Bedingungen und Risiken ihrer Bewältigung Internationale Schuldenkrise
Anton P. Müller
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Zusammenfassung
Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer hat auch in den letzten Jahren weiter zugenommen. Eine immer größer werdende Zahl überschuldeter Länder muß um Umschuldung und Restrukturierung bei den Gläubigern nachsuchen. Maßgeblicher Koordinator dieser Politik ist der Internationale Währungsfonds (IWF). Die derzeit praktizierte Umschuldungspolitik bringt jedoch erhebliche Risiken sowohl für die Stabilität der Länder als auch für die Gläubigerbanken mit sich. Bei den umschuldenden Ländern wurden zwar erste Anpassungserfolge erzielt, die jedoch zu keinem Abbau der Gesamtverschuldung führten. Die Gläubigerbanken sind zu fortgesetzter Kreditvergabe gezwungen, da ihr Engagement in den überschuldeten Ländern in mehreren Fällen eine Höhe erreicht hat, bei der eine formelle Zahlungsunfähigkeitserklärung die Solvenz der Banken unmittelbar bedrohen würde. Wegen der kurzfristigen Refinanzierungsbasis der international tätigen Geschäftsbanken ergibt sich ein laufender Refinanzierungsbedarf, der auf dem internationalen Dollarmarkt weiterhin zu hohen Zinsen führt, andererseits die Schuldenbelastung der Entwicklungsländer weiter vermehrt
I. Bestandsaufnahme
Der Begriff . Auslandsverschuldung" umfaßt die Devisenverbindlichkeiten von Ländern gegenüber ausländischen Banken, internationalen Institutionen und anderen Staaten. Nach Axt des Schuldners unterscheidet man zwischen öffentlicher bzw. öffentlich garantierter Auslandsverschuldung und der Verschuldung privater Kreditnehmer eines Landes
Grundlegend für die Auslandsverschuldung ist, daß die Verbindlichkeiten auf Devisen lauten und somit auch die Fähigkeit eines privaten Schuldners, seinen Schuldendienstverpflichtungen nachzukommen, von der Verfügbarkeit über Devisen abhängt
Für die Zahlungsfähigkeit ist jedoch in erster Linie nicht die absolute Höhe der Verschuldung ausschlaggebend. Kurzfristig ist die Zahlungsfähigkeit vom „cash-flow" bestimmt, d. h. — vereinfacht ausgedrückt — von der Differenz zwischen ein-und ausgehenden Finanzierungsmitteln. Ein gebräuchlicher Indikator zur Einschätzung der Zahlungsfähigkeit ist deshalb die Der Ausdruck „internationale Schuldenkrise" bezieht sich auf die zunehmenden Schwierigkeiten einer Reihe von Ländern, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Besonders betroffen sind südamerikanische Länder, auf die fast die Hälfte der gesamten Auslandsverschuldung der Nicht-Ol-Entwicklungsländer entfällt. Die gesamte Auslands-verschuldung der Entwicklungsländer hat gegenwärtig einen Stand von 812, 4 Mrd. US-Dollar erreicht Besondere Sorge bereitet dabei das starke Wachstum der Verschuldung, da sich allein seit 1978 die Gesamtverschuldung mehr als verdoppelte (s. Tab. 1).
Schuldendienstquote, wobei der zu leistende Schuldendienst in Form von Zinszahlungen und Tilgungen zu den Exporteinnahmen eines Landes in Beziehung gesetzt wird. In den letzten Jahren sind diese Quoten für nahezu alle Entwicklungsländer laufend angestiegen und haben mit der Ausnahme von Asien in sämtlichen Weltregionen einen Wert von über 20% erreicht. Besonders gravierend ist hier die Entwicklung in Südamerika, wo die Schuldendienstquote 1982 54, 1% erreichte und für das Jahr 1984 mit einer Quote von 42, 7 % zu rechnen ist (s. Tab. 2).
