Wirtschaftskriminalität als Gegenstand von Forschung und Praxis
Karlhans Liebl
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Zusammenfassung
Trotz recht früher, schon seit der Jahrhundertwende belegbarer Hinweise auf wirtschaftskriminelle Verhaltensweisen wurde dieser Kriminalitätsart erst seit den fünfziger Jahren größere Aufmerksamkeit gewidmet, und eine umfangreiche Auseinandersetzung mit diesem Problem hat gar erst in den siebziger Jahren eingesetzt. Schwerpunkte der Diskussion sind die Fragen der Definition und des Ausmaßes von Wirtschaftskriminalität. So bestehen bisher mehrere Begriffe, die z. T. synonym für Wirtschaftskriminalität verwandt werden, obwohl sie verschiedene Aspekte der „Kriminalität der Mächtigen" beschreiben. Darunter fällt z. B.der Begriff des „white-collar crime", der kurz gesagt die Oberschichtskriminalität bezeichnet, oder der Ausdruck „corporate crime“, der die Straftaten von Unternehmen in ihrer Anonymität als Kapitalgesellschaft beinhaltet. Im Zusammenhang damit wird auch diskutiert, welche Delikte diese Begriffe im engeren Sinne umfassen, ohne daß bisher freilich feste Konturen erkennbar scheinen. Trotz der diesen Begriffen bisher nachgewiesenen Unschärfen hat sich indessen eine definitionsmäßige Ausgestaltung als zureichend herausgestellt: Danach liegt ein Wirtschaftsverbrechen dann vor, wenn der Täter einer höheren sozioökonomischen Schicht der Gesellschaft angehört, die Ermittlungen komplex und umfangreich sind, das Verhalten des Täters von der Bevölkerung als „Kavaliersdelikt" betrachtet wird und der Schaden nur fiktiv gesehen wird, da bei den Delikten oft ein sichtbares Opfer fehlt. Aufgrund der in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführten Erfassungen der Wirtschaftskriminalität, wie der „Bundesweiten Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten", zeichnet sich ab, daß der durch die Wirtschaftskriminalität verursachte Schaden wesentlich höher ist als der Schaden aller Vermögensdelikte. Dabei muß ferner berücksichtigt werden, daß Folgeschäden nicht erfaßt werden und auch bestimmte Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität, wie die wirtschaftliche Bagatellkriminalität, statistisch keinen Niederschlag finden. Vergleichende Untersuchungen haben überdies gezeigt, daß Wirtschaftskriminalität eine nicht nur nationale Erscheinung ist, sondern international anzutreffen ist (so wird der Schaden durch Wirtschaftsdelikte in den USA auf 168 Mrd. US-Dollar geschätzt), und sich deren Bekämpfung durch ihre internationale Verflechtung besonders schwierig gestaltet.
I. Begriffsentstehung und Rezeption
Wenn heute bereits davon gesprochen wird, daß der Bereich der Wirtschaftskriminalität das im letzten Jahrzehnt wohl am meisten behandelte Gebiet der Kriminologie ist, so wirft dieser Befund gleich mehrere Fragen auf: Zum einen fragt sich, warum dieser Bereich eine so aktuelle Bedeutung gefunden hat, zum anderen, warum erst in den letzten Jahren eine solche intensive Beschäftigung mit dem Komplex der Wirtschaftskriminalität erfolgte, obwohl es bereits sehr viel früher Hinweise auf Wirtschaftsdelikte gegeben hat. Bereits 1720 hatte Georg Paul Hönn ein „Betrugslexikon" herausgegeben, und auch die Literaten Adalbert Stifter und Heinrich Heine hatten dieses Problem aufgegriffen. Wenn diese Aussagen zum größeren Teil zwar eher als gesellschaftskritische Äußerungen verstanden werden wollten denn als kriminologische Feststellungen, so erstaunt doch, daß diese Hinweise keine Grundlage in der Rechtswissenschaft gefunden haben.
Im Zusammenhang mit der industriellen Revolution am Ende des letzten Jahrhunderts kam es dann auch zur größeren Beachtung des mit der „Gründerzeit" einhergehenden Gründungsschwindels. Infolge des Ersten Weltkrieges wurde dem Bereich der Industriespionage, der Kapitalflucht und anderen Delikten verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Ebenso fanden in der Folgezeit — insbesondere während der gesellschaftspolitischen Bewegungen in der Weimarer Republik — andere Bereiche von wirtschaftsdelinquentem Verhalten Beachtung, wie z. B.der Arbeitswucher, die Ausbeutung der Arbeitskraft, aber auch die Kartellbildung und der Kreditbetrug. Eine vorläufige Zusammenfassung stellt dabei die Arbeit von Curt Linde-mann mit dem Titel „Gibt es ein eigenes Wirtschaftsstrafrecht?" von 1932 dar
Trotz dieser vielfältigen Ansätze zur Erforschung und Aufarbeitung des Bereichs der Wirtschaftsdelinquenz blieben diese nach dem Zweiten Weltkrieg für die rechtswissenschaftliche, kriminologische und soziologische Forschung in der Bundesrepublik Deutschland relativ folgenlos.
