Die Veränderungen der politischen Machtverhältnisse und die technischen Entwicklungen bei den Informations-und Kommunikationstechniken führen zu einer Neuordnung des Rundfunkwesens in der Bundesrepublik Deutschland. Kabel-und Satellitenfunk ermöglichen erstmals die Zulassung privater Rundfunkveranstalter neben den öffentlich-rechtlichen. Die gewachsenen und verfassungsrechtlich normierten Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in der Rundfunkpolitik werden in Frage gestellt. Mit ihrer Vorleistungspolitik für die Infrastruktur privater Rundfunkveranstalter greift die Deutsche Bundespost aktiv in die Medienpolitik der Bundesländer ein. Während die Union diese Entwicklung nachhaltig unterstützt, reagiert die SPD mit großer Zurückhaltung auf diese neue Situation. Mit ihrem medienpolitischen Beschluß vom 19. Mai 1984 des Essener Parteitages läßt die SPD private Rundfunkveranstalter unter den vom Bundesverfassungsgericht genannten Voraussetzungen zu. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk verlangt die SPD eine tatsächliche Bestands-und Entwicklungsgarantie. Die Diskussion um privaten Rundfunk hat die Aspekte der Medienkonzentration und ihrer Gefahr für die Informationsfreiheit der Bürger bislang nicht öffentlichkeitswirksam behandelt. Keine Rolle spielten in der Auseinandersetzung die Wirkungen von Fernsehen für die Kommunikationsfähigkeit der Gesellschaft Mehr Fernsehen stellt nicht mehr Vielfalt her, sondern produziert mehr vom gleichen. Auf dem Spiel steht das gesellschaftliche Ausdrucksvermögemder Bevölkerung.
I. Nicht die Technikentwicklung fordert eine neue Politik, sondern eine bestimmte Politik sucht sich ihre Technik
Die Bundespost leistet die Infrastruktur-voraussetzung für privaten Rundfunk: Kabel und Satellit
Die neue Bundesregierung setzt auf privaten Rundfunk: „Die Meinungsvielfalt erhält durch die neuen Kommunikationstechniken neuen Antrieb. Deshalb begrüßt die Bundesregierung die Initiativen einzelner Bundesländer, neue Organisations-und Beteiligungsformen für Hörfunk und Fernsehen zu schaffen." 1)
Zwar verfolgte die CDU/CSU schon seit langer Zeit das Ziel, den privaten Rundfunk zu etablieren, jedoch scheiterte das Begehren bislang sowohl am Frequenzmangel als auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes 1961 und 1981. Die Lage hat sich heute insoweit verändert, als die notwendigen Techniken jetzt zur Verfügung stehen, so daß die politische Mehrheit ihre medien-politischen Ziele nun verwirklichen kann.
Die Schlüsseltechniken für den privaten Rundfunk sind das Kupferkoaxialkabel und die Satelliten. Durch internationale Verträge hat bereits die sozialliberale Bundesregierung die Teilnahme der Bundesrepublik an der modernen Satellitentechnik gesichert. Insbesondere von der Fernmeldesatellitentechnik, die eine Kapazitätserweiterung des europäischen und überseeischen Fernsprechverkehrs sowie des schnellen Datenaustausches von Großrechnern von allen Ländern der Welt ermöglicht, versprach sich die Bundesregierung des Kanzlers Schmidt einen wirksamen Beitrag zur Industrieinnovation und damit zur Stabilisierung und Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft
Der industriepolitische Kurs der Regierung Schmidt wurde von dem neuen Bundespost-minister der Regierung Kohl, Christian Schwarz-Schilling, korrigiert. Entscheidend wurde jetzt, daß mittels der neuen Übertragungstechniken kurzfristig der bestehende Frequenzmangel für Rundfunkübertragungen aufgehoben werden soll. Da das Fernmeldewesen in der Zuständigkeit der Bundespost liegt, konnten rundfunkpolitische Einwendungen der SPD-regierten Bundesländer gegen die Politik der Vorleistungen für privaten Rundfunk von der Bundesregierung ignoriert werden. Rundfunkrechtlich ist die Zuständigkeit der Länder erst dann gegeben, wenn neue Programme empfangbar sind. Die Länderzuständigkeit für das Rundfunkwesen leitet sich aus ihrer Kulturhoheit ab. Sie entscheiden nach eigenem Recht, ob und unter welchen Bedingungen sie private Rundfunk-veranstalter zulassen
Die Rechtslage gibt allerdings keine Auskunft darüber, ob einzelne Bundesländer ihre Rundfunkfreiheit auch faktisch durchsetzen können 2. Kosten und Folgekosten der Verkabelungspolitik im Zwielicht Fernmeldesatelliten senden ihre Signale mit geringer Leistung und müssen deshalb von großen Parabolantennen mit einem Durchmesser von drei bis sechs Metern, den soge-nannten Erdempfangsstationen, empfangen werden.
über neue Richtstrecken bzw. über Glasfaserleitungen werden die Programme dann in die örtlichen Kabelanlagen eingespeist. Dieser Vorgang ist von rundfunkrechtlicher Relevanz. Der Fernmeldesatellit ist also auf die Verkabelung auf dem Boden angewiesen. Ohne verkabelte Wohngebiete ist der Fernmeldesatellit ein Sender ohne Empfänger — er hätte keinen praktischen Nutzen. Die Favorisierung der Bundesregierung für die Fernmeldesatellitentechnik ist deshalb gleichzeitig auch eine Entscheidung für die flächendeckende Verkabelung der Bundesrepublik. Die Fernmeldesatelliten verfügen über eine größere Kanalkapazität als die direktabstrahlenden Rundfunksatelliten (DBS) und würden somit den derzeitigen Frequenz-mangel am konsequentesten überwinden. Das Koaxialkabel hat eine Kapazität für rund 25 Fernsehprogramme. Auf einen Fernsehkanal können über 20 Hörfunkprogramme in Stereoqualität empfangen werden.
Der volkswirtschaftliche Nachteil der Koaxialtechnik ist, daß sie technisch nicht ausgereift und gleichzeitig schon überholt ist. Damit ist auch der Koaxialtechnik bereits jenes Element eigen, das den Charakter moderner Massenprodukte oft bestimmt: sie zerstören sich selbst. „Die Mode ist die Maßnahme, die die Industrie verwendet, um ihre eigenen Produkte ersatzbedürftig zu machen."
