I. Medienpolitik — ein junger Begriff für einen alten Sachverhalt
Bei einem ersten Blick auf das Thema, um das es hier geht, fällt sogleich eines auf: Der Begriff „Medienpolitik" ist wesentlich jünger als der Gegenstand oder Sachverhalt, der mit ihm bezeichnet wird. Während sich dieser Begriff erst seit einer Reihe von Jahren im allgemeinen Sprachgebrauch eingebürgert hat, reichen sein Gegenstand bzw.dessen Ursprünge historisch weit zurück. Seit je hat nämlich politische Herrschaft Einfluß genommen auf die gesellschaftliche Kommunikation, zumindest seitdem diese Kommunikation sich organisierter technischer Mittel — also der Medien — bedient.
Als einen frühen Akt dezidierter Medienpolitik kann man z. B. schon die Entscheidung Caesars nach seiner Wahl zum römischen Konsul (59 v. Chr.) ansehen, die Protokolle der Senatsverhandlungen in den „acta urbis" oder „acta diurna" allgemein zugänglich zu machen, die in Rom öffentlich angeschlagen wurden Denn Caesar, der Anführer der Volkspartei, zielte damit offenbar darauf ab, die geradezu mythische Geheimhaltung des Senats zu durchbrechen, ja seine Macht zu schwächen — und zwar durch Herstellung von Öffentlichkeit. Entsprechend restaurativ war später die Verfügung des Kaisers Augustus, die Senatsprotokolle wieder aus den „acta urbis" zu entfernen.
Die eigentliche Aktualisierung eines Bedarfs an rechtlich-politischer Ordnung der gesellschaftlichen Kommunikation leitete jedoch erst die Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts ein. Die damit geschaffene Möglichkeit einer schnellen und massenhaften Vervielfältigung und Verbreitung von Druckwerken zeitigte rasch neue Formen und Mittel obrigkeitlicher Kontrolle, die Vorzensur, dazu Repressiv-und Strafmaßnahmen, ferner die Privilegierung Auch indem der merkantilistische Staat des 18. Jahrhunderts das Anzeigenwesen in sogenannten „Intelligenzblättern" organisierte und damit den politischen Zeitungen eine Einnahmequelle vorenthielt, deren Freigabe später zur Entstehung der Massenpresse führte, handelte er im Prinzip durchaus medienpolitisch. Grundlegend änderten sich die Bedingungen für das medienpolitische Handeln, als 1848 in den deutschen Ländern die Pressefreiheit hergestellt wurde. Denn der Staat mußte fortan der Presse gegenüber ohne die (Vor-) Zensur auskommen. Und was im absolutistischen Zeitalter durch die Allzuständigkeit des Herrschers gerechtfertigt war, das machte fortan besondere Legitimationsprobleme. Die Gewährung der Pressefreiheit veranlaßte den Staat zudem dazu, nach neuen Formen mittelbarer Einflußnahme auf die öffentliche Kommunikation zu suchen. Ein ganzes Arsenal wirtschaftlicher und administrativer Maßnahmen wurde dazu benutzt: der Ausschluß bestimmter Presseorgane vom Postvertrieb, die Besteuerung des Druckpapiers (Stempelsteuer), der Zwang zur Hinterlegung einer Kaution Angesichts der im ganzen aber doch begrenzten gesetzlich-formalen Möglichkeiten zur Reglementierung der Presse in der konstitutionellen Ära verlagerten sich solche Bemühungen zu einem Großteil dahin, die Presse inhaltlich zu beeinflussen: Ein amtlicher Pres-seapparat wurde auf-bzw. ausgebaut Dies geschah zunächst weitgehend hinter dem Schirm der Geheimhaltung, da staatliche Einflußnahme auf das Pressewesen sich immer schwerer gegenüber den liberalen Ansprüchen der Gesellschaft rechtfertigen ließ.
II. Warum Medienpolitik an Bedeutung gewonnen hat
Wenn trotz dieser leicht fortzusetzenden Vorgeschichte des Gegenstandes der Begriff „Medienpolitik" erst in jüngerer Zeit gebildet wurde und inzwischen durch häufigen Gebrauch gängig geworden ist, so ist dies ein Zeichen dafür, daß die Massenkommunikation neuerdings, d. h. in den letzten zwei, drei Jahrzehnten, erheblich an Bedeutung gewonnen hat — sowohl für den einzelnen wie auch als gesellschaftlicher und politischer Faktor. Dies kann man an einer ganzen Reihe von Indizien erkennen.
Betrug die Auflage der Tagespresse in der Bundesrepublik im Jahre 1954 lediglich rund 13 Millionen Exemplare, so stieg sie bis 1984 auf rund 21 Millionen Exemplare. Allerdings nahm die Reichweite nur um wenige Prozente zu, d. h.: gewandelt hat sich vor allem die Zahl der Leser pro (Zeitungs-) Exemplar. Kaum verändert hat sich langfristig die tägliche Lese-dauer Wenn sich die Freizeit in diesem Zeitraum beträchtlich ausweitete, so kam dies vor allem der Ausbreitung des Fernsehens zugute. Als am 1. November 1954 nach einer Versuchsphase erstmals ein gemeinsames ARD-Fernsehprogramm ausgestrahlt wurde, besaßen lediglich (oder schon) 84 000 Haushalte in der Bundesrepublik ein Fernsehgerät. Im Jahre 1960 waren knapp 18 Prozent und fünf Jahre später bereits 47 Prozent aller bundesdeutschen Haushalte mit einem Fernsehgerät ausgestattet. Mit einer Haushaltsabdekkung von 95 Prozent war dann 1974, d. h. binnen zwei Jahrzehnten, praktisch schon die Sättigungsgrenze erreicht.
Der Zeitaufwand der Bundesbürger für die Nutzung von Fernsehen, Hörfunk und Tageszeitung betrug 1980 im Durchschnitt pro Tag 43/4 Stunden. Dies bedeutete allein gegenüber 1964 eine Steigerung um eine Stunde und 38 Minuten. In den letzten Jahren ist allerdings eine Stagnation oder sogar ein geringfügiger Rückgang im Umfang der Mediennutzung eingetreten Die hier zitierten Daten besagen praktisch, daß der Anteil der Lebenszeit, der nicht mit Primärerfahrung der Wirklichkeit, sondern mit vermittelter Wirklichkeit, also mit Sekundärerfahrung, zugebracht wird, sich stark vergrößert hat. Dies wirft politisch zwangsläufig die Frage nach den Regeln und nach der Regelung dieser Vermittlung auf. Denn wer über diese Regeln verfügt, hat die Macht.
