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Die französische Friedensbewegung | APuZ 19/1985 | bpb.de

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APuZ 19/1985 Artikel 1 Mitterrands Wirtschaftspolitik — Was bleibt vom *) Sozialismus? Frankreichs Außenpolitik nach de Gaulle (1974— 1984) Frankreichs Bindungen zur Dritten Welt Tradition, Wirtschaftsinteresse, P*restige *) Die französische Friedensbewegung

Die französische Friedensbewegung

Johannes M. Becker

/ 22 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Inmitten der erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb der NATO-Staaten um den Doppelbeschluß des nordatlantischen Bündnisses wird in Frankreich der Sozialist Francois Mitterrand Staatspräsident und bildet eine sozialistisch-kommunistische Regierung. Die Friedensbewegung unseres Nachbarlandes bleibt schwach und ist überdies gespalten. Mit drei Friedensorganisationen stehen sich — vereinfacht — zwei politische Strömungen gegenüber. Das „Mouvement de la Paix" und der , Appel des Cent" als die dominierenden Kräfte lehnen sich stark an kommunistische und linkssozialistische Kreise an und haben bis zum Bruch der Linksregierung aus PS und PCF im Sommer 1984 die Militärpolitik Mitterrands in ihrem zentralen Punkt, der „Force de frappe", nicht angegriffen. Das linksradikale friedenspolitische Bündnis C. O. D. E. N. E. hingegen erklärt die französische Atombewaffnung für disponibel; gleichzeitig greift es scharf die Politik des PCF wie auch die der Sowjetunion an. Ob die heutige Oppositionspolitik des PCF Bewegung in die französische Friedensbewegung bringen wird, bleibt abzuwarten.

I. Einleitung

Während in der ersten Hälfte der achtziger Jahre in nahezu allen westeuropäischen Staaten und den USA infolge des NATO-Doppel-beschlusses und der schließlich begonnenen Stationierung von Cruise Missiles und Pershing II starke Protestbewegungen entstanden, blieb Frankreich von dieser Entwicklung weitgehend unberührt. Während in den USA für viele Beobachter unerwartet, hunderttausende für „freeze", gegen Massenarbeitslosigkeit und Massenelend demonstrierten, während in England die Frauen von Greenham Common mit ihrer spektakulären Dauerbesetzung viel Sympathie im In-und Ausland erwarben, während die Friedensbewegung in der Bundesrepublik mit der Ulmer Menschenkette und der zu neuem Leben erweckten Ostermarschtradition vielleicht die eindrucksvollsten Zeichen setzte, wartete man in Frankreich vergeblich auf derartige Ereignisse. Und wenn in Paris, das zudem von der einzigartigen Zentralstruktur der Nation (mit elf von 55 Millionen Einwohnern in seinem Großraum) profitieren konnte, 500 000 Menschen zu einem „Fest für den Frieden" (im Bois de Vincennes 1982) zusammenkamen, dann war dies nur möglich unter so wenig konkreten Parolen wie , Jaime la Paix — Jaime la Vie“ (Ich liebe den Frieden — Ich liebe das Leben).

Wenn W. v. Bredow über die „Zusammensetzung und Ziele der Friedensbewegung in der Bundesrepublik Deutschland" schrieb, diese Friedensbewegung sei „nicht in der Lage, ein über ihre Ablehnung von allgemeiner und spezieller Aufrüstung hinausgehendes politisches Konzept zu entwerfen“, so muß diese These für die französische Seite noch präziser gefaßt werden: Der überwiegende Teil dieser Bewegung formuliert nicht einmal ihre Ablehnung einer „speziellen Aufrüstung“, vor allem was politische Spezifika angeht.

Die Friedensbewegung in Italien, in der Bundesrepublik, in Holland und anderswo hatte mit ihrem „Nein" zu neuen Atomraketen durchaus politische Dimensionen der amerikanischen Militärstrategie angegriffen. Diese Zielsetzung ist der französischen Bewegung weitgehend verlorengegangen.

Die französische Friedensbewegung ist schwach, obwohl Frankreich in dieser ersten Hälfte der achtziger Jahre das einzige von der Stationierung neuer amerikanischer Raketen — wenn auch indirekt — betroffene, westliche Land ist, in dem die parlamentarische Linke die Regierungsgewalt besitzt. Dem Beobachter drängt sich bei Kenntnis der Grund-anlage der derzeit betriebenen Außen-und Militärpolitik die Frage auf, ob die Friedensbewegung jenseits des Rheins nicht gerade deshalb so unbedeutend ist, weil die traditionellen Pfeiler einer jeden Friedensbewegung, Sozialisten und Kommunisten, bis vor kurzem gemeinsam, heute allein durch den Parti Socialiste vertreten, in Frankreich in der Regierungsverantwortung stehen.

II. Militärpolitische Optionen des Parti Socialiste (PS) und des Parti Communiste Francais (PCF)

Das zu Beginn der siebziger Jahre von PS und PCF erarbeitete und 1972 als „Programme commun" verabschiedete Grundsatzpapier für die Zusammenarbeit von Sozialisten, Linksli-* beralen und Kommunisten im Falle ihres Wahlsieges stand in Fragen der Militärpolitik durchaus in der Tradition linker Programmatik in Frankreich Nach der Deklaration von „allgemeiner), weltweiter) und kontrollierte(r) Abrüstung" als „Hauptziel der Regierung" wurde in dem Dokument konkret auf Frankreich bezogen gefordert: „Verzicht auf strategische atomare Bewaffnung jeder Art, sofortige Einstellung der französischen Atomwaffenproduktion, planmäßige Umstellung der Atomwaffenindustrie in eine friedlichen Zwecken dienende Atomindustrie unter Wahrung der Interessen der betroffenen Werktätigen."

