Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Informationstechnik und gesellschaftliche Zukünfte. Optionen zwischen Telematik und Wertewandel | APuZ 9/1985 | bpb.de

Archiv Ausgaben ab 1953

APuZ 9/1985 Bedeutung und Gegenstand der Medienpolitik. Skizze eines Feldes praktischer Politik und wissenschaftlicher Analyse Stichworte zur Medienpolitik Neue Medien und Kultur Informationstechnik und gesellschaftliche Zukünfte. Optionen zwischen Telematik und Wertewandel

Informationstechnik und gesellschaftliche Zukünfte. Optionen zwischen Telematik und Wertewandel

Otto Ulrich

/ 34 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Das uralte Spannungsverhältnis zwischen Natur und Kultur, von Tradition und Innovation wird an einem aktuellen Gegenstand der „Moderne" behandelt: Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die durch den Computer erzwungene Mechanisierung der geistigen Tätigkeit als Durchgangsstation zu neuen, menschengemäßen kulturellen Horizonten gewertet werden kann. Informatisierung und Bürokratisierung werden als verwandtschaftliche Prinzipien erkannt, die — mit Hilfe neuartiger „Wissensmaschinen" und auf der Basis der „künstlichen Intelligenz" — das Vordringen formaler Elemente in die Gesellschaft beschleunigen. Damit ist die Frage nach dem menschlichen Geist im Verhältnis zur Maschine als zentrale kulturelle Herausforderung der „Computerisierung" gestellt. Wie wirkt sich die Formalisierung des Denkens, die Zerstückelung des Bewußtseins, die zunehmende Orientierung 'an der beherrschbaren „künstlichen Realität" des Computers auf jene sozialen und politischen Prozesse aus, die unschwer als alternative gesellschaftliche Zukünfte (Computopia und/oder „sanfte Wende") im gesellschaftlichen Alltag von heute zu erkennen sind? Technologiefolgenabschätzung besitzt wegen ihres systemimmanenten Charakters keine Maßstäbe für eine Entwicklung, die sich nicht den Werten und Zielen der Industrialisierung verpflichtet fühlt, d. h., sie ist nicht kompetent, in dem sich abzeichnenden epochalen Spannungsfeld zwischen der „Superindustrialisierung" und dem neuen ganzheitlichen und ökologischen Paradigma politikrelevant zu vermitteln.

I. Zeitenwende als Methodenproblem

Am Eingang ins Zeitalter der Information steht ein Widerspruch. Für viele ist die ehemalige Faszination am technischen Fortschritt in Angst vor den Risiken der technischen Zivilisation umgeschlagen. Sie glauben nicht mehr daran, daß das Weltbild der industriellen Gesellschaft eine Zukunft haben kann. Aber es gibt andere, die Mehrheit, die glauben, daß das jüngste Produkt des industriell-technischen Fortschritts, der Computer, ein Überleben im materiellen Wohlstand sichern werde. Dieses Spannungsfeld soll hier das Thema sein.

Letztlich sind es zwei fundamentale Entwicklungen, die sich aus dem gegenwärtigen Nebeneinander unterschiedlicher Trends, Stimmungen, neuen Polarisierungen deutlich hervorheben: Der von der ökonomischen und politischen Elite vorangetriebene Prozeß der „Informatisierung" der Gesellschaft korrespondiert bislang in auffälliger Weise nicht mit jener Entwicklung, die von dem Glauben bestimmt wird, daß das mechanistische Weltbild, das unsere Kultur jahrhundertelang beherrscht hat, unwiderruflich der Vergangenheit angehört. Offensichtlich ist es bislang weder wissenschaftlich-technisch, geschweige denn wirtschaftlich und politisch gelungen, die in dem jetzt und wohl noch für längere Zeit ablaufenden gesellschaftlichen Umbruchprozeß erkennbaren neuen Prinzipien, Werteorientierungen und neuen Zielvorstellungen schon mit dem durch die Mikroelektronik angestoßenen Prozeß des (informations-) technologischen Wandels zu verzahnen. Zu kraß liegen die Entwicklungsmöglichkeiten von Computern, Robotern, Bürosystemen und Expertensystemen und deren Vernetzung neben jener ebenfalls gesellschaftspolitisch wirkenden Dynamik, die prinzipiell andere Denkkategorien und Bezugs-

Systeme als wesentlich für die Erreichung menschlicher und gesellschaftlicher Ziele hält.

Die erste Hypothese lautet daher: — Die Computertechnologie steht wegen ihrer bormalen Eigenschaffen prinzipiell und logisch unversöhnlich jener fundamentalen Entwicklung gegenüber, die die Abkehr von der christlich geprägten materialistischen, quantitativen Wertauffassung zugunsten eines ganzheitlichen, d. h. eines ökologisch orientierten, Weltbildes für geboten hält.

Ob die Mikroelektronik mit der auf ihr basierenden neuen Informations-und Kommunikationstechnik einmal mehr den historisch bekannten Industrialisierungszyklus des „Stirb und werde" anstößt, kann für viele und immer mehr Menschen in den entwickelten Industriegesellschaften des Westens doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die technische Zivilisation zunehmend ihre Faszination verliert. Zu wenig systematisch können und werden die gleichberechtigten Belange von Natur, Mensch und Gesellschaft im Fortschritts-modell der industriellen Gesellschaft berücksichtigt. Die Notwendigkeit zur Transformation unserer technisch-industriellen Infrastruktur in der Weise, daß sie mit der Struktur unseres ökologischen Systems in Einklang steht ist eine Forderung, die von immer mehr Menschen angesichts der industriellen Zerstörung der natürlichen Lebensbedingungen erhoben wird. Denn es wird offensichtlich immer deutlicher, daß von einer weiterhin automatisch funktionierenden „stillen Akzeptanz" (technischer Fortschritt = gesellschaftlicher Fortschritt) — gerade wegen der technologisch neuen Qualität der Computertechnologie — nicht mehr ausgegangen werden kann Die Radikalität und Konsequenz, mit der die „Informatisierung" einen totalen Rationalisierungs- und Zentralisierungsprozeß auslöst, macht immer betroffener.

Hinzu kommt der Zweifel, ob die durch den Computer noch gesteigerte Zweckrationalität tatsächlich geeignet ist, die anstehenden Probleme der Umbruchphase besser zu meistern. Kann Maschinenintelligenz solche Entscheidungen und Kommunikationsformen ersetzen, die gerade menschliche Qualitäten wie Weisheit, Respekt, Verstehen und Toleranz erfordern? Eben weil menschliche Rationalität nie von Intuition, von Emotionalität getrennt werden kann und unser Denken immer von körperlichen Wahrnehmungen und Vorgängen begleitet ist setzen sich zunehmend und offensichtlich jene Argumente der Kritik aus, die den menschlichen Körper als „eine Maschine" analysieren. Eine naturwissenschaftlich-elementaristische Weltbetrachtung prägt die Auffassung von einer möglichen Trennung des Menschen in Geist und Materie und kann dann folgerichtig auch den Computer als Metapher für Gehirn, Verstand und menschliche Intelligenz einsetzen und damit hantieren

Das uralte Spannungsverhältnis zwischen Natur und Kultur, also die immerwährende Irritation von Tradition und Innovation, soll hier am aktuellen Diskussionsgegenstand der „Moderne" behandelt werden: Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Mechanisierung der geistigen Tätigkeit als Durchgangsstation zu neuen menschengemäßen kulturellen Horizonten gewertet werden kann. Dazu ist es notwendig, die Begründung der Computer-technologie und ihrer sozialen „Nützlichkeit" aus dem Blickwinkel einer naturwissenschaftlichen Interpretation der Welt darzulegen. Dies führt zu einer weiteren Schlüsselfrage: Welchen Beitrag können die der Logik des Computers innewohnenden Eigenschaften eigentlich für eine nach anderen nicht-materialistischen Werten ausgelegte Gesellschaft der Zukunft leisten?

Dies führt zu der zweiten Hypothese:

— Der Versuch, die „gesellschaftliche Herausforderung der fnformationstechnik" zu ermitteln, muß ergebnislos bleiben, solange nicht gesellschaftliche Ziele, Werte und verpflichtende Vorstellungen über das jenseits des gegenwärtig ablaufenden kulturellen Wandels liegende Weltbild als heutiger Maßstab zur Beurteilung der Nützlichkeit, Notwendigkeit und der Einsatzmöglichkeiten des Computers eben zur Erreichung dieser Zukunftsziele herangezogen werden. Wieweit ist dieses in der gegenwärtigen Phase des Paradigmenwechsels zu leisten?

Aus diesem Blickwinkel wird die Orientierungslosigkeit der gegenwärtigen Zeit offenbar. „Das Alte löst sich auf, das Neue will noch nicht werden" — dies gilt insofern, als die qualitative Umorientierung hin zu einem anderen Weltbild noch nichts über die soziale und technische Struktur dieser „Zukunftsgesellschaft" aussagt. Die Diskussion über „alternative Zukünfte" oder über „Szenarien für die sanfte Wende" deuten dieses Dilemma an. Aber die Entwicklung und die zunehmende soziale und wirtschaftliche Integration der Computertechnologie ist real und gegenwärtig. Damit werden jetzt Fakten geschaffen, Straßen in die Zukunft gelegt und programmiert Jetzt müßten Antworten darüber erarbeitet werden, welcher humane und soziale Nutzen z. B. von der 1985 anlaufenden „Digitalisierung des Fernsprechnetzes“ bzw.der ab 1990 möglich werdenden „Integration von Schmal-und Breitbanddiensten der Individualkommunikation (ISDN)" in der Zukunft ausgehen — denn dann wirken die heutigen Strukturentscheidungen.