Eine besondere Sprengkraft erhält die internationale Verschuldung auch durch die starke Konzentration auf Gläubigerseite. Besonders ausgeprägt ist diese Konzentration beim Engagement von US-amerikanischen Banken in Lateinamerika. In mehreren Fällen übersteigen die Kredite allein an die vier größten lateinamerikanischen Schuldner Brasilien, Mexiko, Venezuela und Chile über 100% des Eigenkapitals einschließlich der Rückstellungen dieser Banken. In einem Fall erreicht das Engagement sogar 230% (s. Tab.
II. Ursachen und Entwicklung der Schuldenkrise
Abbildung 2
Tabelle 2 Entwicklungsländer. Quelle: IWF, iwd, Nr. 41, 11. Oktober 1984 *) Schuldendienst (Aufwendungen für Zinsen und Rückzahlungen) in Prozent der Exporterlöse (Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen). 1978 1980 1982 1984
Tabelle 2 Entwicklungsländer. Quelle: IWF, iwd, Nr. 41, 11. Oktober 1984 *) Schuldendienst (Aufwendungen für Zinsen und Rückzahlungen) in Prozent der Exporterlöse (Ausfuhr von Gütern und Dienstleistungen). 1978 1980 1982 1984
Die Aufnahme von Auslandskapital zur Entwicklungsfinanzierung ist ein durchaus normaler Vorgang. Schon vor dem ersten ölpreisschock stieg die Verschuldung der Entwicklungsländer rasch an. In.den sechziger Jahren lag der jährliche Zuwachs bei 11 bis 12%, in den fünfziger Jahren sogar bei 14 % 3). Diese Entwicklung war solange tragbar, wie sie mit einer laufenden Ausdehnung des Welthandels einherging und die kreditaufnehmenden Länder hohe Exportzuwächse verzeichnen konnten.
In den siebziger Jahren, nach dem ersten ölpreisschock, änderten sich die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch grundlegend. Während die OPEC-Staaten anlagesuchende Zahlungsbilanzüberschüsse anhäuften, gerieten die ölimportierenden Entwicklungsländer in extreme Finanzierungsnöte und mußten wachsende Leistungsbilanzdefizite hinnehmen. Die Industrieländer gerieten ab 1975 in eine scharfe Rezession, die jedoch mit expansiven geld-und fiskalpolitischen Mitteln relativ rasch bewältigt werden konnte. Folge dieser Politik allerdings war, daß die einsetzende Konjunkturerholung mit einer ausgeprägten Inflation einherging.
Eine zum Teil spekulative Nachfrage nach Rohstoffen und reichlich verfügbare, aus OPEC-Quellen gespeiste Liquidität auf den internationalen Finanzmärkten, nicht zuletzt aber auch der zunehmende Wettbewerbs-druck unter den internationalen Banken eröffnete nun auch solchen Ländern den Zugang zum internationalen Kapitalmarkt, die vorher fast ausschließlich auf öffentliche Kredite angewiesen waren. Projektorientierte Finanzierung trat damit zurück und machte einer ungebundenen Kreditvergabe Platz. Oftmals dienten die aufgenommenen Mittel der bloßen Zahlungsbilanzfinanzierung und flossen in unproduktive Verwendungsbereiche oder in die Kapitalflucht Die Banken glaubten sich absichern zu können, indem die Kredite entweder direkt an den Staat oder unter staatlicher Garantie vergeben wurden. Außerdem konnte man durch die Konsortialtechnik, d. h. die Aufteilung der gesamten Kredit-summe auf mehrere Gläubigerbanken, das Risiko streuen.
