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Rückblick und Ausblick auf Genf Zur Wiederaufnahme der Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion | APuZ 14-15/1985 | bpb.de

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APuZ 14-15/1985 Strategische Verteidigungsinitiative (SDI). Kriegsführung oder Kriegsverhinderung? Rückblick und Ausblick auf Genf Zur Wiederaufnahme der Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion „Fahrplan zur Abrüstung"? Zur Doppelbeschluß-Politik der Bundesrepublik Deutschland bis 1983 Artikel 1

Rückblick und Ausblick auf Genf Zur Wiederaufnahme der Rüstungskontrollverhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion

Eckhard Lübkemeier

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Zusammenfassung

Nach über einjähriger Pause haben die USA und die UdSSR am 12. März 1985 wieder nukleare Rüstungskontrollverhandlungen aufgenommen. Im Unterschied zu den im Spätherbst 1983 abgebrochenen START-und INF-Verhandlungen umfassen die neuen Gespräche neben nuklearen Offensivwaffen auch boden-und weltraumgestützte Raketenabwehrsysteme. Die USA haben ein Forschungsprogramm (Strategie Defense Initiative, SDI) eingeleitet, um die Durchführbarkeit, Wirksamkeit und Kosteneffektivität solcher Systeme zu prüfen. Sie streben die zunehmende Einführung von Defensivsystemen an, die zunächst eine Verringerung und später die völlige Abschaffung von Offensivwaffen ermöglichen sollen. Die Sowjetunion lehnt aus technologischen, finanziellen und strategischen Gründen das Konzept einer defensiven Aufrüstung und offensiven Abrüstung ab. Angesichts dieser Standpunkte dürfte die Raketenabwehr-Frage zum Angelpunkt der Verhandlungen werden. So wie in den siebziger Jahren der ABM-Vertrag den Weg für Vereinbarungen über die Begrenzung von Offensivwaffen freimachte, kann mit einem Ergebnis in Genf nur dann gerechnet werden, wenn sich die USA und die UdSSR auf eine Regelung des zukünftigen Verhältnisses von Offensiv-zu Defensivsystemen verständigen. Ein solches Einvernehmen ist notwendig, um eine destabilisierend wirkende Intensivierung der Rüstungskonkurrenz und ihre Erweiterung um eine neue Dimension (Weltraum) zu verhindern. Es wird jedoch nur zustande kommen, wenn beide Seiten ihr politisches Verhältnis auf eine neue Grundlage stellen und bereit sind, auf die legitimen Sicherheitsbedürfnisse des jeweils anderen Verhandlungspartners Rücksicht zu nehmen.

Der amerikanische Außenminister Shultz und sein sowjetischer Amtskollege Gromyko sind nach Abschluß zweitägiger Gespräche in Genf am 8. Januar 1985 übereingekommen, ihren bilateralen Rüstungskontrolldialog wiederaufzunehmen. Das Ziel der neuen Verhandlungen, die am 12. März 1985 in Genf begonnen haben, soll darin bestehen, „ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf der Erde selbst zu beenden und zugleich die Kernwaffen zu begrenzen und zu verringern sowie die strategische Stabilität zu stärken"

Damit geht eine über einjährige Verhandlungspause zu Ende. Die Sowjetunion hatte die INF-Verhandlungen über nukleare Mittelstreckenwaffen (INF = Intermediate Range Nuclear Forces) am 23. November 1983 — einen Tag nach der Zustimmung des Deutschen Bundestages zur Stationierung von amerikanischen Pershing-II-Raketen und bodengestützten Marschflugkörpern (GLCM = Ground Launched Cruise Missile) — abgebrochen und sich im Dezember 1983 geweigert, sich auf einen Termin für die Fortführung der START-Gespräche über die Reduzierung strategischer Nuklearwaffen (START = Strategie Arms Reduction Talks) zu einigen. Die jetzt beschlossenen sowjetisch-amerikanischen Verhandlungen werden neben diesen strategischen und Mittelstreckensystemen auch Weltraumwaffen umfassen.

Im folgenden wird eine Analyse der Erfolgs-bedingungen und Erfolgschancen dieser Verhandlungen versucht. Ein solches Unternehmen muß zum jetzigen Zeitpunkt angesichts der Ungewißheit über die Entwicklung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen und der Komplexität der Materie notwendigerweise spekulative Züge tragen; es kann deshalb hier nur darum gehen, aufbauend auf eine Analyse der Motive der Verhandlungsteilnehmer und der Sachprobleme, denen sie sich gegenübersehen, politische und substantielle Mindestbedingungen herauszuarbeiten, die ein erfolgversprechender Verlauf und Abschluß der Gespräche wahrscheinlich voraussetzt.

I. Von Genf nach Genf

Die Sowjetunion hatte nach dem Abbruch der INF-Verhandlungen ihre Wiederaufnahme von der Bereitschaft der NATO abhängig gemacht, „zu der Situation zurückzukehren, wie sie vor Beginn der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Europa bestanden hat" Demgegenüber hieß es in der Brüsseler Erklärung der NATO vom 9. Dezember 1983, „die Stationierung amerikanischer Flugkörper kann durch konkrete Ergebnisse am Verhandlungstisch angehalten oder rückgängig gemacht werden"

Diese unvereinbaren Positionen schlossen eine Fortsetzung der INF-Gespräche in ihrer alten Form aus. Da die Sowjetunion zudem die START-Verhandlungen im Dezember 1983 ebenfalls unter Hinweis „auf den Beginn der Aufstellung neuer amerikanischer Raketen in Europa" auf unbestimmte Zeit ausgesetzt hatte war der nukleare Rüstungskontrolldialog zwischen den USA und der UdSSR am Ende des Jahres 1983 zum Erliegen gekommen. Angesichts der Ankündigung der NATO, die Nachrüstung bis zum Vorliegen einer Vereinbarung planmäßig durchzuführen, sowie in Anbetracht der im November 1984 bevorstehenden amerikanischen Wahlen, die der Sowjetunion die Hoffnung auf eine Ablösung des ungeliebten Präsidenten Reagan durch seinen demokratischen Herausforderer Mondale eröffneten, mußten die Chancen für eine Wiederbelebung des amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollpro-zesses noch im Jahre 1984 pessimistisch beurteilt werden.

Tatsächlich jedoch machte die Sowjetunion den USA am 29. Juni 1984 den Vorschlag, im September in Wien Verhandlungen „zur Verhinderung einer Militarisierung des Weltraums" aufzunehmen und am Tage ihrer Eröffnung ein Moratorium für die Erprobung und Stationierung von Weltraumwaffen zu verkünden. Zu diesen Verhandlungen ist es nach einem öffentlichen diplomatischen Geplänkel letztlich doch nicht gekommen, obgleich die amerikanische Regierung ihre anfänglich reservierte Reaktion gegenüber dem sowjetischen Angebot modifizierte und sich schließlich ausdrücklich bereit erklärte, ohne jede „Vorbedingung" über Weltraumwaffen — allerdings „nicht isoliert von dem strategischen Gesamtverhältnis" (d. h. unter Berücksichtigung offensiver Kernwaffen) — zu sprechen und während der Verhandlungen auch ein „Moratorium für die Antisatellitenerprobung" zu erörtern

Die Tatsache, daß die in Genf am 8. Januar 1985 zwischen Shultz und Gromyko erzielte Übereinkunft den im Sommer 1984 formulierten amerikanischen Bedingungen entspricht, läßt rückblickend den Schluß zu, daß die Sowjetunion zum damaligen Zeitpunkt aus außen-und innenpolitischen Gründen offenbar nicht willens oder in der Lage war, den Rüstungskontrolldialog mit den Vereinigten Staaten wiederzubeleben.

Diese Situation schien sich im Herbst des letzten Jahres geändert zu haben. Der sowjetische Außenminister traf sich am 28. September 1984 zum ersten Mal mit dem amerikanischen Präsidenten. Diese Begegnung deutete darauf hin, daß die Sowjetunion von einer Wiederwahl Reagans am November 1984 ausging und bestrebt war, noch vor diesem Datum die Weichen für eine Verbesserung der amerikanisch-sowjetischen Beziehungen zu stellen. Vertrauliche diplomatische Kontakte mit diesem Ziel, die in der Folgezeit aufgenommen wurden, kulminierten dann in einer am 22. November 1984 in Washington und Moskau gleichzeitig bekanntgegebenen Erklärung, daß die beiden Staaten „in neue Verhandlungen" über Nuklear-und Weltraumwaffen eintreten und sich ihre beiden Außenminister zu einer „Verständigung hinsichtlich des Inhalts und der Ziele solcher Verhandlungen" am und 8. Januar 1985 in Genf treffen würden 6).

II. Verhandlungsmotive

Ein Bündel von unterschiedlichen und übereinstimmenden Interessen auf amerikanischer und sowjetischer Seite hat den nuklearen Rüstungskontrollprozeß wieder in Gang gebracht. Ihre Analyse eröffnet einen Aufschluß über die Verhandlungsziele der beiden Beteiligten und bietet damit zugleich Anhaltspunkte über die Erfolgsaussichten der Gespräche. 1. USA Die amerikanischen Motive dürften vor allem in drei Bereichen angesiedelt sein: Innenpolitik: In der ersten Amtszeit Präsident Reagans waren die START-und INF-Verhandlungen von amerikanischer Seite u. a.deshalb nur halbherzig geführt worden, weil diejenigen Kräfte innerhalb der Administration, die entweder überhaupt kein Abkommen wollten oder dafür einen Preis forderten, den die Sowjetunion nicht zu zahlen bereit war, die Entwicklung kompromißfähiger Ver-handlungspositionen behindert hatten 7). Der Einfluß dieser Gruppe hing nicht nur mit einer gleichgerichteten ideologisch-politischen Disposition des amerikanischen Präsidenten zusammen, sondern spiegelte auch eine in den USA weitverbreitete Enttäuschung über die vermeintlich von der UdSSR zu eigener Aufrüstung und politischer Expansion in der Dritten Welt mißbrauchte Entspannungspolitik sowie eine angeblich bereits eingetretene oder drohende sowjetische militärische Überlegenheit wider. Die massive Ausweitung des Verteidigungshaushalts mit z. T. zweistelligen Zuwachsraten sowie die Politik militärischer und politisch-rhetorischer Stärke gegenüber der Sowjetunion stießen daher zunächst auf breite öffentliche Zustimmung in den USA. Die Formierung der „Freeze" -Bewegung, die im Sommer 1983 durch eine Entschließung des US-Repräsentantenhauses Unterstützung erhielt, in der ein Einfrieren der amerikanischen und sowjetischen Rüstungen gefordert wurde, und der zunehmende Widerstand im Kongreß gegen die von der Regierung beantragten Steigerungsraten des Verteidigungshaushaltes sowie bestimmte Rüstungsvorhaben führten jedoch schon ab Mitte 1982 zu einem wachsenden Druck auf die Regierung, in ihrer Rüstungskontrollpolitik mehr Kompromißbereitschaft zu zeigen. Anlaß für eine solche Kurskorrektur boten ferner Umfrageergebnisse, die belegten, daß nach Aufassung der Mehrheit der Amerikaner „die Zeit reif ist für Verhandlungen und nicht für Konfrontation mit der Sowjetunion" sowie nicht zuletzt die riesigen Haushaltsdefizite, die das wirtschaftliche Wachstum gefährden könnten

Ein grundsätzliches Interesse an einem Rüstungskontrollabkommen sprechen auch selbst viele seiner Kritiker dem amerikanischen Präsidenten nicht ab. Von der Überzeugung getragen, die militärische Stärke der USA in seiner ersten Amtsperiode wiederhergestellt zu haben, halte Reagan nunmehr die Zeit für aussichtsreiche Verhandlungen mit der Sowjetunion gekommen

Verteidigungspolitik: Aus amerikanischer Sicht verschafft das numerische Übergewicht bei den landgestützten Interkontinentalraketen (ICBM) der Sowjetunion wegen der im Vergleich zu seegestützten Raketen (SLBM) höheren Zielgenauigkeit und Zuverlässigkeit von ICBM den strategischen Vorteil, den landgestützten Teil der amerikanischen Nuklearstreitkräfte (ICBM und Bomberflugplätze) in einem Erstschlag fast vollständig zerstören zu können. Dieses sogenannte „Fenster der Verwundbarkeit" zu schließen, war seit den frühen siebziger Jahren ein Hauptziel amerikanischer Rüstungs-und Rüstungskontrollpolitik und bildete auch den Hintergrund für die START-Vorschläge der Reagan-Regierung. Da eine rüstungstechnische Lösung der ICBM-Verwundbarkeit zumindest mittelfristig mit schwerwiegenden Problemen behaftet ist bleiben die USA auch weiterhin bestrebt, die sowjetische ICBM-Rüstung auf dem Verhandlungsweg zu reduzieren.

