I. Einleitung
Erstmals seit Anfang der fünfziger Jahre ist es einer neuen Partei gelungen, die Hürde der Fünf-Prozent-Klausel zu überspringen und als „grüne" Oppositionsfraktion in den Bundestag einzuziehen. Viele Vertreter der traditionellen Bonner Parteien sehen darin auch eine Folge eigener Versäumnisse; sie gestehen ein, daß der in Bürgerinitiativen und neuen sozialen Bewegungen sich artikulierende Bewußtseins-und Wertwandel sowie die zugrundeliegenden strukturellen Probleme von den Bonner Parteien nicht ernst genug genommen wurden Zur Auflösung der Fußnote[1]
In der vorausgegangenen 9. Wahlperiode hatte sich eine parlamentarische Entwicklung zugespitzt, deren Fortsetzung zu einer einschneidenden Glaubwürdigkeitskrise der parlamentarischen Demokratie hätte führen können. Grundlegende Kritik und Alternativen der außerparlamentarischen Ökologie-und Friedensbewegung an vertrauten Zielvorstellungen und Handlungsmustern der Politik wurden beispielsweise auf Kirchentagen diskutiert, hatten teilweise auch Eingang in die innerparteiliche Diskussion der Bonner Regierungsparteien gefunden, blieben aber aus den Debatten des Deutschen Bundestages weitgehend ausgegrenzt. Die parlamentarische Opposition zeigte sich von dieser Diskussion wenig berührt, und die kleine Gruppe von SPD-Abgeordneten, die diese friedenspolitischen und ökologischen Alternativen zur Regierungspolitik zur Sprache bringen wollte, fühlte sich von ihrer Fraktionsführung unter Druck gesetzt. Diese Abgeordneten hatten Mühe, als Debattenredner eingeteilt zu werden oder Redezeiten außerhalb des Fraktionskontingents zu erhalten Zur Auflösung der Fußnote[2] „Friedensdebatte überall, nur nicht im Parlament: Das kann nicht gutgehen" Zur Auflösung der Fußnote[3] schrieb Klaus von Dohnanyi. In der Tat hätte die parlamentarische Demokratie in der Bundesrepublik eine so eingeschränkte Wahrnehmung der Kommunikations-und Artikulationsfunktion durch den Deutschen Bundestag auf Dauer nicht unbeschadet überstanden. Eine krisenhafte Schwächung der demokratischen Legitimation staatlicher Entscheidungen wäre wohl die Folge gewesen. Diese Entwicklung ist erfreulicherweise nicht eingetreten. Mit dem Einzug der GRÜNEN in den Bundestag ist eine wichtige Integrationsleistung gelungen, zu der die bisherigen Bundestagsparteien (allein) nicht mehr in der Lage waren: die Vertretung der Anliegen der Ökologie-, Friedens-und Frauenbewegung sowie verschiedener Minderheitengruppen und ihrer überwiegend jüngeren Anhänger Zur Auflösung der Fußnote[4] Die parlamentarische Präsenz und die beachtlichen Wahlerfolge der GRÜNEN bei Landtags-und Kommunalwahlen haben die anderen im Bundestag vertretenen Parteien stärker zur Auseinandersetzung mit neuen Themen und Inhalten herausgefordert, als dies eine nur außerparlamentarische Opposition vermochte, deren Aktivitäten zudem eher Schwankungen unterworfen sind. Die Palette der Themen, Inhalte und politischen Strömungen ist also im 10. Deutschen Bundestag breiter und vielfältiger geworden, wobei natürlich deren Gewichtung wie auch deren Wahrnehmung in den Massenmedien unterschiedlich beurteilt wird. Mit einer so verbesserten Wahrnehmung der Kommunikations-und Repräsentationsfunktion ist nicht nur nach Auffassung „grüner“ Abgeordneter der Bundestag attraktiver geworden. Vermutlich hat die neue parlamentarische Situation die parlamentarische Demokratie insgesamt mehr gestärkt, als dies eine Parlamentsreform bei einer Parteienkonstellation wie in der 9. Wahlperiode hätte bewirken können. Andererseits sind vielen Abgeordneten Strukturprobleme des parlamentarischen Willensbildungs-und Entscheidungsprozesses, die Stellung des Bundestages sowie die Position von Mehrheits-und Minderheitsfraktionen gegenüber Regierung und Verwaltung aufgrund der Erfahrungen der letzten Jahre sowie aufgrund des Rollentauschs von CDU/CSU und SPD stärker bewußt geworden. Dabei geht es vor allem um den Zusammenhang von fraktionsinternen Mitwirkungsund Handlungsspielräumen der einzelnen Abgeordneten und den Mitwirkungsrechten nach der Geschäftsordnung des Bundestags und in der parlamentarischen Praxis. CDU-und CSU-Abgeordnete erfahren den Druck zur Geschlossenheit und zur Zurückstellung eigener Intentionen in einer „Regierungsfraktion", wenn Bundesminister oder gar der Bundeskanzler eindringlich um Zustimmung für einen in Koalitionsgesprächen zwischen Vertretern der Regierung und den Fraktionsspitzen der Koalitionsparteien ausgehandelten Kompromiß bitten — weil man den nun einmal erreichten Kompromiß nicht wieder aufs Spiel setzen und die Regierung nicht öffentlich bloßstellen dürfe.
In der SPD-Fraktion haben sich im Herbst 1983 während der fraktionsinternen Debatte um die Haltung von Partei und Fraktion zur „Nachrüstung" die Mehrheitsverhältnisse gewandelt Zur Auflösung der Fußnote[5] Die Befürworter des NATO-Doppelbeschlusses waren es nun, die in der Fraktion um Respektierung ihrer Gewissensentscheidung und ihres von der Fraktionsmehrheit abweichenden Stimmverhaltens baten.
