I. Vorbemerkung
Die Wahl Valery Giscard d'Estaings zum 3. Staatspräsidenten der V. Republik am 19. Mai 1974 signalisierte den politischen Abstieg der Gaullisten als repräsentative politische Kraft in Frankreich; sie sollte nach der Auffassung Giscard d'Estaings eine neue Ära in der französischen Politik einleiten. Die „Ära" Giscard d'Estaing dauerte jedoch nur ein Septenna Staatspräsidenten der V. Republik am 19. Mai 1974 signalisierte den politischen Abstieg der Gaullisten als repräsentative politische Kraft in Frankreich; sie sollte nach der Auffassung Giscard d'Estaings eine neue Ära in der französischen Politik einleiten. Die „Ära" Giscard d'Estaing dauerte jedoch nur ein Septennat, als er in der Präsidentschaftswahl 1981 seinem sozialistischen Gegner Francois Mitterrand unterlag. Während Mitterrand 1974 mit nur ca. 400 000 Stimmen verloren hatte, gewann er 1981 deutlich im zweiten Wahlgang mit 51, 74 Prozent gegenüber 48, 24 Prozent der Wählerstimmen 1). Damit hatte sich ein weiterer Wechsel in der V. Republik vollzogen, denn zum ersten Mal konnte das bürgerliche Lager nicht mehr den Staatspräsidenten stellen. Die anschließenden Neuwahlen der Nationalversammlung brachten den Sozialisten einen großen Sieg 2), so daß sie seit Beginn der achtziger Jahre die dominierende politische Kraft Frankreichs waren und Gaullisten und Giscardisten nur die Rolle der Opposition blieb. Welche Folgerungen ergaben sich aus diesem doppelten Wechsel für die französische Außenpolitik, nämlich aus dem Wechsel innerhalb der bürgerlichen Mehrheit und dem Wechsel von bürgerlicher zu sozialistisch/kommunistischer Mehrheit? Waren die gaullistischen Weichenstellungen, die sich insbesondere in der Politik der Unabhängigkeit, Größe und Entscheidungsfreiheit Frankreichs zeigten 3), auch unter veränderten politischen Vorzeichen noch gültig? Wurden dramatische Wendungen in der Außenpolitik vorgenommen? Überwog die Kontinuität oder die Diskontinuität? Diese und weitere Fragen sollen im Vordergrund dieser Analyse abgehandelt werden.
II. Ausgangsbasis und außenpolitischer Entscheidungsprozeß unter Giscard d’Estaing
Der dritte Präsident der V. Republik besaß gegenüber de Gaulle und Pompidou eine schwächere Ausgangsposition. 1. hatte er gegen die Gaullisten im 1. Wahlgang kandidiert, 2. besaß er gegenüber seinem Rivalen Mitterrand nur einen hauchdünnen Vorsprung und 3. waren die Gaullisten innerhalb der ihn unterstützenden parlamentarischen Mehrheit nach wie vor die stärkste politische Kraft. Das bedeutet, daß Giscard d'Estaing auf die Unterstützung der Gaullisten zur Durchführung seiner Politik angewiesen war, die er aber wiederum nur dann erhalten konnte, wenn er die gaullistischen Dogmen, also insbesondere die Unabhängigkeit und Größe der Nation, nicht in Frage stellte. Für die Außenpolitik mußte diese parlamentarische Einbindung die Berücksichtigung gaullistischer Positionen auch unter der Präsidentschaft Giscard d'Estaings bedeuten.
Hinsichtlich der Besetzung der außenpolitischen Spitzenpositionen zeigte sich, daß auch unter Giscard d'Estaing die von de Gaulle eingeführten „domaines reservs" in der Außenpolitik ihren Fortbestand haben sollten, wenngleich sicherlich der Einfluß seiner Berater und der führenden Spitzenpolitiker nicht zu unterschätzen ist. Erster Außenminister unter Giscard wurde Jean Sauvargnargues, damaliger Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland. Ihm folgte 1976, als der gaullistische Premierminister Chirac durch den parteilosen Raymond Barre abgelöst wurde, mit Louis de Guiringuaud ebenfalls ein Karriere-diplomat auf dem Chefsessel des Außenministeriums. Schließlich übernahm mit Jean Francois Poncet im November 1978 der dritte Diplomat unter der Präsidentschaft Giscard d'Estaings das Außenministerium.