Denn technisch eignet sich das Kupferkabel derzeit nur zur Verteilung von Rundfunkprogrammen und Kabeltextdiensten. Textdienste können aber bereits heute über das Telefonnetz abgerufen werden. Ein interaktiver Dialog, der wie beim Bildschirmtext über das Telefonnetz zustande kommt, wird über die Rundfunkkabel nicht möglich werden. Wollte man das Kupferkabel dialogfähig auslegen, dann müßte es als ein sternförmiges Doppeladernetz verlegt werden. Die Programme würden vermittelt und nicht verteilt. Selbst für engagierte Medienenthusiasten wären die Kosten eines sternförmig verlegten dialogfähigen Rundfunkkabels rechnerisch nicht mehr darstellbar.
Die Kosten der Verkabelung durch die Deutsche Bundespost sind gesellschaftliche Kosten. Sie werden aufgebracht von den Gebührenzahlern, insbesondere den Telefonkunden der Post. Seit 1982 nimmt die Post rund 1 Mrd.
DM auf dem Kreditmarkt auf, um Wohngebiete in Großstädten und Landkreisen mit oder gegen den Willen der Kommunen zu verkabeln Von einer gesellschaftlichen Bedarfsprüfung, ob die Verkabelung von deutschen Fernsehzuschauern überhaupt erwünscht ist, hat die Bundesregierung abgesehen. Über die Folgekosten des Kabelanschlusses herrscht Unklarheit in der Öffentlichkeit. Der Bundesrechnungshof qualifizierte im Juni 1984 in einem Sondergutachten die Verkabelungspolitik der Bundespost als ein geschäftliches Risikounternehmen. Eine flächendeckende Verkabelung hält der Bundes-rechnungshof nicht für finanzierbar. Das angegebene Investitionsvolumen der Deutschen Bundespost für die Verkabelung von insgesamt 13, 5 Mrd. DM ist nach Auffassung des Bundesrechnungshofes für eine flächendekkende Verkabelung der Bundesrepublik nicht ausreichend. „Nach Ergebnissen des Bundesrechnungshofes müßte hierfür ein Investitionsvolumen von etwa 21, 3 Mrd. DM aufgebracht werden (ohne Investition für die Einspeisung zusätzlicher Programme — Satellit, Richtfunk —)"
Die Reaktion des Bundespostministers auf das Sondergutachten des Bundesrechnungshofes kam einer Selbstdistanzierung gleich. „Er hatte bei der Veröffentlichung des Rechnungshofgutachtens bestritten, jemals die Vollverkabelung der Bundesrepublik angestrebt zu haben"
Eine kostendeckende Verkabelung kommt aber nur in den städtischen Ballungsgebieten in Frage, die sich überwiegend in den sozialdemokratisch-regierten Bundesländern und Kommunen befinden. Mit dieser Äußerung sahen sich wiederum CDU-und CSU-regierte Bundesländer benachteiligt und warnten die Bundesregierung davor, die ländlich struktu-rierten Räume bei der Verkabelung zu diskriminieren. Der Bundespostminister versuchte, die sozialdemokratischen Landesregierungen für das Desaster verantwortlich zu machen: Wenn Nordrhein-Westfalen und Hessen nicht bald einen Beschluß über die Einspeisung treffen würden, dann sei zu überlegen, ob die Investitionsmittel für die weitere Verkabelung nicht besser dorthin gegeben werden müßten, wo Rechtssicherheit bestehe, kündigte der Minister an Der Angriff des Postministers zielt auf Grund der Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden bei der Verkabelung jedoch ins Leere — er ist allenfalls als Mittel der psychologischen Einschüchterung zu begreifen. Denn die SPD-Landesregierungen werden in doppelter Weise von der Kritik des Bundespostministers nicht angesprochen, über die Verkabelung entscheiden nach derzeitiger Rechtslage nicht die Länder, sondern allein die Bundespost. Würde die Post jedoch ihre Verkabelung in Nordrhein-Westfalen und Hessen einstellen, dann entzieht sie den privaten Veranstaltern gerade jene Marktregionen im Ruhrgebiet, in der Rheinschiene Nordrhein-Westfalen sowie im hessischen Rhein-Main-Gebiet, auf die die werbefinanzierten Rundfunkprogramme existenziell angewiesen sind. Damit verlieren kommerzielle Rundfunkbetreiber und Gerätehersteller sowie die Kabelindustrie die notwendige Planungssicherheit für ihre Investitionen. Das praktische Ergebnis dieser Politik ist Chaos. „Der Unionsabgeordnete Josef Linsmeier nannte Schwarz-Schillings Kabelei gar ein „Crash-Programm ..."
