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Frankreichs Bindungen zur Dritten Welt Tradition, Wirtschaftsinteresse, P*restige *) | APuZ 19/1985 | bpb.de

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APuZ 19/1985 Artikel 1 Mitterrands Wirtschaftspolitik — Was bleibt vom *) Sozialismus? Frankreichs Außenpolitik nach de Gaulle (1974— 1984) Frankreichs Bindungen zur Dritten Welt Tradition, Wirtschaftsinteresse, P*restige *) Die französische Friedensbewegung

Frankreichs Bindungen zur Dritten Welt Tradition, Wirtschaftsinteresse, P*restige *)

Herward Sieberg

/ 23 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Jahrhundertelang hat sich Frankreich als Kolonialmacht in Übersee betätigt, wobei die Expansion häufig von Partikularinteressen getragen wurde. Nach dem Verlust bedeutender Positionen in Nordamerika und Indien zu Ausgang des Ancien Regime kam es im 19. Jahrhundert zu einer zweiten Expansionswelle mit den Schwerpunkten Algerien, Indochina und Schwarzafrika. Gestützt auf sein „neues“ Kolonialreich, versuchte sich Frankreich bis tief in das 20. Jahrhundert als Großmacht zu behaupten. Kulturelle Assimilation der überseeischen Völker und Integration in den französischen Staatsverband galten als politische Devise, nicht die Vorbereitung der Besitzungen auf ihre spätere Selbständigkeit. Ein Umdenken bewirkten erst zwei verlustreiche Kolonialkriege in Indochina und Algerien sowie der weltweite Antikolonialismus. Von 1954 an willigte Frankreich innerhalb weniger Jahre in die politische Unabhängigkeit fast seines gesamten überseereiches ein. Enge Bindungen blieben gleichwohl mit vielen ehemaligen Besitzungen erhalten, namentlich in Schwarzafrika. Hier gründet sich Frankreichs Einfluß vor allem auf die „Francophonie", auf militärische Präsenz und eine wirtschaftliche Vormachtstellung. Inzwischen zieht Paris immer mehr afrikanische Länder in seinen Bann, die ursprünglich nicht zum französischen Kolonialreich zählten. Ein Beleg hierfür sind die jährlichen französisch-afrikanischen Gipfeltreffen, an denen zuletzt neben Frankreich 36 schwarzafrika-nische und arabische Länder sowie mehrere Inselstaaten des Indischen Ozeans teilgenommen haben. Dies zeigt auch, daß sich Frankreichs Engagement in der Dritten Welt nicht auf Schwarzafrika beschränkt.

I. Die koloniale Vergangenheit

Frankreichs geographische Lage an drei Meeren (Ärmelkanal/Nordsee, Atlantik, Mittelmeer) hat dieses Land stets als Seemacht prädestiniert. Bereits im Mittelalter besaß Frankreich bedeutende Handelsinteressen im Orient. Es war aber nie ausschließlich See-, sondern stets auch Kontinentalmacht, und häufig überwog dieser politische Grundzug. Das französische Königtum der vorrevolutionären Zeit war agrarfeudalistisch-kontinental ausgerichtet. Paris liegt im Binnenland und konnte daher nicht, wie London, Amsterdam oder Lissabon, eine Seestadt sein. Frankreichs Ausgreifen nach Übersee wirkte stets etwas halbherzig; dahinter stand selten die geballte Kraft des gesamten Staates. Hier liegen die Gründe für das Scheitern der französischen Überseepolitik im Ancien Regime, namentlich in Nordamerika und Indien. Voltaire sprach verächtlich von „ces quelques icebergs" und meinte damit Kanada.

Frankreichs Überseepolitik wurde im wesentlichen von Partikularinteressen getragen, wobei die Hafenstädte, in denen zeitweilig der Protestantismus Oberhand gewann, dominierten. Den Anfang machten die Kanalstädte Dieppe und St. Malo, die Fischerei-und Handelsstützpunkte an der nordamerikanischen Gegenküste gründeten. Die beiden kleinen Fischereiinseln St. Pierre und Miquelon, die vor der Küste Neufundlands liegen und 1976 den Rechtsstatus eines französischen Überseedepartements erhielten, sind die letzten Zeugen dieser frühen französischen Expansion in Nordamerika.

Bordeaux und Marseille, die im Ancien Rgime große Wirtschaftsbedeutung erlangt hatten, wurden im 19. Jahrhundert, gemein-sam mit der Seidenstadt Lyon, zu wichtigen Trägern einer neuen, imperialistischen Expansionspolitik, nachdem Frankreich sein altes Kolonialreich in den napoleonischen Kriegen verspielt hatte. Die „neue" französische Expansion erfolgte in drei Etappen, und zwar mit den Schwerpunkten Afrika und Indochina. 1830 begann Frankreich mit der Eroberung Algeriens, nachdem der Bey von Algier einen willkommenen Anlaß geliefert hatte, als er den französischen Gesandten mit einer Fliegenklatsche ohrfeigte. Ab 1854 stieß General Lon Faidherbe von Dakar, das Frankreich aus alten Tagen verblieben war, ins Landesinnere vor; er schuf die Kolonie Senegal Zur Expansion großen Stils setzte Frankreich ab 1880 an, und zwar in rascher Folge in Tunesien, Indochina, Westafrika, Äquatorialafrika und Madagaskar Anfang dieses Jahrhunderts kam Marokko hinzu, und am Ende des Ersten Weltkriegs folgten Togo, Kamerun, Syrien und der Libanon als Mandatsgebiete des Völkerbundes.

