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Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft | APuZ 17/1985 | bpb.de

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APuZ 17/1985 Artikel 1 Das Scheitern der EVG und der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO Die Außenhandelspolitik der USA zwischen Freihandel und Protektionismus Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft

Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft

Christian Deubner

/ 24 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Weit stärker als die nationale Außenwirtschaftspolitik ist die der EG eine Politik nach zwei Seiten: nach außen gegenüber den außenwirtschaftlichen Partnern der EG, und nach innen gegenüber den Mitgliedsregierungen im Kampf um eine einheitliche Linie. Diese Politik hat angesichts der großen Unterschiede in Wirtschaftskraft und Interessen ihrer Mitgliedstaaten von Anfang an mit wenigen gleichbleibenden Grundproblemen gerungen: — dem ständig zu wahrenden Ausgleich zwischen innergemeinschaftlichem und weltweitem Freihandel; — dem außenwirtschaftspolitischen Effekt gemeinschaftlicher Industriepolitik; /— dem Problem einer einseitigen Bevorzugung einzelner außergemeinschaftlicher Außenwirtschaftspartner. Die fast 30 Jahre seit der Gründung der EG lassen sich in Zeiten verschiedener Herausforderungen aufteilen, nämlich in die Gründungsphase 1955— 1958, die Konsolidierungsphase bis zur ersten Erweiterung 1958— 1973 und die Phase zunehmender Herausforderungen und unsicherer Integrationsvertiefung seit 1973. In diesen Phasen machten sich die Grundprobleme in unterschiedlicher Weise bemerkbar. Bei der Untersuchung dieser Entwicklung wird deutlich, daß die EG, gemessen an liberalen außenwirtschaftlichen Vorstellungen, nur einen unstabilen Kompromiß zwischen neuem regionalem Protektionismus nach außen und dem Abbau alter intraregionaler Handelshemmnisse darstellt: Sie war und ist ein höchst ambivalenter Beitrag zur weltwirtschaftlichen Liberalisierung. Unter dem Druck zunehmender inner-und außergemeinschaftlicher Differenzen und Herausforderungen steigt auch das Risiko, daß dieser Beitrag sich wieder verringert, um den innergemeinschaftlichen Zusammenhalt zu stärken.

Einleitung

Verteilung des Außenhandels der EG-Mitgliedstaaten B/L [D GB IRL NL Dk Quelle: EG-Magazin, März 1982.

Weit stärker als nationale Außenwirtschaftspolitik ist die Außenwirtschaftspolitik der EG eine Politik nach zwei Seiten: nach außen gegenüber den außenwirtschaftlichen Partnern der EG, nach innen gegenüber den Mitgliedsregierungen im Kampf um eine einheitliche Linie. In integrationspolitischer Hinsicht ist der interne Aspekt sicherlich der interessantere und schwerer wiegende, in welt-wirtschaftspolitischer Hinsicht sind die Außenaspekte und ihre politische Bearbeitung das Entscheidende. Im Endeffekt läßt sich die EG-Außenwirtschaftspolitik jedoch nur bei voller Einbeziehung beider Gesichtspunkte verstehen und bewerten. Diese Politik hat von Anfang an mit wenigen gleichbleibenden Grundproblemen gerungen. Je nach der Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Umwelt sind diese Grundprobleme mehr oder weniger hervorgetreten; entsprechend war die Außenwirtschaftspolitik mehr oder weniger schwierig und konfliktreich.

I. Die Konstanten der EG-Außenwirtschaftspolitik

1. Das Grundproblem: innereuropäischer gegenüber weltweitem Freihandel Für die EG besteht das erste Grundproblem einer gemeinschaftlichen Außenwirtschaftspolitik seit ihrer Gründung — ja schon seit ihren. Vorläufer-Organisationen im Rahmen der OEEC — unverändert fort. Dieses Grundproblem ist darin zu sehen, daß voller innergemeinschaftlicher Freihandel im Rahmen eines gemeinsamen Marktes auch gemeinsame außenwirtschaftliche Regeln beim Handel mit außergemeinschaftlichen Handelspartnern erfordert. Hierin liegt der wesentliche Unterschied dieser Integrationsform zu einer einfachen Freihandelszone.

Nur wenn die Regierungen sich darauf einigen können, daß Waren aus der restlichen Welt bei der Einfuhr in allen Mitgliedsländern des Gemeinsamen Marktes den gleichen Regeln (Zöllen, mengenmäßigen Beschränkungen, qualitativen Normen etc.) unterliegen, verzichten sie darauf, diese Waren beim Weiterverkauf aus einem anderen in das eigene Mitgliedsland nochmals ihrer eigenen nationalen Einfuhrregelung zu unterwerfen.

Die Entscheidung für eine gemeinschaftliche Außenwirtschaftspolitik bringt bei einer Gruppe so unterschiedlich entwickelter Volkswirtschaften wie derjenigen innerhalb der EG ein höchst konfliktträchtiges Koordinationsproblem mit sich, dem die Mitglieder von Freihandelsgemeinschaften wohlweislich aus dem Wege gehen. Am deutlichsten hat sich dieses Problem seit der Gründungsphase immer wieder in den Auseinandersetzungen der beiden größten Industrieländer der Gemeinschaft, Frankreich und Bundesrepublik Deutschland, über die richtige Außenwirtschaftspolitik der EG offenbart.

Alle Bundesregierungen seit Ludwig Erhard haben eine Politik betrieben, die gleichzeitig einen liberalen Handelsaustausch mit den außer-europäischen Handelspartnern und eine Sicherung und Vervollständigung des freien Markt-zugangs in der gesamten EG anstrebt, also eine Kombination innereuropäischen und weltweiten Freihandels für die westdeutschen Unternehmen. Ähnliche Positionen wurden und werden etwa von den Niederlanden vertreten. Bei Frankreichs Regierungen dagegen war immer eine starke Neigung zu Merkantilismus und Protektionismus im Außenhandel vorherrschend, die auch auf die EG übertragen wurde. Die Bereitschaft zum Freihandel innerhalb der EG mußte in französischen Augen durch den Schutz des ganzen EG-Marktes vor außergemeinschaftlicher Konkurrenz, und zwar besonders im Agrarbereich, honoriert werden. Der interne EG-Handel sollte für Gemeinschaftsländer also eine deutliche Präferenz vor dem außergemeinschaftlichen Handel genießen. Ähnliche Positionen wurden in der Anfangsphase vor allem von den Italienern mitvertreten

Die EG ist im internationalen Vergleich nicht nur ein Raum des gesicherten Freihandels, sondern auch des beständigen, intensiven wirtschaftspolitischen Ringens um die eigenen genauen Formen und Voraussetzungen dieses Freihandels. Dieser Zusammenhang wurde schon früh von jenen Mitgliedsregierungen hervorgehoben, für die ein reiner Freihandel in der Zollunion — selbst bei außergemeinschaftlichem Protektionismus — wegen ihrer Wettbewerbsschwäche das Risiko einer langfristigen Defizitposition mit sich gebracht hätte. Sie verlangten deshalb auch EG-interne Politiken, die die Produktionskosten und das Produktivitätsniveau in den Mitgliedsländern sektoral angleichen und damit die Ursachen der Unterschiede in der Wettbewerbskraft beseitigen würden, etwa durch eine gemeinschaftliche Sozial-und Industriepolitik.

