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Adenauers erste Koalitions-und Regierungsbildung im Spätsommer 1949 | APuZ 18/1985 | bpb.de

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APuZ 18/1985 Artikel 1 Adenauers erste Koalitions-und Regierungsbildung im Spätsommer 1949 Zwischen Konfrontation und Interessenausgleich Zur Entwicklung und gesetzlichen Regelung der Mitbestimmung in der Frühzeit der Bundesrepublik Auf dem Wege zur DDR (1948/1949)

Adenauers erste Koalitions-und Regierungsbildung im Spätsommer 1949

Udo Wengst

/ 26 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Die Koalitions-und Regierungsbildung im Spätsommer 1949, die den Beginn der 14 Jahre dauernden Ära Adenauer markiert, gehört zu den grundlegenden Weichenstellungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der Ablauf des damaligen Diskussionsund Entscheidungsprozesses ließ sich bis gegen Ende der siebziger Jahre nur in Umrissen erschließen, und er blieb durch Legenden überdeckt. Seit dieser Zeit ist es aber gelungen, eine Fülle neuer Quellen ausfindig zu machen, die es ermöglichen, ein authentisches Bild von den damaligen Stationen der Koalitions-und Regierungsbildung zu gewinnen. Ausgehend von der koalitionspolitischen Entscheidungsfindung innerhalb der einzelnen Parteien und den inoffiziellen Absprachen und Fühlungnahmen zwischen den Partnern der ersten Adenauer-Koalition werden die Besetzung des Bundeskanzleramtes, des Bundespräsidentenamtes, des Bundestagspräsidentenamtes, des Bundesratspräsidentenamtes und schließlich die Regierungsbildung in einem Überblick dargestellt.

I. Einleitung

Zu den grundlegenden Weichenstellungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zählt unbestritten die erste Koalitionsund Regierungsbildung im Spätsommer 1949, die den Beginn der 14 Jahre dauernden Ära Adenauer markiert. Der Ablauf des Entscheidungsprozesses, der eine von der CDU/CSU geführte Bundesregierung hervorbrachte und der SPD die Oppositionsrolle bescherte, konnte bis zum Ausgang der siebziger Jahre nur ansatzweise aufgehellt werden. Beteiligte und Wissenschaftler konzentrierten sich auf einige wenige markante Ereignisse, um die sich bald Legenden rankten, die aufgrund fehlender, aus der damaligen Zeit stammender Quellen bis in die jüngste Vergangenheit hinein in wissenschaftliche Darstellungen ein-flossen. In diesem Zusammenhang ist besonders auf die Rhöndorfer Konferenz vom 21. August 1949 hinzuweisen, zu der Adenauer einen größeren Kreis führender Unionspolitiker in sein Haus eingeladen hatte und in deren Verlauf sich eine Mehrheit der Anwesenden für eine Koalitionsbildung der CDU/CSU mit der FDP und der Deutschen Partei (DP) ausspach. An anekdotenhaft ausgeschmückten Berichten hierüber war 20 Jahre später kein Mangel, wohl aber an wissenschaftlich fundierten Beiträgen.

Dies änderte sich erst, als Rudolf Morsey 1978 und 1980 aussagekräftige Quellen zu Vorgeschichte, Verlauf und Auswirkungen der Rhöndorfer Konferenz ausfindig machte und veröffentlichte -Auf den Funden Morseys und neuen, bisher nicht berücksichtigten Quellen wie z. B.den Protokollen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion basierte wenig später die zusammenfassende Darstellung, die Hans-Peter Schwarz in seinem Buch „Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949— 1957" gab In den folgenden Jahren gelang es dem Verfasser dieses Aufsatzes, zusätzliche Aktenstücke zu der hier interessierenden Thematik zu erschließen und damit die Zusammenhänge weiter aufzuhellen. Der Ertrag dieser Forschungsarbeiten, die im Rahmen des von der VW-Stiftung geförderten und von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien betriebenen Schwerpunktes „Grundlegung und Festigung der parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland" getätigt wurden, ist in einem Kapitel seines Buches „Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948— 1953. Zur Geschichte der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland", Düsseldorf 1984, und in der von ihm bearbeiteten Quellenedition . Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949", Düsseldorf 1985, festgehalten. Insbesondere die Edition . Auftakt zur Ära Adenauer" belegt den Ablauf der ersten Koalitions-und Regierungsbildung in so großer Dichte, daß davon ausgegangen werden kann, daß sie den Forschungsprozeß in dieser Frage, soweit es sich um das Erschließen neuer Quellen handelt, zu einem gewissen Abschluß bringt. Wesentliche Ergebnisse dieser Edition wurden in den folgenden Ausführungen zusammengefaßt. Auf die Angabe von Belegstellen wird dabei verzichtet. Sie sind in den genannten Veröffentlichungen des Verfassers unschwer ausfindig zu machen.

II. Die koalitionspolitische Entscheidungsfindung innerhalb der Parteien

Mit 31% hatte die CDU/CSU in der Bundestagswahl vom 14. August 1949 die meisten Stimmen gewonnen und die SPD, auf die 29, 2% entfallen waren, knapp auf den zweiten Platz verwiesen. Die Initiative zur Koalitionsund Regierungsbildung lag somit bei der Union, in deren Reihen Konrad Adenauer die herausragende Gestalt war.

Der damals bereits 73jährige ehemalige Kölner Oberbürgermeister und Zentrumspolitiker aus der Weimarer Zeit ließ von Beginn an keinen Zweifel daran aufkommen, daß er eine Koalitionsbildung unter Ausschluß der SPD anstrebte. Die Begründung, mit der er diese Absicht wiederholt vor seinen Parteifreunden und in der Öffentlichkeit vertrat, hob stets auf die gegensätzlichen Auffassungen und Zielvorstellungen von Union und SPD in der Wirtschaftspolitik ab, die nach seiner Meinung eine gemeinsame Koalitions-und Regierungsbildung unmöglich machten. Adenauer ging es vor allem um eine Fortsetzung des marktwirtschaftlichen Kurses der bizonalen Verwaltung in Frankfurt; eine Koalitionsbildung aus den dort in der Regierungsverantwortung stehenden Parteien CDU/CSU, FDP und Deutsche Partei war daher für ihn das Naheliegende. Adenauer, der zu dieser Zeit Vorsitzender der CDU in der britischen Zone war und damit das wichtigste Parteiamt bekleidete, das innerhalb der Unionsparteien bis zur Gründung des Bundesverbandes der CDU im Oktober 1950 zu vergeben war, hat die ihm damit gegebene Chance erkannt und beizeiten die Initiative ergriffen, um seine Koalitionsabsichten innerhalb der eigenen Partei durchzusetzen.

