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Flucht und Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat im Osten und Südosten 1944-1947 | APuZ 23/1985 | bpb.de

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APuZ 23/1985 Artikel 1 Der Zusammenbruch des deutschen Ostens Flucht und Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat im Osten und Südosten 1944-1947 Flüchtlingspolitik und Flüchtlingsintegration in Westdeutschland

Flucht und Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat im Osten und Südosten 1944-1947

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Zusammenfassung

Auch vierzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Darstellung von Flucht und Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat keineswegs nur eine historisch-wissenschaftliche Aufgabe, sondern auch mit politischen und moralischen Kategorien zu behandeln. Daran ändert auch die besondere historische Quellenbasis nichts, die im wesentlichen aus umfangreichen Sammlungen von Erlebnisberichten und anderen Aufzeichnungen der Betroffenen besteht. Die Verpflichtung zur objektiven Darstellung von Flucht und Vertreibung kann keinesfalls mit apologetischen Tendenzen hinsichtlich der NS-Verbrechen in Zusammenhang gebracht werden. Auschwitz und Nemmersdorf haben dieselbe historische Wurzel. Die Potsdamer Konferenz vom Sommer 1945 bestätigte und ermöglichte die in früheren Kriegskonferenzen als Randproblem im Zusammenhang mit der politischen Nachkriegs-ordnung bereits im Grundsatz beschlossene Vertreibung der Deutschen aus ihrer Heimat und mißbrauchte zudem den Tatbestand der Flucht von Millionen als pseudomoralische Rechtfertigung für den „Bevölkerungstransfer". Die Ereignisse im östlichen Teil Ostpreußens im Herbst 1944 machten erstmalig jenen grausigen Charakter des Flucht-und Vertreibungsgeschehens bekannt, der die Gesamtheit von Tausenden von Erlebnisberichten und Zeugenaussagen in erschreckender Übereinstimmung prägte. Sie wiederholten sich nach der sowjetischen Großoffensive vom Januar 1945 in vielfältiger Weise. Die Not der Flüchtlinge, die Mißhandlungen der auf dem Treck überrollten oder der in der Heimat Verbliebenen, die leidvollen Schicksale der schließlich endgültig aus ihrer Heimat im Osten und Südosten Vertriebenen — sie stellen bitteres Unrecht dar und führten zum Abbruch jahrhundertealter politischer und kultureller Traditionen. Im Zusammenhang mit den vorausgegangenen Verbrechen des NS-Regimes ist dieser Vorgang als eine ständige historische wie moralische Mahnung zu begreifen, um eine Zukunft ohne Terror, Verbrechen und gewaltsame Vertreibung zu sichern.

I. Historiographische Bedingtheiten

Abbildung 1

Auch vierzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist die Darstellung eines seiner folgenreichsten Ergebnisse, nämlich die Flucht und Vertreibung von mehr als 14 Millionen Deutschen aus dem Osten, keineswegs nur eine historisch-wissenschaftliche Aufgabe. Zweifellos — dies zeigt allein die Heftigkeit der öffentlichen Diskussion um die Losung des diesjährigen Treffens der Schlesier — berührt jede publizistische wie wissenschaftliche Beschäftigung mit den Geschehnissen im Osten vor rund vier Jahrzehnten auch politische und moralische Kategorien. Sie führen nicht selten zu einer wissenschaftlichen Enthaltsamkeit gerade bei einem Thema, das im Interesse der historischen Wahrheitsfindung eine umfassende Behandlung fern aller vordergründigen, oft tagespolitisch motivierten oder verhängnisvoll als „volkspädagogisch" deklarierten Beweggründe nicht nur verdient hätte, sondern eben wegen der politischen Brisanz geradezu gebietet.

Gewiß, bereits in den fünfziger Jahren — kaum ein Jahrzehnt nach den Ereignissen — setzte für deren historisch-wissenschaftliche Darstellung die vielbändige, vom Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte herausgegebene „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa" in jeder Hinsicht auch heute noch richtungweisende Maßstäbe Auch aus diesem Grunde erscheint die zögernde Haltung erklärbar, mit der in der Folgezeit — im Grunde bis zum Erscheinen der in erster Linie für ausländische Leser gedachten Arbeit des amerikanischen Völkerrechtlers A. M.de Zayas im Jahre 1977 — Historiker an die notwendige Aufarbeitung von Teilgebieten des Gesamtkomplexes herangingen und so einer mehr publizistischen, aber auch tagespolitischen Zwecken dienenden Auswertung der verfügbaren Quellen das Feld überließen, die vorwiegend auf die dokumentarische Darstellung individueller Vertriebenenschicksale in einzelnen Vertreibungsgebieten abhob.

Gewiß mag auch die außergewöhnliche Quellenlage zu diesem Ergebnis beigetragen haben: Vertreibungsereignisse gehören zu den historischen Vorgängen, die in amtlichen Unterlagen — in der Regel die Quellenbasis, von welcher der Historiker ausgeht — aus der Natur der Sache heraus nur höchst unzulänglich dokumentiert sind oder deren Erforschung an Hand amtlicher Quellen aus politischen Gründen erschwert wird. Dazu gehören im besonderen Maße auch Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten. Aus dieser Erkenntnis heraus hat der Bundesminister für Vertriebene seit 1950 bereits vorhandene, insbesondere aus der Tätigkeit einiger Arbeitskreise von Vertriebenenorganisationen entstandene Sammlungen von Erlebnis-berichten und anderen Aufzeichnungen privater Herkunft systematisch erfaßt und durch methodisch moderne Befragungsmethoden so entscheidend ergänzt, daß für das Publikationsprojekt der „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen" eine breite Ausgangsbasis von Ersatzquellen geschaffen werden konnte. Diese Materialien wurden nach Übernahme in das Bundesarchiv in der „Ost-Dokumentation" zusammengefaßt und durch zusätzlich erworbene oder im Bundesarchiv erarbeitete Sammlungen, durch wissenschaftliche Erhebungen und nicht zuletzt durch nachgelassene Papiere beträchtlich erweitert

Diese seinerzeit noch neuartige Überlieferungsgattung setzte allerdings im Sinne der geforderten Wahrheitsfindung die Anlegung spezifischer Maßstäbe der Quellenkritik voraus, die damals erst entwickelt werden mußten Statistische und andere quantifizierende Aussagen — nicht einmal letzte Sicherheit hinsichtlich einer in allen Einzelheiten korrekten Wiedergabe von Tatsachen im Sinne eines juristischen Beweises — sind bei diesen Quellen im Grunde nicht zu erreichen. Auch ist die Verführung zur bloßen Summierung von Einzelschicksalen besonders groß; ferner erscheint hier die Aufgabe des Historikers, durch Abstrahierung zu allgemein gültigen Aussagen zu gelangen, besonders schwierig. Die Summierung der in den Erlebnisberichten niedergelegten Einzelschicksale verdeutlicht indessen bei aller Subjektivität der Darstellung und der offenkundigen Begrenztheit des menschlichen Wahrnehmungs-, Erinnerungs-und Darstellungsvermögens in besonderer, unmittelbarer Eindringlichkeit Flucht und Vertreibung der Deutschen als einen historischen Gesamtvorgang, der künftigen Generationen verständlich zu machen ist, um Wiederholungen zu verhindern.

Vor allem aber waren es Motive politischer Natur, die Historiker und Verleger vor der Aufarbeitung des Themenkomplexes zurückschrecken ließen. Wann immer das Thema Flucht und Vertreibung der Deutschen und dessen besondere Quellenlage zur Sprache kam, konnte man sich heftiger Proteste vor allem aus osteuropäischen Ländern, aber auch aus dem westlichen Ausland und dem Inland sicher sein Deren Grundtenor war und ist es, zunächst das Thema als politisch unerwünscht im Hinblick auf aktuelle Bedürfnisse zu bezeichnen. Man versuchte weiter, die angeblichen Intentionen der Autoren und ihrer Arbeiten zu diskreditieren, indem man ihnen von vornherein eine bewußte Verschleierung der beispiellosen Verbrechen des NS-Regimes, vor allem in den besetzten Gebieten, unterstellte. Schließlich bestritt man nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ den historischen Vorgang von Flucht und Vertreibung und tat die einschlägigen Dokumente — insbesondere die über 40 000 Erlebnisberichte der Ost-Dokumentation des Bundesarchivs — schlicht als Fälschungen oder Relikte aus der Mottenkiste des Kalten Krieges ab Gewiß, welcher verantwortungsbewußte Staatsbürger — sei er Lehrer, Historiker, Politiker oder lediglich an der historischen Wahrheit Interessierter — möchte schon in den Verdacht geraten, er wolle über das vielfältige Leid der ihrer angestammten Heimat beraubten Deutschen aus dem Osten die in deutschem Namen begangenen Morde und Verbrechen, insbesondere das unsägliche Grauen der nationalsozialistischen Vernichtungslager, relativieren oder gar vergessen machen, um so vielleicht zu einer moralischen Neubewertung der Terrorherrschaft des NS-Regimes in Deutschland oder Europa zu kommen? Aber eben weil die unvorstellbaren Tragödien etwa in Nemmersdorf, Metgethen und Königsberg, in Lamsdorf, Brünn oder Aussig in einem ursächlichen Zusammenhang stehen mit den Morden der Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD hinter der deutschen Ostfront, mit den Massenvernichtungslagern etwa in Treblinka, Chelmno, Auschwitz und Majdanek eben weil die mehrfach geschändete und anschließend grausam ermordete Ostpreußin ebenso ein Teil derselben geschichtlichen Wahrheit ist wie die kaltblütig liquidierte weißrussische Bäuerin oder die in der Gaskammer vernichtete Jüdin, eben weil es gilt, eine Wiederholung eines solchen millionenfachen Mordes und Terrors politisch und moralisch unmöglich zu machen, ist die Erforschung und zu vermittelnde Erfahrung der gesamten Wirklichkeit unserer jüngeren Vergangenheit eine unbestreitbare historische wie politische Notwendigkeit. Auschwitz und Nemmersdorf aus den Quellen zu beschreiben und —-gleichsam als Summe der verschiedenen Darstellungen und Deutungen — als eine von tagespolitischen Opportunitäten unabhängige Mahnung „wider das Vergessen" und in ihrer jeweiligen Bedingtheit miteinander zu begreifen (auch wenn beide Namen sicherlich nicht immer in einem Atemzug nennbar sind), hat nichts mit vordergründigem „Aufrechnen" zu tun, nichts aber auch mit einer unwissenschaftlichen, politisch oder ideologisch verordneten Unterdrückung oder Leugnung des einen oder anderen Teils derselben historischen Wahrheit, wohl aber alles mit einer verantwortungsbewußten Suche nach Erfahrung und Vermittlung der gesamten komplexen Wirklichkeit eines zutiefst von Unmenschlichkeit geprägten Abschnitts unserer gemeinsamen Vergangenheit. Dies kann als eine, und zwar wesentliche Voraussetzung für eine bessere Zukunft politisch und gesellschaftlich Wirkung zeigen.