Oft wird in diesem Zusammenhang von einer die Entwicklung begleitenden Technologiefolgenabschätzung viel erwartet.

Die dritte Hypothese lautet:

— Der Versuch, mit Hilfe der heutigen Methoden der Technologiefolgenabschätzung (TA) Anhaltspunkte für soziale Konsequenzen zu finden, kann prinzipiell solange nicht gelingen, als die soziale und politische Entwicklung in der Gesellschaft und ihre Repräsentanz als „Gruppe" nicht als „dynamischer Basisfaktor" in die Bewertung von Technologien und deren Beitrag zur Erreichung gesellschaftlich als wünschenswert angesehener Ziele einbezogen werden.

Die systemimmanenten Methoden der TA von heute enthalten keine Maßstäbe dafür, wie eine soziale Entwicklung, die sich prinzipiell anderen Werten und Zielen als denen der Industrialisierung verpflichtet fühlt, zu behandeln ist. Kann es weiterhin richtig sein, daß soziale Phänomene ignoriert werden müssen, weil das formelle Methoden-und Wissenschaftsverständnis einer elementaristisch-naturwissenschaftlichen Auffassung von „Objektivität" hierfür keine Verwendung hat?

Die Tabuisierung der gesellschaftlichen Entwicklung, die Reduzierung der Technologiefolgenabschätzung auf eine Ex-post-Analyse bereits entwickelter Technologien und die Nicht-Existenz einer Verantwortungsethik des handelnden Technikers (konkreter des Informatikers) sind Fehler der Vergangenheit. Die Vorgehensweise orientiert sich an den obigen Hypothesen. In einem ersten Schritt wird die neue Technostruktur der Telematik abgesteckt und insbesondere bezüglich des Zusammenspiels ihrer Eigenschaften mit dem schon bekannten Trend zur stetigen Bürokratisierung sozialer Aktivitäten analysiert. Als Ergebnis werden Anhaltspunkte darüber erwartet, wie das komplementäre Vordringen von Informatisierung und Bürokratisierung zu einer neuartigen Formalisierung des gesellschaftlichen Lebens führt — wobei insbesondere die anthropologischen Konsequenzen der Informatisierung von Interesse sind.

Im nächsten Schritt ist die angedeutete Auffassung zu entfalten, daß wir in einer fundamentalen Umbruchphase leben, in der aber doch prinzipiell die Strukturen mindestens zweier alternativer gesellschaftlicher Zukünfte deutlich zu markieren sind. Dieser Analyseschritt ist notwendig, um der hier zu behandelnden Grundfrage näher zu kommen, ob sich Anhaltspunkte darüber ermitteln lassen, in welcher Weise die mit der Informatisierung von Arbeit und Freizeit auf den Menschen wirkenden Konsequenzen blockierend oder fördernd auf die eine oder andere „Wahrheit" von gesellschaftlicher Zukunft wirken.

In einem dritten Schritt soll gefragt werden, ob das Instrument der Technologiefolgenabschätzung methodisch kompetent ist, zwischen diesen fundamentalen Entwicklungen zu vermitteln. Es geht also darum, was TA leisten müßte, um die in der Informatisierung liegenden humanen und sozialen Risiken mit den sich abzeichnenden prinzipiellen Erfordernissen für eine ökologische Überlebensfähigkeit politikrelevant herauszuarbeiten.

II. Zur Logik der Telematik

1. Informatisierung und Bürokratisierung Der Schwerpunkt der öffentlichen Diskussion liegt heute noch bei den zahllosen neuen Anwendungsmöglichkeiten der Mikroelektronik und den davon erwarteten Impulsen für eine gesteigerte wirtschaftliche Produktivität durch verbesserte Rationalisierung. Verstärkt hat sich aber in der Debatte ein breiteres Verständnis über die Informationstechnik, wobei insbesondere jener politische Brisanz entwikkelnde Aspekt, der sich mit den absehbaren Möglichkeiten einer Verbindung der Computertechnik mit der Nachrichtentechnik befaßt, in den Vordergrund rückt. Schon 1977 haben die Franzosen Nora und Mine auf die komplexen Chancen einer Verschmelzung von Telekommunikation und Informatik (zur Telematik) aufmerksam gemacht. Sie haben dabei vor allem auch die weitreichenden sozialen und politischen Risiken einer „Informatisierung der Gesellschaft" abgesteckt Tatsächlich ist der Trend zur Informatisierung immer weiterer Arbeits-und Lebensbereiche zu einem zentralen Charakteristikum der umfassenden Durchdringung aller gesellschaftlicher Bereiche durch vielfältigste Formen und Anwendungen der Informationstechnik geworden. Die gestiegenen Möglichkeiten der Verknüpfung und Vernetzung unterschiedlicher Informationen stellt jene neue Qualität dar, die es geboten erscheinen läßt, zukünftig nicht mehr nur das einzelne Telekommunikations-Endgerät (z. B.den Computer, das Bildschirmtext-Gerät, die Speicher-Schreibmaschine, den Fernkopierer) zu betrachten, sondern stets mit zu bedenken, daß jedes so „harmlose" Gerät für sich gesehen nur der sichtbare Teil einer gigantischen, elektronischen, im Gesamtüberblick nicht sichtbaren Technostruktur ist, nämlich des weit verzweigten und eng vernetzten Telefonnetzes der Deutschen Bundespost. Der Aufbau einer Telematik-Infrastruktur ist ausdrückliches Ziel der Deutschen Bundespost und der Telekommunikationsindustrie Die Vorteile des Telefonnetzes dienen als Grundlage, um zu einer enormen Vermehrung der mit dem „neuen" Netz und mit zahllosen miteinander kommunikationsfähigen „intelligenten" Maschinen zu einem rasanten Anstieg der nutzbaren Kommunikations-Dienstleistungen zu kommen.

Der Ersatz der direkten, zwischenmenschlichen Kommunikation durch eine technische, über Geräte vermittelte Kommunikation, liegt in der Logik der Telematik, zumal, wie es scheint, auch alles gemacht werden soll, was sich technisch im Bereich der Kommunikationsmedien anbietet: 1847 gab es als Kommunikationsmedium nur den Telegraph. 1877 kam das Telefon dazu. 1930 gab es vier Kommunikationsdienste. Heute sind es 17. Im Jahre 1990 werden es voraussichtlich 23 sein. Erstaunlicherweise wird der mit der nationalen Telematik-Infrastruktur einhergehende Zwang zur „Informatisierung" immer weiterer gesellschaftlicher Bereiche nicht politisiert Die Erkenntnis, daß die „Informatisierung" in charakteristischer Weise den schon seit längerem bekannten Trend einer zunehmenden Bürokratisierung aller sozialer und wirtschaftlicher Aktivitäten belebt, ist ein Aspekt, der in den USA schon seit längerem unter dem Stichwort „bürokratischer Konservativismus" diskutiert wird

Um die sich wechselseitig verstärkenden Wirkungen beider formaler Prozesse in ihren Konsequenzen für die zunehmende Formalisierung des Wissens bzw. die Wissensentleerung des Menschen abschätzen zu können, ist ein analytisch schärferer Blick auf die die Logik der Telematik bestimmenden Eigenschaften notwendig.

Computer beruhen ihrer ganzen Funktionsweise nach auf der Formalisierung von Entscheidungsstrukturen. Die einzige Logik, die ihnen entspricht, kann nur nach den Kriterien richtig oder falsch vorgehen (binäre Logik). Die dazu notwendige Formalisierung inhaltlicher Aussagen erfolgt dergestalt, daß genau definiert wird, welche Form Aussagen besitzen müssen, und daß nur eine bestimmte Kombinatorik zulässig ist (und und oder und nicht), die dann nach ihrem jeweiligen Wahrheitsgehalt abgefragt wird. Dieses algorithmische Verfahren zur Lösung von Problemen ist einem Spiel, z. B.dem Schachspiel, vergleichbar; es funktioniert nur, wenn die Spielregeln vorher festgelegt sind und sich alle daran halten. Solche Lösungsverfahren können sehr komplex, ja fast unüberschaubar sein; ihr mechanischer Charakter bleibt aber auch dann erhalten. Gerade die Logik der Computerprogramme veranlaßt zu der Meinung, der Computer befreie von dem Routinehaft-Wiederkehrenden. Er befreit die Betroffenen nicht davon, sondern konfrontiert sie an ihrem Bildschirm-Arbeitsplatz ständig mit derartigen streng geregelten Abläufen.

Kein Problem kann durch einen Computer erklärt werden, er kann es nur zerlegen und damit bearbeitbar machen. Computer simulieren Wirklichkeit, aber nur in der Form, daß alle Uneindeutigkeit im integrierten Schaltkreis verschwindet. Auf diesen formalen Vorgängen der Null-Eins-Logik des Computers baut sich nun der Prozeß der „Informatisierung" weiter auf. Damit der Computer (und immer mitgedacht die zahllosen anderen digital operierenden Telekommunikationsgeräte) überhaupt arbeiten können, müssen alle sachlichen und sozialen Informationen in eine maschinengemäße Form — also in Nullen und Einsen — aufgelöst werden. Diese mittlerweile industriemäßige Aufbereitung der Wirklichkeit in eine „künstliche Realität" geht auf die spezifische stoffliche Natur des Produktes, nämlich der besonderen Ware „Information", zurück.