So fehlten in den meisten Kriminologie-Lehrbüchern bis in die sechziger Jahre jegliche Hinweise auf den Bereich der Wirtschaftskriminalität Die vereinzelten Beiträge, die sich mit diesem Problem auseinandersetzten, waren meist von Praktikern bei Polizei, Steuerfahndung und Staatsanwaltschaften sowie von den Gerichten und Justizministerien verfaßt. Insbesondere das Bundeskrim’nalamt forcierte diese Diskussion zu Beginn der sechziger Jahre, wie die zahlreichen Tagungsunterlagen dieser Zeit ausweisen Einen großen Einfluß auf die neu einsetzende Rezeption des Begriffs der Wirtschaftskriminalität hatte auch die angelsächsische Kriminologie, so insbesondere die Arbeit von Edwin Sutherland
In der nachfolgenden Diskussion standen dabei im Vordergrund die Definition um den Begriff der Wirtschaftskriminalität, gefolgt von der Frage nach dem Umfang und dem Erscheinungsbild der Wirtschaftskriminalität. Wenn auch der Bezug auf Sutherland insgesamt gesehen in der Bundesrepublik Deutschland nicht so offensichtlich wird, so können seine Arbeiten doch international als der Be-ginn des Forschungsgegenstandes „Wirtschaftskriminalität" gelten. Bereits vor der für die Erforschung der Wirtschaftskriminalität bahnbrechenden Veröffentlichung von Sutherland zu Beginn der vierziger Jahre haben jedoch auch andere Wissenschaftler in den USA auf Wirtschaftsverbrechen hingewiesen. So können dort erste Aussagen zur „Kriminalität der Mächtigen und Reichen" bereits bis in das 18. Jahrhundert verfolgt werden. Insbesondere das Verhalten der sogenannten „robber barons" fand innerhalb der Literatur starke Beachtung.
Im Jahre 1907 wurde dann von Edward Ross bereits das Hauptproblem der Wirtschaftsstraftäter herausgestellt: Die Haltung der Gesellschaft gegenüber den Wirtschaftsstraftätern und die Tatsache, daß diese sich selbst als nicht kriminell fühlen Weitergeführt wurden diese Überlegungen von dem Ökonomen Thorstein Veblen Insbesondere Albert Morris wird heute bescheinigt, daß er bereits in den dreißiger Jahren gezielt Hinweise auf die Kriminellen der „Oberwelt" gab und auch schon damals darauf hinwies, daß die Praktiken der „Oberwelt" nur schwer zu kontrollieren und für den Justizbereich zu bewerten sind Den Durchbruch in der Kriminologie brachte dann aber erst die erwähnte Veröffentlichung von Sutherland.
Schon nach kurzer Zeit wurden die Ansätze Sutherlands von anderen Forschern wie Marshall Clinard, Frank Hartung, Robert Lane, Donald Cressey, Donald Newman oder Elmer Irey und William Slocum aufgegriffen so daß bereits im Jahre 1967 eine umfangreiche Bibliographie über die bisherigen Untersuchungen vom „Institute of Governmental Studies" veröffentlicht werden konnte
Ähnlich wie in der Bundesrepublik Deutschland liegen auch die Schwerpunkte der kriminologischen Forschung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika auf Untersuchungen zur Definition und dem Erscheinungsbild der Wirtschaftskriminalität. So liegen Forschungsergebnisse zu Straftaten von Unternehmungen („Corporate Crime" bzw. „Corporate Violence"), über die soziale Kontrolle von Wirtschaftsstraftaten und über die Wirtschaftsstraftäter vor.
Eine ebenso große Rolle spielen die Aufklärung der Verbraucher bzw. Erhebungen über Methoden der Verbraucherschädigungen, der Umweltdelikte, der Computerkriminalität, Wirtschaftsstraftaten innerhalb eines Unternehmens, Kartellverletzungen, Abgrenzung zwischen organisierter Kriminalität und Wirtschaftskriminalität und die allgemeine Definitionsdiskussion. Erörtert werden auch die rechtliche Ausgestaltung sowie Fallstudien, wobei insbesondere der Betrug mit seinen speziellen Erscheinungsformen und die Steuerhinterziehung eine zentrale Rolle einnehmen. Daneben wird ebenfalls versucht, theoretische Erklärungsansätze für die Begehung von Wirtschaftsstraftaten zu finden, deren abschließende Bestandsaufnahme jedoch noch aussteht
II. Definitionswirrwarr: Vom „White-Collar-Crime" zur „Wirtschaftskriminalität"
Abbildung 5
Übersicht 1
Übersicht 1
Betrachtet man die Definitionsdiskussion, so ergibt sich, daß der Begriff der „white-collar crime" nicht mit den anderen Begriffen im Bereich dieser Kriminalität, wie „corporate crime", „economic crime" oder auch dem der „Wirtschaftskriminalität", gleichgesetzt werden kann. Der Ausdruck „white-collar crime" stellt zwar in der internationalen Begriffsdis-kussion eine Art überbegriff dar, der auch, jedenfalls zum Teil, die anderen Begriffsinhalte einschließt, er erfaßt sie aber nicht vollständig bzw. überschneidet sich mit ihnen sogar nur am Rande.
„White-collar crime" entstand als Begriff aus einer Gegenbezeichnung für die Kriminalität der „blue-collar worker", wobei der Begriff der Arbeiter nicht wörtlich genommen werden darf. Vielmehr will er zum Ausdruck bringen, daß es sich um einen Täterkreis handelt, dem das Merkmal von „Kriminellen" nicht zugeschrieben wird, es sich vielmehr um Personen handelt, die den Oberschichten zugerechnet werden müssen. Daneben ist er aber auch nicht als ein reiner Täterbegriff aufzufassen, sondern als deliktspezifischer, da allgemein darunter nur solche Straftaten verstanden werden, die auch eben nur von diesen Ober-schichten begangen werden können, sei es die Verfälschung von Lebensmitteln, der Betrug am Patienten oder Kunden, der Mandantenverrat eines Rechtsanwaltes, der Drogenhandel usw. Dabei ist natürlich auch zu beachten, daß einige der kriminellen Handlungsweisen von den Unterschichten, wenn man bei dieser Differenzierung bleiben will, imitiert worden sind, wie zum Beispiel der Straßendrogenhandel, so daß den Delikten eine bestimmte „Quantität" in ihrem Umfang und „Qualität" in den Ausführungen zugemessen werden muß.