II. Diplomatisches Vorspiel und politische Wirklichkeit

Abbildung 2

Die Existenz besonderer Quellen zur Flucht und Vertreibung der Deutschen aus dem Osten erweist sich bei einem Blick auf die diplomatische Vorgeschichte des Beschlusses „einer ordnungsgemäßen Überführung deutscher Bevölkerungsteile" aus Ost-und Süd-osteuropa, wie ihn die Potsdamer Konferenz im Sommer 1945 faßte, geradezu als eine glückliche Fügung. Denn das namenlose Leid auf den vereisten Fluchtstraßen des Ostens, auf dem brüchigen Eis des Haffs, auf den von Torpedos getroffenen Flüchtlingstransportern, in den Deportationslagern im Innern Rußlands gerinnt in den diplomatischen Quellen zum völkerrechtlich hantierbaren Begriff des „Bevölkerungstransfers", der noch dazu als beinahe natürliche Begleitmaßnahme angeblich notwendiger territorialer Umgestaltungen bzw. als angemessenes Mittel zur Lösung ethnischer Konflikte betrachtet wurde

Die Diskrepanz zwischen der Wirklichkeit der Konferenzsäle von Teheran, Jalta und Potsdam einerseits und dem Elend der Flüchtlingstrecks andererseits findet ihre Entsprechung in der Kluft zwischen der Sprache der diplomatischen Quellen und den Erlebnisberichten Betroffener. Mehr noch: Hier erweist sich einmal mehr die Unzulänglichkeit einer historischen Methode, die sich lediglich auf konventionelle amtliche Behördenakten stützt, wenn es gilt, die Wirklichkeit von Einzelschicksalen als historischen Gesamtvorgang erfahrbar zu machen. Ohne die aufgrund des Fehlens amtlicher Unterlagen entstandenen Sammlungen der Zeugen-berichte würden Flucht und Vertreibung nach dem Tode der letzten unmittelbar Betroffenen künftigen Generationen vielleicht nur als eine diplomatische Frage zweiten Ranges auf den entscheidenden Konferenzen des Zweiten Weltkrieges erscheinen, nicht aber in der bedrückenden Wirklichkeit millionenfachen Leides und Todes überliefert bleiben.

Daß diese verhängnisvollen Auswirkungen auf die Betroffenen bei Konferenzbeschlüssen über „Bevölkerungsverschiebungen" kaum beachtet, sondern ausschließlich angebliche Vorteile „einer größeren Homogenität der Bevölkerung und der Beseitigung alter tiefverwurzelter Streitfragen" gesehen wurde, war bereits eine Erfahrung aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg gewesen. Bei der Bildung der ethnisch heterogenen Staaten in Ost-und Südosteuropa nach 1918 war die schon seit dem Aufstieg der nationalen Einigungsbewegung im 19. Jahrhundert zumindest latent vorhandene Idee, durch die Aussiedlung ethnischer Minderheiten aus einem Staatsverband eine „nationale Purifizierung", zu erreichen und Volksgruppenkonflikte dauerhaft zu lösen, erstmals konkret realisiert worden. Die leidvolle Härte und Ungerechtigkeit bei der Umsiedlung von Griechen und Türken seit 1923 verblaßte bei zunehmender örtlicher und zeitlicher Distanz. Es blieb die fixe Idee eines „faszinierenden Musterbeispiels für die Durchführbarkeit radikaler ethnischer Entmi-schung" Sie bot sich bei den Verhandlungen der Alliierten während des Zweitens Weltkrieges als beherrschendes Argument geradezu an, zumal es nun um das weitere Schicksal der Deutschen ging, deren Konzeption einer rassenideologisch begründeten Hegemonie in Europa und in der Welt millionenfaches Leid über die von ihnen beherrschten Völker gebracht hatte.

Freilich, um eine „ethnische Entmischung" konnte es nur bei einem geringeren Teil der von der vereinbarten „Umsiedlung" schließlich betroffenen Deutschen gehen. Rund 60% von ihnen gehörten nicht zu deutschen Minderheiten in einem anderen Staatsverband, sondern stammten aus den auch vor Hitlers territorialen Eroberungen zum Deutschen Reich gehörigen Gebieten jenseits von Oder und Neiße (also aus der damaligen Provinz Ostpreußen, aus der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen, aus Pommern, Schlesien und Ost-Brandenburg). Sie wären erst durch die Oder-Neiße-Linie 1945 zu einer gewaltigen Minderheit im neuen polnischen Staatsgebiet geworden. Ihr Schicksal ist also unmittelbare Folge der Vereinbarungen der Anti-Hitler-Koalition über die polnischen Nachkriegsgrenzen. In dieser Frage hatte man von zwei Prämissen auszugehen: Einmal galt Polen mit Recht als eines der Hauptopfer der kriegerischen Expansion des NS-Regimes, zum andern hatte Stalin nie einen Zweifel daran gelassen, daß er die ostpolnischen Gebiete, die der Sowjetunion als Folge seines Paktes mit Hitler vom 23. August 1939 zugefallen waren, nicht mehr herausgeben werde. Wollte man aber an der neuen polnischen Ostgrenze festhalten, so stellte sich die Frage einer angemessenen Entschädigung Polens im Norden und Westen auf Kosten des besiegten Deutschland. Bereits die erste Kriegskonferenz zwischen Churchill, Roosewelt und Stalin Ende November 1943 in Teheran brachte eine Einigung über diese beiden Grundlagen: die Endgültigkeit der polnischen Ostgrenze und das Prinzip der polnischen „Westverschiebung", deren präzise Ausmaße indessen offen blieben.

Es erwies sich als folgenreich, daß die Westmächte sich mit Rücksicht auf die Sowjetunion allmählich bewußt über die Wünsche der anti-sowjetisch eingestellten polnischen Exilregierung in London hinwegsetzten. Die Londoner Exilpolen lehnten nämlich nicht nur die Abtretung Ostpolens an die Sowjetunion ab, sondern schreckten im Hinblick auf das spätere Verhältnis Polens zu Deutschland auch vor einer übertriebenen Ausdehnung der polnischen Grenzen nach Westen zurück.

Sie ließen sich auch von Churchill, der seit Teheran immer häufiger von der Oder als der künftigen polnischen Westgrenze sprach, nicht für die Vereinbarungen von Teheran gewinnen.

Ihr Kurswert als alliierter Verhandlungspartner bröckelte allerdings mit der Bildung des prosowjetischen „Polnischen Komitees der Nationalen Befreiung" — auch „Lubliner Komitee" genannt — im Sommer 1944 stark ab. Die Lubliner Polen erkannten die sowjetischen Grenzregelungswünsche voll an und erhielten von den Sowjets erstmals auch Versprechen hinsichtlich eines späteren Grenzverlaufs an Oder und Lausitzer Neiße.

Ende 1944 trat die UdSSR erstmals auch öffentlich für die Oder-Neiße-Linie als polnische Westgrenze ein. Einen Monat vor dem Treffen in Jalta auf der Krim erfolgte die Anerkennung der ausschließlich aus Lubliner Polen bestehenden Provisorischen Regierung der Polnischen Republik durch die Sowjetunion.

Diese Entwicklung der politischen Verhältnisse Polens beobachteten die Westmächte mit steigender Besorgnis. Als Stalin Anfang Februar 1945 in Jalta Verständnisbereitschaft in dieser Frage erkennen ließ, bestätigten Churchill und Roosevelt auch formell die russische Westgrenze, billigten im Prinzip auch die Oder-Linie als neue polnische Westgrenze, ja machten gegen eine Grenzziehung im südlichen Teil entlang der Lausitzer Neiße im wesentlichen lediglich Gegengründe praktischer Art geltend: Die Integration solch umfangreicher deutscher Gebiete würde die polnischen Nachkriegsregierungen vor gewaltige Schwierigkeiten stellen. Eine präzise Festlegung des endgültigen Grenzverlaufs in völkerrechtlich verbindlicher Form mußte man einer späteren Friedenskonferenz überlassen. Faktisch führte dieser Zustand der Unsicherheit jedoch zur Schaffung vollendeter Tatsachen und damit zur Präjudizierung einer Grenzregelung, die nur durch einen Friedensvertrag mit Deutschland völkerrechtlich wirksam werden konnte

Drei Tage nach Abschluß der Konferenz von Jalta gestattete der Oberste Verteidigungsrat der UdSSR die Einsetzung polnischer Verwaltungsdienststellen in den von der Roten Ar-mee besetzten Gebieten. Im März 1945 erfolgte bereits die Errichtung der fünf neuen polnischen Wojwodschaften Masuren, Pommern, Oberschlesien, Niederschlesien, Danzig. Westliche Proteste konnten durch die unverbindliche Erklärung, diese örtlichen Maßnahmen hätten nichts mit dem endgültigen Grenzverlauf zu tun, leicht entschärft werden. Indessen sahen sich die westlichen Alliierten auf der Konferenz von Potsdam mit der faktischen Ausgliederung der reichsdeutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße aus der sowjetischen Besatzungszone konfrontiert. Man protestierte daher auch gegen diesbezügliche einseitige sowjetisch-polnische Aktionen. Ins Gewicht fielen nunmehr auch die schwerwiegenden Probleme, die Briten und Amerikaner als Folge der Abtrennung weiter, vorwiegend landwirtschaftlich genutzter Landstriche und der Aufnahme von Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen für die eigenen Besatzungszonen zu erkennen glaubten. Als Stalin jedoch bei der Regelung der Reparationen zu Zugeständnissen bereit war, honorierten seine westlichen Verbündeten dies mit ihrer Sanktionierung der polnischen Verwaltung in den Oder-Neiße-Gebieten und darüber hinaus mit der Zustimmung zur Massenausweisung der deutschen Bevölkerung aus „Polen", der Tschechoslowakei und Ungarn. Zwar wurde erneut bekräftigt, daß der genaue Verlauf der polnischen Grenzen bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt werden solle, mit der Potsdamer Lösung wurden aber „faits accomplis" bestätigt und der Verlauf der deutsch-polnischen Grenze nicht de iure, aber de facto festgeschrieben. Der nördliche Teil Ostpreußens mit der Provinzhauptstadt Königsberg wurde hingegen der Sowjetunion überlassen.

Gleichzeitig wurde auch das Schicksal jener Millionen Deutschen besiegelt, die als ethnische Minderheiten aus den intakt gebliebenen oder nach der Niederlage der Achsenmächte wiederhergestellten Staaten Ost-und Südosteuropas bereits vertrieben waren oder noch vertrieben wurden. Es handelte sich um die im Potsdamer Protokoll genannten Deutschen aus der Tschechoslowakei (also die Sudetendeutschen, die Deutschen aus dem ehemaligen Protektorat Böhmen und Mähren und aus der Slowakei), aus Polen — gemeint sind neben der Bevölkerung der reichsdeutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße die Deutschen aus den 1939 in das Deutsche Reich eingegliederten (Reichsgaue Danzig-Westpreußenund Wartheland sowie Ost-Oberschlesien) und angegliederten Gebieten und aus dem „Generalgouvernement" (also aus dem restlichen Polen ohne die von der Sowjetunion annektierten ostpolnischen Gebiete) — sowie um die Deutschen aus Ungarn. Faktisch betroffen waren aber auch die starken deutschen Volksgruppen in Südosteuropa, vor allem in Jugoslawien und Rumänien, sofern sie nicht bereits während des Krieges auf deutsche Veranlassung hin umgesiedelt und in ihren neuen Wohnstätten in den ein-oder angegliederten Gebieten Westpolens bzw. Sloweniens von dem allgemeinen Flucht-und Vertreibungsgeschehen erfaßt worden waren.