Der zweite ölpreisschock traf die Industrieländer zu einem konjunkturell äußerst empfindlichen Zeitpunkt mit der Folge einer fünf Jahre lang anhaltenden Konjunkturschwäche, die in den ersten Jahren von einer weiterhin hohen Inflationsrate begleitet war Die nunmehr von den Industrieländern verfolgte Des-inflationspolitik erbrachte zwar einen Rückgang der Inflation, führte aber zu steigenden Realzinsen und verlängerte die Rezession. Damit kehrten sich die vorher für die kredit-nachfragenden Länder günstigen Faktoren (niedriger bzw. negativer Realzins und starke Nachfrage nach Rohstoffen) in das Gegenteil (hohe Realzinsen und stagnierende Nachfrage) um.
Immer mehr Entwicklungsländer gerieten seit Anfang der achtziger Jahre in Zahlungsengpässe. Eine erste Zuspitzung erfuhr diese Entwicklung 1982, als das in Finanzkreisen als kreditwürdig beurteilte Mexiko zahlungsunfähig zu werden drohte.
III. Zuspitzung der Verschuldungskrise
Abbildung 3
Lateinamerika-Engagement von US-Banken . Quelle: McMarthy, Crisanti & Mattei Inc, entnommen dem Handelsblatt vom 5. 6. 1984, S. 6.
Lateinamerika-Engagement von US-Banken . Quelle: McMarthy, Crisanti & Mattei Inc, entnommen dem Handelsblatt vom 5. 6. 1984, S. 6.
Als Mexiko im August 1982 über keine liquiden Mittel mehr verfügte, um den anstehenden Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, ging es vordringlich darum, panikartige Kettenreaktionen im internationalen Finanzsystem zu verhindern. In einer bis dahin beispiellosen Zusammenarbeit von Banken, Re-gierungen, nationalen und internationalen Währungsbehörden ist es gelungen, „einen durchaus vorstellbaren Zusammenbruch des stark gewachsenen, komplexen und deshalb störanfälligen internationalen Finanzsystems mit allen seinen Folgen zu verhindern“
Die herausragende Rolle bei dieser und den folgenden Rettungsaktionen hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) inne, der unmittelbar nach dem Ausbruch der akuten Zahlungskrise zum maßgeblichen Koordinator aufrückte Ungeachtet der Vielzahl der beteiligten Banken (ca. 1 200) und der Unterschiedlichkeit von Art und Umfang ihres Engagements ist es dem Währungsfonds gelungen, auch die Gläubigerbanken in die Verantwortung zu nehmen und sie zu bewegen, ihrerseits neue Mittel in erheblichem Umfang bereitzustellen. Die Mitwirkung der Banken erreichte der Währungsfonds dadurch, daß er ultimativ die Gewährung eigener Mittel von der Bereitschaft der Banken zur Neukreditvergabe abhängig machte Durch die vom Fonds durchgesetzte Einbeziehung der Gläubigerbanken bei der mexikanischen Rettungsaktion wurde ein Musterfall für die nachfolgenden Zahlungskrisen geschaffen. Dieses Verfahren besteht im wesentlichen darin, daß die Banken die formelle Bedienung der Alt-kredite durch Neukreditvergabe vorfinanzieren und den weitaus größten Teil der Mittel bereitstellen. Der Fonds beschränkt sich auf die Vergabe von Krediten im Rahmen der den IWF-Mitgliedsländern zustehenden Ziehungsmöglichkeiten. Vor allem aber verbindet der Fonds die Gewährung von Beistandskrediten mit wirtschaftspolitischen Auflagen und übernimmt so auch die Kontrolle über wesentliche Teile der Finanz-und Wirtschaftspolitik dieser Länder.
