst."; vgl. die Äußerung des Bundestagsabgeordneten der GRÜNEN, H. Suhr, im Spiegel-Interview: „Wir wollen eine flügelübergreifende Diskussion über grüne Programme, damit wir 1987 alle gemeinsam mit einem machbaren Konzept in den Wahlkampf gehen und sagen können: Das ist unsere Alternative", in: Der Spiegel Nr. 19 vom 6. 5. 1985, S. 60.

  19. Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform des Deutschen Bundestages, in: Zur Sache, (1976) 3, Teil I.

  20. U. a.: PIPr 10/85/20. 9. 1984, S. 6217 (SkarpelisSperk), S. 6230 (Werner), S. 6226 (Ertl).

  21. Ob und unter welchen Voraussetzungen eine „allgemeine Berichts-und Evaluierungspflicht für Gesetze und die grundsätzliche zeitliche Befristung" sinnvoll wäre, kann hier nicht erörtert werden; vgl. G. M. Hellstern/H. Wollmann (Hrsg.), Handbuch zur Evaluierungsforschung, BD. 1, Opladen 1984, S. 58 f.

  22. „Zugang des Parlaments zu Datenbanken und Rechenzentren der Exekutive und die Errichtung parlamentseigener Informationssysteme" (Beschluß der Vollversammlung), mit Schreiben vom 28. 2. 1980 an den Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder übersandt.

  23. Zwischenbilanz der Beratung in der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform" (März 1985); PIPr 10/85, S. 6231.

  24. BVerfGE 67, 100 (135. f.); die Kontrollkompetenz des Bundestages erstrecke sich aber grundsätzlich nur auf bereits abgeschlossene Vorgänge (S. 139). Diese nur „grundsätzliche" Aussage beziehe sich nur auf das Untersuchungsrecht und werde nicht als abschließende Stellungnahme zum Problem der „mitwirkenden Kontrolle" zu bewerten sein, meint M. Schröder (ZParl, [1984] 4, S. 476).

  25. „Zwischenbilanz" (Anm. 23); Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, in: Zur Sache (1976) 3, S. 140; vgl. auch die Forderung des langjährigen Bundesministers J. Ertl: „Das Ministerium hat nicht allein einem Minister zu dienen, sondern hat in gleicher Weise dem Parlament, d. h. auch jedem Parlamentarier zu dienen." Die gegenwärtige Praxis ist hier von Ministerium zu Ministerium und von Fall zu Fall unterschiedlich (PIPr 10/85, S. 6226; Abg. Czaja [CDU/CSU], ebd., S. 6234). Entschieden vertreten werden diese Forderungen von den GRÜNEN: H. Verheyen, Ohne Basisdemokratie stirbt das Parlament, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/85, S. 36 f. (Erforderlich sei auch ein Akteneinsichtsrecht bei Betrieben); vgl. auch die Forderungen der „Initiative Parlamentsreform", ebd. S. 7, und das Ergebnis der Umfrage dieser Initiative: Von 176 Abgeordneten wünschten 64, 6% eine „Verschärfung der Auskunftspflicht der Exekutive", keiner stimmte mit Nein, 32, 6% enthielten sich. (Vv. Manuskript, Februar 1985).

  26. PIPr 10/85, S. 6202 (Abg. Barzel); Beratungen in der 2., 3., 5. und 8. Sitzung der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform; Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion, BT-Drs. 10/2929, 27. 2. 1985.

  27. Schreiben des Vorsitzenden des Rechnungsprüfungs-Ausschusses (Friedmann) an den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses (Walther) vom 21. 1. 1985; In einer Ausarbeitung der Bundestagsverwaltung (1985) wird wohlbegründet vorgeschlagen, den Kontakt „zum Bundesrechnungshof in einer Weise zu verstärken, wie sie im Verhältnis des Parlaments zum Wehrbeauftragten geregelt ist: durch das Verlangen zusätzlicher Gutachten und das Herbeirufungsrecht, um vom Präsidenten vor dem Bundestag Berichterstattung oder Auskünfte zu Einzelfragen zu erhalten." (Vgl. Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, in: Ritzel/Bücker, Handbuch für die Parlamentarische Praxis, Frankfurt 1983;) vgl. auch H. C. Korff, Wege zur Verbesserung der Finanzkontrolle, in: ZParl, (1981) 3, S. 399 ff.

  28. BT-Drs. 10/2929 (Anm. 26).

  29. Im einzelnen sind hier die Ergebnisse der im Auftrag des Bundestages von der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung und dem Beratungsunternehmen ADV/ORGA durchgeführten Untersuchung und der anschließenden Modellversuche abzuwarten. Erste Ergebnisse hat E. Vorwerk auf der Tagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen am 2. 5. 1985 vorgetragen.