Mit den Potsdamer Formeln wurde der Weltöffentlichkeit deutlich gemacht, daß die Frage von Grenzverschiebungen unmittelbar verknüpft war mit einem ungewissen Schicksal, ja, der existentiellen Gefährdung, in jedem Fall mit der Entwurzelung von Millionen in den Vertreibungsgebieten ansässiger Deutscher. Diese Verknüpfung freilich war den für eine politische Neuordnung Ostmitteleuropas nach Hitlers Niederlage verantwortlichen Staatsmännern und Diplomaten im Prinzip stets bewußt und wurde von ihnen ausdrücklich gewollt Trotz aller Differenzen, die auf den Kriegskonferenzen zwischen den Großmächten in Einzelfragen wie der westlichen Neiße oder der endgültigen Zahl der „Umzusiedelnden" auftraten, war ihnen aber letztlich das Problem der exakten Grenzregelung wie der damit verbundenen Massenvertreibung nicht wichtig genug, um darüber einen ernsthaften Streit entstehen zu lassen oder gar Polen, die Sowjetunion und andere betroffene Länder wirkungsvoll daran zu hindern, die militärische, politische und moralische Niederlage Deutschlands dazu zu nutzen, mit den Deutschen „ein für alle Mal reinen Tisch zu machen"

Reinen Tisch mit der deutschen Bevölkerung zu machen, war von jeher auch feste Absicht der von Staatspräsident Bene geführten tschechoslowakischen Exilregierung in London im Hinblick auf die politische und soziale Zukunft des Landes nach einer deutschen Niederlage gewesen. Mehrere Faktoren hatten dazu beigetragen, daß die radikalste Lö-sung des Minderheitenproblems in der Tschechoslowakei bei den Westmächten, insbesondere bei der britischen Regierung, überraschend schnellen Anklang und grundsätzliche Zustimmung gewann.

Die mit Zustimmung Großbritanniens und Frankreichs auf der Münchner Konferenz 1938 in völkerrechtlich verbindlicher Form erfolgte Eingliederung der von rund 3, 5 Millionen Deutschen bewohnten Sudetengebiete in das Deutsche Reich hatte sich im Bewußtsein der britischen Regierung und Öffentlichkeit zu einer Art Trauma entwickelt. Spätestens mit seinem Einmarsch in Prag am März 1939 hatte Hitler bewiesen, daß ihm die in vieler Hinsicht berechtigten Forderungen der Sudetendeutschen nach Selbstbestimmung lediglich als Vehikel seiner expansionistisch-ideologischen Zielvorstellungen auf dem europäischen Kontinent gedient hatten. „München" hatte darüber hinaus nach Ansicht vieler Engländer, vor allem der nunmehr die Regierung bildenden „Anti-Appeasers" um Churchill und Eden, den Krieg, der Großbritannien an den Rand des Untergangs gedrängt hatte, erst möglich gemacht. Hinzu kam die allseits, auch von der Sowjetunion anerkannte Autorität der Persönlichkeit von Eduard Bene. Er gewann unter Ausnutzung des Schocks von München die Alliierten für seine Konzeption, die Tschechoslowakei nach der deutschen Niederlage in den alten Grenzen wiedererstehen zu lassen, darüber hinaus mit einer allgemeinen „Aussiedlung" der Sudetendeutschen den angeblichen Hauptgrund für den „Weg nach München" und gleichzeitig auch das angebliche Haupthindernis für eine künftige gedeihliche Entwicklung seines Landes zu beseitigen. Daß damit für Millionen ein grauenvolles Schicksal besiegelt wurde, macht die Diskrepanz zwischen politischer Begründbarkeit und daraus folgenden konkreten menschlichen Auswirkungen einmal mehr deutlich.

Insgesamt hatten Anfang 1945 — vor allem nach der Konferenz von Jalta — die maßgeblichen Politiker der Sowjetunion und der übrigen osteuropäischen Länder das sichere Gefühl gewonnen, daß die Anglo-Amerikaner kaum in der Lage, aber auch nicht wirklich willens waren, ihren in den Verhandlungen vorgebrachten und durchaus ernst gemeinten Ermahnungen zu einer geordneten Durchführung der „Bevölkerungstransfers" energischen Nachdruck zu verleihen 15). Die Folge war, daß die im Sudetenland und in den Oder-Neiße-Gebieten zurückgebliebenen bzw. dorthin zurückgekehrten Deutschen Opfer „wilder Austreibungen" und der planmäßigen Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen wurden, dann aber auch schon von „eigentlichen" Vertreibungsaktionen erfaßt wurden, noch ehe auf der Potsdamer Konferenz verbindliche Beschlüsse getroffen wurden.

Alarmiert durch das einseitig eingeleitete Ausgreifen Polens bis zur westlichen Neiße und das dadurch verursachte Anwachsen der Vertriebenenzahlen weit über die bis dahin von Großbritannien tolerierten sechs bis sieben Millionen hinaus brachte Churchill in Potsdam plötzlich schwerwiegende moralische Bedenken gegen die Massenaustreibung vor. Stalin tat diese mit dem — keineswegs den Tatsachen entsprechenden — Hinweis ab, aus den Ostgebieten seien ohnehin bereits alle Deutschen vor der Roten Armee geflohen. Indessen genügte Stalins Kompromißbereitschaft in der Reparationsfrage, um die Zustimmung der Westmächte zur Verwaltung der deutschen Ostgebiete durch Polen zu erhalten. Dabei zeigte sich, daß auch die damit verbundene Frage der Massenausweisung in den Augen der Konferenzteilnehmer nicht mehr als nur ein Randproblem war, „nämlich eine unschöne, aber unvermeidliche Folge der Neuordnung Europas nach dem Willen der Großmächte" Um höherer Ziele willen wurde auch die Massenvertreibung in der nunmehrigen realen Größenordnung akzeptiert: Artikel XIII der Potsdamer Erklärung sah die „ordnungsgemäße Überführung" deutscher Bevölkerungsteile aus Polen, der Tschechoslowakei und aus Ungarn vor.

Daß selbst diese, von den Westmächten angeblich der Sowjetunion abgetrotzte „menschliche und geordnete" Durchführung der Austreibung sich angesichts des über Millionen hereingebrochenen Sturms von Vergeltung, Rache und Haß als zynische, grausame Ironie erwies, ist bekannt. Daß die Westmächte zu irgendwelchen Sanktionen weder in der Lage noch willens waren, bleibt nicht zweifelhaft. Indessen bleibt zu bedenken: Die totale Niederlage des NS-Regimes war nicht der Zeitpunkt, sich nachhaltig und effektiv für die Interessen eines Volkes zu engagieren, dessen Kriegsmaschinerie man soeben unter ungeheuren blutigen Opfern besiegt hatte und dessen Führung sich — wie man gerade in Bergen-Belsen, Buchenwald oder Auschwitz erlebt hatte — beispielloser Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatte. Eines vermeintlichen Randproblems wegen war man nicht bereit, die Schwierigkeiten im Verhältnis zu dem für die Nachkriegsordnung unentbehrlichen sowjetischen Koalitionspartner nocht weiter zu vergrößern. Die Sieger einigten sich auf Kosten der zu bestrafenden Besiegten. Die Chance eines umfassenden Neubeginns etwa auf der Grundlage der Atlantik-Charta wurde vertan. Dies kann angesichts des beispiellosen Terrors des NS-Regimes und noch dazu von einem Angehörigen dieses 1945 besiegten, in unerhörtem Maße schuldig gewordenen Volkes nicht gewertet werden. Wie sich jedoch die diplomatischen Entwicklungen und politischen Beschlüsse in konkrete menschliche Einzel-und Massen-schicksale umsetzten, deren quantitative und qualitative Ausmaße erneut alle Vorstellungskraft überstiegen, muß aus historischer wie politischer Sicht darstellbar bleiben dürfen.

III. Die Flucht

1. Ostpreußen Während in Jalta und Potsdam noch über künftige Grenzziehungen und damit verbundene „Bevölkerungstransfers" debattiert wurde, hatten bereits Millionen von Menschen auf der Flucht vor der Roten Armee ihre angestammte Heimat verlassen. Stalin konnte daher in Jalta und in Potsdam darauf verweisen, daß die Massenflucht der Deutschen die nachträgliche Ausweisung vereinfachen, wenn nicht gar entbehrlich machen würde. Die Katastrophe, die mit dem Einmarsch der Roten Armee über die deutsche Bevölkerung im Osten hereinbrach und in weiten Landstrichen kaum noch einen Menschen — Mann, Frau oder Kind — übrigließ, die Millionen in die Flucht, in die Deportation, vielfach auch in den Tod trieb geriet so zu einem zynischen Argument für die Notwendigkeit und Durchführbarkeit einer definitiven Totalaustreibung. Die Massenflucht vor dem Kriegsgeschehen blieb damit nicht eine — sonst in vielen Kriegen zu beobachtende — mit der Rückkehr in die wenn auch vielfach zerstörte Heimat endende Episode, sondern bildete das bewußt oder unbewußt von den Siegern so inszenierte Vorspiel zur endgültigen Vertreibung der Deutschen aus dem Osten.

Dieser gewaltsamen Verdrängung war bereits während des Krieges eine Phase der vertrag-lieh geregelten „Rücknahme" von deutschen Bevölkerungsteilen aus Siedlungsgebieten jenseits der Reichsgrenze vorausgegangen. Betroffen waren vor allem:

— Baltendeutsche aus Estland, Lettland und Litauen, deren angestammte Siedlungsgebiete 1939/40 von der deutschen Reichsregierung der Sowjetunion zugestanden worden waren;

— deutsche Volkszugehörige aus den ostpolnischen, 1939/40 ebenfalls von der Sowjetunion annektierten Gebieten Wolhynien und Galizien;

— deutsche Volkszugehörige aus Bessarabien, der Bukowina (Buchenland) und Dobrudscha, also aus den Gebieten, die 1939/40 zum größten Teil von Rumänien an die Sowjetunion abgetreten worden waren; — Volksdeutsche aus Kroatien, Serbien und der Gottschee, also aus dem ehemals jugoslawischen Staatsgebiet, sowie — die zahlenmäßig kleine deutsche Volksgruppe aus Bulgarien.

Diesen volksdeutschen Umsiedlern wurden neue Heimstätten vor allem in den deutschen Ostgebieten sowie in den dem Reich ein-bzw. angegliederten Ostgebieten (insbesondere im Wartheland) und in Slowenien zugewiesen. Sie teilten dort beim Zusammenbruch der deutschen Front 1944/45 das allgemeine Flucht-und Vertreibungsschicksal der Deutschen in Ost-und Ostmitteleuropa.

Mit der sowjetischen Großoffensive im Sommer 1944 und dem raschen Zusammenbruch der deutschen Heeresgruppe Mitte gerieten erstmals die bisher allgemein als sicher angesehenen östlichen Reichsgebiete in den Bann-kreis der herannahenden Front. Mitte Oktober 1944 richtete sich ein erster Angriff der Roten Armee gegen die Ostgrenze Ostpreußens. Teile der östlichen Kreise wurden be setzt, ehe ein deutscher Gegenstoß Anfang November die Front wieder bis in die Nähe der alten Grenze zurückdrängte Die Nachrichten aus den zurückeroberten Gebieten überstiegen die schlimmsten Befürchtungen. Die von der Roten Armee an der Zivilbevölkerung begangenen, vor allem für den Ort Nemmersdorf (Kreis Gumbinnen) dokumentierten und von neutralen Beobachtern bestätigten Greueltaten wurden zum Inbegriff dessen, was jedem bevorstand, der nicht rechtzeitig fliehen konnte oder auf dem Treck von der Roten Armee überrollt wurde. Die Opfer wurden nicht nur von Ausraubungen und Plünderungen heimgesucht, sondern auch planmäßig, bisweilen bestialisch ermordet. Frauen und Mädchen jeden Alters traf das Los mehrfacher Vergewaltigungen, ehe sie dann häufig auf z. T. grausame Weise getötet wurden Der Name Nemmersdorf wurde zum Symbol für unaussprechliche Angst die nicht mehr nur als Ergebnis der massiven antibolschewistischen Zweckpropaganda des NS-Regimes abgetan werden konnte. Die Ereignisse von Nemmersdorf beschleunigten die Fluchtbewegungen nicht nur in Ostpreußen, zumal sich nach der sowjetischen Großoffensive Mitte Januar 1945 herausstellte, daß sie kein Einzelfall bleiben sollten. In Nemmersdorf und Umgebung wurde erstmalig jener grausige Charakter des Flucht-und Vertreibungsgeschehens bekannt, welcher die Gesamtheit der vielen Tausend Erlebnisberichte und Zeugenaussagen trotz aller Unterschiedlichkeit auch hinsichtlich der Glaubwürdigkeit in Einzelheiten in erschreckender Übereinstimmung prägte. Daran grundsätzlich zu zweifeln, kann allenfalls politisch-ideologische, nicht aber historisch-wissenschaftliche Motive haben.

