Was mag er wohl hören, des Abends, im Kreise der Lieben beim Glasl Wein, wenn er wieder Mensch wird, unser Kanzler. Liebt Helmut Kohl Abba, die Egerländer, „Für Elise" oder Chris de Burgh?
Bayernklänge wird er meiden, vermutlich, und die Stones auch. Obwohl Mick Jagger nur 14 Jahre jünger ist als unser Regierungschef und Micks Mutter immer sagte: „Ehrlich, ich dachte, Mick würde Politiker werden. Er war schon in der Schule immer der Anführer. Wenn er an etwas glaubte, setzte er sich mit Haut und Haaren dafür ein."
Die präzise Beschreibung eines Berufsstandes, immerhin. Eines Metiers, zu dem Leute wie Jagger nicht gerade das beste Verhältnis haben. „Was kann son unwichtiger Typ wie ich denn schon tun, als in einer Rock'n'Roll-Band zu singen?" faßte das Popidol einst seine Gefühle völliger Hilflosigkeit gegenüber „denen da oben" zusammen.
Über Rockmusik und Politik ist viel diskutiert und geschrieben worden ein sich vom Urverständnis als anti-autoritär fühlendes Medium der Populärkultur mißtraute den Formen der Macht. Wenngleich heute weniger die . gesellschaftliche Relevanz massenkultureller Prozesse'die Gespräche unter Rockmusikern bestimmt, sondern vielmehr die Frage nach der Knete so gelingt es dennoch hin und wieder, Signale politischen Bewußtseins im Show-Big-Business zu orten.
Nicht alles ist so spektakulär wie jene Single zugunsten der Hungernden in Äthiopien, die unter der Regie des Musikers Bob Geldorf (Boomtown Rats) zum Christfest 1984 eingespielt wurde und einige der prominentesten Rocksolisten und -bands zum Gemeinschaftssingen versammelte Und nicht alles schafft den Aufstieg in die weltweiten Hitparaden wie die Komposition „Two Tribes" des Ensembles Frankie Coes To Hollywood. Das Cover der Maxi-Single listete die Bestände von Atomwaffen beider Machtblöcke (eben „two tribes"!) auf, und in einem der Platte zugeordneten Video-Clip bekämpfen sich zwei ältere Herren im Boxring vor johlenden Zuschauern mit härtesten Bandagen. Sie sind unschwer als Double für Tschernenko und Reagan zu erkennen. Die Punkmusiker U K. -Subs schmückten ihr Album „Flood Of Lies" durch einen Cartoon, der einen menschlichen Gnom mit Maggie-Thatcher-Kopf zwischen Totenschädeln, Krötenwesen und monarchischen Symbolen hantieren läßt. Die irische Band U 2 erinnerte auf der Rückseite der Plattenhülle ihres Erfolgssongs „Pride — In the name of love" mit Foto und Zitat an Martin Luther King. Human League komponierte „The Lebanon", Bruce Cockburn „Nicaragua" und The Special AKA trat mit „Nelson Mandela" für die Befreiung des südafrikanischen Farbigen ein, der seit 1962 als Oppositioneller der Rassisten-Regierung im Gefängnis sitzt. Eine US-Band, berühmt geworden durch ihr radikal-satirisches Programm, trägt politische Realität schon im Namen: „Dead Kennedys". Und als zu Beginn des Wahljahres '84 eine große amerikanische TV-Station die Kandidaten der Demokratischen Partei vorstellte, empfahl sie ihren Zuschauern in subversiver Ironie, doch lieber für Z. Z. Top zu stimmen — eine Rhythm'n'Blues-Combo hoher Popularität.