Aber auch für den neuen Kabelnutzer ist die Zukunft nicht kalkulierbar. Denn die neue Freiheit, in wenigen Jahren zwischen acht oder zwölf deutschsprachigen Fernsehprogrammen jeden Abepd wählen zu können, wird zu einem Preis erkauft, über den die meisten Bürger nicht informiert sind. Für jeden Kabelanschluß verlangt die Post eine Anschlußgebühr von 500 DM. Die Installationskosten im Haus werden zwischen 200 und 600 DM betragen. Ist ein Zusatzgerät für die haus-interne Verteilung von Programmen notwendig, müssen nochmals 250 DM pro Haushalt aufgebracht werden. Wichtiger aber werden auf Dauer die laufenden Nutzungsgebühren sein. Neben den monatlichen Rundfunkgebühren in Höhe von derzeit 16, 25 DM müssen die Kabelnutzer eine Grundgebühr von 6, 00 DM aufbringen. Das ist der Preis für die bislang empfangenen Programme. Wenn ab 1987 die fünf III. Programme der ARD-Anstalten in die Kabelinseln eingespeist werden, müssen weitere 3, 00 DM gezahlt werden. Der Bundes-rechnungshof bezweifelt, ob mit dieser (3, 00 DM) Kabelnutzungsgebühr eine Kostendekkung erreicht wird. Auf keinen Fall kann nach Auffassung des Bundesrechnungshofes mit diesem Betrag auch die Heranführung der Satellitenprogramme finanziert werden. Die neuen Kabelkunden werden sich also auf höhere Gebühren einstellen müssen, als ihnen heute vorgerechnet werden. Bis zu 20 UKW-Hörfunkprogramme können mit dem Kabel empfangen werden. Wer jedoch weiterhin auf Langwelle, Kurzwelle und Mittelwelle nicht verzichten möchte und seine Zimmerantenne für einen Qualitätsempfang nicht für ausreichend hält, bleibt weiterhin auf eine Dachantenne angewiesen — wenn man sie ihm noch läßt Die Entscheidung des Bürgers für Kabelrundfunk ist auch ein Stück Freiheitsverlust, nämlich der Verlust, Fernseh-und Hörfunkprogramme frei und unkontrolliert aus der Luft jederzeit empfangen zu können. Denn der Empfang von Rundfunk über die eigene Dachantenne unterliegt keiner Kontrolle und ist auch in Zukunft kaum kontrollierbar. Mit der Verkabelung entstehen aber auch praktische Probleme, die noch keine Lösung gefunden haben. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen scheinen nicht bereit zu sein, Rechtsklarheit für die Bürger zu schaffen. Die Oppositionsparteien im Bundestag haben mit eigenen Gesetzesinitiativen die Bundesregierung bislang nicht in Verlegenheit gebracht. So müssen sich die Bürger ihr Recht in Einzelfallentscheidungen vor den Gerichten erstreiten. Die Verkabelungspolitik hat also einen gesellschaftlichen Doppelcharakter. Kosten und Folgen der Verkabelung werden kollektiv getragen — gewinnen können nur die privaten Interessengruppen. Aus der Sicht des Bürgers geht es dabei um folgende Fragen: Können Bürger, die nicht ver-kabelt werden wollen, weiterhin auf der eigenen Dachantenne bestehen, um die herkömmlichen Rundfunkprogramme zu empfangen? Trifft ein Bürger, wenn er sich für Kabelempfang entscheidet, eine Lebensentscheidung, oder ist der Kabelvertrag kündbar wie ein Zeitungsabonnement? Behält der Mieter ein Recht auf die eigene Dachantenne, selbst wenn die anderen Mitbewohner sich für Kabelrundfunk entschieden haben? Ist auf Dauer sichergestellt, daß die Verkabelung keine Wohnwertverbesserung im Sinne des Mietrechts darstellt und somit die Investitionskosten des Vermieters nicht auf die Miete abgewälzt werden können? Haben Mieter das Recht, Parabolantennen zum Empfang des direktabstrahlenden Rundfunksatelliten auf dem Dach aufzustellen, oder dürfen Gemeinden Ortssatzungen erlassen, die Dachantennen untersagen, um das „Ortsbild" nicht zu beeinträchtigen? Anfragen im Bundestag haben bislang nicht zu den notwendigen Klarstellungen durch die Bundesregierung geführt 3. Der Direktabstrahlende Rundfunksatellit: eine technisch-politische Alternative zur Flächenverkabelung
Wie jedes andere europäische Land erhielt die Bundesrepublik Deutschland 1977 auf der Funkverwaltungskonferenz in Genf fünf Satellitenkanäle für Rundfunkzwecke zugeteilt. Der Deutsche Direktabstrahlende Rundfunk-satellit (DBS — Direct Broadcasting Satellit) sendet mit 260 Watt je Kanal aus einer Position von 36 000 km über den Äquator, 19° West, in Clarks Orbit, seine Signale auf die Bundesrepublik. Die Programme können mit Hausparabolantennen (Durchmesser 60 — 90 cm) in der ganzen Bundesrepublik empfangen werden. Die Investitionskosten für eine Parabolantenne werden vergleichbar sein mit den Anschlußkosten an das Koaxialkabel. Der DBS hätte jedoch den Vorteil, daß die Bürger alleine nach dem persönlichen Bedarf entscheiden, ob sie mehr Programme empfangen wollen oder nicht. Die Aufwendungen für eine flächendeckende Verkabelung würden entfallen. Aus diesem Grund hat sich die SPD in ihrem medienpolitischen Aktionsprogramm vom März 1984 für den DBS als Alternative zur Verkabelungspolitik der bürgerlichen Koalition ausgesprochen.
Obwohl die CDU-Ministerpräsidenten die Verkabelungspolitik des Bundespostministers nachdrücklich unterstützen, scheinen sie an einen Erfolg dieses Unternehmens nicht recht glauben zu können. Anders ist ihr hartnäckiges Verhandeln für Übertragungskanäle für private Anbieter auf dem deutschen DBS nicht zu begreifen, zumal auf dem Fernmeldesatelliten in Zukunft „Kanäle-satt" (Peter Glotz) vorhanden sein werden 4. Der Medienbeschluß des Essener Partei-tages der Sozialdemokraten und was daraus wurde: Vier Ministerpräsidenten und vier Standpunkte
Die Union hat in der Bundesrepublik die Rolle des politischen Promotors für kommerziellen Rundfunk übernommen. Sie möchte privaten Veranstaltern eine „faire Entwicklungschance" geben. Die SPD dagegen fürchtet, daß die Teilkommerzialisierung der bundesdeutschen Rundfunklandschaft zu einer Verflachung des Programmangebotes führt. Nach ihrer Auffassung wird das Ergebnis nicht Vielfalt durch Vielzahl von Programmen, sondern mehr vom Gleichen sein, überdies halten die Sozialdemokraten die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem Auftreten von privatem Rundfunk für gefährdet. Unabhängig von den politischen Mehrheitsverhältnissen in der Bundesrepublik ist der Aktionsspielraum der Sozialdemokraten auch dadurch eingeschränkt, daß deutsche Rundfunkveranstalter sich auf ausländischen Satelliten einmieten und Fernsehprogramme für die ganze Bundesrepublik abstrahlen können. Für diesen Weg hat sich z. B.der Gütersloher Medien-konzern Bertelsmann entschieden. Bertelsmann ist mit 40% am deutschsprachigen Fernsehprogramm RTL-plus beteiligt. Ab 1986 wird RTL seine Programme, die in der Bundesrepublik empfangbar sein werden, von dem französischen Rundfunksatelliten TDF I abstrahlen.