Dieses Interesse an einer rüstungskontrollpolitischen Begrenzung des sowjetischen strategischen Arsenals wird darüber hinaus verstärkt durch die sogenannte „strategische Verteidigungsinitiative" (SDI = Strategie Defense Initiative). Die Erfolgsaussichten dieses populär als „Krieg der Sterne" („Star Wars") bezeichneten Forschungsprogramms für ein umfassendes land-und weltraumgestütztes Abwehrsystem gegen ballistische Raketen hängen auch davon ab, ob es gelingt, einen Rüstungswettlauf zwischen amerikanischen Defensiv-und sowjetischen Offensivsystemen durch eine Rüstungskontrollvereinbarung zu verhindern

Bündnispolitik: Wegen ihrer exponierten geographischen Lage, ihrer sicherheitspolitischen Abhängigkeit von den USA und ihrer historischen, kulturellen und humanitären Verbindungen zu den Staaten Osteuropas sind die Länder Westeuropas in besonderem Maße an einer Verbesserung der Ost-West-Beziehungen interessiert. Diesem Interesse und der westeuropäischen Erwartung, den Vollzug der Nachrüstung zu ernsthaften Verhandlungen mit der Sowjetunion zu nutzen, kommt die amerikanische Regierung durch die Wiederaufnahme des Rüstungskontrolldialogs mit der Sowjetunion entgegen. 2. Sowjetunion Das Interesse der Sowjetunion an den neuen Verhandlungen scheint vor allem sicherheitsund außenpolitischer Natur zu sein: Verteidigungspolitik: Eine verläßliche Antwort auf die Frage, in welchem Ausmaß sich die sowjetische Führung um ihre Abschrekkungsfähigkeit sorgt, ist westlichen Beobachtern nicht möglich, öffentlich haben ihre Mitglieder jedenfalls immer wieder versichert, einen Rüstungswettlauf mit den USA nicht zu fürchten. Gleichwohl ist zu vermuten, daß in Moskau einigen der amerikanischen Rüstungsprogramme potentiell bedrohliche Folgen für die eigene Sicherheit zugeschrieben werden und Unsicherheit über eine angemessene militärische Reaktion besteht. Im Vordergrund steht dabei ohne Zweifel die strategische Verteidigungsinitiative, die nach Präsident Reagan dem Ziel dient, „Kernwaffen unwirksam und überflüssig zu machen"

Die Sowjetunion dürfte in einem solchen Vorhaben die größte sicherheitspolitische Herausforderung seit der Einführung der Nuklearwaffen sehen, denn für sie gilt umgekehrt ebenso, was der amerikanische Verteidigungsminister Weinberger zu dieser Frage geäußert hat: „Ich kann mir keine für die Stabilität der Welt gefährlichere Situation vorstellen als die, in der die Sowjetunion vor uns eine zuverlässige Verteidigungsfähigkeit gegen Raketen erwirbt.“ Sollte es einer Seite möglich sein, ein solches Defensivsystem aufzubauen, hätte sie eine überlegene Position erreicht: Sie könnte dann die Gegenseite mit der Drohung eines Einsatzes ihrer Offensiv-waffen erpressen, da sie eine Vergeltung nicht mehr zu fürchten hätte.

Wie später noch zu zeigen ist, wird es nach den heute überschaubaren technologischen Trends wohl kaum möglich sein, ein lückenloses Abwehrnetz gegen nukleare Offensivwaffen zu errichten. Dennoch werden weder die USA noch die Sowjetunion in dieser entscheidenden Frage ein Risiko eingehen wollen, d. h. beide Seiten werden ihre Planungen auf den schlimmstmöglichen Fall eines technologischen Durchbruchs der anderen Seite einstellen, der diese gegen nukleare Vergeltungsschläge unverwundbar machen würde. Ihre Rückständigkeit in militärisch relevanten Basistechnologien und die zu erwartenden gewaltigen Kosten scheinen ausschlaggebend für das sowjetische Interesse zu sein, zu versuchen, eine solche Entwicklung auf dem Verhandlungswege abzuwenden.

Während die SDI für die Sowjetunion auf absehbare Zeit eine technologische und ökonomische Herausforderung mit langfristig jedoch möglicherweise um so bedrohlicheren Folgen für ihre eigene Abschreckungsfähigkeit darstellt, dürfte sie in einigen amerikanischen offensiven Rüstungsmaßnahmen (zumal dann, wenn sie mit der SDI gekoppelt werden) eine unmittelbare Gefahr sehen. Dabei handelt es sich einerseits um Systeme, die sich zur Zerstörung von militärischen Anlagen wie ICBM-Abschußrampen und Kommandozentralen eignen (die letzte Generation der bereits stationierten amerikanischen ICBM, die geplante MX, sowie die ab Ende des Jahrzehnts einsatzbereite seegestützte Trident II und die Pershing II) und z. T. kurze Flug-und damit Vorwarnzeiten aufweisen, sowie um Marschflugkörper, die die Sowjetunion offenbar wegen ihrer Mobilität und Flexibilität als krisendestabilisierende Systeme einstuft. Eines ihrer Hauptziele in Genf wird deshalb sein, Art und Umfang der Stationierung dieser amerikanischen Systeme zu begrenzen.

Außen-und Wirtschaftspolitik: Neben sicherheitspolitischen Erwägungen scheint sich die Sowjetunion auch deshalb um eine allgemeine Ost-West-Entspannung zu bemühen, weil sie sich von einer Ausweitung des Handels mit und des Technologieimports aus dem Westen wirtschaftliche Vorteile erhofft. In diesem Zusammenhang könnte eine Rolle gespielt haben, daß die an der internen Auseinandersetzung um den künftigen Wirtschaftskurs beteiligten „Bürokraten und Reformer" offenbar daran interessiert sind, diese Debatte nicht durch außenpolitische Probleme zu belasten

Bündnispolitik: Die zurückhaltende Reaktion der nichtsowjetischen Warschauer Pakt-Staaten auf die als Gegenmaßnahme zur westlichen Nachrüstung bezeichnete Stationierung sowjetischer SS-22-Raketen in der DDR und CSSR sowie die „Schadensbegrenzungspolitik" der DDR während der ersten Hälfte des Jahres 1984 waren deutliche Anzeichen einer Beunruhigung dieser Länder über den Stand der Ost-West-Beziehungen. Wenngleich ihr Spielraum gegenüber Moskau geringer ist als der Einfluß der Westeuropäer auf ihre Führungsmacht, dürften auch bündnispolitische Überlegungen in die Entscheidung der sowjetischen Führung, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, Eingang gefunden haben. 3. Gemeinsame Motive Der Ausbruch eines strategischen Nuklear-krieges wäre eine existentielle Gefährdung für die USA und die UdSSR Beide Weltmächte haben deshalb ein Interesse an der Erhaltung und Stärkung strategischer Stabilität, d. h. an einem Kräfteverhältnis, „das jeden Versuch einer Konfliktregelung mit militärischen Mitteln — ob im indirekten oder direkten Einsatz — deutlich als kalkuliert untragbares Risiko erkennen läßt" -Dieses im Grundsatz gleichgerichtete Ziel, das sich allerdings wegen geostrategischer und technologischer Unterschiede sowie politisch-ideologischer Gegensätze in unterschiedlichen Auffassungen über die Angemessenheit der militärischen Vorkehrungen der jeweils anderen Seite konkretisiert, verfolgen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion einerseits durch Rüstungsmaßnahmen und andererseits mit Hilfe von Rüstungskontrollvereinbarungen als Teil einer politischen und militärischen Krisen vorbeugenden bzw. eingrenzenden Außenpolitik

In diesem Zusammenhang ist ferner das gemeinsame amerikanisch-sowjetische Interesse zu erwähnen, die Zahl der Kernwaffen-länder so niedrig wie möglich zu halten. In dem zu diesem Zweck 1968 abgeschlossenen Nichtweiterverbreitungsvertrag haben sich die USA und die UdSSR als Gegenleistung für den Verzicht anderer Unterzeichnerstaaten auf den Erwerb von Nuklearwaffen zu Verhandlungen über die „Beendigung des nuklearen Wettrüstens in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung" (Artikel 6) verpflichtet.

In diesem Jahr steht die nächste Überprüfungskonferenz dieses Vertrages an. Die Wiederbelebung des nuklearen Rüstungskontroll-Prozesseskann von den beiden Weltmächten genutzt werden, den übrigen mehr als 120 Unterzeichnerstaaten nachzuweisen, daß sie ihrer Verpflichtung aus Artikel 6 nachkommen. 4. Die Genfer Erklärung vom 8. Januar 1985 Der amerikanische und sowjetische Außenminister verständigten sich bei ihrem Genfer Treffen Anfang Januar darauf, daß die im November beschlossenen Verhandlungen einen „Komplex von Fragen" behandeln werden, „welche die Weltraum-und atomaren Waffen, sowohl strategischer als auch mittlerer Reichweite, betreffen, wobei alle diese Fragen in ihrem wechselseitigen Zusammenhang zu erörtern und zu lösen sind. Ziel der Verhandlungen wird es sein, wirksame Übereinkünfte auszuarbeiten, deren Ziel es ist, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern und es auf der Erde zu beenden, die atomaren Waffen zu begrenzen und zu verringern und die strategische Stabilität zu festigen ... Die Verhandlungen werden auf jeder Seite von einer Delegation geführt, die in drei Gruppen gegliedert ist."

Diese Einigung verlangte von beiden Seiten Abstriche an ihren Ausgangspositionen, trägt jedoch ihren oben analysierten wesentlichen Interessen Rechnung. Der Sowjetunion gelang es zwar nicht, die USA zur Aufgabe ihres SDI-Forschungsprojekts zu bewegen, sie wahrte jedoch ihr Hauptanliegen, die Frage der Weltraumwaffen mit der Thematik nuklearer Offensivsysteme zu verbinden. Die Vereinigten Staaten erreichten eine Wiederaufnahme der Gespräche über strategische und Mittelstreckenwaffen ohne Beschränkung ihrer strategischen Verteidigungsinitiative und ohne der als Reaktion auf die Nachrüstung erhobenen sowjetischen Forderung entsprochen zu haben, vor dem Beginn von erneuten INF-Gesprächen müßten die Pershing II und GLCM aus Westeuropa beseitigt werden; im Gegenzug erklärten sie sich bereit, die beiden Bereiche Weltraum-und nukleare Offensivwaffen in einem inhaltlichen Zusammenhang zu behandeln und diese konzeptionelle Verknüpfung auch prozedural durch die Bildung einer Verhandlungsdelegation mit drei Arbeitsgruppen zu verankern.

III. Verhandlungsprobleme

Sowohl der amerikanische als auch der sowjetische Außenminister haben nach ihrem Januar-Treffen von „neuen" Verhandlungen gesprochen. Diese Charakterisierung hat zum einen die politische Funktion, der Sowjetunion eine Rückkehr an den Verhandlungstisch zu erlauben, ohne formell von ihrem Anspruch eines Abzugs der Pershing II und GLCM vor einer Fortsetzung von INF-Gesprächen Abstand nehmen zu müssen; sie ist aber auch sachlich begründet, da das Verhandlungsmandat die bis Ende 1983 getrennt verhandelten strategischen und Mittelstrekkenwaffen miteinander verbindet und darüber hinaus um die Bereiche der boden-und weltraumgestützten Raketenabwehr (BMD = Ballistic Missile Defense) -Systeme sowie der ASAT (Anti-Satelliten-) -Waffen erweitert wurde. Dieser neue Ansatz wird nicht ohne Folgen für die Behandlung der Sachprobleme selbst bleiben; wie sich jedoch die Interdependenz der drei „Körbe" (BMD und ASAT, strategische Offensivwaffen, INF) konkret auswirken wird, ist seinerseits ein Verhandlungsgegenstand und daher gegenwärtig nur durch die Diskussion einiger grundsätzlicher Aspekte zu beantworten. Bevor jedoch dieser Frage nachgegangen wird, ist auf der Grundlage der Interessen der beiden Verhandlungsteilnehmer zu klären, mit welchen Problemen und Positionen sich die drei Arbeitsgruppen vermutlich auseinanderzusetzen haben. 1. BMD: Ballistic Missile Defense Staaten unterhalten militärische Mittel, um sich vor einem potentiellen Angreifer dadurch zu schützen, daß dieser die Kosten einer militärischen Aggression höher als ihren erwarteten Nutzen bewertet und sie deshalb nicht unternimmt (Abschreckung), oder — falls er sie doch begeht — um sie abwehren zu können (Verteidigung). Zwischen diesen beiden Zielen bestand traditionell ein Verhältnis, das in der Maxime „Wenn Du den Frieden willst, bereite den Krieg vor" zum Ausdruck kommt: Ein Gegner wird um so verläßlicher abgeschreckt, je mehr er davon ausgehen muß, daß er die andere Seite nicht besiegen kann, weil sie sich durch den Einsatz militärischer Mittel gegen die Waffen des Aggressors verteidigen kann.

Mit der militärischen Nutzung der Kernenergie wurde dieser Grundsatz außer Kraft gesetzt. Eine perfekte Verteidigung gegen Nuklearwaffen mußte als unerreichbar angesehen werden. Kriegsverhütung wurde zum

Leitprinzip von Sicherheitspolitik während ebenso zwangsläufig Abschreckung als militärisches Instrument dieser Politik in erster Linie auf der Androhung einer vernichtenden Vergeltung und nicht mehr einer erfolgversprechenden Verteidigung beruhen mußte.