Deutsche Schutzmaßnahmen in Form von Evakuierungs-und Räumungsplänen für die Zivilbevölkerung, sofern sie überhaupt ergriffen wurden, waren höchst unzureichend oder wurden zu spät in Kraft gesetzt. Hinzu kam, daß die Wucht der sowjetischen Großoffensive vom Januar 1945 die vorgesehenen Räumungsstraßen und Aufnahmegebiete schnell unpassierbar bzw. unerreichbar machte. Vereiste Straßen und Wege sowie die bittere Kälte eines besonders harten Winters ließen die zumeist auftretenden chaotischen Verhältnisse und die Panik noch qualvoller werden. Geradezu verhängnisvoll erwies sich nun, daß die zuständigen Bevollmächtigten der Partei unter der Führung der Gauleiter und Reichsverteidigungskommissare die häufig von militärischen Dienststellen rechtzeitig empfohlenen vorbeugenden Evakuierungsmaßnahmen als Defaitismus oder gar Verrat denunzierten Demgegenüber propagandistisch stark herausgestellte Verteidigungsmaßnahmen wie die im Herbst 1944 unter Einsatz aller arbeitsfähigen Männer errichtete „Ostpreußenstellung" und auch die zuerst in Ostpreußen erfolgte Aufstellung des Volkssturms konnten die Gewalt der sowjetischen Angriffe in keiner Weise hemmen oder gar abwenden. Immer wieder ergab sich die Situation, daß die drohende Gefahr trotz aller alarmierenden Anzeichen von den Verantwortlichen bagatellisiert oder gar unter Hinweis auf den noch nicht ergangenen Räumungsbefehl schlicht geleugnet wurde, so daß die Bevölkerung — falls nicht entschlossene Eigeninitiative eine rechtzeitige Flucht möglich machte — in den meisten Fällen viel zu spät zu einer überstürzten Entscheidung von einer Minute zur anderen gezwungen war Die hier und da noch verbreitete Legende, die Flucht der Deutschen vor der Roten Armee sei Folge von „Zwangsmaßnahmen der NS-Behörden" gewesen, steht in eklatantem Widerspruch zu allen Erlebnisberichten der Beteiligten 2. Militärischer Zusammenbruch und Fluchtbewegungen 1945 Der Höhepunkt der Katastrophe der deutschen Ostgebiete begann mit der sowjetischen Großoffensive vom 12. /13. Januar 1945. Aus Brückenköpfen an der mittleren Weichsel stießen die Sowjets gegen Schlesien und frontal gegen die mittlere Oder vor, während zwei weitere Angriffskeile Ostpreußen abriegelten. Die mit äußerster Wucht sowie großem Truppen-und Materialaufwand geführten Angriffe erzielten sehr rasch entscheidende Wirkungen. Von einer zusammenhängenden deutschen Abwehrfront konnte schon nach wenigen Tagen keine Rede mehr sein. Zur militärischen Katastrophe kamen Chaos und Elend der in Massen vor den sowjetischen Angriffsspitzen nach Westen flüchtenden deutschen Zivilbevölkerung hinzu. Statt von vorausschauenden Evakuierungsplänen wurden die Fluchtwege weitgehend von den militärischen Operationen bestimmt, falls es infolge der Schnelligkeit des russischen Vormarsches überhaupt noch zur Flucht kam oder falls die Trecks nicht ohnehin von den Angreifern überrollt und vielfach zerschossen wurden.

Bereits Ende Januar 1945 standen Verbände der Roten Armee in Schlesien an der Oder bei Brieg und nördlich von Breslau. Im Mittel-abschnitt hatten sie die Oder bei Fürstenberg und Küstrin erreicht und ganz Ost-Brandenburg besetzt. Nur einem Teil der Flüchtlinge war es gelungen, rechtzeitig über die Oder zu kommen, wo man sich vorerst noch in Sicherheit wähnen konnte.

Den ostpreußischen Flüchtlingen wurde der Weg nach Westen rasch versperrt. Der im Norden aus Richtung Ebenrode und Schloßberg auf Königsberg angesetzte sowjetische Vorstoß drang gegen die Halbinsel Samland vor und führte am 31. Januar zur Einkesselung von Königsberg. Dabei kam es in der Gartenvorstadt Metgethen, die voll von Flüchtlingen zumeist aus Königsberg war, zu unbeschreiblichen Exzessen, bei denen wiederum vor allem Frauen Opfer schlimmster Grausamkeiten wurden Der Angriff aus südlicher Richtung stieß durch das südwestliche Ostpreußen auf Elbing und erreichte am 26. Januar das Frische Haff. Damit waren alle Land-und Bahnverbindungen Ostpreußens mit dem Reich abgeschnitten. Den noch in Mittel-Ostpreußen befindlichen Flüchtlingstrecks blieben als Auswege lediglich das Samland mit dem Seehafen Pillau, vor allem aber der gefahrenvolle — oft unter sowjetischem Artillerie-und Tieffliegerbeschuß liegende — Weg über das Eis des Frischen Haffs auf die Nehrung und von dort entweder in das Weichseldelta nach Westen oder ebenfalls nach Pillau im Osten. Ende Januar waren in einem schlauchartigen, an das Frische Haff angelehnten Kessel um Heilsberg, Braunsberg und Heiligenbeil Hunderttausende von Flüchtlingen zusammengedrängt. Unzählige Menschen waren ferner im eingeschlossenen Königsberg sowie im westlichen Samland bedroht. Es gelang den deutschen Truppen, diese Stellungen verhältnismäßig lange zu halten, um Zeit zum Abtransport der Zivilbevölkerung auf dem Land-oder Seeweg zu gewinnen. Aus dem Heiligenbeiler Kessel, der sich unter sowjetischen Angriffen ständig verengte, setzten sich am März, nachdem das geschmolzene Eis eine weitere Flucht über das Haff unmöglich gemacht hatte, die letzten deutschen Verteidiger von der Halbinsel Balga auf die Frische Nehrung ab. Königsberg, dessen Verbindung nach Pillau Ende Februar für* einige Zeit freigekämpft worden war, fiel am 9. April. Pillau, das von über 450 000 Flüchtlingen auf dem Seeweg verlassen werden konnte — weitere 200 000 wurden nach Neu-tief auf die Frische Nehrung übergesetzt —, wurde am 25. April erobert. Auf der Frischen Nehrung hielten sich noch bis zur allgemeinen Kapitulation am 8. /9. Mai Reste deutscher Truppen.

In den weiter westlich gelegenen Ostseegebieten um Danzig und in Pommern fiel Ende Januar die Nogat-Weichsel-Linie von Elbing bis Graudenz in russische Hand. Die Sowjets brachen erstmals in südpommersche Kreise ein 25). Bis Anfang März blieben jedoch Danzig und die Weichselmündung, die nördlichen westpreußischen und östlichen pommerschen Kreise als Zufluchtsstätten für die aus Westpreußen und aus den polnischen Gebieten verdrängten Flüchtlinge erhalten, vor allem für die über das Haff und die Nehrung kommenden Ostpreußen. Sowjetische Vorstöße durch Ostpommern zur Ostsee schnitten jedoch den Landweg nach Westen im März ab. Es blieb nur noch die Rettung über See von den Häfen Danzig, Gdingen und Kolberg sowie von der Weichselmündung bei Schiewenhorst und der Landzunge von Heia. Kolberg fiel am 18. März, Gdingen und Danzig am 27. März. Schiewenhorst und Heia konnten als Ausgangspunkt für Flüchtstransporte über See nach Rügen, Schleswig-Holstein und Dänemark bis zur Kapitulation gehalten werden. Das von Admiral Engelhardt geleitete Rettungsunternehmen über See, an dem fast 800 Schiffe beteiligt waren, wurde überschattet von aufs März. Schiewenhorst und Heia konnten als Ausgangspunkt für Flüchtstransporte über See nach Rügen, Schleswig-Holstein und Dänemark bis zur Kapitulation gehalten werden. Das von Admiral Engelhardt geleitete Rettungsunternehmen über See, an dem fast 800 Schiffe beteiligt waren, wurde überschattet von aufsehenerregenden Katastrophen wie? der Versenkung der „Wilhelm Gustloff", der „Steuben" und der „Goya", die allein fast 15 000 Menschen das Leben kosteten. Es erwies sich aber insgesamt als die sicherste Möglichkeit, eine Vielzahl von Flüchtlingen in den Westen zu bringen. Die Rettungsfahrten wurden bis in die letzten Kriegstage fortgesetzt. Noch im April 1945 konnten auf diese Weise 387 000 Menschen von Heia evakuiert werden. Die letzten Schiffe mit über 40 000 Soldaten und Flüchtlinge verließen Heia am 6. Mai. Insgesamt konnten über zwei Millionen Zivilisten und — zumeist verwundete — Soldaten über See gerettet werden 26).

In Schlesien befanden sich Ende Januar alle östlich der Oder gelegenen Gebiete sowie die Zentren des oberschlesischen Industriegebiets in sowjetischer Hand 27). Nach neuen Angriffen Anfang Februar über die Oder nach Westen wurden Breslau und Glogau eingeschlossen, die Görlitzer Neiße erreicht. Im März besetzte die Rote Armee auch die westlich der Oder gelegenen oberschlesischen Gebiete bis auf einen Streifen längs der Grenzgebirge nach Böhmen. Glogau fiel Ende März, die zur Festung erklärte schlesische Hauptstadt Breslau erst am 6. Mai, zwei Tage vor der allgemeinen bedingungslosen Kapitulation. Die Hauptfluchtwege der schlesischen Bevölkerung folgten dem Verlauf der Kampfhandlungen und führten entweder nach Sachsen, damit z. T. in die Feuerstürme der schweren Luftangriffe auf Dresden am 13. /14. Februar 1945, oder nach Südwesten in die Grenzgebirge bzw. über diese hinaus in das Sudentenland und nach Böhmen und Mähren, wo die Flüchtlinge dann gegen Kriegsende ebenfalls „vom Schrecken eingeholt" wurden. Im Sudentenland und im Protektorat Böhmen und Mähren waren nur die östlichen mährischen Kreise und das Ostsudentenland, insbesondere der Kreis Jägerndorf, von Kampfhandlungen erfaßt worden Die Evakuierung der dortigen deutschen Bevölkerung verlief im Vergleich zu den Ereignissen im östlichen Reichsgebiet verhältnismäßig geordnet und unter günstigeren klimatischen Bedingungen. Die Begegnungen mit den sowjetischen Soldaten, die die meisten Gebiete nach der deutschen Kapitulation kampflos besetzten, brachten indessen auch vielen Deutschen in der Tschechoslowakei Leid und Schrecken. Erschütternde Berichte dokumentieren auch hier Plünderungen, Vergewaltigungen, Erschießungen und andere Übergriffe. Selbstmorde in hoher Zahl, wie sie z. B. aus Karlsbad und Brüx berichtet werden, zeugen von der Angst und Verzweiflung, von der die dortige deutsche Bevölkerung einschließlich der über die Gebirge geflüchteten Schlesier erfaßt wurde. 3. Ausschreitungen und Motive Bevor die sowjetischen Truppen deutsche (Siedlungs-) Gebiete erreicht hatten, waren sie 2 000 km durch ihr eigenes Land marschiert, das überall die furchtbaren Merkmale einer unbarmherzigen, menschenverachtenden deutschen Herrschaft trug. Die beim sowjetischen Einmarsch in die deutschen Ost-und Siedlungsgebiete gegenüber der Zivilbevölkerung verübten Gewalttaten und Auschreitungen müssen vor diesem Hintergrund der eigenen „verbrannten Erde" gesehen werden. Sie sind nicht zu beschreiben, ohne an die 20 Millionen Kriegstoten zu erinnern, welche die Sowjetunion als Folge von Hitlers Überfall zu beklagen hatte, und die Trauer und Leid in fast jede Familie gebracht hatten. Sie müssen gewertet werden im Zusammenhang mit dem Massensterben im eingeschlossenen und ausgehungerten Leningrad, mit der Schreckensherrschaft eines Erich Koch in der Ukraine, mit den Massenmorden und anderen Greueltaten, die vor allem die SS und die Einsatzgruppen im besetzten Rußland in einem gnadenlosen ideologischen Vernichtungskrieg begangen hatten.