Hinsichtlich des außenpolitischen Entscheidungsprozesses erfuhr Präsident Giscard d'Estaing durch den Ausgang der Wahlen zur Nationalversammlung 1978 eine Stärkung seiner Position. Wenngleich die Gaullisten stärkste Fraktion innerhalb des bürgerlichen Lagers blieben, so konnten die Giscard unterstützenden Parteien — kurz vor der 1978er Wahl zur Union pour la Democratie Francaise (UDF) zusammengefaßt — wichtige Positionen gutmachen; zweifellos wurde dadurch der Spielraum des Präsidenten im Bereich der Exekutive vergrößert 1. Die außenpolitische Konzeption Giscard d’Estaings Ausgangspunkt für die Außenpolitik Frankreichs unter Giscard d'Estaing war einmal die innenpolitische Konstellation sowie zum anderen die Erkenntnis, daß es 1974 eine Weltkrise gab, die sich insbesondere im Un-gleichgewicht der Weltwirtschaft zeigte. Sie war gekennzeichnet durch eine weltweite Inflation, die völlige Desorganisation des internationalen Währungssystems und den starken Preisanstieg wichtiger Rohstoffe. Da eine Interdependenz aller Nationen aufgrund der ökonomischen Gegebenheiten besteht, muß die französische Außenpolitik weltweit (mondialistisch) orientiert sein. „Frankreich hat, anstatt der Versuchung nachzugeben und das Risiko der Frontenbildung einzugehen, den Weg des Gesprächs gewählt... Die Bevorzugung der Verständigung gegenüber der Frontenbildung ergab sich nicht aus den Umständen. Sie war vielmehr Ausdruck unserer ständigen Überzeugung, daß die Lösung der großen Probleme, welche die wirtschaftliche Entwicklung oder die Sicherheit der Welt betreffen, nicht mehr in rein nationalen oder regionalen Rahmen gesucht werden kann, sondern daß sie in zunehmendem Maße die ganze Weltgemeinschaft angeht", schrieb der Staats-präsident 1976
Als rohstoffabhängiges Land sah sich Frankreich unter Giscard d’Estaing gezwungen, eine Außenpolitik zu betreiben, die die von de Gaulle eingeleitete militärische Unabhängigkeitspolitik auch auf dem ökonomischen Sektor gewährleisten sollte. Zwar akzeptierte das Frankreich Giscards die strategische Bipolarität der Supermächte, jedoch versuchte es innerhalb des internationalen Systems den unter de Gaulle eingenommenen Platz zu verteidigen und als Mittler im internationalen System zu agieren. Die französische Unabhängigkeit unter Giscard sollte sich danach nicht nur auf die Landesverteidigung stützen, sondern auch andere Gebiete umfassen. „Die Ablehnung einer übermäßigen Auslandsverschuldung, die Bemühung um die Sicherheit der Energieversorgung und die Erhaltung eines hohen Niveaus der technologischen Forschungen und Leistungen sind ebenso Elemente der Unabhängigkeit. Das rechtfertigt auf lange Sicht die in diesen Richtungen fortzusetzenden Bemühungen." Wesentliche Politikbereiche, in denen die eigene Position Frankreichs zum Ausdruck kommen sollte, waren die Ost-West-Beziehungen, die Europapolitik und die Dritte-Welt-Politik. 2. Frankreich in den Ost-West-Beziehungen unter Giscard d'Estaing Die Amtszeit Giscard d’Estaings von 1974 bis 1981 wurde durch einen permanenten Zerfall des Entspannungsprozesses zwischen Ost und West gekennzeichnet. Erlebte die Entspannung in der ersten Hälfte der siebziger Jahre sowohl auf bilateraler als auch auf multilateraler Ebene ihre Höhepunkte — erwähnt seien nur SALT I, das Berlin-Abkommen von 1971, die deutschen Ostverträge und die Schlußakte von Helsinki — so verlor die Entspannung in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre an Unterstützung, besonders in den USA und auch in der UdSSR. Frankreichs Politik der Unabhängigkeit konnte aber nur erfolgreich sein, wenn ein annäherndes militärisches Gleichgewicht zwischen West und Ost aufrechterhalten blieb und die Ost-West-Entspannung fortgesetzt wurde. Gerieten beide Elemente ins Wanken, so verringerte sich auch«der Spielraum Frankreichs, und der innenpolitische Konsens drohte sich aufzulösen Folgerichtig suchte Frankreich unter Giscard die Entspannungspolitik mit allen Mitteln nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern auch zu fördern. Eine Sonderstellung nahm dabei das französisch-sowjetische Verhältnis ein Mehrfache Spitzenbegegnungen zwischen Giscard d'Estaing und Breshnew veranschaulichen die Bedeutung der UdSSR in der französischen Ostpolitik. Neben dem Ausbau der ökonomischen Beziehungen war ein Schwerpunkt französischer Ostpolitik auch der Versuch des Abbaus der ideologischen Spannungen.
Analog zu de Gaulle, der schon die Invasion der fünf Warschauer Pakt-Staaten 1968 in der CSSR als einen Betriebsunfall ansah, glaubte auch Giscard, daß die sowjetische Invasion in Afghanistan keinen grundsätzlichen Wechsel der sowjetischen Außenpolitik darstelle, daß die UdSSR jedoch einen schweren Fehler gemacht habe.
Bereits vorher hatte Giscard zu erkennen gegeben, daß er sich hinsichtlich der Einschätzung der UdSSR in einen erheblichen Gegensatz zu den USA gebracht hatte. 1975 teilte Giscard die sowjetische Sorge über die Gründung einer westeuropäischen Verteidigungsunion; 1977 weigerte er sich — im Gegensatz zum US-Präsidenten Carter — sowjetische Dissidenten zu empfangen. Giscard warf Präsident Carter sogar vor, eine ideologische Dimension in die internationale Politik eingebracht zu haben, die den internationalen Entspannungsprozeß erschwert hätte
Auch nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan war Giscard nicht bereit, ein Verhalten gegenüber der UdSSR zu praktizieren, das als Blockverhalten hätte verstanden werden und Frankreichs unabhängige Position hätte beeinträchtigen können. Frankreich unter Giscard versuchte in den Ost-West-Beziehungen als Vermittler zu agieren und seine unabhängige eigenständige Politik fortzuführen; dies geht aus dem Treffen Giscards mit KPdSU-Generalsekretär Breshnew in Warschau im Mai 1980 hervor.
In diesem kurzfristig anberaumten, auf die Initiative des polnischen PVAP-Chefs Gierek zurückgehenden und mit den westlichen Partnern nicht abgestimmten Treffen, versuchte Giscard die Haltung Frankreichs aus der neu entstandenen Lage dem KPdSU-Generalsekretär zu verdeutlichen. Der französische Präsident verlangte von der UdSSR den Rückzug ihrer Truppen aus Afghanistan; er suchte somit den Dialog zwischen Ost und West, der nach dem NATO-Doppelbeschluß vom Dezember 1979 und der Afghanistan-Invasion abgebrochen war, wieder zu beleben und die besondere französische unabhängige Position zu verdeutlichen.