Schon von Anfang an wurde das Motiv des innergemeinschaftlichen Entwicklungsausgleichs ergänzt durch dasjenige der gemeinschaftlichen Konkurrenzstärkung nach außen: Nur durch gemeinschaftliche Förderung und Aufbau neuer Technologien und Industrien könne man den technologischen Vorsprung der USA einholen. Insbesondere die gemeinschaftliche Industriepolitik kann für die Außenwirtschaftspolitik weitreichende Folgen haben, wenn nämlich die geförderten EG-Produktionen und -Verfahren gegen externe Konkurrenten besonders geschützt werden. Die Auseinandersetzung zwischen jenen Regierungen, die eine solche Ergänzung der EG-Politik wünschten und auch entsprechende außenwirtschaftspolitische Konfliktrisiken in Kauf nehmen wollten, und jenen Regierungen, die sich am liebsten auf einen Ausbau der Zollunion beschränkt hätten, ist das zweite Grundproblem gemeinschaftlicher Außenwirtschaftspolitik. Wiederum ist Frankreich der Exponent der einen, die Bundesrepublik der der anderen Richtung. Zu diesen Differenzen kamen noch außen-wirtschaftspolitische Sonderbeziehungen, die sich aus der besonderen Bindung einzelner Mitgliedsländer — und wiederum besonders Frankreichs — an überseeische Territorien, frühere oder noch bestehende Kolonien, ergaben. So besteht ein dritter außenwirtschaftspolitischer Konflikt in der EG von Anfang an zwischen dem Interesse einiger Mitgliedsländer, vor allem Frankreichs, an gesonderten präferentiellen Außenwirtschaftsbeziehungen der EG zu ganz bestimmten außergemeinschaftlichen Territorien und Ländern, und dem Interesse anderer Länder, mindestens eine Meistbegünstigung der EG für alle außergemeinschaftlichen Handelspartner zu erreichen. 2. Die wechselnden Herausforderungen Die wechselnden Herausforderungen der sich ändernden wirtschaftlichen Entwicklung in und außerhalb der EG, der sich ändernden außen-wirtschaftspolitischen Haltung wichtiger außer-gemeinschaftlicher Handelspartner, haben auf die Gestaltung und Virulenz der zuvor genannten gemeinschaftsinternen Gegensätze in der außenwirtschaftspolitischen Willensbildung immer erhebliche Auswirkungen gehabt.

Die fast 30 Jahre seit der Gründung der EG lassen sich nun in Zeiten verschiedener externer Herausforderungen aufteilen, von denen im folgenden die Gründungsphase 1955— 1958, die Konsolidierungsphase bis zur ersten Erweiterung der EG 1958— 1973 und die Phase zunehmender Herausforderungen und unsicherer Integrationsvertiefung seit 1973 in ihrem Zusammenhang mit den gemeinschaftsinternen Entwicklungen näher untersucht werden sollen. Die Lage Mitte der achtziger Jahre verdient wegen ihrer politischen Aktualität besondere Aufmerksamkeit. Determinanten und Formen der EG-Außenwirtschaftspolitik lassen sich so am besten darstellen und erklären, wobei die weniger wichtigen Aspekte der Politik der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) und Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) angemessen berücksichtigt werden.

Im Vergleich mit dem Gewicht der strukturellen Faktoren wird auffallen, daß die politischen Kräfteverhältnisse in den Regierungen der EG-Länder als Einflußfaktor im folgenden fast keine Rolle spielen. Der wichtigste Grund dafür ist, daß alle Beteiligten 28 Jahre lang über den politischen Wandel in den EG-Ländern hinweg das prinzipielle Desiderat des EG-Vertrages nach einer liberalistischen Außenwirtschaftspolitik geteilt haben, wie es EWG-Vertrag Artikel 110 postuliert — dies ist eine nicht zu unter-schätzende politische Tatsache. So haben sich tatsächlich bis in die Gegenwart die entscheidenden Einflüsse auf die gemeinschaftliche Außenwirtschaftspolitik aus dem Spannungsverhältnis zwischen diesem Desiderat und den dagegen wirkenden Strukturproblemen ergeben.

II. 1955— 1958: Die Gründung der Europäischen Gemeinschaften und die Einigung auf eine gemeinsame Außenwirtschaftspolitik

1. Wirtschaftliches Wachstum und das zögernde Ende des Nachkriegsdirigismus in der Außenwirtschaft Das durch Marshallplanhilfe, den Nachholbedarf des Wiederaufbaus und die beginnende industrielle Umstrukturierung geförderte westeuropäische Wirtschafts-und Exportwachstum seit Ende der vierziger Jahre, noch forciert durch den „Koreaboom" zu Beginn der fünfziger Jahre, schuf die realen Voraussetzungen einer zunehmenden Liberalisierung in der Außenwirtschaft, in der die Fesseln von Kriegs-und Nachkriegsdirigismus nach und nach abgeworfen wurden.

Auf der weltwirtschaftspolitischen Ebene bildeten die erfolgreichen Initiativen zu einer neuen und liberalen Ordnung, die während und nach dem Krieg von den USA ausgingen und denen die schlimmen Erfahrungen mit Protektionismus und Blockbildung in der Zwischenkriegszeit ebenso wie die Interessen der konkurrenz-starken US-Wirtschaft an freien internationalen Märkten zugrunde lagen, die Grundströmung, in die die westeuropäische Liberalisierung sich einbettete. • Schließlich trug die zunehmende Verhärtung des Ost-West-Verhältnisses dazu bei, daß die amerikanische Politik der endvierziger und der fünfziger Jahre aus Furcht vor einer wirtschaftlichen, sozialen und schließlich politischen Destabilisierung bürgerlicher Regime in Westeuropa eine außenwirtschaftspolitische Gruppen-bildung akzeptierte, ja förderte, die auch gegenüber amerikanischen Exporten protektionistische Wirkungen entfaltete, von der sie sich aber die Unterstützung der Konsolidierung in Westeuropa versprach. Der Endpunkt dieser Gruppenbildung war die Gründung der EWG, die an liberalen außenwirtschaftlichen Vorstellungen gemessen — wie der seinerzeitige Bundeswirtschaftsminister Erhard immer wieder kritisch angemerkt hat — nur einen Mittelplatz zwischen neuem regionalen Protektionismus nach außen und Abbau alter intraregionaler Handelshemmnisse darstellte: ein ambivalenter Beitrag zur weltwirtschaftlichen Liberalisierung. 2. Die Gründung der EG als ambivalenter Beitrag zum Aufbau eines liberalen Welthandelssystems zwischen Nordamerika, Westeuropa und den neu hinzukommenden Handelspartnern Von den Gründungsmitgliedern der EWG war die noch junge Bundesrepublik das einzige große Industrieland, das seit Anfang der fünfziger Jahre auf der Grundlage wachsender Handels-und Zahlungsbilanzüberschüsse eine zunehmend liberale und global orientierte Außen-wirtschaftspolitik betrieb. Stufen in dieser Entwicklung waren die zunehmende Konvertibilität der Deutschen Mark und die schnelle Senkung der Importbarrieren gewesen. Dem lag eine in Kriegs-und Nachkriegszeit stark modernisierte und wettbewerbsstarke Industrie zugrunde, deren Exporte seit Anfang der fünfziger Jahre zunehmend weltweit orientiert waren und außerhalb der Gemeinschaft schneller zunahmen als im Gemeinschaftsgebiet.