Im Gegensatz zu anderen Produktionsprozessen ist das Produkt „geistiger" Arbeit, die Information, ein immaterielles Produkt. Mit der maschinellen Aufbereitung der Daten können die Objekte — Sachen und Personen — quasi durch eine Verdoppelung informationell abgebildet werden. Neben den „Originalen" existiert danach ein informationelles Abbild eines Objektes, ein sogenannter Datenschatten. Diese Datenschatten sind selektive Abstraktionen der Wirklichkeit. Ein Schatten zeigt jedoch nur die Umrisse etwa einer Person oder eines Sachverhaltes, wobei sich die Form des Umrisses danach bestimmt, aus welcher Perspektive die „Beleuchtung" erfolgt. Charakteristisch für den Verdatungseffekt ist vor allem seine „Unsichtbarkeit". Derjenige also, der über seine Daten nicht verfügt, ihre Vernetzung mit anderen Daten nicht kennt und auch über ihre Verwendung nichts weiß, kann sich im eigentlichen Sinn des Wortes kaum ein Bild von dem machen, was eigentlich mit ihm bzw.den Informationen über ihn geschieht Ein ähnlich wichtiger Aspekt wie die geringe Sichtbarkeit der informationeilen Prozesse ist die Verknüpfungsmöglichkeit verschiedener Informationen. Vor allem die Herauslösung unterschiedlichster Informationen aus ihrem spezifischen Entstehungszusammenhang und die über die Telematik-Infrastruktur sich öffnenden, automatisch ablaufenden Möglichkeiten zur Verknüpfung verschiedenster, zu verschiedenen Anlässen gesammelten Daten macht den Prozeß der Informatisierung überaus nützlich für die formalen Prozesse der Bürokratisierung. „Informatisierung und Bürokratisierung der Gesellschaft sind geistig verwandte Prozesse. Beide wurzeln in der offensichtlichen Überlegenheit formaler Strukturen, wenn es um die Erreichung bestimmter Ziele geht. Die deutliche Parallele zwischen Informatisierung und Bürokratisierung bestärkt den Verdacht, daß der Vorsprung von Organisationen beim Einsatz der Informationstechnik nicht ausschließlich auf wirtschaftliche oder politische Gründe zurückzuführen ist.“

Die Fähigkeit, formalisierte Information zu verarbeiten, nützt der Bürokratie, die prinzipiell dazu neigt, sowohl ihre internen Strukturen als auch die Wahrnehmung ihrer Umgebung in formale Raster zu pressen Die Informatisierung, also die zweiwertige Auflösung technischer, wirtschaftlicher, sozialer und personaler Realität, verstärkt tendenziell den Prozeß der Bürokratisierung der Gesellschaft, weil sie bürokratischen Formen der Problemlösung größere Effizienz verleiht. An die formalen Bedingungen und Zwänge der Bürokratie haben wir uns irgendwie angepaßt. Jetzt erhält aber das Vordringen weiterer formaler Elemente in die Gesellschaft mit Hilfe der Informatisierung und spezifisch dazu entwickelter Programme der „künstlichen Intelligenz" eine neue Qualität. Jetzt geht es um den Binnenbereich des Menschen, seine Denkstrukturen, also um die technische Einengung des Erfahrungswissens, um den Ersatz der Lebenswirklichkeit durch eine künstliche, formalisierte Computerrealität, kurz: um die auf die Spitze getriebene Verdinglichung sozialer Erfahrungshorizonte. Dies macht die eigentliche anthropologisch bedeutsame Konsequenz der strukturellen Eigenschaften der Telematik aus. 2. Informationstechnik als Trendverstärker Daß neue Technologien als Verstärker bestimmter, in der Gesellschaft bereits vorhandener Trends wirken und alten Tendenzen — z. B.dem Vordringen bürokratischer Verhaltensmuster — neue Werkzeuge liefern, ist bekannt Ganz besonders gilt dies für die Informations-und Kommunikationstechnik; sie verstärkt vorhandene Zentralisierungs-und Rationalisierungstendenzen. Das weitere Vordringen formaler Elemente jetzt über den Arbeitsbereich hinaus in den Bereich von Freizeit und Familie muß als allgemeine Konsequenz der Informatisierung gewertet werden. Eindeutig verstärkt die Telematik den Prozeß der Entfremdung, indem sie sich mit ihren Maschinen in die zwischenmenschlichen Beziehungen hineinschiebt, im Verhältnis Mensch-Maschine den Stellenwert der Maschine über den des Menschen stellt und so dem Vordringen einer „Computerkultur" Vorschub leistet

Die eigentliche Provokation in diesem Trend zur Überfremdung durch eine vom Computer diktierte instrumentelle Zweckrationalität liegt für den Menschen in den Maschinen der nächsten, der fünften Computer-Generation. Damit sind „Wissensmaschinen" gemeint, die auf der Grundlage von Programmen der „künstlichen Intelligenz" das Wissen von Experten „aufschlürfen" um damit als technische „Expertensysteme" den Menschen von seinen im Lebensprozeß erworbenen Erfah•rungen zu entleeren. Diese Übertragung des fachlichen Könnens von den Menschen auf die Maschine wird aber nicht nur einige Experten berühren. Die entsprechend ausgerüsteten Technologien erfassen auch breitere und tiefere Zonen der Qualifikationspyramide: „Beispiele dafür sehen wir im Bereich des . Computer Aided Engineering das erlaubt, mit weniger Routine auszukommen, weil bereits ein großer Teil routinemäßigen Ingenieurwissens im Rechner implementiert ist.

Ähnliches bieten uns Textsysteme moderner Bauart, die, mit eingebautem Lexikon oder Grammatik, in der Lage sind, synthetische Briefe zu erzeugen. Roboter schließlich sind als intelligente Systeme fähig, mit höherer Präzision, also nicht nur ausdauernder und zuverlässiger, sondern auch noch mit höherer Präzision und deshalb besserer Qualität zu arbeiten und gestatten insgesamt eine ökonomisch rationellere Fertigung." Deutlich ist dabei, daß Facharbeiter, Techniker, Büroangestellte, aber auch Spezialisten die von diesen neuartigen Maschinen mehr oder weniger Betroffenen sind.

Diese technischen Möglichkeiten zur Enteignung und Mechanisierung des Wissens im Bereich dieser breiten Berufsqualifikationen liegen in der Logik der von der industriellen Gesellschaft nicht zu trennenden Rationalisierungsbemühungen — die Telematik ist dabei ein neuartiges Instrument zur Verstärkung dieses Prozesses. Was da wirkt, ist nicht die abstrakte Vernunft der Aufklärung im Sinne der Befreiung des Menschen, es ist das übersteigerte Walten einer Zweck-Mittel-Logik, die tendenziell alle Lebensäußerungen dem Gesichtspunkt quantitativer Effektivität unterwirft Diese macht nicht halt vor der Subjektivität des Menschen, seinen von der Natur mitgegebenen Fähigkeiten zu assoziativem Denken, zur Kombinatorik, zur logischen Deduktion, zum wechselseitigen zwischenmenschlichen Dialog.

„Menschen, die ständig mit routinierten Abläufen zu tun haben, werden selbst in gewisser Weise routinen-und automatenhaft." Die Instrumentarisierung und Anpassung des Menschen an die Regeln einer technischen Funktionslogik verwischt die für ein „KopfZeug" (wie dem Computer) so besonders kritische Abgrenzung zwischen menschlicher und maschineller Kompetenz. Lange entwickelte Begriffe der menschlichen Kultur wie „Wissen", „Dialog", „Partner" und „Intelligenz" werden auf Maschinen abgebildet, selbst (oder gerade wenn) auch nur Teilbereiche davon verwendet werden Die Versuchung, die Regelhaftigkeit von Computern auch auf das „normale" Leben zu übertragen, ist groß für jene, deren Wirklichkeitserfahrung von Computern, Kabeln, Terminals und den in den Computerprogrammen vorgegebenen starren Interpretationen der sozialen Realität bestimmt wird. Vielleicht ist dies aber nur eine Übergangsphase. Denn umgekehrt gibt es auch Tendenzen, die Rationalität, das Denken und alles Verstandesmäßige, was als Kennzeichen des Menschen gilt, ganz dem Computer zu überlassen, um sich auf das Emotionale, das damit als der wahre Kern des Menschen erscheint, zurückzuziehen. Das boomartige Vordringen von Mystik, Meditation, von Esoterik dürfte hier seinen Ursprung haben. Nicht zuletzt — und das ist von besonderem Interesse hier — könnte die Hinwendung zu neuen Werten, anderen gesellschaftlichen Zielen, die Entwicklung eines neuen ganzheitlich orientierten Bewußtseins auch als Reflex einer inneren Flucht des Menschen vor der Einbindung in die instrumentelle Welt der hochtechnisierten Gesellschaft interpretiert werden. Dieser Aspekt wird noch von Interesse sein.