Auch als in Polen eine Liberalisierungspolitik einsetzte, war die Haltung des französischen Präsidenten in bezug auf mögliche sowjetische Reaktionen so ambivalent, daß der Vorwurf der „Finnlandisierung" erhoben wurde
Frankreichs Haltung in den Ost-West-Beziehungen unter Giscard führte zu Differenzen mit den USA, insbesondere nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan. Die Ablehnung des von den USA initiierten Boykotts der Olympischen Spiele in Moskau durch Frankreich symbolisierte den amerikanisch-französischen Konflikt. Auch die Begegnung Giscards mit Breshnew in Warschau verhärtete das amerikanisch-französische Verhältnis; darüber hinaus machten sich die amerikanisch-französischen Differenzen in der Beurteilung des Nord-Süd-Konflikts bemerkbar.
Nur auf dem Gebiet der Verteidigung in der Atlantischen Allianz war unter Giscard eine Verbesserung des französisch-amerikanischen Verhältnisses festzustellen. 3. Europapolitik — der französische Aktivismus Auch die Europapolitik sollte als ein Instrument unter der Präsidentschaft Giscard d'Estaings dazu dienen, französische Interessen durchzusetzen. 1976 schrieb der Staats-präsident: „Um uns herum organisiert sich Europa. Frankreich leistet einen positiven Beitrag durch seinen Beitritt zu den Römischen Verträgen... Unser Land betrachtet es als eine Notwendigkeit für die Nationen Westeuropas, die einander durch ihre Lebensweise, ihre Zivilisation und ihre politischen Institutionen nahestehen, sich zu vereinen in einer Welt, in der Supermächte auftreten und Staaten sich in verschiedene Formen gruppieren: Erdöl produzierende Länder, blockfreie Staaten, Mitglieder der Organisation für Afrikanische Einheit." Mit dem Willen, den Aufbau Europas fortzuführen, konnte auch die Konstante „Unabhängigkeit" in der französischen Außenpolitik aufrechterhalten werden, die durch die Einbeziehung der Gaullisten in die Regierung unabdingbar war. Anläßlich der französischen Präsidentschaft in der EG schlug Giscard im Herbst 1974 folgende Maßnahmen vor: — die Einrichtung eines Europäischen Rats (ein institutionalisiertes periodisches Treffen der Staats-und Regierungschefs der EG-Mitgliedsländer); ,, — die Direktwahl des Europäischen Parlaments vor 1980;
— die Wiederaufnahme des Projekts Wirtschafts-und Währungsunion und — die Ausarbeitung einer gemeinsamen Energiepolitik
Von herausragender Bedeutung für den französischen Präsidenten war die Einbeziehung der veränderten Position der Bundesrepublik Deutschland in seine Europakonzeption. 1973 hatte die Bundesrepublik ihre erste Phase der Ostpolitik abgeschlossen und dadurch größere außenpolitische Handlungsfreiheit erlangt. So wurde die Bundesrepublik im französischen Konzept sowohl als Partner als auch als Konkurrent gesehen. Giscards Über-legungen gingen in die Richtung, daß die Weiterentwicklung der EG nicht nur einen Gleichklang zwischen beiden Staaten, sondern auch eine annähernde Gleichwertigkeit beider voraussetzen würde
Giscard strebte ein konföderatives Europa an, d. h. „daß es sich um ein Europa handeln wird, in dem niemand einem anderen seinen Willen aufzwingen kann — um eine Organisation, deren Ziel darin besteht, die Politik der einzelnen Länder anzunähern, Möglichkeiten eines gemeinsamen Vorgehens aufzuzeigen, die jedoch keinerlei Möglichkeit bietet, einen Zwang auf diesen oder jenen Partner, auf diesen oder jenen europäischen Staat auszuüben, der mit dem festgelegten Kurs nicht einverstanden wäre."
Als Methode diente der Intergouvernementalismus, d. h. die Zusammenarbeit auf Regierungsebene. Alle europapolitischen Vorschläge Frankreichs, die Installierung des Europäischen Rats, die Direktwahl des Europäischen Parlaments, die Einrichtung des 1979 in Kraft getretenen Europäischen Währungssystems (EWS) wie auch die Einsetzung eines Gremiums von Drei Weisen zur Begutachtung der institutionellen Probleme der Süderweiterung für die EG wurden durch die intergouvernementale Zusammenarbeit realisiert. Auch die in der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) praktizierte gemeinsame Außenpolitik der EG-Länder, die auf einen Vorschlag von Präsident Pompidou im Jahr 1969 zurückging, kam den Vorstellungen Giscards entgegen. Der Europäische Rat, das eigentliche Entscheidungsorgan der EG, und die EPZ wurden somit Grundelemente in der konföderalen Struktur Westeuropas. Giscards Europapolitik wäre allerdings ohne die Unterstützung Bundeskanzler Schmidts nicht möglich gewesen. Französische und deutsche Interessen konvergierten in der Regierungszeit dieser Politiker, so daß sich beide in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre zum — wenn auch nicht sehr schnell laufenden — Motor des westeuropäischen Integrationsprozesses entwickelten.
Für die EG strebte Giscard eine größere weltpolitische Rolle an, die er allerdings aufgrund seines Ausscheidens aus dem Präsidentenamt nicht mehr verwirklichen konnte. So wurde Ende 1979 US-Präsident Carter von Giscard und Schmidt aufgefordert, die Ratifizierung des SALT II-Abkommens voranzutreiben. Das deutsch-französische Kommunique von Anfang 1980 stellte die besondere westeuropäische Verantwortung angesichts der neuen Spannungen und Konflikte in der Welt (Iran, Afghanistan) heraus. Schließlich betonte Giscard anläßlich seines Deutschlandbesuches 1980 die Bedeutung eines starken Europas als ausgleichendes Element der Weltpolitik Die besonders enge Verflechtung der deutschen und französischen Volkswirtschaft erforderte die Absprache in der Europapolitik zwischen Frankreich und der Bundesrepublik. Gleichzeitig ermöglichte die gemeinsame deutsch-französische Europapolitik trotz aller nach wie vor bestehenden unterschiedlichen Interessen eine bessere Verhandlungsposition gegenüber den USA i der Wirtschaftsund Währungspolitik. 4. Frankreich und die Dritte Welt Seit de Gaulle versuchte Frankreich in der Dritten Welt eine Vorbildrolle auszufüllen. Insbesondere die engen Beziehungen, die aufgrund der Kolonialzeit mit den Staaten Schwarzafrikas bestanden, erfuhren unter Giscard eine Intensivierung. Mit dem Ausbruch des Yom-Kippur-Krieges 1973 zwischen Israel und Ägypten und dem darauf von der OPEC verhängten Teilembargo für Erdöl wurde die Abhängigkeit der Industriestaaten von den Rohstoffländern offenkundig.