Doch die ursprünglich feste Haltung von PS und PCF in dem entscheidenden Punkt der Militärpolitik der V. Republik, in Bezug auf die „Force de frappe", die von Staatspräsident General de Gaulle geschaffene nukleare Abschreckungsmacht, verlor in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zunehmend an Klarheit Mit unterschiedlichen Motivationen wandelte sich die Militärstrategie der Sozialisten zur vollen Bejahung der „Force de frappe", die der Kommunisten immerhin zu einer Anerkennung ihrer Existenz.

Beide maßgeblichen Initiatoren des „Programme commun" zogen aus der Entwicklung der Jahre nach 1972, die zwar von einer steigenden Popularität der Linken insgesamt gekennzeichnet war, ihr jedoch den entscheidenden (Wahl-) Durchbruch nicht gebracht hatte, unterschiedliche Konsequenzen. Der „Parti Socialiste" suchte sein neu gewonnenes eindeutiges Übergewicht innerhalb des linken Lagers durch einen gezielten Antisowjetismus und Antikommunismus in eine langfristige Marginalisierung des PCF umzumünzen — Antisowjetismus, da die „Force de frappe“ unter Mitterrands Wendung zum Atlantismus eindeutig antisowjetisch gerichtet war und ist. Die Kommunistische Partei ihrerseits verfolgte das Kalkül, verlorenes Terrain innerhalb der Linken durch einen militärpolitischen „Neogaullismus" wettzumachen. Den Mitgliedern und Wählern versuchte die Parteiführung ihre Wende mit der Pointierung des gaullistischen Theorems von der Wirkung „tous azimuts", „in alle Richtungen", akzeptabel zu machen.

Die seit Mai/Juni 1981 von PS und PCF gemeinsam betriebene, freilich unter sozialistischer Dominanz stehende Militärpolitik basiert folglich wesentlich auf der Existenz der strategischen und taktischen Atomstreitkräfte und sieht deren Ausbau in den nächsten Jahren vor Die militärische Kooperation mit der NATO wurde intensiviert, wenn auch ein formeller Wiedereintritt in deren integrierte Organisationen nicht auf der Tagesordnung steht

Viele Äußerungen und Spekulationen um eine stärkere Westeuropa-Komponente innerhalb der NATO von Seiten der Regierung Mitterrand liefern Belege für diese Entwicklung. Die außenpolitischen Beziehungen zu den Ländern Osteuropas, namentlich der UdSSR, sind abgekühlt, was sich in der Befürwortung und Forderung der amerikanischen Raketenstationierung durch die dominierenden sozialistischen Kräfte der Regierung äußerte: Die „Vorrüstung der Sowjetunion mit SS-20-Raketen", so Staatspräsident Mitterrand, habe ein militärisches Ungleichgewicht, vor allem in Mitteleuropa, geschaffen, das nur durch die Installierung von Pershing II und Cruise Missiles beseitigt werden könne; die Ereignisse in Afghanistan und Polen hätten überdies die Außenpolitik der Sowjetunion ausreichend als expansionistisch qualifiziert. Die Kommunistische Partei verfolgte in der Nachrüstungsdiskussion und in der Osteuropa-Politik eine Doppelstrategie: Zu Zeiten ihrer Regierungsbeteiligung hielten sich die PCF-Minister an die im Regierungsabkommen vom Juni 1981 verabschiedete „uneingeschränkte Solidarität“, um die Regierungsbeteiligung des PCF nicht zu gefährden. Die außerhalb der Regierung agierende Parteiführung und der kommunistische Medienapparat verurteilten die amerikanische (und bundesdeutsche) Stationierungspolitik vehement und forderten Francois Mitterrand energisch auf, sich von der amerikanischen Strategie zu distanzieren sowie auf die Verhandlungsangebote der Sowjetunion einzugehen.

III. Das „Mouvement de la Paix"

Die französische Friedensbewegung besteht im wesentlichen aus drei Teilen: dem zunächst im Mittelpunkt stehenden „Mouvement de la Paix“, dem . Appel des Cent“ sowie dem „Comit pour le Dsarmement Nuclaire en Europe“ (C. O. D. E. N. E.).

Das „Mouvement de la Paix“, die „Bewegung des Friedens“ also, wurde 1949 in Paris gegründet. Es beruft sich in seiner Vorgeschichte auf verschiedene Organisationen der Friedens-und Widerstandsbewegung der Zwischenkriegszeit und der Okkupationsphase. Gründungspräsident war Yves Farges, eine herausragende Persönlichkeit der Resistance und ehemaliger Minister. In seiner jahrzehntelangen Monopolexistenz als friedenspolitisches Forum kann das „Mouvement" auf eine Reihe weltbekannter Persönlichkeiten in seinen Reihen verweisen; in erster Linie Frdric Joliot-Curie, Nobelpreisträger und erster Präsident des Weltfriedensrates (in dem die Organisation auch heute noch aktiv mitarbeitet), Paul Eluard, Vercors, Pablo Picasso, Marcel Paul oder auch Louis Aragon.