Ein weiterer Begriff in der Diskussion war der Ausdruck der „occupational crime", deren Hauptmerkmal die Normverletzung in Ausübung eines Berufes ist. Die Definition der „occupational crime" umfaßt dabei alle Straftaten in Ausübung eines Berufes, gleichgültig ob es sich um die Handlungen eines Geschäftsführers einer großen Kapitalgesellschaft, eines Arztes oder eines Maurers (z. B. bei der Schwarzarbeit) handelt.
Diese Begriffsausgestaltung zeigt, daß damit über die begriffliche Eingrenzung der „whitecollar crime" hinausgegangen wird, da keine Anforderungen an die Stellung des Täters gerichtet werden. Aus diesem Grund wurde in der wirtschaftskriminologischen Literatur vielfach nur die berufsbezogene Kriminalität einbezogen, die „im Geschäftsleben, im Staatsdienst oder in freien Berufen" begangen wird.
Sicherlich ist diese Definitionseingrenzung für den Bereich der Wirtschaftskriminalität sehr bedeutsam, andererseits aber engt sie den ursprünglichen Sinn der „occupational crime" ein. Der Begriff der „occupational crime" umfaßt zwar Täter, die innerhalb der Wirtschaftskriminalität eine Rolle spielen, er berührt aber auch einen Kriminalitätsbereich, der nicht notwendigerweise mit Wirtschaftskriminalität identisch ist.
Ein weiterer Begriff, der sich, ausgehend von der angelsächsischen Kriminologie, entwikkelt hat, ist der der „corporate crime". Der Begriff der „corporate crime" umfaßt die Delikte, die von Unternehmen in der Anonymität der Kapitalgesellschaften begangen werden. Diese Definition der „corporate crime“, die in die deutschsprachige Literatur auch unter dem Begriff der „Verbandskriminalität" in die Diskussion eingegangen ist, schließt auch die Kriminalität von „juristischen Personen" ein. Sie geht somit über den Begriff der „white-collar crime" hinaus.
Der Begriff „economic crime" entspricht demgegenüber den auch in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Titel „Wirtschaftskriminalität" aufgefaßten Inhalten. Dieser schließt dabei Teile der „occupational crime" und „white-collar crime" und im gesamten die „corporate crime" ein. Wenngleich die Abgrenzung dieser Begriffe inhaltlich gegenseitig festzustehen scheint, so wird doch deren inhaltliche Ausgestaltung in der wissenschaftlichen Diskussion als ungeklärt dargestellt. Beispielsweise kann man feststellen, daß die überwiegende Zahl der Definitionsvorschläge in der Bundesrepublik Deutschland Wirtschaftskriminalität dadurch gekennzeichnet sah, daß die strafbare Handlung berufsbezogen und unter Ausnützung einer Vertrauensposition geschieht. Dazu setzen die meisten Vorschläge noch voraus, daß sich die Verstöße gegen das Wirtschaftssystem richten müssen. Diese drei Kriterien sind jedoch in der Folgezeit nur wenig konkretisiert worden. Weiterhin wurde angeregt, unter Wirtschaftskriminalität strafrechtliche Verstöße zu fassen oder die Wirtschaftskriminalität durch die Einführung bestimmter Opfer-kategorien zu kennzeichnen. Zusammenfassend läßt sich zu diesen Definitionsversuchen festhalten, daß sich diese nicht eignen, eine umfassende Antwort auf die Frage, was Wirtschaftskriminalität ist, zu geben. Vielmehr wird jeweils aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufgezeigt, welche Gesichtspunkte für den einzelnen Autor im Mittelpunkt seines Interesses stehen. Dabei werden oftmals lediglich konkretisierungsbedürftige, teilweise nicht einmal konkretisierungsfähige Begriffe zur Umschreibung benützt und somit der Versuch unternommen, aus allem ein kleinstes gemeinsames Vielfaches zu entwickeln, bei dessen Vorliegen es sich mit Sicherheit um Wirtschaftskriminalität handelt.
Auf internationaler Ebene hat sich dagegen eine Definition von Herbert Edelhertz eingebürgert, die Wirtschaftskriminalität festlegt als: „Illegal acts committed by nonphysical means and by concealment or guile, to obtain money or property, to avoid the payment or loss of money or property or to obtain business or personal advantage."
Kritische Stimmen meinen jedoch zu dieser Definition, daß eine Unterscheidung in abweichendes Verhalten und sanktioniertes abweichendes Verhalten fehle Aufbauend auf dieser Kritik macht Howard Friedman den Vorschlag, folgende Definition für Wirtschaftsverbrechen, d. h. also sanktioniertes abweichendes Verhalten, zu verwenden:
1. Der Täter gehört zu einer hohen sozioökonomischen Schicht der Gesellschaft;
2. die Ermittlungen und die notwendige Beweisführung sind komplex;
3. das Verhalten des Täters wird von der Bevölkerung für moralisch neutral gehalten;
4. es wird angenommen, daß das Opfer entweder nur geringen Schaden erleidet oder diesen Schaden durch Komplizenschaft oder Habgier herausfordert.
Dabei stellt Friedman fest, daß drei dieser Definitionen auf jedes Delikt zutreffen können, jedoch nur bei Wirtschaftsstraftaten alle vier Kriterien erfüllt sind.
Diese Definition läßt jedoch auch einige Un-schärfen erkennen, so daß man sie wie folgt modifizieren sollte:
Ein Wirtschaftsverbrechen liegt dann vor, wenn 1.der Täter einer höheren sozioökonomischen Schicht der Gesellschaft angehört oder von seiner Tätigkeit her einer solchen Schicht zugerechnet werden kann;
2. die Ermittlungen und die notwendige Beweisführung komplex und umfangreich sind; 3. das Verhalten des Täters von der Bevölkerung moralisch für neutral oder verständlich gehalten wird, es den Charakter eines „Kavaliersdeliktes" hat; 4.der Schaden, der den Opfern entsteht, verkannt oder vermutet wird, daß er für das Opfer nur durch Komplizenschaft oder Habgier entstanden ist bzw.den Straftaten ein sichtbares Opfer fehlt und dadurch eine Nachvollziehbarkeit des Victimisierungsprozesses (so z. B. bei Steuerhinterziehung, wo der Staat als Opfer auftritt) erschwert wird.