Allein den in Ostdeutschland operierenden Verbänden der 2. Weißrussischen Front gehörten über 50 000 Soldaten an, die aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten der Sowjetunion stammten Spontane Racheaktionen für die von der NS-Besatzung in ihrer Heimat oder gar an eigenen Familienangehörigen begangenen Morde und Gewalttaten mußten erwartet werden. Hinzu kam eine systematische Propagierung des Hasses gegen die faschistischen Okkupanten. Die vor den sowjetischen Offensiven verbreiteten Flugblätter und Rundfunksendungen enthielten Rufe nach Rache und Vergeltung, die in den ersten Wochen der Eroberungen auch in Aufrufen an die Truppe gerichtet wurden. In zahlreichen Artikeln, die seit 1943 regelmäßig in Partei-, Regierungs-und Armeezeitungen, später zum großen Teil auch als Flugblätter erschienen, forderten Ilja Ehrenburg und andere sowjetische Schriftsteller zur Rache und gnadenlosem Töten auf Infolge einer solchen Haßpropaganda sahen Soldaten und Offiziere der Roten Armee bei der Besetzung deutschen Gebiets zunächst unterschiedslos in jedem Deutschen, ob Mann oder Frau, ob Greis oder Kind, einen mit ungeheurer Blut-schuld beladenen Faschisten -Darüber hinaus gerieten die in ihren Heimatorten verbliebenen Deutschen sehr leicht in den Verdacht, sie seien Partisanen mit geheimen Aufträgen. Die von der deutschen Propaganda stark herausgestellte Aufstellung des Volks-sturms, insbesondere die in zahllosen Gerüchten verbreitete Tätigkeit des „Werwolfs" sowie die wohlorganisierten sowjetischen Partisanenaktionen gegen die deutschen Besetzer waren in diesem Zusammenhang sicher von großer Bedeutung. Gegenüber den im deutschen Osten zahlreichen Großgrundbesitzern vereinte sich darüber hinaus der Haß gegen Faschisten und Kapitalisten.

Eine letztlich entscheidende „Legitimation" für ihr oft durch Alkoholeinfluß noch gesteigertes Vorgehen gegenüber der Bevölkerung erhielten die Truppen durch die Handlungsfreiheit, die nach Besetzung eines Gebiets oder einer Stadt von der sowjetischen Führung für eine gewisse Zeit gewährt wurde So folgte ein großer Teil der Soldaten der Aufforderung Ilja Ehrenburgs, der beim Betreten ostpreußischen Bodens. Ende Oktober 1944 in der Armeezeitung Krasnaja Swesda unter dem Titel „Der Große Tag" verkündet hatte: „Jetzt ist die Gerechtigkeit in dieses Land eingezogen. Wir befinden uns in der Heimat Erich Kochs, des Statthalters der Ukraine — damit ist alles gesagt. Wir haben oft genug wiederholt: das Gericht kommt! Jetzt ist es da!" Gerechtigkeit und Gericht vollzogen sich indes nicht oder kaum an Erich Koch und seinen verbrecherischen Helfers-helfern, sondern an ganz überwiegend unschuldigen Menschen in „Ostpreußischen Nächten", die Ehrenburgs Landsmann Alexander Solschenyzin, damals ein junger Hauptmann der Roten Armee, in ihrer unbarmherzigen Grausamkeit eindrucksvoll beschrieben hat:

„Zweiundzwanzig, Höringstraße.

Noch kein Brand, doch wüst, geplündert. Durch die Wand gedämpft — ein Stöhnen: Lebend finde ich noch die Mutter.

Waren's viel auf der Matratze? Kompanie? Ein Zug? Was macht es! Tochter — Kind noch, gleich getötet.

Alles schlicht nach der Parole:

NICHTS VERGESSEN!

NICHTS VERZEIHN!

BLUT FÜR BLUT! — Und Zahn für Zahn. Wer noch Jungfrau, wird zum Weibe, und die Weiber — Leichen bald.

Schon vernebelt, Augen blutig, bittet: Töte mich, Soldat!

Sieht nicht der getrübte Blick?

Ich gehör doch auch zu jenen!"

Morde an Zivilpersonen waren beim Zusammentreffen der Roten Armee mit der deutschen Bevölkerung fast eine grausige Normalität Es handelte sich dabei zumeist um Exekutionen auf Grund irgendwelcher Ver-dachtsmomente oder Beschuldigungen, oft genug auch um rein willkürliche Handlungen einzelner Sowjetsoldaten. Auf der Flucht in Trecks befindliche Personen wurden Opfer sowjetischer Tieffliegerangriffe oder von Bodentruppen unter Beschuß genommen, vielleicht weil man unter ihnen deutsche Soldaten vermutete. Mitunter gerieten Flüchtlingstrecks in Gefechte zwischen sowjetischen und deutschen Truppen. Häufig wurden sie von sowjetischen Panzern rücksichtslos überrollt, wobei es zahlreiche Tote und Verletzte gab. Kann man in diesem Zusammenhang vielleicht noch von zwangsläufigen Folgen aus Kriegshandlungen sprechen, so wird man uneingeschränkt von Übergriffen reden müssen, wenn überrollte Trecks ausgeplündert, bei den Trecks befindliche Männer erschossen, die Frauen vergewaltigt und z. T. anschließend ermordet wurden. Plünderungen, Brandschatzungen und Erschießungen in erheblichem Umfang werden auch aus Gemeinden und von Gutshöfen berichtet, in denen Flüchtlinge Zuflucht gesucht hatten oder deren Bewohner zurückgeblieben waren. Die Vermutung, daß dabei vor allem Personen in exponierten Parteistellungen betroffen waren kann aus den Quellen nicht bestätigt werden. In der Regel fielen den Exekutionen Personen zum Opfer, die an verbrecherischen Maßnahmen des NS-Regimes völlig unbeteiligt waren. Erschossen wurden häufig Unternehmer oder Gutsbesitzer, die sowjetische Kriegsgefangene beschäftigt hatten, mitunter auch nur aus dem Grund, weil sie als verhaßte Kapitalisten denunziert wurden. Das gleiche Los traf Familien, bei denen Soldaten oder auch nur Waffen und Uniformen entdeckt wurden. Ebenfalls getötet wurden Männer, die bei den Vergewaltigungen ihrer Frauen, Mütter und Töchter Widerstand leisten wollten, Frauen, die sich nicht mißbrauchen lassen wollten, Alte und Schwache, die nicht erfüllen konnten, was man von ihnen verlangte, häufig genug auch Menschen, denen völlig belanglose Dinge, wie z. B. sprachliche Mißverständnisse, zum Verhängnis wurden

Erst geraume Zeit nach der Besetzung des betreffenden Gebietes schritten örtliche Kommandobehörden, schon aus Gründen der Disziplinerhaltung, gegen diese mörderischen Willkürakte ein. Opfer von Tötungen wurden ferner Personen auf Verschleppungsmärschen in die Sammellager, wenn sie etwa vor

Erschöpfung nicht weitermarschieren konnten Tötungen und schwere Mißhandlungen sind in Verbindung mit den Massenverhaftungen belegt, die vom NKWD in den Wochen und Monaten nach der Besetzung z. T. höchst willkürlich vorgenommen wurden. Nahezu einmütig enthalten fast alle Erlebnis-berichte Aussagen über die oft mit der Ermordung endende Vergewaltigung von Frauen und Mädchen. Dies war eine besonders brutale Folge der systematischen Haßpropaganda und verbreitete allenthalben unbeschreiblichen Schrecken. Auch eine besonders kritische Überprüfung der Quellenmaterialien läßt keinen Zweifel darüber zu, daß es sich nicht um Einzelfälle, sondern um Massenvergehen handelte. „Der Ausbruch Hitlers aus aller Vorstellungswelt hatte mit der politischen auch die moralische Weltordnung umgestülpt, nun führte man die Wahrheit des Satzes vor, daß auch der Haß gegen das Böse das Antlitz verzerrt."

Weitere Unmenschlichkeiten und zahlreiche Todesopfer sind infolge der Verhältnisse in den sowjetischen Lagern und Gefängnissen, insbesondere in Pr. Eylau und Graudenz, bezeugt. Kaum beschreibbare Zustände herrschten bei den Deportationen und in den Arbeitslagern im Innern der Sowjetunion. Von mehr als 400 000 im Zusammenhang mit dem Einmarsch der Roten Armee in Ostdeutschland als „Reparationsverschleppte" nach Ruß-land deportierten Deutschen überlebte kaum mehr als die Hälfte Eine äußerst hohe Sterbequote war schließlich unter den in den größeren Städten, insbesondere in Königsberg, verbliebenen Bewohnern infolge völlig unzureichender Lebensmittelzuteilungen, Krankheiten, Seuchen und anderer katastrophaler Lebensbedingungen zu verzeichnen Systematische Plünderungen, Raubzüge und Brandstiftungen, die sich bis zur Niederbren-nung ganzer Orte und Stadtteile ausweiteten, begleiteten den Einmarsch der sowjetischen Truppen. Sie mochten angesichts der brutalen Übergriffe gegen Leib und Leben der Bevölkerung als eine minder schwere Bedrohung angesehen werden. Infolge ihrer Ausmaße verursachten sie jedoch größere Schäden als die Bombenangriffe und eigentlichen Kriegs-handlungen. Sie dauerten noch lange unter der russischen Besatzung fort und führten schließlich zu einer weitgehenden Verarmung und Zerstörung der Lebensgrundlagen der verbliebenen Bevölkerung, deren Vertreibung damit vorbereitet wurde

Mochte die Flucht der Deutschen vor der Roten Armee auch von besonders schweren Katastrophen und ungeahnten Gewalttaten gegen Leben und Gut der Flüchtenden begleitet gewesen sein, sie wurde von den Betroffenen nie als endgültiger Abschied von der Heimat, sondern durchweg als vorübergehende leidvolle Erscheinung aufgefaßt. Viele Flüchtlinge, denen der Fluchtweg abgeschnitten worden war, kehrten daher in ihre Dörfer zurück. Die aus dem Ostsudetenland und aus Ostmähren evakuierten deutschen Bewohner, z. T. auch die aus Schlesien eingeströmten Flüchtlinge wurden von den Tschechen zur Rückkehr in ihre freilich zumeist geplünderte und z. T. zerstörte Heimat sogar gezwungen.