Doch nicht nur in der Reichweite und im Zeitbudget der Bevölkerung besitzen die Massenmedien heute eine größere Bedeutung als je zuvor. Sie bilden inzwischen auch organisatorische Komplexe von einer ganz beträchtlichen ökonomischen Potenz. Der Umsatz der Zeitungs-und Zeitschriftenverlage betrug 1981 über 18 Milliarden DM, die Betriebsaufwendungen der Landesrundfunkanstalten und des ZDF zusammen fünf Milliarden DM Die Zahl der im Presseverlagsgewerbe Beschäftigten belief sich 1980 auf knapp 200 000. Hinzuzurechnen sind mehr als 21 000 Mitarbeiter in den Rundfunkanstalten und 23 000 Beschäftigte in der Filmwirtschäft
Dabei muß man den Blick noch darüber hinaus richten auf den gesamten Bereich der Informations-und Kommunikationstechnik. In ihm sind heute schätzungsweise 350 000 Menschen beschäftigt. Und dieser Bereich gilt für die nächste Zukunft als ein wirtschaftlich besonders expandierender Sektor Nicht Rohstoffe und Energie, sondern Information erscheint als eigentlich zukunftsträchtiger Produktionsfaktor. Daher ist die Medienpolitik in den letzten Jahren stark unter den Druck technologischer Innovation und unter den Zwang zum wirtschaftlichen Strukturwandel geraten.
Allerdings besteht dieser enge Zusammenhang von technisch-wirtschaftlichem Strukturwandel und Medienpolitik nicht nur bei den sogenannten „neuen Medien", also bei Videotext, Bildschirmtext, Kabel-und Satellitenfernsehen, wo er unmittelbar evident erscheint Vielmehr waren es auch wirtschaftlich bedingte Funktionsgefährdungen des ältesten Mediums, also der Zeitung, die seit den sechziger Jahren den Ruf nach einem ordnungspolitischen Handeln auch im Bereich der öffentlichen Kommunikation auslösten
Medienpolitik ist heute demnach kein isolierter oder autonomer Bereich der Politik, sondern steht in engem Bezug zu anderen Feldern der praktischen Politik, vor allem der Wirtschaftspolitik, aber auch der Sozialpolitik Doch selbst dies ist nicht ganz neu:
Durch die bereits erwähnten, mit dem Anzeigenmonopol ausgestatteten Intelligenzblätter suchte der merkantilistische Staat im 18. Jahrhundert das Wirtschaftsleben anzukurbeln. Und die Einnahmen aus dem Anzeigenmonopol und aus dem Bezugszwang der Intelligenzblätter für bestimmte Berufsgruppen dienten der Finanzierung sozial-karitativer Aufgaben (in Preußen etwa der von Waisenhäusern). Daß die Medienpolitik so stark an Bedeutung gewonnen hat, dürfte schließlich noch in Zusammenhang stehen mit dem Wandel der Medienwirkungsforschung. Solange man an der von Paul Lazarsfeld und seinen Mitarbeitern in den vierziger Jahren aufgestellten These festhalten konnte, die Massenmedien veränderten nicht, sie verstärkten nur bestehende Einstellungen, so lange mochte die Medienpolitik keine größere Aufmerksamkeit verdienen oder finden. Dies sollte sich ändern, nachdem seit gut einem Jahrzehnt wieder die Erkenntnis großer Wirkungen der Massenmedien eingesetzt hat Je mehr Wirkungen der Massenmedien die Kommunikationsforschung inzwischen, vor allem unter Zugrundelegung eines weitgefaßten Wirkungsbegriffs, herausgearbeitet hat, desto mehr Interesse mußte auch die Medienpolitik auf sich ziehen. Jedenfalls macht sich derjenige heute unglaubwürdig, der solche Wirkungen der Massenmedien noch immer bestreitet, gleichwohl aber Medienpolitik sehr wichtig nimmt.
Wirkungen der Massenmedien treten, wie man inzwischen erkannt hat, nicht nur bei den Rezipienten, beim Publikum also, auf. Sie haben vielmehr auch das politische System verändert, ja dieses scheint zunehmend in Abhängigkeit von den Massenmedien zu geraten Medienpolitik muß daher auch als eine Reaktion auf diesen Vorgang verstanden werden: Und zwar als Versuch, die Gestaltungskompetenz und den Vorrang des politischen Systems gegenüber dem Mediensystem zu erhalten oder zurückzugewinnen.
Im übrigen ist der Bedeutungszuwachs der Medienpolitik ein internationales Phänomen — er gilt nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für andere Länder. So etwa für die Schweiz, wo in den letzten Jahren sogar ein „Mediengesamtplan" entwickelt wurde aber auch-für England die Vereinigten Staaten oder, in letzter Zeit besonders ausgeprägt, für Frankreich Bemerkenswert erscheint dies nur, weil es sich hier um politische Systeme handelt, die auf den Prinzipien der Medienfreiheit und der konkurrierenden Willensbildung beruhen. Daß politische Systeme, die diese Prinzipien nicht anerkennen, Medienpolitik betreiben, überrascht dagegen nicht So wenig Medienpolitik historisch ein neues Phänomen ist, so wenig ist sie heute an ganz bestimmte politische Systeme gebunden. Allerdings besteht ein enger, systematischer Zusammenhang zwischen der Art und dem Spielraum der Medienpolitik und dem jeweiligen politischen System des Landes
III. Warum die Legitimation der Medienpolitik problematisch ist
Indessen ist die Legitimation der Medienpolitik in der Bundesrepublik nicht unumstritten geblieben. Der bekannte Journalist Johannes Gross hat z. B. vor Jahren, in Abwandlung einer Bemerkung Karl Liebknechts über die auswärtige Politik, davon gesprochen, daß „die beste Medienpolitik gar keine ist" Was bei Gross noch als altliberales Credo eines Betroffenen erscheinen konnte, hat der Verfassungsrechtler Werner Weber eingehend aus dem Grundgesetz begründet. Sein Fazit: „Medienpolitik und Pressefreiheit schließen einander strikt aus."