  30. PIPr 10/85, S. 6217; besonders betroffen sind Abgeordnete aus entfernt liegenden (ländlichen) Wahlkreisen; u. a. geht es um den raschen Zugang zu Kopiergeräten, Fernkopierern und den Zugriff auf Datenbanken des Bundestages vom Abgeordneten-Büro aus.

  31. Vgl. E. Vorwerk (Anm. 29).

  32. Personelle Ausstattung der Fraktionen: CDU/CSU 192, davon 73 höherer Dienst; SPD 190, davon 81 höherer Dienst; FDP 51; DIE GRÜNEN 75-, (Stand: Herbst 1983; Vorinformation aus: P. Schindler, Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestags 1980— 1984, hrsg. vom Deutschen Bundestag, Baden-Baden 1985/86.

  33. Um die Schwerpunktbildung zu erleichtern, wird die Kooperation von 2 bis 3 Abgeordneten bei der fachlichen Auswahl der Mitarbeiter erwogen; vgl. die Vorträge von E. Vorwerk, S. Skarpelis-Sperk und P. Kevenhörster auf der unter Anm. 29 angeführten Tagung.

  34. Vgl. H. Klatt, Technologiefolgenbewertung im Bereich des Bundestages — Ein Modell der Optimierung der Kontrolle, in: ZParl, (1984) 4, S. 510 ff.

  35. Die Einsetzung der Enquete-Kommission Technikfolgenabschätzung und -bewertung wurde einstimmig beschlossen: PIPr 10/126, 14. 5. 1985 S. 9351; außerdem kam in der 10. Wahlperiode die Enquete-Kommission Gentechnologie zustande (Drs. 10/1581). — Die Zahl der öffentlichen Anhörungen der Ausschüsse ist im 10. Deutschen Bundestag erheblich angestiegen.

  36. Auch angesichts (zahlreicher) öffentlich ausgetragener Koalitionskonflikte besteht für die beteiligten Fraktionen weiterhin intern ein Interesse an „Geschlossenheit". Beispiele in der 10. Wahlperiode für Koalitionskonflikte zwischen den drei Koalitionspartnern: Honecker-Besuch, Buschhaus, Milliardenkredit an die DDR, Äusländerpolitik, abgasarmes Auto, „Zwangsanleihe“, Seerechtskonvention, Demonstrationsstrafrecht.

  37. W. Ismayr, Parlamentarische Debatte und Abgeordnetenfreiheit im 9. Deutschen Bundestag, in: ZParl (1982) 3, S. 298.

  38. Auf diesen Zusammenhang hat auch der Fraktionsvorsitzende der SPD, H. -J. Vogel, in der „Selbstverständnis-Debatte" hingewiesen. (PlPr 10/85, S. 6213 f.)

  39. So auch die Kritik des Vorsitzenden des Haushaltsausschusses am Verhalten der Regierungsmitglieder in der Haushaltsdebatte in einem Schreiben an den Bundestagspräsidenten, 18. 9. 1984.

  40. Im ersten Jahr der 9. Wahlperiode wurden Direktübertragungen des Fernsehens an 19 der 65 Sitzungstage durchgeführt. Bei den Unionsparteien wurden 53 Debattenbeiträge von 34 Abgeordneten und den beiden Ministerpräsidenten Strauß und Stoltenberg geleistet. Dabei nahmen 8 Abgeordnete und die beiden Bundesratsmitglieder zusammen ca. zwei Drittel des Redezeitanteils der Unionsparteien in Anspruch. Von den 34 Abgeordneten gehörten 23 zum engeren Fraktionsvorstand oder waren Arbeitsgruppen-, Arbeitskreis-(CSU) oder Ausschußvorsitzende; der Anteil der übrigen Abgeordneten an der Redezeit betrug knapp 10%.

  41. Vgl. Anm. 7.

  42. Vgl. u. a. Schlußbericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform, (Anm. 19), S. 78; Bonner Kommentar, Rdn. 69, 70, 72; BVerfGE 20, 174 f.; G. Trautmann, Parteienstaatliche Verfassung und freies Mandat, in: B. Guggenberger/H. -J. Veen/A Zunker, Parteienstaat und Abgeordnetenfreiheit, München 1976, S. 127— 148.

  43. PIPr 10/85, S. 6210; zum wechselseitigen Vorwurf, der GRÜNEN und der Vertreter der anderen Bonner Parteien, ein „imperatives Mandat" zu praktizieren, vgl.: Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN „Flick-und Spendenaffäre", in: BT-Drs. 10/2388), PIPr 10/102, S. 742 ff.; zur Einschätzung des „imperativen Mandats“ bei den GRÜNEN vgl. die Beiträge von H. Fogt und B. Zeuner in: Politische Vierteljahresschrift, (1984) 1, S. 97 ff.; vgl. H. Verheyen (Anm. 25).