In der Bundesrepublik sind die Accessoires gesellschaftlichen Engagements gleichfalls erkennbar, wenngleich so mancher Anarcho-Musensohn seine Marx-Interessen mit Mark(t) -Interessen vertauscht. Eine Pop-gruppe mit dem hintersinnigen Namen Geier Sturzflug hatte in diesem, unserem ... mit zwei Eigenschöpfungen Erfolg, zu deren Kernzeilen „Ja, jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt" und „Besuchen Sie Europa — solange es noch steht" es sich trefflich schunkeln ließ. Und damit sich der Ernst des Lebens und die Lebensfreude nicht ausschließen müssen, rief Nikel Pallat von der Gruppe Nikel's Spuk dem Bonner Regierungschef (damals noch Helmut Schmidt) zu:
Tanze, Kanzler Kanzler tanze Tanz'auf dem Ball der Ignoranten — mach dich schön ... Tanz’ mit deinen Freunden aus der Wirtschaft.
aber auch:
Tanz'mit jemand aus dem einfachen Volke Komm'mal herunter von deiner Wolke Sogar in den „ 99 Luftballons" der Berliner Pop-band Nena, aufgestiegen zu einem sensationellen 2. Platz der US-Hitparade, glimmt politischer Anspruch:
99 Kriegsminister Streichholz und Benzinkanister hielten sich für schlaue Leute witterten schon fette Beute riefen: Krieg und wollten Macht 99 Jahre Krieg ließen keinen Platz für Sieger Kriegsminister gibt's nicht mehr Anzeichen eines gewissen Nachdenkens über die Zustände an sich lassen sich schon vielfach in den Band-Namen aufspüren: X-mal Deutschland nennt sich da ein Ensemble, Marie Deutschland ein anderes. Man heißt oder hieß Palais Schaumburg, Wolf Maahn und die Deserteure, Abwärts, DAF(Deutsch-Amerikanische Freundschaft), Ede und die Zimmer-männer, Dunkelziffer, Einstürzende Neubauten, fnterzone oder auch Der Eiserne Vorhang. Die Ulkband Crackers überschrieb ein Album „BRDigung". Das Rock-Kabarett Schroeder Roadshow (inzwischen nur noch Schroedei} titelte seine Langspielplatten „Anarchie in Germoney" (1979), „Deutschland Deutschland" (1982) und „Wir lieben das Land" (1983). Ein verschämter Gesinnungswandel? Skepsis bleibt angebracht, auch wenn das 83er Album auf der Rückseite die Musiker im Gemeinschaftsbett unter dem Bild des Alt-Präsidenten Carstens versammelt. Und so hört man dann im Song „Bonn bei Nacht" folgende Worte:
Wer hat sich diese Stadt bloß ausgedacht Bonn bei Nacht, das Licht geht aus der Kanzler kennt sich nicht mehr aus Bonn bei Nacht, der Mond verbrennt im Dunkel weint ein Präsident Politzombies — im Zentrum der Macht hier hat schon lange — kein Kind mehr gelacht
Womit wir den Schleier lüften: Deutsche Pop-künstler meinen es nicht gut mit ihren Politikern. Ganz gleich welcher Coleur. Die Gruppe Extrabreit sang:
Ich will nicht in die Freie Deutsche Jugend ich will nicht in die CDU Schießt die Raketen in die Sonne und dann laßt mich in Ruh ich will tanzen, tanzen, tanzen, tanzen („Laß die Kleinen in Ruh")
und bestätigte damit den Jugendforschern und Sozialpsychologen erneut den seit langem konstatierten Hang zum Defätismus und Eskapismus:
Warum hast Du mich geboren?
Bevor ich da war, war ich schon verloren Land der Henker — Niemandsland Das Paradies ist abgebrannt
So klagt eine Band mit dem mehrschichtigen Namen Neue Heimat in ihrem Lied „Sehnsucht". Selbst die Sängerin Nena Kerner, gestaltgewordene Zuversicht und Unbekümmertheit, sieht ihr Dasein als „Tanz auf dem Vulkan" (Songtitel). Mit ihrem Gitarristen Carlo Karges reimte sie:
Ich hör'wie drüben jemand schreit zum letzten Atemzug bereit die letzten Tag'sind gezählt denn der Vulkan regiert die Welt „Vulkan" steht für die Herrschenden in der Welt, für die Politiker. Sie gelten den Pop-künstlern zumeist als anonyme Monster, machthungrig, zynisch, brutal, und sie sind bestenfalls komische Figuren:
Ein Pudding spricht im Bundestag, dann schwabbelt er davon beobachtete Ulla Meinecke im Song „Made in Germany" (!).