Nun kann man, dialektisch gesehen, dagegen schon einwenden, keine Medienpolitik sei auch eine Medienpolitik, nämlich eine Medienpolitik des „laissez faire". Worauf die ernst zu nehmenden Einwände von Gross und Weber aber hinweisen, ist, daß die Legitimation der Medienpolitik hierzulande davon abhängt, wie man die in Artikel 5 Grundgesetz garantierte Pressefreiheit interpretiert Versteht man die Pressefreiheit ganz als Unterfall der individuellen Meinungsfreiheit und als subjektives Abwehrrecht gegen den Staat, so bedeutet dies eine prinzipielle Begrenzung medienpolitischer Handlungsbefugnisse des Staates. Der Staat darf dann einfach nicht in die Unabhängigkeit des Mediensystems eingreifen, er muß es sich selbst, d. h.der Selbstregulierung überlassen. So haben die Anhänger dieser Auffassung (wie z. B. Ernst Forsthoff) in den sechziger Jahren staatliche Maßnahmen gegen die Pressekonzentration abgelehnt, wie sie damals etwa von der Günther-Kommission vorgeschlagen wurden
Auf der anderen Seite steht die Auffassung, mit der gesonderten Erwähnung der Pressefreiheit in Artikel 5 Grundgesetz garantiere unsere Verfassung zugleich den Bestand der Institution „freie Presse'1 wegen ihrer für die Demokratie konstitutiven Leistungen (Publizitätsentfaltung, Herstellung eines Meinungsmarktes u. ä.). Daraus lassen sich staatliche Handlungsbefugnisse, ja geradezu Handlungspflichten im Bereich der Massenkommunikation ableiten und rechtfertigen: So, um bei dem hier erwähnten Beispiel zu bleiben, um Meinungs-und Pressefreiheit angesichts der Bedrohung durch Pressekonzentration zu sichern (wie dies u. a. Martin Löffler forderte) Beide Deutungen finden sich auch in der medienpolitisch relevanten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
Der Aufstieg der Medienpolitik ist schließlich auch zurückzuführen auf die allenthalben eingetretene Entwicklung zum Sozialstaat. Zuständigkeiten nämlich, die dem Staat mit der Verselbständigung der Gesellschaft entzogen wurden, werden dem Staat von der Gesellschaft inzwischen wieder übertragen. Dies geschieht in dem Bewußtsein, nur der Staat könne das Sozialsystem vor Fehlentwicklungen schützen, die aus der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eigendynamik resultieren. Doch gilt es hier wachsam zu sein, damit unter dem Deckmantel einer „sozialstaatlichen Wende der Medienverantwortung", wie Wolfgang Hoffmann-Riem das einmal genannt hat nicht neue Einfallstore für unerwünschte obrigkeitliche Reglementierung entstehen.
Die Ausgangslage für die Legitimation der Medienpolitik ist zudem bei den verschiedenen Massenmedien unterschiedlich. Wegen der staatlichen Fernmeldehoheit bzw.der Vorsorge für eine geordnete Nutzung der nur in begrenzter Zahl verfügbaren Funkwellen war der Einfluß des Staates auf die Organisation des Rundfunks in Deutschland von dessen Anfängen bis heute größer als bei der gedruckten Presse Zwar bedurften die Zeitungen anfänglich durchaus der amtlichen Privilegierung. Doch kann dieses Medium seine Organisation in Form privatwirtschaftlicher Unternehmen bis zu seinen Anfängen im 17. Jahrhundert zurückführen.
IV. Die Wandlung der Pressepolitik zur Medienpolitik
Von „Medienpolitik" zu sprechen ist ohnehin erst üblich geworden, seitdem der Begriff „Medium" im Deutschen über seine physikalische oder gar parapsychologische Bedeutung hinaus als Bezeichnung für jene technischen Mittel verwendet wird, die zur Massenkommunikation mit einem weit gestreuten Publikum geeignet sind. Dieser Begriff hat sich unter dem Eindruck der anglo-amerikanischen Begriffe „medium" oder „media" durchgesetzt und ist somit ein Reflex auf eine Entwicklung, in der zu den seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Zeitungen und Zeitschriften in immer kürzeren Abständen neue Mittel der Kommunikation hinzugetreten sind: Ende des 19. Jahrhunderts der Film, in den zwanziger Jahren der Rundfunk (Hörfunk), nach 1945 das Fernsehen und in den letzten Jahren die so-genannten „neuen Medien" (Videotext, Bildschirmtext, Kabelfernsehen).
Erst diese Vermehrung publizistisch nutzbarer Verbreitungstechniken führte zu einer Verallgemeinerung des Sprachgebrauchs und zur Einführung eines Kollektivbegriffs, in den nur noch die gemeinsamen Merkmale dieser verschiedenen Verbreitungstechniken eingin-gen Zwar ist demnach die Begriffsbildung „Medienpolitik" eine Folge neuerer kommunikationsgeschichtlicher Evolution. Doch besitzt sie im Begriff „Pressepolitik" einen Vorläufer aus der Zeit, als es die elektronischen Massenmedien noch nicht gab. Aber auch dieser ältere Begriff entstammt erst dem späteren 19. Jahrhundert.
Zudem besaß der Begriff „Pressepolitik" anfänglich noch einen anderen Sinn. Otto von Bismarck, bekanntlich selbst ein Meister direkter und indirekter Einflußnahme auf die Presse, verstand unter „Preßpolitik" abwertend die Einwirkung auf „den Dilettantismus von Journalisten ..., die sich in ihren Blättern mit der hohen Politik befaßten" wie der Historiker Eberhard Naujoks gesagt hat. In einem Brief vom 24. Dezember 1863 kontra-stierte Bismarck in einer für ihn durchaus schon fatalen Unterschätzung die „Kammernund Preßpolitik" mit der „waffenmäßigen Großmachtspolitik", auf die es eigentlich ankomme Im späteren 19. Jahrhundert findet man den Begriff „Preßpolitik" dann verwendet für die Versuche von Staatsmännern und Regierungen, die öffentliche Unterrichtung und Meinungsbildung zu lenken, und zwar durch Einflußnahme auf Verlage, Redaktionen und einzelne Journalisten.