Zum Ende des Geschäftsjahres 1983/1984 waren 35 IWF-Anpassungsprogramme in Kraft mit einer Gesamtzusage von IWF-Mitteln in Höhe von 18, 6 Mrd. SZR Umschuldungsund Refinanzierungsvereinbarungen gegenüber Geschäftsbanken beliefen sich im Jahre 1983 auf schätzungsweise 180 Mrd. US-Dollar
Wie das Beispiel Mexiko aber zeigt, sind solche Umschuldungen und Restrukturierungsmaßnahmen unter Umständen nur sehr kurze Zeit erfolgreich. Bereits 1984 mußte Mexiko erneut um Umschuldung nachsuchen, als absehbar wurde, daß das Land außerstande sein würde, die 1985 anstehenden Tilgungssummen in Höhe von rund 10 Mrd. US-Dollar aufzubringen. In einer zweiten großangelegten Umschuldungsrunde wurde ein Betrag von fast 50 Mrd. US-Dollar restrukturiert, und die in der zweiten Hätte der achtziger Jahre auftretenden Fälligkeiten wurden über einen Zeitraum von 14 Jahren ausgedehnt
IV. Grundlagen der Umschuldungspolitik
Unmittelbare Ursache für die Zahlungsunfähigkeit eines Landes ist der Mangel an verfügbaren Devisen. Die Auslandskredite wurden in Fremdwährung aufgenommen und müssen dementsprechend in Devisen bedient werden. Wird ein Schuldnerland zahlungsunfähig, so bedeutet dies erstens, daß das Land zum Zeitpunkt der Fälligkeit von Zins-oder Tilgungszahlungen nicht über genügend selbsterwirtschaftete Devisen verfügt und zweitens, daß das Land keine Devisenkredite mehr zur Verfügung gestellt bekommt Die Kreditgeber stufen den Schuldner als kreditunwürdig ein. Ein privater Schuldner müßte in einem solchen Fall Konkurs anmelden.
Auch bei Ländern ist dies grundsätzlich möglich, praktisch aber irrelevant da Länder auch nach einem Bankrott fortbestehen und Ban-ken kaum unmittelbare Zugriffsmöglichkeiten auf die Realwerte eines Schuldnerlandes haben. Schließlich ist eine Anwendung des Insolvenzbegriffes auf Staaten auch deshalb unzweckmäßig, weil die theoretisch zu unterstellende Konkursmasse regelmäßig bei weitem die Verbindlichkeiten übersteigt. Zahlungskrisen von Ländern sind somit im wesentlichen immer Liquiditätskrisen. Von entscheidender Bedeutung für den Gläubiger ist allerdings die Dauer. Nur wenn damit gerechnet werden kann, daß das Schuldnerland in absehbarer Zeit wieder seine Zahlungsfähigkeit zurückgewinnt, lohnt es sich für den Gläubiger, durch die Neukreditvergabe den Zahlungsengpaß zu überbrücken. Ist mit einer baldigen Wiederherstellung der selbständigen Zahlungsfähigkeit eines Schuldners nicht zu rechnen, so ist es für die Gläubigerbank sinnvoller, den Kredit sofort abzuschreiben und nicht noch weiter durch zusätzliche Neukreditvergabe den Bestand an uneinbringlichen Forderungen zu erhöhen.
Indem die Gläubigerbanken Neukredite in einem Betrag vergaben, der — so der IWF in seinem Jahresbericht — „weit über das hinaus(ging), was ohne konzertierte Bemühungen um die Bereitstellung neuer Mittel bereitgestellt worden wäre" haben sich die Gläubigerbanken dem Druck des IWF gebeugt und implizit dessen Prämisse übernommen, die Zahlungsschwierigkeiten der umschuldenden Länder seien bald behebbar. Der Fonds und mit ihm die Banken gehen so bei der Umschuldungspolitik von der Annahme aus, die Zahlungsschwierigkeiten dieser Länder seien lediglich Folge einer ungünstigen Fälligkeitsstruktur der Verbindlichkeiten oder eines bloß temporären Ausfalls von Einkünften, so daß Verbesserungen der Fristenstruktur der Fälligkeiten, Hilfen des Fonds beim Schuldenmanagement und die Einleitung gesamtwirtschaftlicher Anpassungsmaßnahmen die eigenständige Zahlungsfähigkeit dieser Länder bald wieder herstellen würden.