Frankreich als extrem rohstoffarmes, jedoch viele Rohstoffe verbrauchendes Land zog unter Präsident Giscard schnell die Konsequenzen und strebte mit seiner „mondialistischen Außenpolitik" Verhandlungen zwischen Industrie-und Entwicklungsländern an. So setzte sich Frankreich — im Gegensatz zu den USA — für den Nord-Süd-Dialog ein. Obwohl die seit 1975 in Paris tagende Konferenz über Internationale Wirtschaftliche Zusammenarbeit (KIWZ) ohne Ergebnis endete, bestätigte diese Konferenz sowohl die Unabhängigkeitspolitik Frankreichs als auch seine besondere Rolle gegenüber der Dritten Welt. Auch die französische Weigerung, der 1974 gegründeten Internationalen Energieagentur (IEA) beizutreten — Frankreich sah darin ein von den USA gegen die OPEC gerichtetes Verbraucherkartell — bestätigt diese Unabhängigkeitspolitik.
Schwerpunkt der Dritten-Welt-Politik unter Giscard war der afrikanische Kontinent. Hier fanden auch massive militärische Einsätze, vor allem in den traditionellen französischen Einflußzonen, statt, deren Rechtsgrundlagen die bilateralen Militärhilfeabkommen bildeten Besonders die Befreiungsaktion von 3 000 Europäern aus der Provinz Shaba in der Republik Zaire wie auch die Beteiligung französischer Soldaten am Machtwechsel in der Zentralafrikanischen Republik im Jahre 1979 riefen heftige innenpolitische und internationale Kritik hervor. Mit diesen Aktionen, die u. a. sicherheitspolitisch begründet wurden wollte Frankreich seihe Präsenz in Afrika als Großmacht, seine besondere Bedeutung auch gerade innerhalb der EG und gegenüber der Dritten Welt dokumentieren. „Mit seinen militärischen Operationen hat Giscard versucht, traditionelle Einflußgebiete Frankreichs in Afrika zu schützen und zugleich Frankreichs Rolle gegenüber den Weltmächten zu demonstrieren. Angesichts der sowjetischen Expansion in Afrika ergab sich jedoch eine spezielle Koinzidenz zwischen spezifisch französischen und allgemein westlichen Interessen auf dem Kontinent, und das prägte der französischen Afrikapolitik jenes Stigma der Zwielichtigkeit auf, das sie für Kritik so anfällig machte."
Die Politik Frankreichs unter Giscard gegenüber dem Nahen Osten war von der Notwendigkeit französischer Energieversorgung, der Darstellung europäischer Stärke und der Stabilisierung der französischen Rüstungsindustrie geleitet. So förderte Frankreich eine positivere Haltung der EG gegenüber den arabischen Staaten, die in der Installierung des euro-arabischen Dialogs und der Erklärung von Venedig im Jahr 1980 ihren Niederschlag fand. Bereits 1975 stimmte Frankreich als erstes westliches Land für die Teilnahme einer PLO-Delegation in den Vereinten Nationen, und 1980 setzte sich Giscard für die Anerkennung der PLO als Verhandlungspartner im Nahostkonflikt ein. Frankreich wurde in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre von den arabischen Staaten als der westliche Staat angesehen, „der am ehesten imstande ist, der amerikanischen Politik zu widersprechen"
Die Verbindung nationaler und europäischer Interessen in der französischen Nahostpolitik kommt in der Rüstungsexportpolitik zum Ausdruck. Unter Präsident Giscard wurde der Nahe und Mittlere Osten bevorzugter Markt der französischen Rüstungsindustrie. So wurden allein 1980 zwischen dem Irak und Frankreich eine nukleare Zusammenarbeit und zwischen Frankreich und Saudi-Arabien ein Rüstungsabkommen im Wert von 14 Mrd. Francs abgeschlossen 5. Verteidigungspolitik — Wandel und Abkehr von de Gaulle Galt unter de Gaulle und Pompidou die — allerdings niemals offiziell gebilligte — Strategie der Verteidigung in allen Himmelsrichtungen, so erfolgte unter Giscard eine vorsichtige Abkehr von der gaullistischen Verteidigungsdoktrin Frankreichs Verteidigungspolitik bezog sich nun nicht länger allein auf die Verteidigung des Hexagons. Es erfolgte die Ausdehnung des nationalen Sicherheitsbereiches auf das europäische Vorfeld, einschließlich des Mittelmeerbeckens.