Wenngleich diese Definitionen recht brauchbar erscheinen, so haben demgegenüber die reinen deliktsspezifischen Abgrenzungen den Vorteil, daß sie inhaltlich bei sanktioniertem abweichenden Verhalten im Bereich der Wirtschaftskriminalität noch eindeutiger sind. Man umgeht damit eine eventuell notwendige Unterdefinition, wie z. B.des Begriffs „einer höheren sozioökonomischen Schicht".
Diese deliktsmäßige Abgrenzung stellt in der Bundesrepublik Deutschland, wenn auch nur für einige Delikte, die von der Schwere her Strafkammerniveau erreichen, der § 74 c Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) dar. In den USA liegt zu diesem Problembereich eine umfassende Einteilung von Edelhertz vor, die eine differenzierte Unterteilung der Delikte in die Gruppen:
A. „Crimes by persons Operation on an individual, ad hoc basis", B. „Crimes in the course of their occupations by those Operation inside business, Government, or other establishments, in violation of their duty of loyality and fidelity to employer or dient", C. „Crimes incidental to and in furtherance of business operations, but not the central pur-pose of the business" und D. „White-collar crime as a business, or as the central activity"
vorsieht.
In Anlehnung an die Einteilung von Edel-hertz würde sich in der Weiterführung des § 74 c GVG für die Bundesrepublik Deutschland die in Übersicht 1 dargestellte Situation ergeben.
Abschließend kann festgehalten werden, daß sich aufgrund der international herausgebildeten Definition der Gegenstand der Wirtschaftskriminalität erfassen läßt und insbesondere auch die deliktsmäßigen Abgrenzungen eine hinreichende Grundlage sind, um Wirtschaftskriminalität inhaltlich zu bestimmen und somit zur Grundlage für weitergehende Forschungen und organisatorische Maßnahmen zu machen.
III. Umfang und Erscheinungsbild
Abbildung 6
Schaubild 2 1974 1975 Zahl der Verfahren und Gesamtschaden 1976 1977 1978 Jahr 1979 1980 1981 1982 1983 • 4000 • 3900 3800 • 3700 3600 • 3500 3400 €ö 3300 E O 3200 E ö 3100 > 3000 8 2900 €2800 N 2700 2600 2500 2400 2300 2200
Schaubild 2 1974 1975 Zahl der Verfahren und Gesamtschaden 1976 1977 1978 Jahr 1979 1980 1981 1982 1983 • 4000 • 3900 3800 • 3700 3600 • 3500 3400 €ö 3300 E O 3200 E ö 3100 > 3000 8 2900 €2800 N 2700 2600 2500 2400 2300 2200
Nach einer Definitionsdiskussion zum Begriff der Wirtschaftskriminalität stellt sich notwendigerweise die Frage nach dem Umfang und dem Erscheinungsbild der Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland.
Die zur Verfügung stehenden amtlichen Statistiken — die Polizeiliche Kriminalstatistik sowie die Rechtspflegestatistik — lassen hierzu allerdings nur globale, undifferenzierte Erkenntnisse zu. So werden zwar in der Polizeilichen Kriminalstatistik die von der Polizei bearbeiteten Verbrechen und Vergehen einschließlich der mit Strafe bedrohten Versuche registriert, jedoch sind die für den Bereich der Wirtschaftskriminalität relevanten Tatbestände gerade auch der strafrechtlichen Nebengesetze dort nur zu einem Teil gesondert ausgewiesen.
Bedingt durch die für diesen Problembereich unzureichende Erfassung statistischer Daten sowie durch das Fehlen konkreter Untersuchungen fußten Aussagen insbesondere zum Umfang der Wirtschaftskriminalität bislang auf mehr oder minder fundierten Schätzungen der jeweiligen Autoren. So gab es in den sechziger Jahren Schadensschätzungen in Höhe von mehreren hundert Millionen DM. Von Adolf Zybon wurde 1972 die vermutete Schadenshöhe auf 10 bis 55 Milliarden DM beziffert. Hans-Jürgen Schneider führte im gleichen Jahr in einem vielbeachteten Beitrag aus, daß „die Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik ... die Wirtschaftskriminalität in den USA überholt haben (soll) ... Die jährlichen Verluste sollen ungefähr dem jährlichen Kaufkraftschwund der D-Mark entsprechen. Die Steuern sollen um fast ein Drittel gesenkt werden können, wenn alle Steuern ehrlich bezahlt würden. Selbst bei vorsichtiger Schätzung muß davon ausgegangen werden, daß die Wirtschaftskriminalität größere materielle Schäden als die klassische Kriminalität verursacht"
Neben diesen hauptsächlich immer wieder in die Diskussion eingebrachten Zahlen gab es ferner Schätzungen der Industrie-und Handelskammer in München vom Jahre 1968 mit rd. 10 Mrd. DM, der Zeitschrift „DIE ZEIT'vom Jahre 1972 mit 10 bis 15 Mrd. DM sowie die von Walter Ricke zitierten Schätzungen der Zeitschriften „Bild am Sonntag" und „WAZ" in Höhe von 10 bis 70 Mrd. DM bzw. 20 bis 50 Mrd. DM
Obschon diese Schätzungen, die immer im Zusammenhang mit dem Erscheinungsbild von Wirtschaftsstraftaten und ihrer Definition zu sehen sind 20), d. h., daß marktwirtschaftliche Systeme andere Wirtschaftsstraftaten kennen als planwirtschaftliche Systeme (wie z. B. Mietwucher, Kapitalanlagebetrug usw.), auch zu Beginn der neu entflammten Diskussion des Problems der Wirtschaftskriminalität ausgereicht haben mögen, so fehlte doch für eine intensive Auseinandersetzung grundlegendes Zahlenmaterial.