Wer viel mit inhaltsentleerten Symbolen umgeht, sich oft als Herrscher in der programmierten Kunstwelt des Computers aufhält, sich in ausgearbeiteten Sonderwelten abkapselt, der bekommt Probleme im Umgang mit dem Mitmenschen Die gefühlsmäßige Kontaktfähigkeit wird zerstört, das Vermögen zur sinnlichen Erkenntnis der Wirklichkeit erlahmt. Die Enteignung von Erfahrung, das Vordringen von technischem Funktionswissen schafft Verletzlichkeiten und Abhängigkeiten vom Computer. In dem Maße, wie die direkt-wechselseitige zwischenmenschliche Kommunikation durch eine technische Kommunikation ersetzt wird, geht der Demokratie eine politische Substanz verloren, nämlich die Entwicklung und Einbringung kommunikativer Kompetenzen, gepaart mit individuellem Erfahrungswissen. Weil die mediale Kommunikation die interpersonale Kommunikation verdrängt, die Bildorientierung über die Wortorientierung dominiert, Maschinen-Denken zum zeitgemäßen Denken wird, breitet sich rationales Denken aus, wird Mehrdeutigkeit durch formale Eindeutigkeit ersetzt, werden Simulationen bevorzugt, bei denen aus bekannten Bedingungen eindeutige Maßnahmen abgeleitet werden

Ob sich aber diese Tendenzen in Richtung, Tempo und Intensität durchsetzen, ist prinzipiell offen in dem Sinne, daß eine bestimmte Entwicklung für möglich und wahrscheinlich gehalten wird. Sie ist nicht zwangsläufig, zumal, wie angedeutet, auch Entwicklungen vorstellbar sind, wonach der Mensch als hoch-komplexes, dem Computer weit überlegenes Wesen fähig ist, die eigentlich als persönlichkeitsschädigenden Risiken einzuschätzenden Konsequenzen der Informatisierung „wegzustecken", d. h. in neue Hoffnungen umzusetzen.

Informationstechnik als Trendverstärker? Ja! Vordergründig fördern die verwandtschaftlichen Prinzipien von Informatisierung und Bürokratisierung — unter verstärktem Einsatz neuer Wissensmaschinen — die Prägung des menschlichen Denkens nach den formalisierten Regeln des Computers.

Aber könnte dies nicht eine Durchgangsstation sein? Verstärken sich nicht gerade dadurch auch Tendenzen, die von einer neuen Denkweise im Hinblick auf alte Probleme gekennzeichnet sind? Warum beobachten wir in den letzten zehn Jahren, und zunehmend deutlicher, daß der vertraute Gedankenrahmen unseres mechanistischen Weltbildes von vielen nicht mehr als ausreichende Perspektive zur Bewältigung der Zukunft akzeptiert wird? Warum entdecken viele in sich, daß es von Natur aus eine Einheit von Körper und Geist gibt, und die Vernachlässigung, die Verdrängung der spirituellen Qualität des menschlichen Seins eine Verkümmerung von Lebensmöglichkeiten darstellt? Ist die persönliche und gesellschaftliche Transformation im Denken und Bewußtsein, die Definition und der Glaube an eine den Menschen, nicht Institutionen, in den Mittelpunkt stellende Politik — wir nennen diese Vorgänge Werte-wandel, sozialer Wandel — nicht längst ein sozialer Prozeß, der wie eine „Verschwörung" um sich greift und neue, fundamental andere politische Prinzipien zum Tragen bringen will? (Otto Schily: „Die Grünen vertreten eine andere politische Kultur.“) Fördert die „Entmenschlichung der Kommunikation" die Hervorbringung übergeordneter Werteprinzipien, wonach die Wiedervereinigung von Natur und Kultur, von technischer Welt und natürlicher Welt zur Maxime einer „neuen Politik" werden muß? Objektiviert sich eine veraltete Vorstellung von menschlichem Wissen gerade zu dem Zeitpunkt in maschinellen „Expertensystemen", zu dem immer mehr Menschen erkennen, daß es auf ein „höheres Prinzip", also auf ganzheitliche Sichtweisen und persönliche Sinnerfüllung, ankommt? Wird formalisiertes Denken, gefördert durch die Telematik, gerade dann zu einem Massen-phänomen, da die moderne Naturwissenschaft dieses elementaristische, mechanistische Weltbild weithin für überwunden und obsolet erklärt?

Daß die neuen sozialen Bewegungen als Reflex der Risiken des technischen Fortschritts begriffen werden können, ist sozialwissenschaftliches Allgemeingut Die Feststellung, daß die Informatisierung die Tendenzen zur Mechanisierung jetzt auch der geistigen Tätigkeit verstärkt, scheint das durch die neuen sozialen Bewegungen repräsentierte neue Bewußtsein weiter zu verstärken. Eine kühne Annahme? Welche Mechanismen und Erklärungsmodelle sind erkennbar, um die Dynamik der Hervorbringung einer — nach konventionel-len Maßstäben — alternativen gesellschaftlichen Zukunft zu fördern und welche Prinzipien sind dabei bestimmend?

III. Der Zusammenprall von Wellen

1. Alternative gesellschaftliche Zukünfte Wir leben in einer Periode des Umbruchs. In der sozialen Realität sind unschwer eine Fülle von Elementen, Trends, Polarisierungen und Stimmungen erkennbar, die, würden sie geordnet, die Annahme bestätigen könnten, daß wir an einem historischen Kreuzungspunkt stehen: Es öffnen sich Wege für alternative gesellschaftliche Zukünfte.

Unterschiedliche Zukunftsvorstellungen finden je für sich Anhänger. Dies gibt sowohl der einen als auch der anderen Richtung die Wirkungskraft. Zukünfte entwickeln sich nur selten als etwas völlig Neues: Immer sind Vergangenheit und Gegenwart und vor allem die davon geprägten Menschen dabei -Irgendetwas geschieht, geht in diesen Menschen vor, deutlich zumal in hochentwickelten Industriegesellschaften. Scheinbar plötzlich erkennen und glauben mehr und mehr Menschen, daß nur noch ein radikaler Wandel unserer gesellschaftlichen Institutionen, Wertebegriffe und Vorstellungen die eng miteinander verbundenen und stark voneinander abhängigen Probleme lösen kann.

Der Glaube an den technischen Fortschritt als Problemloser ist abhanden gekommen. Dieser Überzeugung folgt ein anderes Realitätsempfinden, eine andere Interpretation von „Wahrheit". Diese Version der Denk-und Sichtweise sieht in der sozialen Realität eine Fülle von Anzeichen heranwachsen und aufkeimen, die auf eine dramatische Veränderung in den Gedanken, Wahrnehmungen und Wertebegriffen schließen lassen. Hier wird ein neues Weltbild, ein neues Paradigma, definiert, empirisch (u. a. neue soziale Bewegungen) abgesichert, zyklentheoretisch begründet und politisch formiert. Das neue Paradigma ist von einer ganzheitlichen ökologischen Sicht geprägt. Diametral entgegengesetzt wirkt aber weiterhin noch jenes Weltbild, das die letzten Jahrhunderte strukturiert hat, nämlich die Version von „Wahrheit", die glaubt, daß die wissenschaftliche Methode der einzig gültige Zugang zum Wissen ist, welche von einer Trennung von Geist und Materie ausgeht. Diese begreift Natur als ein mechanisches System, postuliert das Leben in der Gesellschaft als einen Konkurrenzkampf und setzt auf die Richtigkeit eines unbegrenzten materiellen Fortschritts durch wirtschaftliches und technologisches Wachstum.

Diese „Wahrheit" steckt in einer fundamentalen Krise — sagen die einen. Jetzt komme das Zeitalter neuer Konzepte von Raum, Zeit und Materie. Sie werde Wirtschaft und Technologie anders („menschengemäßer") strukturieren; eine ökologische und feministische Betrachtungsweise werde vordringen. Kurz: Das Neue habe eine spirituelle Qualität — sagen die „Verschwörer im Zeichen des Wasser-mannes"

Die Gläubigen der materiellen „WachstumsGemeinde" sehen dagegen aber gerade jetzt, mit Hilfe des Computers, eine weitere Chance zur Bewältigung der Zukunftsprobleme durch „Superindustrialisierung"

Was stimmt denn nun? Beides — zunächst noch! Dies läßt sich im Rahmen zyklentheoretischer Annahmen über den Verlauf des sozialen und wirtschaftlichen Geschehens in den letzten Jahrhunderten bis heute einigermaßen plausibel begründen. Das Denken in Zyklen, in Wellen, sensibilisiert für neue Möglichkeiten zur Analyse sozialer und politischer Prozesse und damit auch für die Möglichkeit zur Gestaltung der Zukunft. Die Betrachtung der Geschichte, sei es die — zeitlich kürzere — der industriellen Gesellschaft oder die — zeitlich längere — der kulturellen Werthaltungen aus der Perspektive zyklen-theoretischer Entwicklungsmodelle, wird eine Fülle von Phänomenen feststellen, die mit eindeutiger Regelmäßigkeit wiederkehren. Über den kausalen Zusammenhang, der diese Regelmäßigkeit hervorbringt, ist damit noch nichts gesagt

Die Erforschung der langen Wellen hat eine inzwischen hundertjährige Geschichte. Die Untersuchungen über „lange Wellen“ konzentrieren sich auf die industrielle Entwicklung seit der Französischen Revolution. Ziemlich einheitlich ist das Bild der langen Perioden, welches von den „Wellenforschern" über den Verlauf und die zentralen „Wende" -Ereignisse der Industrialisierung angegeben wird: Die erste Periode der Mechanisierung — durch die Dampfmaschine und den Webstuhl — begann mit der Französischen Revolution und reichte bis zur Zeit der Revolution von 1848. Die nächste Welle, sie stand im Zeichen der Eisenbahn, beginnt 1848 und reicht bis 1893. Die dritte Welle ist die der Elektrifizierung und dauerte bis zum Anfang des Zweiten Weltkrieges. Die letzte Welle, deren Ende noch nicht erreicht ist, steht unter dem Zeichen der Massenmotorisierung.