Das „Mouvement" wehrte sich gegen die Einbeziehung Frankreichs in die NATO, den Aufbau der Bundeswehr, den Algerien-und Vietnam-Krieg. Zu Beginn der sechziger Jahre war sein Hauptanliegen der Protest gegen den Aufbau der „Force de frappe". Somit ist der politische Standort dieses Teils der französischen Friedensbewegung, ungeachtet der Existenz weiterer Bündnispartner, in unmittelbarer Nähe der Französischen Kommunistischen Partei anzusiedeln. Dies läßt auch heute noch ein Blick auf die Führungspersönlichkeiten der Organisation und ihre engagierten Mitglieder („militants") erkennen. Hier stehen einer absoluten Majorität von PCFund CGT-Anhängern kleinere Gruppen von Sozialisten, in der Führung vor allem Admiral a. D. Sanguinetti und — bis vor einigen Monaten — Pierre Luc Sguillon, und Christen zur Seite.

Nach Aussagen von Mitarbeitern des Sekretariats des „Mouvement de la Paix" hat die Friedensorganisation ca. 20 000 Aktive, die in weiten Teilen Frankreichs in Departement-Räten organisiert sind. Das entsprechende Gremium in der Hauptstadt ist der „Conseil de Paris".

Die Programmatik der „Bewegung des Friedens" hat sich in den letzten Jahren — nicht unbeeinflußt vom Strategiewandel der beiden großen linken Parteien PS und PCF — in einem wichtigen Punkt geändert: Wurde die französische atomare Bewaffnung bis in die späteren siebziger Jahre hinein vehement bekämpft, so waren diese Attacken schon 1977/78 weniger aggressiv und schließlich in der Zeit nach den Wahlen des Jahres 1981 in offiziellen Verlautbarungen nur noch selten auszumachen. Ein Blick auf die wesentlichen Aktivitäten des „Mouvement de la Paix" in den letzten Jahren verdeutlicht die besondere Rolle, die diese Organisation aufgrund ihrer starken Affinitäten zum PCF zu spielen begonnen hat. Dabei ist es weniger wichtig, daß das „Mouvement" gelegentlich einer Selbstüberschätzung hinsichtlich der Quantitäten seiner Demonstrationen unterliegt, damit vor allem der Einschätzung der Breite seiner Bündnisse. Symptomatischer für seine Politik war da schon, daß in einer Reihe von „Mouvement'-Gremien die Absicht verschiedener Initiativen, aus An-laß des Versailler-Besuches von US-Präsident Reagan im Juni 1982 gegen die amerikanischen und NATO-Stationierungspläne zu demonstrieren, mit der Begründung zurückgewiesen wurde, Reagan komme in erster Linie zu einem Wirtschaftstreffen und sei zudem Staatsgast des von den Parteien der Linken erst ein Jahr zuvor gewählten Präsidenten Mitterrand und seiner Regierung. Als sich freilich das dem linksradikalen Spektrum zuzurechnende Bündnis C. O. D. E. N. E. zu einer Anti-Reagan-Demonstration vorbereitete, kam Ende Mai schließlich doch noch der Aufruf zu einem „marche sur Paris“ für den 20. Juni zustande, der wiederum vom „Appel des Cent" initiiert war.

Viele Aktivitäten des „Mouvement" waren in den beginnenden achtziger Jahren von der Sammlung von Unterschriften unter den „Appel de Paris" bestimmt. Dieser Appell vom Oktober 1981 fordert allgemein den Stop der Nuklearrüstung sowie ihre Reduzierung in Ost und West Dieses Vorgehen verliert aber offenbar in Frankreich an Attraktivität. Demonstrierten im Oktober 1981 noch zwischen 50 und 100 000 Menschen an der Porte de Pantin (im europäischen Vergleich ein beachtliches Ergebnis), so bedeutete die gleiche Anzahl von Demonstranten exakt zwei Jahre später im internationalen Vergleich doch einen Rückschlag. Allerdings hatte im gleichen Zeitraum das C. O. D. E. N. E., das sich zumindest gegen die weiteren Nuklear-Ausbaupläne der Regierung Mitterrand wendet, einen Zuwachs an Sympathisanten zu verzeichnen.

IV. Der „Appel des Cent"

Der Appell der hundert Persönlichkeiten Frankreichs trat im Herbst 1981 anläßlich der ersten großen französischen Demonstrationen zum NATO-Doppelbeschluß an die Öffentlichkeit. In einer Selbstdarstellung heißt es: „Der . Appell der Hundert'ist geboren worden aus der Bewußtseinsentwicklung von Persönlichkeiten, die sich in ihren Berufsfeldern (Kunst, Literatur, Sport, Wissenschaft, Medizin, Recht etc:) wie auch in ihren philosophischen, politischen und religiösen Auffassungen unterscheiden, die erschrocken sind, die Welt durch das Verhängnis (faute) der Überrüstung in ihr Verderben gehen zu sehen, und die entrüstet sind, ungeheuerliche Summen verwendet zu sehen für Todeswerkzeuge, obwohl ein kleiner Teil der Reichtümer ausreichen würde, alle Völker, die heute hilfslos ihrem Schicksal überlassen sind, zu ernähren, zu kleiden und zu bilden."

In der Tat ist der „Appel des Cent" von so unterschiedlichen Persönlichkeiten unterzeichnet wie dem Rennfahrer Jean-Claude Andruet, von dem Schriftsteller Louis Aragon, von der Schriftstellerin und Journalistin Catherine Clöment, von den pensionierten Offizieren General Fernand Gambiez und Admiral Sanguinetti, von dem Mediziner Lon Schwarzenberg sowie einer Reihe von politischen Funktions-und Mandatsträgern.