Das „erweiterte Sanktuarium" bedeutete eine Ausdehnung der französischen Sicherheitszone bis an die deutsch-deutsche Grenze, wenngleich dies niemals so offen ausgesprochen wurde. Die veränderte Doktrin erforderte auch einen veränderten Auftrag für die französischen Streitkräfte und hatte nachaltige Auswirkungen auf ihre Organisationsstruktur. So legte das Militärprogramm für die Jahre von 1977 bis 1982 einen Schwerpunkt auf eine verstärkte Ausrüstung der konventionellen Streitkräfte und machte hinsichtlich der taktischen Nuklearwaffen den Strategiewandel deutlich. Es zeigte, daß nun für Frankreich auch die Anwendung taktischer Nuklearwaffen möglich war. Der Strategiewandel offenbarte sich vor allem in der Relativierung der Bedeutung der strategischen Kernwaffen, in der Zusammenarbeit mit den Verbündeten, im erweiterten Schutzbereich und in den Möglichkeiten einer europäischen Verteidigung
Frankreich unter Giscard betrieb somit eine modifizierte gaullistische Verteidigungspolitik. Es beharrte auch unter Giscard nach wie vor auf der Ermessensfreiheit des Entscheidungseinsatzes, entfernte sich aber von der Strategie des „Alles oder Nichts" und näherte sich immer stärker der NATO-Strategie der „Flexiblen Reaktion" an
III. Ausgangsposition und außenpolitischer Entscheidungsprozeß unter Mitterrand
Aufgrund der gewonnenen Doppelwahlen — bei den Wahlen zur Nationalversammlung 1981 erhielt die Sozialistische Partei Frankreichs die absolute Mehrheit — besaß der neue Staatspräsident einen wesentlich größeren Handlungsspielraum als seine Vor-gänger. Der Sozialist Mitterrand setzte die Tradition der „domaines reservös" fort und brach mit seiner früher an den bürgerlichen Präsidenten geäußerten Kritik. Auch Mitterrand verlagerte die wichtigsten außenpolitischen Entscheidungen in das Präsidialamt, so daß das Ministerium für Auswärtige Beziehungen im wesentlichen zum Zuarbeiter für die Außenpolitik des Präsidenten wurde. Erster Außenminister Mitterrands wurde Claude Cheysson, ein Berufsdiplomat, der bereits als EG-Kommissar besonders mit den Nord-Süd-Beziehungen befaßt war. Nachdem Cheysson zum 1. Januar 1985 erneut in die EG-Kommission berufen wurde, übernahm der bisherige Europaminister Roland Dumas das Außenministerium. Da allerdings die Konzeption der Außenpolitik weitgehend im Elyse-Palast erfolgt, muß darauf verwiesen werden, daß Mitterrand einen außenpolitischen Beraterstab im Elyse-Palast versammelt hat, der im wesentlichen vom Generaldirektor des Elyse, Jacques Attali, dem Berater für Lateinamerika, Rgis Debray, einem ehemaligen Mitstreiter des legendären Guerillaführers Ch Guevarra und dem Berater für Afrikafragen, Guy Penne, als wichtigste Berater gebildet wird. Somit gibt es zwischen präsidentiell konzipierter und ministeriell durchgeführter Außenpolitik Reibungsverluste, die immer wieder zu Konflikten führen. Sie fanden mit dem Rücktritt des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Cot, Ende 1981 einen Höhepunkt Eine wesentliche Neuerung im außenpolitischen Entscheidungsprozeß war die Einbeziehung vier kommunistischer Minister in die Regierung, die aber vor allem aus innenpolitischen Gründen erfolgte und zur Unterstützung innen-und gesellschaftspolitischer Reformen durch die PCF führen sollte. Die Regierungsbeteiligung der PCF bis zum Sommer 1984 mußte zu erheblichen Belastungen in der Führung der Außenpolitik beitragen, denn in fast allen wichtigen außenpolitischen Problembereichen lagen die Positionen von PS und PCF weit auseinander: in der Einschätzung der Sowjetunion, im Verhältnis zu den USA und der NATO, in der Europapolitik, in der Haltung gegenüber Polen und vor allem hinsichtlich des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan und in der Frage der Nachrüstung 1. Zur außenpolitischen Konzeption Mitterrands Präsident Mitterrand, der bereits in der IV. Republik zahlreiche Ministerämter bekleidete und in der V. Republik in Opposition zur Außen-und Verteidigungspolitik de Gaulles stand, übernahm wesentliche, von de Gaulle eingeschlagene außenpolitische Richtungsentscheidungen. Zunächst einmal setzte Mitterrand die Kontinuität der Entscheidungsstrukturen fort, d. h., daß die von de Gaulle eingeführten „domaines reservs" auch unter Mitterrand fortgelten. Die außenpolitische Richtungskompetenz liegt also nach wie vor beim Staatspräsidenten Damit besteht auch die präsidentielle Kompetenz über die von de Gaulle — als Ausdruck der nationalen Unabhängigkeit — konzipierte „force de trappe" fort, die nicht nur in ihrer bisherigen Stärke aufrechterhalten, sondern ausgebaut wurde. Dritter Kontinuitätsbereich sind die engen französisch-deutschen Beziehungen, die nach wie vor als Voraussetzung erfolgreicher Europapolitik verstanden werden. Und schließlich wurde auch in der Nahostpolitik keine grundsätzliche Wende vollzogen, sondern die unter den bürgerlichen Präsidenten eingeleitete Politik im wesentlichen fortgesetzt. Deutlich neue Akzente setzte Mitterrand jedoch in der Dritte-Welt-Politik und in seiner Ost-West-Politik. In der Dritte-Welt-Politik wird besonders für eine gerechtere Weltordnung plädiert, die den unterdrückten Völkern zugute kommen soll. In einer seiner ersten Ansprachen als Präsident erklärte Mitterrand, daß Frankreich eine „Allianz von Sozialismus und Freiheit" fördern wolle und „daß es keine wirkliche internationale Gemeinschaft geben kann, solange auf zwei Dritteln unseres Planeten weiterhin Menschen und Güter gegen Hunger und Verachtung aufgerechnet werden. Ein gerechtes und solidarisches Frankreich, das mit allen in Frieden leben will, kann der Menschheit den Weg weisen." In der Ost-West-Politik unterscheidet sich Mitterrand von seinen Vorgängern durch ein außergewöhnlich starkes Engagement für ein funktionierendes westliches Sicherheitssystem. Dieses Engagement erklärt sich einmal aus der veränderten Haltung — auch gerade der französischen Linken — gegenüber der UdSSR in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre und zum anderen aus der Befürchtung, daß die Bundesrepublik aus den westlichen Gemeinschaften abdriften könnte. 2. Ost-West-Beziehungen — Französisch-amerikanische Übereinstimmung Die Beziehungen Frankreichs zu den osteuropäischen Staaten sind unter der Präsidentschaft Mitterrands eng mit sicherheitspolitischen Überlegungen verknüpft. Ausgangspunkt französischer Überlegungen ist eine nach wie vor expansionistische Sowjetunion, die das militärische Gleichgewicht einseitig zu ihren Gunsten verändert hat. Deshalb begrüßte Mitterrand — im Gegensatz zu seinem Vorgänger — den NATO-Doppelbeschluß von 1979 nachdrücklich, da er Verhandlungen • mit der Sowjetunion erst als erfolgreich ansah, wenn wieder annähernd ein Gleichgewicht hergestellt wäre. Dazu erklärte er 1981 im deutschen Magazin Stern: „Wenn ich den Neutralismus verurteile, dann deshalb, weil ich glaube, daß der Frieden vom Gleichgewicht der Kräfte abhängt. Die Stationierung der sowjetischen SS 20 und des Backfire stört dieses Gleichgewicht in der Welt. Das kann ich nicht akzeptieren, und ich muß zugeben, daß gerüstet werden muß, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Von da ab muß verhandelt werden."