Dieser „Logik" des Nuklearzeitalters war der Ende der sechziger Jahre einsetzende amerikanisch-sowjetische Rüstungskontrollprozeß unterworfen, in dem beide Seiten das Ziel verfolgten, die eigene Vergeltungsfähigkeit zu sichern. Als Mittel dienten ihnen dazu neben quantitativen und qualitativen Beschränkungen der strategischen Systeme (SALT I und II) vor allem der ABM-Vertrag aus dem Jahre 1972, der in Verbindung mit einem Zusatzabkommen jedem Land nur eine Raketenabwehrstellung mit höchstens 100 Abschußvorrichtungen gestattet. Hinzu kommen Restriktionen bei der Entwicklung und Stationierung von Radargeräten sowie ein vollständiges Verbot der Entwicklung, Erprobung und Stationierung von see-, lüft-oder weltraumgestützten und landbeweglichen ABM-Systemen. Der ABM-Vertrag wurde möglich, weil die USA und die UdSSR eine lückenlose Abwehr von Nuklearwaffen für jenseits des sich damals abzeichnenden technologischen Fortschritts und den konkurrierenden Aufbau partieller Abwehrsysteme (etwa zum Schutz von ICBM-Silos) für ineffizient und politisch destabilisierend hielten. Mit seiner sogenannten „Star Wars" -Rede vom 23. März 1983 hat Präsident Reagan öffentlich erklärt, daß die USA die weitere Gültigkeit der Basis des ABM-Vertrages und des gesamten bisherigen Rüstungskontrollprozesses — daß nämlich im Nuklearzeitalter Offensivwaffen aus technologischen und finanziellen Gründen den Defensivsystemen überlegen sind — nicht mehr für ausgemacht halten.

Eines der wesentlichen Probleme der Genfer Verhandlungen besteht deshalb darin, wie das Verhältnis von Offensiv-und Defensivsystemen in der Zukunft stabilitätskonform ge-halten werden kann. Dabei gilt es im Hinblick auf die Rolle von Defensivsystemen zwei Ebenen zu unterscheiden: zum einen die weit in das nächste Jahrtausend reichende „Vision" Präsident Reagans, Kernwaffen durch einen lückenlosen Abwehrschirm „unwirksam zu machen", und zum zweiten die Frage eines über den ABM-Vertrag hinausgehenden Aufbaus von BMD-Einrichtungen die zwar keinen oder nur einen begrenzten Schutz von Bevölkerungszentren böten, aber in der Lage sein könnten, nukleare Angriffe auf bestimmte militärische Anlagen zu vereiteln. Mehrere wissenschaftliche Untersuchungen sind zu der Schlußfolgerung gelangt, daß ein „perfektes oder beinahe perfektes Abwehrsystem, das der Sowjetunion die Fähigkeit nähme, die amerikanische Gesellschaft tödlich zu verwunden, eine so entlegene Perspektive darstellt, daß sie nicht zur Grundlage der öffentlichen Erwartung oder Regierungspolitik hinsichtlich der Möglichkeiten von BMD-Systemen gemacht werden sollte" Ausschlaggebend für ein solches Urteil sind mehrere Faktoren: die gewaltigen technologischen Schwierigkeiten, die bei der Entwicklung von weltraumgestützten BMD-Anlagen zu lösen wären, ihre Verwundbarkeit gegen direkte Angriffe (z. B. ASAT-Waffen, Weltraumminen), andere Gegenmaßnahmen durch die Sowjetunion (z. B. Vermehrung und Verbesserung von ballistischen Raketen sowie das „Unterfliegen" eines Weltraumabwehrnetzes durch Marschflugkörper und Bomber, die die Atmosphäre nicht verlassen sowie die Überlegung, sich auf ein technisches System verlassen zu müssen, das im Falle seines Einsatzes absolut zuverlässig funktionieren müßte, zuvor aber unter vergleichbaren Bedingungen nie hätte getestet werden können

Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, daß die Sowjetunion den sicherheitspolitisch bedrohlichen Charakter der SDI zumindest auf absehbare Zeit nicht vorrangig in dem ihr nicht zuletzt aus innenpolitischen Erwägungen angehefteten Fernziel einer unverwundbaren „Festung Amerika" sieht vielmehr dürfte die naheliegendere militärische Gefahr einer forcierten BMD-Entwicklung für die Sowjetunion auf der zweiten Ebene der SDI liegen, nämlich im Aufbau eines begrenzten BMD-Systems bei Fortbestehen nuklearer Offensiv-waffen. Die grundsätzliche Brisanz einer Kombination von Offensiv-und Defensivsystemen, die auch Präsident Reagan in seiner Rede vom März 1983 eingestanden hat wird durch die Stationierung zielgenauer ICBM und SLBM hervorgerufen, die theoretisch in der Lage sind, den unbeweglichen Teil der gegnerischen Nuklearstreitkräfte (ICBM-Silos, Kommandozentralen, Bomberflugplätze, U-Boote in Häfen) zu zerstören. Die durch diese zunehmende Verwundbarkeit eines maßgeblichen Teils der beiderseitigen Vergeltungspo-tentiale ohnehin strapazierte strategische Stabilität könnte nun durch die Einführung von Defensivsystemen noch weiter drastisch absinken: „Es könnte dann ein Punkt erreicht werden, in dem eine oder beide Seiten eine Fähigkeit zur Schadensbegrenzung erreichen könnten, aber nur dann, wenn sie zuerst zuschlägt. Ein solcher Angriff würde die Verteidigungseinrichtungen des Gegners überwinden und die verwundbaren Teile seiner Offensivkräfte ausschalten. Würde der Gegner versuchen, mit seinen verbliebenen strategischen Offensivkräften zu vergelten, könnte er die Verteidigung des Angreifers nicht überwinden."

Zweifellos würden die USA und die UdSSR bestrebt sein, einer solchen Entwicklung durch die Erhöhung der Unverwundbarkeit und Zuverlässigkeit ihrer Offensiv-und Defensivarsenale vorzubeugen, und schon aus diesem Grund dürfte keine Seite damit rechnen, eine vollständige Entwaffnungsoption erlangen zu können. Ihr destabilisierendes Moment ist daher auch nicht in dem gänzlich unwahrscheinlichen Fall eines kühl kalkulierten „Angriffs aus dem heiteren Himmel", sondern in einer sich zuspitzenden Krise zu finden. In einer solchen Situation, in der ein Angriff des anderen nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen werden kann, steigt für jede Seite die sogenannte Erstschlagsprämie: Wer zuerst schießt, kann den jetzt als zunehmend unvermeidbar angesehenen Schaden durch einen nuklearen Schlag des Gegners immerhin noch vermindern, wenn er eine möglichst große Anzahl der feindlichen Offensivwaffen vernichtet.

Der Gefahr, daß dieser Mechanismus einen Nuklearkrieg auslöst, steht die krisendämpfende Gewißheit auf Seiten der USA und der UdSSR gegenüber, daß sie heute bei einem vorwegnehmenden (Präemptiv-) Angriff mit einer Vergeltung katastrophalen Ausmaßes zu rechnen haben. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, daß der Anreiz zu präemptiver Schadensbegrenzung durch die Entwicklung von offensiven Counterforce-Systemen (d. h. Waffen, die sich wegen ihrer Kombination aus Sprengkraft und Zielgenauigkeit zur Zerstörung militärischer Anlagen eignen könnten) wie den schweren ICBM der Sowjetunion (SS-18 und SS-19) und den modernsten stationierten bzw. geplanten ICBM und SLBM der USA (Minuteman III, MX, Pershing II, Trident I und II) gewachsen ist. Diese Tendenz könnte durch die Einführung von Defensivsystemen auf dreifache Weise verstärkt werden: Erstens würde sie dem offensiven Rüstungswettlauf einen defensiven hinzufügen und dadurch die Ost-West-Beziehungen zusätzlich belasten; zweitens erhöhen Defensivsysteme die Chancen einer Schadensbegrenzungsstrategie in dem Maße, in dem das feindliche Vergeltungspotential durch einen vorbeugenden Offensivschlag verringert und damit der eigenen Verteidigung die Aufgabe erleichtert werden kann; und drittens wären gegnerische Abwehreinrichtungen selbst ein attraktives Ziel für einen Präemptivschlag, da ihre Zerstörung den Erfolg der eigenen offensiven Schadensbegrenzung vergrößern würde

Mehrere Faktoren sprechen dafür, daß die Sowjetunion befürchten muß, in einer ungehinderten offensiven und defensiven Rüstungskonkurrenz könnten die USA ein überlegenes Schadensbegrenzungspotential erlangen. Zum einen ist das sowjetische Nukleararsenal verwundbarer (neben dem bereits genannten Tatbestand, daß die UdSSR ca. zwei Drittel ihrer strategischen Sprengköpfe auf unbeweglichen ICBM stationiert hat, kommt hinzu, daß sie von ihren SLBM nur ca. 20% ständig auf See hat und die USA einen Vorsprung in der Bekämpfung von U-Booten haben) und damit grundsätzlich anfälliger als das amerikanische Potential gegen Counterforce-Angriffe, und zweitens muß die Sowjetunion davon ausgehen, wegen ihrer auch systembedingten technologischen Rückständigkeit in einem BMD-Wettrüsten zurückzubleiben Es kommt dabei nicht darauf an, ob die objektive Entwicklung des militärischen Kräfteverhältnisses tatsächlich eine solche Richtung zuungunsten der UdSSR nähme; entscheidend ist ihre Wahrnehmung durch die sowjetische Führung, die sich im Zweifel an die zwar unwahrscheinliche, aber nicht a priori auszuschließende Variante des für sie schlimmstmöglichen Falles halten wird, durch ein massives offensives und defensives Aufrüstungsprogramm der USA in eine unterle-gene Position zu geraten Vermutlich sind die sowjetischen Machthaber (noch) selbstbewußt genug, zu glauben, das Eintreten einer solchen Situation durch militärische Gegenmaßnahmen verhindern zu können. Solche Maßnahmen würden sie aber zu einer Rüstungskonkurrenz zwingen, die der Sowjetunion erheblich größere Opportunitätskosten (d. h. entgangene zivilwirtschaftliche Investitionen) abverlangen würde als den USA und sie auf diesem Weg im „friedlichen Wettkampf der Systeme" weiter zurückwerfen könnte.

Sollte dies eines der Hauptmotive gewesen sein, das die Sowjetunion nach Genf zurückgeführt hat, wird sie sich kaum von amerikanischen Erklärungen beeindrucken lassen, neuentwickelte BMD-Systeme vor ihrer Stationierung „in Verhandlungen und Gespräche mit anderen Ländern der Welt” einzubringen Schon aus sicherheitspolitischen Überlegungen könnte kein sowjetischer Generalsekretär (ebensowenig wie umgekehrt kein amerikanischer Präsident) auf die Hoffnung setzen, die andere Seite, mit der er sich in einem fundamentalen Macht-und System-konflikt befindet, könnte bereit sein, einen militärischen Vorteil freiwillig aufzugeben Hinzu kommt jedoch noch der Aspekt der hohen zivilen Opportunitätskosten, die bereits im Forschungs-und Entwicklungsstadium anfielen, d. h. bevor die USA überhaupt erwägen würden, die Ergebnisse ihrer BMD-Programme mit der UdSSR zu teilen.

Eine zu erwartende konkurrierende Entwicklung von BMD-Systemen würde voraussicht-liehdem erklärten rüstungskontrollpolitischen Hauptziel der USA zuwiderlaufen, eine . drastische Reduzierung von Offensivwaffen zu vereinbaren. Zwar versucht die amerikanische Regierung, eine solche Unvereinbarkeit mit dem Einwand zu entkräften, daß Abwehrsysteme den „Wert ballistischer Raketen herabsetzen" und dadurch „stärkere Anreize für die Verminderung dieser Raketen auf dem Verhandlungswege schaffen" könnten aber wahrscheinlicher ist die entgegengesetzte Wirkung: Da die Sowjetunion befürchten muß, in einem BMD-Wettrüsten die schlechteren technologischen Karten zu haben, dürfte sie sich bei ihren Gegenmaßnahmen vor allem darauf konzentrieren, amerikanische Abwehranlagen durch vermehrte und verbesserte Offensivwaffen auszuschalten bzw. zu überwinden. In jedem Fall aber ist nicht damit zu rechnen, daß sie einer ins Gewicht fallenden Verringerung ihres Offensiv-potentials zustimmt, wenn sie angesichts eines amerikanischen BMD-Vorstoßes nicht mehr sicher sein kann, langfristig noch über eine ausreichende Vergeltungsfähigkeit zu verfügen (ganz abgesehen davon, daß ein BMD-Forschungswettlauf, der erheblich mehr Ressourcen verschlänge als die Forschungsinvestitionen beider Seiten seit Abschluß des ABM-Vertrages, und der aus sowjetischer Sicht de facto von den USA mit der Absicht verfolgt würde, die gegenwärtige strategische Parität aufzuheben, die politischen Rahmenbedingungen für ein solches Abkommen untergraben würde).

Bei einer unkontrollierten BMD-Aufrüstung ist also mit negativen Auswirkungen auf den Verlauf des jetzt begonnenen Rüstungskontrollprozesses zu rechnen, und zwar nicht nur für den Bereich der strategischen Offensiv-waffen,'sondern auch für die Mittelstrecken-waffen, die dritte Gruppe der in Genf verhandelten Systeme. Da sich die Sowjetunion in der BMD-Frage in der Demandeur-Position befindet, dürfte sie dazu neigen, Fortschritte auf dem INF-Gebiet von den Ergebnissen in den beiden anderen Bereichen abhängig zu machen. Diese politische Hebelfunktion der INF-Gespräche bietet sich der Sowjetunion aus zwei Gründen an: Erstens handelt es sich bei der Nachrüstung um ein abgegrenztes militärisches Programm (laut NATO-Doppelbe-Schluß sind nicht mehr als 108 Pershing II und 464 GLCM vorgesehen), auf das sie sich militärisch einstellen kann, und zweitens kann sie darauf hoffen, daß die westeuropäischen NATO-Mitglieder die USA drängen werden, den INF-Verhandlungsteil nicht durch Unnachgiebigkeit in der Weltraum-Verhandlungsgruppe zu blockieren.