Politiker sind den Pop-Kulturschaffenden Synonym für Bedrohung, und die Drohenden fühlen sich selbst bedroht:
Und der Regen klatscht mir ins Gesicht, wäscht die Autos ab mit seinem Gift.
Während 'ne Kamera auf dem Rathausdach die ganze Szenerie auch noch überwacht
(Wolf Maahn in „Rosen im Asphalt")
Auf dem gleichen Album läßt Wolf Maahn die Politiker dann quasi aus der Rathaustür treten:
Da kommt ’n Landtagsfuzzi mit’m Lacoste-Hemd an Mehr Verständnis für die Jugend, und er spielt den großen Mann
Noch gnadenloser springt in „Schattenkabinett" das Folkrock-Trio Ape, Beck & Brinkmann mit unseren Volksvertretern um:
Wenn ich die schon seh auf dem Fernsehschirm Politiker und die, die uns verwalten und durch ihre Sprüche nur die Menschen verwirrn ganz schlecht wird mir von diesen Gestalten es wird langsam Zeit, daß wir selber regiern und wenn's mal nicht klappt, heißt es weiterprobiern
Immerhin: Der Glaube an die eigene Unfehlbarkeit ist brüchig, ein Hintertürchen fürs Übungsgelände eventueller Regierungsversuche ist offengehalten.
Daß Bonn Schauplatz spezieller Geldtransfers ist, wurde 1984 allgemeiner Erkenntnisstand. Die, zugegebenermaßen, kommunistische, will sagen: DKP/SED-hörige Politrock-Formation Floh de Cologne hat sich schon 1970 darauf einen Vers gemacht:
Die oberen 10 000 sie haben Geld und eine Lobby in Bonn und einen Bundesverband der Deutschen Industrie und eine Regierung in Bonn und sie finanzieren die Volksparteien
1974 ließen es sich die Kölner Flöhe nicht nehmen, einen Finanzier nachträglich in einer „Geyer-Symphonie" zu Grabe zu tragen, dessen Name zehn Jahre später viel Freude in Bonn aufkommen ließ: Friedrich Flick. Die Trauer-Worte des damaligen Alt-Kanzlers Ludwig Erhard, auf der Platte im Originalton wiedergegeben, sind wohl der erste Beitrag eines deutschen Staatsmannes zur Rockszene seines Landes. Doch die geschmähten Politiker können aufatmen: Wenigstens diese Flöhe im Pelz gibt es inzwischen nicht mehr.
Im Ernst: Schwer haben sie’s, unsere Volksvertreter, die würdevoll und mit Mühsal beladen ihres Amtes walten. Zum Gespött der niederen Künste werden sie gemacht, als Militaristen geschmäht, als machtgeile Vampire gegeißelt. Dies zumeist in einer Sprache, nein, in einem Jargon, der unserem Kulturerbe von Dichtern und Denkern Hohn spricht.
Und die Zunft der Rocker findet obendrein noch Beihilfe in den Medien. Rudi Carell ließ in seiner speziellen „Tagesschau" den CDU-Fraktionsvorsitzenden Dregger das „Satisfaction" der Rolling Stones singen. Und der nämliche Manipulator illustrierte Herbert Grönemeyers Erfolgslied „Männer" in einem VideoClip in despektierlicher Weise mit den Anlitzen deutscher Politiker. Ronald Reagan ließ er gar zu „Grönies" Versen auf der Gangway zu seinem Flugzeug ausgleiten. Apropos: dessen exponierte Stellung in der Welt bringt es mit sich, daß er besonders häufig aufs Korn agitproperer Rockbeiträge genommen wird. Das schon vorgestellte Ensemble Geier Sturzflug leitete eine neue Single, Titel „Alle Amis singen Olala — featuring Ronnie", mit dem bekannten derben Scherz des amerikanischen Präsidenten ein, der hier — ein zu alter Witz ist kraftlos wie zu leiser Hardrock — nicht mehr zitiert werden muß.