Bereits am Tag vor der Bundestagswahl vereinbarte Adenauer mit dem CSU-Vorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard einen Gesprächstermin für den 20. August 1949 in Frankfurt. Für den Tag danach setzte er die Rhöndorfer Konferenz in dem Bestreben an, schon vor dem Zusammentreten der Bundestagsfraktion der CDU/CSU die parteiinterne Willensbildung in der Koalitionsfrage in seinem Sinne zu präjudizieren .

Sorgen bereitete ihm in diesen Tagen allerdings, daß der Ellwanger Freundeskreis der

CDU/CSU, ein Gesprächskreis süd-und süd-westdeutscher Unionspolitiker, noch vor der Rhöndorfer Aussprache zusammenkommen wollte. Adenauer befürchtete, daß sich dieser Kreis möglicherweise auf eine von seinen Vorstellungen abweichende Auffassung in der Koalitionsfrage einigen könnte; er versuchte daher eine Verschiebung des Treffens zu erreichen, was jedoch nicht gelang.

Adenauer war sich wohl bewußt, daß innerhalb der Union einflußreiche Politiker eine Koalitionsbildung mit der SPD favorisierten, wie sie in der Mehrzahl der Länder bestand und die ihrer Meinung nach allein in der Lage war, die schwierigen Probleme des Wiederaufbaus zu meistern. In diesem Sinne äußerten sich nach der Wahl öffentlich — mehr oder minder deutlich — der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold, der Landtagspräsident von Nordrhein-Westfalen, Josef Gockeln, sowie die Landesvorsitzenden von Hessen und Hannover, Werner Hilpert und Günther Gereke. Die Gegenposition bezogen in der Presse der Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU, Bruno Dörpinghaus, und die Direktoren der bizonalen Frankfurter Verwaltung, Ludwig Erhard und Hermann Pünder. Adenauer hielt sich mit öffentlichen Äußerungen zurück und ließ nur indirekt seine Intentionen durchscheinen. Im übrigen setzte er auf die von ihm initiierten Gespräche am 20. und 21. August. Zu Adenauers Erleichterung blieben sie unbeeinflußt von der Zusammenkunft des Ellwanger Freundeskreises am 19. und 20. August, da es diesem Gremium nicht gelang, eine gemeinsame Stellungnahme zur Koalitionsfrage zu verabschieden. So war Ehard, der an der Ellwanger Aussprache teilgenommen hatte, in der Koalitionsfrage nicht gebunden, als er mit Adenauer am 20. August zusammentraf. Die beiden Politiker kamen dabei überein, eine Koalitionsbildung der CDU/CSU mit der FDP anzustreben.

Die Rhöndorfer Konferenz einen Tag später, die in Abwesenheit Ehards stattfand, kam in der Koalitionsfrage zu einem etwas anderen Ergebnis. Eine Minderheit votierte im Verlauf der Aussprache für eine Koalition mit der SPD; sie besaß jedoch in keinem Augenblick eine Chance, mit ihrer Auffassung zu obsiegen. In der Diskussion, in die Adenauer immer wieder eingriff, dominierten die Gegner einer großen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Gewichtige Stimmen erachteten allerdings die Verbindung von CDU/CSU und FDP — die über keine Mehrheit im Bundestag verfügte — für eine erfolgreiche Regierungspolitik als nicht ausreichend und votierten daher für die Einbeziehung der DP in die Koalition. Als sich Adenauer nach kurzer Zeit hiermit einverstanden erklärte und der Generalsekretär der CSU, Franz Josef Strauß, für seine Partei die Zustimmung gab, war innerhalb der Union die koalitionspolitische Entscheidung so gut wie gefallen. Wenn dies auch dem offiziellen Kommunique der Besprechung nicht zu entnehmen war, so sorgten doch einige Politiker — sämtlich Gefolgsleute Adenauers — dafür, daß die Presse entsprechend informiert wurde.

Am 23. August gab Adenauer selbst eine Pressekonferenz, in der er die koalitionspolitische Entscheidung von Rhöndorf bekannt-gab und begründete. Zu diesem Zeitpunkt besaß er bereits die Unterstützung der CDU-Landtagsfraktion von Nordrhein-Westfalen, und im gleichen Sinne haben sich am 31. August mehrheitlich die von Adenauer einberufenen Landesvorsitzenden, Ministerpräsidenten, Minister und Landtagspräsidenten der CDU/CSU in den drei Westzonen ausgesprochen. Angesichts dieser innerparteilichen Meinungsbildung und der inzwischen vorliegenden Haltung der SPD fiel es Adenauer einen Tag später nicht sonderlich schwer, eine klare Entscheidung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die von ihm in Aussicht genommene Koalitionsbildung zu erhalten.

Noch wenige Tage vorher hatte Karl Arnold einen Vorstoß gemacht, diese Entwicklung zu stoppen. Auf seine Initiative hin besprachen die Ministerpräsidenten der Länder in den drei Westzonen anläßlich ihrer Konferenz am 25. und 26. August die Koalitions-und Regierungsbildung. Obwohl sie mehrheitlich mit Arnold übereinstimmten, daß eine Koalition aus CDU/CSU und SPD wünschenswert sei, vermieden sie in der Öffentlichkeit eine eindeutige Festlegung, Die Ministerpräsidenten trugen hiermit der Tatsache Rechnung, daß die Willensbildung nicht nur innerhalb der CDU/CSU, sondern auch in den übrigen Parteien in eine andere Richtung ging.