Ende des 19. Jahrhunderts war der Algerien-franzose Etienne einige Jahre lang als Kolonialstaatssekretär die treibende Kraft der französischen Expansion in Übersee Er kann als eigentlicher Schöpfer von Französisch-Westafrika und namentlich der Elfenbeinküste und von Dahomey, dem heutigen Benin, gelten. Wie viele andere Imperialisten seiner Zeit, verfocht Etienne einen rigorosen Wirtschaftsnationalismus. Er und seine Kontrahenten in Großbritannien, Deutschland, Belgien oder Italien standen ganz unter dem Eindruck des industriellen Zeitalters. Nach-dem Großbritannien bereits industrialisiert war, erfolgte die Industrialisierung der anderen ausschlaggebenden Länder hinter hohen Zollmauern, um unliebsame Konkurrenz abzuwehren. Die Industrialisierung der USA, Frankreichs, Deutschlands und anderer Staaten schien den weltwirtschaftlichen Zusammenhang hufzulösen. Der Warenexport schrumpfte bedenklich. Imperialisten hegten eine fast panische Angst, der Außenhandel ihrer Länder werde eines Tages ganz zum Erliegen kommen. Die Zukunft schien autarken Großräumen zu gehören: den USA, Rußland, dem britischen Weltreich, einem durch Kolonialbesitz vergrößerten Frankreich oder Deutschland. Wer für überseeische Expansion eintrat, behauptete, eine Zukunftssicherungspolitik für kommende Generationen zu betreiben. Man wollte Auswanderungsgebiete für den heimischen Bevölkerungsüberschuß gewinnen, Absatzmärkte für Industrieerzeugnisse schaffen und Rohstoffquellen erschließen. Alles zusammen wirkte als mächtiger Antrieb für den Kolonialimperialismus, der sich selbst beschleunigte, weil jeder dem anderen zuvorkommen wollte. So wurde in wenigen Jahren ganz Afrika von europäischen Mächten besetzt, und dem „scramble for Africa" drohte bald ein „scramble for China" zu folgen, d. h. eine Zerlegung Chinas in fremde Einflußsphären.

Die wirtschaftlichen Gegebenheiten in den Kolonialgebieten entsprachen aber kaum den Erwartungen, und dies galt besonders für den französischen Kolonialbesitz in Afrika. Auf buntbemalten Weltkarten nahm sich das französische Kolonialreich imposant aus. Nord-, West-und Zentralafrika bildeten einen gewaltigen, zusammenhängenden, geopolitischen Block. Störend wirkten einige Einsprengsel fremder Mächte an den Küsten, doch gerade sie waren von wirtschaftlicher Bedeutung, vor allem die britischen Kolonien Goldküste und Nigerien. Das französische Hinterland war meist arm und dünn besiedelt. Kritiker sprachen von einer riesigen „Streusandbüchse" und meinten damit die Sahara und die angrenzende Sahelzone. Eine gewisse Bedeutung hatte natürlich die Siedlungskolonie Algerien; gleiches galt für die Protektorate Tunesien und Marokko. Doch verlegten sich diese Gebiete ausgerechnet auf Erzeugnisse, die Frankreich selbst im Überfluß besaß: Getreide und Wein. Senegal erzeugte fast ausschließlich Erdnüsse, Guinea besaß wichtige Bodenschätze, die Elfenbeinküste erzeugte Kakao, Gabun lieferte vor allem Edelhölzer und Madagaskar Gewürze.

Der Erste Weltkrieg brachte eine gewisse Wende. Frankreich mobilisierte das Kolonial-reich für seine Kriegsanstrengungen. Abgesehen vom Einsatz vorwiegend senegalesischer und marokkanischer Truppen (835 000 Soldaten und Arbeiter), mußten die Kolonien ihr ganzes wirtschaftliches Potential in die Waagschale werfen. Trotz der deutschen U-Boot-Blockade flossen rund zweieinhalb Millionen Tonnen Versorgungsgüter aller Art aus den französischen Besitzungen in die Metropole. Doch der Krieg machte die wirtschaftliche Unorganisiertheit des Kolonial-reichs augenfällig. Deshalb sprach die französische Staatsführung von der Notwendigkeit einer konsequenten Politik kolonialer Inwertsetzung. Die Bemühungen um eine „Mise en Valeur des Colonies" führten bald zu ersten entwicklungspolitischen Konzeptionen. Nach 1918 wurde Albert Sarraut bedeutender Anwalt einer Politik kolonialer Inwertsetzung. Sarraut, ehemaliger Generalgouverneur von Indochina, gehörte in der Zwischenkriegszeit vielen Regierungen als Kabinettsmitglied an und war selbst dreimal Ministerpräsident. Sein Programm, das in verschiedener Form publiziert wurde, u. a. als Buch im Umfang von mehreren hundert Seiten, stellt ein einzigartiges Dokument kolonialer Entwicklung dar Sarraut distanzierte sich von der bisherigen Praxis kolonialer Ausbeutung, und er betonte mit Nachdruck die zivilisatorische Mission seines Landes, überall sollten mit staatlicher Hilfe Schulen und Krankenhäuser entstehen. Sein Hauptaugenmerk galt aber der wirtschaftlichen und verkehrsmäßigen Entwicklung der Kolonien, um die Großmachtposition Frankreichs abzusichern.

Sarraut wollte sein Programm vom Parlament sanktionieren lassen und leitete der Kammer 1920 einen entsprechenden Gesetzentwurf zu. Verschiedene Male erläuterte er im zuständigen kolonialpolitischen Parlamentsausschuß die Reichweite des Programms; zugleich drängte er auf schnelle Erledigung Die Mehrheit der Ausschußmitglieder verhielt sich jedoch ablehnend, ja feindselig, vor allem, weil Sarraut keine präzisen Angaben über Finanzierungsmöglichkeiten machen konnte oder wollte. Verschiedene Abgeordnete sprachen von einem großen Bluff. Sarraut hatte gehofft, die koloniale Aufbauarbeit durch staatlich garantierte Kredite zu ermöglichen. Aber zu einer solchen Garantie war das französische Parlament nicht bereit, weil man dem Wiederaufbau der im Krieg zerstörten nord-und ostfranzösischen Gebiete absoluten Vorrang einräumte.

Erst als die Weltwirtschaftskrise die Kolonien erschütterte, bequemte sich das französische Parlament 1931, den Überseegebieten staatlich garantierte Kredite zukommen zu lassen. So konnten schließlich doch noch einige Vorhaben aus Sarrauts Projekt gerettet werden. Im übrigen suchte Frankreich, seinen Besitzungen durch Subventionen und internen Zollabbau Erleichterungen zu verschaffen. Infolgedessen traten verschiedene Kolonialer-zeugnisse, vor allem Antillenzucker und nordafrikanischer Wein, in scharfe Konkurrenz zu einheimischen Produkten; dies rief erhebliche Unruhe und Verstimmung unter den französischen Bauern hervor und trug nicht gerade dazu bei, den kolonialen Gedanken in der breiten Öffentlichkeit zu fördern. Andererseits gab es wirtschaftliche Vorteile. Bereits 1932 war Algerien wichtigstes Abnehmerland für den französischen Export.