Diese Industrialisierungswelle läuft noch, und schon deutet sich mit der Mikroelektronik eine neue Innovationswelle an, mit den damit gegebenen Möglichkeiten zum informationell orientierten Umbau industrieller und bürokratischer Strukturen. Es ist festzuhalten: Diese „langen Wellen" umfassen Perioden von ca. 50 Jahren und orientieren sich an technologischen Innovationen. Eine solche „kurzfristig" orientierte zyklentheoretische Betrachtung der Vergangenheit mit ihrer inhaltlichen Verengung auf technische Basiserfindungen hat keine Maßstäbe für die Existenz und Wirksamkeit von tatsächlich längerfristigen Wellen, d. h. von Trends und Phänomenen, die über das „künstliche" System Industrie hinausgehen, um z. B. auch Veränderungen der Bewußtseins-und kulturellen Verhaltensformen im Zeitablauf zyklisch zu erfassen.

So ist z. B. für Toffler die erste Welle die Agrarrevolution: Sie dauerte von 8000 v. Chr. bis ungefähr 1650/1750 n. Chr. Die zweite Welle ist der Prozeß der Industrialisierung und beanspruchte nur zwei Jahrhunderte.

„Heutzutage geht die Entwicklung noch weitaus schneller vonstatten, und so wird wahrscheinlich die dritte Welle innerhalb weniger Jahrzehnte über uns hinwegfegen." Für Toffler (und erst recht für Kahn) ist die neue Periode im Grunde eine alte, nur mit neuen Technologien, also eine „Superindustrialisierungs-Welle". Aber dies ist nur eine Version der sozial wirkenden „Wahrheit". Die andere geht von real langfristigen Zyklen aus, ist aber nicht an Dingen, also z. B. Innovationen, orientiert, sondern an Tierkreiszeichen, an Sternbildern. Vertreter dieser vielleicht umfassenderen Vision von „Wahrheit" denken in Wellenlängen von 500 bis 1000 Jahren. Danach stehen wir in einer „Wendezeit", weil am Ende dieses Jahrtausends das alte, also materialistisch-naturwissenschaftlich geprägte Weltbild durch ein neues, ganzheitliches Paradigma abgelöst wird. Nicht zufällig trifft dies genau zusammen mit dem Übergang in das Zeitalter des Aquarius, des Wassermanns. „Astrologische Zyklen stellen die ältesten und umfassendsten Erklärungsmodelle für die Entwicklung des Menschen dar. So zeigen die letzten fünf, sechs langen Wellen, die immer im Zeichen eines Tierkreises stehen, interessante Analogien zur Realität." Danach ist der bevorstehende Übergang um das Jahr 2000 von Bedeutung: Das Zeitalter der Fische, geprägt vom Christentum und dem Vordringen westlicher Denkweisen, wird durch das Wassermann-Zeitalter abgelöst, das die Menschheit als eingebettet in die Natur betrachtet. Offenbar wird die Zahl der an diese „Zukunftsversion" glaubenden Menschen immer größer.

Was wir also zur Zeit als Umbruch konstatieren, als Auflösung von Identitäten erkennen, als Orientierungslosigkeit und Ortlosigkeit bewerten — bei weiter bestehender Kontinuität formaler Strukturen, Institutionen und Ritualen —, ist das Wirken, der Zusammenprall, die Kollision zweier Kulturen, zweier Wahr-heiten, eben zweier Wellen: Einer neuen Innovationswelle — wobei allerdings das Prinzip des Industrialismus historisch auf dem absteigenden Ast sitzt — und einer Welle des „neuen Bewußtseins", die erst noch voll zum Durchbruch kommen soll, aber eben schon wirksam ist. „Computopia" und „sanfte Wende" könnten als Stichworte für die gesellschaftliche Wirksamkeit zweier extremer Geistesauffassungen stehen. Was charakterisiert sie? Befruchten die Konsequenzen der einen Welle vielleicht erst recht die Hervorbringung der anderen Welle?

III. Computopia und/oder „Sanfte Wende"

„Computopia" ist ein Wortgebilde, das einen umfassenden, geschichtlich belegbaren und damit „besetzten" Begriff mit einer modernen technologischen Vokabel zusammenspannt: Utopia und Computer.

Utopia zielt auf Utopie als ein Ort für Sehnsucht, Flucht und Projektion. Dieses „Nirgendsland" könnte „Gegenbild" von heute, aber auch Endpunkt von Entwicklungen bedeuten. Gegenwartserfahrung wird in die zeitliche und räumliche Ferne hochgerechnet. Utopien zu haben ist für viele ein Gefühl der Befreiung, enthebt es doch der Konfrontation mit unvorhergesehenen Veränderungen. Die Entwicklung, das Weiterschreiten vollzieht sich dann nicht mehr wahllos, ziellos, orientierungslos, zufällig, schicksalhaft, sondern steuerbar, prognostizierbar, erkennbar. Die Projektion der Utopie ist die „Führungsgröße"; die Gesellschaft wird zum Objekt, das „geregelt" wird — und zwar durch den -Regler, also den Computer

i Unsere hochtechnisierte Zivilisation wird mit der Integration des Computers und dessen Vernetzung in alle Bereiche sozialer Realität regelbar — die gleichgeschaltete, technisch steuerbare „Gesellschaft" der Zukunft —, genannt wird sie die „Informationsgesellschaft" Diese Zukunftsgesellschaft steht im Zeichen der Telematik, also einer neuen, globalen Informationsordnung.

Information ist darin zur Ware geworden; sie hat zur Neo-Kolonialisierung zwischen denen geführt, die Computerdaten haben, und jenen, die informationell abhängig sind. Die Gleichschaltung der geistigen Tätigkeit war als eine zentrale Konsequenz dieses Computopias herausgearbeitet worden. Die Hinwendung zum Emotionalen, die wachsende Begeisterung für Fantasy und Mystik, für „Selbstgemachtes", also die Förderung der Wiedergeburt traditionsreicher alter Techniken, war als mögliche Flucht aus der Rationalität der technischen Gesellschaft, als Flucht vor der künstlichen Realität des Computers angedeutet worden.

Andr Gorz macht aber noch auf eine für uns hier interessante weitere Konsequenz von Computopia aufmerksam, nämlich der wahrscheinlichen Tatsache, daß der Beschäftigungseffekt informationserzeugender und -verarbeitender Tätigkeiten weitgehend ausbleiben wird: „Nehmen wir an, daß das jährliche Wirtschaftswachstum ab jetzt bis zum Beginn des nächsten Jahrhunderts 2 bis 2, 5 % betragen wird, d. h. daß es von heute bis zum Jahr 2001 insgesamt 40 bis 50% ausmachen wird. Nehmen wir des weiteren an, daß sich die Produktivität in Zukunft nicht schneller erhöht als bisher, nämlich um 3, 5 bis 4 % pro Jahr. Die Arbeitseinsparung, die wir somit bis zum Jahr 2001 zu verzeichnen hätten, würde sich auf ungefähr 30 % belaufen. Man könnte also 40 bis 50 % zusätzlichen Reichtums mit einem um ein Drittel reduzierten Arbeitsquantums erzeugen."

Daraus folgt: Wenn ein weiterer Anstieg der Arbeitslosigkeit vermieden werden soll, muß die jährliche Arbeitsdauer (bei uns zur Zeit etwa 1 600 Stunden pro Jahr) um ein Drittel herabgesetzt werden. Das wiederum aber würde heißen, daß die Lohnarbeit nicht mehr eine einzige Tätigkeit und Hauptinhalt des Lebens zu sein braucht. Es wird für viele, nicht nur für die Jungen und die Erwachse-nen über 55, ein Wachstum an Zeit geben, also an Möglichkeiten für selbständige, auf selbstbestimmte Ziele ausgerichtete Aktivitäten auf der Ebene von Basisgemeinschaften, in Netzwerken, in Kooperativen usw. Selbstbestimmte Tätigkeiten oh ein Wachstum an Zeit geben, also an Möglichkeiten für selbständige, auf selbstbestimmte Ziele ausgerichtete Aktivitäten auf der Ebene von Basisgemeinschaften, in Netzwerken, in Kooperativen usw. Selbstbestimmte Tätigkeiten ohne wirtschaftliches Ziel, weil die Automaten, die Roboter, die Wissensmaschinen nahezu alles Technische machen und wissen, könnten im Bereich ästhetischer, philosophischer, anthroposophischer Werte zu Kreativitäten führen, die das Humane, Ganzheitliche im Menschen und in bezug zur Natur auf eine neue zukunftsöffnende Grundlage stellen. Durch Computerisierung zur humanen Gesellschaft? Diese Schlußfolgerung aus dem Wirken von Telematik und was diese mit dem Menschen macht, scheint verwegen. Klaus Haefner hat diese Fiktion einer „human computerisierten Gesellschaft" als konsequente Weiterentwicklung der eingeleiteten Integration des Computers als Utopie für die Zukunft propagiert 53).