Diese Bedeutung klingt noch an, wenn Otto Jöhlinger, einer der Pioniere der Zeitungswissenschaft, im ersten lexikalischen Artikel zum Stichwort „Preßpolitik", 1920 in der dritten Auflage des „Handbuchs der Politik", vom Staat „aktive Preßpolitik" verlangt, aber sogleich abwehrend hinzufügt: „Freilich darf man dieses Wort nicht falsch verstehen. Nichts ist gefährlicher als wenn der Staat eine . Beeinflussungspolitik'treiben will... Unter einer aktiven Preßpolitik verstehe ich etwas ganz anderes, als man gemeinhin darunter begreift: Der Staat soll der Presse die Berichterstattung soviel wie möglich erleichtern. Er soll ihre Informationstätigkeit fördern und ihr Gelegenheit geben, sich über alles, was sie in Ausübung ihres Berufes gebraucht, das Material zu beschaffen." Beispielhaft nennt Jöhlinger vor allem die Förderung der Interessen der Presse im Verkehrswesen (Beförderung durch Bahn und Post), die objektive und gleichmäßige Unterrichtung durch Pressekonferenzen, die Verbesserung des Nachrichtenwesens und auch die Ausbildung von Journalisten.
Damit ist bedeutungsgeschichtlich ein Wendepunkt markiert: und zwar von Pressepolitik im Sinne offener oder verdeckter Einflußnahme des Staates auf den Inhalt der Zeitungen und damit auf die öffentliche Meinungsbildung zu einer Pressepolitik, welche die Freiheit der Presse vom Staat respektiert und sich darauf beschränkt, die Voraussetzungen zu schaffen, damit möglichst freie und unabhängige Unterrichtung und Meinungsbildung verwirklicht und gesichert werden kann. Da sich die von Jöhlinger umrissene Vorstellung von Pressepolitik in Deutschland zunächst nicht durchsetzen konnte, in der Weimarer Republik nicht und erst recht nicht im Dritten Reich blieb auch dem Begriff „Pressepolitik" eine schillernde Mehrdeutigkeit erhalten.
Dennoch kann man seitdem von einer Aufspaltung des Begriffsgebrauchs sprechen. Im Sinne der älteren Bedeutung von Pressepolitik haben sich Begriffe wie „Nachrichtenpolitik" oder „Informationspolitik" eingebürgert. Aktivitäten dieser Art konstituieren heute auch den weiten Bereich der sogenannten Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations. Nur an die jüngere Bedeutung, wie wir sie bei Jöhlinger finden, schließt indessen zumeist der heute gebräuchliche Begriff „Medienpolitik" an Jöhlinger sah die Gefahr der Beeinflussung, vor welcher die Presse bzw. das Publikum geschützt werden sollten, noch ganz beim Staat. In den sechziger Jahren gewann die Medienpolitik ihren Antrieb dagegen eher aus der Befürchtung vor der Verfügung über wirtschaftliche Macht und den Folgen der Monopolisierung im Pressemarkt.
V. Was „Medienpolitik" zwischen analogen Begriffen besagt
Bezeichnet der Begriff „Medienpolitik" heute einen weiteren Gegenstandsbereich als der ältere Begriff „Pressepolitik" (im Sinne Jöhlingers) oder ihm analoge Bildungen wie „Filmpolitik" oder „Rundfunkpolitik", so ist er andererseits enger gefaßt als der vielfach synonym verwendete Begriff „Kommunikationspolitik". Dieser abstrahiert noch von den technischen Instrumenten und Organisationskomplexen zur Verbreitung publizistischer Aussagen und scheint den Gesamtbereich menschlicher Verständigung zu umgreifen.
Allerdings pflegt, wie Otto B. Roegele gelegentlich ausgeführt hat, „der Handlungsraum der Kommunikationspolitik, der über die Medienpolitik hinausgeht, in freiheitlich verfaßten Staaten im allgemeinen kein besonderes Interesse hervorzurufen" Dies deshalb, weil die zwischenmenschliche Kommunikation die Staatsgewalt nach liberaler Auffassung nichts angeht, „es sei denn", so Roegele, „in Ausnahmefällen (z. B. Beleidigung, Verleumdung, be-trügerische Irreführung), wenn der Richter zu Hilfe gerufen wird" Dieser Grund, aber auch der konkrete Objektbezug dürften dafür ausschlaggebend sein, daß von „Medienpolitik" vor allem in der praktischen Politik und im Journalismus die Rede ist. Von „Kommunikationspolitik" zu sprechen, ist dagegen bisher fast durchweg auf den wissenschaftlichen Bereich beschränkt geblieben.
Im übrigen können staatliche Entscheidungen durchaus auch jenseits der publizistischen Massenmedien für die Formen und Inhalte der menschlichen Kommunikation von Bedeutung sein, z. B. durch Festlegung von Post-und Telefongebühren (z. B. Mondschein-tarif). Als weiteres Beispiel könnte man hier die amtliche Zulassung von Schulbüchern anführen, ja überhaupt wesentliche Teile der Kulturpolitik. Doch wird bei dergleichen kaum daran gedacht oder davon gesprochen, daß dies auch „Kommunikationspolitik" ist.
VI. Institutionalisierung der Medienpolitik in der Bundesrepublik
Der Begriff „Medienpolitik" ist in offensichtlicher Analogie gebildet zu Begriffen wie Außenpolitik, Innenpolitik, Wirtschaftspolitik usw., die bereits seit längerem ausdifferenzierte Bereiche politischen Handelns bezeichnen. Solche Begriffsbildungen sind nach Franz Ronneberger im allgemeinen Anzeichen dafür, „daß dem Auftreten neuer politischer Probleme auch jeweils ihre Institutionalisierung . innerhalb des staatlichen Organisationsbestandes“ folgt.