In Frankreich dagegen, dem wirtschaftlich und politisch weitaus bedeutendsten potentiellen Partner in Westeuropa (aber auch in Italien) leistete die Industrie einen deutlich geringeren Beitrag zum Sozialprodukt als in der Bundesrepublik und war, nach internationalen Maßstäben beurteilt, in ihren Unternehmens-und Produktionsstrukturen rückständig. Sie hatte ihre Märkte weit stärker als die westdeutsche Industrie im Inland und den Kolonien und wandte sich erst in den fünfziger Jahren stärker dem Export — und zwar vor allem nach Westeuropa — zu. Der Außenhandel verharrte im Defizit, insbesondere gegenüber der Bundesrepublik, und der Ausgleich der Zahlungsbilanz blieb ein schwieriges Problem. Die französischen Importbarrie-B ren verblieben infolgedessen auf einem weit höheren Niveau als die westdeutschen, der französische Franc konnte die Konvertibilität nicht erreichen. Nur der französische Agrarsektor besaß in der EG, also auch gegenüber der westdeutschen Landwirtschaft, deutliche Konkurrenzvorteile. Schon seinerzeit allerdings sahen die Franzosen ihren Absatz auf den europäischen Märkten durch noch billigere außereuropäische Anbieter bedroht.

Als Sonderproblem kamen für Frankreich — wie für Belgien — noch seine präferenziellen Bindungen mit den Kolonien und den sich de-kolonisierenden überseeischen Gebieten hinzu. Sie stellten Frankreich im Handelsbereich vor die Verpflichtung, seinen Markt besonders für deren Produkte offen zu halten, auf Kosten anderer potentieller Lieferanten. Im Finanzbereich zwangen sie zu einer Konzentration der öffentlichen und zum Teil der privaten Kapital-exporte auf diese Gebiete und zur Vernachlässigung von möglicherweise ertragreicheren Anlageregionen und -bereichen.

Die Bundesrepublik sah sich in Westeuropa, ihrem gegenwärtig und potentiell auch künftig wichtigsten Absatzmarkt, also hemmenden außenwirtschaftspolitischen Bedingungen gegenüber, die das westdeutsche Wirtschafts-und Exportwachstum zu behindern drohten: über die ausbleibende Konvertibilität von Franc und Lira konnte die dirigistische Verrechnung von intraeuropäischen Zahlungsungleichgewichten weiterhin den deutschen Zugang zu außereuropäischen Hartwährungen behindern und die Kapitalbeweglichkeit bremsen; über die fortdauernden französischen und italienischen Leistungsbilanzdefizite in Europa und vor allem gegenüber der Bundesrepublik drohte gar eine Verewigung der innereuropäischen Handels-barrieren und eine Gefährdung des wieder erreichten Liberalisierungsgrades.

Infolgedessen gab es in der Bundsrepublik ein deutliches Interesse, den erreichten Liberalisierungsstand in Westeuropa politisch stärker zu stabilisieren und zu vertiefen. Ein Instrument dazu bot sich im Projekt des Gemeinsamen Marktes.

Die innereuropäische Liberalisierung hatte allerdings ihren Preis: Angesichts der französischen und italienischen Bedingungen sah man sich gezwungen, an der liberalen außereuropäischen Orientierung Abstriche zu machen. Im Endeffekt wurde der gemeinsame Außenzolltarif (GZT) der EG — der wichtigste Ausdruck und primäres Instrument der neuen gemeinsamen Außenwirtschaftspolitik — zunächst höher, als der westdeutsche Zolltarif 1957 noch gewesen war; er erzwang allerdings auch eine gewisse Absenkung der hohen französischen Barrieren gegenüber außergemeinschaftlichen Lieferanten.

Besonders die Franzosen, aber nicht nur sie, waren dafür verantwortlich, daß mit der dirigistischen EG-Agrarpolitik mit ihrem Preisstützungssystem ein weiterer Block des außenwirtschaftlichen Dirigismus entstand. Die Präferenz der EG-Agrarpolitik für die eigene Agrarproduktion geht mit einer massiven Behinderung der außergemeinschaftlichen Agrarimporte einher. In einem gewissen Ausgleich für die Öffnung des französischen Industriewarenmarktes erhielten Frankreichs Landwirte dadurch einen gesicherten regionalen Exportmarkt. Dieser beruhte im Gegensatz zum Industriewarenmarkt allerdings von Anfang an auf gemeinschaftlichem Protektionismus.

Der Vertrag für eine Europäische Atomgemeinschaft, zusammen mit dem EWG-Vertrag abgeschlossen, enthielt auf das Drängen der französischen Regierung den ersten Ansatz zu einer offensiven Industriepolitik der Gemeinschaft bei der Atomenergie (die industriepolitischen Kompetenzen der Montanunion waren eher defensiver Natur); er sah eine protektionistisch konzipierte nukleare Außenwirtschaftspolitik vor, die deutlich vom Konkurrenzgedanken mit den USA geprägt war. Damit fand das zweite Grundproblem der EG-Außenwirtschaftspolitik seinen vertraglichen Ausdruck.

Schließlich war auch der dritte Konfliktbereich der neuen Außenwirtschaftspolitik, nämlich die starke Begünstigung Afrikas bei der Importpolitik der EWG, dem Drängen Frankreichs zu verdanken, das die eigenen Verpflichtungen den Kolonien und Exkolonien gegenüber durch die EWG übernommen wissen wollte. Es gab also gegenüber den außergemeinschaftlichen Ländern von Anfang an keine einheitliche, sondern eine deutlich differenzierende außenwirtschaftliche Position der EG. Die westdeutschen Widerstände gegen diese einseitige Präferenz waren sehr groß. Sie gingen angesichts des französischen Drucks indessen nicht bis zur Gefährdung des Vertragsabschlusses.