Aus den Reihen der SPD gaben in den Tagen nach der Wahl nur der hessische Ministerpräsident Christian Stock und die Berliner Bürgermeisterin Louise Schroeder in der Öffentlichkeit zu erkennen, daß sie eine Koalition aus CDU/CSU und SPD anstrebten. Die Parteiführung unter Kurt Schumacher ließ allerdings von Anfang an keine Zweifel daran aufkommen, daß die SPD die Oppositionsrolle zu übernehmen habe. Die Entschiedenheit, mit der Schumacher diese Auffassung innerhalb der SPD wie in der Öffentlichkeit vertrat, ist wohl auf die Enttäuschung zurückzuführen, die die Wahlniederlage für ihn bedeutete. Er hatte fast während der gesamten Dauer des Dritten Reiches in Gefängnissen und Konzentrationslagern zugebracht und die politische Bühne nach der Kapitulation in der Überzeugung betreten, daß allein die von ihm geführte Sozialdemokratie dazu berufen sei, den Neuaufbau im Nachkriegsdeutschland zu gestalten. Seine Reaktion auf die politische Entwicklung von 1945— 1949 war daher nicht frei von Verbitterung, die sich im besonderen Maße in scharfen öffentlichen Attacken gegen die Unionsparteien entlud. Adenauer kamen diese Ausfälle Schumachers nicht ungelegen, da sie ihm die Durchsetzung seines koalitionspolitischen Kurses gegenüber den Opponenten innerhalb der eigenen Partei erleichterten. Die Entscheidung über die Frage: Koalitionsbeteiligung oder Oppositionsstellung fiel in der SPD auf der Parteivorstandssitzung in Bad Dürkheim am 29. und 30. August 1949. Schumachers Gegner, die der Oberbürgermeister von Dortmund, Fritz Henßler, anführte, besaßen keine Chance, im Parteivorstand eine Mehrheit für eine Koalitionsbeteiligung der SPD zu erlangen. Schumacher setzte den Oppositionskurs vorbehaltlos durch; er erhielt hierfür einen Tag später ebenso die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion wie am 6. September die Billigung aller Führungsgremien der Sozialdemokratie, vor denen er ausführte, daß ein Zusammengehen mit der Union deshalb nicht möglich sei, da diese von „Großkapitalismus, Klerikalismus und Föderalismus" beherrscht werde. In der FPD traten ihr Vorsitzender, Theodor Heuss, und ihr stellvertretender Vorsitzender, Franz Blücher, dafür ein, eine Koalition mit der CDU/CSU ohne Beteiligung der SPD zu bilden. Im Falle Blüchers, der die FDP-Fraktion im Frankfurter Wirtschaftsrat angeführt hatte, überraschte diese Stellungnahme nicht, denn er gehörte dem rechten Parteiflügel an, der stets mit Nachdruck für eine marktwirtschaftliche Ordnung eingetreten war, die nur in Zusammenarbeit mit den Unionsparteien zu verwirklichen war. Bei Heuss, einem aus Württemberg stammenden Politiker, der schon in der Weimarer Republik dem Reichstag angehört hatte, lagen die Dinge etwas anders. Im Parlamentarischen Rat, in dem er als gestaltende Persönlichkeit hervorgetreten war, hatte er vor allem in kulturellen Fragen nicht selten in einer Linie mit der SPD gegen die Union gestanden, was ihm auch von Adenauers Seite Vorwürfe eingetragen hatte. Seine eindeutige Erklärung am Tag nach der Bundestagswahl, in der er verlauten ließ, daß aufgrund des wirtschaftspolitischen Programms zwischen FDP und SPD keine Möglichkeit einer Zusammenarbeit bestünde und in der gleichzeitig eine Koalitionsbildung der FDP mit den Unionsparteien in Aussicht gestellt wurde, rief daher insbesondere bei der SPD einiges Erstaunen hervor, und sie ist ihm auch von dieser Seite her verübelt worden.

Eine andere Auffassung als Heuss und Blücher vertrat in der FDP der bayerische Landesvorsitzende Thomas Dehler, der ein Zusammengehen von CDU/CSU, SPD und FDP forderte. Hiergegen bezog Blücher entschieden Stellung, und er erreichte in einer Serie von Besprechungen, die er bis zum 25. August mit den Landesvorsitzenden der FDP führte, daß sie alle — am Ende auch Dehler — seine Absicht unterstützten, die FDP in eine Koalition mit CDU/CSU und DP zu führen.

Die Haltung der DP — einer norddeutschen, konservativen Regionalpartei — wurde in der Koalitionsfrage weitgehend durch ihren 1. Vorsitzenden Heinrich Hellwege bestimmt. Der damals gerade 40jährige Politiker stand seit 1949 mit Adenauer und Blücher durch die gemeinsame Arbeit im Zonenbeirat in der britischen Zone in engem Kontakt, und er stimmte in der Beurteilung vieler politischer Grundsatzfragen, insbesondere auf wirtschaftlichem Gebiet, mit ihnen überein. Bereits kurz nach der Bundestagswahl hatte Hell-wege in einer Presseerklärung die grundsätzliche Bereitschaft erkennen lassen, sich an einer Koalitionsregierung nach dem Frankfurter Vorbild zu beteiligen. Am 23. August folgte sodann der Beschluß des Gesamtdirektoriums der DP, in eine Regierung einzutreten, „deren Programm keine Verwässerung im sozialistischen Sinne enthält".

Der Eintritt der DP in die Regierungskoalition war auch dadurch gefördert worden, daß sowohl Blücher wie Adenauer frühzeitig nach der Wahlentscheidung mit Heinrich Hell-wege Verbindung aufnahmen. Blücher traf mit ihm am 19. August in Hannover zusammen, und Adenauer schickte einen Tag später seinen persönlichen Referenten Herbert Blankenhorn zu ihm. Blankenhorn reiste wenige Tage später nochmals zu Hellwege und erzielte bei dieser Gelegenheit ein weitgehendes Einvernehmen mit dem DP-Vorsitzenden.

Weniger eindeutig lassen sich die Fühlungnahmen zwischen Adenauer und Blücher in den Tagen nach der Wahl nachweisen. Während Adenauer wiederholt betont hat, daß er erst im Anschluß an die Rhöndorfer Konferenz mit Blücher verhandelt habe, ergeben Verlautbarungen von FDP-Seite, daß bereits vor dieser Konferenz Gespräche stattgefunden hatten. Welche Information nun zutreffend ist, kann nicht mit letzter Sicherheit beantwortet werden. Berücksichtigt man allerdings, daß Adenauer und Blücher schon vor der Wahlentscheidung über eine gemeinsame Koalitions-und Regierungsbildung gesprochen haben, daß ihr Vorgehen nach der Wahl ein starkes Maß gegenseitiger Abstimmung verrät und daß frühzeitig über die Besetzung wichtiger Posten zwischen beiden Überein-stimmung bestand, so spricht vieles dafür, daß auch in den Tagen unmittelbar nach der Wahl ein Kontakt zwischen Adenauer und Blücher bestanden hat.

III. Adenauers Wahl zum Bundeskanzler

Adenauer selbst ging in die Besprechungen und Verhandlungen über die Koalitions-und Regierungsbildung mit der eindeutigen Absicht, das Bundeskanzleramt selber zu übernehmen. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß dieser Anspruch von Seiten der Koalitionspartner FDP und DP zu irgendeinem Zeitpunkt in Frage gestellt worden ist, wohl aber mußte Adenauer damit rechnen, daß ihm mit Karl Arnold und Hans Ehard Konkurrenten innerhalb der eigenen Partei erwachsen würden. Ersterer war jedoch nur als Kanzler einer großen Koalition vorstellbar, und mit ihrem Scheitern war auch Arnolds Kandidatur hinfällig. Gegen Ehard brachte Adenauer das Argument vor, daß er gegen das Grundgesetz gestimmt habe und damit nicht in Frage kommen könne. So blieb nach Adenauers Auffassung nur er selber übrig. Diesen Anspruch hat er auch gegenüber Ehard am 20. August und einen Tag später auf der Rhöndorfer Konferenz erhoben. Hiergegen hat es von keiner Seite Widerspruch gegeben, und Adenauers offizielle Nominierung zum Kanzlerkandidaten durch die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist am 1. September 1949 einstimmig erfolgt.