Dabei muß diese Institutionalisierung nicht oder zunächst nicht in dem eigens dafür geschaffenen Zuständigkeitsbereich eines Ministeriums stattfinden. So wird Medienpolitik in der Bundesrepublik heute in mehreren Ministerien oder Bereichen der staatlichen Administration betrieben: Im Bundesministerium für das Post-und Fernmeldewesen, das u. a. für die technologische Infrastruktur des Rundfunksystems zuständig ist, das aber z. B. auch die Gebühren im Postzeitungsvertrieb festsetzt. Im Bundeswirtschaftsministerium, wo u. a. über Anträge auf Ausnahme von den gesetzlichen Bestimmungen zur Pressefusionskontrolle entschieden wird. Im Bundes-innenministerium, dem Teile der Filmförderung zugeordnet sind, d. h. die auf den künstlerischen Aspekt zielende Filmförderung. Schließlich wird die föderalistische Organisationskompetenz im Rundfunkwesen in den Staatskanzleien der Bundesländer verwaltet. Gerade hier liegt gegenwärtig der eigentliche Schwerpunkt der Medienpolitik in der Bundesrepublik, ja Medienpolitik erscheint als ein Feld, in dem die Landespolitik der Bundesländer noch eigenständigen Ausdruck finden kann. Erst im Frühjahr 1984 sind mehrere neue Entwürfe für Landesmedien-oder Landesrundfunkgesetze vorgelegt worden. Da die Bundesländer parteipolitisch unterschiedlich regiert werden, ergibt sich daraus eine zusätzliche Differenzierung der Medienpolitik, ja eine Zerreißprobe des Föderalismus, wie sich in letzter Zeit vor allem bei der Auseinander-9 Setzung um einen Rundfunk-Staatsvertrag zeigt.
Die Aufsplitterung der medienpolitischen Kompetenzen führt zwangsläufig dazu, daß Medienpolitik in der Bundesrepublik ohne übergreifende Systematik, nicht „aus einem Guß" betrieben wird, daß sie bisher keine „geordnete Summe" von Maßnahmen darstellt, wie man gelegentlich gefordert hat. Andererseits steht diese Aufsplitterung einer zentralen „Planwirtschaft" des Mediensystems entgegen, die leicht totalitäre Züge annehmen kann und die man sich gerade für eine demokratische Gesellschaftsordnung nicht wünschen dürfte. Nicht ohne Grund waren und sind es totalitäre und autoritäre politische Systeme, die über eigene Ministerien oder staatliche Instanzen zur Lenkung und Kontrolle der gesellschaftlichen Kommunikation verfügen. Medienpolitik ist primär eine Sache der Innenpolitik. Aber sie ist dies schon längst nicht mehr ausschließlich. Denn gerade im Rund-funkwesen war man schon früh zu internationalen Regelungen gezwungen. Seit den ersten Weltfunkkonferenzen im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mußte die Nutzung der für den Funkverkehr verfügbaren und hinzukommenden, insbesondere der grenzüberschreitenden Wellen in internationaler Absprache zugeteilt werden. Damit wurde medienpolitisches Handeln auch zu einem Teil der Außenpolitik. Aber auch dieser Teil hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen: durch den intensiver gewordenen internationalen Nachrichten-und Programm-austausch sowie jüngst vor allem durch die Entwicklung der Satellitentechnik. Dabei hat sich die Planung sehr stark auf die Ebene internationaler Organisationen verlagert: die Internationale Telegraphen-Union (ITU), die UNESCO, auch in den Weltraumausschuß der Vereinten Nationen Auf diese Weise ist die nationale Medienpolitik von internationalen Vereinbarungen abhängig geworden, in denen sehr unterschiedliche politische Systeme ihre Vorstellungen von der gesellschaftlichen Rolle der Massenmedien durchzusetzen suchen. Gleichzeitig hat das Völker-recht an medienpolitischen Dimensionen gewonnen.
Bisher könnte es so scheinen, als ob Medienpolitik sich nur in Form staatlichen Handelns vollziehe, durch letztlich zu organisatorischen Konsequenzen führende Gesetze, durch Verordnungen, Satzungen usw. Fraglos sind verfassungsgemäß die Exekutive, die Legislative und die Jurisdiktion, besonders das Bundesverfassungsgericht, hierzulande die primären Träger medienpolitischer oder medienpolitisch relevanter Entscheidungen. Aber von Bedeutung ist auch der Beitrag der gesellschaftlichen Organisationen und Gruppen zur Medienpolitik: Sei es, daß sie sich an der allgemeinen medienpolitischen Diskussion beteiligen, die in einem pluralistischen System Voraussetzung der Konsensbildung und der verbindlichen Entscheidungsfindung ist. Sei es, daß diese Organisationen in ihrem eigenen Einflußbereich und mit eigenen Mitteln Medienpolitik betreiben. In diesem Sinne an Medienpolitik beteiligt sind in der Bundesrepublik die Parteien, die Kirchen, die Gewerkschaften, die Berufsverbände der Verleger und Journalisten, auch die Wissenschaft (etwa durch Gutachten, Beratung von und Beteiligung an medienpolitischen Kommissionen), schließlich die kommunikationstechnische Industrie und die Massenmedien bzw. die Journalisten selbst.
VII. Medienpolitik als Gegenstand wissenschaftlicher Analyse
Medienpolitik ist ein Feld der praktischen Politik und ein Feld der wissenschaftlichen Analyse. Beide Felder sind, wie eben schon angedeutet, nicht streng getrennt. Denn Medienpolitik wissenschaftlich zu untersuchen, heißt unter Umständen selbst einen Beitrag zur praktischen Medienpolitik zu leisten. Die wissenschaftliche Analyse der Medienpolitik ist die Aufgabe verschiedener Disziplinen, vornehmlich jedoch der Publizistikwissenschaft. In welcher Weise man sich in wissenschaftlicher Analyse mit Medienpolitik befassen kann, das soll im folgenden noch in sechs Punkten skizziert werden. 1. Begriffsbildung, Systematisierung, Theorie der Medienpolitik Zunächst ist, wie hier z. T. schon geschehen, der Gegenstand der Medienpolitik zu bestimmen und ihr Gegenstandsbereich zu systematisieren. Die dabei gebräuchlichen Politik-Begriffe wären zu explizieren und theoretisch zu durchleuchten. Denn wie man Medienpolitik analysiert, das hängt von dem Begriff (und der Theorie) ab, den (die) man von Medienpolitik hat.