Das Klima in den Fraktionssitzungen hatte sich unter der integrationsfähigen wie toleranten Fraktionsführung des neuen Vorsitzenden gewandelt. Von einer „neuen politischen Kultur" im Umgang miteinander ist seither etwas zu spüren. Gerade jene Abgeordneten, die als „Abweichler" den Druck von Fraktionsführung und Kanzler zu spüren be-kommen hatten, plädierten nun versöhnlich für tolerantes Verhalten gegenüber der neuen Minderheit Zur Auflösung der Fußnote[6]
Schließlich sind auch die Erfahrungen jener ehemaligen Minister und Parlamentarischen Staatssekretäre erwähnenswert, die, soweit sie nicht in die Fraktionsführung einrücken bzw. sich als Arbeitskreisvorsitzende mit einem Stab von Mitarbeitern umgeben konnten, sich der beschränkten Einflußmöglichkeiten des „einfachen" Abgeordneten besonders bewußt wurden. Zu ihnen gehört auch Frau Hamm-Brücher, mit deren Namen die Anfang 1984 entstandene „Überfraktionelle Initiative Parlamentsreform" verbunden ist. 110 Abgeordnete aus allen Fraktionen hatten „Überlegungen und Vorschläge zur Parlamentsreform" unterzeichnet und dem Bundestagspräsidenten zugeleitet Zur Auflösung der Fußnote[7] Unterstützt wurde die insbesondere an einer Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit des Bundestages interessierte Abgeordneten-Initiative um Frau Hamm-Brücher auch von einer etwa zur gleichen Zeit von den Abgeordneten Sigrid Skarpelis-Sperk und Helmuth Becker angeregten SPD-Arbeitsgruppe, der es vor allem um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der einzelnen Abgeordneten geht und die ebenfalls „Bündnispartner" in anderen Fraktionen (vor allem aus ländlichen Wahlkreisen) fand. Einig in der Kritik an zu ausgeprägten Fraktionshierarchien und mit dem Ziel einer Stärkung der Position des einzelnen Abgeordneten wird zwischen beiden Anliegen ein konditionaler Zusammenhang hergestellt. (Entsprechend hatte auch die Enquete-Kommission Verfassungsreform eine Alternative von Rede-oder Arbeitsparlament abgelehnt.)
Inzwischen kam eine fast sechsstündige Selbstverständnis-Debatte des Bundestages (mit 45 Diskussionsbeiträgen) zustande, die sich entgegen manchen Erwartungen durchaus nicht als bloßer . Aufstand der Hinterbänkler" darstellte
Zur Auflösung der Fußnote[8] Einem einstimmig angenommenen Entschließungsantrag entsprechend, wurde alsbald die vom Bundestagspräsidenten geleitete Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform einberufen, die inzwischen erste Empfehlungen erarbeitet hat. Das Ziel ist eine Stärkung parlamentarischer Kontrollrechte, eine Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten für Abgeordnete und — nicht zuletzt — eine lebendigere und offenere Gestaltung von Plenardebatten
Zur Auflösung der Fußnote[9]
II. Oppositionsverständnis und öffentliche Kontrolle
Der . klassische'Dualismus von Parlament und Regierung wurde in der Realität der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik durch eine andersgeartete und komplexere Funktionstrennung abgelöst, die nun angesichts zweier Oppositionsparteien in ein neues Stadium der Bewährung getreten ist. Entsprechend hatte sich seit der „Kleinen Parlamentsreform" (1969/70) nun auch bei Abgeordneten zunehmend die am stilisierten Vorbild des britischen Parlamentarismus orientierte Vorstellung durchgesetzt, daß im Parlamentarischen Regierungssystem insbesondere der Opposition die Aufgabe zufällt, die Regierung und die mit ihr verbundenen und sie unterstützenden Mehrheitsfraktionen öffentlich zu kontrollieren, sie zu kritisieren und Alternativen zur Politik der regierenden Mehrheit zu formulieren. (Die Mehrheitsfraktionen kontrollieren vor allem intern Zur Auflösung der Fußnote[10] In diesem Sinne wurden die Minderheiten-rechte schrittweise ausgebaut, und auch die neue Geschäftsordnung von 1980 hat Verbesserungen gebracht. Die Stärkung der Opposition vollzog sich dabei im wesentlichen über einen Ausbau von Fraktionsrechten, womit den Bedingungen eines Mehrparteienparlaments Rechnung getragen wird. Diese Tendenz hat sich mit der neuen Geschäftsordnung noch verstärkt: Die Wahrnehmung von Minderheitenrechten ist nun fast ausschließlich Sache der Fraktionen Zur Auflösung der Fußnote[11] Einzelne bedeutende Minderheitenrechte, so die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, einer Enquete-Kommission sowie die Beantragung öffentlicher Anhörungen der Ausschüsse kön-nen nur mit Unterstützung eines Viertels der Mitglieder des Bundestages wahrgenommen werden; kleinere Fraktionen wie die GRÜNEN sind hier auf die Kooperationsbereitschaft der größeren angewiesen Zur Auflösung der Fußnote[12]
Auch bei der Wahrnehmung der Kontrollund Gesetzgebungsfunktion hängt der Erfolg der Opposition entscheidend davon ab, wie die Vermittlung in der Öffentlichkeit gelingt.
In den Bundestagsausschüssen stimmen ja nach einer im allgemeinen kollegial geführten Diskussion bei Themen von einigem politischem Gewicht die Abgeordneten der Regierungsfraktionen fast durchweg so ab, wie dies zuvor in der Fraktion bzw. in den zuständigen Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen (nach Beratung und unter Einfluß von Regierungsvertretern) intern entschieden worden ist; dabei spielen auch die Vorentscheidungen im kleinen Kreis der Koalitionsgespräche eine kaum zu überschätzende Rolle. Von Seiten der Oppositionsfraktionen kann eine von der parlamentarischen Mehrheit unterstützte Regierungspolitik nur dann wesentlich beeinflußt werden, wenn es ihr gelingt, eine entsprechende Resonanz in den Massenmedien und den Fachöffentlichkeiten zu bewirken und einen Druck der öffentlichen Meinung auszulösen (wobei für SPD und GRÜNE die Unterstützung durch Gewerkschaften bzw. Bürgerinitiativen bedeutsam ist); zudem spielt das antizipatorische Einarbeiten oppositioneller Entwürfe eine Rolle. Mit ihrem weitgehenden Anspruch auf Öffentlichkeit aller parlamentarischen Gremien hat die neue Fraktion der GRÜNEN insofern eine wichtige Einstellung für ihre Rolle als Oppositionspartei mitgebracht Zur Auflösung der Fußnote[13] (Die Situation verändert sich allerdings dann, wenn eine im Bundestag in der Opposition stehende Partei im Bundesrat über die Mehrheit verfügt und die Regierungsmehrheit in Bonn sich entsprechend veranlaßt sieht, schon im Vorfeld der Beratungen die bereits öffentlich artikulierten oder zu erwartenden Einwände zu berücksichtigen. Diese „konkordanz-demokratische Barriere" erschwert den „Machtwechsel": So geht es der SPD aufgrund früherer Erfahrungen zunächst um eine Bundesratsmehrheit.)
Der „Rollentausch" von CDU/CSU und SPD und vor allem die Konkurrenz der beiden Oppositionsfraktionen im 10. Deutschen Bundestag haben zu einer erheblich stärkeren Inanspruchnahme der öffentlichkeitswirksamen Kontrollinstrumente geführt So wurde wiederholt die Entlassung von Bundesministern oder die Herbeirufung von Regierungsmitgliedern ins Bundestagsplenum beantragt.