Ein letzter großer Versuch, die Situation in Frankreichs Kolonialreich zu bessern, erfolgte in den ausgehenden Dreißigerjahren. Am 4. Juni 1936 bildete Lon Blum seine Volksfrontregierung, das hundertste Kabinett der Dritten Republik, in dem der Sozialist Marius Moutet die Leitung des Kolonialministeriums übernahm. Moutet war glühender Sozialreformer und wollte für Verbesserungen in Übersee kämpfen. Spektakuläre öffentliche Arbeiten lehnte er zugunsten einer Fülle kleinerer Entwicklungsarbeiten ab, wie etwa den

Bau von Brunnen, Be-und Entwässerungssystemen, Krankenhäusern, Brücken und Schulen. Die französischen Arbeiterschutzgesetze übernahm er in Übersee, und in Afrika förderte er das Genossenschaftswesen als Selbsthilfeorganisation der Bauern. Moutet faßte seine Kolonialpolitik mit drei einfachen Worten zusammen: „nourrir, soigner, transporter" (ernähren, heilen, befördern). Im Jahr 1937 unterbreitete er der Abgeordnetenkammer einen Gesetzentwurf, der großzügige Hilfsmittel für koloniale Entwicklungsprojekte vorsah. Dank des persönlichen Einsatzes seines Staatssekretärs Gaston Monnerville, des farbigen Abgeordneten von Französisch-Guayana, wurden die parlamentarischen Hürden in der Kammer schnell genommen. Trotzdem ist aus dem für damalige Verhältnisse recht fortschrittlichen Gesetzeswerk nichts geworden, weil der in Opposition zur Volksfrontregierung stehende Senat die Sache verschleppte. Für Kolonialminister Georges Mandel, Moutets bürgerlichen Amtsnachfolger in den Jahren 1939/1940, traten Entwicklungsprobleme deutlich in den Hintergrund. Angesichts der drohenden Kriegsgefahr und dann des Kriegsausbruchs beschäftigte er sich vor allem mit der militärischen Sicherung des französischen Kolonialreichs. Im engen Kontakt zu London bemühte er sich darum, eine gemeinsame britisch-französische Verteidigungsbasis in Übersee zu schaffen. Der Fall Frankreichs im Juni 1940 machte diese Pläne jedoch zunichte.

Die Bildung des Vichy-Regimes unter Marschall Ptain blieb zunächst ohne größere Auswirkungen auf das überseereich, da sich die Kolonialverwaltungen anfänglich loyal verhielten. Trotzdem entstand eine andere Lage als im Ersten Weltkrieg, weil die Briten, die am 3. Juli 1940 ihren Vernichtungsschlag gegen die französische Flotte vor Oran geführt hatten, die Verbindungswege zwischen dem französischen Kolonialreich und Frankreich blockieren konnten. Aufgrund von Versorgungsschwierigkeiten schlossen sich die Überseegebiete nach und nach de Gaulles Bewegung an. Den Anfang machte am 26. August 1940 der Tschad, dessen aus Guayana stammender Gouverneur Flix Ebou, sich de Gaulle unterstellte. Zwei Tage später ergrif29 fen gaullistische Offiziere in Französisch-Kongo die Macht. Brazzaville wurde im Krieg zu einer Art Hauptstadt für das „Freie Frankreich" und besitzt bis heute hohen Symbol-wert für alle Gaullisten.

Der allmähliche Verlust des Kolonialreichs an de Gaulle hinderte die Vichy-Regierung erstaunlicherweise nicht, eine sehr detaillierte Entwicklungsplanung zu betreiben. Ein Expertengremium arbeitete in Paris bis in die Augusttage 1944 an Zehn-Jahres-Entwicklungsplänen für die einzelnen Überseegebiete. Ptain befahl sogar per Dekret den Bau der Transsaharabahn; damit griff er eine Lieblingsvorstellung französischer Imperialisten aus der Zeit der Jahrhundertwende auf. Der Grund für solche Bemühungen mag im Memorandum eines Vichy-Beamten aus dem Jahr 1943 ersichtlich werden. Dort heißt es: „Nach Kriegsende ist eine Neuverteilung der Kolonialreiche zu befürchten. Dabei kann Frankreich seinen Besitzstand gegenüber .dem Sieger'nur aufgrund klarer und ausgereifter Entwicklungskonzeptionen wahren".

II. Unvollständige Dekolonisation

Der Ausgang des Krieges brachte zwar keine Neuverteilung, beschleunigte aber längerfristig den Prozeß der Dekolonisation. Die junge IV. Republik nahm verständlicherweise die Vichy-Projekte nicht auf. Statt dessen knüpfte Kolonialminister Marius Moutet, der 1946 wieder im Amt war, an alte Planungen der Volksfrontregierung von 1937 an, die beinahe wörtlich übernommen wurden und endlich Gesetzeskraft erhielten. Damit war die Grundlage geschaffen für den „Fonds dinvestissement de dveloppement conomique et social" (FIDES), den staatlichen Investitionsfonds für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Übersee. Im Rahmen der französischen Lenkungswirtschaft, der „Planification" wurden von nun an erhebliche Mittel für koloniale Entwicklungsvorhaben bewilligt.