Dieser Mangel wurde in verschiedenen Veröffentlichungen beklagt, so von Christa Plath in ihrem Beitrag „Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik": „So heftig sich die Juri-sten um die Begriffsbestimmung der Wirtschaftskriminalität streiten, so wenig Zahlen haben sie in der Hand. Eine Kriminalstatistik der Wirtschaftsstrafsachen fehlt." Auch Hartmut Schellhoss konstatierte: „Weiterhin ist aufschlußreich, daß über die Zahl dieser Täter und auch über das, was ihre spezifischen Delikte sind, keine überprüfbaren quantitativen Erkenntnisse vorliegen."
In die gleiche Richtung gingen die Beschlüsse des 49. Deutschen Juristentages 1972 in Düsseldorf dessen Ergebnis von P. Wax folgendermaßen zusammengefaßt wird: „Daß die Erwartungen dennoch weithin enttäuscht wurden und sich trotz aller Aktivität in der teilweise sehr lebhaft geführten Diskussion am Ende die alte Ratlosigkeit wieder einstellte, hatte im wesentlichen wohl zwei Gründe.
Zum einen fehlt es immer noch an systematischen und umfassenden empirischen Untersuchungen über die tatsächlichen Grundlagen des komplexen Phänomens Wirtschaftskriminalität. Dieser Mangel ist auch durch noch so große und wertvolle subjektive Erfahrungen, wie sie viele der Diskussionsredner aus ihrer täglichen Arbeit mitbrachten, nicht auszugleichen; über das Vorliegen von Tatsachen kann nicht durch Mehrheitsbeschluß entschieden werden.. ,“
Auf der Grundlage dieser Forderungen wurde mit Beschluß der 42. Konferenz der Justizminister und Justizsenatoren sodann die „Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten" (BWE) begründet. Dadurch können nun auch Ausführungen zum Umfang der von den Staatsanwaltschaften erledigten Verfahren der schweren Wirtschaftskriminalität gemacht werden
IV. Zahl und Umfang der Verfahren nach der BWE
Abbildung 7
Schaubild 3 Zahl der Beschuldigten und Zahl der Tathandlunqen (Einzelfälle) -7000 -6750 6500 6250 6000 5750 5500 -5250 -5000
Schaubild 3 Zahl der Beschuldigten und Zahl der Tathandlunqen (Einzelfälle) -7000 -6750 6500 6250 6000 5750 5500 -5250 -5000
Als wichtigstes Ergebnis kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß in der „Bundesweiten Erfassung" jährlich etwa 3 350 Ver-fahren erfaßt werden. Im einzelnen wurden in den Erhebungsjahren folgende Verfahrens-zahlen gemeldet:
In dem bisher vorliegenden Zehnjahres-Zeitraum wurden gegen insgesamt 61 121 Personen Ermittlungen geführt, was eine durch-schnittliche Beschuldigtenzahl von 6 112 Personen pro Jahr bedeutet. Dabei zeigte sich in den einzelnen Jahren folgendes Bild: Die Ergebnisse zeigen, daß über 80% der Straftaten im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Hauptbeschuldigten im Unternehmen standen. Nur bei durchschnittlich 5, 4% der Beschuldigten wurde diese Angabe verneint
Die absolute Zahl der Einzelfälle oder Tat-handlungen, die den erledigten Verfahren in den Jahren 1974 bis 1983 zugrunde lag, betrug im Durchschnitt pro Jahr 88 114 Einzelfälle. In den Jahren 1974 bis 1976 wurden jeweils zwischen 44 113 Einzelfälle (1976) und 51 150 Einzelfälle (1974) erledigt. Vom Jahre 1977 an kam es jedoch zu einem Anstieg der Einzelfallzahlen, und zwar von 59 547 (1977) auf 145 209 (1980) und 127 843 (1981); 1982 wurden 96 376 Einzelfälle gemeldet, 1983 stieg die Zahl wiederum an, und zwar auf 163 472 Einzelfälle.
Die Höhe des Schadens durch Wirtschaftskriminalität ist in der vorhandenen Literatur, wie dies auch die vorangestellten Ausführungen belegen, als eines der entscheidenden Merkmale für die „Sozialschädlichkeit" dieser Kriminalität angeführt worden.
Die Schadenshöhe, die durch die BWE ermittelt werden konnte, stieg von 1 380, 6 Mill. DM im Jahre 1974 auf immerhin 5 477, 4 Mill. DM im Jahre 1978 an und ging über 3 933, 6 Mill, auf 2 616, 0 Mill. DM im Jahre 1980 zurück, während seit dem Jahre 1981 die Schadens-summen wieder zunahmen: so von 3 592, 5 Mill. DM (1981) bzw. 4 858, 6 Mill. DM (1982) auf den höchsten Stand von 6 928, 3 Mill. DM im Jahre 1983.