Am 19. Mai 1984 versuchte sich die SPD auf ihrem Essener Parteitag medienpolitisch auf die „Wende" einzustellen. Privater Rundfunk wird nun auch nach Auffassung der SPD möglich, wenn die verfassungsrechtlich gebotenen Anforderungen für Rundfunkprogramme von den neuen Veranstaltern eingehalten werden. Voraussetzung für die Zulassung von privatem Rundfunk ist nach sozialdemokratischer Beschlußlage allerdings eine tatsächliche Bestands-und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Funktionssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks impliziert seine gleichberechtigte Teilhabe an allen neuen Übertragungstechniken und den Erhalt des derzeitigen Finanzierungssystems aus Gebühren und Werbung. Einen neuen Weg in der Rundfunkgeschichte beschreitet die SPD mit ihrer Forderung, daß öffentlich-rechtliche Anstalten auch mit privaten Rundfunkveranstaltern kooperieren können, wenn dabei der Programmauftrag der Anstalten nicht gefährdet wird. Privater Rundfunk muß dem Vielfaltsgebot der Verfassung gerecht werden und seine Programme müssen von demokratisch legitimierten Gremien kontrolliert werden. Privater Rundfunk soll sich allein aus der Werbung finanzieren. Auch für private Veranstalter soll ein höherer Anteil von Eigenproduktionen gegenüber ausländischen Filmproduktionen vorgeschrieben werden
Für den lokalen Rundfunk schließt die SPD eine Beteiligung kommerzieller Veranstalter aus. Lokaler Rundfunk soll nur in gemeinnütziger Trägerschaft und nicht zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken errichtet werden. „Die SPD ist nicht auf Anpassungskurs, sie schlägt einen . dritten'Weg ein"
Das medienpolitische Modell der Sozialdemokraten ist vergleichbar mit dem dualen Rundfunksystem Großbritanniens, wo es seit den sechziger Jahren ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem und privatem Rundfunk gibt. Ob die SPD ihre eigenen Beschlüsse hinreichend ernst nimmt und, was noch relevanter ist, ob sie auch die Kraft hat, sie durchzusetzen, wird sich 1985 erweisen. \ 5. Die Ministerpräsidentenkonferenz zur Neuordnung des Rundfunkwesens 'am 19. Oktober 1984 in Bremerhaven Der Auftrag der SPD an die von ihr gestellten Ministerpräsidenten war eindeutig. Die SPD hat auf ihrem Parteitag in Essen die Grenzen ihrer Kompromißfähigkeit abgesteckt. Sechs Wochen nach dem 19. Mai 1984 kamen die Ministerpräsidenten der Bundesländer zusammen, um den Entwurf eines Staatsvertrages zur Neuordnung des Rundfunkwesens in der Bundesrepublik zu skizzieren Die Entwurfsskizze des Staatsvertrages privilegierte private Veranstalter auf Kosten der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Eine tatsächliche Bestands-und Entwicklungsgarantie für die öffentlich-rechtlichen Anstalten wurde nicht vereinbart. Die privaten Veranstalter werden nicht verpflichtet, in ihrem Programm Vielfalt herzustellen. Von dem Essener Medienbeschluß der SPD blieb nur wenig essentielles übrig. Diese Eckpunkte für einen Staatsvertrag zur Neuordnung des Rundfunkwesens wurden von den Ministerpräsidenten am 19. Oktober 1984 in Bremerhaven in den Staatsvertragsentwurf eingearbeitet. Wenige Tage wurde der Vertragstext von allen Ministerpräsidenten und dem Großteil der Presse wegen der Kompromißfähigkeit der SPD-und CDU-Ministerpräsidenten als die Hohe Schule der Staatskunst gefeiert. Aus sozialdemokratischer Sicht indes übertraf das Verhandlungsergebnis die schlimmsten Befürchtungen.
Zwar wurde noch einmal das Gebührenmonopol der Anstalten gemeinsam akzeptiert, eine Funktionssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die Zukunft bedeutete dies jedoch nicht. Die Werbezeiten der öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten eingefroren werden. Diese Festlegung hätte für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fatale Folgen. Wenn in naher Zukunft zwei bis drei werbefinanzierte, bundesweit ausgestrahlte Programme mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten konkurrieren, dann fallen auch die* derzeitigen Werbepreise von ARD und ZDF. Allein um den Bestand zu sichern, müßten ZDF und ARD ihre Werbezeiten in diesem Falle verdoppeln. Bei der Gebührenfinanzierung weigerten sich die CDU-Regierungschefs, eine Erhöhungsdynamik festzulegen. Damit ist in Zukunft nicht einmal mehr die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Programme aus Gebühren gesichert. Im Gegenteil — in Zukunft sollen Gebührenerhöhungen nur noch nach „objektiven" Gesichtspunkten vorgenommen werden. Welche Kriterien die Objektivität des Verfahrens der Gebührenerhöhung bestimmen sollten, wurde im Vertragstext nicht erläutert.
Die 16 digitalen Hörfunkprogramme auf einem DBS-Kanal, die in der ganzen Bundesrepublik empfangbar sind, sollen nach dem Vorschlag der Ministerpräsidenten vor allem neuen Veranstaltern vorbehalten sein. Entscheiden nun einzelne Bundesländer, daß die digitale Übertragung für Hörfunk von den öffentlich-rechtlichen Anstalten genutzt werden, dann sollen diese keine neuen Programme, sondern nur vorhandene senden. Werbesendungen dürfen in diesem Fall die Einnahmen der Anstalten nicht erhöhen. Mit anderen Worten: Den öffentlich-rechtlichen Sendern werden die Mittel für neue Programm-entwicklungen verweigert. Dagegen dürfen private Rundfunkveranstalter bis zu 20% ihrer Sendezeit für Werbezwecke nutzen; faktisch kommt dies einer unbegrenzten Werbe-zeit gleich, die selbst das amerikanische Privatfernsehen nicht wahrnimmt.