Bereits zur Halbzeit der Wahlperiode sind etwa ebensoviele Große Anfragen eingebracht worden, wie in der 8. und 9. Wahlperiode zusammen (bis Ende 1984: DIE GRÜNEN 40, SPD 19, CDU/CSU und FDP: 11 Zur Auflösung der Fußnote[14] Große Anfragen stellen ein wichtiges Instrument dar, um die Regierung zu detaillierten Stellungnahmen zu bewegen und größere parlamentarische Debatten zu selbstgewählten Themen durchzusetzen — somit öffentliche „Richtungskontrolle''zu üben Zur Auflösung der Fußnote[15]
Erst seit dem Regierungswechsel 1982 hat die vielleicht wichtigste Verbesserung der neuen Geschäftsordnung von 1980 Früchte getragen: Nun haben auch Minderheitengruppen in Frakionsstärke die Möglichkeit, unabhängig von der Fragestunde eine Aktuelle Stunde durchzusetzen (GOBT, Ani. 5, I, S. 27). Im Unterschied zur CDU/CSU-Opposition haben die derzeitigen Oppositionsfraktionen von dieser kommunikationsfreundlichen und aktuellen Möglichkeit zur Herausforderung der Regierung (5-Minuten-Beiträge) gerne und häufig Gebrauch gemacht, in der Anfangsphase vor allem die GRÜNEN. (Von den 40 Aktuellen Stunden bis Ende 1984 hatten die GRÜNEN 17 und die SPD Zur Auflösung der Fußnote[16] und die SPD 16 beantragt). Seit Herbst 1984 zumindest haben sich auch die Regierungsfraktionen auf diese „Konkurrenzsituation" eingestellt, mit dem Ergebnis, daß nun meist drei Aktuelle Stunden in einer Sitzungswoche stattfanden und in jeder Woche ein interfraktionelles Taktieren und Aushandeln begann 16). Zur Auflösung der Fußnote[17]
Die Oppositionsfraktionen haben bis Ende 1984 67 Gesetzentwürfe eingebracht (SPD: 35; GRÜNE: 32). Daß keiner dieser Entwürfe verabschiedet wurde, überrascht nicht. Ihre Ausarbeitung ist für die Oppositionsfraktionen gleichwohl insofern von Bedeutung, als es darum geht, alternative Politikentwürfe öffentlich zur Diskussion zu stellen. Der lange Weg eines Gesetzentwurfs über die parlamentarischen Hürden gibt immer wieder Gelegenheit, erneut die Diskussion in der (Fach) -Öffentlichkeit anzuregen. Auch die GRÜNEN im Bundestag sehen dies offenbar ähnlich: „Unsere .. konstruktive Arbeit im Sinne von . machbar jetzt'— auch wenn sie fern jeder Durchsetzungschance ist (und das geht selbst der SPD so) — hat ihren Sinn darin, daß die betroffenen Verbände, Initiativen, sozialen oder wirtschaftlichen Gruppen sehen, daß es denkbare Ansätze zum Handeln, Anknüpfungspunkte für den . Umbau der Gesellschaft'gäbe, wenn der politische Wille und die entsprechenden Machtverhältnisse da wären." 17)
Die neue Fraktion der GRÜNEN hat im Prozeß der Parlamentarisierung Erfahrungen gemacht, die auch den anderen Fraktionen wohlbekannt sind: Sie beklagen fast einhellig, daß die konzeptionelle Abstimmung der zahlreichen Einzelaktivitäten noch nicht hinreichend gelungen ist. Dies hat wesentlich damit zu tun, daß die GRÜNEN in mehreren Politikfeldern erst jetzt (und nach dem Mißerfolg bei den Landtagswahlen 1985 unter erschwerten Bedingungen) in einen Prozeß der programmatischen Klärung und Konkretisierung mit unbestimmtem Ausgang eingetreten sind und damit einen programmatischen Wettstreit mit der SPD aufnehmen, der, sofern er von beiden Seiten öffentlich geführt wird, von großer Bedeutung für die politische Kultur in der Bundesrepublik sein kann
Zur Auflösung der Fußnote[18] Nicht minder haben die genannten Schwierigkeiten aber mit der (notwendigerweise) arbeitsteiligen, aber gleichwohl durch Parlamentsreformen korrigierbaren Struktur und Arbeitsweise des Bundestages zu tun, an die sich auch die Fraktion der GRÜNEN angepaßt hat. Die Schwierigkeit liegt darin, daß die Fraktion der GRÜNEN ebenso wie die SPD-Fraktion nicht darauf verzichten kann, sowohl auf die zahlreichen Vorlagen der Regierung als auch die der konkurrierenden Fraktionen zu reagieren und in Reden und Abstimmungen Position zu beziehen. Damit werden Kräfte gebunden, die für eine konzeptionelle Arbeit fehlen; die Glaubwürdigkeit der Arbeit wird beeinträchtigt. Bereits die Enquete-Kommission Verfassungsreform
Zur Auflösung der Fußnote[19] hat sich mit diesem Problem befaßt. An ihrem Beitrag zur Verbesserung dieser Situation müssen sich auch die Vorschläge in der gegenwärtigen Reformdiskussion messen lassen.
III. Informationsdefizite und parlamentarisches Selbstverständnis
Wirksame öffentliche Kontrolle setzt voraus, daß auch die Oppositionsparteien Zugang zu allen der Regierung und den bevorzugt informierten Regierungsfraktionen zur Verfügung stehenden Daten besitzen und über hinreichende Mittel verfügen, um sich von unabhängigen oder ihr nahestehenden Institutionen „alternative" Informationen und Gutachten zu verschaffen; ferner, daß sie über entsprechende . Analyse-Kapazitäten" verfügen. Sodann hängt eine stärkere Eigenverantwortung der Abgeordneten und damit auch eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit des Bundestages davon ab, ob eine angemessene personelle und sächliche Ausstattung den einzelnen Abgeordneten in die Lage versetzt, über sein Spezialgebiet hinaus Impulse aufzunehmen und in den fraktionsinternen und öffentlichen Diskussionsprozeß einzubringen. Beide Aspekte spielen in der gegenwärtigen Parlamentsreform-Diskussion eine wichtige Rolle.
Die deutliche Überlegenheit der Ministerial-Verwaltung gegenüber dem Parlament ist auch in der „Selbstverständnis-Debatte" von Abgeordneten verschiedener Fraktionen immer wieder hervorgehoben worden Zur Auflösung der Fußnote[20] (beispielsweise verfügt das Bundeswirtschaftsministerium über 139 Referate). Hinzu kommt die Zuarbeit von nachgeordneten Instituten und Ämtern und die Unterstützung durch eine Vielzahl von Beiräten.
