Der Autor — er hat das bundesdeutsche Kabarett der Nachkriegszeit mehr als dreißig Jahre lang beobachtend und gestaltend mitgeprägt — nimmt die Frage zum Anlaß, über sein Metier kritisch zu reflektieren. Ins Schußfeld geraten dabei nicht nur verschiedene Spielarten des politischen Kabaretts, sondern auch seine Kritiker und Theoretiker, deren Vorwürfen der Autor seine eigenen Ansichten als Praktiker entgegenhält.
Oder: Lohnt sich das politische Kabarett noch?
Das Theoretisieren darüber, was denn Kabarett sei, dürfe, müsse, erreichen könne etc. etc. überlassen Kabarettisten gerne anderen, denn sie selbst tun sich mit dem Praktizieren all dessen schon schwer genug. Und einem, der für das Kabarett schreibt, muß das ausführliche Spekulieren über sein eigenes Metier vollends ein Greuel sein, ist er doch bei seiner Arbeit auf jene Kürze programmiert, in der bekanntlich die Würze liegt, die das Publikum ihm zu Recht abverlangt. Dennoch richtet die Redaktion der „Beilage" ihre allem Anschein nach gewichtige Frage nicht an einen Theoretiker oder Kritiker des Kabaretts (was im übrigen müßig wäre, da es in deren Augen sowieso längst schon wieder einmal tot ist), sondern an einen Macher, von dem anzunehmen ist, daß er eigentlich am besten wissen müßte, ob sich das politische Kabarett noch lohnt...
Die Frage alleine hat's schon in sich. Das hier etwas leichtfertig verwendete Wörtchen „noch" nämlich weckt zwangsläufig den überaus zweifelhaften Eindruck, es müsse irgendwann einmal tatsächlich eine Zeit gegeben haben, in der politisches Kabarett sich gelohnt haben könnte. Und ob dieser Eindruck nun falsch sei oder richtig — darüber sind sich sogar (und vor allem) Kabarettisten un-eins. Deshalb neige ich auch dazu, die Frage zu modifizieren: Weil es das politische Kabarett eigentlich gar nicht gibt, weil Kabarett, wenn es denn nicht Cabaret sein will, zwangsläufig immer politisch ist: Lohnt sich Kabarett überhaupt?. Und schließlich, nach mehr als dreißigjähriger Tätigkeit an der Satire-Front, als streng-kritischer, bisweilen (besonders heute) aber auch amüsierter Beobachter des politischen Tagesgeschäfts von der Adenauer-Ära bis zur Kohl-Phase und — so hoffe ich wenigstens — auch noch weit darüber hinaus, richte ich an mich selbst die Frage in ihrer wohl schlichtesten Form: Hat sich's gelohnt? Kabarett — es wurde schon angedeutet — ist etwas grundlegend anderes als Cabaret. Den Unterschied verdeutlicht schon die Schreibweise und erst recht die Aussprache: Kabarett ist etwas ausgesprochen Deutsches. Das Wort fängt scharf an und endet schneidend.
So ist es auch durchaus gemeint. Cabaret mag Charme haben, Kabarett darf es nicht — das Ansinnen allein wäre schon eine Zumutung, denn schließlich ist das Kabarett nicht dazu da, Streicheleinheiten auszuteilen. Allenfalls mit der Kratzbürste, denn wenn das Kabarett schon streichelt, soll's wenigstens weh tun. Diese Metamorphose des Cabarets zum Kabarett in Deutschland hatte ihre Gründe: den Kaiser, die Weimarer Republik, die Nazis. Daraus läßt sich ersehen, daß Kabarett hierzulande niemals nur der Unterhaltung diente, sondern daß es sich von Anfang an eine Aufgabe gestellt hatte (auch das ist etwas typisch Deutsches an ihm!) — denn es sollte sich ja schließlich lohnen ...
Die Waffe des Kabaretts ist der Witz, und das Maß der Wirkung des-Witzes ist das Lachen. Kabarett spielt sich vor Publikum ab, und so kann der Kabarettist am Lachen des Publikums ablesen, ob seine Arbeit der Mühe wert gewesen ist. Auch das ist zweifellos ein Kriterium dafür, ob Kabarett sich lohnt: seine Fähigkeit, Freude zu bereiten, Lachen zu erzeugen, Spaß zu machen. Mag diese Rechtfertigung des Lachens im Kabarett auch oberflächlich erscheinen — der Volksgesundheit wie der Soziohygiene ist ein befreiendes Lachen über ernste Dinge jedenfalls entschieden zuträglich.