In den darauf folgenden zwei Wochen bis zur Kanzler-Wahl durch den Deutschen Bundestag gab es an Adenauers Verhandlungsführung wiederholt Kritik, und der 2. Vorsitzende der CDU in der britischen Zone, Friedrich Holzapfel, hat sein Interesse an der Übernahme des Kanzleramtes durchscheinen lassen, ohne jedoch seine Kandidatur offiziell anzumelden. Adenauer blieb einziger Kanzlerkandidat, er hatte jedoch bis zum Schluß Bedenken, ob die knappe Mehrheit der Koalitionsparteien im Bundestag ausreichen würde, seine Wahl im ersten Wahlgang sicherzustellen. Er ventilierte daher im folgenden die Möglichkeit, die Koalition durch Aufnahme der Bayernpartei zu erweitern. Obgleich die CSU hiergegen nachdrücklich Bedenken anmeldete — sie stand mit der Bayernpartei in einer harten politischen Auseinandersetzung — hielt Adenauer die Verbindung zur Bayernpartei aufrecht, da er sich hiervon günstige Auswirkungen auf die Stimmabgabe ihrer Abgeordneten bei der Kanzlerwahl erhoffte. Sein Taktieren erwies sich schließlich für Adenauer am 15. September als Erfolg. Obwohl ihn fünf Abgeordnete der Koalitionsfraktionen nicht wählten, gelang Adenauer mit einer Stimme Mehrheit bereits im ersten Wahlgang die Wahl zum Bundeskanzler, weil ein Abgeordneter der Bayernpartei für ihn gestimmt hatte.

IV. Kandidatur und Wahl von Theodor Heuss zum Bundespräsidenten

Zu den umstrittensten Positionen gehörte im Zuge der Koalitionsbildung die Besetzung des Bundespräsidentenamtes. Adenauer bezog diesen Posten von Beginn an in die Koalitionsverhandlungen ein und schlug als seinen Kandidaten den Vorsitzenden der FDP, Theodor Heuss, vor. Er tat dies in dem Bestreben, damit die Ansprüche der FDP auf Repräsentanz im Kabinett zu beschränken, und er glaubte darüber hinaus mit Heuss einen Politiker zum Bundespräsidenten zu befördern, mit dem er als Bundeskanzler keine Schwierigkeiten haben würde.

Unterstützung fand Adenauers Absicht bei Franz Blücher, der nach der Wahl von Heuss zum Bundespräsidenten damit rechnen konnte, neuer Parteivorsitzender der FDP zu werden. Auch mit Blick auf die SPD schien die Präsentation von Heuss keine Probleme aufzuwerfen, da Heuss auch in den Reihen dieser Partei als geeigneter Kandidat für das Bundespräsidentenamt genannt worden war. Die Einbeziehung dieses Amtes in die bürgerliche Koalitionsbildung und Heuss'dezidierte Stellungnahme gegen eine Koalition von SPD und FDP am 15. August 1949 ließen jedoch eine Unterstützung seiner Wahl durch die Sozialdemokratie als kaum noch möglich erscheinen. Aber nicht die distanzierte Haltung der SPD gegenüber Heuss machte die Beset7 zung des Bundespräsidentenamtes so schwierig, sondern die heftige Ablehnung, die der FDP-Vorsitzende in weiten Kreisen der Union hervorrief.

Bedenken gegen die Kandidatur von Heuss wurden bereits im Verlauf der Rhöndorfer Konferenz geäußert, in der Adenauer Heuss als Präsidentschaftskandidat nannte. Jakob Kaiser, der Vorsitzende der Sozialausschüsse der CDU, machte aus staatspolitischen Gründen Einwände und schlug nach österreichischem Vorbild vor, einen Angehörigen der SPD zum Präsidenten zu wählen, um angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag die Opposition mit in die Verantwortung einzubinden. Dieser Vorschlag, den Kaiser in den folgenden Tagen wiederholte, leuchtete vor allem den Anhängern einer großen Koalition in der CDU ein, die hofften, auf diese Weise die Verbindung zur SPD aufrechterhalten und zu einem späteren Zeitpunkt doch noch eine gemeinsame Regierung bilden zu können. Diese Auffassung erwies sich allerdings in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht als mehrheitsfähig und wurde am 6. September gegen 28 Stimmen abgelehnt. Schwerer wogen die Einwände, die sich gegen Heuss persönlich richteten. Seine liberalen politischen Auffassungen stießen ebenso auf Ablehnung wie sein distanziertes Verhältnis zum Christentum. Adenauer wies diese Angriffe zurück. Er betonte den demokratischen Grundzug in Heuss'liberalem Weltbild und bescheinigte ihm „eine gewisse Achtung vor dem Christentum", die durch seine Frau noch gestärkt würde. Anders wertete allerdings auch Adenauer die Bedenken, die vom evangelischen Flügel der CDU vorgebracht wurden. Wie dessen Vertreter in der Bundestagsfraktion zum Ausdruck brachten, glaubte man hier die Gefahr nicht ausschließen zu können, daß im Falle der Wahl von Heuss zum Bundespräsidenten die CDU ihre evangelischen Wähler an die FDP verlieren würde. Obwohl Adenauer zugestand, daß diese Gefahr nicht ganz von der Hand zu weisen war, hielt er an der Kandidatur von Heuss fest, da aus Kreisen der FDP verlautete, daß ihre Beteiligung an der Koalition an die Wahl von Heuss zum Bundespräsidenten gebunden bleibe. Am 6. September erreichte Adenauer nach heftigen Auseinandersetzungen einen Beschluß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit dem der Fraktionsvorstand ermächtigt wurde, in den Koalitionsbesprechungen mit der FDP auch über die Kandidatur von Heuss zu verhandeln.

Damit war jedoch die Entscheidung für Heuss in der Bundestagsfraktion der CDU/CSU immer noch nicht gefallen. Als Adenauers Kandidat für das Amt des Bundesratspräsidenten, der CSU-Vorsitzende Hans Ehard, am 7. September gegen Karl Arnold unterlag und gleichzeitig Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung entstanden, versuchten dies die Gegner einer Wahl von Heuss zum Bundespräsidenten innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazu auszunutzen, mit ihrer Auffassung schließlich doch noch durchzudringen.