Wenn Otto B. Roegele z. B. Kommunikationsund Medienpolitik definiert „als ein Handeln, das auf die Durchsetzung [Hervorh. J. W. ] von Werten und Zielen im Bereich der öffentlichen Kommunikation gerichtet ist“ so schließt er damit unverkennbar an den soge-nannten „realistischen" Begriff der Politik an, wie Max Weber ihn formuliert hat. Nach dessen bekannter Formulierung heißt Politik das „Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung, sei es zwischen Staaten, sei es innerhalb eines Staates zwischen den Machtgruppen, die er umschließt" Und Macht wiederum wird bestimmt als die Chance, „innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen [Hervorh. J. W. ], gleichviel worauf diese Chance beruht" Unter einer solchen Perspektive er-scheint Medienpolitik primär als Machtpolitik, und das Interesse der wissenschaftlichen Analyse wird sich vor allem auf die Träger der Macht, auf ihre Legitimation sowie auf die Ziele richten, die sie durchzusetzen suchen.
Andere Begriffe von Medienpolitik liegen vor oder sind denkbar So wird unter system-theoretischem Blickwinkel besonders auf die Regelungsfunktion der Medienpolitik für die Massenkommunikation als Subsystem der Gesellschaft abgehoben. Für die Analyse stehen dann weniger Machtintentionen und Zielvorstellungen der Machthaber als die Regelungsbedürfnisse und die funktionelle Stabilität des Mediensystems im Vordergrund des Interesses. 2. Geschichte der Medienpolitik Die Medienpolitik ist historisch in ihrer Entwicklung zu analysieren. Dies ist in mehrfachem Sinne lehrreich. Zunächst läßt sich dabei der enge Zusammenhang zwischen dem jeweiligen politischen System und der Medienpolitik exemplifizieren: von der absolutistischen Herrschaft des 17. und 18. Jahrhunderts über das konstitutionelle System des 19. Jahrhunderts, das totalitäre System des Nationalsozialismus zum liberal-demokratischen System der Bundesrepublik Deutschland nach 1945. Die Geschichte liefert zudem ein ganzes Arsenal medien-und kommunikationspolitisch relevanter Regelungen und Bestimmungen. Deren Kenntnis kann dazu beitragen, die Sensibilität für Möglichkeiten und Konsequenzen ordnungspolitischen Handelns im Bereich der gesellschaftlichen Kommunikation zu schärfen. Ferner läßt sich retrospektiv auch erkennen, welche historische Dimension manche medienpolitischen Streitpunkte bereits besitzen und aus welchem Wurzelgrund sie entstanden sind
Neben dem Wandel zeigt die historische Betrachtung auch gewisse Konstanten. Zu die-sen Konstanten gehört etwa, daß das Aufkommen neuer Massenmedien zunächst immer mit kulturkritischer Ablehnung begleitet wurde. Das gilt für die Zeitung, über deren Nutzen und Schaden schon im 17. Jahrhundert eine breite Diskussion einsetzte. Es gilt für Film und Kino zu Beginn des 20. Jahrhunderts, denen eine verderbliche Wirkung unterstellt wurde. Für den Rundfunk der zwanziger Jahre gilt es noch am wenigsten, weil er von Beginn an in abgeschirmter staatlicher Zuständigkeit und Kontrolle organisiert wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dann das Fernsehen bevorzugtes Objekt der Kulturkritik. In den letzten Jahren schließlich ist den „neuen Medien" mit z. T. geradezu apokalyptischen Befürchtungen begegnet worden.
So sehr in dieser Tradition alte Argumente immer wiedergekehrt sind, so ist eines heute jedoch neu: Während früher eine öffentliche Diskussion der Etablierung der verschiedenen Massenmedien folgte, ist sie der Einführung der „neuen Medien" vorausgegangen. Dies hat die Konstellation für die medienpolitische Entscheidungsfindung verändert, ja es hat diese Entscheidungsfindung erschwert. Der naheliegendste Beleg dafür sind die Kabelfernseh-Pilotprojekte, deren erste 1984 ihre Sendungen aufgenommen haben, acht Jahre nachdem sie von der Kommission für den Ausbau des technischen Kommunikationssystems (KtK) vorgeschlagen worden waren 3. Voraussetzungen der Medienpolitik In wissenschaftlicher Analyse können die Voraussetzungen für medienpolitische Entscheidungen untersucht werden. Diese sollen damit empirisch fundiert, abgesichert und nach Möglichkeit rationalisiert werden. Einem solchen Zweck dient etwa schon die laufende Sammlung systematischer medienstatistischer Daten, die für Presse und Filmwesen in der Bundesrepublik inzwischen amtlich institutionalisiert ist Es gehören dazu aber auch eigens angestellte Befragungen oder Inhaltsanalysen. So ließen z. B. Journalistenbefragungen zu Beginn der siebziger Jahre erkennen, daß die damals heiß geführte Debatte um die „innere Pressefreiheit" — d. h. um die Kompetenzabgrenzung von Verleger und Redakteuren — oft auf irrigen Annahmen der Verhältnisse in den Zeitungsredaktionen und deren Verallgemeinerung beruhte Inhalts-analysen erbrachten im wesentlichen kaum zwingende Beweise für die Annahme, die Pressekonzentration und die Bildung lokaler Pressemonopole hätten generell für den Leser negative Folgen
Solche empirischen Untersuchungen haben aber nicht nur dazu gedient, einen behaupteten medienpolitischen Entscheidungsbedarf zu prüfen, zu rationalisieren (und zu relativieren) und insofern vermutlich vorschnelle Ver-Regelungen in der Massenkommunikation verhindert. Vielmehr haben empirische Studien in anderen Fällen Syndrome im Medien-system erst erkennbar gemacht und damit einen medienpolitischen Entscheidungsbedarf, wenn nicht geschaffen, so doch zumindest verstärkt. Hierzu kann man Untersuchungen zur „Ausgewogenheit" im Fernsehen rechnen. Belege, daß die den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auferlegte Pflicht zum „Binnenpluralismus" im Programm z. T. nur unzureichend erfüllt wird und daß die Journalisten nur ein politisch eingeschränktes Meinungsspektrum repräsentieren, mußten medienpolitisch jedenfalls den Ruf nach mehr „Außenpluralismus" stützen. 4. Ziele der Medienpolitik Der zitierten Definition von Roegele zufolge geht es in der Medienpolitik um die Durchsetzung von Werten und Zielen im Bereich der öffentlichen Kommunikation. Sie hat damit — wie alle Politik — einen normativen Charakter. Unter Zielen wiederum sind — nach Jürgen Hauschildt — zu verstehen „normative Aussagen eines Entscheidungsträgers, die einen gewünschten, von ihm oder anderen anzustrebenden Zustand der Realität be-schreiben" In diesen Zielen schlagen sich also die Wertsetzungen des jeweiligen Entscheidungsträgers nieder, seine weltanschauliche, ideologische oder politische Grund-orientierung. Die medienpolitischen Zielvorstellungen und Zielprogramme der politischen Entscheidungsträger sind wissenschaftlich zu analysieren und auf die ihnen zugrundeliegenden Leitideen zu befragen
Die Zielbestimmung der Medienpolitik steht in der Bundesrepublik unter der Maßgabe der Garantie von Meinungs-, Presse-und Informationsfreiheit in Artikel 5 Grundgesetz. Über diese obersten Ziele herrscht auch so gut wie Übereinstimmung. Unterschiedliche Positionen treten jedoch schnell bei sekundären medienpolitischen Zielen, bei Zielkonflikten oder bei der Frage der Realisierung der obersten Ziele und ihrer ökonomischen, sozialen oder psychischen Kosten auf. Die dabei auftretenden Argumente bedürfen nüchterner Analyse. Insbesondere ist die Vereinbarkeit bestimmter Zielformulierungen und medienpolitischer Argumentationsmuster mit den Verfassungsnormen und den sich darin niederschlagenden Zielen des politischen Systems zu prüfen. Dies soll hier zumindest kurz beispielhaft verdeutlicht werden.