Hier regt sich nun gewiß der Widerspruch jener, die das Lachen im Kabarett für ausgesprochen verderblich halten. Das sind nun nicht etwa die vom Lachen Betroffenen, die Ausgelachten, sondern die Puristen, die Kabarettologen, die Verfechter der reinen Lehre — die Theoretiker also, denn wenn sie die Kunst beherrschten, die Leute zum Lachen zu bringen, wären sie längst Praktiker geworden (oder geblieben, weil sie als solche meist erfolglos angefangen haben), statt miesepetrig den Kabarettisten vorzuwerfen, sie würden ja doch nichts erreichen und hätten sich vor lauter Pointiersucht von ihrem ursprünglichen Anspruch losgesagt. Und darum lohnte es sich nun wirklich nicht...
Dieser Anspruch, den man Kabarettisten gerne unterstellt, ist der, die Welt (oder er-B satzweise den Menschen, die Zustände, die Gesellschaft etc.) verändern zu wollen, und zwar — wohin auch sonst? — zum Guten hin. Den offenkundigen Umstand, daß dies bis dato nicht nur vom Kabarett nicht erreicht worden ist, kreidet man den Kabarettisten nun gerne als ihr persönliches Versagen an: Da seht ihr es, mit Lachen kann man nichts verändern. Kabarett hat nur noch eine Funktion als Alibi für die Toleranz der Mächtigen, Kabarettisten sind weiter nichts als die Hof-narren der Demokratie ... und lohnt sich das?
Den Totalitätsanspruch unterstellt man dem Kabarett oft nicht einmal zu Unrecht, denn wenn einer sich entschließt, in dieser Kleinkunstgattung tätig zu werden, ist er meist noch in jugendlichen Jahren, und in diesem Alter kann der Weltverbesserungsdrang bekanntlich manische Züge annehmen. Verständlich darum auch, daß solche jugendlichen Blaulichtkabarettisten das Brettl gerne dazu mißbrauchen, mit erhobenem Zeigefinger und mit leitartikelhafter Verbissenheit ihr politisches Credo ins Publikum zu hämmern. Warum auch nicht — nur: eine dankbare Zuhörerschaft findet sich für solche Politunterhaltung kaum, und so sitzen letzten Endes nur die auf den meist unbequemen Stühlen, die ohnehin derselben Meinung sind und denen es Spaß macht, diese ihre Weltanschauung nun auch noch von höherer künstlerischer Warte aus bestätigt zu bekommen. Aber mal ehrlich: lohnt sich das?
Der andere aber, auf den es ankommt — der, den das Kabarett... nein, nicht bekehren, aber vielleicht etwas beeinflussen, ein bißchen nachdenklicher machen, eine Spur kritischer stimmen könnte, der bleibt zu Hause und liest lieber gleich den Leitartikel seiner Zeitung, wobei er sich manchmal sogar besser unterhalten fühlen dürfte. Oder er stillt seinen Bedarf an ätzender Politik-Kritik, indem er über die tägliche Karikatur lacht. Oder er hält sich eines jener illustrierten Blätter, die beim Aufarbeiten des politischen Geschehens der Satire schon ziemlich nahe kommen.
Oder er genießt es im Fernsehsessel, wie Politmagazine aller Schattierungen enthüllen, anprangern, süffisant witzeln ... Dem Kabarett von heute ist in den Medien eine riesige Konkurrenz erwachsen, die ihm, was das Journalistische angeht, an Facts und Aktualitäten oft weit voraus ist — also wieder gefragt: Lohnt es sich denn?
Und war es denn vor allem früher leichter? Es ist halt immer wieder die alte Geschichte, das ewig von neuem aufgewärmte Diskussionsthema unter Kabarettisten und Satirikern:
Gibt es Zeiten, die dem politischen Kabarett gewogen sind, und solche, in denen es lieber die Segel streichen sollte? Macht das, was im autoritären Staat ungeheuer beeindruckend und waghalsig wirken kann, in der permissiven Demokratie überhaupt noch einen Sinn?
Zeugt es denn von Mut, der Obrigkeit ans Bein zu pinkeln, wenn gar kein Büttel in der Kulisse steht? Und geht die Kunst, etwas zwischen den Zeilen zu sagen, nicht daran zugrunde, daß die Gehöre dafür gar nicht mehr geschult sind? Ihr macht's euch leicht, heißt es: Indem ihr euch über die Spitzen des Staates hermacht, täuscht ihr eine Gefährlichkeit eures Tuns vor, die in Wahrheit gar nicht existiert, und darum gehört auch kein Fünkchen Mut mehr zum Kabarett — lohnt es sich also?