Anders als seine Vorgänger mied Mitterrand lange den persönlichen Kontakt mit der politischen Führung der UdSSR, ehe er im Sommer 1984 der Sowjetunion einen Besuch abstattete allerdings nur, um den Sowjets seine Vorstellungen zur internationalen Lage und zur Abrüstung zu erläutern sowie Kritik an der sowjetischen Menschenrechtspolitik zu üben. Handel, Wissenschaft und kulturelle Beziehungen wurden aufrechterhalten bzw. ausgebaut, so daß 1984 ein französisch-sowjetisches Wirtschaftsabkommen in Höhe von 10 Mrd. FF abgeschlossen werden konnte
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern verzichtete Mitterrand lange Zeit auf eine eigenständige französische Rolle im Entspannungsprozeß. Zwar ist es auch das Ziel Mitterrands, die Rolle der Supermächte in Europa zu reduzieren und die Autonomie Europas zu erhöhen, jedoch unterscheidet sich Mitterrand in seinen Methoden zur Erreichung dieses Ziels erheblich von de Gaulle. Seine Ansicht, daß alles, was Jalta überwinden kann, gut sei, daß aber eine realistische Sicht der Politik vorgenommen werden müsse, zeigt dies deutlich.
Gerade in den Ost-West-Beziehungen stimmt Mitterrand mit der Analyse Präsident Reagans prinzipiell überein, so daß seine Erklärungen über die sowjetischen SS 20-Raketen und seine Unterstützung für den NATO-Doppelbeschluß — die vor allem auch vor dem Hintergrund einer französischen Furcht vor dem Abdriften der Bundesrepublik zu verstehen ist — zu einer Verbesserung der amerikanisch-französischen Beziehungen beigetragen haben. Symbolisch kommt die Annäherung Frankreichs an die USA und die NATO in der erstmals seit 1966 abgehaltenen NATO-Ratstagung in Paris 1983 zum Ausdruck 3. Amerikanisch-französische Beziehungen — mehr Differenzen als Übereinstimmungen Zwar haben die harte Haltung Mitterrands gegenüber der UdSSR und seine wiederholten Bekenntnisse zum Atlantischen Bündnis zu einer Verbesserung des französisch-amerikanischen Verhältnisses beigetragen, jedoch überwiegen die Problembereiche. Frankreich bleibt ökonomisch — zusammen mit den anderen EG-Staaten — ein Rivale der USA und in der Entwicklungspolitik ein absoluter Gegner der US-Politik. Eine diametral entgegengesetzte Position bezog Mitterrand gegenüber den USA in der Lateinamerikapolitik, als er 1981 erklärte: „Ich möchte z. B. stärkste Bedenken — um nicht noch schärfer zu sein — gegen die Politik der Vereinigten Staaten in Mittelamerika äußern. Die Völker in dieser Region möchten endlich der Oligarchie ein Ende setzen, die sie, gestützt auf blutige Diktaturen, ausbeuten und unter wahnsinnigen Bedingungen erdrücken. Ein unendlich kleiner Teil der Bevölkerung besitzt praktisch die Gesamtheit der Güter. Wie kann man für den Volksaufstand kein Verständnis haben! Es handelt sich nicht um eine kommunistische Subversion, sondern um den Protest gegen Elend und Erniedrigung. Der Westen wäre besser beraten, wenn er diesen Völkern helfen würde, anstatt sie zu zwingen, sich den Stiefeln zu beugen. Wenn sie um Hilfe schreien, dann möchte ich, daß diese Schreie nicht nur von Castro gehört werden. Ich glaube aber, daß auch die amerikanischen Führungsspitzen denkfähig sind." Mitterrand wie auch andere westeuropäische Politiker befürchten, daß die US-Mittelamerikapolitik kontraproduktive Ergebnisse hervorruft und damit westlichen Interessen auf Dauer mehr schadet als nützt.