Seit den sechziger Jahren hat Hans Bausch, der Intendant des Süddeutschen Rundfunks, wiederholt von der „publizistischen Gewaltenteilung" zwischen privatwirtschaftlicher Presse und öffentlich-rechtlichem Rundfunk gesprochen (übrigens manchmal mit und manchmal ohne Anführungszeichen) Diese Formel usurpierte gewissermaßen für die Massenkommunikation die traditionsreiche, für die demokratische Verfassungstheorie konstitutive Vorstellung der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Jurisdiktion. Sie führt offenbar einen Gedanken des Presserechtlers Martin Löffler fort, der der Presse die Rolle einer „vierten Gewalt" zugesprochen hat Doch so wenig die Presse im strengen Sinne verfassungsrechtlich als „vierte Gewalt" gelten kann, so fragwürdig ist die Formel von der „publizistischen Gewaltenteilung", weil sie einem zwar legitimen, aber doch nicht einzig möglichen „Status quo" sozusagen Verfassungsrang zu verleihen und ihn damit dauerhaft zu sanktionieren sucht.
Zu den zentralen medienpolitischen Zielkonflikten der letzten Jahre gehört der Widerstreit zwischen publizistischer Vielfalt und der Integrationsfunktion der Massenmedien Gegen die Zulassung weiterer, insbesondere privatwirtschaftlich betriebener Fernsehkanäle ist von vielen die Befürchtung vorgetragen worden, dies führe zu gesellschaftlicher Desintegration und fördere „die Aufspaltung unserer Gesellschaft in weltanschauliche Segmente und ziemlich abgeschlossene Teilkulturen" Dabei wird gewissermaßen unterstellt, der öffentlich-rechtliche Rundfunk bewirke gesellschaftliche Integration, weil er nach dem binnenpluralistischen „Integrationsmodell" organisiert ist, d. h. die gesellschaftlichen Gruppen gemeinsam die Kontrolle ausüben. Schon diese Unterstellung ist eine problematische Annahme Vor allem aber ist in Zweifel zu ziehen, ob die explizit in der Verfassung nicht vorgegebene „Integrationsfunktion" dazu dienen kann und es rechtfertigt, den von der Verfassung und vom politischen System intendierten Wert der konkurrierenden Willensbildung und der publizistischen Vielfalt an einem bestimmten Punkt zu beschränken oder außer Kraft zu setzen. Was der Integration dienen soll, sind die auch in Artikel 5 Grundgesetz festgelegten Grenzen der Pressefreiheit. Diese sind aber von allen Medien einzuhalten.
Ein anderer, geradezu klassischer Fall von Zielkonflikt verbirgt sich in der Forderung nach einem „free and balanced flow of information“, einem „freien und ausgeglichenen Informationsfluß", die in der internationalen Diskussion um die von den Entwicklungsländern geforderte „neue Weltinformationsordnung" aufkam. Denn diese Forderung enthält praktisch eine Antinomie: Oder wie soll ein Nachrichtenfluß zugleich „frei" und „ausgeglichen" sein? Ein Widerspruch besteht auch zwischen dem Prinzip der Informationsfreiheit, wie es in der Verfassung der Bundesrepublik als Grundrecht garantiert ist, und dem Prinzip des „prior consent", wie es von der Sowjetunion vertreten wird. Danach soll die Verbreitung grenzüberschreitender Rundfunkprogramme an die vorherige Zustimmung der davon betroffenen Länder gebunden sein
überhaupt besitzen solche medienpolitischen Zielformulierungen z. T. nur rhetorischen Charakter und dienen der ideologischen Verbrämung machtpolitischer Interessen. Insofern bietet die medienpolitische Diskussion der letzten Jahre auch ein Feld für rhetorische Analysen (was dem einen z. B. als „Vielfalt" erscheint, ist für den anderen schon „Reizüberflutung"; und was der eine als Kommerzialisierung der Kommunikation zur „Ware" ablehnt, befürwortet ein anderer als Regelung durch Nachfrage). 5. Mittel der Medienpolitik Politisches Handeln besteht aus Zielen und Mitteln. Daher hat sich die wissenschaftliche Analyse außer auf die Ziele auch auf die Mittel der Medienpolitik zu erstrecken Generell wird man zwischen unmittelbar und mittelbar medienpolitisch relevanten Mitteln unterscheiden können. Unmittelbare Instrumente der Medienpolitik sind vor allem gesetzgeberische und verwaltungsmäßige, z. B. ökonomische Maßnahmen. Dabei erscheint Ver-Rechtlichung für sich genommen in einem freiheitlichen Mediensystem kein durchweg adäquates Mittel medienpolitischen Handelns. Kriterien für die Analyse sind die Vereinbarkeit von Zielen und Mitteln, die Angemessenheit und Realisierbarkeit der Mittel medienpolitischen Handelns. Dazu bedarf es vor allem der Einsicht in die Eigengesetzlichkeit der Massenkommunikation und der Massenmedien als dynamischer Systeme. So sprachen gegen die Vorschläge, welche die Günther-Kommission Ende der sechziger Jahre zur Eindämmung der Pressekonzentration machte, nicht nur rechtliche, sondern auch praktische Gründe. Als Beispiel für eine mittelbar medienpolitische Maßnahme sei hier auf die im letzten Jahrzehnt verstärkte Bemühung um eine akademische Journalistenausbildung verwiesen. 6. Folgen der Medienpolitik Schließlich können die voraussehbaren und tatsächlichen Folgen medienpolitischen Handelns Gegenstand wissenschaftlicher Analyse sein. So weit es um voraussehbare Folgen medienpolitischer Entscheidungen geht, handelt es sich um Prognostik. Solche Prognosen werfen sowohl theoretisch wie empirisch jedoch ganz erhebliche Validitätsprobleme auf Manche der in den letzten Jahren entworfenen „Szenarios" der Massenkommunikation für die neunziger Jahre oder für das Jahr 2000 sind denn auch mit einiger futurologischen Spekulation untermischt Bestimmte Ansätze bauen stärker auf empirische Determinanten oder suchen Expertenwissen auszuschöpfen Die Unsicherheitsfaktoren solcher Prognosen lassen sich aber nirgendwo ganz ausschließen.