Zwei Dinge fallen jedoch bei einer genauen Betrachtung der „Hundert" auf: mit Michel Langignon (Nationalsekretär des „Mouvement de la Paix"), Admiral Sanguinetti und Pierre-Luc Sguillon u. a. sind führende Repräsentanten des „Mouvement de la Paix" vertreten; mit Jeannine Märest, Georges Sguy, Jacques Denis, Lucien Sve etc. ist der Flügel um die CGT und den PCF stark repräsentiert. Der „Appel des Cent" kennt keine mit dem „Mouvement" vergleichbare Basisarbeit. Von einigen Ausnahmen in größeren Städten abgesehen gibt es kein flächendeckendes Netz von Stadt-oder Departementsgruppen. Vielmehr versucht die Initiative mit Großveranstaltungen, Pressekonferenzen, Petitionen etc. wirksam zu werden, welche von einer Geschäftsstelle und einer Art Exekutivkomittee, das sich in mehrwöchigem Abstand trifft, initiiert und vorbereitet werden.

So organisierte der „Appel des Cent" bisher die mit Abstand größten Friedensmanifestationen der achtziger Jahre in Frankreich. Am 20. Juni 1982 — aus Anlaß der außerordentlichen UNO-Sitzungsperiode zu Problemen des Friedens — folgten seinem Aufruf zum „Marche de la Paix", einem Friedensmarsch durch Paris, nach eigenen Angaben 250 000 Menschen. Ein Jahr später, am 19. Juni 1983, beteiligten sich gar 400 000 bis 500 000 Menschen an der „Fte pour la Paix" im Pariser Bois de Vincennes. Der 28. Oktober 1984 schließlich lieferte nach den oben erwähnten Rückschlägen des „Mouvement de la Paix" vom Oktober 1983 einen weiteren Beweis für das Stagnieren der französischen Friedensbewegung: Wiederum unter der Parole „Jaime la Paix" veranstaltete das „Appel" -Büro einen erneuten „Marche de la Paix" durch Paris. Die realistischen Schätzungen der Teilnehmerzahl bewegten sich zwischen 150 000 und 300 000. Das Spektrum der Unterstützer umfaßte im wesentlichen neben dem „Appel des Cent“ wiederum die Kommunistische Partei Frankreichs und die Gewerkschaft CGT.

Neben großen Demonstrationen verfaßte der „Appel des Cent“ eine Reihe von Petitionen und schickte Abordnungen zu den Genfer Verhandlungen um die Mittelstreckenraketen, Petitionen, die sich dort an die Delegationen der USA und der UdSSR wandten.

Der sozialen Basis seiner Mitglieder entsprechend führte die Organisation Ende Januar 1983 eine „Versammlung der Intellektuellen"

durch; im März 1984 folgte eine zweite derartige Veranstaltung, die „Rencontre internationale des intellectuels pour la paix et le dsarmement", ebenfalls in Paris. Sowohl an diesen beiden Konferenzen wie auch an den Losungen der Demonstrationen („Weder Pershing II — Noch SS 20" oder „Jaime la Vie — Jaime la Paix") wird die Programmatik des Appells der hundert Persönlichkeiten deutlich. Auf der Konferenz im Frühjahr 1984 wurde von den französischen Künstlern, Wissenschaftlern, Ärzten, Erziehern usw., aber auch von den anwesenden kommunistischen Erstunterzeichnern des „Appel" jede politische Analyse der globalen und eurostrategischen Situation ausgespart. Allgemeine Appelle zur Abrüstung oder auch die Deklarierung eines „Rechtes der Völker auf Frieden" bestimmten das Geschehen ebenso wie moralisierende Hinweise auf das aktuelle Ausmaß des Hungers in der Dritten Welt.

Es war den Delegationen vor allem Mittel-amerikas und Osteuropas Vorbehalten, politische Dimensionen in das Geschehen zu bringen. Die französische „Force de frappe" oder auch der französische Rüstungsexport blieben weitgehend aus der Diskussion ausgeklammert. „Unis pour la Paix", die Beschwörung einer einheitlichen Bewegung, Leitmotiv des Pariser Friedensmarsches von 1982, ist das bewegende Element der Programmatik des . Appel des Cent". Pierre Sellincourt, der Sekretär der Initiative und andere Unterzeichner des Aufrufes wiesen häufig darauf hin, daß sich die Friedensbewegung in Frankreich in einer spezifischen Situation befinde. Zum einen sei Frankreich kein „Stationierungsland" und die Bevölkerung daher schwer zu mobilisieren. Zum anderen sei das „Mouvement de la Paix" — die traditionelle Organisation — durch denunziatorische Äußerungen wie „verlängerter Arm des PCF" oder „Fünfte Kolonne Moskaus" in weiten Teilen der französischen Bevölkerung marginalisiert und heute unfähig, eine neue Massenbewegung auszulösen. Eine Folge dieser Situation sei u. a. das völlige, planvolle Desinteresse der französischen Medien, die kommunistischen ausgenommen, an der Arbeit des „Mouvement" und der Friedensproblematik überhaupt. Die Konsequenz, welche die hundert Persönlichkeiten aus dieser innerfranzösischen Lage angesichts der Widersprüchlichkeit von Hunger und dem Elend einerseits und der allgemeinen Hoch-rüstung andererseits gezogen hätten, sei ihr Appell mit dem Ziel, ein möglichst breites Bündnis gegen Hochrüstung schlechthin zu formieren. Dieses Bündnis könne alle umfassen, die für den Frieden einträten. Politische Auseinandersetzungen über Ursachen und Verantwortlichkeiten des Rüstungswettlaufs (course aux armements) hingegen würden die Ansätze, die bisher sichtbar geworden seien, sofort zunichte machen. Dies betreffe nicht zuletzt auch die Diskussion der französischen Militärpolitik selbst: Ein großer Teil der Unterzeichner wie der französischen Bevölkerung überhaupt übe eben keine Kritik an der „Force de frappe", und so konzentriere man sich auf die allgemeine Verurteilung des Rüstungswettlaufs und auf Appelle, den Hunger auf der Welt zu bekämpfen.