Mit dem unter der Federführung des IWF beschrittenen Weg wurde der Eintritt einer formellen Zahlungsunfähigkeit zwar verhindert, und jedenfalls auf kurze Sicht ziehen hieraus Gläubiger und Schuldner einen Vorteil. Der Schuldner gewinnt mit dem Zahlungsaufschub eine Atempause, die zur Rückgewinnung der selbständigen Zahlungsfähigkeit genutzt werden kann, und die Gläubigerbanken sind vorerst davon befreit, den Kredit voll abschreiben oder ausfallende Zinszahlungen in den Ertragsrechnungen negativ ausweisen zu müssen.
Grundsätzlich können Umschuldungen jedoch nur kurzfristig eine Entlastung bringen. Gelingt es dem Schuldner nicht, bald wieder aus eigener Kraft zahlungsfähig zu werden, so steigen die mit der Umschuldungspolitik verbundenen Kosten sowohl beim Schuldner als auch beim Gläubiger rasch an.
V. Auswirkungen der Umschuldungspolitik bei den Schuldnerländern
Rein finanztechnisch betrachtet können Umschuldungen unendlich lange vorgenommen werden. Bei jeder Umschuldung wächst jedoch die absolute Höhe der Verbindlichkeiten. Dies trifft auch auf bloße Restrukturierungen ohne Neukreditvergabe zu, bei denen lediglich die Laufzeit der Kredite gestreckt wird, da aufgrund der längeren Abzahlungsdauer zusätzliche Zinslasten anfallen.
Der Schuldner bewegt sich so unaufhaltsam auf einen Grenzwert zu, bei dessen Erreichen es lohnender erscheint, die Verpflichtungen zurückzuweisen, da die mit einer offiziellen Aberkennung der Schulden (repudiation) verbundenen Kosten geringer erscheinen als die eines langwierigen Abtragens der alten Schuldenlast, die unter Umständen noch von einer längst abgelösten Regierung angehäuft wurde
Unterstellt man den verschuldeten Ländern jedoch rationales Verhalten, so ist es unwahrscheinlich, daß die Regierungen einseitig ihre Schulden nicht mehr anerkennen. Ein solcher Schritt verursacht hohe Folgekosten in Form eines langfristigen Bonitätsverlustes, handelspolitischer Sanktionen und weltwirtschaftlicher Isolation. Fraglich ist deshalb weniger die Zahlungswilligkeit als die Zahlungsfähigkeit der verschuldeten Länder.
Voraussetzung für die Rückgewinnung der Zahlungsfähigkeit ist die ausreichende Erwirtschaftung von Devisen, um eine einwandfreie Bedienung der Altkredite zu ermöglichen. Fraglich ist allerdings, ob die im Zusammenhang mit den Umschuldungen getroffenen Anpassungsmaßnahmen diesem Ziel voll dienlich sind.
Der IWF betreibt auch bei den Schuldnerländern die Anpassungspolitik, die in der Vergangenheit für die anders gearteten Fälle von kurzfristigen Zahlungsbilanzdefiziten bei Industrieländern unter dem Regime fester Wechselkurse entwickelt wurde. Typischerweise sind die IWF-Anpassungspakete größtenteils nachfrageorientiert und kurzfristig angelegt. Zur Bekämpfung der Inflation werden meist die Kontrolle der Geldmenge und Maßnahmen zur Eindämmung des Haushalts-defizits empfohlen. Unter Umständen kommt der Abbau von Preissubventionen hinzu. Außenwirtschaftlich soll eine Währungsabwertung die Exporte anregen und die Importe einschränken Der für die Rückgewinnung der Zahlungsfähigkeit entscheidende Faktor, die Exportleistungsfähigkeit, wird durch diese Programme eher noch eingeschränkt, wenn man etwa in Rechnung stellt, daß der Import bestimmter Güter die Voraussetzung für den Aufbau einer wettbewerbsfähigen Exportproduktion ist und Staatsausgaben notwendig für den Aufbau der Infrastruktur. Außerdem werden unter einem Regime flexibler Wechselkurse bei unelastischer Nachfrage nach Importen u. U. die mit der Abwertung verbundenen Preiserhöhungen der Importgüter auf das inländische Preisniveau übertragen und auf die Exportgüter weitergeleitet Schließlich gefährdet eine scharfe Restriktionspolitik die innenpolitische Stabilität, wenn man beispielsweise bedenkt, daß der Produktionszuwachs in diesen Ländern nunmehr im dritten Jahr unter der Rate des Bevölkerungswachstums lag
Durch die bisher praktizierte Umschuldungsund Anpassungspolitik wurde zwar das Fallissement eines Schuldnerlandes verhindert, und der IWF konnte Maßnahmen in den Schuldnerländern durchsetzen, die zu einer Verbesserung der Leistungsbilanzen dieser Länder führte.