Sendungen, die eine Dauer von 60 Minuten übersteigen, dürfen nach dem Staatsvertragstext durch Werbung unterbrochen werden; von Eigenproduktionsquoten bei den Privaten ist nicht mehr die Rede; nationale und europäische Filmproduktionen sollen lediglich berücksichtigt werden. Präventiv soll der WDR, falls sich seine Gremien für Funkwerbung entscheiden, auf 32 Minuten Werbezeit täglich festgelegt werden. Gegen die 124 Minuten täglicher Hörfunkwerbung im Bayerischen Rundfunk machen die Ministerpräsidenten keine Einwendungen
Damit wird der Westdeutsche Rundfunk in mehrfacher Weise geschwächt. Der WDR trägt mit über 30% zum Gesamtprogramm der ARD bei, obwohl er nur einen Anteil von 25, 97% am Gesamtgebührenaufkommen der ARD hat Zum Finanzausgleich trägt der WDR mit jährlich 55, 54% bei und sichert damit dem Saarländischen Rundfunk, dem Sender Freies Berlin und Radio Bremen die Existenz. Mit den Gebühren der nordrhein-westfälischen Bevölkerung ist die Kölner Anstalt „zum Zahlmeister der ARD" geworden; gleichzeitig soll sie aber in ihren eigenen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.
Die sozialdemokratischen Landtagsfraktionen, insbesondere die regierungstragenden von Hessen und Nordrhein-Westfalen, wiesen den Staatsvertrag als unannehmbar zurück. Schließlich sah sich auch der Parteivorstand und der Parteirat der SPD gezwungen, die Sozialdemokraten in der Ministerpräsidentenrunde zu bitten, den Vertragstext entsprechend nachzubessern
Als die Ministerpräsidenten dann erneut am 14. Dezember 1984 in Bonn zusammenkamen und die Sozialdemokraten ihre Nachbesserungswünsche vortrugen, platzten die Staats-vertragsverhandlungen. Die CDU begründete das Scheitern der Runde mit dem Wunsch der SPD-Ministerpräsidenten, die Hörfunkwerbung beim WDR nicht durch Staatsvertrag, sondern durch Landesrecht zu regeln, sowie mit Bedenken gegen das geplante Kooperationsmodell des Westdeutschen Rundfunks mit privaten Veranstaltern. Die CDU-Regierungschefs vereinbarten daraufhin, sich am 14. Januar 1985 exklusiv zu treffen. Beide Seiten hielten sich jedoch den Weg für weitere Verhandlungen offen
Trotz der demonstrierten Einhelligkeit der CDU/CSU-Ministerpräsidenten sind die Ausgangspositionen der süddeutschen und norddeutschen CDU-Landesregierungen verschie-den. Die süddeutschen Länder haben offensichtlich wenig Neigung, die ARD oder gar das ZDF zu zerschlagen. Dafür gibt es aus ihrer Sicht auch keinen Grund. Schließlich operieren die Christdemokraten im Bayerischen Rundfunk, im Süddeutschen Rundfunk und im Südwestfunk sowie im ZDF mit eindeutigen Mehrheiten. Sie können ihren Einfluß in den privaten Sendern gegenüber den Landessendern kaum steigern.
Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Edmund Stoiber, diskutiert bereits über ein bayerisches Fernsehprogramm via Satellit für die ganze Bundesrepublik — öffentlich-rechtlich natürlich.
Die süddeutschen Länderchefs wissen also, was sie an ihren Anstalten haben und gehen pfleglich mit ihnen um. Die norddeutschen Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen dagegen sind die rundfunkpolitischen Habenichtse der Bundesrepublik. Sie müssen sich nicht nur den Norddeutschen Rundfunk untereinander, sondern auch noch mit Hamburg teilen. Sie scheinen davon auszugehen, daß sie mit der Schwächung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf die Gewinnerseite wechseln können.
Die niedersächsische Landesregierung hat in diesem Kontext folgerichtig als erstes Bundesland am Mai 1984 ein Landesmediengesetz durch den Landtag gebracht, das privaten Rundfunk mit einem Zulassungsprivileg für Zeitungsverleger vorsieht. 6. Zur Relevanz der Kategorie des Gleichgewichtes zwischen privaten und öffentlichen Rundfunkveranstaltern bei den neuen Übertragungstechniken
Aus sozialdemokratischer Sicht muß es bei der Verteilung der Satellitenkanäle, insbesondere bei den Kanälen des DBS, um die Herstellung von Gleichgewicht zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunkveran-Staltern gehen. Die terrestrisch ausgestrahlten Programme von ARD und ZDF können in die Gleichgewichtsabwägung nicht einbezogen werden, weil die privaten Veranstalter mit der Programmvielfalt der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht konkurrieren können. Sie werden weder Kultursendungen, Dokumentationen, Sozialthemen, Experimentalfilme, avantgardistisches Theater, Hörspiele, kultur-und sozialkritische Themen produzieren, noch sind sie in der Lage, Minderheiten-programme herzustellen. Denn diese Programmprodukte sind kostenintensiv, lassen aber nur geringe Zuhörer-und Zuschauer-reichweiten erwarten.
Bei den Werbezeitregelungen für die Landesrundfunkanstalten kommt es nicht in erster Linie auf die Festlegung von Werbeminuten an, sondern auf das Verhältnis von Werbeeinnahmen zu Gebühreneinnahmen bei der Programmfinanzierung. Auf dieser Basis muß ein Ausgleich zwischen privaten Interessenten und öffentlich-rechtlichen Anstalten im Dienst der Informationsfreiheit der Zuhörer und Zuschauer gefunden werden.
Wie immer die Verhandlungen mit der Union ausgehen werden, die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten können sich nicht vor die SPD-Landtagsfraktionen stellen, ohne ein medienpolitisches Gleichgewicht zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Rundfunk hergestellt zu haben. Denn in dieser Phase wird über die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die nächsten Jahrzehnte entschieden. Die Befürworter des Privatfunks sollten sich in der Einschätzung der Wünsche der Bevölkerung nicht täuschen. Selbst wenn viele Menschen mehr Programme sehen und hören wollten und dabei auch Werbung in Kauf nehmen würden, ist das nicht mit einem breiten Einverständnis gleichzusetzen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu zerschlagen.
So ist denn die Medienpolitik der SPD der verzweifelte Versuch, das Richtige im Falschen zu tun (was es nach Theodor Adorno nicht gibt) 23). Das Ergebnis könnte aber auch ungewollt eine kulturpolitische Vielfalt sein, wenn das Rundfunkexperiment, das in Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit dem WDR-Gesetz diskutiert wird, gelingt: die Kooperation zwischen öffentlich-rechtlichem Rundfunk, Zeitungsverlagen und selbständigen Kulturproduzenten. Maßstab für das Gelingen dieser Zusammenarbeit ist die Einhaltung der Anforderungen des Bundesverfassungsgerichtes an Rundfunkprogramme.