Schon die Gründungsphase des Gemeinsamen Marktes war von einer spürbaren, auf politischer wie auf unternehmerischer Ebene vielfach zur Schau getragenen Konkurrenzhaltung gegenüber dem anderen großen westlichen Wirtschaftsraum, den USA, gekennzeichnet. Den Vereinigten Staaten wirtschaftspolitisch auch bei Interessenkonflikten „Paroli bieten" zu können, taucht bei aller bewußten politischen US-Orientierung der westeuropäischen Regie-rungen wieder und wieder als Motiv für die Gründung der EWG auf, auch bei Politikern und Unternehmern der Bundsrepublik.

III. 1958— 1973: Verwirklichung und Konsolidierung der EG-Außenwirtschaftspolitik

1. Fortdauerndes Wachstum und beschleunigter Strukturwandel im Welthandel und die Verwirklichung der EG-Außen-wirtschaftspolitik • Die fünfzehn Jahre einer im großen und ganzen weiter wachsenden westeuropäischen Weltwirtschaft — eine ausgesprochen lange Wachstumsperiode —, an der Westeuropa in überdurchschnittlichem Maße und mit wachsenden Exporten teilhatte, gab auch den konkurrenzschwächeren Industriewirtschaften in der EG, nämlich Frankreich und Italien, die Möglichkeit, im relativen Schutz der Gemeinschaft ihre Wirtschaft zu industrialisieren und zu modernisieren sowie einen expandierenden Außenhandel und tendenziellen Ausgleich der Handelsbilanzungleichgewichte zu erreichen. -Gleichwohl blieben sie weiter stärker auf den EG-Raum orientiert als die Bundesrepublik. Beide Länder führten Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre die Konvertibilität ihrer Währungen ein und beide sahen sich nun imstande, an der Verwirklichung einer zunehmend liberalen EG-Außenwirtschaftspolitik mitzuwirken, die auch gegenüber dritten Ländern einen freieren Zutritt zum EG-Markt erlaubte.

Mit der Verwirklichung der Zollunion gingen die Kompetenzen zu einer EG-Außenwirtschaftspolitik langsam in die vertragsgemäßen Formen über Der Gemeinsame Außen-zolltarif erreichte über mehrere Anpassungsstufen aller Mitgliedsländer ein einheitliches Niveau und wurde damit für außergemeinschaftliche Handelspartner eine entscheidende Größe. Die Kompetenzen zur Führung der gemeinschaftlichen Außenwirtschaftspolitik gingen mit Vollendung der Zollunion zu einem wesentlichen Teil, nämlich im Bereich der Handelspolitik, von den Mitgliedstaaten auf die Institutionen der Gemeinschaft über. Diese wurde weltwirtschaftspolitisch zum eigenständigen Akteur und Adressaten handelspolitischer Initiativen dritter Staaten.

Erstens bedeutete dies ein Auslaufen aller von einzelnen Mitgliedsländern getroffenen Handelsabmachungen mit dritten Ländern, bzw.deren Überführung in die gemeinschaftliche Politik. Zweitens konnte nun nur noch die Gemeinschaft im Zusammenwirken von Kommission und Rat neue „Zoll-und Handelsabkommen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen, die Ausfuhrpolitik und die handelspolitischen Schutzmaßnahmen, zum Beispiel im Falle von Dumping und Subventionen" (EWG-Vertrag Artikel 113), beschließen und durchführen. Sie spricht für die Mitgliedstaaten „in den internationalen Organisationen mit wirtschaftlichem Charakter bei allen Fragen, die für den Gemeinsamen Markt von besonderem Interesse sind" (EWG-Vertrag Artikel 116). Die Kommission unterbreitet dem Rat (die nach Konsultationen mit den Mitgliedsregierungen und gegebenenfalls auch mit Drittlandsregierungen entwickelten) Empfehlungen oder Vorschläge; der Rat beschließt die Einleitung und die Zielsetzungen der Verhandlungen; die Kommission ist Verhandlungsführer gegenüber Drittstaaten und Organisationen wie dem GATT; der Rat schließt die neuen Abkommen bzw. beschließt einseitige handelspolitische Maßnahmen. Er „begleitet" die Verhandlungen der Kommission außerdem mit einem zu ihrer „Unterstützung bestellten besonderen Ausschuß" oder auch durch den Ausschuß der Ständigen Vertreter, der die Einhaltung seiner Zielsetzungen und Richtlinien überwachen kann (EWG-Vertrag Artikel 113).

Etwa seit Mitte der siebziger Jahre hat die Gemeinschaft in wachsendem Maße von ihrem Recht Gebrauch gemacht, Abkommen mit Drittstaaten schließen zu können. Ohne vertragliche Bindungen zur EG sind heute nur noch einige Entwicklungsländer und die sozialistischen Staaten Osteuropas. Mit den Industriestaaten bestehen meist multilaterale Vereinbarungen (im Rahmen des GATT und der UNO). Alle anderen (über 100) Länder der Welt sind durch bilaterale Verträge mit der Gemeinschaft verbunden. „Deren Inhalt reicht von handelspolitischen Konzessionen, Ein-B fuhrbeschränkungen bei Textilien und Stahl, Liefervereinbarungen für Uran sowie technologischer Zusammenarbeit im Nuklearbereich bis zur industriellen Kooperation und der Gewährung von Fischereirechten. Stellte man einmal Zahl und Bedeutung der von einzelnen Mitgliedstaaten einerseits, von der Gemeinschaft andererseits in den 60er und 70er Jahren geschlossenen internationalen Wirtschaftsabkommen gegenüber, würde man sicherlich feststellen, daß der Progression der Gemeinschaftsabkommen ein entsprechender Rückgang, wenigstens relativ, der nationalen Abkommen entspricht."