In der medienpolitischen Diskussion der letzten Jahre interessierte vor allem die Frage, ob eine Vermehrung der Fernsehprogramme auch zu mehr Fernsehnutzung führe. Diese Frage läßt sich naturgemäß mit einer vorausgehenden direkten Befragung der Betroffenen nicht hinreichend sicher beantworten. Gewisse Hinweise können aber vielleicht Ergebnisse aus anderen Ländern geben, in denen die Verkabelung bereits weiter fortgeschritten ist, wie z. B. in Belgien oder in der Schweiz. Diese Ergebnisse deuten (zumindest bei Erwachsenen) nicht auf eine erhebliche Vermehrung des Fernsehkonsums, wenn auch auf eine Schwächung der Bindung an die „angestammten" Fernsehstationen und -Programme Ähnliche Ergebnisse brachte auch eine Sonderauswertung von Teleskopie für grenznahe Gebiete in Deutschland, die bereits über eine größere Zugänglichkeit von anderen Fernsehprogrammen verfügen Sicher wird man solche Ergebnisse nicht einfach übertragen oder verallgemeinern. Aber man kann an ihnen auch nicht einfach vorbeigehen, wenn man sonst keine Entscheidungsgrundlagen hat.
Das gegenwärtig naheliegendste Vorhaben, die tatsächlichen Folgen medienpolitischer Entscheidungen zu untersuchen, bildet die Begleitforschung zu den Kabelfernseh-Pilotprojekten Am 1. Januar 1984 hat als erstes das rheinland-pfälzische Pilotprojekt seine Sendungen in Ludwigshafen aufgenommen, das in München folgte zum 1. April. Dabei ‘brachte das rheinland-pfälzische Projekt mit der erstmaligen Beteiligung privater Programmanbieter die zunächst größte Neuerung. Die Beteiligung der Forschung an solchen Pilotprojekten ist zunächst vor allem ein Bestandteil ihrer politischen Legitimation. Die Durchsetzbarkeit medienpolitischer Entscheidungen wächst offenbar, wenn man gleichzeitig die Erforschung ihrer Folgen wissenschaftlichen Begleitkommissionen überträgt. Dieser Legitimationszwang kann jedoch durchaus als Chance der wissenschaftlichen Forschung begriffen werden. Denn die Ausgangslage ist hier für die kommunikationswissenschaftliche Analyse völlig neu. Verging nach der Etablierung von Zeitung, Film, Rundfunk und Fernsehen jeweils mehr oder weniger Zeit, bevor diese Medien zum Gegenstand wissenschaftlicher, insbesondere empirischer Analyse wurden, so soll die Forschung jetzt die Einführung von sogenannten „neuen Medien"
unmittelbar begleiten und möglicherweise als Korrektiv dienen.
Immer wieder beklagte Defizite der Medienwirkungsforschung resultieren nämlich daher, daß diese bei den „alten" Medien zu spät einsetzte und daher praktisch keine, sondern nur spärliche Vorher-Messungen oder soge-nannte Null-Messungen vorliegen. So kann beispielsweise die schon vor Jahrzehnten von Paul Lazarsfeld und Robert Merton aufgeworfene Frage, welche Wirkung allein die Existenz eines Mediums hat, rückwirkend nur noch unzulänglich beantwortet werden. Dies ist bei den Kabelfernseh-Pilotprojekten erstmals anders. Was sie der wissenschaftlichen Analyse bieten, ist eine experimentelle Feldsituation, in welcher das erweiterte Medienangebot den experimentellen Faktor darstellt. Dies ermöglicht eine ganz andere Beweisführung bei der Ermittlung der Folgen medienpolitischen Handelns.
Die sechs Bereiche wissenschaftlicher Analyse der Medienpolitik, die zuvor skizziert wurden, sind hier nur analytisch getrennt, sollten in der Forschungsarbeit und in der Lehre aber zusammengeführt werden. Dabei hat sich die ihrem Publizistikwissenschaft Selbstverständnis nach in besonderer Weise als eine „integrierende" Wissenschaft zu erweisen und zugleich etwas zur Lösung politischer Gegenwartsfragen beizutragen. Allerdings treten dann jene Probleme auf, die immer wieder aus der wissenschaftlichen Analyse für die Beratung der Politik folgen Denn daß die Wissenschaft sich dabei legitimieren muß, ist eine Selbstverständlichkeit, die aber praktisch schwerer einzulösen als theoretisch zu fordern ist. Jedenfalls münden somit die Legitimationsprobleme der praktischen Politik in die Legitimationsprobleme der wissenschaftlichen Analyse.