V. Das „Comit pour le Dsarmement Nuclaire en Europe" (C. O. D. E. N. E.)

Seit dem 11. November 1981 besteht eine gewichtige Alternative zur traditionellen, vom PCF und von der CGT beeinflußten Friedensbewegung, das „Komitee für die nukleare Abrüstung in Europa". Als Keimzellen für das C. O. D. E. N. E. können für den Friedensgedanken das 1963 u. a. von Claude Bourdet gegründete „Mouvement pour le Dsarmement, la Paix et la Libert" (M. D. P. L.) und für die parteipolitische Herkunft die PS-Abspaltung PSU (Parti Socialiste Unifi) angesehen werden.

Das C. O. D. E. N. E. vereinigt große Teile der nicht-sozialistischen und, um beim deutschen Sprachgebrauch zu bleiben, nicht-orthodoxen Linken Frankreichs in einem Bündnis. Unter seinen knapp . 30 Einzelorganisationen finden sich neben reinen Friedensgruppen (M. D. P. L., Paysans et Mouvement du Larzac oder Femmes pour la Paix) große Teile der französischen Ökologiebewegung (Les Verts oder Parti Ecologique), Teile der Linksradikalen (PSU, Alliance Marxiste Rövolutionnaire oder Centre d’tudes Anti-Impörialistes), der Wehrdienstverweigerer, Ersatzdienstleistenden und Soldatenorganisationen sowie das christliche „Mouvement Rural de la Jeunesse Chrtienne" (MRJC), die christliche Landjugend. Das C. O. D. E. N. E. unterhält in Paris ein zentrales Sekretariat und ist in 80 lokalen Gruppen über ganz Frankreich verteilt. Von Paris aus wird in unregelmäßigen Abständen das zentrale „Bulletin du C. O. D. E. N. E." herausgegeben Die wichtigste Aktion dieses Bündnis-ses war bisher neben der Protestversammlung in Larzac gegen die geplante Erweiterung des dortigen Truppenübungsplatzes, an der im August 1982 ca. 200 000 Menschen teilnahmen, die Konkurrenzdemonstration zur Oktober-Aktion des „Mouvement de la Paix" im Jahre 1983.

Den besten Einblick in die Programmatik des C. O. D. E. N. E. bietet die Charta, die auf der „Assemble Gnrale" vom 11. bis 13. November 1983 in der Pariser Vorstadt Evry verabschiedet wurde. Das übergeordnete Ziel, welches hier formuliert wird, fordert die „etappenweise Vernichtung der Nuklearwaffen in Europa — und ebenso in Frankreich — als Element einer weltweiten Abrüstung und der Entwicklung neuer ökonomischer, sozialer und politischer Beziehungen, gegründet auf die Solidarität, den Frieden und die Freiheit, im Osten wie im Westen, im Süden wie im Norden". Die Charta drückt weiterhin im Ziel-katalog ihren Willen aus, ihre „bestehenden Beziehungen zu den neuen unabhängigen europäischen Friedensbewegungen zu stärken", die, so die Charta weiter, „mit demselben Willen um Unabhängigkeit gegenüber Regierungen und Staaten kämpfen sowie dem Willen zur Ungebundenheit gegenüber beiden Blökken, mit demselben Ziel der Abrüstung — im Osten wie im Westen".

In den Ausführungen zur „Realisierung" dieses übergeordneten Zieles werden zwei Bedingungen genannt, die zugleich die Differenzen zu den Positionen des „Mouvement de la Paix“ und des „Appel des Cent" weiter akzentuieren: „ 1. die Logik der Blöcke zu beenden (sortir de la logique des blocs), die Europa seit Yalta teilt und dadurch die Welt zahlreicher Völker in Sklaverei hält (...) 2. sich der Nuklearbewaffnung Frankreichs zu widersetzen, dem illusorischen Schutz, die ein Hindernis für die Entnuklearisierung Europas darstellt."

Konkret wird von der französischen Regierung gefordert, — eine unabhängige Außenpolitik zu betreiben und ihre Bindungen an die NATO aufzugeben; — die Nuklearversuche, insbesondere im Pazifik, aufzugeben;

— das Modernisierungsprogramm für Nuklearwaffen zu stoppen. Dies betrifft die neuen HADES-Raketen, die Neutronenbombe, die Modernisierung der Atom-Unterseeboot-Flotte und den Bau des siebten Atom-U-Bootes. Frankreich solle vielmehr eine Debatte über die Möglichkeiten einer nichtatomaren Verteidigung führen.

Die Forderung nach einem Einfrieren der . Force de frappe", einige Mitglieder des Bündnisses fordern gar die sofortige Abschaffung aller französischen Atomwaffen, ist ein Minimalkonsens innerhalb des „Komitees". Andere Differenzierungsmerkmale zwischen den beiden Armen der französischen Friedensbewegung, die das C. O. D. E. N. E. von der traditionellen, eher kommunistisch orientierten Friedensbewegung sowie vom . Appel des Cent"

abheben, sind besonders der explizite Gebrauch der Supermachttheorie, der Versuch der Kontaktaufnahme mit den „autonomen" Bewegungen der Länder Osteuropas sowie heftige Angriffe auf die Regierungen dieser Länder. In der vierten Ausgabe des „Bulletin“ vom Oktober 1983 finden sich z. B. ein Interview mit einem Mitglied der tschechoslowakischen „Charta 77", der Abdruck eines Briefes des polnischen „KOS" (Komitee zur sozialen Selbstverteidigung) sowie ein Bericht über „le groupe independant de Moscou pour la confiance" (die unabhängige Moskowiter Gruppe für das Vertrauen) mit dem Titel: „Unterstützung für die sowjetischen Gefangenen für den Frieden".