Selbst wenn diese Bilanz etwas weniger günstig aufgemacht würde, bleibt jedenfalls die Tatsache, daß die EG über ein vielfältiges weltweites Netz von Wirtschaftsabkommen verfügt. Entsprechend angewandt läßt sich damit neben ökonomischer auch außenpolitische Wirkung erzielen. 2. Die Ambivalenzen der außenwirtschaftlichen Öffnung Schon einige wenige Schwerpunkte gemeinschaftlicher Politik im Felde der Handelspolitik bezeichnen deren fortdauernde Ambivalenz bei einer tendenziell weiterhin liberalistischen Orientierung:

— die Teilnahme der EWG an den Zollsenkungsrunden des GATT, etwa an den Dillonund Kennedyrunden, als Ausdruck weitergehender Integration in ein liberalisierendes Weltwirtschaftssystem;

— die Aufnahme osthandelspolitischer Initiativen mit der Einleitung bilateraler Handelsabmachungen mit einzelnen osteuropäischen Staaten. Neben den bereits genannten handelspolitischen Instrumenten der EG spielt gegenüber Osteuropa auch die Import-erleichterung unter Lohnveredelungsabmachungen eine sehr gewichtige Rolle;

— das Wachstum und die konfliktarme außenwirtschaftliche Liberalisierung ließen gemeinschaftliche Industriepolitik auch entbehrlich erscheinen. Die Potentiale dazu, die im EWG-Vertrag angelegt waren, wurden nicht genutzt. Entsprechend kam es gegenüber den USA zu keiner protektionistischen Nuklearpolitik. Auch andere industriepolitische Initiativen mit protektionistischen Ober-tönen konnten sich in dieser Phase — trotz J. -J. Servan-Schreibers Alarmruf gegen die „amerikanische Herausforderung" — nicht durchsetzen;

— das Fortbestehen einer Restgruppe noch nicht liberalisierter Waren, deren Behandlung der nationalen Kompetenz unterworfen blieb

— die Resistenz der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) mit ihren protektionistischen und merkantilistischen außenwirtschaftspolitischen Auswirkungen, die sich infolge der besonders starken gemeinschaftlichen Garantiepreissteigerungen noch verschärften, gegen alle Klagen und Vorstöße der großen Agrarexportländer auf diesen GATT-Runden; — die Schaffung eines Präferenzraumes in Westeuropa durch die Assoziierung verschiedener west-und südeuropäischer Staaten mit der EG oder die Aushandlung von Freihandelsabkommen mit ihnen (im Endeffekt der gesamten EFTA);

— die weitere Ausbildung eines Präferenzsystems zwischen der Gemeinschaft und einer stetig wachsenden Zahl afrikanischer, aber auch einiger karibischer und pazifischer Länder, den sogenannten AKP-Ländern, in den Abkommen von Jaunde, Arusha und Lom, die nach dem EG-Beitritt Großbritanniens 1972 im Jahre 1973 bereits zahlreiche Staaten des Commonwealth und britische Überseegebiete mit einschlossen. Dazu gehört auch das System zur Stabilisierung der Exporterlöse (STABEX) für eine Reihe von Rohstoffexporten dieser Länder nach der EWG;

— die Einrichtung weltweiter allgemeiner Zollpräferenzen und produktbezogener Zoll-senkungen für alle Entwicklungsländer, die deren Importe in die EWG nicht so erleichtern wie die der AKP-Staaten, aber doch gegenüber außergemeinschaftlichen Industrie-ländern einen gewissen begrenzten Zutritts-vorteil verschaffen;

— schließlich die unter dem Dach von Regionalpolitiken, vor allem dem der Mittelmeer-politik, bisher gewährten Präferenzen für den Zugang von Agrarprodukten und einfachen Industrieerzeugnissen aus Israel und den Ländern Nordafrikas zu den Märkten der Gemeinschaft. Die vertragliche Verpflichtung zur gemeinsamen Handelspolitik deckt nun, wie schon betont, nicht alle Felder der Außenwirtschaftspolitik ab; weite Bereiche verbleiben in der Kompetenz der Mitgliedstaaten. Selbst für die Handelspolitik gibt es außerdem die bekannte Ausnahmeregelung des Artikel 115 des EWG-Vertrags. In der unterschiedlichen Handhabung dieser Ausnahmeklausel durch die Mitgliedstaaten wie in der Ausprägung der jenseits der gemeinschaftlichen Handelspolitik liegenden nationalen Außenwirtschaftspolitiken zeigen sich deutlich die nach wie vor bestehenden Divergenzen in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Volkswirtschaften und in der Fähigkeit der innenpolitischen sozialen und ideologischen Apparate, mit den Herausforderungen der internationalen Arbeitsteilung fertig zu werden.

Artikel 115 des EWG-Vertrags und seine Handhabung zeigen darüber hinaus in besonderer Weise, daß die Zollunion durch eine für einzelne Mitgliedsländer nicht tragbare Außenwirtschaftspolitik in Einzelbereichen in Frage gestellt werden konnte. Dieser sieht nämlich vor, daß Mitgliedstaaten die Durchführung einzelner „handelspolitischer Maßnahmen" der Gemeinschaft ganz oder teilweise verweigern können, wenn dadurch „Verkehrsverlagerungen" oder „wirtschaftliche Schwierigkeiten" in ihrem Außenhandel zu befürchten sind. Der Vertrag sieht in diesem Fall eine Regelung des Verhaltens durch Empfehlungen der Kommission oder durch deren ausdrückliche Ermächtigung zu bestimmten Schutzmaßnahmen vor. Zur Regel wurde indessen bald, daß die Mitgliedstaaten solche Schutzmaßnahmen einseitig beschlossen und der Kommission lediglich noch bekanntgaben.

Das hieß zum Beispiel, daß eine oder mehrere Mitgliedsregierungen beschlossen; der Import eines bestimmten Produktes aus einem bestimmten Drittland zum gemeinsamen Außenzolltarif führe im eigenen Land zur Gefährdung der entsprechenden Branche, also zu „wirtschaftlichen Schwierigkeiten". Sie würden daraufhin beschließen, dieses Produkt zu diesen Bedingungen für eine bestimmte Zeit nicht mehr ins Land zu lassen, und diesen Beschluß der Kommission bekanntgeben. Bei einer Zollunion bedeutet das aber, auch den innergemeinschaftlichen Freihandel mit diesem Produkt an den nationalen Grenzen zu unterbrechen. Der Kern der Wirtschaftsgemeinschaft wurde dadurch immer wieder verletzt Deutlich zeigt sich, daß meist vergleichsweise wettbewerbsschwache Länder wie Frankreich und Italien den Artikel 115 in Anspruch nahmen. Die Bundesrepublik hielt sich hier am meisten zurück. 3. Die Ausnahmen von der EG-Außenwirtschaftspolitik Zu den bedeutendsten Ausnahmen von der gemeinschaftlichen Außenwirtschaftspolitik gehörte in dieser Konsolidierungsphase der EG die Währungs- und internationale Kapitalverkehrspolitik. In das System von Bretton Woods mit seinen fixen Tauschkursen der nationalen Währungen zum US-Dollar eingebunden, hielten die Regierungen hier zunächst keine Gemeinschaftspolitik für erforderlich. Nur der neugeschaffene Währungsausschuß erarbeitete zu internationalen Währungsfragen gemeinsame Standpunkte. Seit 1967 besitzen die Mitgliedstaaten bei gemeinsamem Auftreten eine Sperrminorität im Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds (IWF) bei wichtigen internationalen Währungsbeschlüssen.