Einen Tag vor der Wahl des Bundespräsidenten, am 11. September, brachten sie ihrerseits mit Hans Schlange-Schöningen einen eigenen Kandidaten ins Spiel. Der protestantische Politiker — unter Brüning Reichsminister, in der Nachkriegszeit Direktor der bizonalen Verwaltung für Ernährung und Landwirtschaft, nun Mitglied der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Anhänger einer großen Koalition — erschien auf den ersten Blick eine gute Wahl zu sein, da es eine Zeitlang so aussah, als ob er gegebenenfalls auch mit den Stimmen der SPD rechnen könne.

Adenauer reagierte indessen mit großem taktischen Geschick: Von der CSU und der DP besorgte er sich die Zusage, daß sie Schlange nicht wählen würden — für die FDP verstand sich dies von selbst. So hätte Schlanges Nominierung durch die CDU zu einem Auseinanderfallen der Koalition in der Bundespräsidentenwahl geführt, die SPD in eine Schlüsselposition gebracht und womöglich die gesamte Koalitionsbildung gefährdet. Angesichts dieser Konstellation fiel es Adenauer nicht schwer, die Fraktion davon zu überzeugen, daß Schlanges Kandidatur abzulehnen sei. Auch die um die Wahlmänner aus den Länderparlamenten vergrößerte Fraktion stimmte am 11. September mehrheitlich für Heuss. Die Nominierung Schumachers durch die SPD zu ihrem Präsidentschaftskandidaten vergrößerte die Chancen, daß sich auch die gegen Heuss stehende Minderheit in der Union schließlich für seine Wahl entscheiden würde. Dies geschah am folgenden Tag erst im zweiten Wahlgang in ausreichendem Maße, in dem Heuss 416 Stimmen erhielt und damit gewählt war.

V. Die Wahl des Bundestags-und Bundesratspräsidenten

Der Bundestagsfraktion der CDU/CSU stand als größter Fraktion des Bundestages traditionsgemäß das Vorschlagsrecht für die Besetzung des Amtes des Bundestagspräsidenten zu. Adenauers Kandidat für diesen Posten hieß Erich Köhler, der bisherige Präsident des Frankfurter Wirtschaftsrates und stellvertretende Vorsitzende der hessischen CDU. Mit diesem Vorschlag beabsichtigte Adenauer, die Führung des hessischen Landesverbandes der CDU, die ihm nicht zuletzt wegen seines Eintretens für Bonn als Bundeshauptstadt eher kritisch gegenüberstand, zu spalten und sie damit zu schwächen.

Der Fraktionsvorstand folgte Adenauers Vorstellungen und unterbreitete der Fraktion am 5. September die Empfehlung, Köhler zu nominieren. Einwände hiergegen brachte Johannes Albers im Namen des Arbeitnehmerflügels der Union vor, der einen Mann aus seinen Reihen, Josef Gockeln, mit dem Amt des Bundestagspräsidenten betraut sehen wollte. Adenauer argumentierte mit großem Geschick dagegen, und er erreichte schließlich, daß sich die Fraktion mit 80 gegen 16 Stimmen für Köhler aussprach, der dann am 7. September vom Deutschen Bundestag gewählt wurde.

Weniger erfolgreich vollzog sich für Adenauer die Wahl des Bundesratspräsidenten, die ebenfalls am 7. September stattfand und für einen Augenblick die gesamte Koalitionsbildung in Gefahr brachte. Die Besetzung des Bundesratspräsidenten stand erstmals am 20. August zur Debatte, als Hans Ehard gegenüber Adenauer seinen Anspruch anmeldete, diesen Posten zu übernehmen. Adenauer gab seine Zustimmung, und er hat sich hierfür in den folgenden Wochen auch im Kreise seiner Parteifreunde eingesetzt. Bei den süddeutschen Ministerpräsidenten stieß die Absprache zwischen Ehard und Adenauer allerdings auf Kritik. Der Ministerpräsident von Württemberg-Hohenzollern und Vorsitzende der CDU Süd-Württemberg, Gebhard Müller, erhob sowohl gegenüber Adenauer wie Ehard Einwände gegen die Einbeziehung des Bundesratspräsidentenamtes in die Koalitionsverhandlungen, und er bezweifelte, daß die Ländervertreter, die allein über die Besetzung des genannten Amtes zu entscheiden hätten, sich an eine Parteiabsprache gebunden fühlten. Die Verstimmung in den süd-westdeutschen Kreisen der CDU war offensichtlich, und sie nahm Anfang September noch zu, als die CDU/CSU-Bundestagsfraktion es ablehnte, einen Vertreter aus der französischen Zone in ihr Präsidium zu wählen. Adenauer seinerseits vermittelte zusätzlich noch den Eindruck, daß er die französische Zone bei der Zusammensetzung des Kabinetts zu übergehen gedachte.

Die Vorbehalte der Ministerpräsidenten der französischen Zone gegen die Art und Weise, wie Ehard die Besetzung des Bundesratspräsidentenamtes anging, blieben dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Arnold ebensowenig verborgen wie die mangelnde Unterstützung Ehards durch die der SPD angehörenden Ministerpräsidenten, die die Wahl des bayerischen Ministerpräsidenten als Teil der gegen die SPD betriebenen Koalitionsbildung werteten. Ihre Haltung gegen Ehards Wahl verfestigte sich im folgenden auch noch deshalb, weil sie Rückendeckung durch den Parteivorsitzenden Kurt Schumacher erhielten, der sich entschieden gegen Ehard, den „Neinsager zum Grundgesetz", aussprach und in Karl Arnold den geeigneten Kandidaten erblickte.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident erkannte die sich bietende Chance und meldete nach Rücksprache mit der Mehrheit seiner Ministerkollegen im nordrhein-westfälischen Kabinett seine Kandidatur für das Amt des Bundesratspräsidenten an. Er tat dies offensichtlich in dem Bestreben, Adenauer eine Niederlage beizubringen und die in der Bil9 düng begriffene kleine Koalition doch noch zu sprengen. Auf einer Vorbesprechung der Ministerpräsidenten am 6. September setzte Arnold seine Kandidatur durch.

Adenauer, der erst an diesem Tag von diesen Vorgängen Kenntnis erhielt, erkannte sogleich die damit heraufziehende Gefahr und versuchte Arnold zu bewegen, seine Kandidatur nicht weiter zu verfolgen. Dies war allerdings vergeblich, und einen Tag später wurde Arnold vom Bundesrat zu seinem ersten Präsidenten gewählt.