Aber das hat es noch nie gegeben, daß der technologische Wandel an sich befreiend wirkt — was Haefner auch so nicht behauptet. Die Dimension des Politischen und die Wirksamkeit von sozialen und politischen Prozessen kommen bei ihm aber zu kurz. Der Appell an die „Politik" von heute, also an die kanalisierten Interessen, an routinisierte Entscheidungsverfahren ist zu sehr an Institutionen fixiert — denn real geschieht nichts, was darauf schließen läßt, daß die etablierte Politik die sozialkulturelle Herausforderung der Telematik als Handlungsanforderung begriffen hätte. „Ohne kulturellen und politischen Willen wird sich das befreiende Potential einer bestimmten Technologie nie verwirklichen." (Gorz). Allerdings ist dieser Wille wohl nicht in der formierten, industriegesellschaftlich orientierten Interpretation von „Wahrheit" zu suchen. Tatsache bleibt aber, daß allein Wertvorstellungen die eigentliche Grundlage und Triebkraft für zielgerichtetes Handeln sind. Und diese Werte wandeln sich. Wir stehen mitten im kulturellen Wandel, eines Wandels der Wertvorstellungen und Weltbilder, und dies könnte, so glauben tatsächlich viele, mit dem Eintritt ins Wassermann-Zeitalter die „sanfte Wende" beschleunigen. Fördert also die Telematik die sanfte, ökologisch orientierte Wende? Wird also unter dem Druck des Computers die Frage nach dem Geist im Verhältnis zur Maschine zu einem zentralen kulturellen Thema? Schaffen neue Wertvorstellungen und neue Verhaltensweisen andere Formen direkter Politik?

Woran konkret orientiert sich die „sanfte Wende"? Die „sanfte Wende" — wie sie sich in Szenarien mit Stichworten wie „Okotopia", „Findhorn" und „Gaia" spiegelt 54) — orientiert sich an Naturgesetzmäßigkeiten, an Prinzipien der „Selbstgestaltung des Lebendigen" 55);

sie geht von einem untrennbaren, gleichgewichtigen Gefüge von Mensch, Gesellschaft und Natur aus, um dies als Vorbild für eine neue politische Kultur, eine neue Politik, zu nehmen. Es gilt dabei, Naturzwecke und Gesellschaftsinteressen aufeinander abzustimmen, die politischen Prozesse und Organisationen in die natürlichen Abläufe einzupassen, also auf natürliche Gesetzmäßigkeiten hin zu ordnen. Der „energetische Imperativ", die Wechselbeziehung zwischen Ordnung und Energieumsatz, ist dabei zentrales Prinzip. Energie ist Grundkategorie der Erkenntnisse über die Entfaltung aller Arten, die Bewegungen und Beziehungen zwischen ihnen und ihr Verhältnis zum ökologischen System.

Alle Lebens-und Stoffwechselprozesse auf der Welt kommen durch Energieumsatz zustande, sie folgen eigenen Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich auch das ökologische Gleichgewicht selbst regelt. Die Ordnung von Gesellschaft und Staat ist demnach nicht nur von den Produktionsverhältnissen, sondern auch von den Beziehungen zur Leben ermöglichenden Substanz Energie bestimmt Versuche, zu einer energetisch begründeten Gesellschaftsanalyse zu kommen, gab es schon Ende des 19. Jahrhunderts. Daß Politiktheorien schon sehr viel länger durch naturwissenschaftliche Denkmodelle geprägt waren, zeigt sich deutlich bei den Staatstheorien von Hobbes im Vergleich zur klassischen Newtonschen Mechanik

Das Denken in überschaubaren Netzwerken, in Gruppen, das Vertrauen in den Anderen, das Wissen darüber, daß im „alten" Alltag für „Sehende" durchaus schon das Neue erkenn-bar ist — die Zukunft—, gibt vielen Hoffnung. Da wird alles dieses und noch viel mehr aktuell politisch bestimmt, z. B. bei den GRÜNEN in der Bundesrepublik Deutschland durch den Konflikt zwischen „Fundamentalisten" und „Realisten". Der Ansatz: „Wir müssen fundamental bleiben, dann werden wir stärker" — also nicht mit den . Altparteien" zusammengehen — entspringt dem Denken in Zyklen, also der Erwartung, die „Verschwörer im Zeichen des Wassermannes" werden sowieso stärker, ohne sich — zu früh — in Zusammenarbeit mit den etablierten Parteien, die ihren Strukturen entsprechend doch nur Computopia bauen können, zu korrumpieren. Zu fragen wäre, welche Rolle könnte die Technologiefolgenabschätzung in diesem sozialen Prozeß einnehmen?

IV. Zur Kompetenz der Technologiefolgenabschätzung

Der Versuch, die psychosozialen Konsequenzen des Computers mit den bekannten Methoden der Technologiefolgenabschätzung (TA) zu erfassen, wird scheitern. Womit soll wissenschaftlich abgewogen werden zwischen dem, was bei der Rationalisierung an handwerklichen Werten im einzelnen verloren geht, und dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen verbreiteter Massengüter? Welcher Arbeitsplatz ist befriedigender, der eines Drehers oder der des Bedieners einer rechnergestützten Werkzeugmaschine?

Die Entwicklung der TA zeigt, daß die Beurteilung von „technologischen Systemen" wissenschaftlich zwar zu leisten ist, aber allein mit wissenschaftlichen Mitteln sind keine Probleme zu lösen. Es gibt keine objektiven wissenschaftlichen Methoden, um das jeweilige Für und Wider der Nutzung der Technik und gar ihrer zukünftigen Entwicklung zweifelsfrei zu ermitteln. Dazu ist deren Verflechtung mit Traditionen und kulturellen Werten zu eng. Diese Verengung verschärft sich noch in Zeiten des Wertewandels; noch weniger ist es möglich, von einer breiten, gesellschaftlich getragenen Zukunftsgestaltung zu sprechen. Im sogenannten Spiel der Herrschenden aus Wirtschaft und Politik wird Zukunft geformt: Mit den neuen technologischen Möglichkeiten der Telematik soll Computopia gebaut werden. Wirkungsforschung gerinnt dabei zur Akzeptanzforschung (z. B. bei Kabelpilotprojekten: Welche TV-Programme werden von wem gesehen? Einschaltquoten? usw.) und wird als Legitimations-und Durchsetzungsinstrument mißbraucht. Alle heute bekannten Konsequenzanalysen sind technologiefixiert, kaum sozialorientiert, geschweige denn fähig, die Deformationen des psychischen Verhaltens unter dem Einfluß des technischen und bürokratischen Formalismus abzuschätzen.

Technologiefolgenabschätzung ist ein Reflex des technischen Wandels, sie ist institutionell überhöht — ein Expertenthema. Aus methodischen Gründen muß sie warten, bis das zu bewertende technologische System installiert ist, um in der Praxis nach Veränderungen im sozialen Umfeld der neuen Technologien zu forschen (neue Qualifikationen, anderer Arbeitsablauf usw.). Von Rückholbarkeit einer einmal eingeführten Technologie aus Gründen, die eigentlich aus nicht zumutbaren sozialen und kulturellen Veränderungen infolge der Einführung der neuen technischen Entwicklung herrühren, kann keine Rede sein. Wir halten es für selbstverständlich, daß die Dynamik technologischer Prozesse eine ganze Gesellschaft erfaßt und verändert.

Ob sich als Reflex dieser undemokratischen Praxis in der Einführung neuer Leittechnologien in nächster Zeit wohl ein Denkansatz durchsetzt, der den breiten gesellschaftlichen Einsatz von Massentechnologien abhängig macht von der Frage, ob und wieweit gesellschaftlich akzeptierte Ziele damit erreicht werden können? Gerade im Zeitalter der Telematik könnten diese Ziele das Recht auf menschengemäße Arbeit, das Recht auf informationelle Souveränität, das Recht auf Schutz der Persönlichkeit sein. Läßt sich daraus nicht ein Ansatz formen, der die Veränderung der Gesellschaft und damit der Menschen durch Informatisierung und deren kulturellen Konsequenzen abhängig macht von einem breiten gesellschaftlichen Konsens darüber, ob es akzeptabel sein kann, daß ein kurzfristiger wirtschaftlicher Nutzen den länger nachwirkenden sozialen und humanen Schaden sowie die nicht mehr ersetzbaren kulturellen Verluste übersteigt?

Ein solcher „gesamtgesellschaftlicher" Dialog über die Wünschbarkeit und Einsetzbarkeit „strategischer" Technologien, also solcher, die, sollen sie effektiv sein, auf eine Veränderung und technisch diktierte Formierung der Gesellschaft angewiesen sind, ist, gemessen an der hierarchisch gefestigten Herrschaftsstruktur entwickelter Industriegesellschaften und auf der Basis der „harten" Technik von heute, eine Illusion.