Ab Ende der sechziger Jahre, als mit der schwierigeren wirtschaftlichen Lage wachsende Divergenzen in den Wirtschaftspolitiken der Gemeinschaftsländer und dem folgend außenwirtschaftliche Ungleichgewichte auftraten, wurde das Problem unterschiedlicher einseitiger Wechselkursbewegungen gegenüber dem Dollar offenbar. Deren Folge war automatisch auch eine gegenseitige Veränderung der Wechselkurse und damit der Preisrelationen. Besonders das nun voll entwickelte einheitliche Agrarpreissystem der EG zeigte sich als höchst verletzlich durch gemeinschaftsinterne Wechselkursverschiebungen. Die in dieser Zeit entstandenen Pläne zu einer gemeinschaftlichen Wirtschafts-und Währungsunion zeigen den zunehmenden Bedarf an einer Lösung dieses Problems; sie scheiterten aber vorerst noch an den unterschiedlichen Interessen der Mitgliedsregierungen. Auch die anderen wesentlichen Ausnahmen von der gemeinschaftlichen Außenwirtschaftspolitik tragen dasselbe Merkmal. Sie* sind von den unterschiedlichen Positionen der westeuropäischen Volkswirtschaften in der Weltwirtschaft geprägt. Zu diesen Ausnahmen gehört etwa das breite Feld der wirtschaftlichen Kooperation, das so unterschiedliche Bereiche einschließt wie die zwischenstaatliche Regelung von Unternehmenskooperationen, von Tauschgeschäften wie Rüstungsgüter gegen OPEC-Ol, von anderen staatlich auf die eine oder andere Art präferenzierten Geschäften mit verschiedensten Gütern, etwa auf Kompensationsbasis. Darunter fällt auch vielfach die staatlich geförderte und geregelte Technologietransfer-PoMtik mit den technologisch führenden außergemeinschaftlichen Staaten USA und Japan. Oft genug dient diese Art staatlich forcierten Technologieimports dem Ziel, im Gemeinschaftsmarkt konkurrenzstarke Positionen aufzubauen. Schließlich mag man sogar die bilateral ausgehandelten Importbeschränkungen einzelner Länder — etwa gegen japanische Unterhaltungselektronik oder Personenkraftwagen — unter diese nicht durch die gemeinschaftliche Außenwirtschaftspolitik erfaßten Politikbereiche zählen. Diese sehr gewichtigen „freiwilligen" Abmachungen („voluntary export restraints" oder „orderly market agreements“) schützen schon seit geraumer Zeit die französischen und italienischen Unternehmen sehr wirkungsvoll. In diesen Maßnahmen schlug und schlägt sich, wie in der Teilnahme der EG an den Welttextilabkommen, die Reaktion der einzelnen Länder auf den ab Ende der sechziger Jahre immer stärker fühlbaren Strukturwandel des Welthandels nieder.

Je weiter die Vergemeinschaftung der Handelspolitik und des Außenzolltarifs voran-schritt — bei ausbleibender Nivellierung der intragemeinschaftlichen Entwicklungs-und Wettbewerbsdivergenzen —, um so bedeutender wurden für einzelne nationale Regierungen die verbleibenden Felder autonomer außenwirtschaftspolitischer Handlungsfähigkeit, z. B. in der Währungspolitik, um sich vor ungewollten Wirkungen der gemeinsamen Handelspolitik zu schützen. In widersprüchlicher Weise stieg aber auch der politische Druck der integrationsfreundlich eingestellten Regierungen, diese Handlungsräume durch neue Integrationsfortschritte zu verengen.

IV. 1973— 1984: Die EG auf dem Weg zu einem Kompromiß zwischen internem Freihandel und begrenzter Öffnung nach außen

1. Krise des Wachstums, zunehmende Konkurrenz der Schwellenländer und die Versuchungen eines neuen Merkantilismus Die zeitweiligen Stagnations-und Schrumpfungsprozesse in der wirtschaftlichen Entwicklung der Industrieländer, die zunehmende Konkurrenz der Schwellenländer auf den Industrieländermärkten, schließlich die drastische Verteuerung der Energie in den siebziger Jahren zusammen mit den sozialen und politischen Konfliktrisiken, die dadurch ausgelöst wurden, führten in dem Jahrzehnt von 1973 bis 1984 zu wachsenden Schwierigkeiten vieler Industrieländer beim Ausgleich ihrer außenwirtschaftlichen Bilanzen. In der EG treffen diese externen Verschlechterungen — und zwar künftig noch stärker — durch die erste und die absehbare zweite EG-Erweiterung auf eine zunehmende interne Differenzierung zwischen den unterschiedlich wettbewerbsstarken Mitgliedsländern und verursachen daher größere Koordinierungsschwierigkeiten bei der gemeinsamen außenwirtschaftspolitischen Willensbildung

Die Grundprobleme der gemeinsamen Außenwirtschaftspolitik, die in der Konsolidierungs-und Wachstumsphase lange Jahre keine bedeutende Rolle gespielt hatten, sind daher heute wieder in den Vordergrund getreten. So zeigte sich die EG insgesamt unfähig, auf GATT-Ebene eine weitere substantielle Liberalisierung wirksam zu unterstützen. Zwar wurden in der GATT-Verhandlungsrunde von 1979 (Tokio-Runde) die Industriegüterzölle noch einmal gesenkt; aufgrund ihres schon zuvor niedrigen Standes war das jedoch keine wesentliche Verbesserung, über einen Abbau der vielfältigen und vermehrten nichttarifä-ren Handelshemmnisse, von freiwilligen Selbstbeschränkungsabkommen bis zu Subventionen und administrativen Schikanen, konnte jedoch keine Einigung erzielt werden; die EG bestand auch weiterhin auf der Verhängung selektiver Schutzklauseln gegenüber schnell ansteigenden Importen. Selbst die Umsetzung der in dieser Runde erreichten Abmachungen scheint bis heute nur sehr unvollkommen erreicht worden zu sein Die Aushandlung der EG-Position war von einem ständigen Konflikt der französischen mit der westdeutschen Regierung geprägt, in dem die deutsche Seite eine liberalere und die französische — vor allem in der Frage des Agrarhandels und der selektiven Schutzklauseln — eine protektionistische Position vertrat. Die Franzosen konnten sich schließlich weitgehend durchsetzen.