Ehrende Anerkennung ernten hiesige Politiker allenfalls bei Punk-Bands. So statteten die Sluts (= die Schlampen) auf ihrem Album „Bäh!!!" unter anderem einen „besonderen Dunk (sic.) für Inspirationen an F. J. Strauß (und) Helmut Schmidt“ ab. Nur der Ordnung halber seien einige Kompositionen dieser LP genannt: „Mir stinkts", „Atomkrieg", „Verblöden", „Scheiße". Und der Gerechtigkeit wegen sei nachgetragen, daß der Herr Staatsanwalt diese und ähnliche Popwerke mit liebevoller Aufmerksamkeit bedenkt. Eine Beschreibung der Rückseiten-Grafik erwähnter Platte muß den ohnehin bereits höchstlichst indignierten Lesern dieser Zeilen unbedingt vorenthalten werden. Kaschiert in ausländischer Terminologie sei nur verraten: Hardcore, XXX-rated.
Nun weiß man, daß „Punk" Schund, Mist und Dreck bedeutet — das richtet sich selbst und nicht die Politiker. Bedenklich aber ist, daß bereits anno 74 ein so kreuzbraver Sangesmann wie Reinhard Mey allen bankrotten, trotteligen, häßlichen, bestechlichen, faul und gefräßigen Mitbürgern nur einen Beruf empfahl, den des Staatsmannes. Mey schwärmte: „Was kann schöner sein auf Erden als Politiker zu werden?" (Songtitel, 1974). Auszug:
Wer die Noten liebt, der mache Musik, doch wer die Banknoten liebt, der mache Politik
Nein, von bestimmten Elementen der Unterhaltungsbranche haben jene nichts zu erwarten, die uns liebevoll die „Menschen draußen im Lande" nennen. Da mag es ein Trost sein, wenn gelegentlich ein seriöser Künstler wie Roberto Blanco zum bayerischen Ministerpräsidenten sagt: „Wir Schwarze halten zusammen!"
So wird es noch lange dauern, bis sich Kanzler Helmut Kohl — damit wären wir wieder am Ausgangspunkt — bereitfindet, einer landeseigenen Popband staatliche Orden umzuhängen. So sich eine fände, dergestalt dekoriert zu werden. Ganz anders übrigens als der Regierungschef im anderen Deutschland, der Herr Staatsratsvorsitzende und Erste Sekretär des ZK der SED, Genosse Erich Honecker. Heute im Reinen mit jenen Massenkünsten, die er noch 1965 auf dem 11. Plenum seiner Partei geschmäht hatte — Schwamm drüber! —, überreichte er erst kürzlich der auch bei uns hinlänglich bekannten Softrock-Kapelle Karat den Nationalpreis III. Klasse. Das wirbt in den einen Kreisen für Karat, in den anderen für Honecker.
Des Werbemediums staatliche Auszeichnung muß sich unser Kanzler entschlagen, da sich — das begreifen wir nun — kaum ein Opfer finden dürfte (zumal Kultur aus gutem Grund eh Ländersache ist). Als Trost dafür und für allen Schmäh bleibt nur Unsterblichkeit. Hans Hartz aus Husum verteilte diese anläßlich einer rauhen Rockballade:
Was machen die Tischler wenn kein Holz mehr im Wald ist
Was machen die Fischer wenn kein Fisch mehr im Meer lebt Was machen wir beide wenn der Wind nur noch weht Denn was bleibt sind die Politiker Die reden und reden und reden und reden Ja was bleibt sind die Politiker Die reden und reden und reden .. .
So mag der Wald endgültig verkahlen, die Nordsee zu Dünnsäure/pur reifen — den eloquenten Herren in Bonn kommt nichts nahe, traut man den Popkreisen. Notabene: Frauen, von denen einige einem Ondit zufolge mitregieren, Politikerinnen nun werden von der rüden Rockpoesie in chauvinistisch-maskulinesker Weise nicht wahrgenommen. Empörend! Als Götter auf dem Olymp also schweben die Herren allein weit über allen Wolken des sauren Regens. Was sie wohl dabei singen? Rocksongs sicher nicht.