Der Gaullismus und die IV. Republik hielten lange die Fiktion von der untrennbaren Einheit Frankreichs mit seinem überseeischen Besitz aufrecht. Einprägsame Schlagworte vom „Frankreich der 100 Millionen Franzosen" oder vom „überseeischen Frankreich" brachten dies zum Ausdruck. Assimilation und Integration in den französischen Staats-verband standen auf dem Programm, nicht die Vorbereitung auf eine spätere Unabhängigkeit. Integration, so glaubten viele, sei die französische Version einer Entkolonisierung. Die Idee war auch nicht völlig absurd, wenn man bedenkt, daß die Weltmächte Amerika und Rußland nach eben diesem Muster verfahren sind. Nur haben sie vor der eigenen Haustür kolonisiert und die so kolonisierten Territorien dann integriert, während Frank-B reich so tat, als gebe es keine trennenden Meere. Ein ganzes Jahrzehnt hat Frankreich Krieg geführt, zunächst in Indochina und dann in Algerien, ehe es die Idee vom „Überseeischen Frankreich" fallen ließ. Indessen lebt die alte Rechtsvorstellung noch punktuell fort: St. Pierre et Miquelon, die beiden Antilleninseln Martinique und Guadeloupe, Französisch-Guayana und die bei Madagaskar gelegene Insel Runion besitzen den Status überseeischer Departements. Hinzu kommen derzeit noch einige Übersee-Territorien, die ebenfalls Volksvertreter in das französische Parlament entsenden, nämlich Neukaledonien und Französisch-Polynesien mit der Hauptinsel Tahiti. Neukaledonien liefert mit seinen Nickelvorkommen den Rohstoff für die französischen Münzen, während Polynesien von Zeit zu Zeit für französische Atomwaffenversuche herhalten muß.

Die Freigabe des französischen Überseereichs erfolgte ohne sorgfältige Planung. Frankreich fügte sich der Gewalt der Waffen und dem Zeitgeist. Das Gros der Überseegebiete wurde innerhalb weniger Jahre in die politische Unabhängigkeit entlassen: Indochina 1954, Marokko und Tunesien 1956, Guinea 1958, die Masse der afrikanischen Besitzungen und Madagaskar 1960, Algerien 1962, die Komoren 1975 und zuletzt Dschibuti 1977. Von Guinea trennte sich Frankreich im Zorn, von allen übrigen schwarzafrikanischen Besitzungen und Madagaskar auf eine lautlose und freundschaftliche Weise.

Ob das Einziehen der Trikolore und das Hissen einer neuen Flagge den betreffenden Län30 dem wirklich „Unabhängigkeit" brachte, ist eine Frage, die Stoff für endlose Diskussionen liefern kann. Der klassische Souveränitätsbegriff, wie er 1576 von Jean Bodin in seinen „Six Livres de la Rpublique" definiert worden ist und für Jahrhunderte Gültigkeit besaß, ist im Atomzeitalter kaum mehr aufrechtzuerhalten. Heute kann kein Staat, die beiden Weltmächte eingeschlossen, ganz auf sich allein gestellt seine innere und äußere Sicherheit gewährleisten. Wenn man unter „Unabhängigkeit" zugleich auch wirtschaftliche Unabhängigkeit versteht, und zwar im Sinne einer potentiellen (nicht faktischen!) Autarkie, so wird die Sache vollends prekär. „Souveränität" ist zu einem sehr formalen Begriff des Völkerrechts geworden. Zwei Bedingungen müssen erfüllt sein: Der Souveränitätsanspruch eines Staatswesens, der im Regelfall durch eine Souveränitätserklärung Ausdruck findet, und die Anerkennung dieser Souveränität durch möglichst viele oder gar alle anderen Staaten. Die Anerkennung durch bloß einen weiteren Staat wird als unzureichend angesehen. Deshalb gelten die „Homelands" in Südafrika (Bophuthatswana, Ciskei, Transkei und Venda) oder die am 15. November 1983 ausgerufene „Türkische Republik Nordzypern" als bloße Marionetten. Bei Kolonien, die ihre Unabhängigkeit erklären, kommt es vor allem auf die Anerkennung durch die Macht an, bei der bislang die Hoheitsrechte lagen. Eine „einseitige" Unabhängigkeitserklärung reicht nicht aus, wie das Beispiel Südrhodesien/Simbabwe (1964 bis 1979) zeigte.

Unter formalrechtlichen Gesichtspunkten müssen die ehemaligen französischen Kolonien als unabhängige Staaten angesehen werden. Frankreich hat deren politische Unabhängigkeit anerkannt, und alle diese Staaten sind heute Mitglieder der Vereinten Nationen. Im Jahre 1969 ergab eine Untersuchung, daß die Abstimmungsverhalten Frankreichs und seiner ehemaligen Kolonien in der UNO kaum korrelierten; die jungen Staaten gingen offensichtlich eigene Wege, indem sie oft nicht mit Frankreich stimmten, sondern sich mit den anderen Ländern der Dritten Welt solidarisierten. Daraus aber zu schließen, „daß die Nachfolgestaaten Frankreichs in Schwarzafrika — trotz ihrer faktischen Abhängigkeit vom ehemaligen Mutterland — souveräne Staaten sind" scheint zumindest problematisch. Ob Frankreich und seine ehemaligen Kolonien in den Vereinten Nationen die gleiche Auffassung zur Apartheid in Südafrika oder zur israelischen Siedlungspolitik in den besetzten arabischen Gebieten haben, ist ziemlich gleichgültig. Viel wichtiger sind die bilateralen Beziehungen und Abhängigkeitsverhältnisse, und da läßt sich feststellen, daß der Tag der formalen Unabhängigkeit nicht gleichbedeutend war mit einer geglückten „Entkolonisierung" Dies wird auch von amtlicher französischer Seite nicht bestritten. Vielmehr ist offen davon die Rede, namentlich unter der jetzigen sozialistischen Regierung, daß Frankreich den überseeischen Ländern bei ihrer „fortschreitenden Entkolonisierung" helfen wolle. Solche und ähnliche Formulierungen sind als französisches Eingeständnis zu werten, daß gewisse koloniale Strukturen und Abhängigkeitsverhältnisse noch andauern. Dies gilt vor allem für die ehemaligen Kolonien in Schwarzafrika. Ihre Abhängigkeit von Frankreich wird hauptsächlich auf drei Ebenen sichtbar: auf kulturellem, militärischem und wirtschaftlichem Gebiet.