Darüber hinaus seien hier zwei wichtige Bereiche des Außenhandels genannt, in denen die EG schon seit den siebziger Jahren neue Importbeschränkungen verfügte: so einmal beim Stahl im Vollzug des EGKS-Vertrages als Teil ihrer Stahlkrisenpolitik seit 1977 (durch ihre Mindestpreisregelungen u. a.) und zum anderen durch ihre Mitwirkung bei der Aushandlung, Verlängerung und weiteren Verschärfung des Welttextilabkommens seit 1973, das die Textil-Bekleidungsimporte aus den Schwellenländern in die EG weiteren Behinderungen unterwarf Auch hier waren die Verhandlungen von dem Konflikt zwischen einer eher liberalistischen westdeutschen und einer stärker protektionistischen Haltung der Franzosen und Engländer gekennzeichnet, in der die letzteren sich weitgehend durchsetzten

Während in diesen Hauptkrisenbereichen traditioneller Industrien generelle Importbehinderungen klassischer Art wie Zölle und mengenmäßige Beschränkungen gelten, wurde von der Gemeinschaft vor allem gegenüber Japan, aber auch gegenüber verschiedenen Schwellenländern eine zunehmende Anzahl von Selbstbeschränkungsabkommen ausgehandelt. Bilateral galten solche Einschränkungen sowohl im Kraftfahrzeugexport bereits in der Vergangenheit gegenüber Italien und Frankreich, als auch in der Unterhaltungselektronik, etwa bei Videorecordern. Schließlich hat die Gemeinschaft im Agrarbereich Nettoexportpositionen aufgebaut und Importbeschränkungen bei Gütern eingeführt, bei denen die USA ein wichtiger Exporteur sind.

In der Währungspolitik ist vor allem bei den Deutschen das Interesse an einer gewissen EG-internen Stabilisierung der Wechselkurse gewachsen, ebenso — vor allem bei den Franzosen — an einer gewissen Vereinheitlichung der Positionsentwicklung gegenüber dem amerikanischen Dollar. Das Resultat war im Jahr 1979 die Gründung des Europäischen Währungssystems (EWS), der bisher erfolgreichsten gemeinschaftlichen Währungskooperation. Die Konfrontationen, in die die EG in der konfliktreicher gewordenen internationalen Außenwirtschaftspolitik hineingeriet, haben für die Kommission eine unverhoffte Stärkung ihrer vertragsgemäßen Position bewirkt. Als weiterer Schritt in diese Richtung kann ihre kürzliche offizielle Einbeziehung als voll-berechtigtes Mitglied in die außenwirtschaftliche Kooperation der großen Welthandelsnationen auf Gipfelebene angesehen werden. Wie die gesamte Gipfeldiplomatie ist auch diese Einbeziehung Ausdruck des Bemühens, in einer objektiv konfliktreicher gewordenen internationalen Wirtschaftspolitik wenigstens die diplomatischen Mechanismen zur Schadensbegrenzung zu verstärken. Diese Änderung kann man allenfalls als Ausdruck einer gestärkten EG-und Kommissionsposition im EG-internen Willensbildungsprozeß positiv werten. 2. 1985:

Neue Verhandlungen über den EG-Kompromiß zwischen internem Freihandel und Öffnung nach außen?

Zu den geänderten Positionen der EG trugen die im Zuge der Krise verschärften internen Unterschiede der Konkurrenzkraft bei. Zusammen mit den externen Herausforderungen haben diese in der jüngsten Vergangenheit zu vermehrten außenwirtschaftspolitischen Initiativen innerhalb der EG geführt, über die in den kommenden Monaten und Jahren entschieden werden muß. Frankreich ist weniger imstande, seine innergemeinschaftlichen Leistungsbilanzdefizite, insbesondere der Bundesrepublik gegenüber, durch den außergemeinschaftlichen Außenhandel auszugleichen und strebt infolgedes44 sen im Rückgriff auf die alten Rezepte nach Abhilfe:

— die außenhandelspolitischen Schutzmechanismen der EG sollen wirksamer werden, nicht unbedingt mittels einer breiten Erhöhung von Importbarrieren, aber doch in einer Einführung selektiver und flexibler Drohund Abwehrmechanismen gegenüber bestimmten unwillkommenen Importen

— die Gemeinschaft soll mit einer EG-Struktur- und Industriepolitik größere Gleichheit der Konkurrenzkraft in der EG herbeiführen, um die EG-interne Defizitneigung der wettbewerbsschwachen Mitgliedstaaten auch an der Wurzel zu kurieren, etwa mit dem Vorgehen in der gemeinschaftlichen Stahlpolitik

— die außergemeinschaftlichen Konkurrenz-aspekte der Industriestruktur) -und Technologiepolitik gegenüber den USA, aber heute auch sehr ausdrücklich gegenüber Japan, werden explizit ins Spiel gebracht (mit dem Vorschlag der „preference communautaire" bei der Subventionierung und Marktöffnung in den geförderten Sektoren)

— nach dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems Mitte der siebziger Jahre und insbesondere nach dem Anstieg der amerikanischen Zinsen und der Wiederaufwertung des US-Dollar ab Anfang der achtziger Jahre wird das Thema der gemeinschaftlichen Währungspolitik mit einer einheitlichen Schwankungsrate gegenüber dem Dollar und möglicherweise auch mit einer einheitlichen EG-Wechselkurs-und Kapitalverkehrspolitik gegenüber dritten Ländern wieder in die Diskussion gebracht (vgl. weiter unten).

Diese Anregungen, die zum Teil in den ersten Memoranden enthalten waren, die die neuer-nannte sozialistisch-kommunistische Regierung in Paris 1981 an ihre EG-Partnerregie-* rungen richtete, finden bei jenen teilweise Ergänzung und Widerhall.

Auch die bevorstehende Süderweiterung begünstigt derartige Absichten. Sie dürfte mittelfristig eine weitere Erhöhung der EG-Im-portbarrieren für einfache Industriegüter gegenüber den Schwellenländern mit sich bringen. Ebenso wird sich der Zugang für mittelmeerische Agrarprodukte — u. a. auch aus Israel — deutlich verengen müssen. Hier wird es zu EG-internen Abstimmungsschwierigkeiten kommen; von außen verstärkt sich bereits jetzt der Druck nordafrikanischer Länder und Israels auf die EG, den Zugang weiterhin offen zu halten oder aber erhebliche Kompensationen zu leisten. Da weder das eine noch das andere möglich erscheint, steht die Gemeinschaft vor einer unvermeidbaren Konfrontation.

Eine dirigistischere Außenhandelspolitik der EG findet aber auch in der im letzten Jahrzehnt verstärkten protektionistischen und merkantilistischen Außenwirtschaftspolitik der Vereinigten Staaten gegenüber der EG eine Stütze. Die USA haben — als Reaktion auf die eigenen industriellen Anpassungsschwierigkeiten — verschiedene Anlässe dazu geliefert. Die Auseinandersetzungen im Stahlbereich sind hierfür ein wichtiges Beispiel.

In dieselbe Kategorie von Vorkommnissen fallen die amerikanischen Exportbegrenzungsmaßnahmen bei moderner Technologie, insoweit diese als militärisch nutzbar angesehen wird. Zu dieser Frage läuft auch eine noch nicht abgeschlossene Bestandsaufnahme der EG-Kommission Die Reaktionen der EG werden in solchen Fällen notwendigerweise durch die Institutionen der EG — insbesondere die Kommission — koordiniert und verwaltet. Ihr wachsen dadurch handelspolitische Kompetenzen und Erfahrungen zu, die sie ohne derartige Konflikte nicht erhielte. Die technologiepolitischen Konflikte haben einen nicht zu unterschätzenden politischen Beitrag zu den inzwischen erfolgten Entscheidungen für gemeinschaftliche Hochtechnologieförderung geleistet.