Auch ein Teil der geflohenen ostdeutschen Bevölkerung zog nach der deutschen Kapitulation am 8. /9. Mai 1945 wieder heimwärts. Oftmals wurden ihnen aber bereits die Straßen, insbesondere die Übergänge über Oder und Neiße blockiert. Vielfach wurden sie auch gleich nach ihrer Rückkunft. in Lagern interniert oder zur Zwangsarbeit in den Osten deportiert. Die Rückkehrer, die ihr Ziel erreichten, fanden ihre Heimat verwüstet oder von Russen oder Polen besetzt vor. Manche konnten noch einige Monate in ihren Dörfern verbringen, bis sie sich in den Jahren 1946/47 ein weiteres Mal, nun aber endgültig, auf den Weg nach Westen machen mußten

IV. Die Vertreibung

Bevor Artikel XIII der Potsdamer Beschlüsse „geregelte und humane Umsiedlungen" sanktioniert hatte, waren Polen und Tschechen bereits ohne westliche Zustimmung, aber mit deutlicher sowjetischer Ermunterung in den von ihnen verwalteten Gebieten zu „wilden Vertreibungen" übergegangen auch um die Potsdamer Konferenzteilnehmer möglichst vor vollendete Tatsachen zu stellen. Schon lange vor Kriegsende zwangen die in den deutschen Provinzen jenseits von Oder und Neiße neu eingerichteten polnischen Behörden einen Teil der Deutschen, ihre Wohnungen zu räumen, und schufen so Raum für die Ansiedlung der aus den ost-und innerpolnischen Gebieten einströmenden neuen polnischen Bewohner. Anhaltende Ausschreitungen, Übergriffe und Gewalttaten, die nun auch von Polen, insbesondere in den Gefängnissen und Internierungslagern, verübt wurden veranlaßten viele, alles aufzugeben und noch vor der Vertreibung nach Westen zu flüchten. Haß und Vergeltung für die entsetzlichen Verbrechen, die das polnische Volk während der deutschen Besatzungsherrschaft erleiden mußte, trafen wiederum unterschiedslos Schuldige und Unschuldige, zumeist jedoch Unschuldige. Systematische Ausplünderungen und generelle Enteignungen, ständige Erniedrigungen, Drangsalierungen und Mißhandlungen, die permanente Drohung von Deportation und Internierung, schließlich Seuchen, schwere Krankheiten und die Entbehrung oft auch der notwendigsten Nahrungsmittel: dies waren die Umstände, die zur Zerstörung der Lebensgrundlagen der deutschen Bevölkerung führten und schließlich — oft von einer Stunde zur anderen — in der endgültigen Verjagung aus der Heimat gipfelten.

In der Tschechoslowakei setzten die Vertreibungen unmittelbar nach der deutschen Kapitulation ein. Vorausgegangen war der tschechische Aufstand vom 5. Mai 1945, der unter der in den Straßen Prags unablässig durch Lautsprecher verbreiteten Parole „Smrt Nmcum — Tod den Deutschen" zu fürchterlichen Racheakten unter der deutschen Bevölkerung im Sudetenland und in Böhmen und Mähren geführt hatte In Prag kam es zu blutigen Massenausschreitungen, denen alle Deutschen ausgesetzt waren: „Mörder durften ungestraft töten, Sadisten ohne Furcht vor einem Gericht quälen, Räuber und Diebe sich bereichern, wie es ihnen gerade in den Sinn kam." In Gruppen zusammengetrieben, wurden viele unter Mißhandlungen und Erniedrigungen zu Aufräumungsarbeiten gezwungen, ständig bedroht von Gewaltakten aufgebrachter und aufgeputschter Tschechen. Vielen blieb nur der Sprung in die Moldau als Ausweg, um der Angst vor Schlägen und Foltern, um der Verzweiflung ein Ende zu machen. Rache und Vergeltung für die jahrelange Unterdrückung durch das NS-Regime, insbesondere für die Opfer des von Deutschen verübten Massakers in Lidice, bestimmten das Verhalten vieler Tschechen gegenüber der deutschen Bevölkerung im ganzen Land. Die Ereignisse von Prag wiederholten sich in anderen Städten in vielfacher Weise. Auch dort ereigneten sich Mißhandlungen und Demütigungen, gab es Morde und Exekutionen. Die Zahl der Opfer des Aufstandes wird auf 3 500 bis 4 000 Zivilisten geschätzt. Aber auch in diesem Meer des Hasses und der Vergeltung gab es Lichtblicke, wenn sich z. B., wie zahlreiche Berichte dokumentieren, Tschechen schützend vor ihre deutschen Bekannten stellten und sie unter Einsatz des eigenen Lebens aufnahmen und in sichere Verstecke brachten.

Dem Aufstand folgten erste „wilde" Vertreibungsaktionen. Zehntausende von Sudetendeutschen wurden in den Wochen nach der Kapitulation zur Flucht an die deutsche oder österreichische Grenze gezwungen. Die Deutschen der mährischen Hauptstadt Brünn, 20 000 Männer, Frauen und Kinder, hatten am Abend des 30. Mai 1945 genau zehn Minuten Zeit, ihre Habseligkeiten zu packen und ihre Häuser zu verlassen. Nachdem man ihnen sämtliche Wertsachen abgenommen hatte, wurden sie durch die Nacht zur österreichischen Grenze getrieben, (dort von den Österreichern zurückgewiesen, von den Tschechen aber nicht wieder aufgenommen. Wochenlang vegetierten sie auf freiem Feld, gequält von

Hunger und Typhus. Es starben täglich Hunderte Der „Todesmarsch von Brünn" sollte sich in vielen Orten im Sudetenland, Böhmen und Mähren wiederholen. Die noch Zurückbleibenden mußten auch hier die systematische Zerstörung ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebensgrundlagen erleben. Gequält und geprügelt, diskriminiert und gedemütigt, gebrandmarkt mit einem großen „N" (Nemec = Deutscher) wurden die Deutschen der Tschechoslowakei um ihre Heimat, um Haus und Hof gebracht

Ein Blutbad ereignete sich am 31. Juli 1945 im sudetendeutschen Aussig an der Elbe, als man unter der tschechischen Bevölkerung eine Explosion im Kabelwerk den „Werwölfen" zuschrieb. Frauen und Kinder wurden von der Brücke in die Elbe gestürzt, viele Menschen auf der Straße erschossen. Insgesamt gab es zwei-bis dreitausend Todesopfer Auch in den übrigen Landesteilen folgte man den von tschechischen Zeitungen verbreiteten Aufrufen, die Deutschen so zu behandeln, „wie sie es verdienen" Eine gewisse Ausnahme bildete der vorübergehend von amerikanischen Truppen besetzte westliche Teil Böhmens, wo schlimmere Exzesse verhindert werden konnten. Letztlich aber ereilte die Deutschen in Eger und Marienbad das gleiche Vertreibungsschicksal wie die Bewohner der russisch besetzten Städte Karlsbad, Aussig und Reichenberg.

Mit deutlichem Entsetzen beschrieb die gemischte Hilfskommission des Internationalen Roten Kreuzes das Elend der in Berlin und den vier Besatzungszonen ankommenden „entwurzelten Massen", die „hungernd, krank und müde, oft voller Ungeziefer ... bald in diese, bald in eine andere Richtung" zogen und immer weitergeschickt wurden. Hunderte von fast zu Tode verhungerten Kindern aus Pommern, die im Sommer 1945 an Ungeziefer und Krätze leidend per Schiff in Berlin landeten, machten Sinnlosigkeit und Unmenschlichkeit des Vertreibungsgeschehens besonders deutlich Auch die mit den Potsdamer Beschlüssen eingeleitete zweite Phase der Austreibungen zeichnete sich dadurch aus, daß die von den Westmächten festgeschriebene „ordentliche und humane Durchführung“ in keiner Weise realisiert wurde. Schon gar nicht ließ sich der im Artikel XIII ausdrücklich genannte Aufschub von Ausweisungsaktionen bis zur Herstellung von besseren Aufnahmebedingungen in den Besatzungszonen durchsetzen. Die entsetzlichen Umstände, unter denen sich Austreibung und Auszug der Deutschen aus dem Osten vollzogen, sowie das Schicksal der Millionen, von denen jede Nachricht fehlte, beschäftigte nun auch Churchill in seiner Unterhausrede vom 15. August 1945. Zu Recht vermutete er, „daß eine Tragödie ungeheuren Ausmaßes sich hinter dem Eisernen Vorhang, der Europa gegenwärtig teilt, abspielt"

Zunehmend wurden auch westliche Behörden und Journalisten auf die unmenschlichen Lebensverhältnisse der Vertriebenen aufmerksam Sie berichteten über den hoffnungslosen Mangel an Nahrungsmitteln und Medikamenten, die hohe Sterblichkeit, die willkürlichen Drangsalierungen, vor deren Hintergrund die Austreibung. schließlich als Ausweg erschien und nicht als gewälttätiger Eingriff, der er doch war. Sie sahen die in überfüllten, z. T. offenen Güterwagen und Viehwaggons zusammengepferchten Menschen, hörten von den mehrfachen Ausplünderungen vor der Abfahrt und während des tagelangen Transports, registrierten die Folgen der gänzlich unzureichenden Verpflegungsrationen. Sie erlebten das Massenelend bei der Ankunft und erschraken über die hohe Zahl von Todesopfern, die z. T. aus den fahrenden Zügen geworfen werden mußten. In einem aus Troppau kommenden sudetendeutschen Vertriebenentransport, der achtzehn Tage unterwegs war, hatten -von 2 400 Personen nur 1 350 überlebt. „Hier ist Strafe im Übermaß", schrieb der politische Berater der amerikanischen Militärregierung in Berlin, Robert Murphy, am 12. Oktober 1945 an das amerikanische Außenministerium, als sich beim Anblick von Leid und Verzweiflung der Ausgetriebenen die Erinnerung an die nationalsozialistischen Konzentrationslager einstellte, „aber nicht für die Parteibonzen, sondern für Frauen und Kinder, die Armen, die Kranken"

Von „organisierten" Umsiedlungen konnte man erst in den Jahren 1946 und 1947 sprechen, lange nachdem am 20. November 1945 der Alliierte Kontrollrat in Berlin Richtlinien für die Umsiedlung von Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn erlassen hatte. Die darin aufgestellten Zeitpläne wurden zunächst kaum beachtet, und trotz der Proteste der Westmächte setzte man die ungeregelten Ausweisungsaktionen fort. Weder die westlichen Regierungen noch das Internationale Rote Kreuz erhielten die Gelegenheit, die Umsiedlungsverfahren zu beobachten oder gar zu überwachen. Ihre Tätigkeit beschränkte sich auf Hilfeleistungen in den Aufnahmegebieten. Nur allmählich faßte man 1946/47 größere Gruppen in organisierten Transporten zusammen, „die sicher ebenso schwer auf den Ausgewiesenen lasteten, wie die ersten Vertreibungen, aber längst nicht mehr so viele Todesopfer forderten" Es wurden Verpflegungsrationen vereinbart, die allerdings zunächst kaum eingehalten wurden. Der körperliche Zustand der Ankömmlinge war nach wie vor sehr schlecht. Immer noch empfanden ausländische Beobachter die Zustände als „alptraumhaft" und den Vorgang der Massenentwurzelung insgesamt als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit"