Neben den Nord-Süd-Beziehungen bildet die Hochzinspolitik und die starke Dollaraufwertung einen weiteren wichtigen Konfliktbereich zwischen den USA und Frankreich. Befolgte Mitterrand mit seiner „Strategie der asymmetrischen Gegenleistungen" — Unterstützung der US-Position in den Ost-West-Beziehungen bei erhofftem Entgegenkommen der USA in der Wirtschafts-und Währungspolitik das Ziel der Absicherung seines sozialistischen ökonomischen Modells und die Zurückweisung innenpolitischer Kritik als zu treuer US-Verbündeter, so scheiterte dieser Ansatz spätestens auf der Versailler Gipfelkonferenz 1982. Auch wenn mit dem Ausscheiden der Kommunisten aus der Regierung im Sommer 1984 ein — aus amerikanischer Sicht — wichtiger Streitpunkt entfiel, bestehen heute Konflikte zwischen den USA und Frankreich in der Ökonomie und in den Nord-Süd-Beziehungen fort, wie auch anläßlich des Staatsbesuchs Mitterrands in den USA 1984 sichtbar wurde 4. Europapolitik — französisch-deutsche Schrittmacherrolle Gute Beziehungen zur Bundesrepublik, gerade auch mit der christlich-liberalen Regierung Kohl/Genscher, bilden auch den Eckstein französischer Europapolitik in den achtziger Jahren. Mitterrand unterstützt die feste Einbindung der Bundesrepublik in die NATO und die EG, die er mit einer aktiven Europapolitik fördert und damit der Bundesrepublik eine wichtige Rolle in Westeuropa zuweist. Frankreich fürchtet einen deutschen Pazifismus und Neutralismus, vor dem Mitterrand im Januar 1983 im Deutschen Bundestag eindringlich warnte Eine neutrale und keinem Block zugehörige Bundesrepublik Deutschland an der französischen Ostgrenze, die außerhalb des Einflusses atlantischer und europäischer Organisationen ihre Wiedervereinigung anstrebt, müßte französische Sicherheitsinteressen auf das Schwerste berühren.
Besonders die Bestimmungen der militärischen Kooperation des deutsch-französischen Vertrags von 1963 erfuhren eine Revitalisierung. Mitterrand strebte eine bessere Rüstungskooperation ebenso an wie eine Intensivierung des Dialogs über die Strategien. Auch die Wiederbelebung der Westeuropäischen Union wurde 1984 intensiv in Frankreich diskutiert. Damit deutet sich die Möglichkeit an, daß in Westeuropa ein Reservesicherheitssystem geschaffen werden kann, das für den Fall des Versagens der US-Sicherheitsgarantie — aus welchen Gründen auch immer — wirksam werden könnte. Mitterrand befürwortet den Ausbau Westeuropas zu einer handlungsfähigeren Einheit, wenngleich ein geschlossenes Europakonzept zur Zeit nicht zu erkennen ist. So setzte er sich mehrfach für den Ausbau der EG zu einer Sozialunion ein, schlug die allgemeine Anwendung des Mehrheitsentscheids im Rat der EG vor und regte eine gemeinsame Weltraumpolitik an
Französische Europapolitik dient darüber hinaus als Instrument zur Modernisierung und Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Die mehrfachen Abwertungen des Francs sowie die Zustimmung zur EG-Stahl-politik der Kürzung bzw. Aufhebung von Subventionen sowie zur EG-Agrarpolitik trugen zu dieser angestrebten Modernisierung — auch unter Inkaufnahme innenpolitischer Opfer — bei. Mit seiner Europapolitik konnte Mitterrand gleichzeitig in der innenpolitischen Diskussion die Forderungen nach einer alternativen Wirtschaftspolitik, die insbesondere vom linken Flügel der Sozialistischen Partei gestellt wurden, wie auch der Kommunisten, zurückweisen.
Die Unterstützung des vom Europäischen Parlament 1984 verabschiedeten Entwurfs über die zukünftige Verfassung Europas durch den französischen Präsidenten läßt erkennen, daß er die zukünftige Rolle Frankreichs nur noch in einem starken Westeuropa sieht. Nationalstaaten allein können den Herausforderungen, insbesondere in der Technologie, nicht mehr allein erfolgreich begegnen.
Den besonderen Stellenwert der EG symbolisiert Mitterrands Personalpolitik. Mit Jacques Delors und Claude Cheysson wurden zwei wichtige Regierungsmitglieder in die seit dem 1. Januar 1985 amtierende EG-Kommission entsandt. 5. Die neue Dimension — Frankreichs Beziehungen zur Dritten Welt Aufgrund des sozialistischen Internationalismus haben die Nord-Süd-Beziehungen für sozialistische Regierungen einen besonderen Stellenwert. Mit großem moralischen Impetus wird immer wieder das Thema der Ungleichheit zwischen den Völkern und der Unterdrückung der Dritten Welt angesprochen. Auch Mitterrand will zu einer Neuordnung der Nord-Süd-Beziehungen beitragen, will gegen Hunger, Unterdrückung und Ungleichheit vorgehen. In diesem Konzept nehmen Algerien, Mexiko und Indien Schlüsselpositionen ein Frankreich will zunächst eine „autozentrierte Entwicklung" der Entwick-lungsländer fördern. Es soll also eine stärkere Eigenverantwortlichkeit der Dritten Welt erreicht werden, ohne daß eine Abkoppelung vom Weltmarkt erfolgt. Eigene Kräfte sollen freigesetzt werden, damit das Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe greifen kann. Die entwicklungspolitischen Prioritäten sind einmal die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln in den Ländern der jeweiligen Region, „zweitens die Befriedigung vitaler Grundbedürfnisse wie Gesundheit und minimaler Lebensstandard, drittens Entwicklung autonomer dezentraler Energieversorgungsstrukturen und viertens eine dem jeweiligen Entwicklungsstand angepaßte Industrialisierung." Die Umbenennung des „Ministeriums für Zusammenarbeit" in „Ministerium für Zusammenarbeit und Entwicklung", die Ankündigung, bis 1988 den Anteil der Entwicklungshilfe auf den von den UN vorgesehenen Betrag von 0, 7% des Bruttosozialprodukts zu erhöhen, und die anfängliche Unterstützung des Revolutionsregimes in Nicaragua zeigen, daß die Bemühungen Frankreichs, zu einem verbesserten Nord-Süd-Verhältnis zu gelangen, nicht nur symbolischer Natur sind.