Bestimmt war es spannender, früher, und vielleicht war's auch wichtiger. In jedem Fall ist es heute schwieriger, eben weil die Gefährlichkeit fehlt. Und daß sich das Kabarett diese Gefährlichkeit nicht herbeiwünschen darf, sondern ganz im Gegenteil alles dazu tun muß, sie sich vom Leib zu halten — das gerade macht ja das Zwittrige seiner Existenz aus. Aber soll es deswegen die Flinte ins Korn werfen? Auch die demokratischste Demokratie ist eine Herausforderung fürs Kabarett, und daß es, traditionell links stehend, selbst in dreizehn Jahren sozialliberaler Brandschatzung keinen Anlaß sah, die Klappe zu halten, zeigt, daß es sogar diese Herausforderung angenommen hat — wenn auch anfangs zitternd und, zugegebenermaßen, nicht ohne spätere Verluste. Es könnte ja sein, es hätte sich vielleicht gelohnt.
Mit dem Anbruch der sozialliberalen Ära war die Zeit der flächendeckenden Großkabaretts, deren Fernsehauftritte seinerzeit die abendlichen Straßen leerfegten wie sonst nur noch die Fortsetzungs-Krimis von Francis Durbridge, ohnehin zu Ende. Sie wurden, obwohl sie teils auch heute noch — oder schon wieder — in anderer Form quicklebendig sind, von den eingangs schon erwähnten Kabarett-Theoretikern freudestrahlend für tot erklärt: Relikte der Adenauer-Zeit, öffentliche Spaßmacher mit dem Hang zur Selbstkastration, dem Fortschritt der Republik eigentlich nur hinderlich, weil sie — und das war der widersinnigste Vorwurf, den man ihnen machen konnte — zugunsten der Breitenwirkung eine (im übrigen in der ganzen Kabarettgeschichte nie erforschte oder nachgewiesene) Tiefen-B Wirkung preisgegeben hätten. Es ist, als sagte man einem Bauern, er solle sein Saatgut in ein tiefes Loch versenken, statt es breitwürfig zu verstreuen. Lohnte sich so etwas? Immerhin scheint das, was die deutschen Kabaretts der Nachkriegsjahre gesät haben, aufgegangen zu sein. Vermutlich als Gegenreaktion auf den verbissenen Revoluzzer-Bierernst der studentischen Revolte Ende der sechziger Jahre meldeten sich allmählich an allen Ecken und Enden der Republik, auch in tiefster Provinz, junge Leute zu Wort — teils nahe dran, teils mehr oder weniger weit weg vom alten Klischeebegriff „Kabarett", nicht nur unbedingt reiner Polit-Satire verhaftet — eine neue Generation kritisch-bewußter Kleinkünstler, mit neuen Formen und neuen Inhalten: Wortkünstler, Parodisten, Liedermacher, Rockgruppen und so weiter und so weiter — eine Kleinkunstszene, die in der deutschen Geschichte ihresgleichen sucht. Und sie ist vor allem nicht nur auf die Metropolen beschränkt, sondern versorgt auch den hintersten Winkel der Republik. Damit aber hat sich auch das Publikum verändert — es sind nicht mehr die geschmäcklerischen Snobs, das Sekt-und Nadelstreifen-Auditorium der fünfziger und sechziger Jahre. Das Publikum ist jünger geworden, begeisterungsfähiger, aufnahmewilliger, kritischer — ein Publikum, für das es sich lohnen müßte ...
Nicht zufrieden sein kann das Kabarett mit der derzeitigen Politik. Gut, das Kabarett ist nie mit irgendeiner Politik zufrieden, aber das Störende an der derzeitigen Politik ist ja auch etwas anderes: Sie macht sich ihre Pointen selbst und bringt sie unter Umgehung des Kabaretts direkt an den Mann. Das ist unfair dem Kabarett gegenüber, und die Politiker sollten sich möglichst rasch etwas Neues einfallen lassen. Sonst lohnt es sich wirklich nicht mehr.
Alles in allem läßt sich die Frage, ob sich das politische Kabarett denn wohl noch lohne, parlamentarisch-kurz auf dreierlei Art beantworten: 1. Die Frage ist an sich richtig, aber falsch gestellt.
2. Mit einem eindeutigen Sowohl-Als-auch. 3. Muß es das denn?
Klaus Peter Schreiner, geb. 1930; seit ihrer Gründung neben Dieter Hildebrandt Haus-autor der „Münchner Lach-und Schießgesellschaft" und später auch deren Biograph („Die Zeit spielt mit". Die Geschichte der Lach-und Schießgesellschaft), freier Autor, hauptsächlich auf dem Gebiet Unterhaltung — Kabarett — Satire; Mitarbeiter zahlreicher Fernsehsendungen („Klimbim", „Notizen aus der Provinz", „Scheibenwischer", „Drehpause" etc.).
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