Die erste Reaktion entsprach den Erwartungen Arnolds. Ehard veröffentlichte eine scharfe Presseerklärung, und die CSU drohte mit der Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft im Bundestag. Die Grundlage aller bisherigen Absprachen und Verhandlungen über die Koalitionsbildung geriet ins Wanken.

Wenn Arnolds Rechnung hinsichtlich einer großen Koalition schließlich doch nicht aufging, so konnte sich Adenauer vor allem bei Fritz Schäffer bedanken. Dieser CSU-Politiker, der in den letzten Jahren der Weimarer Republik an der Spitze der Bayerischen Volkspartei gestanden und auch das Amt des bayerischen Finanzministers wahrgenommen hatte und nach dem Krieg vorübergehend bayerischer Ministerpräsident gewesen war, erwies sich unter den CSU-Bundestagsabgeordneten als die herausragende Gestalt. Es war Adenauers Glück, daß Schäffer seit seiner Ankunft in Bonn mit Nachdruck eine bundes-politische Zusammenarbeit der CDU und CSU unter Adenauers Führung verfolgte. Aus diesem Grund bot Schäffer nach dem Eklat der Bundesratspräsidentenwahl seinen ganzen Einfluß auf, um ein Ausscheren der CSU aus der gemeinsamen Fraktion zu verhindern. Bereits am Morgen des 8. September stellte sich heraus, daß Schäffers Bemühen nicht vergeblich gewesen war. Die Koalitionsverhandlungen konnten fortgesetzt werden, allerdings nunmehr mit erhöhten Ansprüchen der CSU auf Berücksichtigung bei der Zusammensetzung der Bundesregierung.

VI. Regierungsbildung

Die ersten offiziellen Verhandlungen über die Zusammensetzung des Kabinetts fanden am Nachmittag des 6. September statt. Sie ergaben im wesentlichen eine Bestätigung der zuvor getroffenen informellen Absprachen zwischen Adenauer, Blücher und Hellwege. Danach sollten das Innen-, Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Arbeits-und ein Vertriebenen-und Ostministerium an die Union fallen, der zusätzlich auch noch die Besetzung des Ministeriums für das Post-und Fernmeldewesen mit einem bayerischen Politiker zugestanden wurde. Adenauers Kandidaten für diese Ministerien waren Heinrich Weitz, Finanzminister von Nordrhein-Westfalen, Ludwig Erhard, Direktor der bizonalen Verwaltung für Wirtschaft, Karl Müller, Vorsitzender des Vereins der deutschen Zuckerindustrie und seit langem Adenauers landwirtschaftlicher Berater, Anton Storch, Direktor der bizonalen Verwaltung für Arbeit, Jakob Kaiser sowie Hans Schuberth, Direktor der bizonalen Verwaltung für das Post-und Fernmeldewesen.

Die FDP sollte den Stellvertreter des Bundeskanzlers, den Minister für Aufbau/Wohnungsbau und für Justiz stellen. Für diese Posten kamen in Betracht Franz Blücher, Eberhard Wildermuth, Wirtschaftsminister von Württemberg-Hohenzollern, und Thomas Dehler.

Das Verkehrsministerium und ein Ministerium ohne Portefeuille, das die Beziehungen der Bundesregierung zum Bundesrat wahrnehmen sollte, waren der DP zugedacht. Ihre Ministerkandidaten hießen Hans-Christoph Seebohm, ehemals Landesminister in Niedersachsen, und Heinrich Hellwege.

Völlig offen war die Besetzung des Finanzministeriums, das FDP und CSU beanspruchten. Die FDP präsentierte als ihre Kandidaten den ehemaligen preußischen Finanzminister Hermann Höpker Aschoff und Franz Blücher, die CSU den Staatsrat im bayerischen Finanzministerium Hans Ringelmann und Fritz Schäffer. Als am 7. September die Wahl Ehards zum Bundesratspräsidenten scheiterte, verlangte die CSU, deren Vorsitzender Ehard schon am 20. August gegenüber Adenauer die Besetzung des Finanz-und Landwirtschaftsministeriums mit CSU-Politikern gefordert und in der Folgezeit Adenauers Personalvorschläge wiederholt mit öffentlicher Kritik bedacht hatte, die Überlassung des Finanzministeriums als conditio sine qua non ihrer Beteiligung an der Regierung.

Adenauer machte sich in den folgenden Besprechungen diese Forderungen zu eigen und verlangte von Blücher, auf das Finanzministerium zu verzichten. Zum Ausgleich bot er der FDP ein Ministerium für den Marshallplan an, das Blücher übernehmen sollte, dem er gleichzeitig die Ernennung zum Stellvertreter des Bundeskanzlers in Aussicht stellte. Außerdem gestand Adenauer der FDP die Besetzung des Justizministeriums mit der Einschränkung zu, daß der CDU-Politiker und Direktor des bizonalen Rechtsamtes, Walter Strauß, zum Staatssekretär bestellt würde. Dieses Angebot genügte der FDP indessen nicht, und sie forderte zusätzlich noch die Besetzung des Wohnungsbauministeriums durch einen Politiker ihrer Couleur.

In Übereinstimmung mit der DP und der CSU machte die FDP darüber hinaus Bedenken gegen die von Adenauer angestrebte Ernennung Storchs zum Arbeitsminister geltend, da er unter dem Verdacht stand, Befürworter einer einheitlichen Sozialversicherung zu sein. Dieser Kritik versuchte sich Adenauer damit zu entziehen, daß er die Anregung in die Debatte warf, die Sozialversicherung aus dem Zuständigkeitsbereich des Arbeitsministeriums herauszulösen und ein eigenständiges Sozialministerium zu schaffen.

Auch innerhalb der CDU machte sich in der zweiten Septemberwoche Unzufriedenheit mit dem Stand der Regierungsbildung breit. So war die Mehrheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht damit einverstanden, daß Adenauer sie nur unzulänglich informierte, und sie verlangte ein höheres Maß der Beteiligung. Die Vertreter der französischen Zone fühlten sich bei der Verteilung der Ministersessel nicht genügend berücksichtigt, und auch der evangelische Flügel glaubte seine Interessen nicht gebührend gewahrt. Seine Vertreter innerhalb der Fraktion erhoben daher am 14. September beinahe ultimativ die Forderung, zum Innenminister nicht Heinrich Weitz, sondern den Präses der Generalsynode der EKD, Gustav Heinemann, zu berufen.