Doch mußte auch Mitterrand zwischen dem theoretisch Wünschbaren und dem politisch Machbaren wählen. Auch in Afrika wurden massive französische Interessen vertreten, indem nach wie vor ein starker ökonomischer, kultureller und politischer Einfluß auf die Staaten des francophonen Afrikas ausgeübt wird. So wurde im Tschad interveniert, um den lybischen Einfluß zu stoppen. Mit Algerien und Marokko wurden die Beziehungen verbessert, um u. a. amerikanischem Einfluß zu begegnen. Mitterrand versucht durch seine Afrikapolitik, den Ost-West-Konflikt und die Supermächte von diesem Kontinent fernzuhalten. „Das Streben nach Unabhängigkeit von amerikanischem Einfluß wie von afrikanischem Druck kann in der gegenwärtigen französischen Afrikapolitik nicht übersehen werden. Frankreich hat einen entschlossenen Bilateralismus verfolgt und war nicht bereit, mit anderen westlichen Mächten in Afrika (mili-tärisch) zusammenzuarbeiten. Während es in Europa unangenehm war, eine Politik der Dritten Kraft zu verfolgen, hat Mitterrand dieses Konzept in Afrika voll ausgespielt und versucht, die jeweilige lokale Ideologie der Unabhängigkeit voll anzusprechen." Auch hinsichtlich der Politik gegenüber Nahost hat die grundsätzliche Wende, wie sie von arabischer Seite vielfach befürchtet worden war, nicht stattgefunden. 6. Sicherheitspolitik — die sozialistische nukleare Verteidigung Hatten in der gaullistischen Phase der V. Republik Sozialisten und Kommunisten die „force de frappe" strikt abgelehnt, so korrigierten beide Parteien in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre ihre Haltung zur nuklearen Abschreckung. Nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten betonte Mitterrand die Kontinuität der französischen Sicherheitspolitik Frankreich erhöhte seine Verteidigungsausgaben beträchtlich, ordnete auch die Fortsetzung der Forschung über die Neutronenwaffe an und entschied, seine Raketen mit Mehrfachsprengköpfen auszustatten
Auch unter Mitterrand wird eine Politik der Unabhängigkeit betrieben und die Handlungsfreiheit Frankreichs in der Sicherheitspolitik hervorgehoben, jedoch wird eine enge Anlehnung an die NATO und die europäischen Partner betont. Zwar gibt Frankreich keine Garantie für die Verteidigung Europas, doch weisen sowohl die Äußerungen seiner führenden Politiker als auch die Strukturierung und Ausrüstung seiner Streitkräfte darauf hin, daß Frankreich sich im Konfliktfall an einer gemeinsamen europäisch-atlantischen Verteidigungspolitik beteiligen wird. Die sozialistische Regierung hat erkannt, daß die Unabhängigkeit ihrer Verteidigungspolitik nur innerhalb des Bündnisses gewährleistet werden kann und daß Frankreich dazu einen entscheidenden Beitrag einbringt. Frankreichs Generalstabschef General Lacaze erklärte am 19. Mai 1984 vor dem Institut des Hautes Etudes de Defense Nationale: „... Der dritte Faktor betrifft das politische und geostrategische weltweite Umfeld, das unser Konzept direkt beeinflußt und die wesentlichen Optionen unserer Verteidigungspolitik rechtfertigt: die Unabhängigkeit unserer Mittel und die Autonomie unserer Entscheidung, aber auch die Solidarität mit unseren Verbündeten ... Frankreich hat eine unabhängige Politik. Es behält sich das Recht vor, selber zu entscheiden über das Ausmaß, den Ort und den Zeitpunkt des Einsatzes seiner Mittel, der nuklearen wie der konventionellen. Ein potentieller Gegner sieht sich so in seiner strategischen Überlegung zwei Ungewißheiten hinsichtlich des Zeitpunkts des Nuklear-einsatzes sowohl durch Frankreich wie durch das Bündnis gegenüber.“
Frankreich unter Mitterrand vertritt damit zwar das Konzept von den „vitalen Interessen" Frankreichs, die berührt sein müssen, sagt jedoch nicht deutlich, ob diese Interessen z. B. an der deutsch-deutschen Grenze berührt werden, d. h. es gibt der Bundesrepublik keine automatische Nukleargarantie. Allerdings hat Verteidigungsminister Hernu geäußert, daß es Aufgabe der neuaufgestellten schnellen Eingreiftruppe (FAR) auch sein könnte, in Deutschland im Falle eines Konflikts zu kämpfen Somit behält zwar auch das Frankreich Mitterrands seine sicherheitspolitische Entscheidungsfreiheit, deren Unabhängigkeit durch geostrategische, waffentechnologische und bündnispolitische Faktoren jedoch erheblich eingeschränkt ist. 7. Fazit Auch Mitte der achtziger Jahre wird die französische Außenpolitik weitgehend von den Strukturprinzipien geprägt, die de Gaulle in seiner Amtszeit eingeführt hat. Frankreich vertritt auch unter einer sozialistischen Regierung im wesentlichen nationale Interessen. Die sozialistische Regierung mußte erkennen, daß es ihr nicht möglich ist, einseitig Strukturveränderungen in der internationalen Politik vorzunehmen. Die oftmals theatralisch formulierte, an hohen Ansprüchen orientierte, sozialistische Rhetorik kontra-stiert auf eine bemerkenswerte Weise mit pragmatisch machtpolitischen Maßnahmen, die Frankreich unter Mitterrand nicht selten das Etikett eines „rosa Gaullismus" zuweisen