II. Wettbewerb durch private Veranstalter oder die Einschränkung von Vielfalt durch neue Medienkonzentration
Abbildung 2
Quelle: Neue Medien (Hamburg), (Januar 1985) 3, S. 17.
Quelle: Neue Medien (Hamburg), (Januar 1985) 3, S. 17.
1. „Go West": Die Pioniere des Privatfunks Die Forderung nach einem Mediengleichgewicht bei der Neuordnung der Rundfunklandschaft der Bundesrepublik Deutschland ist plausibel, wenn deutlich wird, welche kapitalstarken Interessengruppen den privaten Rundfunk organisieren.
Unter dem Dach der Anstalt für Kabelkommunikation (AKK) des Pilotprojektes Ludwigshafen sendet seit dem 1. Januar 1985 eine . Arbeitsgemeinschaft ECS I — Westbeam" ein werbefinanziertes Fernsehprogramm, das derzeit überall dort von Kabelnutzern zu empfangen ist, wo privater Rundfunk zugelassen ist Experten schätzen, daß rund 250 000 verkabelte Bundesbürger in Berlin, Kiel, Hamburg, München, Bad Pyrmont, Hildesheim, Oldenburg, Osnabrück, Emden, Werden, Wilhelmshaven, Hannover, Kaiserslautern, Mainz, Pirmasens, Trier sowie im Kabelpilotprojekt Ludwigshafen das kommerzielle Sat I-Programm empfangen können
Der Arbeitsgemeinschaft gehören an:
Die Aktuell-Presse-Fernseh GmbH (APF), die Verlage Springer, Bauer und Burda, die Programmgesellschaft für Kabel-und Satelliten-funk (PKS), die Kabel-Media Programmgesellschaft, die Verlagsgruppe Holtzbrinck und die Neue Mediengesellschaft Ulm. Insgesamt hatten sich bei der AKK 76 Programmveranstalter um Sendelizenzen beworben, darunter auch Bertelsmann. Dem Gütersloher Medienkonzern wurde die Teilnahme jedoch von dem Veranstalterkonsortium wegen seiner „RTL-plus-Beteiligung" verweigert Gegen die Ausschlußklausel hat Bertelsmann zwischenzeitlich Klage erhoben. Die publizistische Affinität der Konsorten der AG-ECS I Westbeam mit der derzeitigen Bundesregierung ist evident. 2. Wer sind die Großen und die Kleinen, die Antreiber und die Getriebenen im neuen Mediengeschäft?
Der Zentralausschuß für WerbeWirtschaft (ZAW), dem auch die Zeitungsverleger angehören, versprach für 1984 seinen 42 Mitgliedsorganisationen eine Umsatzzunahme von 1 Mrd. DM. Dies entspricht einer Steigerung der Werbeumsätze von mehr als 7 % auf weit über 15 Mrd. DM
Nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) nahmen allein die Werbeeinnahmen der Tageszeitungen 1983 gegenüber dem Vorjahr um rund 8% bzw. 426, 5 Mio. DM zu. „Die aktuellen Daten, wie auch schon die positive Umsatz-und Auflagenentwicklung vergangener Jahre läßt alle notorischen Klagen der Presseverleger über ihre angeblich besonders gefährdete wirtschaftliche Lage unbegründet erscheinen. Sie zeigen vielmehr, daß bei dem in letzter Zeit zunehmenden Engagement der Verleger im Bereich der elektronischen Medien in der Bundesrepublik, das allenthalben mit der angeblichen Existenzbedrohung der Presse durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk begründet wird, die derzeit gegebene wirtschaftliche Basis ein entscheidender Impetus ist."
Die dominante Stellung der Presse bei den privaten Rundfunkkonsortien unterstreicht die wirtschaftliche Potenz, sich am riskanten Fernsehgeschäft zu beteiligen. Sie verfügen darüber hinaus über notwendige redaktionelle und publizistische Mittel und sind in der Lage, ihre Medienprodukte mehrfach zu verwerten. Die fünf größten Verlagskonzerne repräsentieren 15, 5 Mrd. DM Umsatzkapital und eine ausgewiesene verkaufte Auflage bei den Publikumszeitschriften von 42, 5 Mio. Exemplaren, sowie eine verkaufte Auflage bei den Tageszeitungen von 6, 4 Mio. beim Springer-Verlag. Dagegen beträgt das Gesamtvermögen der ARD mit seinen neun Landesrundfunkanstalten 1983 5, 73 Mrd. DM
Allein Bertelsmann ist umsatzstärker als die ARD. Für alle kleinen und mittleren Verlage, aber auch für Springer gründete der BDZV am 28. Februar 1984 die Aktuell Presse-Fernsehen GmbH & Co. KG (APF), mit dem Standort Hamburg. Die APF wird die Nachrichten des ECS-Konsortiums liefern. Beteiligt sind 148 Verlage mit 165 Zeitungen, die eine Gesamtauflage von 11 Millionen Tagesexemplaren repräsentieren.
Es wurden Kapitalanteile in Höhe von 66 Mio. DM gezeichnet. Der Axel Springer Verlag hält 35 % und ist zugleich der einzige Verlag, der mehrere Titel (insgesamt 9) in die APF einbringt.
Die Konzentration von Medienkonzernen und Presseverlagen auf dem ECS-Kanal läßt kaum eine Bereicherung und Vielfalt erwarten, sondern wird zu Programmabsprachen und Kooperationsformen führen, die den ohnehin eingeschränkten Wettbewerb auf den bisherigen Pressemärkten zum Erliegen bringen wird.