Eine Fülle von Informationen geht in die inzwischen zahlreichen Berichte der Bundesregierung ein, die häufig auch vom Bundestag angefordert werden und Anlaß für Debatten sein können Zur Auflösung der Fußnote[21] Die Auswertung der oft umfangreichen, nicht-immer leicht lesbaren oder auf die Bedürfnisse der Abgeordneten zugeschnittenen Berichte hat auch den Wunsch nach übersichtlicheren Darstellungen in der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform ausgelöst. Seit Jahren wird außerdem auch eine bessere Gestaltung der Bundestagsdrucksachen gefordert.
Da die Ministerien zunehmend die neuen Informations-und Kommunikationsmedien nutzen und ihre Datenbanken ausbauen, sehen sich vor allem Oppositionsführungen, aber auch Abgeordnete aus allen Fraktionen vor die Herausforderung gestellt, eine weitere Informations-und Kompetenzverschiebung zugunsten der Ministerialverwaltungen zu verhindern. Darauf hat die „Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft" schon vor Jahren hingewiesen und ein generelles Zugriffsrecht des Bundestages auf Datenbanken der Exekutive empfohlen, das durch Ergänzung des Grundgesetzes und weitere zusätzliche Regelungen abgesichert werden soll. Sicherzustellen sei auch, daß die Regierung dem Parla-ment spätestens zum Zeitpunkt der Einbringung des Gesetzes alle Daten und Programme einschließlich der durchdachten Alternativen zur Verfügung stellen müssen Zur Auflösung der Fußnote[22] In diesen Zusammenhang gehört auch die in der Adhoc-Kommission Parlamentsreform erörterte wichtige Forderung, die Abgeordneten besser und gegebenenfalls früher über Gutachten zu unterrichten, die die Regierung sich durch Beiräte, nachgeordnete Institute und Ämter oder durch Aufträge an Hochschulen und wissenschaftliche Einrichtungen erarbeiten läßt Zur Auflösung der Fußnote[23]
In der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zugunsten des Antrags der Bundestagsfraktionen der SPD und der GRÜNEN auf vollständige Herausgabe der einstimmig vom Flick-Untersuchungsausschuß angeforderten Akten wird die Bedeutung wirksamer parlamentarischer Kontrolle unterstrichen. Betont wird, daß das Parlament „ohne eine Beteiligung am geheimen Wissen der Regierung weder das Gesetzgebungsrecht noch das Haushaltsrecht noch das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Regierung auszuüben vermöchte" Zur Auflösung der Fußnote[24]
Allerdings dürfte eine Stärkung der Informations-und Kontrollbefugnisse in gebotenem Umfang nur durch entsprechende Verfassungsänderungen erreichbar sein. Dies gilt insbesondere für die im Kontext der Parlamentsreform-Diskussion geforderte Verankerung von Informationspflichten der Bundesregierung gegenüber dem einzelnen Abgeordneten und ein allgemeines Akteneinsichtsrecht für alle Abgeordneten bei Behörden. Eine Ergänzung des Grundgesetzes hatte auch die Enquete-Kommission Verfassungsreform für notwendig gehalten, um den Enquete-Kommissionen ein umfassendes Informationsrecht einzuräumen Zur Auflösung der Fußnote[25]
Beklagt wird, daß die Arbeit des Bundestages bzw.der Ausschüsse allzusehr durch die Regierungsvorlagen bestimmt wird. Von besonderer Bedeutung ist hier die Frage, wie das Parlament insgesamt, vor allem aber die Oppositionsfraktionen, besser in die Lage versetzt werden können, aufgrund eigenständig überprüfter Informationen begründete und durchdachte Alternativen zu entwickeln und welche aktiv-kreative Rolle die einzelnen Abgeordneten dabei spielen können. Aber auch für die Regierungsfraktionen, ja, für die von Verwaltungsvorlagen abhängigen Regierungsmitglieder selbst ist es von Interesse, Alternativen auf der Grundlage von Informationen „durchzuspielen", die nicht aus dem Regierungsbereich stammen. Da schon die Auswahl der Informationen aufgrund politischer Vorentscheidungen und 'verwaltungsinterner Nutzungsinteressen erfolgt, hat sich bereits die Interparlamentarische Gesellschaft für ein gesetzlich geregeltes Zugriffsrecht des Parlaments auf Datenbestände außerhalb des Regierungsbereichs und zudem für ein eigenes Informationssystem des Parlaments ausgesprochen. Dabei wird allerdings unzutreffend vorausgesetzt, daß das Interesse an der Entwicklung alternativer Politik-Konzeptionen und Programme bei Regierungs-und Oppositionsfraktionen etwa gleich gelagert sei. Die Frage nach den Auswahlkriterien stellt sich natürlich auch dann, wenn Informationssysteme bei der Bundestagsverwaltung stärker ausgebaut werden sollen, die sich als „neutrale Einrichtung" versteht. (Anzumerken ist, daß jedenfalls die großen Oppositionsfraktionen sich jeweils auf die Zusammenarbeit mit den von der entsprechenden Partei gestellten Landesregierungen stützen können.)
In diesem Zusammenhang spielen auch Bemühungen eine wichtige Rolle, den Bundes-rechnungshof stärker an das Parlament heranzuführen Zur Auflösung der Fußnote[26] Nach dem Votum des Rechnungsprüfungs-Ausschusses soll zwar auch künftig von einer verbindlichen Auftragserteilung durch das Parlament abgesehen, doch in einem neuen Bundesrechnungshof-Gesetz verankert werden, „daß Ersuchen des Bundestages und des Bundesrates um Gutachten und Prüfungen durch den Bundesrechnungshof vorrangig berücksichtigt werden" Zur Auflösung der Fußnote[27] Nach den Vorstellungen des Bundesfinanzministers sollen Präsident und Vizepräsident des Bundesrechnungshofes zwar künftig vom Bundestag gewählt werden, das Vorschlagsrecht soll aber weiterhin der Bundesregierung zustehen. Im Unterschied zur Empfehlung des Rechnungsprüfungs-Ausschusses, der ebenfalls ein Vorschlagsrecht der Regierung künftig ablehnt, sollen nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion der Präsident und der Vizepräsident des Bundesrechnungshofes künftig allein vom Bundestag (nicht auch vom Bundesrat) gewählt werden, und zwar mit ZweiDrittel-Mehrheit, um eine Beteiligung der Opposition zu sichern Zur Auflösung der Fußnote[28] Dafür spricht in der Tat die spezifische Aufgabe der Opposition bei der Regierungskontrolle.