Gegenüber den Ansprüchen und Forderungen aus den Koalitionsparteien reagierte Adenauer mit einer Verschleppung der Koalitionsverhandlungen. Er tat dies in der Absicht, zunächst die Kanzlerwahl hinter sich zu bringen, um sodann mit der größeren Autorität des gewählten Kanzlers die Verhandlungen abzuschließen. Diese Rechnung ging auf: Adenauers Wahl am 15. September erfolgte zu einem Zeitpunkt, als wichtige Personalentscheidungen noch nicht gefallen und heftig umstritten waren.

Die veränderte Situation demonstrierte Adenauer sogleich damit, daß er sich an den Koalitionsverhandlungen am Nachmittag des 15. September nicht beteiligte. Die hierin vor allem zur Debatte stehende Frage, die bisher vorgesehene Zahl von Bundesministerien zu reduzieren, hat Adenauer anscheinend nicht sonderlich interessiert. Seine Skepsis gegenüber diesen Bestrebungen erwies sich schnell als berechtigt, da sowohl gegen die Errichtung von Bundesämtern als auch gegen die Einrichtung ständiger Staatssekretariate in den klassischen Ministerien immer neue Bedenken vorgebracht wurden und darüber hinaus FDP und DP nicht von ihrer Forderung abgingen, die Besetzung von drei bzw. zwei Ministerien durch Politiker aus ihren Reihen zu verlangen.

Dies war denn auch die Grundlage, auf der Adenauer in den Tagen nach seiner Wahl die noch offenen Personalfragen entschied. Schwer tat er sich bei der Besetzung des Innenministeriums. Denn der Kandidat der Fraktion, Gustav Heinemann, sagte ihm keinesfalls zu, da zum einen das Verhältnis zwischen beiden Politikern nicht frei von Spannungen war und Adenauer Heinemann auch deshalb mißtraute, weil dieser freundschaftlichen Kontakt mit Arnold pflegte. Als Adenauer am Nachmittag des 15. September Heinemann zu einer Aussprache empfing, mußte er feststellen, daß dieser in das Kabinett drängte und ihm gegenüber Loyalitätserklärungen abgab, die ihm eine Ablehnung der Berufung Heinemanns vor der CDU/CSU-Fraktion kaum noch ermöglichten. Adenauer konnte sich gleichwohl an diesem Tag noch nicht dazu durchringen, Heinemann das Amt anzutragen.

Auch am nächsten Tag fielen noch keine der in der Diskussion befindlichen Personalentscheidungen. Allerdings zeichnete sich nun bereits ab, daß mit der Nominierung Schäffers für das Finanzministerium zu rechnen war und der FDP dafür nun doch das Ressort für Wohnungsbau, das Wildermuth übernehmen sollte, zugestanden wurde. Am selben Tag reihte sich in die Riege der Ministerkandidaten auch Hans Lukaschek, der Leiter des bizonalen Amtes für Heimatvertriebene, ein. Er wurde als Chef des Vertriebenenministeriums, das nicht mehr mit dem Ostministerium bzw. Ministerium für gesamtdeutsche Fragen vereint sein sollte, fest in Aussicht genommen. Die zeitweilig ebenfalls zur Debatte stehende Aufteilung des Arbeitsministeriums hatte Adenauer inzwischen aufgegeben; er erwog statt dessen den Gedanken, Storch fallenzulassen und Theodor Blank auf diesen Posten zu berufen. Hiergegen machten allerdings die christlichen Gewerkschaften Front, so daß Adenauer diesen Plan wieder verwarf.

Der 17. September brachte über die Besetzung des Finanzministeriums mit Schäffer und des Wohnungsbauministeriums mit Wildermuth die Entscheidung. Außerdem versuchte Adenauer an diesem Tag, die Kandidatur Heinemanns für das Innenministerium vom Tisch zu bringen, indem er vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Robert Lehr als Kandidaten für dieses Amt favorisierte. Mehrheitliche Zustimmung fand er jedoch hierfür nicht, und die Fraktion beendete die Aussprache ohne Beschluß.

Als die Fraktion am folgenden Tag wieder zusammentrat, erhob sie gegen einen anderen Ministerkandidaten Adenauers Einwände: Karl Müller, von Beginn als Landwirtschafts-minister vorgesehen, fand keine Zustimmung; ebensowenig gelang es allerdings der Fraktion, sich auf einen anderen Kandidaten für das Landwirtschaftsministerium zu einigen. Dies glückte ihr allerdings am 19. September im Falle Heinemanns, für dessen Berufung zum Innenministerium sie sich einmütig erklärte. Hierauf entschied Adenauer am Abend des 19. September, Heinemann zum Innenminister, Storch zum Arbeitsminister und Müller zum Landwirtschaftsminister vorzuschlagen. Die Nominierung von Storch war allerdings mit der Auflage verbunden, daß mit Maximilian Sauerborn (CSU) ein Vertreter der klassischen Schule der Sozialversicherungspolitik als Staatssekretär in das Arbeitsministerium eintrat. Für das Innenministerium war mit Hans Ritter von Lex (CSU) bereits ebenfalls ein Staatssekretär vorgesehen.

Die Auseinandersetzungen über die Zusammensetzung des Kabinetts hatten jedoch auch nach der Absendung der Ministerliste an den Bundespräsidenten noch nicht ihr Ende gefunden. Karl Müller erklärte noch am Abend des 19. September angesichts der Widerstände innerhalb der CDU/CSU-Fraktion und der Bauernverbände, daß er auf die Minister-kandidatur verzichte, und gegen eine Ernennung Storchs sprach sich ultimativ die FDP-Fraktion aus. Erst als Bundespräsident Heuss intervenierte, lenkte die FDP-Fraktion am Morgen des 20. September ein, so daß der Berufung Storchs nichts mehr im Wege stand. Anstelle Müllers gelangte mit dem stellvertretenden Direktor der bizonalen Verwaltung für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten, Wilhelm Niklas, ein weiterer CSU-Politiker in das Kabinett, in dem die CSU trotz ihres miserablen Ergebnisses bei den ersten Bundestagswahlen sehr stark vertreten war. Das Vorschlagsrecht für den Staatssekretärsposten unter Niklas sicherte sich schließlich noch Hellwege, der wenig später dafür sorgte, daß mit Theodor Sonnemann ein Mitglied seiner Partei als Staatssekretär berufen wurde.