Indessen kommen Zweifel auf, ob eine „echte Entkolonisierung" in allen Bereichen möglich und überhaupt wünschbar ist. Nahezu alle afrikanischen Grenzen sind kolonialen Ursprungs; oft zerschneiden sie Völker und Regionen, die ethnisch, räumlich und historisch zusammengehören; und ebensooft vereinigen sie Völker und Stämme, die wenig miteinander im Sinn haben oder sich feindlich gegenüberstehen. Aber ein Rütteln an diesen kolonialen Grenzen würde das afrikanische Staatensystem wie ein Kartenhaus zusammenbrechen lassen. Das hat sich auch in Afrika als Erkenntnis durchgesetzt, weshalb die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) alle bestehenden Grenzen aus der Kolonialzeit für unverletzlich erklärt hat und keinerlei Gebietsansprüche des einen Landes gegenüber einem anderen unterstützt. Jüngstes Beispiel ist die Nichtanerkennung der marokkanischen Hoheit über das ehemals spanische Westsaharagebiet.

III. Kulturelle Bindungen

Auch in der Sprachenfrage ist eine vollständige „Entkolonisierung" kaum denkbar. Fast alle schwarzafrikanischen Länder müssen zwangsläufig die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht als offizielle Amtssprache verwenden.

Häufig wird die europäische Sprache als lingua franca sogar zum wichtigsten Bindeglied für den nationalen Zusammenhalt. Schwarzafrika ist durch eine außergewöhnliche Sprachenvielfalt geprägt; allein in Gabun soll es vierzig verschiedene einheimische Sprachen geben. Falls man eine Lokalsprache zur Amtssprache erheben würde, müßten sich alle anderen Völkerschaften mit ihren Sprachen zurückgesetzt fühlen. Für Afrika gilt, daß die Bedeutung der europäischen Sprachen nach dem Abzug der Kolonialmächte sogar zugenommen hat. Wir sprechen heute wie selbstverständlich vom francophonen oder anglophonen Afrika.

Daß die Sprachgemeinschaft zwischen Frankreich und dem francophonen Afrika zu vielfältigen Bindungen führt, braucht nicht besonders betont zu werden. Diese Bindungen werden von Paris sehr ernstgenommen und gepflegt. Frankreich versteht sich noch immer als führender Kulturstaat, und der Glaube an die eigene zivilisatorische Mission, die „mission civilisatrice" ist ungebrochen. Frankreich, so das eigene Selbstverständnis, „beglückt" und „beschenkt" die Welt mit seiner Sprache und seinen geistig-kulturellen Errungenschaften.

Die Sprachgemeinschaft mit dem francophonen Afrika ist für Frankreich wichtigster Grund, das Besondere seiner Beziehungen zu diesem Teil der Welt zu unterstreichen. Die Eliten dieser Länder denken und sprechen französisch; sie pflegen einen französischen Lebensstil, und sie konsumieren französische Waren. Daraus ergibt sich ganz natürlich eine Parallelität ihrer Interessenlage mit der Interessenlage Frankreichs. Der norwegische Poli-B tikwissenschaftler Johan Galtung schreibt diesen Eliten nicht ganz zu Unrecht eine „Brückenkopffunktion" zu Die Eliten der Peripherieländer — damit meint er die Länder der Dritten Welt — seien mit einem festen Band der Interessenharmonie an die jeweilige Zentralnation — in unserem Fall Frankreich — gebunden. Beide zögen aus dieser Verbindung Vorteile. Doch würde durch eine solche Konstellation die autonome Entwicklung des Peripherielandes verhindert.

Daß es problematisch ist, wenn Entwicklungsländer derart enge Bindungen mit einem dominanten Industriestaat (hier wieder Frankreich) eingehen, läßt sich auch am Bildungswesen aufzeigen. In den francophonen Ländern ist Französisch Schulsprache. Das Schulwesen ist weitgehend dem französischen Vorbild angepaßt; es unterrichten viele junge französische Lehrkräfte, die so eine Möglichkeit nutzen, ihren militärischen Ersatzdienst abzuleisten. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich bei der Alphabetisierung. Afrikanische Kinder, die zu Hause ihre eigene Sprache sprechen, werden in der Schule in der französischen Fremdsprache alphabetisiert. Dies bewirkt oftmals einen Schock beim Kind und führt dazu, daß es nach Möglichkeit dem Unterricht fernbleibt. Auf diese Weise bleibt es potentieller Analphabet. Nicht zuletzt deshalb haben die westafrikanischen Länder außerordentlich hohe Analphabetenquoten von 80 und manchmal mehr als 90 Prozent. Hier gilt, wie generell für die Länder der Dritten Welt, daß zwar der Analphabetismus prozentual zurückgeht, aber die absolute Zahl der Analphabeten wegen der Bevölkerungsexplosion ständig wächst.

Frankreichs kultureller Führungsanspruch im francophonen Afrika hat bewirkt, daß sein Einfluß über alte Kolonialgrenzen hinausgewachsen ist. Zaire, ehemals Belgisch-Kongo, und die früheren belgischen Mandatsgebiete Ruanda und Burundi sind heute fest auf Frankreich fixiert. Ähnliches scheint sich im lusophonen Afrika anzubahnen, d. h. in den ehemals portugiesischen Kolonien Portugal ist ein kleines Land mit einer sehr begrenzten Buchproduktion. Wer sich informieren will, ist rasch auf fremdsprachige Literatur angewiesen, und er greift aus Neigung zum Französischen. Daß das Französische die favorisierte Fremdsprache der portugiesischen Elite ist, überträgt sich nun auch auf das lusophone Afrika.

Vorerst suchen nur die kleinen ehemaligen portugiesischen Besitzungen Anlehnung an Frankreich: die Kapverden, Guinea-Bissau und Säo Tom e Principe. Vielversprechende Kontakte bahnen sich aber auch mit Angola an, seitdem Frankreich eine sozialistische Regierung hat. Der französische Entwicklungshilfeminister Jean-Pierre Cot unterzeichnete am 26. Juli 1982 in Luanda ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit. Am 28. und 29. März 1983 trat in Paris eine gemischte französisch-angolanische Wirtschaftskommission zusammen; eine weitere Tagung ist für 1985 in Luanda vorgesehen. Dies sind offensichtlich Anzeichen dafür, daß Angola vorsichtig bemüht ist, außenpolitischen Spielraum zu gewinnen.