Doch tatsächlich verbesserten sich die äußeren Verhältnisse. Eine britische Sanitätsmannschaft überwachte in Stettin die Zusammenstellung der Transporte, die Sterblichkeitsquote sank deutlich. Eine Wiederholung der Katastrophe des Winters 1945/46, als Tausende an Unterkühlung starben oder während der langen Transporte in ungeheizten Wagen erfroren, konnte vermieden werden. Auch die Aufnahme der Vertriebenen in den Besatzungszonen konnte spürbar verbessert werden

Demgegenüber lebten die Deutschen, die nicht sofort vertrieben wurden, weiterhin in schlimmen Verhältnissen. Ein besonders furchtbares Schicksal erlebten jene, die nicht in ihren Wohnungen bleiben durften, sondern bis zur Ausweisung in Lagern interniert waren. Die Berichte dokumentieren unmenschliche Verhältnisse, Hunger, Krankheiten, Seuchen, dazu brutale Übergriffe, Mißhandlungen, Folterungen und Exekutionen. Beson-ders bekannt geworden sind entsetzliche Geschehnisse, die sich im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt in der Tschechoslowakei sowie im berüchtigten schlesischen Lager Lamsdorf ereigneten. Nach Bezeugung eines ehemaligen deutschen Lagerarztes sind in Lamsdorf durch Hunger, Krankheiten, harte Arbeit und körperliche Mißhandlungen von 8 460 Internierten 6 488, darunter 628 Kinder, umgekommen

Ähnliche Verhältnisse, die in einigen Fällen zu Verfahren vor deutschen oder alliierten Gerichten in den Westzonen führten, sind aus zahlreichen anderen Lagern in Polen bzw.den deutschen Ostgebieten, in der Tschechoslowakei, auch in Jugoslawien, Ungarn und Rumänien bezeugt. Bemühungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, die Umstände zu mildern, blieben erfolglos. Als seine Vertreter im Sommer 1947 Zutritt zu einigen polnischen Lagern erhielten, waren die meisten Deutschen schon vertrieben, viele Lager, darunter auch Lamsdorf, bereits aufgelöst.

Ab 1947/48 war ein deutliches Absinken der Zahl der Vertreibungstransporte zu beobachten. Wirtschaftliche Schwierigkeiten, insbesondere niedrigere Produktionskapazitäten, hatten sich — neben anderen — als unübersehbare Folgen der Vorgänge in den Vertreibungsgebieten herausgestellt. Wohl auch aus diesen Gründen wurden ab 1949 die Massen-austreibungen allmählich eingestellt. 1950 waren in den ehemaligen Ostgebieten und in der Tschechoslowakei noch rund 1, 35 Millionen Deutsche zurückgeblieben.

Die in den deutschen Siedlungsgebieten Südosteuropas ansässigen bzw. nach den zwischenstaatlich vereinbarten Umsiedlungen seit 1939 dort verbliebenen Volksdeutschen ‘wurden zu einem großen Teil ebenfalls von den Katastrophen des Flucht-und Vertreibungsgeschehens erfaßt Auch für diese Gebiete liegt eine Vielzahl von Erlebnisberichten vor, die einmütig Verzweiflung, Erniedrigungen, Plünderungen, Deportationen, Vergewaltigungen und Tötungen bei der Besetzung durch sowjetische Truppen sowie Drangsalierungen, Internierungen, Mißhandlungen und anschließende völlige Entwurzelung aus der angestammten Heimat eindringlich schildern. Dies gilt vor allem für die starke deutsche Volksgruppe in den nach der deutschen Besetzung Jugoslawiens 1941 dem Reich angegliederten slowenischen Gebieten (Süd-) Kärnten, Krain und Untersteiermark, einschließlich der zuvor hier aus anderen Teilen Jugoslawiens angesiedelten Volksdeutschen. Flucht und Vertreibung waren auch das Schicksal der Deutschen aus der 1939 bis 1944/45 als formal selbständiger Staat bestehenden Slowakei und der Karpatendeutschen aus dem östlichsten Teil des Staatsgebiets der Tschechoslowakei. Hier sind schwere und blutige Übergriffe vor allem im Zusammenhang mit dem slowakischen Aufstand gegen die deutsche Wehrmacht 1944 belegt Gleiches gilt für die deutsche Bevölkerung Slawoniens im jugoslawischen Staatsgebiet sowie mit Einschränkung für jene 10 bis 15 Prozent der deutschen Bevölkerung aus Ungarn, die sich zur Flucht vor der herannahenden Roten Armee entschlossen und nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren konnten. Auch in den von den zwischenstaatlich vereinbarten Umsiedlungen seit 1939 betroffenen Gebieten, insbesondere in Rumänien, Jugoslawien, Ostpolen und Bulgarien, haben die nach den Umsiedlungsaktionen noch in erheblicher Zahl zurückgebliebenen Volksdeutschen gegen Ende der Kriegshandlungen durch Flucht und Vertreibung das gleiche Schicksal erlitten wie ihre im Wartheland und Slowenien angesiedelten Landsleute. Dies führte entweder zur Flucht in den Westen oder zur Zwangsrepatriierung in die angestammten Siedlungsgebiete mit häufiger anschließender Verschleppung zum Arbeitseinsatz im Innern der Sowjetunion.

In einigen größeren deutschen Siedlungsgebieten Rumäniens, Ungarns und Jugoslawiens, die nicht von den Umsiedlungen ab 1939 betroffen waren — so in Siebenbürgen und Sathmar, im Banat, in der „Schwäbischen Türkei", in West-Ungarn, in der Batschka, Baranja und in Syrmien —, kam es nicht zur planmäßigen Massenaustreibung der deutschen Bevölkerung, obwohl für die Ungarn-Deutschen im Potsdamer Abkommen die Vertreibung generell sanktioniert war. Indessen war das weitere Schicksal der Deutschen in diesen Gebieten gekennzeichnet von langen Internierungen in Lagern unter z. T. lebensbedrohenden Umständen, Verschleppungen und Deportationen zum Arbeitseinsatz in die Sowjetunion unter härtesten Bedingungen und unter hohen Verlusten durch Tod und Krankheit, schließlich von — freilich auf eigenen Wunsch erfolgten — Umsiedlungen nach Österreich und Deutschland.

Das Ergebnis der Kriegs-und Nachkriegs-ereignisse war in jedem Fall eine starke Reduzierung und Zerstreuung der deutschen Bevölkerung — wie im Fall Rumänien —, häufig sogar — wie in Jugoslawien — nicht -nur die Zerstörung des deutschen Charakters der Siedlungsgebiete, sondern auch das Ende der Geschichte des Deutschtums in diesen Gebieten

V. Bedeutung einer Bilanz

1939 lebten in den späteren „Vertreibungsgebieten" rund 17 Millionen Deutsche, davon fast zehn Millionen in den reichsdeutschen Gebieten jenseits von Oder und Neiße und in Danzig, 3, 5 Millionen in der Tschechoslowakei, 1, 4 Millionen in Polen, 786 000 in Rumänien, 623 000 in Ungarn, 537 000 in Jugoslawien, 250 000 in den Baltischen Staaten und im Memelland, das erst im März 1939 zum Reich zurückkam. Die vorliegenden Berechnungen weisen 1, 1 Millionen Kriegsverluste und 2, 2 Millionen Opfer durch Flucht und Vertreibung nach. Rund 11, 7 Millionen Menschen haben durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat verloren, etwa 2, 6 Millionen lebten 1950 noch in ihrer angestammten Heimat. Von ihnen fanden in den folgenden Jahrzehnten noch viele als „Spätaussiedler" den Weg in den Westen.

Die Zahlen sprechen für sich. Die Quellen dokumentieren die menschlichen Schicksale, die sich hinter ihnen verbergen. Jenseits aller angeblichen politischen Zweckmäßigkeit, Minderheitenprobleme durch Umsiedlungen „ein für alle Mal" zu lösen, jenseits aller völkerrechtlichen Interpretationen oder gar Legitimationen, die sich für den Begriff „Bevölkerungstransfer" finden lassen, jenseits auch aller erklärbaren Vergeltungsmotive, die einem Teil der furchtbaren Ereignisse vor dem Hintergrund von Hitlers Barbarei in den besetzten Ländern Osteuropas zugrunde lagen, bleibt der historische Befund bestehen, daß die vom deutschen Boden ausgegangene und von Hitler verschuldete Katastrophe des Zweiten Weltkriegs in einer in der bisherigen Geschichte unbekannten Größenordnung Millionen von Menschen eine oft von entsetzlichen Ausschreitungen und Unmenschlichkeiten begleitete Austreibung aus ihrer angestammten Heimat brachte, die zum . Abbruch jahrhundertealter deutscher politischer und kultureller Traditionen in Ost-Deutschland und Osteuropa" führte

Das moralische Urteil über dieses Geschehen fällte Albert Schweitzer in seiner Osloer Rede vom 4. November 1954 anläßlich der Verleihung des Friedensnobelpreises: „In schlimmster Weise vergeht man sich gegen das Recht des geschichtlichen Gegebenen und überhaupt gegen jedes menschliche Recht, wenn man Völkerschaften das Recht auf das Land, das sie bewohnen, in der Art nimmt, daß man sie zwingt, sich anderswo anzusiedeln." Millionen hat man dieses Schicksal, und dazu noch in härtester Weise, auferlegt. Der unsagbar leidvolle Kreis der Gewalt darf unter keinen Umständen fortgesetzt werden. Die Betroffenen haben dazu bereits 1950 mit ihrem feierlichen Verzicht auf Rache und Vergeltung in der „Charta der Deutschen Heimat-vertriebenen" einen richtungweisenden Beitrag geleistet.

40 Jahre nach Ende der blutigen Herrschaft des NS-Regimes stehen die Namen von Auschwitz, Treblinka, Majdanek, Lidice, Ora-dour, Rotterdam und Coventry, aber auch von Nemmersdorf, Metgethen, Königsberg, Lamsdort, Aussig und Dresden als ständige Mahnung, jederzeit für eine menschliche Zukunft ohne Terror, Verbrechen, Flucht und Vertreibung einzutreten, damit der Tod von Millionen Menschen vieler Nationen vielleicht doch nicht ganz umsonst gewesen sein mag.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mittel-Europa, hrsg. vom Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, bearbeitet von Theodor Schieder, Bde. I—V, 3 Beihefte, Bonn 1953— 1961, unveränderter Nachdruck (ohne Beihefte) im Deutschen Taschenbuch Verlag (dtv), München 1984.

  2. Alfred M.de Zayas, Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen. Vorgeschichte, Verlauf, Folgen, München 1977 (hier zitiert nach der Taschenbuch-Ausgabe bei dtv, München 19812); Originalausgabe unter dem Titel „Nemesis at Pots-

  3. Vgl. Das Bundesarchiv und seine Bestände, hrsg. von Gerhard Granier, Josef Henke, Klaus Oldenhage, Boppard 19773, S. 713 ff.

  4. Vgl. Werner Conze, Die Dokumentation der Vertreibung. Ein Beispiel zeitgeschichtlicher Methode, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, 5 (1954), S. 236— 238; Martin Broszat, Massendokumentation als Methode zeitgeschichtlicher Forschung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2 (1954), S. 202— 213; Theodor Schieder, Die Vertreibung der Deutschen aus dem Osten als wissenschaftliches Problem, in: Vierteljahrshefte für Zeit-geschichte, 8 (1960), S. 1— 16.