VII. Schlußbemerkungen

Mit dem Ergebnis der Koalitions-und Regierungsbildung, die am 20. September 1949 mit der Ernennung der Minister durch den Bundespräsidenten und ihrer Vereidigung vor dem Bundestag ihren Abschluß fand, konnte Adenauer, aufs Ganze gesehen, zufrieden sein. Er hatte sein Ziel erreicht, Kanzler einer kleinen Koalition zu werden und die SPD in die Opposition zu drängen. Die Ämter des Bundespräsidenten und des Bundestagspräsidenten nahmen Männer ein, die er vorgeschlagen hatte und von denen er annehmen konnte, daß sie ihn unterstützen würden. Daß mit Karl Arnold ein potenter Gegenspieler das Amt des Bundesratspräsidenten erlangt hatte, war zwar in Adenauers Sicht bedauerlich, fiel indessen nicht allzu stark ins Gewicht, da — wie Adenauer schon am 6. September vor der Unionsfraktion ausführte — der Bunderatspräsident der Bundesregierung zwar große Schwierigkeiten machen könne, die im Endeffekt aber immer überwunden würden.

Die Zusammensetzung der Bundesregierung entsprach im wesentlichen Adenauers Vorstellungen und Wünschen, oder aber er hatte — soweit das nicht der Fall war — zumindest gegen die ernannten Minister keine ernsthaften Einwände vorzubringen. Eine Ausnahme bildete allein Heinemann, dessen Bewegungsspielraum allerdings von Anbeginn dadurch eingeengt war, daß mit Hans Ritter von Lex ein Staatssekretär in das Innenministerium einzog, der mit Schäffer freundschaftlich verbunden war und ebenfalls enge Beziehungen zu Globke besaß, den Adenauer wenig später an maßgebliche Stelle in das Bundeskanzleramt berief.

Große Namen fanden sich unter Adenauers ersten Ministern kaum. Politiker, die bereits in der Weimarer Republik im Reich oder in Preußen ein Ministeramt bekleidet und auch in den ersten Nachkriegsjahren politische Führungspositionen eingenommen hatten, waren in der Regierung nicht vertreten. Weder Andreas Hermes, ehemals Reichsernährungs-und Landwirtschaftsminister sowie Reichsfinanzminister und nach dem Krieg Präsident der Bauernverbände, noch Hans Schlange-Schöningen und auch nicht Hermann Höpker Aschoff wurden als Bundesminister berufen. Ihre Ambitionen auf einen Platz in der Regierung waren nicht zuletzt an Adenauers Widerstand gescheitert.

Im Kabinett dominierten tüchtige Fachleute und noch junge, weitgehend unbekannte Politiker. In jedem Fall aber waren Minister ernannt worden, die der politischen Erfahrung und Autorität des Kanzlers wenig entgegen-zusetzen vermochten und von daher eine gewisse Gewähr boten, daß sie die herausragende Rolle des Kanzlers, die Adenauer von Anfang an betont hatte, respektieren würden. Die Regierung war — wie es ein damaliger Vertrauter Adenauers später überspitzt formulierte — bis auf Schäffer politisch zweite Wahl — eine Feststellung, die nicht jeder Grundlage entbehrte. Denn außer Fritz Schäffer hatte keiner von Adenauers Ministern während der Weimarer Republik Regierungsverantwortung getragen. In politisch herausgehobener Stellung standen am Ende der Republik neben Schäffer nur noch Jakob Kaiser als Landesgeschäftsführer der christlichen Gewerkschaften für Rheinland und Westfalen und Hans Lukaschek als Oberpräsident von Oberschlesien. Alle anderen befanden sich zu dieser Zeit in weniger bedeutenden Positionen, in staatlichen (Niklas, Schuberth) oder halbstaatlichen (Wildermuth) Institutionen, in Verbänden (Storch), in der Wirtschaft (Blücher, Heinemann, Seebohm) und in wissenschaftlichen Einrichtungen (Erhard) oder gingen einer Tätigkeit als Rechtsanwalt (Dehler) oder als kaufmännischer Angestellter (Hell-wege) nach. Politisch hervorgetreten sind sie allesamt erst in den Jahren nach 1945, und in dieser Zeit hat die Mehrzahl von ihnen dann auch (zumeist allerdings nur sehr kurz) ein Minister-oder ministerähnliches Amt wahrgenommen: Blücher, Erhard, Heinemann, Lukaschek, Seebohm und Wildermuth als Landesminister, Niklas, Schuberth, Storch und wiederum Erhard als Direktor oder stellvertretender Direktor der bizonalen Verwaltung. Unterstrichen wurde der Abstand an politischer Erfahrung zwischen dem Kanzler und seinen Ministern noch durch ihr Lebensalter. Die ältesten Minister im Kabinett — Lukaschek, Niklas, Schäffer und Kaiser — waren immerhin noch etwa zehn Jahre jünger als Adenauer; die jüngsten Minister — Hellwege und Seebohm — trennte vom Kanzler schon eine ganze Generation.

Es war nicht zuletzt auch diese personelle Konstellation, die es Adenauer ermöglichte, sich zur beherrschenden Figur im Machtgefüge der jungen Bundesrepublik aufzuschwin13 gen und ihre Entwicklung für mehr als ein Dezennium maßgeblich zu gestalten. Verlauf und Ergebnis der ersten Koalitions-und Regierungsbildung gehören damit ebenso wie die verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes zu den Faktoren, die zur Herausbildung der Kanzlerdemokratie führ-ten und eine „Ära Adenauer" ermöglichten. Konrad Adenauers Worte, der in seiner Heidelberger Wahlrede vom 21. Juli 1949 die in Bonn anstehenden Entscheidungen als „ein Ereignis von der größten Bedeutung" ankündigte, haben durch die historische Entwicklung ihre Bestätigung gefunden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Bildung der ersten Regierungskoalition 1949. Adenauers Entscheidungen von Frankfurt und Rhöndorf am 20. und 21. August 1949, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 34/1978, S. 3-— 14 und: Die Rhöndorfer Weichenstellung am 21. August 1949. Neue Quellen zur Vorgeschichte der Koalitions-und Regierungsbildung nach der Wahl zum ersten Deutschen Bundestag, in: VfZ, 28 (1980), S. 508— 542.

  2. Stuttgart-Wiesbaden 1981.

Weitere Inhalte

Udo Wengst, Dr. phil., geb. 1947; Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Soziologie in Bonn, Köln und Tübingen; 1973— 1979 wiss. Mitarbeiter und Assistent an der Universität Tübingen; seit 1979 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn. Veröffentlichungen u. a.: (bearbeitet mit Ilse Maurer) Staat und NSDAP 1930— 1932. Quellen zur Ära Brüning, 1977; (bearbeitet mit Ilse Maurer unter Mitwirkung von Jürgen Heideking) Politik und Wirtschaft in der Krise 1930— 1932. Quellen zur Ära Brüning, 1980; Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948— 1953. Zur Geschichte der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland, 1984; (Bearbeiter) Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949, 1985.