Die seit der „Kleinen Parlamentsreform" immer wieder gestellte Frage nach der angemessenen Ausstattung des Parlaments wird angesichts der raschen Entwicklung der Informations-und Kommunikationsmedien in allen gesellschaftlichen Bereichen neu gestellt; dabei wird je nach eigenem Rollenverständnis und Status bevorzugt an die Fraktionen und deren Arbeitskreise und -gruppen, die Wissenschaftlichen Dienste und die Bundestags-Ausschüsse (Fachdienste, Ausschuß-Sekretariate),nicht zuletzt auch an die Büros der Abgeordneten gedacht Zur Auflösung der Fußnote[29] Während die Fraktionsführungen vor allem an einem Ausbau der Fraktionsdienste interessiert sind, setzen sich Abgeordnete aus allen Fraktionen für erhebliche Verbesserungen der Arbeitsbedingungen der einzelnen Abgeordneten ein. Es geht darum, die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter durch bessere Ausstattung von zeitaufwendigen Routinearbeiten zu entlasten und Zeit für wichtige politische Aufgaben sowie für die konzeptionelle Arbeit zu gewinnen. Es wird für Abgeordnete immer schwieriger, aus der täglichen (interessen-gesteuerten) Informationsflut die für seine Arbeit relevanten Informationen auszuwählen und zu verarbeiten Zur Auflösung der Fußnote[30]
Die Mitarbeiter der Abgeordneten in Bonn sind überwiegend mit qualifizierter Sachbearbeiter-Tätigkeit ausgelastet; wissenschaftliche Zuarbeit ist nur sehr begrenzt möglich. Ohne erhöhte Analyse-Kapazität würde sich diese Situation für die einzelnen Abgeordneten auch mit dem unmittelbaren Zugang zu Terminals kaum verbessern, da eine sachgemäße Nutzung von Datenbanken bei komplexeren Fragen Spezialkenntnisse erfordert Zur Auflösung der Fußnote[31] Die Fraktionsmitarbeiter (der großen Fraktionen) arbeiten ganz überwiegend den Arbeitskreis-und Arbeitsgruppen-Vorsitzenden und auch den Obleuten zu; allerdings ist die Praxis nicht einheitlich Zur Auflösung der Fußnote[32] Im Hinblick auf die gebotene sachliche Konzentration der Arbeit wäre auch daran zu denken, die Zahl der Fraktionsmitarbeiter zu erhöhen, doch bestehen bei „nichtprivilegierten" Abgeordneten begründete Zweifel, ob ihnen diese Mitarbeiter dann auch zur Verfügung stünden. Die Forderungen der eingangs erwähnten Abgeordneten-Gruppe nach einer erheblichen Aufstockung der Mitarbeiter-Pauschale haben zu ersten Erfolgen geführt: Die Mittel wurden um 1 500 DM auf 7 200 DM erhöht; so haben die Abgeordneten jetzt die Möglichkeit, je einen vollen Mitarbeiter im Wahlkreis und in Bonn zu beschäftigen. Ein Sachbearbeiter im Wahlkreis sowie ein wissenschaftlicher Mitarbeiter und ein Sekretär in Bonn werden zumindest für erforderlich gehalten Zur Auflösung der Fußnote[33] Die bessere finanzielle Ausstattung der Abgeordneten könnte es ihnen erlauben, über ihre Spezialistenrolle im Ausschuß hinaus auch Impulse von Gruppen, Bürgern und Initiativen zu „verarbeiten".
Für eine „alternative" und längerfristig angelegte konzeptionelle Arbeit der Fraktionen — etwa in Fragen der Technologiefolgenabschätzung und -bewertung Zur Auflösung der Fußnote[34] — ist einmal an die Bedeutung der Enquete-Kommissionen zu denken, gegebenenfalls aber auch an eine unabhängige, aber primär im Auftrag des Parlaments arbeitende Einrichtung, sodann an die Bedeutung der zahlreichen (öffentlichen) Anhörungen der Ausschüsse und der Fraktionen Zur Auflösung der Fußnote[35] Auszubauen wären die Kapazitäten der Ausschüsse und Fraktionen, aber zusätzlich auch der einzelnen Abgeordneten, um Gutachten und Informationen von unabhängigen Einrichtungen einzuholen, und sie so von der spezifischen, interessengeleiteten Informationszufuhr der Bürokratie und der Verbände unabhängiger zu machen.
Die Verbesserung der Kontrollfähigkeit wie auch das Gelingen weitergehender Parlamentsreformen insgesamt sind jedoch nur dann zu erwarten, wenn auch bei den Fraktionsführungen der Regierungsparteien das gemeinsame Interesse an einer glaubwürdigen parlamentarischen Demokratie stärker gewichtet wird als der augenblickliche Vorteil privilegierter Machtteilhabe.
IV. Beteiligungschancen einzelner Abgeordneter und parlamentarische Kommunikationsfähigkeit
Auch die Mehrheitsfraktionen kontrollieren die Regierung; aber im Interesse der „Geschlossenheit" nach außen soll dies möglichst nicht-öffentlich geschehen. Kritik geübt wird etwa in Arbeitsgruppensitzungen oder im kleinen Kreis von Koalitionsgesprächen. Mit Rücksicht auf den großen Teilnehmerkreis wird auf Fraktionssitzungen i. d. R. zurückhaltender argumentiert, da kritische Stimmen von hier aus leichter an die Öffentlichkeit dringen. Die Kontrollchancen der Abgeordneten sind je nach der Position im Gefüge der Fraktionshierarchie sehr unterschiedlich gerade in den „Regierungsfraktionen". Unmut wird immer wieder darüber zum Ausdruck gebracht, daß die Fraktionsführung die Abgeordneten zur Geschlossenheit und zum Verzicht auf die öffentliche Austragung von Kontroversen mahnt, während sich Spitzenpolitiker der Koalition mit kontroversen Stellungnahmen öffentlich profilieren Zur Auflösung der Fußnote[36] So mahnt der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion seine Fraktion stets aufs neue, nicht nur im Plenum, sondern bereits in der Fraktionssitzung geschlossen zu votieren, da die Abstimmungsergebnisse ja in der Öffentlichkeit ohnehin bekannt würden, und aus diesem Grund auch brisante Themen, die gegebenenfalls in den Arbeitsgruppen kontroverse Diskussionen ausgelöst haben, in einer entscheidungsreifen Phase am besten gar nicht mehr zu diskutieren. Da aber nur die Fraktionssitzungen allen Abgeordneten die Gelegenheit bieten können, sich über ihre Spezialaufgaben hinaus über Richtung und Kontext der Regie-rungs-und Fraktionspolitik zu informieren und auf diese einzuwirken, entstehen durch diesen Druck zur Geschlossenheit erhebliche Kommunikations-und Beteiligungsdefizite.