  44. Berechnung nach Angaben des Pressezentrums des Deutschen Bundestages; vgl. K. G. v. Hase, Parlamente und elektronische Medien, in: Parlamentarische Demokratie. Festschrift für H. Schellknecht, Heidelberg 1984.

  45. Vgl. Anm. 23; Längerfristig wird auch an die Einführung eines „Parlamentskanals" gedacht, wobei gegenwärtig weder Modalitäten geklärt sind, noch antizipiert werden kann, ob dadurch die Parlamentsberichterstattung bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten zurückginge.

  46. F. Schäfer, Der Bundestag, Opladen 19824, S. 290.

  47. Vgl. Anm. 7.

  48. F. Schäfer, Wir haben noch keine Parlaments-krise, In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/85, S. 28.

  49. 1973/74 kamen 10 Berichterstattungen aus Kabinettsitzungen zustande: Presse-und Informationszentrum des Deutschen Bundestages (Hrsg.), Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1982, verf. u. bearb. v. P. Schindler, Baden-Baden 19843, S. 759 f.

  50. Vgl. Anm. 35.

  51. Vgl. u. a. H. Oberreuter, Scheinpublizität oder Transparenz?, in: ZParl, (1975) 1, S. 88; W. Ismayr, Parlamentarische Kommunikation ..., (Anm. 2) S. 72 f.

  52. Vgl. U. Thaysen auf der Tagung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen „Das freie Mandat im Parlament der Fraktionen", 12. Dezember 1984 (Protokoll).

  53. Ebd.; vgl. H.de With, Haben wir eine Krise des Parlaments?, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 6/85, S. 43 f.

  54. „Schlußbericht" (Anm. 19), S. 174; „Probeweise Einführung von Verfahrensänderungen für Plenum und Ausschüsse“ (Arbeitspapier).

  55. Ebd., S. 175; PIPr 8/225/S. 18286.

  56. Unterschiedlich beurteilt wird in diesem Zusammenhang die Bedeutung der ersten Beratung von Gesetzentwürfen: Hatte die Enquete-Kommission Verfassungsreform die Bedeutung der ersten Beratung hervorgehoben, in der in der Regel „eine allgemeine Aussprache als politische Richtlinie für die Sachberatung" erfolgen sollte, so dominiert in der Ad-hoc-Kommission das Interesse an der Einsparung von Debattenzeit. (Vgl. C. O. Lenz/G. Kretschmer in: H. Oberreuter (Hrsg.), Parlamentsreform, Passau 1981, S. 19 lf.).

  57. Vgl. Anm. 7; vgl. H. Verheyen (Anm. 25), S. 35.

  58. Vgl. Anm. 23.

  59. Vgl. u. a. Chr. Graf v. Krockow, Unser Mann in Bonn. Politik als Beruf: Wer erfolgreich sein will, muß sich früh anpassen, in: Die Zeit vom 23. 11. 1984. — Hier zeigen sich auch die Grenzen von Parlamentsreformen. Anzusetzen wäre auch dort, wo Politiker-Karrieren entstehen: Dabei sollte die seit Jahren geforderte Einführung offener Listen für die Abgabe der Zweitstimme bei Bundestagswahlen nicht länger vertagt und eine breitere und intensivere Beteiligung von Parteimitgliedern bei der Kandidatenaufstellung angestrebt werden.

Weitere Inhalte

Wolfgang Ismayr, Dr. phil., geb. 1942; Akad. Oberrat für Politikwissenschaft, Fakultät Sozial-und Wirtschaftswissenschaften der Universität Bamberg. Veröffentlichungen u. a.: Das politische Theater in Westdeutschland, Königstein, 1977 (2. Aufl. 1985); Parlamentarische Kommunikation und Abgeordnetenfreiheit. Praxis im 9. Deutschen Bundestag und Perspektiven einer Parlamentsreform, Frankfurt 1982; Hochhuths politisches Theater, in: Test + Kritik, Heft 58, April 1978; Kulturpolitik und demokratische Kultur, in: Die Mitarbeit. Zeitschrift zur Gesellschafts-und Kulturpolitik, 1979, Heft 2/3; Perspektiven einer kulturellen Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 40/79; Parlamentsreform ohne Chance? in: Materialien zur Politischen Bildung, (1982) 3; Parlamentarische Debatte und Abgeordnetenfreiheit im 9. Deutschen Bundestag, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, (1982) 3.