Wer aber will garantieren, daß mit zunehmender Hinwendung zu einem neuen Weltbild, zu anderen Wertorientierungen, mit neuem Wissen und damit neuem Bewußtsein nicht doch die Zersplitterung der Wissenschaft, die Betonung formaler Objektivität, aufgegeben wird? Können sich nicht alle die irren, die glauben, daß die Zukunft überraschungsfrei sei, weil weitgehend technisch alles schon festgelegt ist. Dieser Irrtum kann darin liegen — und die letzten Jahre, in denen die Möglichkeiten alternativer Denkweisen zunächst ignoriert, dann belächelt, dann schlecht kopiert wurden, haben es gezeigt —, daß es für immer mehr Menschen neue Hoffnungen und Perspektiven auf einen den Menschen und seine natürliche Umwelt in den Mittelpunkt stellenden Weg in die Zukunft gibt. Die soziale Dynamik, die mit der Ausbreitung neuen Bewußtseins verbunden ist, könnte auch die Rolle der Technologie in der Gesellschaft auf ein „menschengemäßes" Maß zurückführen. „... wir vergessen vor allem, daß wir selbst ein Stück Geschichte sind, etwas Gewordenes, und etwas, das zum Absterben verurteilt ist, wenn es die Fähigkeit zu weiterem Werden und Sichwandeln verliert" (Hermann Hesse). Die Fähigkeiten haben wir. Die neuen Ansätze des Wandels sind vorhanden, fundamental und grundsätzlich: Das neue Bewußtsein ist revolutionär — wie die Telematik. Das Eine setzt auf die Umkehrung von Prioritäten, auf die Befreiung des menschlichen Geistes aus den immer umfassender werdenden Zwängen der technologischen Rationalität. Das Andere setzt auf die Kontinuität, also auf die Vergangenheit, um mit dem technologisch Neuen die Zukunft zu bewältigen. Aber diesem Versuch, die Geschichte auch weiterhin als Prozeß des Fortschreitens in immer bessere Verhältnisse zu deuten, scheint etwas wesentliches verloren zu gehen, die Jugend: „Die Mehrheit der Jugendlichen glaubt nicht mehr an die . natürliche Höherentwicklung', an den evolutionären Gang der Geschichte hin auf ein besseres Leben. Für sie hat die industrielle Zivilisation an Attraktivität verloren" (Jugendwerk der Deutschen Shell, 1981).

Fussnoten

Fußnoten

  1. Begriffe wie „Informatisierung", „Umbruchprozeß", . Expertensysteme" werden unten inhaltlich eihgeführt und in ihren Konsequenzen offengelegt. 1979.

  2. Vgl. C. Amery, Natur als Politik, Reinbek 1976; G. Zellentin, Abschied vom Leviathan, ökologische Aufklärung über politische Alternativen, Hamburg

  3. Die technologisch neue Qualität wird hier insbesondere in der gesellschaftlich nicht kontrollierten Selbständigkeit automatisch kommunizierender Informationssysteme gesehen. Vgl. unten das Kapitel „Zur Logik der Telematik".

  4. Vgl. dazu zum Beispiel U. Briefs, Alternativen zur Rationalisierungstechnologie — Computerisierung unter den Bedingungen der ökonomischen Stagnation und Krisenhaftigkeit, in: O. Ulrich (Hrsg.), Die Informationsgesellschaft als Herausforderung an den Menschen, Frankfurt 1984, S. 79— 92; D. Janshen, Kabelfernsehsysteme im Rationalisierungsprozeß der Industriegesellschaft, in: Politische Vierteljahresschrift, (1979) 2, S. 135— 152.

  5. Vgl. dazu zum Beispiel K. Lenk, Informationstechnik und Gesellschaft, in: G. Friedrichs/A Schaff (Hrsg.), Auf Gedeih und Verderb. Mikroelektronik und Gesellschaft. Bericht an den Club of Rome, 1982, S. 289— 326; W. Steinmüller, Computer in öffentlichen Verwaltungen, in: Leviathan, (1975) 4, S. 508— 543.

  6. Vgl. F. Capra, Ende oder Wende? Optionen der Informationsgesellschaft, in: gdi impuls, (1984) 3, Rüschlikon 1984.

  7. Zur Problematisierung der Unterschiede zwischen menschlicher und technischer Informationsverarbeitung vgl. K. Haefner, Die neue Bildungskrise, Basel 1982, S. 105 f.

  8. Vgl. dazu die Tagung der OECD im November 1984 in Berlin zum Thema: 1984 und danach. Gesellschaftliche Herausforderung der Informationstechnik.

  9. Ein Paradigma ist ein Gedankenrahmen (vom griechischen paradeigma: Muster). Ein Paradigma ist ein Schema, um gewisse Aspekte der Wirklichkeit zu verstehen und zu erklären. Ein Paradigmenwechsel ist eine eindeutig neue Denkweise im Hinblick auf alte Probleme. Das neue Paradigma wird nicht „berechnet", sondern plötzlich gesehen: Einsteins Spezielle Relativitätstheorie bildete das neue Paradigma, das Newtons Beschreibung mechanischer Kräfte ersetzte.

  10. E. Bloch, über das Problem Nietzsches, in: Das freie Wort, (1906) 6, S. 566— 570, wieder abgedruckt in: Ernst-Bloch-Archiv, Ludwigshafen (Hrsg.), Bloch-Almanach, 3. Folge, 1983, S. 76— 80.

  11. Vgl. C. Bohret, Wohin steuern wir? Alternative Zukunftsperspektive am Ende des 20. Jahrhunderts, Speyer 1981.

  12. Vgl. R. Lutz, Die sieben Zukünfte. Szenarien für die sanfte Wende, in: gdi impuls, (1984) 2, Rüschlikon 1984.

  13. Der entscheidende qualitative Sprung in den sozialen Auswirkungen wird nach der Integration der verschiedenen Datennetze eintreten.

  14. Vgl. dazu: Konzept der Deutschen Bundespost zur Weiterentwicklung der Fernmeldeinfrastruktur, Bonn 1984. ISDN steht für „Integrated Services Digital Network" und meint die Absicht, die verschiedenen Netze und Dienste der Post in einem einzigen „dienstintegrierten" Netz zusammenzufassen.

  15. Aus der Fülle der Literatur vgl. insbesondere auch wegen des didaktischen Aufbaus C. Bohret /P. Franz, Technologiefolgenabschätzung. Institutioneile und verfahrensmäßige Lösungsansätze, Frankfurt 1982.

  16. Vgl. F. Kienecker, Kommunikationstechnologie und Kulturverantwortung, in: Archiv für das Post-und Fernmeldewesen, (1984) 2, S. 140— 147.

  17. Vgl. als Klassiker S. Nora/A Mine, Die Informatisierung der Gesellschaft, Frankfurt 1979.

  18. Was ist Information? Allgemein gilt, wenn für einen Menschen eine Nachricht aus gegebenem Anlaß und in einer konkreten Situation eine besondere Bedeutung erlangt, wird sie zur Information. M. a. W.: die digital aufbereiteten Nachrichten (technischer, wirtschaftlicher, sozialer, personaler Art) sind Daten und solange keine Information, als nicht ein Mensch oder ein technisches Gerät aus bestimmtem Anlaß, in konkreter Situation mit spezifischem Interesse diese Daten dann als zweckgebundene Information abfragt. Die Literatur zur Problematik des Informationsbegriffes ist sehr groß; vgl. zum Beispiel J. Schnepel, Gesellschaftliche Ordnung durch Computerisierung, Frankfurt 1984, S. 33 f.

  19. Vgl. dazu u. a. BMFT (Hrsg.), Konzept der Bundesregierung zur Förderung der Mikroelektronik und der Informations-und Kommunikationstechnik, Bonn 1984.

  20. Zu den Argumenten der Telekommunikations-Industrie vgl. u. a. die Beiträge der Vertreter von Siemens, SEL, IBM auf der 25. Post-und Fernmeldetechnischen Fachtagung des Verbandes Deutscher Post-Ingenieure vom 5. bis 6. April 1984 in Hannover.

  21. Das Telefonnetz in der Bundesrepublik Deutschland ist das flächenmäßig am dichtesten ausgebaute Netz. Es hat die bei weitem größte Teilnehmerzahl (25 Mio.), es dient der geschäftlichen wie auch der privaten Kommunikation, seine technischen Einrichtungen für Massenverkehr sind nicht hoch spezialisiert, daher preiswert. Die technischen Bedingungen sind weitgehend international standardisiert.

  22. „Intelligente Maschinen" meint hier lediglich, daß es ein zentrales Charakteristikum eines jeden telematik-fähigen Gerätes sein wird, die ihm in digital aufbereiteter Form zugeführten Daten (sei es eines Textes, Bildes, Tons, der Sprache) entweder zu speichern, abzugeben, weiterzuleiten, zu empfangen und wieder auszugeben in der gewünschten Informationsart. Diese Aktionen können automatisch, d. h. gesteuert nach Programm, Kennwort usw., ohne Zwischenschaltung eines Menschen ablaufen („selbständig kommunizierende Informationssysteme"); vgl. W. Steinmüller, Informationstechnologien und gesellschaftliche Macht, in: WSI Mitteilungen, (1979) 8, S. 426— 436.

  23. Ein wesentlicher Grund liegt dafür wohl in der „Unsichtbarkeit“ der informationeilen Verknüpfung und der Nutzung z. B. personenbezogener Daten durch Dritte. Die Großtechnologie z. B.des Kernkraftwerkes war sinnlich erfahrbar. Das immaterielle Produkt „Information" ist dagegen nicht konkret erlebbar und nur über äußere Strukturen (Volkszählung, maschinenlesbare Identitätskarte usw.) politisierbar, wie die jüngste Vergangenheit zeigte.