In einem sowjetischen Junktim, das eine INF-Lösung mit amerikanischen Zugeständnissen in der BMD-Frage verknüpft, liegt aus europäischer Sicht einer der problematischsten Aspekte der neu entfachten BMD-Diskussion und der SDI. Denn die europäischen Staaten sind aufgrund ihrer geographischen (Front-) Lage und militärischen Abhängigkeit in besonderem Maße auf politische Sicherheitsvorkehrungen angewiesen, zu denen im Rahmen einer umfassenden Ost-West-Kooperation vor allem auch Rüstungskontrollvereinbarungen gehören Würden deshalb die Verhandlungen an der BMD-Thematik scheitern, zählten die Europäer zu den Hauptbetroffenen der damit einhergehenden Verschärfung des Ost-West-Konflikts. Zusätzlich zu diesen unmittelbaren politischen Konsequenzen könnte ein ungehindertes BMD-Wettrüsten langfristig die geltende militär-strategische Konzeption der NATO, die nach dem Harmel-Bericht des Jahres 1967 neben der Entspannungspolitik den zweiten Pfeiler der westlichen Sicherheitspolitik bildet, in Frage stellen. Zu den politisch-psychologischen Voraussetzungen der Akzeptabilität dieser Konzeption in Europa gehört die gegenseitige Verwundbarkeit der USA und der UdSSR gegen nukleare Angriffe. Dieser Tatbestand hat den europäischen Ländern das Leben mit dem Alptraum eines auf Mitteleuropa begrenzten nuklearen Schlagabtausches zwischen den beiden Supermächten bisher politisch erträglich gehalten, weil keine der beiden die Gefahr der Eskalation eines Einsatzes von Nuklearwaffen in einen strategischen Massenvernichtungskrieg ausschließen kann. Die Nachrüstungskontroverse hat ge-zeigt, daß technologische Trends zu zielgenauen, „selektiv" einsetzbaren Nuklearwaffen und eine ihnen entsprechende Orientierung an Kriegführungsdoktrinen in weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit die Besorgnis ausgelöst haben, die USA und die UdSSR seien bestrebt, sich aus dem nuklearen Risikoverbund mit Europa zu lösen.

Jede forcierte BMD-Entwicklung, die — wie zu erwarten ist — die amerikanisch-sowjetische Rüstungskonkurrenz und politische Rivalität anheizen würde, verstärkte diesen Eindruck, weil ein amerikanisches BMD-System, „das die USA und ihre europäischen Verbündeten gegen einen strategischen Nuklearangriff wirksam schützen würde, die Verwundbarkeit Europas gegen konventionelle und bestimmte Arten von taktischen Nuklearangriffen nicht aufheben könnte“

Aber auch weniger anspruchsvolle BMD-Anlagen könnten ans Mark der gültigen NATO-Konzeption gehen. Zu ihren konstitutiven Merkmalen gehört die Androhung eines „politisch kontrollierten selektiven Einsatzes nuklearer Waffen" für den Fall, daß ein konventioneller Angriff des Warschauer Pakts anders nicht abgewehrt werden kann Errichtete die UdSSR ein Abwehrnetz gegen ballistische und nichtballistische Flugkörper, das solche selektiven Ersteinsätze vereiteln könnte, würde die Ersteinsatzdrohung der NATO ihren Abschreckungswert verlieren. „Konventionelle Verteidigungsfähigkeit würde (dann) zum Kern des Sicherheitssystems in und für Europa werden müssen" obwohl gerade dies nach Ansicht der Bundesregierung die Abschreckung in unerträglicher • Weise schwächen würde

Eine weitere Belastung für das westliche Bündnis, die eine ausgedehnte Stationierung von BMD-Systemen auf sowjetischer Seite nach sich ziehen könnte, liegt in ihren Impli-kationen für die nuklearen Arsenale Frankreichs und Großbritanniens. Die abschreckende Wirkung dieser im Vergleich zu den amerikanischen und sowjetischen Potentialen zahlenmäßig geringen Streitkräfte beruht auf der Androhung einer massiven, d. h. gegen sowjetische Städte gerichteten Vergeltung. Ein sowjetisches BMD-System, das in der Lage wäre, einen zwar nicht vollständigen, aber doch weitgehenden Schutz von Flächenzielen gegen ballistische Raketen zu gewährleisten, könnte die Abschreckungsfähigkeit der beiden kleinen europäischen Nuklearmächte entscheidend schwächen. Um dieser strategischen Bedrohung durch den Aufbau eines landesweiten sowjetischen BMD-Systems entgegenzuwirken, wären beide Länder zu höheren Investitionen in ihre nuklearen Offensivkräfte gezwungen, was entweder zu Einsparungen bei anderen Militärausgaben oder zu ihrer innenpolitisch schwer durchsetzbaren Erhöhung auf Kosten anderer Haushaltsposten führen müßte. Es nimmt deshalb nicht wunder, daß Präsident Mitterrand die SDI eine „Über-Rüstung" genannt hat und auch die britische Premierministerin Thatcher zwar dem Forschungsprogramm ihre Unterstützung gegeben hat, aber den amerikanischen Präsidenten im Dezember 1984 zugleich in einer gemeinsamen Erklärung darauf verpflichtete, „die Inbetriebnahme eines Verteidigungssystems im Weltraum müsse ein Gegenstand von Verhandlungen sein" 2. ASAT: Anti-Satellite Die beiden Komplexe BMD-und ASAT-Systeme sind technologisch und strategisch ineinander verflochten und werden deshalb von der Weltraum-Arbeitsgruppe der Genfer Verhandlungen wahrgenommen. Fortgeschrittene BMD-und ASAT-Systeme sind technologisch verwandt, weil sich Strahlen-waffen im Weltraum sowohl gegen im Flug befindliche ballistische Raketen wie auch gegen Satelliten einsetzen ließen. Der strategisehe Zusammenhang ergibt sich zum einen aus dem Sachverhalt, daß weltraumgestützte BMD-Anlagen auf die ihnen von Satelliten übermittelten Informationen über Zeitpunkt, Art, Umfang und Verlauf eines Raketenangriffs angewiesen wären, während eine kontrollierte Vergeltung mit eigenen Offensiv-waffen, die BMD-Einrichtungen schützen sollen, ebenfalls dieser Informationen sowie der Steuerung (Navigation) durch Satelliten bedürfte. Gegenwärtig unterhalten die USA und die UdSSR jeweils ca. 100 aktive militärische Satelliten in Umlaufbahnen zwischen 100 und 40 000 km Höhe, die der Frühwarnung vor einem Nuklearangriff, der Fotoaufklärung zur Erfassung von militärischen Aktivitäten, der elektronischen Aufklärung und Überwachung, dem Fernmeldeverkehr, der Wetterbeobachtung und der Navigation dienen.

Neben ihren militärischen Aufgaben sind Satelliten das wichtigste technische Mittel, um die Einhaltung von Rüstungskontrollvereinbarungen zu überprüfen (Aufklärungssatelliten geben z. B. Aufschluß über die Zahl von land-und U-Boot-gestützten Abschußvorrichtungen für Raketen und verfolgen ihre Testflüge). Die Sowjetunion verfügt über soge-nannte Killer-Satelliten, die bei Annäherung an einen Zielsatelliten sich selbst und das feindliche Objekt durch Explosion zerstören. Die Schwächen dieses Systems bestehen in der zeitraubenden Notwendigkeit, das Gerät von der Erde aus mit Hilfe einer Rakete in eine Umlaufbahn schießen zu müssen in seinem rückständigen Zielsuchsystem und vor allem in seiner Einsatzhöhe von maximal ca. 2 400 km, die es der Sowjetunion ermöglicht, einige in erdnahen Umlaufbahnen kreisende Aufklärungs-und Fernmeldesatelliten der USA zu bedrohen, nicht aber die wichtigeren Frühwarnsatelliten, die sich auf geostationären Umlaufbahnen von 36 000 km Höhe befinden.

„Die Vereinigten Staaten entwickeln ein moderneres System als das, das gegenwärtig von der Sowjetunion eingesetzt wird. Das amerikanische System besteht aus einem 28 cm langen . Kleinstendanflugkörper'(Miniature Horning Vehicle — MHV), der auf eine sechs Meter lange Rakete montiert ist, die von einem F-15-Kampfflugzeug abgefeuert wird und ihr Ziel innerhalb von 10 Minuten erreichen kann. Speziell entwickelte Sensoren, die auf die schwache Wärmeabstrahlung eines Satelliten ansprechen, lenken den Endanflugkörper ins Ziel, das beim Auftreffen zerstört wird. Im Januar 1984 führte die amerikanische Luftwaffe die ersten Flugerprobungen mit der ASAT-Trägerrakete durch." Der zweite Test fand am 13. November 1984 statt und diente der Erprobung des Infrarot-Zielsuchsystems. Das amerikanische System, dessen Einsatzbereitschaft für Ende der achtziger Jahre erwartet wird hat gegenüber den sowjetischen Killer-Satelliten den Vorteil, reaktionsschneller und mit einer überlegenen Zielsucheinrichtung ausgestattet zu sein. Wie das sowjetische würde es zwar Satelliten in höheren Umlaufbahnen nicht gefährden, könnte jedoch in niedrigen Höhen operierende sowjetische Satelliten erreichen, die der Foto-und elektronischen Aufklärung sowie der Ozeanüberwachung dienen

Auch die Problematik von ASAT-Waffen liegt hauptsächlich in ihren Folgen für die Krisen-stabilität. Die Aufklärungs-und Kommunikationssatelliten sind wichtig für die kontrollierte Führung konventioneller und nuklearer Operationen, wobei insbesondere die Frühwarnsatelliten ein wesentliches Element des Schutzes gegen Überraschungsangriffe darstellen. Aus diesem Grund wären sie für einen Angreifer außerordentlich attraktive Ziele, was beide Seiten in einer Krise geneigt machen könnte, von ihrem ASAT-Potential frühzeitig Gebrauch zu machen, d. h. bevor die andere Seite die eigenen Satelliten zerstören kann. Krisenstabilität wird also durch ASAT-Waffen unterhöhlt, weil von ihnen ein eskalatorischer Handlungsdruck ausgeht. 3. START: Strategie Arms Reduction Talks Im Unterschied zur BMD-und ASAT-Thematik haben die Gespräche über strategische Offensivwaffen einen Vorläufer in den von Juni 1982 bis Dezember 1983 geführten START-Verhandlungen. Da zu vermuten ist, daß beide Seiten jedenfalls zunächst an ihre in diesen Gesprächen eingenommenen Positionen anknüpfen werden, ist ein kurzer Rückblick angezeigt.

Die USA verfolgten in diesen Verhandlungen zwei wesentliche Ziele: eine drastische Kürzung der gesamten strategischen Offensiv-kräfte (Abschußgestelle und Sprengköpfe) und vor allem eine substantielle Verringerung des sowjetischen ICBM-Arsenals, von dem nach ihrer Auffassung eine destabilisierende Bedrohung der amerikanischen ICBM ausgeht. Die amerikanische Ausgangsposition sah vor, in einer ersten Phase die ICBM-und SLBM-Sprengköpfe von ca. jeweils 7 500 für die USA und die UdSSR auf 5 000 für jede Seite — und davon höchstens 2 500 ICBM-Sprengköpfe — zu reduzieren. Die 5 000 Sprengköpfe sollten auf nicht mehr als 850 ICBM und SLBM disloziert werden dürfen. In der zweiten Phase sollte die Diskrepanz in den Wurfgewichtsgrößen der Raketenpotentiale abgebaut werden (nach amerikanischen Angaben beläuft sich das US-Wurfgewicht auf 1, 8 Mio. kg, das sowjetische auf 5, 6 Mio. kg). Die Sowjetunion wies diesen Vorschlag als unanehmbar zurück. Neben der Ausklammerung der Bomber und Marschflugkörper stieß sie sich vor allem an dem Umstand, ihre Streitkräfte einschneidend umstrukturieren zu müssen, wenn sie den amerikanischen Vorstellungen folgen würde. Da die UdSSR die Masse ihrer strategischen Sprengköpfe auf ICBM stationiert hat, hätte sie ca. 60 % ihrer ICBM-Sprengköpfe abrüsten müssen, während die USA theoretisch noch ca. 300 ICBM-Sprengköpfe mehr hätten dislozieren können (umgekehrt hätten jedoch die USA erheblich mehr SLBM-Sprengköpfe verschrotten müssen). Zudem hätten die USA ihre geplanten strategischen Modernisierungsprogramme (MX und Trident II) ohne wesentliche Abstriche innerhalb der vorgeschlagenen Plafonds unterbringen können.

Die Sowjetunion knüpfte mit ihrem ersten Vorschlag an die SALT-II-Ergebnisse an, zeigte sich aber bereit, die dort für ICBM, SLBM und Bomber vereinbarten Höchststärken von 2 250 auf 1 800 Systeme zu senken. „Nukleare Sprengladungen" auf ICBM, SLBM und Bombern sollten auf einen gleichen Stand verringert und die strategischen Arsenale bis dahin eingefroren werden.