Im Mai 1983 nahm das C. O. D. E. N. E. an der . Zweiten Europäischen Konvention für atomare Abrüstung" in Berlin teil, die ebenfalls einen starken antisowjetischen Charakter hatte.

Was die Haltung zur „Force de frappe" betrifft, so erwiesen sich die Mitglieder und Sympathisanten des „Comit pour le Dsarmement Nuclüaire en Europe“ als äußerst empfindlich: Als in einem Redebeitrag eines Vertreters der sozialistisch orientierten Gewerkschaft CFDT auf der Demonstration vom 23. Oktober 1983 der Versuch einer Rechtfertigung der französischen Atombewaffnung anklang, reagierte das Auditorium mit einem gellenden Pfeifkonzert. Die Kooperation mit der CFDT, die im Herbst 1983 zustande kam und zur Konkurrenzdemonstration des 23. Oktober führte, überraschte im übrigen viele politische Beobachter. Die CFDT hatte sich Mitte der sechziger Jahre zunächst strikt gegen jede Atomrüstung ausgesprochen, ihre Haltung speziell gegenüber der französischen Bewaffnung jedoch entsprechend der Sozialistischen Partei in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre geändert.

Der Kooperationswille beider Organisationen beruhte auf unterschiedlichen Erwägungen: Für die CFDT dürfte das Hauptinteresse an der antikommunistischen und antisowjetischen Stoßrichtung der C. O. D. E. N. E. -Programmatik aus ihren Abgrenzungsbemühungen gegenüber der CGT (und dem PCF) resultieren. Hinzu kommt das Bemühen, das in der französischen Bevölkerung (und somit auch an der Basis der CFDT) vorherrschende Interesse für Fragen des Friedens aufzugreifen.

Dafür nahm die CFDT mangels anderer Bündnispartner offenbar die Differenzen in der Beurteilung der „Force de frappe“ in Kauf.

Die Beweggründe des C. O. D. E. N. E. zur Zusammenarbeit mit der C. F. D. T. sind bis hierhin sicherlich deckungsgleich. Hinzu kommt für das bis heute zweifellos kleinste Glied der französischen Friedensbewegung die Chance, durch ein Aktionsbündnis mit der zweitstärksten Gewerkschaft Frankreichs (ca. 1 Million Mitglieder) aus der Marginalität herauszutreten und vor allem stärker als bisher auf das sozialistische Wähler-und Aktionspotential Einfluß nehmen zu können; das C. O. D. E. N. E. wird bis heute eher durch ein linksradikales und „alternatives" Image bestimmt.

In Gesprächen des Verfassers mit Vertretern des „Comites" (s. Anm. 14) wurde häufig die Sorge geäußert, das „Comitö" könne gegen-B über der großen CFDT und derem vorrangigen parteipolitischen Verbündeten, dem „Parti Socialiste", an Eigenständigkeit einbüßen. Besonders in der Problematik der Beur-teilung der „Force de frappe" legen die Anhänger des C. O. D. E. N. E. größten Wert auf die Wahrung der so oft beschworenen „Unabhängigkeit".

VI. Schlußbemerkungen

Die französische Friedensbewegung ist gespalten. Ein Minimalkonsens, ähnlich dem der bundesdeutschen Bewegung („keine neuen Atomraketen in Westeuropa"), der dieser zu Masseneinfluß verhelfen hat, existiert in Frankreich nicht. Die französische Friedensbewegung selbst greift in der Analyse ihrer zuweilen selbst eingestandenen Schwäche häufig auf die Tatsache zurück, daß Frankreich kein „Stationierungsland" sei. Die Gegner dieses Erklärungsversuches verweisen auf triviale Ergebnisse vor allem naturwissenschaftlicher Forschungen, wonach ein atomarer Krieg, zumindest jedoch eine atomare Verseuchung, weder an den Vogesen noch den Ardennen, den Pyrenäen oder den Alpen haltmacht; dieser Umstand müsse argumentativ in den Vordergrund gestellt werden. Weitaus erfolgversprechender ist bei der Schwäche-Analyse vielmehr ein Blick auf die Lage der sogenannten „neuen sozialen Bewegungen" in Frankreich. Trotz der Vielzahl von Gruppen, Parteien und parteiähnlichen Verbindungen, vor allem auf der Linken, ist beispielsweise keiner ökologistischen oder „grünen" Organisation ein politischer Durchbruch, ähnlich den „Grünen" der Bundesrepublik, auf der politischen Bühne Frankreichs gelungen.

Die Gründe hierfür können an dieser Stelle nur angedeutet werden. Sie liegen in erster Linie in der Existenz zweier großer linker Parteien, die das Interessenten-und Wähler-potential eben jener „neuen sozialen Bewegungen" vor allem in der Zeit jahrzehntelanger Opposition weitgehend gebunden haben. Das Feld friedenspolitischer Aktivität wird weitgehend, wie die Geschichte des „Mouvement" und des „Appel“ beweisen, vom PCF besetzt. Um die potentielle Klientel der Okologisten bemüht sich intensiv der PS, wie z. B. in der Atomkraftdebatte des Präsidentschaftswahlkampfes 1981 deutlich wurde Das Er-gebnis der Europawahl vom 17. Juni 1984 könnte jedoch das Ende sozialistischer Integrationsfähigkeit für diesen Teil des politischen Spektrums andeuten: „Les Verts" erreichten 3, 4%; ein eher rechtsgerichtetes ökologisches Bündnis um Brice Lalonde (ERE) kam auf 3, 3%.