Die überfraktionelle Abgeordneten-Initiative hat eine wesentliche Ursache für den mangelnden Erfolg bisheriger Reformansätze herausgestellt: Vermieden wurden auch in der Geschäftsordnungsreform von 1980 all jene Reformvorschläge, von denen eine Beeinträchtigung der „Geschlossenheit" der Fraktionen sowie mehr Transparenz der innerfraktionellen Arbeit und der Ausschußarbeit erwartet wurde. In der Tat hat sich gezeigt, „daß die zur verbesserten Wahrnehmung der Kommunikationsfunktion des Bundestages wohl wirksamsten Regelungen gerade jene wären, die geeignet sein könnten, den engen Spielraum der „nicht-privilegierten" Abgeordneten gegenüber der Fraktionsregie zu erweitern" Zur Auflösung der Fußnote[37] Die Bereitschaft hierzu ist im 10. Bundestag offenbar gewachsen Zur Auflösung der Fußnote[38]
Von der Vereinbarung kürzerer Redezeiten im Zusammenhang mit dieser Geschäftsreform hatte man auch eine „Belebung" der Debatten erhofft. Warum haben sich die Erwartungen nicht erfüllt? In Kurzdebatten ist der Sprecher der Fraktion gehalten, den Fraktionsstandpunkt in konzentrierter Form darzustellen. In größeren Debatten sollten die Fraktionen ihre Redezeit so aufteilen, daß nur einem Redner bis zu 45 Minuten zur Verfügung stehen und alle anderen nicht länger als 15 Minuten sprechen können. Beeinträchtigt wurde ein möglicher Erfolg dieser Regelung dadurch, daß bei wichtigen Debatten Regierungs-und Bundesratsmitglieder von ihrem jederzeitigen Rederecht (Art. 43 Abs. 2) übermäßig Gebrauch machten. So kamen die meisten Abgeordneten erst nach dem Ende der Direktübertragung bzw. nach Redaktionsschluß der Zeitungen oder gar nicht mehr zu Wort Zur Auflösung der Fußnote[39] Nach einer eigenen Untersuchung der Direktübertragungen des Fernsehens im ersten Jahr der 9. Wahlperiode betrug der Redezeitanteil der „einfachen" Abgeordneten bei der CDU/CSU-Fraktion nur knapp 10 % Zur Auflösung der Fußnote[40] Entsprechend den Vorschlägen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform soll die Standard-Redezeit fürden einzelnen Beitrag künftig 10 Minuten betragen. Zur Auflösung der Fußnote[41] Abs. 2) übermäßig Gebrauch machten. So kamen die meisten Abgeordneten erst nach dem Ende der Direktübertragung bzw. nach Redaktionsschluß der Zeitungen oder gar nicht mehr zu Wort 39). Nach einer eigenen Untersuchung der Direktübertragungen des Fernsehens im ersten Jahr der 9. Wahlperiode betrug der Redezeitanteil der „einfachen" Abgeordneten bei der CDU/CSU-Fraktion nur knapp 10 % 40). Entsprechend den Vorschlägen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform soll die Standard-Redezeit fürden einzelnen Beitrag künftig 10 Minuten betragen. Nun endlich sollen Zwischenfragen nicht mehr auf die Redezeit angerechnet werden.
Mehr Spontaneität und eine Bereicherung des argumentativen Spektrums könnte vor allem durch die Realisierung jener Vorschläge der Abgeordneten-Initiative erreicht werden, die mit der Verbesserung der Redechancen auch den Partizipationsspielraum der einzelnen Abgeordneten (gegenüber dem Fraktionsreglement) erweitern wollen. Es wurde vorgeschlagen, mindestens 30% der Redezeit bei größeren Debatten für offene, von der Fraktion nicht verplante Debattenbeiträge freizuhalten; dabei soll es möglich sein, mit Kurzbeiträgen vor anderen Rednern zu Wort zu kommen 41).
Die Verbesserung der kommunikativen Kompetenz des Bundestages setzt voraus, daß auch Minderheitenmeinungen in der fraktionsinternen Diskussion, aber auch im Plenum und gegebenenfalls in öffentlichen Ausschüssen nicht nur ausnahmsweise und unter stark erschwerten formalen und psychologischen Bedingungen artikuliert werden können 42). Darum geht es offenbar auch der Abgeordneten-Initiative bei ihren Vorschlägen, wobei die fraktionsinterne Struktur nur indirekt angesprochen ist 43). Im Interesse der Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems ist es in der Tat geboten, für die Freiheit der Rede und der Abstimmung in der parlamentarischen Praxis unterschiedliche Maßstäbe anzulegen. Gewiß sollten im Gegensatz zur bisherigen Praxis auch gelegentliche Abstimmungsniederlagen — etwa wenn es um auch unter Experten umstrittene Folgewirkungen von Zukunftstechnologien geht — nicht schon als Gefährdung der Regierungsfähigkeit angesehen werden. Grundsätzlich ist freilich ein legitimes Interesse der Regierung und der sie stützenden Fraktionen anzuerkennen, sich auf Entscheidungen verlassen zu können, für die in den Regierungsfraktionen Mehrheiten zustande gekommen sind. Erleichtert werden soll aber die Möglichkeit, auch abweichende Gründe und Positionen vorzutragen. Dies ist im Interesse einer demokratischen Legitimation vor allem dann bedeutsam, wenn bestimmte Positionen von keiner anderen Fraktion, sehr wohl aber außerhalb des Parlaments in relevantem Umfang artikuliert werden.