Die Reagan-Regierung modifizierte im Verlauf des Jahres 1983 ihre Verhandlungsposition. Die Obergrenze von 850 ICBM und SLBM wurde auf ca. 1 100 bis 1 200 angehoben und die Forderung fallengelassen, das sowjetische Wurfgewicht auf das amerikanische Niveau abzusenken. Die USA erklärten sich auch bereit, über Begrenzungen von Bombern und Marschflugkörpern zu sprechen und diese gegen Beschränkungen der sowjetiB sehen ICBM aufzurechnen. Auf Initiative einer Gruppe von Kongreßmitgliedern führten sie ferner im Oktober ein sogenanntes „Build Down" -Konzept ein, demzufolge bei der Einführung neuer Sprengköpfe eine größere Anzahl alter Sprengköpfe abzuziehen wäre.

Innerhalb der von ihr vorgeschlagenen Obergrenze von 1 800 Systemen bot die Sowjetunion im Verlauf der Verhandlungen eine Höchststärke von 1 080 MIRV-Raketen (Multiple Independently Targetable Reentry Vehicles = auf verschiedene Ziele programmierbare Wiedereintrittskörper) und eine Untergrenze von 680 MIRV-ICBM (SALT II: 1 200 bzw. 820) an. Die Entwicklung und Dislozierung neuer SLBM sollte ebenso erlaubt sein wie die Stationierung weitreichender Marschflugkörper auf Bombern (nicht jedoch auf See oder Land).

Die in Teilbereichen erzielten Positionsannäherungen (z. B. bei den Plafonds für die Gesamtpotentiale und ballistische Raketen sowie bei der Berücksichtigung von Bombern mit Marschflugkörpern) bewirkten jedoch keine wesentlichen Fortschritte, weil beiden Seiten der politische Kompromißwille fehlte. Maßgebliche Ursachen dafür waren das allgemein gespannte amerikanisch-sowjetische Verhältnis und das Scheitern der INF-Verhandlungen. 4. INF: Intermediate-Range Nuclear Forces Auch die INF-Delegationsgruppen beginnen nicht bei Null. Von November 1981 bis November 1983 wurden ebenfalls in Genf Verhandlungen über diese Waffenkategorie geführt. Die Gespräche schlugen fehl, weil weder die USA noch die UdSSR bereit waren, von ihren unvereinbaren Grundpositionen abzurücken: Die Sowjetunion wollte die Nachrüstung verhindern, ohne ihre gegen Europa gerichteten INF-Raketen vollständig abzubauen, während die NATO dies zur Voraussetzung eines Verzichts auf die Aufstellung der Pershing II und GLCM machte. Keiner der offiziellen sowjetischen Vorschläge gestattete der NATO das Recht auf die Stationierung neuer INF-Systeme, und in keinem der westlichen Vorschläge wurde der UdSSR ein einseitiges Recht auf weitreichende INF-Raketen zugestanden.

Dieser fundamentale Dissens spiegelte sich vor allem in der sogenannten Drittstaaten-Problematik wider, d. h. in dem von der NATO abgelehnten sowjetischen Verlangen, die Potentiale Frankreichs und Großbritanniens müßten auf amerikanischer Seite angerechnet werden. In den übrigen Sachpro27 blemen hatte es demgegenüber Annäherungen gegeben: Im Hinblick auf den geographischen Geltungsbereich kamen die USA der UdSSR im Oktober 1983 durch ihre Bereitschaft entgegen, nur die unmittelbar gegen Westeuropa gerichteten SS-20 (ca. zwei Drittel des Bestandes) durch amerikanische INF „auszugleichen", während sich die Sowjetunion mit einem Einfrieren ihrer in Asien stationierten SS-20 unter gewissen Voraussetzungen einverstanden erklärte; durch ihre einseitigen Reduzierungsangebote auf zuletzt 120 von 243 auf Westeuropa zielende SS-20 gab die Sowjetunion implizit ihre Behauptung einer vorhandenen INF-Parität auf; die USA akzeptierten am Ende neben landgestützten INF-Raketen auch nuklearfähige Flugzeuge als Verhandlungsgegenstand; die Sowjetunion hatte außer Trägersystemen auch Sprengköpfe als Zählkriterium anerkannt und in der Frage der Verifikation und der Behandlung von INF-Systemen unterhalb der Reichweite von 1 000 km Flexibilität gezeigt. 5. Verifikation Im internationalen Rüstungskontrollprozeß hat die Frage, welche Vorkehrungen notwendig sind, um die Einhaltung einer Vereinbarung überwachen zu können, aus zwei Gründen an Bedeutung gewonnen: Zum einen wird die Kontrolle der Vertragstreue mit Hilfe sogenannter „Nationaler Technischer Mittel“ (z. B. Radar und Satelliten) durch rüstungstechnische Entwicklungen (mobile ballistische Raketen wie die SS-20 und nukleare Marschflugkörper, die von konventionellen Typen äußerlich kaum zu unterscheiden sind und wegen ihres geringen Umfangs auf praktisch jedem größeren Schiff stationiert werden könnten) sowie durch anspruchsvollere rüstungskontrollpolitische Zielsetzungen (die Reagan-Regierung hat z. B. in den START-und INF-Verhandlungen nicht nur wie im SALT-Prozeß Obergrenzen der Raketenabschußgestelle, sondern auch der Sprengköpfe angestrebt) schwieriger, und zweitens ist das Verifikationsthema immer mehr zu einem Politikum in der inneramerikanischen Diskussion darüber geworden, ob Rüstungskontrolle mit der UdSSR überhaupt den eigenen Sicherheitsinteressen dienen kann. Das zeigte sich bereits in der Debatte um den bisher nicht ratifizierten SALT-II-Vertrag aus dem Jahre 1979, in der viele Gegner des Vertrages seine angeblich unzureichende Verifizierbarkeit rügten.

Da maßgebliche SALT-II-Kritiker führende Posten in der 1980 gewählten ersten Reagan-Administration übernahmen, war es nicht überraschend, daß die USA in den Zielkanon ihrer Rüstungskontrollpolitik Maßnahmen einfügten, „die eine wirksame Verifizierung und verläßliche Mittel garantieren, um Probleme der Einhaltung von Abkommen in den Griff zu bekommen" Um welche Maßnahmen es sich dabei im einzelnen handeln müßte, ist nicht bekanntgeworden, da bei den START-und INF-Verhandlungen andere Streitpunkte im Vordergrund standen. Amerikanische Regierungsvertreter haben jedoch wiederholt erklärt, daß kooperative Maßnahmen (d. h. Maßnahmen, die die Mitwirkung oder Duldung der anderen Seite erfordern) bis hin zu Inspektionen vor Ort notwendig werden könnten

Die amerikanische Administration hat den politischen Stellenwert der Verifikation durch die Veröffentlichung mehrerer Berichte unterstrichen, in denen der Sowjetunion Verletzungen oder wahrscheinliche Verletzungen von Rüstungskontrollverpflichtungen vorgeworfen werden Sie hat sich damit selbst zusätzlichem innenpolitischen Druck ausgesetzt, bei den im März begonnenen Verhandlungen für Vereinbarungen zu sorgen, die keine Grauzone hinsichtlich ihrer Verifizierbarkeit zulassen. Setzen jedoch die USA den Verifikationsstandard sehr hoch, d. h. bestehen sie auf einer beinahe lückenlosen Überprüfbarkeit, laufen sie Gefahr, den Abschluß eines Abkommens zu gefährden. Die UdSSR hat sich zwar in den bis Ende 1983 geführten START-und INF-Verhandlungen zur Erörterung von kooperativen Maßnahmen bereiterklärt, aber es ist nicht damit zu rechnen, daß sie ihre allzu restriktive Haltung ohne amerikanisches Entgegenkommen in dieser Frage aufgeben wird.

IV. Verhandlungsperspektiven

Mit einem baldigen Abschluß der Verhandlungen ist nicht zu rechnen. Aller Voraussicht nach werden sich die Gespräche über Jahre hinziehen, so daß sich gegenwärtig noch nicht einmal die Struktur eines eventuellen Kompromißpaketes aufzeigen läßt. Der folgende Ausblick beschränkt sich daher auf die Diskussion einiger wesentlicher Voraussetzungen für einen Erfolg der Gespräche. Dabei wird zwischen den in der Verhandlungsmaterie selbst liegenden Problemen und den innen-und außenpolitischen Rahmenbedingungen unterschieden. 1. Verhandlungssubstanz a) BMD Die amerikanische Regierung hat mehrfach bekräftigt, daß das SDI-Forschungsprojekt, für das sie bis 1989 ca. 25 Milliarden Dollar aufwenden möchte, in den Verhandlungen nicht aufgegeben wird

Dahinter steht die Erwartung, daß Defensiv-vorkehrungen verfügbar werden könnten, die die Bedrohung durch einen offensiven Erst-schlag beseitigen. Die zunehmende Einführung von Defensivsystemen auf beiden Seiten eröffne die Aussicht auf eine radikale Verringerung der Offensivkräfte und eine Stabilisierung des Verhältnisses von offensiven und defensiven Systemen, wobei am Ende einer solchen Übergangsperiode die endgültige Vernichtung aller Nuklearwaffen stehen könnte

Demgegenüber hat der verstorbene sowjetische Parteichef Tschernenko die SDI als Teil einer amerikanischen Strategie bezeichnet, die UdSSR zu entwaffnen und ein unkontrolliertes Wettrüsten für den Fall einer „Militarisierung des Weltraums" vorhergesagt Wie zu Beginn des amerikanisch-sowjetischen Rüstungskontrollprozesses gegen Ende der sechziger Jahre nehmen damit die beiden Staaten entgegengesetzte Positionen ein, jedoch mit dem Unterschied, daß sich nunmehr die Fronten verkehrt haben: Reagierte die Sowjetunion damals anfänglich kühl auf den amerikanischen Vorschlag einer Begrenzung von Abwehrsystemen, um schließlich doch dem ABM-Vertrag zuzustimmen, gibt sich die amerikanische Regierung heute von der Notwendigkeit eines Aufbaus solcher Systeme überzeugt, während sich das sowjetische In-teresse darauf richtet, eine BMD-Rüstungskonkurrenz zu verhindern.

Angesichts dieser Standpunkte dürfte die BMD-Frage zum Angelpunkt der Verhandlungen werden. So wie in den siebziger Jahren der ABM-Vertrag den Weg für die Vereinbarungen über die Begrenzung von Offensivwaffen frei machte (Interims-Abkommen, SALT-II-Vertrag), kann mit einem Ergebnis in Genf nur dann gerechnet werden, wenn sich die USA und die UdSSR auf eine Regelung des zukünftigen Verhältnisses von Offensiv-zu Defensivsystemen verständigen. Eine wichtige Rolle wird in diesem Zusammenhang die 1987 anstehende nächste Uberprüfungskonferenz des ABM-Vertrages spielen. Gelingt dort eine Einigung über die Gültigkeit des Vertrages bis 1992, würde eine wesentliche militärstrategische Rahmenbedingung für ein Abkommen über Offensivwaffen geschaffen.

Allerdings ist es eine offene Frage, ob ein solches Einvernehmen möglich sein wird. Dabei wird die SDI in der visionären Form von Präsident Reagans „Krieg-der-Sterne" -Rede voraussichtlich nicht einmal im Vordergrund stehen, da die USA Forschungsergebnisse, die Aufschluß über die Durchführbarkeit, Wirksamkeit und Kosteneffektivität weltraumgestützter Abwehrsysteme liefern sollen, nicht vor Anfang der neunziger Jahre erwarten, und erst auf dieser Grundlage über ihre Entwicklung bis zur Produktionsreife entschieden werden soll. Die Sowjetunion wird zwar für diesen Fall vorsorgen (u. a. durch verstärkte BMD-Forschung, qualitative Verbesserungen ihrer Offensivstreitkräfte — z. B. Entwicklung von manövrierbaren Wiedereintrittskörpern — und die Möglichkeit, gegebenenfalls die Anzahl ihrer Raketen rasch ausweiten zu können); in ihren bis zum Ende des Jahrtausends reichenden Planungen wird sie aber wohl eher von einem strategischen Umfeld ausgehen, in dem nukleare Offensivwaffen weiterhin eine maßgebliche und Defensiv-systeme eine zunehmende Rolle spielen'werden. Denn ein bodengestütztes System zum Schutz militärischer Einrichtungen gegen ballistische Raketen, das technologisch weniger aufwendig wäre als ein perfekter Abwehr-schirm im All, scheint nun in den Bereich des Machbaren zu rücken und die jetzige ame-rikanische Regierung ist offenbar überzeugt, ohne die Stationierung von Defensivsystemen ihre nukleare Vergeltungsfähigkeit nicht ausreichend gewährleisten zu können