IV. Militärische Präsenz

Ein wichtiger Einflußfaktor in Afrika ist Frankreichs Militärpräsenz. Paris unterhält ständige Stützpunkte in Senegal, in der Elfenbeinküste, in Gabun, in der Zentralafrikanischen Republik, in Dschibuti, auf der Komoreninsel Mayotte und auf Runion; alles in allem etwa 15 000 Mann. Hinzu kommen Militärberater in rund zwanzig afrikanischen Staaten und eine mobile Einsatztruppe, die auf Korsika und in Südfrankreich stationiert ist und bei Bedarf in Krisengebiete eingeflogen werden kann, wie zuletzt das Beispiel Tschad zeigte.

Grundlage der französischen Militärpräsenz in Afrika sind die Beistandspakte mit etlichen ehemaligen Kolonien. Richtig scheint zu sein, daß sich Frankreich nirgendwo aufdrängt. Paris nahm es in der Vergangenheit durchaus hin, daß einzelne afrikanische Staaten Beistandsverträge aufkündigten. Die meisten Regierungen der francophonen Länder sind jedoch an der französischen Präsenz interessiert, denn sie sehen darin eine Garantie für stabile Verhältnisse. Kaum ein afrikanischer Staat wäre aus eigener Kraft in der Lage, sich äußerer Feinde zu erwehren. Da wenig Neigung besteht, sich an eine der beiden Weltmächte anzulehnen, man aber ohne Anleh-nung an eine fremde Schutzmacht kaum auskommt, bietet sich Frankreich als verläßlicher Partner an.

Paris hat in der Vergangenheit oft betont, daß seine Truppen. in Afrika nur einem Zweck dienen, nämlich vorhandene Grenzen zu sichern, d. h. Aggressionen von außen gegen die afrikanischen Schützlinge abzuwehren. Wie häufig solche Aggressionen aufgrund der französischen Militärpräsenz unterblieben, läßt sich natürlich nicht bestimmen. Aber fraglos sorgt Frankreich für Stabilität in Afrika, und diese seine Rolle wird von den USA offen und von der UdSSR stillschweigend anerkannt. Wiederholt hat Frankreich im Interesse seiner Schützlinge militärisch interveniert, so 1977 in Zaire und 1978 in Mauretanien, im Tschad und — in einer vielbeachteten Aktion — erneut in Zaire Sein Engagement in Afrika trug dem damaligen französischen Präsidenten den Spitznamen „Giscard lAfricain" ein. Inzwischen hat aber auch Francois Mitterrand den „gendarme dAfrique" gespielt, als er im August 1983 Truppen in den Tschad entsandte.

Trotz aller gegenteiligen Beteuerungen ist es für Paris natürlich verlockend, sich militärisch in innere Angelegenheiten seiner afri-kanischen Klientele einzumischen. Solche Fälle sind selten, weil Frankreich damit seine Glaubwürdigkeit und sein Prestige als unparteiische Macht aufs Spiel setzt; aber sie sind vorgekommen. Im Jahr 1964 wurde der von Putschisten abgesetzte Präsident von Gabun, Lon M'Ba, von französischen Truppen wieder in seine Rechte eingesetzt. Im September 1979 wurde der selbsternannte Kaiser Bokassa von Zentralafrika, dem man viele Greueitaten nachsagte, von französischen Truppen abgesetzt und dafür David Dacko als Präsident eingesetzt. Die Affäre Bokassa hat seinerzeit in Frankreich viel Staub aufgewirbelt, zumal-Bokassa lange als persönlicher Freund von Giscard d'Estaing galt, dem er beträchtliche Geschenke gemacht haben soll. Die Zeitung „Le Monde" kritisierte, Giscard habe Frankreich auf zweifache Weise kompromittiert: einmal „dans la pantalonnade du , sacre" ‘ (durch die Teilnahme an der Krönungsposse), zum anderen durch die plötzliche politische Kehrtwendung und das Händeschütteln mit den Gegnern des sogenannten Kaisers sowie durch die peinliche Asylverweigerung für den französischen Staatsbürger Bokassa. „Le Monde" schloß sehr treffend: „cela manquait pour le moins dlgance"

V. Wirtschaftlicher Nutzen

Frankreichs wirtschaftliche Bindungen zum ehemaligen Kolonialreich sind eng und vielfältig. Greift man die Außenhandelsstatistik eines beliebigen Landes des francophonen Afrika heraus, so ergibt sich stets das gleiche Bild: Frankreichs Anteil am Import-und Exportgeschäft ist überproportional hoch und bewegt sich in Größenordnungen zwischen 30 und 60 Prozent. Ein Grund hierfür ist die vergleichsweise hohe Zahl von Franzosen, die ständig weiter wächst. Gegenüber der Kolonialzeit gibt es eine beträchtliche Zunahme. In der Elfenbeinküste hat sich die Zahl seit 1960, dem Jahr der politischen Unabhängigkeit, von damals 5 000 auf heute 50 000 Franzosen, verzehnfacht. Es gibt kaum ein Geschäft im Zentrum der Hauptstadt Abidjan ohne französischen oder libanesischen Inhaber. Eine ähnlich bedenkliche Überfremdung läßt sich auch in Dakar, Douala oder Libreville feststellen. In Senegal leben etwa 40 000 Franzosen, in Niger 6 000, in Kamerun 000 und in Gabun 25 000!

Für Frankreich sind die ehemaligen Kolonien wichtige Wirtschaftskunden und zugleich verläßliche Rohstofflieferanten, namentlich für strategische Rohstoffe, wie Bauxit, Mangan, Erdöl und vor allem Uran. Frankreich stützt seine ehrgeizigen Atomenergiepläne ganz wesentlich auf Uranlieferungen der Länder Niger und Gabun. Tochtergesellschaften der staatlichen französischen Erdölgesellschaft ELF-Aquitaine fördern Erdöl in Gabun und in Kongo-Brazzaville. Die Volksrepublik bestreitet 40 Prozent ihres Staatshaushaltes aus Überweisungen der beiden Erdölgesellschaften ELF-Congo und Agip Recherches Congo 12). Gelegentlich ist Frankreich bereit, seinen ehemaligen Kolonien Rohstoffpreise zu zahlen, die über dem des Weltmarktes liegen. So geschah es im Februar 1982 im Rahmen eines Erdgasabkommens mit Algerien Damit honoriert Paris sichere Lieferquellen.