Die fortdauernde Unfähigkeit Japans, Industriewaren oder auch nur Agrarprodukte seiner industrialisierten Handelspartner in einem nennenswerten oder in einem steigenden Umfang zu importieren, führt angesichts sektoral starker japanischer Handelsüberschüsse gegenüber den EG-Ländern ebenfalls zu verstärkten handelspolitischen Initiativen der EG gegenüber Japan. Neben dem Drängen auf japanische Marktöffnung verstärkt sich mehr und mehr die Bereitschaft, auch auf EG-Ebene zum „Knüppel" der EG-Importbeschränkungen zu greifen.

Die politischen Aktivitäten zur friedlichen Einigung über die verschiedenen Streitpunkte der Außenwirtschaftspolitik zwischen EG, Nordamerika und Japan kulminieren zur Zeit in den Bemühungen um eine neue Verhandlungsrunde zur Liberalisierung im Rahmen des GATT.

Der Wunsch zu einer solchen neuen Runde, noch bevor die Ergebnisse der letzten (von Tokio) als umgesetzt gelten, kam von den Amerikanern, um noch nicht liberalisierte Bereiche der Außenwirtschaftsbeziehungen zu öffnen. Dazu zählen der Handel mit privaten Dienstleistungen, Transfer von Hochtechnologien, der Schutz von geistigem Eigentum und von Investitionen und der Handel mit Agrarprodukten 16).

Nach anfänglichem Zögern bekundet die EG inzwischen grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an diesem Vorhaben. Weiterhin sind aber interne Meinungsverschiedenheiten und eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den amerikanischen Zi

Nach anfänglichem Zögern bekundet die EG inzwischen grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an diesem Vorhaben. Weiterhin sind aber interne Meinungsverschiedenheiten und eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den amerikanischen Zielsetzungen sichtbar. Sie zeigen sich in der Position des deutschen Wirtschaftsministers, der eine neue GATT-Runde zwar begrüßt, aber die Sicherung der erreichten Handelsliberalisierung in den Mittelpunkt stellt 17). Noch stärker erkennt man sie bei der EG-Kommission, in der französische Vorstellungen ein stärkeres Gewicht haben.

Deutlich äußerte Außenhandelskommissar De Clercq kürzlich in einem Interview seine Zweifel daran, daß sich die GATT-Mitglieder auch nur über den Inhalt und die Probleme der neuen Sachgebiete einig seien, über die die Amerikaner jetzt verhandeln wollen 18). Die Kommission will die Fragen des internationalen Handels mit denen der internationalen Kapitalverkehrs-und Währungsprobleme verknüpfen. Für die EG könnte bei den nun anstehenden internen und externen Verhandlungen am Ende sehr wohl ein Kompromiß herauskommen, in dem die Öffnung nach außen zugunsten des internen Freihandels weiter eingeschränkt wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Im folgenden Text wird unterschiedlich von EG und EWG gesprochen. EWG wird dort gebraucht, wo es ausdrücklich um den EWG-Vertrag, oder um die Politik dieser Gemeinschaft bis zur Fusion der Institutionen von 1967 geht. Für gemeinsame Politiken aller drei europäischen Gemeinschaften, insbesondere seit 1976, wird die gebräuchliche Bezeichnung EG: Europäische Gemeinschaft oder Gemeinschaften, angewandt.

  2. H. Küsters, Die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, Baden-Baden 1982, S. 166 ff.

  3. Wohlfahrt/Everling/Glaesner/Sprung, Die EWG. Kommentar zum Vertrag, 1960.

  4. E. Rhein, Wege und Irrwege zur neuen Weltwirtschaftsordnung, in: Europa-Archiv, 34 (1979) 1, S. 9— 18

  5. J. -J. Servan-Schreiber, Le dfi amricain, Paris 1967.

  6. W. Ploch, Außenhandelspolitische Divergenzen zwischen Paris und Bonn und ihre Bedeutung für das deutsch-französische Verhältnis, Politikwissenschaftliche Diplomarbeit an der Universität zu Köln, Oktober 1984, S. 43.

  7. P. -W. Schlüter, Die währungspolitische Zusammenarbeit — Risiken und Chancen für die Geldwertstabilität, in: R. Hrbek/W. Wessels (Hrsg.), EG-Mitgliedschaft: ein vitales Interesse der Bundesrepublik Deutschland?, Bonn 1984, S. 106.

  8. Chr. Deubner, Problems of Community Enlargement: The Accession of Greece, Portugal, and Spain, in: W. Feld (Hrsg.), Western Europe's Global Reach, Elmsford 1980, S. 30— 53, S. 47.

  9. J. B. Dönges, Probleme des Protektionismus im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Beitrag zur Sitzung des Arbeitskreises USA der Atlantik-Brücke e. V. am 13. Februar 1985 in Bonn, S. 1 ff.

  10. G. Curzon, Neo-Protectionism, the MFA and the European Community, in: The World Economy, (Sept. 1981) 3.

  11. W. Ploch (Anm. 4), S. 44 ff.

  12. Memorandum über die Verstärkung des Instrumentariums der gemeinsamen Handelspolitik, 1982.

  13. E. Davignon, Europäische Industriepolitik als Voraussetzung für offene Außenwirtschaftspolitik, in: W. Haferkamp, Festschrift zum 60. Geburtstag: Die Zukunft des Welthandels, Baden-Baden 1983, S. 37— 46.

  14. M. Richonnier/J.de Gliniasty, Le dfi industriel, in: Commissariat General du Plan, Groupe long terme „Quelle Strategie Europöenne pour la France dans les annes 80?", Paris 1983, S. 159.

  15. Handelsblatt vom 8. Februar 1985.

  16. Vgl. u. a. Handelsblatt vom 11. März 1985.

Weitere Inhalte

Christian Deubner, Dr. rer. pol., Dipl. Pol., geb. 1942; seit 1969 in Forschung und Lehre an der Freien Universität Berlin, den Universitäten Konstanz und Bremen sowie an der Maximiliansuniversität München tätig; seit 1978 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen. Veröffentlichungen: zahlreiche in-und ausländische Buch-und Zeitschriftenveröffentlichungen zur politischen Ökonomie der westeuropäischen Integration, der internationalen Wirtschaftspolitik und der vergleichenden Außenwirtschaftspolitik mit dem Schwerpunkt auf der Bundesrepublik Deutschland; verschiedene Beiträge zur nationalen und internationalen Atompolitik.