Vor allem bei den am meisten gefährdeten lateinamerikanischen Ländern ist diese Verbesserung jedoch nahezu ausschließlich auf die Einschränkung der Importe zurückzuführen, die 1982 um 30% zurückgingen und 1983 um 27%, während die Exporte 1983 um lediglich etwa 1 % wuchsen. Auch 1983 stieg so das Verhältnis von Gesamtverschuldung zu Erlösen aus Güter-und Dienstleistungsexporten bei den lateinamerikanischen Ländern von 300% auf 308, 5% weiter an. Die Zinszahlungen allein für die beiden größten lateinamerikanischen Schuldner Brasilien und Mexiko beliefen sich 1983 auf je etwa 10 Mrd. US-Dollar und nahmen damit allein schon fast die Hälfte der Güterexporterlöse dieser Länder in Anspruch
VI. Banken in der Gläubigerfalle
Eine formelle Zahlungsunfähigkeitserklärung hätte zur Folge, daß die Gläubigerbanken einen Teil ihrer Aktiva abschreiben müßten, was auf der Passivseite der Bankbilanz zu einem entsprechenden Verlust an Eigenkapital führen würde.
Es liegt im Eigeninteresse der Banken, diesen Schritt möglichst zu vermeiden und den formellen Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners möglichst nicht eintreten zu lassen. Vor allem US-amerikanische Banken suchen gewinnmindernde Abschreibungen und Rückstellungen zu umgehen, da ihre Gewinnentwicklung anhand der Vierteljahresberichte von den Aktionären stark beachtet wird und Gewinneinbußen schnell auf den Kurs der Bankaktie durchschlagen.
Bei der gegebenen Konzentration der Auslandsverschuldung auf die lateinamerikanischen Schwellenländer und dem starken Engagement von US-Banken bei diesen Ländern, unterliegen die amerikanischen Gläubigerbanken einem starken Druck seitens der ver-schuldeten Länder, durch immer neue Kreditvergabe die auftretenden Zahlungsschwierigkeiten zu überbrücken. Ein wachsender Teil der Neukreditvergabe an die verschuldeten Länder beruht deshalb auf einer „zwangsweisen Kreditvergabe" oder stellt — im Sprachgebrauch der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) — eine „induzierte Kreditvergabe" dar.
Diese Entwicklung zwingt die Banken zu einer Gratwanderung. Wenn für ein Schuldner-land formelle Zahlungsunfähigkeit erklärt würde, so hätte dies unmittelbare Konsequenzen für die Liquidität und — bei dem Ausmaß der involvierten Beträge — für die Solvenz der Gläubigerbanken. Andererseits erhöht die laufende Neukreditvergabe das Länderobligo der Banken hinsichtlich solcher Staaten, die objektiv betrachtet als kreditunwürdig eingestuft werden müßten.