  5. Vgl. z. B. die bei Wilfried Ahrens, Verbrechen an Deutschen. Dokumente der Vertreibung, Arget 19842, S. 48 ff., zusammengestellten Verlautbarungen im Zusammenhang mit der Diskussion um die Freigabe der vom Bundesarchiv im Auftrag der Bundesregierung erstellten „Dokumentation der Vertreibungsverbrechen" (Bundesarchiv-Bestand Ost-Dok. 1 Anhang).

  6. Ahrens (Anm. 5), S. 51 ff.

  7. Darauf haben auch die Autoren der „Dokumentation der Vertreibung" (Anm. 1) unermüdlich hingewiesen; vgl. z. B. Schieder (Anm. 4), S. 13.

  8. Vgl. Klaus-Dietmar Henke, Der Weg nach Potsdam — Die Alliierten und die Vertreibung, in: Wolfgang Benz (Anm. 2), S. 49— 69, dort auch weiterführende Literaturangaben. Herrn Henke danke ich sehr für seine Bereitschaft, mir sein Manuskript vorab zur Verfügung zu stellen. Auf seine Thesen stützen sich im wesentlichen die Darlegungen in diesem Abschnitt.

  9. So der britische Außenminister Lord Curzon auf der Konferenz von Lausanne 1923, auf der die Umsiedlung von Griechen und Türken beschlossen wurde. Zit. nach K. -D. Henke (Anm. 8), S. 50.

  10. Schieder (Anm. 4), S. 11.

  11. K. -D. Henke (Anm. 8), S. 50.

  12. Ebd., S. 53.

  13. Im einzelnen K. -D. Henke (Anm. 8) und insbesondere zur Haltung der Westmächte de Zayas (Anm. 2).

  14. K. -D. Henke (Anm. 8), S. 59. Zitat aus Churchills Unterhausrede vom 15. 12. 1944.

  15. Ebd., S. 65.

  16. Ebd., S. 68.

  17. George F. Kennan, Memoiren eines Diplomaten, Stuttgart 1967, S. 269. Allgemeine Darstellungen der Ereignisse in: Dokumentation der Vertreibung (Anm. 1), Bd. 1/1, bei de Zayas (Anm. 2), S. 79ff„ sowie Jürgen Thorwald, Es begann an der Weichsel, Stuttgart 1956; ders., Das Ende an der Elbe, Stuttgart 1958; neuerdings Günter Böddeker, Die Flüchtlinge. Die Vertreibung der Deutschen im Osten, München — Berlin 1980; Frank Grube/Gerhard Richter, Flucht und Vertreibung. Deutschland zwischen 1944 und 1947, Hamburg 1980, sowie Wolfgang Benz (Hrsg.), (Anm. 2).

  18. Speziell zu den Ereignissen in Ostpreußen s. Hans Graf von Lehndorff, Ostpreußisches Tagebuch, München 1961 (Taschenbuchausgabe bei dtv), sowie Edgar Günther Lass, Die Flucht. Ostpreußen 1944/45, Bad Nauheim 1964.

  19. Vgl. u. a.de Zayas (Anm. 2), S. 80ff., Böddeker (Anm. 17), S. 11 ff., Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 7 ff. Speziell zum Aspekt der im Zusammenhang mit dem Flucht-und Vertreibungsgeschehen an Deutschen begangenen Verbrechen s. die Dokumentation der Vertreibungsverbrechen (Bundesarchiv — künftig: BArch — Ost-Dok. 1 Anhang), insbesondere den zusammenfassenden Bericht des Bundesarchivs an den Bundesminister des Innern vom 28. Mai 1974 (BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387), sowie die im wesentlichen aus den Quellen des Bundesarchivs erarbeiteten Publikationen von Heinz Nawratil, Vertreibungsverbrechen an Deutschen. Tatbestand, Motive, Bewältigung, München 1982, und Wilfried Ahrens, Verbrechen an Deutschen (Anm. 5).

  20. Vgl.de Zayas (Anm. 2), S. 80.

  21. Vgl. Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 10 E ff.; Lass (Anm. 18), S. 11 f.

  22. Vgl. Lass (Anm. 18), S. 11; Böddeker (Anm. 17), S. 21.

  23. Vgl. Leserbrief in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nr. 35 vom 11. 2. 1985 und Erwiderung von Gotthold Rhode in Nr. 53 vom 4. 3. 1985; -vgl. auch de Zayas (Anm. 2), S. 90f.

  24. Neben der in Anm. 19 genannten Literatur zu Vertreibungsverbrechen vgl. Böddeker (Anm. 17), S. 80ff., und Lass (Anm. 18), S. 215ff.

  25. Speziell zu Pommern s. Käthe von Normann, Tagebuch aus Pommern, München (dtv) 1962; Hans Edgar Jahn, Pommersche Passion, Preetz 1974, sowie Helmut Lindenblatt, Pommern 1945, Leer 1984.

  26. Speziell zu Schlesien s. Johannes Kaps, Die Tragödie Schlesiens 1945/46 in Dokumenten, München 1952/53; Rolf Becker, Niederschlesien 1945, Bad Nauheim 1965; Wolfgang Schwarz, Die Flucht und Vertreibung. Oberschlesien 1945/46, Bad Nauheim 1965; Karl Friedrich Grau, Schlesisches Inferno, Stuttgart 1966.

  27. Böddeker (Anm. 17), S. 188 ff. Zu den Ereignissen im Sudetenland und in Böhmen und Mähren vgl. Dokumentation (Anm. 1), Bd. IV/1— 2; Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung sudetendeutscher Interessen, München 19514; E. Fränzel, Die Vertreibung — Sudetenland 1945/46, 1967.

  28. BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387, S. 18.

  29. Vgl. allgemein de Zayas (Anm. 2), S. 84 ff., BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387, S. 16 ff.; Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 61 E f.

  30. BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387, S. 19.

  31. Ebd., S. 21.

  32. de Zayas (Anm. 2), S. 85 f.

  33. Alexander Solschenyzin, Ostpreußische Nächte, Darmstadt 1976, S. 35. Geschildert ist die Einnahme der ostpreußischen Kreisstadt Neidenburg.

  34. Zum folgenden s. Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 63 E ff.; BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387 sowie die in Anm. 19 angegebene Literatur.

  35. So noch Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 63 E; dagegen BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387, S. 26.

  36. Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 65 E.

  37. VgL Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1 S. 60 E ff.; BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387, S. 31 ff.; Lehndorff (Anm. 18), S. 133, schildert die Begegnung mit einer Frau, die weit über hundert Mal vergewaltigt worden war. Zitat nach Wolf Jobst Siedler, Was im Mai 1945 wirklich geschah, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 103, v. 4. 5. 1985 (Beilage).

  38. Zu den Deportationen vgl. Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 79 E ff., de Zayas (Anm. 2), S. 90, Böddeker (Anm. 17), S. 157 ff.

  39. BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387, S. 35. Zu besonders großen Verlusten kam es in Königsberg; nach Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen, Bd. III, Köln-Wien 1971, S. 170 ff., hatten von 110 000 Zivilisten, die bei der Kapitulation in der Stadt waren, nach dem Winter 1946/47 nur noch 25 000 überlebt.

  40. Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 66 E f.

  41. Vgl. Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 23 E ff.; de Zayas (Anm. 2), S. 96 f.

  42. Zum Gesamtvorgang der Vertreibung durch Polen und Tschechen s. Dokumentation (Anm. 1), Bd. 1/1, S. 136 E ff., Bd. IV/1, S. 38ff., sowie die in den Bänden 1/1— 2 und IV/1— 2 abgedruckten Dokumente; de Zayas (Anm. 2), S. 123 ff.; Böddeker (Anm. 17).

  43. Vgl. BArch Ost-Dok. 1 Anhang/387, S. 35 ff.

  44. Vgl. Böddeker (Anm. 17), S. 197 ff.; Dokumentation (Anm. 1), Bd. IV/1, S. 51 ff., sowie 2. Beiheft: Ein Tagebuch aus Prag 1945— 46. Aufzeichnungen von Margarethe Schell, Bonn 1957 (im dtv-Nachdruck nicht aufgenommen).

  45. Böddeker (Anm. 17), S. 202.

  46. Ebd., S. 211 ff.: de Zayas (Anm. 2), S. 125.

  47. Vgl. Böddeker (Anm. 17), S. 213; de Zayas (Anm. 2), S. 125.

  48. Vgl. Böddeker (Anm. 17), S. 231.

  49. Vgl.de Zayas (Anm. 2), S. 126f. Ein gnadenloses, blutiges Strafgericht hatte Staatspräsident Bene den Deutschen in der Tschechoslowakei bereits während des Krieges unter dem Eindruck des Massakers von Lidice angekündigt (vgl. Böddeker, Anm. 17, S. 200 f.)

  50. de Zayas (Anm. 2), S. 127.

  51. Ebd., S. 128.

  52. Zum folgenden de Zayas (Anm. 2), S. 129 ff.; Böddeker S. 290 ff.

  53. Zitiert nach de Zayas (Anm. 2), S. 132.

  54. Ebd., S. 124.

  55. Ebd., S. 138.

  56. de Zayas, ebd., S. 138, nimmt an, daß ohne diese Verbesserungen die Zahl der Flucht-und Vertreibungsopfer nicht zwei, sondern drei Millionen betragen hätte.

  57. Heinz Esser, Lamsdorf — Dokumentation über ein polnisches Vernichtungslager, Bonn 1971; ders., Die Hölle von Lamsdorf, Dülmen 1977; vgl. auch de Zayas (Anm. 2), S. 141 ff.; Böddeker (Anm. 17), S. 247 ff.; BArch Ost-Dok. 2/236 a—f.

  58. Zum folgenden Dokumentation (Anm. 1), Bde. II (Das Schicksal der Deutschen in Ungarn), III (Das Schicksal der Deutschen in Rumänien) und V (Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien); zu Jugoslawien auch Böddeker (Anm. 17), S. 339 ff.

  59. Vgl. Dokumentation (Anm. 1), Bd. IV/1, S. 137ff., Bd. IV/2, S. 711 ff., Böddeker (Anm. 17), S. 330 ff.

  60. Nicht berücksichtigt — auch auf Grund der ungenügenden Quellenlage — bleibt in der „Dokumentation der Vertreibung“ (Anm. 1) das Schicksal der deutschen Siedlungsgebiete im Innern der Sowjetunion, der Rußlanddeutschen. Die im Zuge der Gesamterhebung des Kirchlichen Suchdienstes präsentierten Statistiken der zuständigen „Heimatortskartei für Ostumsiedler" konnte nur jene Gebiete erfassen, die während des Zweiten Weltkrieges unter deutscher Besetzung standen. Immerhin reichen die vorhandenen Informationen aus, um auch hier von einer weitgehenden Entwurzelung der deutschen Bevölkerung aus vormals geschlossenen Siedlungsräumen ausgehen zu können.

  61. Vgl. im einzelnen Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Die deutschen Vertreibungsverluste. Bevölkerungsbilanzen für die deutschen Vertreibungsgebiete 1939/50, Wiesbaden 1958; Zusammenstellung der Zahlen bei de Zayas (Anm. 2), S. 23 f.

  62. Martin Broszat, Nachruf auf Theodor Schieder, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 32 (1984), S. 689 f.

  63. Zitiert nach de Zayas (Anm. 2), S. 193.

  64. Abdruck u. a. bei Böddeker (Anm. 17), S. 364 ff.

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