Die Forderung der Abgeordneten-Initiative, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG in der parlamentarischen Praxis stärker zur Geltung zu bringen, ist Mißverständnissen ausgesetzt: Es kann hier nicht in erster Linie um die Einlösung individueller Selbstverwirklichungs-Ansprüche gehen, sondern um die Verbesserung demokratischer Rückkoppelung. Will man den Satz, daß „alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht" auch unter Bedingungen des parteien-staatlichen und durch Verbandseinfluß geprägten Parlamentarismus ernst nehmen, und sieht man gerade in der Volksrepräsentation ein unverzichtbares Verfahren zur annäherungsweisen Einlösung dieses demokratischen Partizipationsanspruchs, so ergibt sich für die Einschätzung des „freien Mandats" im Kontext mit Art. 21 Abs. 1 GG und der grundgesetzlich garantierten Kommunikationsfreiheit folgendes
Zur Auflösung der Fußnote[42] Sein Sinn in der parlamentarischen Demokratie ist es nicht, die Verbindung der Abgeordneten zur Basis zu reduzieren, sondern oligarchischen Tendenzen in Partei und Fraktion entgegenzuwirken und die Aufnahme neuer Themen und Ideen in die parlamentarische und fraktionsinterne Diskussion zu erleichtern. Begünstigt werden soll die Offenheit des Willensbildungsprozesses. Diese verfassungsrechtliche Schutzfunktion des Art. 38 Abs. 1 GG für die innerparteiliche Demokratie wird offenbar auch in der Bundestagsfraktion der GRÜNEN zunehmend erkannt. Jedenfalls haben die GRÜNEN im Bundestag die Vorschläge der Initiative Parlamentsreform (und den entsprechenden Entschließungsantrag) als Beitrag zur „Demokratisierung des Parlamentarismus" unterstützt
Zur Auflösung der Fußnote[43]
V. Parlamentarische Kompetenz und demokratische Legitimation
Ein Verzicht auf Fernsehübertragungen von Plenarsitzungen nach dem Beispiel Großbritanniens wurde (ungeachtet manch ungünstiger Auswirkungen auf das Debattenklima) in der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform nicht in Betracht gezogen. Schließlich ist der Bundestag bei der Wahrnehmung seiner de-mokratisch legitimierenden Kommunikations-und Kontrollfunktion auf die Vermittlungsleistung der Massenmedien angewiesen. Eine Einschränkung der Fernsehübertragungen, wie dies der gegenwärtigen Tendenz der Fernsehanstalten entspricht, ist schon deshalb nicht begrüßenswert, weil sie der Hierarchisierung der Partizipationsstruktur des Bundestages förderlich ist (1983 wurden noch ca. 30% der gesamten Debattenzeit übertragen, 1984 waren es nur mehr knapp 20%; das Pressezentrum des Bundestages beklagt diese Entwicklung) Zur Auflösung der Fußnote[44] Nur wenig informativ sind oft die knappen, zusammenfassenden Fernsehnachrichten über Plenardebatten am Abend; angesichts der von der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform kritisierten gerin-gen Originalberichterstattung aus Plenarverhandlungen in der Regionalpresse können Informationsdefizite und Informationsverzerrungen die Folge sein. Als Lösung wäre an regelmäßige Sondersendungen mit zusammenfassenden Berichten zu denken Zur Auflösung der Fußnote[45] Um die Parlamentsberichterstattung in den gedruckten Medien zu verbessern, wurden in der Ad-hoc-Kommission verschiedene Vorschläge erörtert; sie betreffen die Weiterentwicklung der Pressedienste, das Angebot von Matern-Seiten zur Übernahme der Texte durch Zeitungen sowie den subventionierten Vertrieb von attraktiver gestalteten Sitzungsberichten. Die öffentlichkeitswirksame Wahrnehmung seiner Aufgabe, politische Entwicklungen zu begleiten, zu bewerten und zu kritisieren Zur Auflösung der Fußnote[46] wird dem Bundestag nicht nur durch die überwiegend gouvernementale Orientierung der Massenmedien erschwert. Seit Jahren wird nicht nur von der jeweiligen Opposition, sondern von Abgeordneten aller Fraktionen kritisiert, daß die Bundesregierungen über Kabinettsitzungen nicht zunächst im Bundestag selbst berichten, sondern in der Bundes-pressekonferenz oder mit Einzelinterviews von Kabinettsmitgliedern den Weg in die Öffentlichkeit sucht.
Die Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform hat die Anregung der Abgeordneten-Initiative aufgegriffen und die probeweise Einführung einer Kabinettsberichtserstattung vorgeschlagen, die (nach Vereinbarung auf Vorschlag der Bundesregierung oder des Bundestages) bei wichtigen und aktuellen Sachkomplexen im Anschluß an Kabinettsitzungen in Sitzungswochen erfolgen soll. Nach einem Bericht der Regierung schließen sich Fragen der Abgeordneten und Antworten des Berichterstatters der Regierung von jeweils höchstens zehn Minuten Länge an. Nach Ablauf von 40 Minuten sollen die Fraktionen die Möglichkeit (!) haben, eine Stellungnahme von jeweils fünf Minuten abzugeben. Darauf legt die SPD-Opposition größten Wert, während die Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dies, offenbar im Interesse einer dominanten Selbstdar-
Stellung der Regierung, bisher ablehnten und damit die Erprobung verzögerten. Weiterführend ist der Vorschlag, die Regierung auch aufgrund des Antrags einer Fraktion zur Berichterstattung zu veranlassen Zur Auflösung der Fußnote[47] Bei neuen Informations-und Beschlußlagen sind die Oppositionsfraktionen nicht nur, gegenüber der Regierung, sondern häufig auch gegenüber den in Arbeitsgruppen bzw. Fraktionssitzungen informierten Regierungsfraktionen benachteiligt. Friedrich Schäfer hat daher konsequent gefordert, daß „alle Fraktionen vor einer Kabinettsitzung über die Tagesordnung der Kabinettsitzung und über die einzelnen Vorlagen mit den erforderlichen Unterlagen rechtzeitig unterrichtet werden" Zur Auflösung der Fußnote[48] Frühere Versuche seien gescheitert, weil die Bundesregierung dazu nicht bereit gewesen war Zur Auflösung der Fußnote[49]
Die Chance des Bundestages, als zentrale demokratisch legitimierte Entscheidungsinstanz ernst genommen zu werden, hängt wesentlich davon ab, ob er aktuelle und die längerfristige politische Entwicklung bestimmende Themen (Zukunftstechnologien) rechtzeitig und kompetent zu behandeln und zu diskutieren in der Lage ist. Hier liegt die Bedeutung der Aktuellen Stunden, der Enquete-Kommissionen Zur Auflösung der Fußnote[50] aber eben auch einer günstig terminierten Kabinettsberichtserstattung im Bundestag und einer (erweiterten) öffentlichen Ausschußberatung, wie sie seit vielen Jahren vorgeschlagen und nun endlich auch nach den Vorstellungen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform erprobt werden spll.
Als Signal einer sich wandelnden parlamentarisch-politischen Kultur könnte die zunehmende Bereitschaft zur regulären oder jedenfalls häufigeren Öffentlichkeit der Ausschüsse gewertet werden Zur Auflösung der Fußnote[51] Von der in der Geschäftsordnung vorgesehenen Möglichkeit öffentlicher Ausschußsitzungen war fast nie Gebrauch gemacht worden. Angesichts der Bedeutung, die der steten Kommunikation zwischen Parlamentariern und Bürgern für die demokratische Legitimation des politischen Systems zukommt, ist eine Nicht-Öffentlichkeit der politisch bedeutsamen Ausschüsse in der Tat problematisch. Ein Abschirmen von Einflüssen der Verbände (Fachöffentlichkeiten) gelingt ohnehin nicht Zur Auflösung der Fußnote[52] überdies gelangen laufend Informationen an die Öffentlichkeit, die dem Bürger eine Einordnung und Bewertung der oft parteitaktisch eingefärbten Berichte erschweren. Die Erfahrungen mit öffentlichen Anhörungsverfahren sprechen dafür, erklärte jüngst der Abgeordnete de With, daß sich Abgeordnete in öffentlichen Ausschußsitzungen nicht anders verhielten als sonst in ihrem Ausschuß. „Kreativität, Witz aber auch Kollegialität" würden vor der Öffentlichkeit sichtbar; das Verständnis für parlamentarische Arbeitsvorgänge würde zunehmen Zur Auflösung der Fußnote[53] Seltener geworden ist jetzt das Standard-Argument, Öffentlichkeit würde die Kompromißfindung erschweren: Bekanntlich fallen die wichtigeren Entscheidungen zuvor in den Fraktionen, und auch nach einem facettenreichen Diskussionsverlauf wird — von marginalen oder parteipolitisch kaum festgelegten Fragen abgesehen — schließlich vor allem von der Regierungsmehrheit das in der Fraktion abgesprochene Votum in aller Regel durchgehalten. Von einer für die älteren Parteien provokativen Konsequenz ist daher die Forderung der GRÜNEN, Öffentlichkeit auch dort herzustellen, wo die Entscheidungen fallen: So sollten jedenfalls auch bei den anderen Fraktionen Fraktionssitzungen öffentlich sein. Ohne deutliche Verhaltensveränderungen der Abgeordneten könnte das allerdings (vor allem bei den Regierungsparteien) zu einer weiteren Verlagerung entscheidender Vorgänge in nichtöffentliche Gremien und Zirkeln führen.