Die für die Chancen von Rüstungskontrolle entscheidende Frage wird deshalb sein, ob sich eine Regelung finden läßt, die beiden Seiten für einen überschaubaren Zeitraum Gewißheit über die zu erwartende Defensivrüstung des anderen verschafft. Auch die amerikanische Regierung hält offensichtlich eine solche Rüstungskontrollvereinbarung für unerläßlich, um ihr Vorhaben einer parallelen defensiven Aufrüstung und offensiven Abrüstung zum Erfolg zu führen Dabei ist es jedoch unerfindlich, warum in diesem Fall überhaupt eine umfangreiche Stationierung von Defensivsystemen stattfinden müßte. Käme nämlich die von den USA angestrebte weitreichende politische Kooperation mit der UdSSR zustande, könnte sie auch direkt, d. h. ohne Umweg über eine beiderseitige defensive Aufrüstung, für eine Reduzierung und stabilitätsfördernde Umrüstung der Offensiv-potentiale (etwa durch Testbeschränkungen und die Stationierung von Raketen mit einfachen Sprengköpfen anstelle von MIRV-Systemen) eingesetzt werden. Wahrscheinlich liegt in dieser Widersprüchlichkeit der amerikanischen Argumentation ein Hauptgrund dafür, daß die Regierung offiziell trotz überzeugender Einwände an der Abschaffung aller Nuklearwaffen als Endziel der SDI festhält. Gibt man nämlich diese „Vision", die sich aller Voraussicht nach als Illusion erweisen wird, auf, macht eine Stationierung von Defensivsystemen wenig Sinn, weil sich — entsprechender politischer Wille auf beiden Seiten vorausgesetzt — dann auch andere rüstungskontrollpolitische Wege beschreiten ließen, um die kriegsverhütende Wirkung des nuklearen Abschreckungssystems zu stärken. Stellt hingegen die Administration ihre Rüstungs-und Rüstungskontrollpolitik vollständig auf die Entwicklung eines weltraumgestützten Schutzschildes ab, wird die UdSSR darin den Versuch sehen, sie in eine Position militärischer Unterlegenheit abzudrängen und mit Konfrontation statt Kooperation reagieren ‘ Die Sowjetunion selbst hat allerdings durchaus die Möglichkeit, durch ihre Politik zukünftige amerikanische Rüstungsentscheidungen zu beeinflussen. Neben einer größeren Zurückhaltung in der Entwicklung und Stationierung offensiver Counterforce-Systeme (vgl. dazu den folgenden Abschnitt START) könnte sie vor allem durch eine weniger extensive Auslegungspraxis des ABM-Vertrages dazu beitragen, denjenigen Kräften in den USA den Rücken zu stärken, die der Vision Präsident Reagans skeptisch gegenüberstehen und grundsätzlich bereit wären, am ABM-Vertrag festzuhalten. Denn unabhängig davon, ob die UdSSR den Vertrag tatsächlich verletzt hat oder nicht haben das intensive sowjetische BMD-Forschungsprogramm und gewisse Praktiken, die bis an den Rand des vertraglich Zulässigen gingen (wie z. B.der Aufbau eines dichten Luftabwehrnetzes gegen Flugzeuge, das möglicherweise zu einem BMD-System aufgebessert werden kann), die politische Unterstützung des Vertrages in den USA untergraben. Würde die Sowjetunion eine weniger legalistische Handhabung des ABM-Vertrages üben, so nähme sie den SDI-Befürwortern in den USA Wind aus den Segeln und schüfe damit zugleich günstigere Voraussetzungen für Rüstungskontrollvereinbarungen. b) ASAT Aus heutiger Sicht dürfte es die Sowjetunion auch bedauern, 1976 nach über fünfjähriger Pause ihr ASAT-Testprogramm wiederaufgenommen und damit den USA den unmittelbaren Anstoß für die Entwicklung eines neuen ASAT-Systems gegeben zu haben. Jedenfalls muß die UdSSR nunmehr befürchten, daß die USA in diesem Bereich in relativ kurzer Zeit einen Vorsprung erreichen könnten (vgl. Kap. III. 2.).

Ein ASAT-Rüstungskontrollregime ist geboten, weil ansonsten damit zu rechnen ist, daß „die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion Anti-Satellitenwaffen entwickeln werden, die zwei beunruhigende Merkmale tragen: die Fähigkeit, Satelliten in hohen Umlaufbahnen anzugreifen, und eine immer größere Ähnlichkeit mit Systemen zur Abwehr ballistischer Raketen" Die optimale Lösung, dieser Entwicklung vorzubeugen, wäre ein sofortiger Teststopp von ASAT-Systemen Sollte ein derartiges Moratorium nicht möglich sein, könnten die USA und die UdSSR Übereinkommen, analog dem ABM-Vertrag ein genau umrissenes ASAT-System zur Bekämpfung von Satelliten in niedrigen Umlaufbahnen zuzulassen, die Entwicklung, Produktion und Stationierung von Systemen mit höherer Reichweite jedoch zu verbieten.

Die amerikanische Regierung hat in einem Bericht an den Kongreß die Nützlichkeit einer solchen Vereinbarung vor allem mit dem Hinweis auf Verifikationsprobleme und die angebliche Bedrohung der amerikanischen Abschreckungsfähigkeit durch sowjetische Satelliten bezweifelt Beides sind jedoch im Prinzip keine unüberwindlichen Hindernisse.

Ein vertragliches Verbot von ASAT-Tests gegen Ziele in hohen Umlaufbahnen könnte von beiden Seiten kontrolliert werden, und mit Hilfe von kooperativen Maßnahmen könnte man wahrscheinlich auch mit hinreichender Zuverlässigkeit sicherstellen, daß nur vertraglich gestattete ASAT-Systeme entwickelt werden. Ebensowenig stichhaltig erscheint das Argument, die USA müßten aus Sicherheitsgründen in der Lage sein, bestimmte sowjetische Satelliten (in erster Linie handelt es sich um Ozeanüberwachungs-Satelliten, die amerikanische Flottenbewegungen ausspähen) ausschalten zu können. Offenbar halten hohe amerikanische Marineoffiziere eine solche Fähigkeit nicht für erforderlich, da amerikanische Schiffe über andere Mittel verfügten, sich der Beobachtung durch sowjetische Satelliten zu entziehen

Der wahre Grund für den Widerstand innerhalb der amerikanischen Administration gegen ein ASAT-Rüstungskontrollabkommen scheint vielmehr in dem Interesse zu liegen, die Option einer weltraumgestützten BMD-Anlage offenzuhalten. Denn wegen der technologischen Verwandtschaft zwischen ASATund BMD-Systemen (z. B. in der Sensortechnik oder bei der Lasernutzung) könnte ein ASAT-Rüstungskontrollregime auch der BMD-Entwicklung Schranken setzen, während heute die Erforschung und Erprobung von ASAT-Waffen eine legale Möglichkeit ist, die Restriktionen des ABM-Vertrages zu umgehen. Wegen dieser Zusammenhänge wird die Behandlung der ASAT-Thematik beiden Seiten Aufschluß über die Absichten des anderen im BMD-Bereich geben. Gelingt eine ASAT-Rüstungskontrollvereinbarung, so verbessern sich die Erfolgschancen der Verhandlungen insgesamt, weil dann größere Klarheit über das zu erwartende strategische Umfeld herrscht. c) START Die USA haben angekündigt, daß sie nach wie vor drastische Reduzierungen der strategischen Offensivwaffen anstreben. Angesichts ihrer Pläne zum Ausbau der Defensivrüstung ist es noch unwahrscheinlicher als vor dem Abbruch der START-Verhandlungen im Dezember 1983, daß sich die UdSSR diesem Vorhaben anschließen wird. Trotzdem gibt es ein starkes sowjetisches Interesse an einem Abkommen über Offensivsysteme: Neben den erwähnten Motiven (vgl. Kap. II. 2.) muß die UdSSR in Rechnung stellen, daß ihr Einfluß auf den inneramerikanischen Entscheidungsprozeß über die Rüstungs-und Rüstungskontrollpolitik maßgeblich von ihrer Verhandlungsführung abhängt. Zeigt sie geringe Flexibilität, so bedeutet dies Wasser auf die Mühlen der SDI-Befürworter. Kommt sie hingegen den USA in ihrer Kernforderung einer Begrenzung des sowjetischen ICBM-Counterforce-Arsenals entgegen, verleiht sie denjenigen Gruppierungen innerhalb und außerhalb der amerikanischen Adminstration Unterstützung, die eine massive defensive Aufrüstung nicht für notwendig halten und bereit sind, die SDI in Verhandlungen einzubringen.

Die amerikanische Regierung hat aus einem umgekehrten Grund ein Interesse an einer START-Vereinbarung: Sie hat der Öffentlichkeit und dem Kongreß die SDI auch als ein Mittel vorgestellt, das die UdSSR zur Beschränkung von Offensivwaffen veranlassen soll. Gelingt es der Administration nicht, die Sowjetunion für ein Scheitern der Verhandlungen verantwortlich zu machen, muß sie deshalb um die Unterstützung für die SDI fürchten.

Während der bis Ende 1983 geführten START-Gespräche hatte es in einigen Punkten Annäherungen gegeben (vgl. Kap. III. 3.). Auf dieser Grundlage würde eine Vereinbarung wahrscheinlich voraussetzen, daß — die USA die Obergrenzen für Systeme und Sprengköpfe den sowjetischen Vorstellungen annähern (d. h. heraufsetzen), seegestützte Marschflugkörper einbeziehen, keine einschneidenden Kürzungen der Zahl schwerer sowjetischer ICBM verlangen und ihren Verifikationsstandard nicht zu hoch schrauben, und — die UdSSR Begrenzungen vor allem bei ihren ICBM akzeptiert, das Wurfgewicht ihres Raketenarsenals verringert und eine weniger restriktive Haltung hinsichtlich der Verifikation einnimmt (z. B., um mobile ICBM überprüfen zu können).

Das Zustandekommen eines solchen Kompromisses hängt wesentlich von einer Einigung in der BMD-Frage ab. Da in diesem Bereich jedoch vorläufig kein Übereinkommen erwartet werden kann, das beide Seiten auf lange Frist in ihrer Defensivrüstung festlegt, wird möglicherweise nur ein START-Zwischenabkommen geschlossen werden können, das den Zeitraum bis zu einer endgültigen Verständigung über BMD-Systeme abdecken würde. d) INF Nach Auffassung eines hohen amerikanischen Regierungsvertreters können bei den Verhandlungen am ehesten Ergebnisse bei den Mittelstreckenwaffen erreicht werden Diese Vorhersage beruht offensichtlich auf der Überzeugung, daß durch den Beginn der Stationierung der Pershing II und GLCM die sowjetische Forderung eines vollständigen Nachrüstungsverzichts praktisch gegenstandslos geworden und damit der Grunddissens, der den Abbruch der INF-Gespräche bewirkte, aufgehoben worden ist. Eine solche Rechnung ließe jedoch außer acht, daß schon im Herbst 1983 eine Vereinbarung in erster Linie an der mangelnden Kompromißbereitschaft beider Seiten scheiterte, und daß auch im Rahmen der jetzt begonnenen Verhandlungen weniger materielle als politische Faktoren darüber entscheiden werden, ob eine INF-Einigung zustande kommt. Auf die politische Funktion, die der INF-Bereich für die UdSSR haben könnte, wurde bereits hingewiesen (vgl. Kap. III. 1.). Auch für die USA dürften letztlich politische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, die sich auf die Überlegung zuspitzen lassen, daß ihnen ein INF-Abkommen helfen könnte, die mit der SDI verbundene bündnispolitische Problematik zu entschärfen.

In der Sache selbst werden die britischen und französischen Nuklearwaffen weiterhin einen der größten Stolpersteine bilden. Allerdings bietet jetzt die Tatsache, daß Weltraum-, strategische und Mittelstreckensysteme unter einem Dach verhandelt werden, den USA mehr Spielraum, der Sowjetunion (zumindest implizit) einen Ausgleich für die britischen und französischen Potentiale zuzugestehen (z. B. im Rahmen einer Vereinbarung, in der die weitreichenden INF und die Interkontinentalwaffen unter einen gemeinsamen Plafond fallen und dann jeder Seite de facto oder de jure unterschiedliche Obergrenzen für bestimmte INF zugebilligt werden). Im Hinblick auf die Behandlung von Flugzeugen und der Verifikation bestanden am Ende der INF-Gespräche ebenfalls noch Meinungsverschiedenheiten; aber hier könnten Lösungen gefunden werden, wenn über die Hauptstreitpunkte eine Verständigung möglich ist.