Wie die Ergebnisse der BWE gezeigt haben, erreichten die festgestellten Schadenssummen nicht das Ausmaß, wie es die Aussagen der Experten in der Diskussion um die Wirtschaftskriminalität vermuten ließen. Trotzdem ergab die Erhebung, daß die Schädigungen durch Wirtschaftsdelikte ein größeres Ausmaß haben als durch alle anderen Vermögensdelikte, obwohl die Fallzahl der Wirtschaftsdelikte nur einen Bruchteil dieser ausmacht. Dies läßt sich folgendermaßen belegen, wenn auch bisher exakte Angaben zum Schadens-umfang der bekanntgewordenen Delikte fehlen. Um das Verhältnis zwischen den Schadenssummen durch Wirtschaftsdelikte und „normale" Vermögensstraftaten feststellen zu können, kann man jedoch die in der Polizeilichen Kriminalstatistik ausgewiesenen Schadensklassen für alle Delikte mit einem Vermögensschaden heranziehen. Dies ist selbstverständlich lediglich ein Hilfsmittel, da man nur die Fallzahlen mit den Mittelwerten der jeweiligen Schadensklassen bzw. bei der letzten Schadensklasse einem aus der Wirtschaftskriminalität bekannten durchschnittlichen Höchstschaden multiplizieren kann. Zwar stellen die so gewonnenen Ergebnisse nicht reale Schadenssummen dar, andererseits jedoch bieten sie sehr wohl eine Vergleichsmöglichkeit, da die Multiplikation mit den Mittelwerten statistisch sehr genaue Werte liefert. Dies zeigen auch die gewonnenen Ergebnisse:
Wenn man diese Zahlen nun mit den Schadenssummen der Wirtschaftskriminalität vergleicht, muß man berücksichtigen, daß in den angegebenen Summen noch die Schadens-beträge durch die Wirtschaftskriminalität ebenso enthalten sind wie reine Vermögens-gefährdungen, die in der BWE nicht erfaßt werden. Unter Berücksichtigung dieser Sachverhalte und bei einem Vergleich mit den Schadenssummen der BWE kann man feststellen, daß die Schäden durch Wirtschaftskriminalität diejenigen der „normalen" Vermögensdelikte tatsächlich bei weitem übersteigen.
VI. Anteil verschiedener Tathandlungen in der Wirtschaftskriminalität
Abbildung 9
Abbildung 9
Abbildung 9
Untersucht man die einzelnen Verfahren auf die ihnen zugrundeliegenden Tathandlungen so ergibt sich eine Dreiteilung: Einmal sind es die Massendelikte mit einem Anteil von jeweils mehr als 10% an allen Verfahren, eine mittlere Gruppe mit einem Anteil zwischen 3% und 10% und die seltenen Delikte mit einem Anteil von unter 3%.
Die häufigsten Delikte im Bereich der Wirtschaftskriminalität sind dabei Betrug, Steuerhinterziehung und Bankrottdelikte mit einem durchschnittlichen Anteil von 47%, 30% bzw. 29%. Ebenfalls zu den Massendelikten zählen die Untreue, Verstöße gegen das GmbH-Gesetz und die Reichsversicherungsordnung, deren Anteil zwischen 10% und 20% liegt.
Zu der mittleren Gruppe zählen insbesondere Unterschlagung, Urkundenfälschung, Verletzung der Buchführungspflicht, Verstöße gegen das Arbeitsförderungsgesetz, Verstöße nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) sowie auch Verstöße gegen das Angestelltenversicherungsgesetz. Alle anderen Tatbestände gehören zur Gruppe der seltenen Delikte, wie z. B. Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz, das Kreditwesengesetz, das Börsengesetz oder der Kreditbetrug, um hier nur einige wenige Delikte aufzuführen.
Die Entwicklung einiger ausgewählter Delikte gibt Schaubild 4 wieder, wobei insbesondere die kontinuierliche Anteilszunahme bei der Steuerhinterziehung und den Verstößen gegen das GmbH-Gesetz auffällt.
VII. Umfang des registrierten steuerlichen Mehrergebnisses (Steuerhinterziehung) und kartellrechtliche Delikte
Abbildung 10
Schaubild 5 Steuerliche Mehrergebnisse 1975 -1983 »weitere Ergebnisse liegen noch nicht vor (Quelle: BMF—Mitteilungen)
Schaubild 5 Steuerliche Mehrergebnisse 1975 -1983 »weitere Ergebnisse liegen noch nicht vor (Quelle: BMF—Mitteilungen)
In der BWE sind die Verfahrensinhalte der bei den Straf-und Bußgeldsachenstellen der Finanzämter durchgeführten Verfahren nicht enthalten. Diese Verfahren sind jedoch insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität von Bedeutung, da gerade das Feld der Steuerhinterziehung ein Schwergewicht innerhalb der Deliktsstruktur der Wirtschaftskriminalität darstellt.
Für eine Untersuchung der Entwicklung der Wirtschaftskriminalität in der Bundesrepublik Deutschland ist es daher notwendig, auch diese Zahlen in die Untersuchung einfließen zu lassen, so daß die Schäden durch Steuerhinterziehung, die aufgrund der Tätigkeit der Steuer-und Zollfahndung aufgedeckt wurden, hier gesondert dargestellt werden müssen.
Ebenfalls wurden die Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung sowie die Angaben der Steuerstrafsachenstatistik aufgenommen. Letzteres hat seinen Grund darin, daß die durch die Arbeit der Steuer-und Zollfahndung in den Nachforderungen rechtskräftig gewordenen Mehrergebnisse in den Zahlen der steuerlichen Betriebsprüfung nicht enthalten sind. Auch vom Bundesminister der Finanzen wird zur Strafsachenstatistik ausgeführt, daß ein Vergleich der Steuerstrafsachenstatistik mit dem Ergebnis der Steuer-und Zollfahndung nicht möglich ist, da diese Zahlen nur die Angaben der rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren einschließen. Dabei ist wohl davon auszugehen, daß die Schadens-beträge der Steuerstrafsachenstatistik bereits in den Ergebnissen der Steuer-und Zollfahndung der Vorjahre enthalten gewesen sind.