Nach ersten Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform sollen die Ausschüsse (von den geschlossenen Ausschüssen abgesehen) von der Möglichkeit der Geschäftsordnung in § 69 Abs. 1 Satz 2 häufiger Gebrauch machen und die Öffentlichkeit zulassen — auch in gemeinsamen Sitzungen mehrerer Ausschüsse. Die Kommission schließt mit ihren Empfehlungen an den Bericht der Enquete-Kommission Verfassungsreform zur Neugestaltung der Gesetzesberatung an, der eine erweiterte öffentliche Ausschußberatung empfiehlt Zur Auflösung der Fußnote[54] Widerstände gegen eine Ausweitung der Publizität waren wohl auch der Grund, warum der Bundestag diesen Vorschlägen der Enquete-Kommission nicht näher getreten ist, deren Realisierung geeignet ist, Kommunikationsfähigkeit, Transparenz und Effizienz sowie die Beteiligungschancen der Abgeordneten gleichermaßen zu verbessern.
Die Kommission hatte mit Recht eine Alternative von-Rede-oder Arbeitsparlament abgelehnt. Sie suchte nach Lösungen, wie angesichts der oft detaillierten und hochspezialisierten Gesetzgebungsarbeit der Bundestag dennoch in die Lage versetzt werden könnte, sich vertieft mit grundsätzlichen und politisch bedeutsamen Fragen zu befassen. Die Enquete-Kommission wie nun auch die Ad-hoc-Kommission Parlamentsreform gehen von der Erfahrung aus, daß in häufig mit thematisch sehr unterschiedlichen Tagesordnungspunkten überladenen Debatten der oft beklagte „Schichtwechsel der Spezialisten“ stattfindet Zur Auflösung der Fußnote[55] Um das Plenum von allzu spezialisierten „Fachreferaten" der Ausschußexperten zu entlasten, soll nach Auffassung der Enquete-Kommission zwischen der ersten und einer in der Regel abschließenden zweiten Beratung eine gemeinsame öffentliche Sitzung des federführenden und der mitberatenden Ausschüsse durchgeführt werden. Diese Vorschläge sind mit der Hoffnung verbunden, daß diese Ausschußberatung ein (fach-) öffentliches Forum für knappe, freie und lebhafte politische Debatten sein könnte. Dabei sollen sowohl jene sachlichen Details erörtert werden, mit denen man die Diskussion im Plenum nicht länger belasten will, aber auch in kurzen argumentativem Austausch Akzente gesetzt werden.
Nach den Vorschlägen der Ad-hoc-Kommission (die sich nicht nur auf die Gesetzesberatung beziehen) kommen öffentliche Sitzungen vor allem für die Schlußberatung von Vorlagen in Betracht. Bei geeigneten Themen soll, den Konsens der Fraktionen vorausgesetzt, im Plenum in zweiter und dritter Beratung ohne Aussprache abgestimmt werden kön-nen. Die Bedeutung des von der Enquete-Kommission wie auch in abgewandelter Form von der Ad-hoc-Kommission vorgeschlagenen Verfahrens würde insbesondere darin liegen, jene in ein oder zwei Debattenrunden vorgetragenen speziellen Darlegungen von Fraktionsspezialisten aus dem Plenum herauszuverlagern und dabei der interessierten (Fach) -Offentlichkeit eine intensivere Befassung mit dem Thema zu ermöglichen, als dies die komprimierten Kurzdebatten im Plenum zulassen. Vor allem kommt es darauf an, Raum für vertiefte Debatten zu wichtigen Themen (z. B. durch verbundene Debatten anläßlich mehrerer thematisch verwandter Vorlagen) und zu politischen Richtungsentscheidungen zu schaffen und damit auch die Kommunikationsfähigkeit zu verbessern. (Nicht zu unterschätzen ist dabei die Bedeutung gemeinsamer öffentlicher Sitzungen der beteiligten Ausschüsse, weil so die Beachtung von Problemzusammenhängen besser gesichert werden kann; in Fraktionssitzungen fehlt hierfür oft die Zeit; überdies hat die CDU/CSU-Fraktion auf die mehrere Arbeitsgruppen übergreifenden Arbeitskreise verzichtet Zur Auflösung der Fußnote[56]
Beachtung verdient der Vorschlag der „Initiative Parlamentsreform", bei öffentlichen An-58) hörungen der Ausschüsse nicht nur wissenschaftliche Sachverständige und Verbandsexperten zu hören, sondern auch solche Bürger und Gruppen zu beteiligen, die einschlägige Erfahrungen gesammelt bzw. spezielle Sachkenntnisse erworben haben Zur Auflösung der Fußnote[57] In diesen Zusammenhang gehört auch die Empfehlung an den Petitionsausschuß, Gruppen oder Abordnungen von Petenten zur Erörterung ihrer Bitten und Beschwerden persönlich gegebenenfalls auch im Rahmen einer Anhörung Zur Auflösung der Fußnote[58] zu empfangen, ferner die Zulassung von Massenpetitionen und deren Behandlung in Plenardebatten.
Für den Erfolg der vorstehend skizzierten Reform entscheidend ist jedoch nicht die Plausibilität der einzelnen Vorschläge allein, sondern die durchdachte Kombination und Abstimmung verschiedener Verfahrensänderungen und damit einhergehend entsprechende Verhaltensänderungen von Abgeordneten. Die (oft auch überzogene) öffentliche Kritik am Typus des abgeschliffenen, angepaßten, die politische Dauer-Karriere anstrebenden Politikers könnte hier stimulierend wirken Zur Auflösung der Fußnote[59]