$Zu den wichtigsten Instrumenten französischer Einflußnahme im francophonen Afrika zählt die Währungs-und Kreditpolitik. Auf dem Währungssektor haben sich die beiden ehemaligen kolonialen Verwaltungseinheiten Französisch-Westafrika (AOF) und Französisch-Äquatorialafrika (AEF) weitgehend erhalten. Bis auf zwei Ausnahmen, Guinea und Mauretanien, gehören alle ehemaligen Kolonien von Französisch-West-und Äquatorialafrika der Franc-Zone an Währungseinheit ist der Franc (CFA), der zum französischen Franc (FF) in einem festen Wertverhältnis von 1 : 50 steht. Bezeichnenderweise hat man nicht einmal die Abkürzung CFA ausgewechselt; sie stand früher für „Colonies Francaises d'Afrique" und bedeutet heute „Communaut Financiöre d'Afrique'1. Der Vorteil der afrikanischen Länder liegt darin, daß ihre Währung über den französischen Franc in jede andere Währung unbegrenzt konvertibel ist, was sehr zur Erleichterung von Auslandsreisen, Außenhandel und Kredittransaktionen beiträgt. Andererseits ergibt sich der Nachteil, daß die afrikanischen Länder automatisch vom Währungsverfall des französischen Franc betroffen sind und daß Paris mit seinem währungspolitischen Instrumentarium in die Wirtschaftspolitik der afrikanischen Länder hineinregieren kann. In West-und Zentral-afrika gibt es je eine Zentralbank für die Banknoten-und Münzenausgabe. Sie befinden sich in Dakar (Senegal) und in Yaounde (Kamerun). Beide Institute, die teilweise mit französischem Personal arbeiten, sind kaum mehr als Filialen der Banque de France

VI. Abgestuftes Engagement: Schwarzafrika, arabische Welt, Lateinamerika

Daß Frankreich die Währungspolitik gegenüber seinen ehemaligen Besitzungen ziemlich selbstherrlich handhabte, verursachte in Afrika wachsenden Verdruß und führte Mitte 1973 sogar zum Austritt Mauretaniens aus der Franc-Zone. Mehrere afrikanische Staaten drängten auf größeres Mitspracherecht bei wirtschafts-und währungspolitischen Entscheidungen. Um die unterschiedlichen Auffassungen darzulegen und nach Möglichkeit auszugleichen, trat im November 1973 eine erste französisch-afrikanische Gipfelkonferenz in Paris zusammen. Unter Leitung von Staatspräsident Pompidou tagten die Vertreter von insgesamt zehn afrikanischen Ländern, darunter sechs Staatschefs Niemand konnte damals ahnen, daß sich aus diesem bescheidenen Anfang jährliche Großkonferenzen entwickeln würden, die abwechselnd in Frankreich und in Afrika stattfinden. Der letzte „europäische" Gipfel tagte Anfang Oktober 1983 unter Leitung von Staatspräsident Mitterrand im lothringischen Kurort Vittel. Von 37 teilnehmenden afrikanischen Staaten waren allein 27 durch ihre Staats-oder Regierungschefs vertreten, darunter erstmals auch Sekou Tour, der inzwischen verstorbene Präsident von Guinea Der nachfolgende „afrikanische" Gipfel tagte im Beisein Mitterrands am 11. und 12. Dezember 1984 in Bujumbura, der Hauptstadt des ehemals belgischen Treu-handgebietes Burundi Wiederum fiel die zahlenmäßig starke Präsenz von Regierungsdelegationen aus Ländern auf, die früher nicht zum französischen Bereich gehört hatten, u. a. aus Ägypten, Tansania, Sambia, Simbabwe, Angola, Mosambik und Liberia. Die Konferenzen von Bujumbura und Vittel sowie die vorausgegangenen französisch-afrikanischen Gipfel zeigen, daß Frankreich, wie bereits erwähnt, heute ein gesuchter Partner geworden ist; dies gilt längst nicht mehr allein für die francophonen Länder, sondern in steigendem Maß für anglophone, lusophone und arabische Staaten. Aus Sicht all dieser Länder scheint Frankreich eine wirkliche Alternative zu den Großmächten darzustellen.

Wie man sieht, beschränken sich Frankreichs Aktivitäten nicht auf Schwarzafrika, wiewohl hier sein besonderes Interesse liegt. Fast die gesamte französische Entwicklungshilfe geht in diesen Teil der Welt, und das Pariser Entwicklungshilfeministerium wird manchmal spöttisch „Ministöre d'Afrique" genannt. Die führenden französischen Politiker, auch der derzeitigen sozialistischen Regierung, sind mit den Problemen der Dritten Welt und besonders Afrikas gut vertraut. Staatspräsident Mitterrand hatte in jungen Jahren das Amt des Kolonialministers inne (Juli 1950 bis März 1951). Seit damals verbindet ihn eine Freundschaft mit Houphouet-Boigny, dem späteren Präsidenten der Elfenbeinküste. Der bisherige Außenminister Claude Cheysson zeichnete lange Jahre als EG-Kommissar für die Außen-beziehungen der Europäischen Gemeinschaft verantwortlich, und inzwischen ist er nach Brüssel zurückgekehrt. Frankreichs Entwicklungshilfeminister Christian Nucci, seit Dezember 1982 im Amt, war zuvor Mitterrands Afrikaberater im Rang eines Staatssekretärs. Zahlreiche Regierungsstellen beschäftigen sich mit der Dritten Welt, — manchmal zu Lasten der Effektivität. Betroffene klagen über einen „jungle des bureaux" und viel Kompetenzwirrwarr.