Hinsichtlich der Einbeziehung der Ergebnisse der steuerlichen Betriebsprüfung wurde zwar vorausgesetzt, daß nicht jedes steuerliche Mehrergebnis seine Ursache in einer strafrechtlich relevanten Handlungsweise hat, jedoch manifestieren sich hierin gleichfalls Steuerausfälle, über deren Grund keine Angaben vorliegen. Ebenfalls ist dabei zu bedenken, daß nach der heute üblichen Praxis steuerliche Mehrergebnisse in Großbetrieben nicht zur Einleitung eines Steuerstrafverfahrens führen, da in solchen Fällen immer eine „unterschiedliche Rechtsauffassung" hineininterpretiert wird
Nach den Ergebnissen der steuerlichen Betriebsprüfung wurde im Jahre 1975 ein rechtskräftiges Mehrergebnis von 5 Mrd. DM ermittelt. Im Jahre 1983 betrug das Ergebnis der steuerlichen Betriebsprüfung bereits rund 8 Mrd. DM „mehr Steuern“, was einen Anstieg von 60% seit 1975 bedeutet. Die Ergebnisse der Steuerfahndung zeigen ebenfalls eine ansteigende Tendenz. So wurden im Jahre 1975 noch 352 Mio. DM hinterzogener Steuern ermittelt, welche bis zum Jahre 1983 auf knapp 800 Mio. DM angestiegen sind. Nach den Unterlagen der Steuerstrafsachenstatistik lag den rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahren ein steuerliches Mehrergebnis von 222 Mio. DM im Jahre 1975 zugrunde. Dieses stieg auf fast 500 Mio. DM im Jahre 1982 an. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß durch Steuerhinterziehung im Bereich der Besitz-und Verbrauchssteuer ein Betrag von 1, 5 Mrd. DM als hinterzogen festgestellt wurde. Unter Berücksichtigung des Mehrergebnisses der steuerlichen Betriebsprüfung kommt dazu noch ein Betrag von knapp 8 Mrd. DM, wobei beide Summen eine steigende Tendenz aufweisen.
Neben diesen Statistiken sind für eine Beurteilung des Ausmaßes der Wirtschaftskriminalität die Tätigkeitsberichte des Bundeskartellamtes, die die bekanntgewordenen Kartellverstöße ausweisen, wichtig. Leider werden in den Tätigkeitsberichten keine Aussagen über den Umfang der bearbeiteten Fälle getroffen, so daß der Umfang und der eingetretene Schaden durch Kartelldelikte nur geschätzt werden können. Auch ist es sicherlich schwierig festzustellen, welcher Schaden der Volkswirtschaft durch Ausschreibungsabsprachen entsteht. Aus den Berichten kann jedoch entnommen werden, daß die Verfahren we-gen wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, wegen Liefer-und Bezugssperren (einschließlich Verfahren wegen Diskriminierung) und auch wegen Preisabsprachen seit 1969 zugenommen haben. Dagegen nahm die Zahl der Verfahren ab, die sich gegen Empfehlungen, die eine Umgehung von kartell-rechtlichen Vorschriften beinhalten, odei Preisfestsetzungen richteten. Verstöße wegen Lizenzbeschränkungen, Wettbewerbsbeschränkungen und unterlassener Auskunftspflicht haben sich dagegen kaum verändert und spielen von der Fallzahl her keine große Rolle.
VIII. Mogelpackungen, organisierte Wirtschaftskriminalität, Schattenwirtschaft und Dunkelfeld
Zu dem Umfang der bekanntgewordenen Wirtschaftskriminalität muß noch eine große Anzahl von Delikten der Bagatellkriminalität hinzugerechnet werden, die sich zu erheblichen Schadenssummen bei den Verbrauchern summieren können. Hier wären beispielsweise die „Mogelpackungen" anzuführen, z. B. wenn in einem Kaufhaus Gemüse selbst verpackt und das Gewicht einschließlich dem Preis auf die Packung gedruckt wird. Dabei wird jedoch jede Packung um beispielsweise 50 Gramm höher ausgezeichnet, als ihr tatsächlicher Inhalt ist. Beträgt nun der dadurch erzielte Mehrerlös bei einer Packung z. B. nur —, 50 DM, so führt dies zu einer Schadenssumme bei normalem Umsatz von fast 25 000, — DM pro Jahr bei nur einem Produkt. Durch die geringe Schadenssumme pro Tat-handlung wird diese Handlungsweise in der Bundesrepublik nur als Ordnungswidrigkeit verfolgt und führt im Regelfall nur zu einer Geldbuße von 200, — DM Dies ist nur ein Beispiel aus der Vielzahl von Ordnungswidrigkeiten — der Bagatellkriminalität im Bereich der Wirtschaftskriminalität —, über die in der Bundesrepublik Deutschland fast keine Erkenntnisse vorliegen.