Die als Reaktion auf die Nachrüstung erfolgte verstärkte Stationierung sowjetischer SS-22-Raketen (Reichweite knapp 1 000 km) in der DDR und CSSR macht eine Erfassung der INF kürzerer Reichweite (von 150 bis 1 000 km) noch dringlicher, da die SS-22 für präemptive Einsätze gegen Pershing-II-und GLCM-Stellungen in Frage kommen und ca. 80% der nuklearen Ziele in Westeuropa in ihrer Reichweite liegen Ob die USA und die UdSSR diese INF-Kategorie — wie es im europäischen Interesse läge — in das Verhandlungsmandat der INF-Gruppe direkt aufnehmen werden, ist unsicher ohne ihre Einbeziehung verlöre jedoch eine INF-Übereinkunft aus europäischer Sicht erheblich an sicherheitspolitischem Wert. e) Verifikation Die Sowjetunion scheint sich dem amerikanischen Standpunkt, daß die Überprüfbarkeit von Rüstungskontrollvereinbarungen in Zukunft Verfahren erfordert, die über die bisher angewandten hinausgehen, nicht mehr grundsätzlich zu verschließen Wie weit sie jedoch bereit ist, den USA entgegenzukommen, wird letztlich davon bestimmt werden, welche Bedeutung sie einem Abkommen beimißt und welche Forderungen die USA in diesem Punkt stellen. Es gibt offenbar Kräfte innerhalb der amerikanischen Regierung, die eine Übereinkunft, deren Einhaltung durch die UdSSR von den USA ausreichend überwacht werden kann, für unerreichbar halten schließt sich Präsident Reagan dieser Position an, würde dies die Verhandlungen blockieren. Ihr Erfolg hängt deshalb auch davon ab, daß die amerikanische Regierung die Verifizierung nicht als Selbstzweck, sondern als ein Mittel zum Zweck betrachtet. Keine Vereinbarung kann lückenlos kontrolliert werden. „Worauf es bei einem effektiven Verifizierungsprozeß vor allem ankommt, ist die Tatsache, daß er mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit jede Serie von Verletzungen entdeckt, die eine bedeutsame Auswirkung auf das strategische Gleichgewicht haben würden. Die Kommission ist der Ansicht, daß dieses Ziel in unserer Reichweite bleibt." Legt die Regierung diesen nüchternen Maßstab an, sollten die Verhandlungen an der Verifikationsfrage nicht scheitern. 2. Politische Rahmenbedingungen Der Schlüssel für einen Verhandlungserfolg liegt nicht in Genf, sondern in Washington und Moskau. Fahren beide Regierungen fort, in dem anderen einen Rivalen zu sehen, der in erster Linie auf militärische Überlegenheit und politischen Machtgewinn aus ist, fehlt die entscheidende Voraussetzung für einen Kompromiß: die Erkenntnis, daß Sicherheit im Nuklearzeitalter nur gemeinsam möglich ist, und die daraus folgende Bereitschaft, auf die legitimen Sicherheitsbedürfnisse der Gegenseite Rücksicht zu nehmen.

Ein solcher Ansatz ist angesichts der Komplexität und der Bedeutung der Verhandlungsmaterie notwendiger denn je. Ein Fehlschlag in Genf könnte die amerikanisch-sowjetische Rüstungskonkurrenz intensivieren und ihr eine neue Dimension (Weltraum) mit negativen Folgen für die strategische Stabilität hinzufügen. Andererseits bietet gerade diese düstere Perspektive beiden Seiten einen Anreiz zu ernsthafter und flexibler Verhandlungsführung. Inwieweit er zum Zuge kommt, hängt jedoch wesentlich von der weiteren Entwicklung des amerikanisch-sowjetischen Verhältnisses ab.

Die überragende Bedeutung dieses Faktors belegt die Geschichte des Rüstungskontrollprozesses. Die Vereinbarungen der frühen siebziger Jahre (1972 ABM-Vertrag und Interimsabkommen über Offensivwaffen, 1974 Wladiwostok-Übereinkunft, die den Grund-stock für SALT II legte) waren eingebettet in eine Phase der Entspannungspolitik, während der SALT-II-Vertrag zwar 1979 trotz einer bereits eingetretenen Abkühlung des weltpolitischen Klimas unterzeichnet wurde, dann aber nicht zuletzt wegen der sowjetischen Invasion Afghanistans in den USA in Ungnade fiel. Ähnlich wurden die von 1981 bis 1983 geführten INF-und START-Verhandlungen ein Opfer des sich verschärfenden Ost-West-Konflikts. Einige Anzeichen sprechen dafür, daß die jetzt aufgenommenen Gespräche unter einem günstigeren Stern stehen könnten. Die USA und die UdSSR beschränken ihren Dialog nicht nur auf Rüstungskontrollfragen, sondern haben ihn auf andere Bereiche ausgedehnt (Anfang Januar besuchte eine hochrangige handelspolitische Delegation der USA Moskau, im Februar wurden Unterredungen über den Nahen Osten geführt), und auch gewisse Fortschritte auf der Stockholmer Konferenz über Vertrauen und Abrüstung in Europa (KVAE) deuten auf amerikanisch-sowjetische Annäherungsbemühungen hin. Schließlich scheinen innerhalb der amerikanischen Administration die relativ gemäßigten Kräfte mit Außenminister Shultz an der Spitze an Boden gewonnen zu haben. Stellt sich Präsident Reagan zukünftig auf ihre Seite könnte dies den Ausschlag für eine kompromißfähige amerikanische Verhandlungsführung geben

Es mag sein, daß eine in Genf erzielte Vereinbarung die heute über das gesamte politische Meinungsspektrum verteilten Kritiker der Rüstungskontrolle nicht zufriedenstellen würde. In der Tat läßt sich nicht leugnen, daß der internationale Rüstungskontrollprozeß — gemessen an dem, was wünschenswert und im Sinne einer echten Abrüstung notwendig gewesen wäre — bisher nur magere Ergebnisse gebracht hat. Das kritische Wort von der „kontrollierten Aufrüstung" hat insofern durchaus seine Berechtigung.

Andererseits darf jedoch nicht übersehen werden, daß Militärpotentiale zwar den Ost-West-Konflikt verschärfen können, dessen tiefere Ursache aber in einem sozioökonomischen Systemantagonismus wurzelt. In diesem politisch-ideologisch aufgeladenen Gegensatz liegen zugleich Notwendigkeit und Grenzen von Rüstungskontrolle: Die ohne Rüstungskontrolle herrschende Ungewißheit über die zu erwartenden Fähigkeiten und Absichten des anderen verführt zu militärischer Überversicherung, die die Gegenseite als überlegenheitsstreben wahrnimmt und mit zusätzlichen Rüstungsanstrengungen beantwortet, welche dann dem Gegner als Beleg der Angemessenheit seiner Politik militärischen Vorhaltens dienen und den nächsten Rüstungsschub auslösen. Rüstungskontrolle ist der notwendige Versuch, in diesen Prozeß einzugreifen; ihre Grenzen findet sie darin, daß sie die Rüstungskonkurrenz, die den Systemkonflikt widerspiegelt, nicht abschaffen, sondern „nur" darauf abzielen kann, sie gemeinsam anerkannten Regeln zu unterwerfen. Verständigen sich die USA und die UdSSR in Genf auf solche Regeln, hätte Rüstungskontrolle unter den gegebenen Umständen das geleistet, was sie leisten kann — nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 10. 1. 1985, S. 2.

  2. Erklärung des damaligen Generalsekretärs Andropow vom 24. 11. 1983, abgedruckt in: Europa-Archiv, 39 (1984) 4, S. D 106.

  3. Zitiert nach Europa-Archiv, 39 (1984) 5, S. D 133.

  4. Vgl. FAZ vom 9. 12. 1983, S. 1.

  5. Für die sowjetischen und amerikanischen Erklärungen zu diesem Vorgang vgl. Europa-Archiv, 39 (1984) 17, S. D 495— 500.

  6. Vgl. Europa-Archiv, 40 (1985) 1, S. D 16.

  7. Zu diesen internen Auseinandersetzungen liegt inzwischen ein aufschlußreicher Bericht eines amerikanischen Journalisten vor; vgl. Strobe Talbott, Raketenschach, München 1984. ,

  8. Dazu gehört insbesondere das MX-Programm. Von den insgesamt 223 landgestützten Interkontinentalraketen dieses Typs, die die Regierung in den nächsten fünf Jahren bauen lassen möchte (vgl. Wireless Bulletin from Washington [WB], United States Information Service, Bonn, 14. 12. 1984, S. 1), hat der Kongreß bisher erst 21 genehmigt; ferner kann laut Beschluß des Kongresses das Anti-Satelliten(ASAT) -System nach dem 1. 3. 1985 gegen Objekte im Weltraum nur getestet werden, wenn der Präsident nachweist, daß er ASAT-Verhandlungen „in gutem Glauben" führt oder zumindest anstrebt.

  9. Daniel Yankelovich/John Doble, The Public Mood: Nuclear Weapons and the U. S. S. R., in: Foreign Affairs, 63 (1984) 1, S. 44 (alle Übersetzungen englischer Texte durch den Autor).

  10. Ohne eine Kurskorrektur in der Haushaltspolitik wäre bis 1989 mit jährlichen Defiziten von über 200 Mrd. Dollar zu rechnen (vgl. International Herald Tribune [IHT] vom 5. /6. 1. 1985, S. 2).

  11. Vgl. DIE ZEIT vom 14. 12. 1984, S. 3.

  12. Die UdSSR hat ca. zwei Drittel ihrer strategischen Sprengköpfe auf ICBMs stationiert, die USA weniger als ein Viertel; vgl. Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), Yearbook 1984, London — Philadelphia 1984, S. 24 und 27.

  13. Allerdings hat eine vom amerikanischen Präsidenten selbst eingesetzte Kommission seine Exi

  14. Eine bewegliche ICBM wird nicht vor Anfang der 90er Jahre einsatzbereit sein, während ein wirksamer Schutz von ICBM-Silos durch Raketenabwehranlagen ebenfalls erst im nächsten Jahrzehnt möglich werden könnte und zudem eine Auf-kündigung des ABM (Anti-Ballistic Missile = Raketenabwehr) -Vertrages aus dem Jahre 1972 erforderte.

  15. Richard DeLauer, Abteilungsleiter für Forschung und Entwicklung im amerikanischen Verteidigungsministerium: „Wenn die Sowjets uneingeschränkt weiterrüsten können, dann wird kein Verteidigungssystem uns vor der Masse ihrer Waffen schützen können"; zitiert bei Talbott (Anm. 7), S. 525.

  16. Fernsehansprache Reagans am 23. 3. 1983, zitiert nach Europa-Archiv, 38 (1983) 10, S. D 270.

  17. WB vom 6. 12. 1983, S. 18.

  18. Nach Aussage DeLauers liegen die USA in 15 von 20 dieser Technologien vor der UdSSR (vgl. United States Senate, Committee on Appropriations, Department of Defense Appropriations for Fiscal Year 1985, Hearings, Part 1, Washington 1984, S. 578).

  19. Diese Vermutung äußerte der Sowjetunion-Experte Christian Schmidt-Häuser, in: DIE ZEIT vom 30. 11. 1984, S. 3.

  20. Neuere Untersuchungen deuten darauf hin, daß schon bei einem Einsatz von 500 bis 2 000 strategischen Sprengköpfen eine klimatische Katastrophe (sog. „Nuklearer Winter") droht, die die „Gefahr einer Auslöschung der Menschheit" heraufbeschwören könnte (so Carl Sagan, Nuclear War and Climatic Catastrophe: Some Policy Implications, in: Foreign Affairs, 62 [1983] 2, S. 292; vgl. auch DIE ZEIT vom 11. 1. 1985, S. 9— 10).

  21. Wolf Graf von Baudissin/Dieter S. Lutz, Kooperative Rüstungssteuerung in Europa, in: Deutsche Gesellschaft für Friedens-und Konfliktforschung (Hrsg.), DGFK-Jahrbuch 1979/1980, Baden-Baden 1980, S. 448.

  22. Die USA und die UdSSR haben z. B. ungeachtet ihres angespannten Gesamtverhältnisses im letzten Jahr eine Serie von vertraulichen Gesprächen über den irakisch-iranischen Krieg abgehalten (vgl. IHT vom 18. 1. 1985, S. 1).

  23. Vgl. Anmerkung 1.

  24. In einer der ersten Abhandlungen über die militärpolitischen Implikationen des Nuklearzeitalters sagte Bernard Brodie dies bereits 1946 voraus — zu einem Zeitpunkt also, als die USA über ein atomares Monopol verfügten: „Bisher bestand der Hauptzweck unseres Militärpotentials im Gewinnen von Kriegen. Von jetzt an liegt sein Hauptzweck darin, sie zu verhindern. Einen anderen sinnvollen Zweck gibt es kaum noch.“ (Bernard Brodie, Implications for Military Policy, in: ders. [Hrsg. ], The Absolute Weapon: Atomic Power and World Order, New York 1946, S. 76).

  25. In den USA hat sich statt ABM die hier benutzte Abkürzung BMD eingebürgert.

  26. Ashton B. Carter, Directed Energy Missile Defense in Space, prepared under contract for the Office of Technology Assessment, Congress of the United States, Washington 1984, S. 81; zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangen Sidney D. Drell/Philip J. Farley/David Holloway, The Reagan Strategie Defense Initiative: A Technical, Political, and Arms Control Assessment. A Special Report of the Center for International Security and Arms Control, Stanford University 1984, S. 93, und Space-Based Missile Defense. A report by the Union of Concerned Scientists, Cambridge/Mass. 1984, S. 69.

  27. US-Verteidigungsminister Weinberger hat bereits ein Luftabwehrsystem gegen solche Waffen in Ergänzung zur SDI gefordert, dessen Kosten sich nach Schätzung des früheren Verteidigungsministers Schlesinger auf 50 Mrd. Dollar belaufen könnten (vgl. IHT vom 18. 1. 1985, S. 1).

  28. Für die SDI zuständige Regierungssachverständige haben denn auch gegenüber dem Kongreß unverhohlene Skepsis in bezug auf die Realisierbar-

  29. Präsident Reagan wollte in einer für März 1983 ohnehin angesetzten Rede den Verteidigungshaushalt und besonders das MX-Programm gegen wachsende öffentliche Kritik verteidigen. Presseberichten zufolge soll die Regierung in dieser Lage nach einem „neuen Element" gesucht haben, um die Argumentation des Präsidenten „schmackhafter" zu machen. Dabei sei man auch wegen des starken persönlichen Interesses von Reagan auf die Idee gekommen, die bereits geplante Anhebung der Finanzmittel für BMD-Forschungen mit der „Vision" aufzuputzen, die der Ansprache vom 23. 3. 1983 den Titel „Star Wars" -Rede eingetragen hat (vgl. zu diesen Vermutungen TIME vom 4. 4. 1983, S. 8, und IHT vom 7. 1. 1985, S. 5).