Ein weiteres Erklärungsmoment für die Schwäche der französischen Friedensbewegung, das von den oben angeführten Faktoren zum Teil nicht zu trennen ist, betrifft die Widerspiegelung dieser Bewegung in den französischen Medien. Während die Aktionen der Friedensbewegungen in den übrigen westeuropäischen Ländern, vornehmlich in der Bundesrepublik, in Frankreich zumeist große Beachtung fanden, nahm die Berichterstattung über friedenspolitische Ereignisse in Frankreich selbst einen bei weitem kleineren Raum ein. Dies liegt, zumindest auf Radio und Fernsehen bezogen, vor allem in der systematischen Absenz der Sozialistischen Partei von dieser Friedensbewegung begründet.

Lediglich die kommunistischen Zeitungen „L'Humanitö" und „LHumanit Dimanche" sowie die Regionalpresse des PCF und die Organe der CGT unterstützten die Friedensbewegung (vornehmlich die Aktivitäten des „Mouvement de la Paix" und des „Appel des Cent"), was den Kritikern der Friedensbewegung im Gegenzug wiederum den Hinweis auf die Nähe zu den Kommunisten ermöglichte. Ein wichtiges Moment, das der Friedensbewegung der Bundesrepublik zu maßgeblichem Rückhalt verhalf und sie teilweise vom Odium der kommunistischen Steuerung befreite, betrifft die Haltung der französischen Kirchen. Während die evangelische Kirche, die in Frankreich mit etwa einer Million Mitgliedern weitgehend unbedeutend ist, sich für ein „Einfrieren" der französischen Nuklearbewaffnung einsetzte und explizit französische Vorleistungen bei der Abrüstung befürwortete sprach sich die Führung der katholischen Kirche für die Akzeptierung der Militärstrategie der nuklearen Abschreckung aus Die beiden katholischen Jugendorganisationen sind überdies in der Friedensfrage gespalten: Während sich das „Mouvement Rural de la Jeunesse Chrötienne" (M. R. J. C.), die christliche Landjugend also, dem C. O. D. E. N. E. angeschlossen hat, arbeitet die „Jeunesse Ouvrire Chrtienne" (J. O. C.), die christliche Arbeiterjugend, mit dem „Mouvement de la Paix" zusammen. Von einer gewissen Bedeutung für das in der [Friedensbewegung recht unbedeutende katholische Spektrum ist lediglich noch die linkskatholische Zeitschrift „Temoignage Chrtien" (PC). Deren langjähriger Chefredakteur Pierre-Luc Söguillon (s. o.) gehört zu den Erstunterzeichnern des „Appel des Cent" und war ebenfalls lange Zeit Mitglied der Führung des „Mouvement de la Paix".

Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch auf die Situation der Friedensforschung in Frankreich zu verweisen. Claus Leggewie spricht zusammenfassend von einer „Schwäche der . kritischen Friedensforschung'", wobei er vor allem die übrigen westeuropäischen Länder zum Vergleich heranzieht: „Die Friedensforschung ist dort (in Frankreich, J. M. B.) als autonome Teildisziplin kaum entwickelt und ein bloßer Zweig der methodisch sehr konventionell betriebenen Forschung zu den . Internationalen Beziehungen".

Der in diesem Beitrag (s. o.) angesprochene „nationale Nuklearkonsens" findet sich, wie Umfragen beweisen, in geschlossener Weise nur in den politischen Parteien. Die Umfrage der großen linkskatholischen Wochenzeitschrift „La Vie" vom November 1982 hatte auf die Frage nach einer Lagebeurteilung nach einem direkten Angriff auf französisches Ter-ritorium die folgenden überraschenden Antworten zum Resultat: lediglich 18% der Befragten vertrauten voll auf die Wirkung der „Force de frappe", während 28 % sich durch eine klassische, konventionelle Armee und 20 % durch einen bewaffneten Widerstand der gesamten Bevölkerung besser geschützt fühlten; 17 % bevorzugten eine gewaltlose Verteidigung (17% äußerten sich nicht). 10% der Franzosen hielten die „Force de frappe" für eine Bedrohung des Friedens, 30 % sahen in ihr eine Vergeudung ökonomischer Potentiale % durch einen bewaffneten Widerstand der gesamten Bevölkerung besser geschützt fühlten; 17 % bevorzugten eine gewaltlose Verteidigung (17% äußerten sich nicht). 10% der Franzosen hielten die „Force de frappe" für eine Bedrohung des Friedens, 30 % sahen in ihr eine Vergeudung ökonomischer Potentiale.

Eine Erhebung des „Nouvel Observateur" kam Ende 1981 ebenfalls zu Ergebnissen, die für die französische Friedensbewegung ein potentielles Operationsfeld zeigen. Im einzelnen fiel bei dieser Umfrage weniger die signifikant niedrigere Befürwortung einer Anlehnung Frankreichs an die USA mit 30% auf (Wert für die bundesdeutsche Bevölkerung 51%), als vielmehr das Gesamtbild der Wählerschaft des wenige Monate zuvor zum Staatspräsidenten gewählten Francois Mitterrand: Diese bezeichnete sich nämlich zu mehr als 60 % als Sympathisanten der Pazifisten und gar zu 69% als Neutralisten 20).