Daneben zeichnet sich bereits eine Form von organisierter Wirtschaftskriminalität ab, die insbesondere in den Bereichen der illegalen Arbeitnehmerüberlassung, der „Sanierung" von bankrotten Unternehmungen, den soge-nannten „Durchschleusungsgeschäften" im Interzonenhandel (Bundesrepublik Deutschland — Deutsche Demokratische Republik aufgrund der noch gültigen Militärratsregierungsgesetze) und dem Verkauf von unwirksamen Heilmitteln, um hier nur einige zu nennen, auftritt und bereits einen erheblichen Schadensanteil aufweist
Auch tritt die sogenannte „Schattenwirtschaft" immer mehr in den Mittelpunkt der Forschung, wobei darunter insbesondere Unternehmen verstanden werden, die umfangreiche Aufträge ausführen, ohne angemeldet zu sein, und somit der Zahlung von Steuern, Versicherungsabgaben und Gebühren entgehen. Hierbei tauchen nicht nur Fragen des entstehenden Schadens auf, sondern es muß auch geklärt werden, ob überhaupt und welche Nachteile durch diese Schwarzarbeit entstehen. Dem verschiedentlich von Ökonomen vorgebrachten Einwand, der Vorwurf der beträchtlichen Steuerhinterziehung sei nicht zutreffend, da in den meisten Ländern neben der Einkommensteuer als weitere wesentliche Steuer eine Umsatzsteuer erhoben wird, so daß über diese Umsatzsteuer Mehrerträge eingenommen werden, kann nur bedingt zugestimmt werden. Dieses Argument trifft sicherlich bei dem Teil der Schwarzarbeit zu, der unter dem Gesichtspunkt der „Nachbarschaftshilfe" im weitesten Sinne gefaßt wird. Dabei wird davon ausgegangen, daß diese Arbeiten nur durchgeführt werden können, wenn die Soziallasten durch diese Tätigkeit nicht anfallen. Bei gewerbsmäßiger Schwarz-arbeit würde dies hingegen nicht zutreffen, da diese Aufträge auch an die „offizielle Wirtschaft" vergeben werden können (jedenfalls zu einem großen Teil) und somit ein realer Steuerausfall entsteht
Beachtet man all diese Punkte, dann wird deutlich, daß über das gesamte Ausmaß der Wirtschaftskriminalität bisher nur wenige — zum Teil jedoch auch bereits aussagekräftige — Erkenntnisse vorliegen. Trotzdem kann bis heute nicht genau gesagt werden, wie hoch der Schaden durch Wirtschaftskriminalität insgesamt ist: Hier bleibt ein Feld für Dunkelfeldschätzungen von 20 Mrd. bis 120 Mrd. DM, wie auf der letzten Arbeitstagung des Bundeskriminalamtes vorgebracht wurde
IX. Schlußbetrachtung: Wirtschaftskriminalität international?
Wenn man in den einschlägigen Kriminalstatistiken nach Zahlen zum Umfang der Wirtschaftskriminalität der verschiedenen Länder nachschlägt, macht man die Erfahrung, daß diese nur sehr beschränkt — wenn überhaupt — Aussagen zur Wirtschaftskriminalität enthalten. So fehlen z. B. gesonderte Erfassungen der Wirtschaftskriminalität in Österreich und der Schweiz völlig, wobei deren Kriminalstatistiken nur wenige Angaben liefern. Demgegenüber stehen aus Schweden, Finnland, Norwegen, den Benelux-Staaten und Großbritannien bereits unterschiedliche Strukturanalysen zur Verfügung, ohne daß man freilich von einer umfassenden Erhebung des Komplexes der Wirtschaftskriminalität sprechen kann. Vergleichbare Erfassungsversuche der Wirtschaftskriminalität wie die BWE sind in Europa bislang lediglich in Frankreich gemacht worden, wo Pierre Lascoumes erstmals im Jahre 1979 eine Analyse des Justizministeriums über Wirtschaftskriminalität veröffentlichte. Hierbei zeigte sich nach einem Bericht des Jahres 1977, daß in Frankreich allein durch Steuervergehen (Steuerhinterziehung, Schmuggel, ungerechtfertigte Erlangung staatlicher Zuwendungen etc.) ein Schaden in Höhe von 35 bis 40 Mrd. Französischen Francs jährlich entsteht
Für die USA werden als meist zitierte jährliche Schadenssumme 41, 78 Mrd. US-Dollar angenommen (Berechnung der „Chamber of Commerce of the United States"). Eine von der „Pennsylvania Crime Commission" vorgenommene Aufstellung kommt demgegenüber aber bereits auf eine Summe von 121 bis 168 Mrd.. US-Dollar pro Jahr (vgl. Übersicht 2)
Wenngleich dies nur einige Belege für das internationale Auftreten der Wirtschaftskriminalität sind, so zeigen sie doch bereits auf, daß Wirtschaftskriminalität ein internationales Problem mit internationaler Verflechtung und nicht nur eine bundesweite „Kriminalitätsspielart" ist. Trotz des sich abzeichnenden Ausmaßes erstaunt, daß von den nationalen Verfolgungsbehörden jeder Diebstahl gezählt wird, jedoch die „Kriminalität der Mächtigen" oft nur ein weißer Fleck in den Kriminalitätsstatistiken darstellt. Das Problem wird noch deutlicher, wenn man die internationale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden, z. B. bei Steuerhinterziehung, in der Realität sieht; dann muß man feststellen, daß Steuerhinterziehung nur national verfolgbar ist. Wie wird die Zusammenarbeit, so die Frage, dann künftig bei der Verfolgung von Umwelttätern (auf Unternehmensebene) auf internationaler Ebene aussehen? Hier wird das Zusammenspiel von Politik und Gesetzgebung versus Wirtschaft deutlich und gibt Hinweise auf eine weitere Dimension von Wirtschaftskriminalität.
Karlhans Lie bl, Dr. phil., geb. 1951; seit 1980 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Forschungsgruppe Kriminologie, in Freiburg. Veröffentlichungen u. a.: Die Einstellung der israelischen Parteien zum Palästina-Problem, Frankfurt 1981; Umfang und Erscheinungsbild der Wirtschaftskriminalität, Hilden 1982; Finanzierung öffentlicher Ausgaben durch Bekämpfung der Wirtschaftskiminalität, Köln 1982; Steuerhinterziehung und ihre staatsanwaltschaftliche Erledigung, Köln 1983; Geplante Konkurse?, Pfaffenweiler 1984; (zusammen mit E. Zimmerli) Computermißbrauch — Computersicherheit, Ingelheim 1984; (zusammen mit G. Kaiser/F. Kießner/J. Leßner/V. Meinberg/B. Scherer/R. Schönherr/M. Sickenberger) Anschluß-und Vertiefungsuntersuchungen zur Bundesweiten Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten, 3 Bände, Bonn 1984; Die Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten, Freiburg 1984; (zusammen mit A Bora) Einstellungen zum Schwangerschaftsabbruch — Zur Bedeutung generalisierter Wertsysteme in Konfliktsituationen, 1985 (im Erscheinen).
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