Neben Schwarzafrika bilden die arabischen Länder einen besonderen Schwerpunkt französischer Politik. Rücksichtnahme empfiehlt sich vor allem gegenüber den Erdölstaaten, u. a. auch gegenüber Libyen. Das Verhältnis zu Algerien ist noch immer problematisch. Auf beiden Seiten gibt es Ressentiments und unerfüllte Forderungen. In Frankreich leben derzeit 800 000 Algerier; sie stellen das größte Kontingent unter rund vier Millionen Gastarbeitern. Algerier sind nicht gut gelitten, und es gibt viele Vorurteile, zumal in einer Zeit, da Frankreich mit erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpft. Trotzdem tritt allmählich eine Entkrampfung in den französisch-algerischen Beziehungen ein. Nachdem Mitterrand im Mai 1982 Algier besucht hatte, reiste Chadli als erster algerischer Präsident nach der Unabhängigkeit seines Landes Mitte Dezember 1982 zu einer offiziellen Visite nach Paris.

Frankreichs sozialistischer Regierung fällt es leicht, mit „linken" Regierungen der Dritten Welt Kontakte zu pflegen, was in der Vergangenheit schwieriger war. Dies gilt beispielsweise für die Volksrepubliken Benin, Kongo und Angola, aber auch für Mexiko und Nicaragua. Sofern es sich nicht um Militärdiktaturen handelt, ist Frankreich um gute Beziehungen zu Mittel-und Südamerika bemüht. Im Zeichen der „Latinität" strebt es möglichst enge kulturelle Bindungen an.

Daß sich Paris nicht scheut, kühle Geschäfts-interessen ins Spiel zu bringen, zeigt sich auch am Waffenexport. Frankreich ist nach den USA und der Sowjetunion drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Irgendwelche moralischen Vorbehalte bei Waffenlieferungen in Krisengebiete scheint Paris nicht zu kennen. Im Oktober 1983 lieferte Frankreich fünf Kampfflugzeuge vom Typ Super-Etendard an den Irak, einen der beiden Kombattanten im Golfkrieg. Frankreich gilt als wichtigster Waffenlieferant von Saudi-Arabien, und es hat jahrelang auch Libyen versorgt. Eines Tages könnte Frankreich gezwungen sein, in irgendeiner Weltecke gegen seine eigenen Waffen antreten zu müssen. Im Faiklandkrieg kämpfte Argentinien mit französischen Waffen gegen Großbritannien. Nach einer Anstandspause von bloß einem halben Jahr nahm Paris schon am 18. November 1982 seine Waffenlieferungen an Buenos Aires wieder auf.

Betrachten wir Frankreichs vielfältige Aktivitäten in der Dritten Welt, so stellt sich die Frage, ob sich das Land am Ende nicht übernimmt. Diese Gefahr sieht man auch in Paris, weshalb man die Kosten des eigenen Engagements gern mit anderen Staaten teilen möchte. Dies erklärt auch, warum Frankreich bereits in den Römischen Verträgen von 1957 auf einer Assoziierung seiner damaligen Besitzungen an die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft bestand. Diese Assoziierung blieb erhalten, als die französischen Kolonien wenige Jahre später ihre Unabhängigkeit erklärten. Sie wurde später, nach dem EG-Beitritt Großbritanniens, auf viele anglophone und dann auch auf andere Staaten der Dritten Welt ausgedehnt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. R. von Albertini, Europäische Kolonialherrschaft 1880— 1940, Zürich 1976, S. 270 ff.

  2. J. Ganiage, L’Expansion coloniale de la France sous la Troisime R 6publique (1871— 1914), Paris 1968.

  3. H. Sieberg, Eugne Etienne und die französische Kolonialpolitik (1887— 1904), Köln und Opladen 1968.

  4. A. Sarraut, La Mise en Valeur des Colonies Francaises, Paris 1923; vgl. dazu: R. von Albertini, Dekolonisation. Die Diskussion über Verwaltung und Zukunft der Kolonien 1919— 1960, Köln und Opladen 1966, S. 312 ff.

  5. Die nachfolgenden Angaben beruhen auf eigenen Recherchen des Verfassers in Archiven von Paris.

  6. N. Scherk, Dekolonisation und Souveränität. Die Unabhängigkeit und Abhängigkeit der Nachfolgestaaten Frankreichs in Schwarzafrika, Wien 1969, S. 149.

  7. P. Mandeng, Die unvollendete Entkolonialisierung West-und Zentralafrikas; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/70, S. 47; Th. Oppermann, Anglophone und frankophone Unabhängigkeit in Westafrika; in: Europa Archiv, (1984) S. 378.

  8. J. Galtung, Eine strukturelle Theorie des Imperialismus; in: D. Senghaas (Hrsg.), Imperialismus und strukturelle Gewalt. Analysen über abhängige Reproduktion, Frankfurt/Main 1972, S. 36— 37.

  9. Das Wort „luso" leitet sich von Lusitanien her, einer römischen Provinz auf dem Gebiet des heutigen Portugal.

  10. Dominique Moisi und Pierre Lellouche, Frankreichs Afrika-Politik unter Giscard d'Estaing; in: Europa Archiv, (1979) S. 31 ff.

  11. „Giscard l’Africain", in: Le Monde vom 14. 3. 1981.

  12. Archiv der Gegenwart, (1982) S. 26030.

  13. J. Chipman, Mitterrands Afrika-Politik: Wiederbelebung der Dritten Kraft; in: Europa Archiv, (1984) S. 338.

  14. Mali nimmt eine Sonderstellung ein. Das Land trat 1962 aus der Franc-Zone aus, ist aber seit 1968 unter Beibehaltung einer eigenen Währung faktisch wieder Mitglied.

  15. Vgl.den Abschnitt „The Franc Zone" in: Africa South of the Sahara, London 198313, S. 167— 168.

  16. Archiv der Gegenwart, (1973) S. 18334 A

  17. Archiv der Gegenwart, (1983) S. 27044 A bis 27045.

  18. Archiv der Gegenwart, (1984) S. 28318 B— 28320.

Weitere Inhalte

Herward Sieberg, Dr. phil. habil., geb. 1942; Professor für Politische Wissenschaft unter besonderer Berücksichtigung der Sozialkunde an der Hochschule Hildesheim. Veröffentlichungen u. a.: Dritte Welt — Vierte Welt. Grundprobleme der Entwicklungsländer, Hildesheim 1977; Colonial Development. Die Grundlegung moderner Entwicklungspolitik durch Großbritannien, 1919— 1949, Wiesbaden-Stuttgart 1985 (im Druck).