Obwohl die Kommunistische Partei Mitte 1984 das Regierungsbündnis mit den Sozialisten verlassen hat, sind die mittel-und langfristigen Konsequenzen für ihr friedenspolitisches Engagement heute noch nicht genau auszumachen. Unbelastet von der selbstgewählten Doppelstrategie wird sie jedoch sicherlich in Zukunft die Politik Francois Mitterrands auf diesem Gebiet offensiver als bisher attackieren. In der Frage um die „Force de frappe" allerdings, das zeigte der Parteitag vom Februar dieses Jahres, ist vom PCF kein erneuter Richtungswechsel zu erwarten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24/25, S. 11.

  2. Zur Geschichte der Zusammenarbeit von PS und PCF vom Beginn der siebziger Jahre bis zur Regie-

  3. Eine deutsche Übersetzung („Gemeinsames Regierungsprogramm der FKP und SP“) erschien mit einer Einleitung von Georges Marchais 1972 in Frankfurt/Main, hier zit. S. 76.

  4. W. Schütze untersuchte unlängst die Bedeutung der französischen Kernwaffen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 46/83.

  5. Das derzeit wohl beste Informationsmaterial, das Dokumente bis 1983 enthält, hat ebenfalls W. Schütze verfaßt: Frankreichs Verteidigungspolitik, 1958— 1983. Es ist erschienen in der Reihe: Militärpolitik — Dokumentation, Heft 32/33, Berlin 1983. M. L. Martin wendet sich in seinem Buch Warriors to Managers, Chapel Hill 1981 auf knapp 70 Seiten dem französischen Militär zu, eingeschlossen eine umfangreiche Literaturauswahl.

  6. In Le Monde Diplomatique, 31 (1984) Januar, finden sich einige bemerkenswerte Aufsätze in dieser Hinsicht. So von P. -M.de la Goree, K. Ege, M. Wenger sowie F. Tonello. Von Premierminister Pierre Mauroy stammt der aufschlußreiche Beitrag Frankreich und die westliche Sicherheit, der im NATO-Brief, 31 (1983) 5, erschienen ist.

  7. Siehe auch den Bericht von Th. von Münchhausen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Beilage vom 7. 4. 1984.

  8. Im Frühjahr 1982 zeichnete ich längere Interviews mit dem „secrtaire national" Michel Langignon sowie mit Pierre-Luc Sguillon auf; im Februar 1984 sprach ich mit Yves Cholire; die letztgenannten gehörten dem „Nationalen Büro" an.

  9. Dies ist verifizierbar in der Zweimonatszeitschrift des „Mouvement“ Combat pour la Paix (die Nr. 334 erschien im März/April 1985). Als Beilage zur Nr. 321 erschien im Januar 1983 die Broschüre: 33 Annes de Lüttes pour le Dsarmement.

  10. Das folgende Zitat ist der Beilage („L'Appel des Cent“) der Kongreßmappe zur Rencontre Internationale des Intellectuels am 24. /25. 3. 1984 in Paris entnommen.

  11. Der Einzelfall eines Erstunterzeichners schildert mein Interview mit dem Gnral d’Arme (C. R.) Fernand Gambiez in: Lendemains, 9 (1984) 34; General Gambiez arbeitet noch heute aktiv in verschiedenen Historiker-Kommissionen der französischen Armee sowie auf internationaler Ebene.

  12. P. -L. Söguillon, wie Sanguinetti Sozialist, war zur Zeit der Gründung des „Appel" Chefredakteur des links-katholischen Tömoignage Chrtien sowie Mitarbeiter des linken PS-Flügels C. E. R. E. S. (Centre d'Etudes, de Recherches et d'Education Socialistes); heute ist Söguillon Programmleiter Politik beim staatlichen Fernsehsender TF 1.

  13. Das Interview führte ich am 15. 11. 1983 im Büro des „Appel des Cent".

  14. Meine Informationen beziehen sich auf die Nummern 4 und 5/6 des „Bulletin" sowie auf persönliche Informationen von Seiten des Sekretariats am 7. 2. 1984.

  15. Anläßlich ihrer Europawahl-Konferenz am 24. /25. 3. 1984 in Draveil (Essonne) bekräftigten „Les

  16. Siehe FAZ vom 15. 11. 1983.

  17. Siehe Le Monde vom 12. 11. 1983 und FAZ vom 10. 11. 1983.

  18. C. Leggewie, Keine Friedensbewegung in Frankreich?, in: R. Steinweg (Hrsg.), Vom Krieg der Erwachsenen gegen die Kinder (Friedensanalysen 19), Frankfurt/M. 1984, S. 300ff.

  19. Nouvel Observateur vom 21. 11. 1981.

  20. Das „Bulletin du C. O. D. E. N. E." 1983, 4 veröffentlichte (S. 20 f.) Umfrageergebnisse aus mehreren westeuropäischen Ländern. W. Schütze dokumentiert in seiner o.a. Militärpolitik Dokumentation (S. 178f.) eine Umfrage des Louis Harris-France-Instituts vom August 1982, nach der nur 37% der Befragten der „Force de frappe” eine Schutzfunktion für Frankreich zuschrieben, 12 % die meinung äußerten, sie führe zum Krieg und 44% sie gar für nutzlos hielten.

  21. Die „Charte du C. O. D. E. N. E." findet sich in der Ausgabe 5/6 des Bulletin, S. 18, ein Bericht über die Generalversammlung auf den Seiten 17 f.

Weitere Inhalte

Johannes M. Becker, Dipl. Pol., geb. 1952; Studium der Politikwissenschaft, Sozialkunde, Geographie und Sportwissenschaft (Höheres Lehramt) in Marburg; Lehrbeauftragter am Fachbereich Romanistik der Philipps-Universität Marburg. Zahlreiche Veröffentlichungen v. a. zur Politik der derzeitigen französischen Linksregierung.