  30. Diese Einschätzung wird durch eine in englischer Sprache veröffentlichte Studie sowjetischer Wissenschaftler gestützt, in der die gewaltigen technologischen Probleme und Kosten weltraum-gestützter BMD-Anlagen und die vergleichsweise weniger aufwendigen Gegenmaßnahmen der UdSSR herausgestrichen werden (vgl. IHT vom 7. 1.

  31. „Wenn sie (die Verteidigungssysteme, E. L.) mit Offensivsystemen gepaart werden, dann könnten sie als Nährboden einer aggressiven Politik betrachtet werden, und das will niemand" (vgl. Anm. 16).

  32. James Thomson, Rand Corporation, in: United States House of Representatives (vgl. Anm. 28), S. 934— 935.

  33. Für eine Diskussion dieses Sachverhalts vgl. Union of Concerned Scientists (s. Anm. 26), S. 79— 84, und Charles L. Glaser, Why Even Good Defenses May Be Bad, in: International Security, 9 (1984) 2, S. 106— 108.

  34. Das sowjetische BMD-Programm „hat erst heute das technologische Niveau erreicht, über das die USA vor 10 Jahren verfügten ... Es ist bemerkenswert, daß die Gebiete, auf denen die USA eine mehr oder minder eindeutige Überlegenheit besitzen ..., genau jene sind, die für die Entwicklung fortgeschrittener BMD-Systeme wichtig sind" (Sayre Stevens, The Soviet BMD Program, in: Ashton B. Carter/David N. Schwartz [Eds. ], Ballistic Missile Defense, The Brooking Institution, Washington 1984, S. 217). Vgl. ferner Anm. 18.

  35. „Ganz gleich, ob der utopische Raketen-Abwehr-schirm jemals auch nur halbwegs perfekt funktionieren kann: Moskau sieht im amerikanischen Streben, ein umfassendes Verteidigungssystem im Weltraum aufzubauen, den gezielten Versuch, die bisherige nukleare Parität aus den Angeln zu heben.“ (Christian Schmidt-Häuer, in: DIE ZEIT vom 1, 2. 1985, S. 1). In diesem Zusammenhang dürften auch amerikanische Regierungsdokumente nicht eben zur sowjetischen Beruhigung beitragen, in denen eine „Überlegenheit im Weltraum" (vgl. IHT vom 10. 1. 1985, S. 2) oder die Fähigkeit gefordert werden, in einem Nuklearkrieg „die Oberhand" behalten zu können (so geschehen im „LeitlinienPapier" des Verteidigungsministeriums für die Zeit 1984— 1988; vgl. New York Times vom 30. 5. 1982, S. 1 und 12).

  36. So Präsident Reagan in einer Pressekonferenz; vgl. Europa-Archiv, 40 (1985) 3, S. D 65.

  37. Zwei ausgesprochene SDI-Befürworter stellen hierzu nüchtern fest: " Keine Supermacht wird — zumindest in der ersten Phase eines dem Wesen nach konkurrierenden Übergangs zu Defensivsystemen — mit der anderen Seite stillschweigend zusammenarbeiten und ihrer Verteidigung helfen, eine hohe Wirksamkeit zu erreichen." (Keith B.

  38. Amerika-Dienst, United States Information Agency, Bonn, 9. 1. 1985, S. 19.

  39. Dies würde natürlich umgekehrt für die USA genauso gelten — jedenfalls solange, wie sie noch nicht über ein perfektes Abwehrsystem verfügten. Da die Vereinigten Staaten jedoch offiziell an ihrem Ziel einer einschneidenden Verringerung strategischer Offensivwaffen festhalten, sind Behauptungen wie die eines hohen Vertreters des Verteidigungsministeriums, die UdSSR sei heute „in der Lage, schnell aus dem ABM-Vertrag auszubrechen" (d. h., sich einen bedeutenden Vorteil verschaffen zu können), wohl eher als Kassandra-Rufe zu werten, die der SDI innenpolitische Unterstützung einbringen sollen. (Das Zitat stammt von Richard Perle, in: United States Senate, Committee on Armed Services, Soviet Treaty Violations, Hearing, Washington 1984, S. 43.)

  40. Daß letztlich nur auf rüstungskontrollpolitischem Weg eine dauerhafte Stabilisierung der sicherheitspolitischen Lage in Europa erreicht werden kann, habe ich am INF-Beispiel nachzuweisen versucht; vgl. Eckhard Lübkemeier, Zwischenbilanz der INF-Verhandlungen, in: Aus Politik und Zeit-geschichte, B 28— 29/83, S. 16.

  41. Keith B. Payne/Colin S. Gray (Anm. 37), S. 830.

  42. Vgl. Der Bundesminister der Verteidigung, Weißbuch 1983 — Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1983, S. 148— 150.

  43. Hans-Heinrich Weise, Amerikanische Pläne für ein weltraumgestütztes Raketen-Abwehrsystem, in: Europa-Archiv, 39 (1984) 13, S. 406.

  44. Vgl. Weißbuch 1983 (Anm. 42), S. 149 und 150 sowie 158— 160. Ich habe an anderer Stelle diese Auffassung kritisch analysiert und für einen Verzicht auf die nukleare Ersteinsatzdoktrin plädiert (vgl. Eckhard Lübkemeier, Denuklearisierung der NATO-Strategie, in: Wilhelm Bruns/Christian Krause/Eckhard Lübkemeier, Sicherheit durch Abrüstung, Bonn 1984, S. 74— 79 und 112— 119). Der mit einem solchen Verzicht erreichbare Gewinn an innerer Glaubwürdigkeit könnte jedoch durch ein BMD-Wettrüsten und die dadurch hervorgerufenen politischen Spannungen zunichte gemacht werden.

  45. Die vier U-Boote umfassende Nuklearstreitmacht Großbritanniens ist „die kleinste, mit welcher gewährleistet werden kann, daß ein Boot ständig im Patrouilleneinsatz ist" (Verteidigungsweißbuch der britischen Regierung vom 15. 5. 1984, zitiert nach dem auszugsweisen Abdruck eines in deutscher Sprache veröffentlichten Textes, in: Europa-Archiv, 39 (1984) 18, S. D 539). Frankreich verfügt demnächst über sechs solcher U-Boote (vgl. FAZ vom 16. 11. 1984, S. 6).

  46. Vgl. Frankfurter Rundschau vom 19. 12. 1984, S. 1; ebenfalls kritisch äußerte sich der französische Verteidigungsminister Hernu auf der letzten Wehrkunde-Tagung in München (vgl. Süddeutsche Zeitung [SZ] vom 11. 2. 1985, S. 1).

  47. Vgl. SZ vom 24. /25. /26. 12. 1984, S. 1.

  48. „Dadurch kann ein bestimmter Satellit durchschnittlich nur alle sechs Stunden bekämpft werden." (Richard L. Garwin/Kurt Gottfried/Donald L. Hafner, Anti-Satelliten-Waffen, in: Spektrum der Wissenschaft, August 1984, S. 24).

  49. Amerika-Dienst vom 18. 7. 1984, S. 3— 4.

  50. Vgl. Aviation Week & Space Technology vom 14. 1. 1985, S. 21.

  51. Einige sowjetische Fernmelde-und Frühwarnsatelliten, die sich auf elliptischen Umlaufbahnen befinden, wären in ihrem erdnächsten Punkt über dem antarktischen Ozean ebenfalls verwundbar. Es wird jedoch damit gerechnet, daß die UdSSR bis Ende der achtziger Jahre ihre diesen Zwecken dienenden Satelliten vollständig in geostationäre Umlaufbahnen bringt (vgl. John Pike, Anit-Satellite Weapons, in: Federation of American Scientists, Public Interest Report, 36 [1983] 9, S. 7).

  52. United States Department of State, Sicherheit und Rüstungskontrolle: Die Suche nach einem stabileren Frieden, Washington 1983, S. 6.

  53. Vgl. WB vom 11. 5. 1983, S. 23, und Amerika-Dienst vom 19. 1. 1983, S. 3.

  54. Vgl. für den letzten Bericht dieser Art WB vom 4. 2. 1985, S. 1— 16. Eine abgewogene Diskussion der sowjetischen und amerikanischen Vertragstreue findet sich bei Michael Krepon, Both Sides are Hedging, in: Foreign Policy, No. 56 (Fall 1984), S. 153— 172.

  55. Präsident Reagan erklärte im Februar in einem Interview, daß die USA die Forschungsarbeiten auch dann weiterführen würden, wenn sich die UdSSR zu Reduzierungen ihrer Offensivwaffen bereit erklären sollte (vgl. IHT vom 13. 2. 1985, S. 1).

  56. So Außenminister Shultz in einer Stellungnahme vor einem Senatsausschuß (vgl. WB vom 1. 2. 1985, S. 8).

  57. Vgl. SZ vom 2. /3. 2. 1985, S. 6.

  58. Das vom US-Heer entwickelte System zur Verteidigung von ICBM-Feldern soll Ende der neunziger Jahre einsatzbereit sein (vgl. IHT vom 31. 1. 1985, S. 3), und das amerikanische Verteidigungsministerium hat erklärt, ein solches System stünde kurz vor der Entwicklungsphase (vgl. United States House of Representatives [Anm. 28], S. 756). Tatsächlich ist es den USA im Juni 1984 zum ersten Mal gelungen, mit einer vom Boden abgefeuerten Rakete eine Gefechtskopfattrappe im Flug zu zerstören.

  59. So Strobe Talbott, in: TIME vom 4. 2. 1985, S. 20.

  60. Vgl. Anmerkung 15.

  61. Insofern trifft der Titel eines Aufsatzes von vier prominenten Amerikanern de Kern des Problems: „Der Präsident hat die Wahl: Krieg der Sterne oder Rüstungskontrolle" (vgl. McGeorge Bundy/George F. Kennan/Robert S. McNamara/Gerard Smith, The

  62. Vgl. Anm. 54; auch Kritiker der Reagan-Regierung sehen in der Konstruktion eines Radarsystems im Inneren Sibiriens einen Verstoß gegen den Vertrag (vgl. IHT vom 11. 2. 1985, S. 3).

  63. Richard L. Garwin/John Pike, Space Weapons:, History and current debate, in: Bulletin of the Atomic Scientists, 40 (1984) 5, S. 49.

  64. Ein hoher amerikanischer Regierungsvertreter (Paul Nitze) hat dies allerdings ausgeschlossen (vgl. WB vom 10. 1. 1985, S. 15).

  65. Vgl. Report to the Congress on U. S. Policy on ASAT Arms Control, Washington, 31. 3. 1984, S. 3__ 7.

  66. Vgl’ IHT vom 4. /5. 8. 1984, S. 2.

  67. So Paul Nitze in Bonn am 11. 2. 1985 (vgl. SZ vom 12. 2. 1985, S. 1).

  68. Vgl. SIPRI, Yearbook 1984 (Anm. 12), S. 45.

  69. Zu der auch die in der Entwicklung befindliche sowjetische SS-23 (Reichweite bis ca. 500 km) gehört.

  70. Der frühere amerikanische INF-Unterhändler Nitze hat erklärt, die Definition, was ein INF-System sei, habe sich nicht geändert, daß man aber wie zuvor „begleitende Beschränkungen" für INF kürzerer Reichweite erreichen möchte (vgl. WB vom 14. 1. 1985, S. 14).

  71. Während der INF-Verhandlungen z. B. soll sie die zeitweilige Anwesenheit von amerikanischen Inspektoren bei der Zerstörung überzähliger SS-20 nicht grundsätzlich ausgeschlossen haben.

  72. Vgl. IHT vom 12. /13. 1. 1985, S. 1.

  73. Abschlußbericht der Scowcroft-Kommission (Anm. 13), zitiert nach Europa-Archiv, 39 (1984) 13, S. D 386.

  74. In einer Untersuchung über „Innenpolitische Hindernisse für Rüstungskontrolle" kommt Miller zu dem Schluß, daß das „Engagement des Präsidenten und seiner engen Berater entscheidend dazu beiträgt, ob und wie weit Rüstungskontrolle erfolgreich sein kann" (Steven E. Miller, Politics over Promise. Domestic Impediments to Arms Control, in: International Security, 8 [1984] 4, S. 89). Talbotts Bericht über die bürokratischen Machtkämpfe innerhalb der ersten Reagan-Administration um die Rüsturigskontrollpolitik ist ein eindrucksvoller Beleg dieser These.

  75. Ein Kompromiß setzt natürlich auch sowjetische Zugeständnisse voraus (vgl. Kapitel IV dieser Arbeit). Insofern kommt es darauf an, daß sich auch innerhalb der Moskauer Führung die Befürworter von Rüstungskontrolle durchsetzen.

Weitere Inhalte

Eckhard Lübkemeier, geb. 1951; Studium der Politikwissenschaft in Bochum, Berlin und USA (University of Minnesota); 1977— 1980 im Auswärtigen Amt; seither wissenschaftlicher Angestellter im Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung (Studiengruppe Sicherheit und Abrüstung). Veröffentlichungen u. a.: Denuklearisierung der NATO-Strategie, in: Wilhelm Bruns/Christian Krause/Eckhard Lübkemeier, Sicherheit durch Abrüstung, Bonn 1984; Zwischenbilanz der INF-Verhandlungen, in: Aus Politik und Zeitgex schichte, B 28-29/83.