Gegenüber der publizistischen Gleichschaltung von über 160 Zeitungen in den Nachrichtenprogrammen der APF produzieren die ARD-Anstalten Vielfalt. Die Profile der einzelnen Landessender können von den Zuschauern jeden Abend identifiziert werden; so ist z. B. leicht zu erkennen, ob ein Kommentar oder politischer Bericht vom Bayrischen Rundfunk, vom WDR oder von Radio Bremen gesendet wird. Keine der 148 Gesellschaften, abgesehen von Springer, haben die Chance, ihr publizistisches Profil zu zeigen. 3. Kooperation zwischen deutschem und amerikanischem Medienkapital: Die Welt wird ein Dorf
Vorerst scheint es so, daß ausländisches Medienkapital nur mittelbar am Aufbau des kommerziellen Rundfunks in der Bundesrepublik beteiligt ist. CBS, der drittgrößte Medienkonzern der Welt mit 4, 12 Mrd. Dollar Umsatz, kooperiert mit der APF. Aber auch Bertelsmann soll mit amerikanischen Filmfirmen verhandeln, z. B. mit Universal, Paramount und MGM/UA, um Filmrechte für Pay-TV zu erhalten
Privates Fernsehen, ob als Vollprogramm oder als Pay-TV angeboten, wird die Kanäle vor allem mit Unterhaltung füllen. Denn nur Unterhaltungsfilme sind das geeignete Programmumfeld für Werbeeinblendungen mit hohen Zuschauerzahlen. Es werden jedoch auch Entwicklungen in der Richtung erwartet, daß in Zukunft die Vielzahl von Fernsehprogrammen zu einer Segmentierung des Zuschauermarktes führt und somit eine präzi-sere Zielgruppenwerbung mit geringeren Streuverlusten möglich wird
Private wie auch öffentlich-rechtliche Veranstalter müssen also zu möglichst günstigen Preisen produzieren (lassen). Die Soft-Ware-Produzenten aus . Hollywood helfen aus, dieses Dilemma zu meistern. Die meisten Produkte der amerikanischen Filmindustrie, die bereits auf dem einheimischen US-Markt und den internationalen Märkten verwertet wurden, lassen den nationalen und europäischen Filmproduktionen keine Chance. Dieser Vorgang muß über kurz oder lang die systematische Zerstörung der europäischen und nationalen Filmproduktion zur Folge haben. Aus diesem Grund verlangt die SPD von privaten Rundfunkveranstaltern eine bestimmte Eigenproduktionsquote und eine Schutzklausel für die europäische Filmproduktion. Gegen diese Forderung hat Manfred Lahnstein, Vorstandsmitglied des Bertelsmann Verlages, bereits Protest eingelegt. Denn je billiger die Filmware in den USA gekauft wird, um so höher ist die Rendite im kommerziellen Fernsehgeschäft. Zu diesem Zweck hat sich Bertelsmann mit den großen Filmproduzenten Paramount, MGM/UA und Universal zu einer internationalen Pay-TV-Firma, der „United International Pictures" (UIP), mit dem Hauptsitz in London, zusammengeschlossen. Die UIP-Gruppe verfügt über einen Filmstock von 9 300 Titeln. Der geschätzte Wert dieses Pakets liegt bei 900 Mio. Dollar.
Leo Kirch, Europas größter Filmhändler, hat sich dagegen mit den Partnern des britischen Pay-TV-Anbieters „Premiere" zusammengetan; das sind die Hollywood-Studios von Columbia, Warner und Fox, den US-amerikanischen Pay-TV-Betreibern Home-Box-Office (HBO) und Show-Time/The Movie-Channel. Für den deutschsprachigen Filmmarkt sicherte sich Kirch eine 51 %ige Mehrheitsbeteiligung
Am 29. Januar 1985 wurde bekannt, daß Bertelsmann, Springer und Leo Kirch einen gemeinsamen Pay-TV Filmkanal auf einem Satelliten mieten werden. Die Filmunterhaltung soll den Fernsehzuschauer zwischen 25, — und 30, — DM monatlich kosten. Einen Namen hat der Kanal auch schon: „Teleclub" soll das Ereignis genannt werden
Für die Attraktivität der Arbeitsgemeinschaft ECS 1 wird vor allem die Programmgesellschaft für Kabel-und Satellitenfunk mbH (PKS) mit ihren Unterhaltungsbeiträgen sorgen. Während die Großverlage 30 % Sendeanteile haben, wird die PKS allein über 40 % der gesamten Programmsendezeit verfügen. Programmlieferant der PKS ist Leo Kirch mit seiner Beta-Taurus-Gruppe. Hinter der PKS stehen Wareneinzelhandelsverbände, wie REWE und EDEKA sowie die Deutsche Genossenschaftsbank. Bereits 1984 sollen Verhandlungen der PKS mit dem Deutschen Sportbund über eine aktuelle Sportberichterstattung geführt worden sein. Wenn es zu Exklusivverträgen der privaten Veranstalter mit dem DFB kommen sollte, weil die öffentlich-rechtlichen Anstalten mit ihrer Gremienstruktur zu schwerfällig sind und wegen ihrer ungesicherten Einnahmeentwicklung nicht mehr mithalten können, dann verlieren ARD und ZDF einen wesentlichen Teil ihrer Konkurrenzfähigkeit mit dem Kommerzfunk.
III. Fernsehen und Öffentlichkeit
1. Das Wohnzimmer verändert sich durch den Fernsehapparat und mit ihm die Menschen
In über 85% aller bundesdeutschen Haushalte stehen Fernseher, die von Menschen jeden Alters genutzt werden, am stärksten jedoch von Kindern und Älteren. Auf die Kommunikationsfähigkeit der Menschen hat Fernsehen zweifellos einen einschränkenden Einfluß genommen. Mitte der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre reagierte die Möbelindustrie auf die Einführung des Fernsehens als Massenprodukt. Die Mattscheibe beherrschte seither einen freien Winkel des Wohnzimmers, das zur Kulisse der Weltereignisse wurde.