  24. Die Entstehung und Ausbreitung neuartiger, formaler, informationell begründeter Strukturen, Routinen, Standards durch die sich in allen gesellschaftlichen Bereichen und auf allen Ebenen ausbreitende Informatisierung kann als grundsätzlicher Prozeß zur Veränderung spezifisch menschlicher Denkvorgänge bewertet werden. Diese Tendenz der formalen Konsequenzen von Informatisierung (aber auch von Bürokratisierung) muß hier entfaltet werden, weil in der oberflächlich bleibenden Frage nach den „gesellschaftlichen Herausforderungen der Informationstechnik" der Computer nur als neues Instrument begriffen wird, nicht aber in seiner qualitativ neuen Dimension, nämlich als Subjekt, das in den kulturellen Wandel grundsätzlich eingreift; vgl. S. Turkle, Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur, Reinbek 1984.

  25. Vgl. G. Dörr/E. Hildebrandt/R. Seitz, Kontrolle durch Informationstechnologien in Gesellschaft und Betrieb, in: Jürgens/Naschold (Hrsg.), Arbeitspolitik, Opladen 1984, S. 171- 197.

  26. Vgl. K. Lenk (Anm. 5), S. 321.

  27. Das klassische Büromodell Max Webers geht u. a. von dem Merksatz aus, „daß die Bürokratie einen kontinuierlichen regelgebundenen Betrieb von Amtsgeschäften darstellt"; vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Originalausgabe Tübingen 1922, S. 125 f.

  28. „Künstliche Intelligenz“ ist ein unscharfer, vieldeutiger, übergreifender Sammelbegriff für eine Reihe sehr unterschiedlicher Forschungs-und Anwendungsgebiete. Eine weitverbreitete Version der Definition ist folgende: „Die Forschungsrichtung der . künstlichen Intelligenz’ befaßt sich mit dem Bau intelligenter Maschinen, d. h.der Entwicklung von Programmsystemen, die intelligente Fähigkeiten haben. Diese . Wissensmaschinen'sollen Aufgaben bewältigen, die in der Regel menschliche Intelligenz verlangen." Vgl. A. Schwabl. Künstliche Intelligenz und Expertensysteme, in: Die Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, (1985) 1; St. Lem, Gläubige Maschinen, in: Summa technologiae, Frankfurt 1976, S. 211— 223.

  29. „Informationstechnik hat eine Doppelnatur: Wenn sie nicht mit einem Netz von sozialen Innovationen gekoppelt wird, so verstärkt sie gewisse Tendenzen, die der gegenwärtigen Industriegesellschaft immanent sind .. vgl. C. Lutz, Westeuropa auf dem Weg in die Informationsgesellschaft, Rüschlikon 1984.

  30. Vgl. S. Turkle (Anm. 24).

  31. Zit. nach E. Feigenbaum/P. McCorduck, Die Fünfte Computer-Generation. Künstliche Intelligenz und die Herausforderung Japans, Basel 1984, S. 77.

  32. Abkürzungen wie CAD, CAM oder CAE stehen für „computerunterstützter" Entwurf, Fertigung oder — wie hier — Ingenieurtätigkeit (also Planung, Konzeption usw.).

  33. Zitiert nach K. Haefner, Was ist der Mensch gegenüber der intelligenten Maschine?, in: gdi impuls, (1984) 3, Rüschlikon 1984.

  34. Vgl. J. Prott, Rationalisierung von Arbeit und Freizeit — Verlust kommunikativer Kompetenz?, in: Rundfunk und Fernsehen, 32 (1984) 3, S. 330 bis 340.

  35. Vgl. W. Volpert, Macht die Arbeit am Computer stumpf?, in: Blick durch die Wissenschaft, (1984) 11, S. 90— 100.

  36. Vgl. K. Brunnstein, Perspektiven und Risiken der informationstechnischen Entwicklung aus europäischer Sicht, in: O. Ulrich (Anm. 4), S. 14— 32.

  37. Vgl. W. Volpert, Denkmaschinen und Maschinendenken: Computer programmieren Menschen, in: psychosozial, 6 (1983) 18, S. 10— 29; vgl. zu den psychologischen Konsequenzen des Computers auch die Arbeit von S. Turkle (Anm. 24), aber auch J. Weizenbaum, Die Macht des Computers und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt 1977; P. Brödner /D. Krüger /B. Senf, Der programmierte Kopf, Berlin 1982; K. -D. Heß, Automatisierung geistiger Prozesse — Was bedeutet: Menschliche Fähigkeiten verschwinden im Computer?, in: N. Müllert (Hrsg.), Schöne elektronische Welt, Reinbek 1982, S. 124- 145.

  38. Vgl. H. Kubicek, Glasfasernetze als Autobahnen zum elektronischen Büro und zum elektronischen Heim, in: DGB-Landesbezirk Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Medientag 1982, Mainz 1983; H. G. Rolff, Lehren und Lernen in der Schule unter den Bedingungen neuer Informationstechniken, in: O. Ulrich (Anm. 4), S. 132— 147.

  39. Vgl. dazu insbesondere C. F. v. Weizsäcker, Die Einheit der Natur, München 1971; F. Capra, Das Tao der Physik, Bern 1983.

  40. Vgl. zum Beispiel J. Raschke, Politik und Wertwandel in den westlichen Demokratien, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B. 36/80, S. 23— 45.

  41. Vgl. C. Bohret (Anm. 11).

  42. Vgl.den Klassiker der „New-Age-Bewegung“, M. Ferguson, Die sanfte Verschwörung. Persönliche und gesellschaftliche Transformation im Zeichen des Wassermannes, München 1984.

  43. Vgl. u. a. A. Toffler, Die Dritte Welle Zukunftschance. Perspektiven für die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts, München 1983, S. 139 f.; J. Huber, Die verlorene Unschuld der Ökologie, Frankfurt 1982, S. 43.

  44. Vgl. J. Huber (Anm. 43), S. 16.

  45. Vgl. als Basisliteratur über Industrialisierungszyklen: N. D. Kontratieff, Die langen Wellen der Konjunktur, Berlin 1972; J. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Berlin 1952; E. Mandel, Der Spätkapitalismus, Frankfurt 1972; H. Kahn, Der kommende Boom, München 1983; R. Schwendter, Zur Geschichte der Zukunft, Frankfurt 1982.

  46. Dies gilt auch für Kahn (Anm. 45).

  47. Vgl. Toffler (Anm. 43), S. 21.

  48. Hiermit sind in erster Linie die „Theoretiker" des „New Age“ zu nennen, etwa neben Ferguson, Capra auch G. Trevelyan, Eine Vision des Wassermann-Zeitalters. Gesetze und Hintergründe des „New Age", München 1984.

  49. Vgl. R. Lutz (Anm. 12).

  50. Vgl. H. Glaser /K. Stahl, Computopia — oder brauchen wir ein neues Biedermeier?, in: Die Wiedergewinnung des Ästhetischen, München 1974, S. 79— 100.

  51. Die Literatur zum Thema „Informationsgesellschaft" ist mittlerweile kaum mehr zu überschauen; vgl. als eine Grundlage Nora/Minc (Anm. 17).

  52. Vgl. A. Gorz, Ein Weg zum Paradies auf Erden? Mögliche Nutzung der Informationstechnologie für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, in: gdi impuls, (1984) 3, Rüschlikon 1984.

  53. Vgl. Vorwort von Capra in Ferguson (Anm. 42).

  54. Vgl. G. Zellentin (Anm. 2); auch F. Capra, Wendezeit. Bausteine für ein neues Weltbild, Bern 1984.

  55. Vgl. O. Ulrich, Theoriengeschichte und Naturwissenschaften,, in: Politische Vierteljahresschrift, (1984) Sonderheft 15, zum Thema Politische Theoriengeschichte, S. 80— 97.

  56. Vgl. zur historischen Entwicklung der Diskussion über Technologiefolgenabschätzung F. Büllingen, Schmiermittel oder Mittel zur Emanzipation, in: Wechselwirkung, (1984) 22, S. 16— 18.

  57. Die aufgezeigten Industrialisierungszyklen stehen jeweils im Zeichen einer solchen Leittechnologie: z. B. Eisenbahn, Mikroelektronik.

Weitere Inhalte

Otto Ulrich, Dr. rer. pol., geb. 1942; Physik-Ing. (grad.), langjährige industrielle Praxis u. a. im Bereich der Computer-Software-Herstellung. Lehrbeauftragter am Fachbereich Informatik der Universität Hamburg. Veröffentlichungen u. a.: Technischer Fortschritt und die Gesellschaft der Arbeitslosen, in: Technologie und Politik, (1978) 13; Computer, Wertewandel und Demokratie, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 25/84; Telematik — ein gesellschaftliches Integrationsproblem, in: ders. (Hrsg.), Die Informationsgesellschaft als Herausforderung an den Menschen, Frankfurt 1984; Computer-Totalitarismus. Zur Mechanisierung der geistigen Tätigkeit, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, (1985) 1; „Demokratische" Elitenherrschaft oder Rätedemokratie? über die Auswirkungen von Telematik und Wertewandel im demokratischen Prozeß, in: Kreuder/Loewy (Hrsg.), Konservatismus in der Strukturkrise, Frankfurt 1985.