Die Ereignisse, die uns alle berühren, verlieren zunehmend ihren gesellschaftlichen Charakter, sie werden gleichsam privatisiert. Gleichwohl konnte das Wohnzimmer nicht zum Kinosaal umgestaltet werden. Seiner anderen Funktionen und auch der Größe des Bildschirmes wegen hatte das Wohnzimmer bislang nicht mit der Erlebniswelt des Kinos konkurrieren können. Es will im Wohnzimmer nicht gelingen, in die Phantasie-Welt des Films emotional einzutauchen, in der die Träume für 90 Minuten Wirklichkeit werden. Auch das Erinnerungsvermögen kann sich nicht entwickeln, weil die Wahrnehmungsfähigkeit der Menschen nicht mehr mithalten kann. Die wenigsten Menschen sind übrigens in der Lage, den Inhalt eines Interviews, eines Films oder einer Nachrichtensendung verbal zu rekapitulieren. Gleichwohl werden die Bild-und Textsignale aufgenommen und gespeichert. Wie wir die Bilder-und Informationsflut verarbeiten, ist unbekannt. Symptome geben Hinweise, sie erklären aber noch nichts. Neil Postman prognostiziert, daß mit der Etablierung des Fernsehens das Zeitalter der Literalität und damit auch das Zeitalter des Kindes seinem Ende zugeht 2. Fernsehen will unterhalten: Es geht um Zerstreuung mit ablenkendem Charakter, nicht um Erfahrung
Da die Breitenwirkung des Fernsehens offensichtlich aus Unterhaltung für erschöpfte Menschen besteht, werden die Programme mit Spiel-und Aktionsfilmen gefüllt. Selbst bei den Informations-und Nachrichtensendungen wird ein stärkerer Unterhaltungscharakter gefordert. Beispielhaft dafür werden die News-Shows der großen amerikanischen Networks genannt, die jeden Abend den amerikanischen Zuschauer in lockerer und ungezwungener Weise die Neuigkeiten der Welt präsentieren. RTL-plus und die Nachrichtensendung von APF orientieren sich an der US-amerikanischen Nachrichtendramaturgie. Die Existenz des kommerziellen Rundfunks kann jedoch auch die Programmleistungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schwä-chen. Deshalb dient die Forderung nach einer Bestands-und Entwicklungsgarantie für die Landesrundfunkanstalten auch dem Erhalt der Programmvielfalt. Die ungehemmte Entwicklung privaten Rundfunks, wie sie sich nach den Diskussionen um den Staatsvertrag für die Neuordnung des Rundfunkwesens in der Bundesrepublik abzeichnet, kann zum Verlust der kollektiven Ausdrucksfähigkeit unserer Gesellschaft führen. Der Verlust von kommunikativer Handlungskompetenz des einzelnen schwächt jede demokratisch verfaßte Gesellschaft.
Das wenige, das wir wahrnehmen, scheint uns mehr oder weniger gleich. Je kürzer die Bilder zwischen den Schnitten sind, um so eher zielen die Botschaften an der Kontrollinstanz des Bewußtseins vorbei auf unser Unterbewußtes. Das ist der Weg von Werbespots. Menschen, die als handelnde Subjekte ihre Geschichte selbst bestimmen wollen, kann ein solcher Rundfunk nicht genügen.
Zu diesem Thema hat sich Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einem NDR-Interview Anfang Januar 1985 zu Wort gemeldet. Darin beklagte der Bundespräsident, daß die Politiker zwar um Rechtsformen der künftigen Anstalten und um Werberegelungen streiten, nicht aber um die Wirkung von neuen und mehr Programmen auf die Menschen. „Das wichtigste ist in erster Linie, daß man zum eigenen Selber-Tun und nicht bloß zur Passivität erzogen wird. 3. „Mehr Wettbewerb im Programm“ durch werbefinanzierten Rundfunk Durch die Konkurrenz von Privatfernsehen soll sich auch das Programm der öffentlich-rechtlichen Anstalten verbessern. Das setzt voraus, daß die Privaten in allen Programm-sparten mit den öffentlich-rechtlichen Programmanbietern konkurrieren. Diese Entwicklung ist nicht zu erwarten, weder im Dokumentarbereich, in den Bildungssendungen, den gesellschaftlich analytischen Reportagen noch im kulturellen, und experimentellen Bereich. Konkurriert wird vor allem in der Unterhaltungssparte. Dabei wird der Begriff der Unterhaltung in Zukunft extensiver interpretiert. Nachrichten und Wetterkarte werden noch mehr als jetzt für Zerstreuung sorgen. Um ihre Konkurrenzfähigkeit unter Beweis zu stellen, werden die öffentlich-rechtlichen Anstalten entsprechende Programmaffinitäten entwickeln. Das Ergebnis wird nicht mehr Wettbewerb, sondern mehr Gleiches vom Gleichen sein. Deshalb ist es für die öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Überlebensfrage, daß alle Landesparlamente gegenüber den Landesrundfunkanstalten ihrer Gewährleistungspflicht nachkommen, um sie nicht einem Vernichtungswettbewerb auszusetzen. Für die Programmacher in den klassischen Rundfunkanstalten bedeutet das aber auch, daß an den unverwechselbaren Programmprofilen festgehalten wird und diese sich nicht nach dem Prinzip des vorauseilenden Gehorsams privater als die Privaten verhalten und sich damit selbst zur Disposition stellen.
Die Planspiele der Intendanten der ARD, Informationssendungen, z. B. die Tagesthemen, zu kürzen und an ihre Stelle amerikanische Billigserien auf attraktive Programmplätze zu setzen, oder den 20. 00 Uhr-Termin der Tagesschau aufzugeben, um zu einem früheren Zeitpunkt Politisches zu senden, sind Hinweise, die auf Unsicherheit und mangelnde Programmkonzeption schließen lassen. In fünf bis acht Jahren werden die heutigen Einschaltquoten Geschichte sein. Die Einschaltquoten werden sich je nach Angebot durch die Zahl der Programme dividieren. Das bedeutet aber auch, daß derzeitige Minderheitenprogramme mit Einschaltquoten zwischen 8 und 15% in fünf bis zehn Jahren Spitzen-plätze sein werden.
Es geht um den Erhalt des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der unabhängig von staatlichen und einseitigen privaten Interessengruppen Programme für alle produziert, es geht um den Erhalt des freiesten Rundfunks, den es auf deutschem Boden je gab.
Aus der Sicht des Fernsehzuschauers und Hörers ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht nur eine Frage der Rundfunkgebühr, sondern gleichzeitig auch ein Stück demokratischer Öffentlichkeit.
Jürgen Büssow, Dipl. Pädagoge, geb. 1946; Studium der Sozialarbeit und Erziehungswissenschaften; 1975— 1977 Studienleiter im Gustav-Stresemann-Institut in Bergisch-Gladbach; 1977— 1981 Referent bei der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf; seit 1981 beurlaubt. Seit 1975 Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen (SPD-Fraktion); seit 1980 medienpolitischer Sprecher der Fraktion; seit 1984 Mitglied der Medienkommission beim Parteivorstand der SPD. Veröffentlichungen zur Medienpolitik.
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