Umschuldungen steigern zwar durch höhere Zinssätze auf Neukredite das Gewinnpotential einer Bank — und ein Teil der günstigen Gewinnentwicklung bei den international tätigen Banken im vergangenen Jahr ist hierauf zurückzuführen —, doch decken selbst die derzeit üblichen Zinsaufschläge für Neukredite an Problemländer von 1, 5 bis 2%-Punkten in vielen Augen nicht mehr ausreichend das mit der Aufstockung des Kreditportefeuilles verbundene Ausfallrisiko ab.
Auch auf der Refinanzierungsseite sind die Gläubigerbanken in einer kritischen Lage. Durch die erzwungene Kreditvergabe wird ein unabweisbarer Refinanzierungsbedarf erzwungen. Da die Kreditinstitute aus den aufgezeigten Gründen die Vergabe neuer Kredite an die von der Zahlungsunfähigkeit unmittelbar bedrohten Länder de facto nicht zurückweisen können und wegen der im Zuge der Umschuldungen vorgenommenen Tilgungsstreckungen auch weniger Altkredite zurückgezahlt werden bzw. die Tilgung der Altkredite von den Gläubigerbanken vorfinanziert wird, ergibt sich, daß laufend ein hoher Bestand an Problemkrediten refinanziert werden muß. Die Gläubigerbanken müssen unter allen Umständen Einlagen an sich ziehen, was nur durch entsprechend hohe Zins-angebote gelingt. Wenn man die Höhe des Kreditvolumens an die Problemländer berücksichtigt und in Rechnung stellt, daß drei Viertel der Auslandsverschuldung auf Dollar lautet, so ergibt sich hieraus ein nicht unbeträchtlicher Druck auf ein steigendes Zinsniveau des Dollar.
VII. Auswirkungen
Die im internationalen Kreditgeschäft übliche Technik des „Roll-over-Kredits" ermöglicht die Überwälzung der steigenden Refinanzierungskosten auf den Kreditnehmer, da der laufende Kredit in regelmäßigen Abständen an den im Interbankenmarkt herrschenden Refinanzierungssatz angepaßt wird. Das Zinsänderungsrisiko wird so auf den Schuldner überwälzt. Allerdings verbleibt bei der Gläubigerbank das Refinanzierungsrisiko, und dieses nimmt im Zuge der Umschuldungen zu.
Sowohl auf dem Eurokreditmarkt als auch in den USA selbst operieren die im internationalen Kreditgeschäft tätigen Banken auf der Grundlage kurzfristiger Einlagen. Die Refinanzierungsbasis der amerikanischen Großbanken besteht größtenteils aus handelbaren Einlagezertifikaten (Certificates of deposit) von institutioneilen Einlegern. Da die Einlagen dieser Großanleger die von der Einlagen-sicherung gedeckten Beträge um ein Vielfaches übersteigen, können bereits geringe Zweifel am Standing einer Bank massive Einlagenabziehungen auslösen
Ein hierdurch ausgelöster Liquiditätsverlust bedroht die Solvenz einer Bank auf der Passivseite. Aufgrund der engen Verflechtungen der internationalen Großbanken untereinander können solche Abziehungen bei einer einzelnen Bank rasch auf das gesamte Bankensystem übergreifen. Durch eine Aufkündi-gung der Interbankeinlagen wäre auch der Eurokreditmarkt betroffen.
Auch wenn es zu keiner derartigen dramatischen Entwicklung kommt, verursacht die Aufstockung des Kreditportefeuilles mit zweifelhaften Krediten einen schleichenden Vertrauensverlust Dies führt bei den Anlegern zu einer Umschichtung in möglichst kurzfristige Einlagen und zieht höhere Zins-forderungen als Risikoausgleich nach sich. Folge hiervon ist, daß die Banken auf einer zunehmend unsicher werdenden Refinanzierungsbasis operieren müssen.
Diese Tendenz wird durch heimische Problemkredite in den USA noch verstärkt, so daß immer mehr Banken insolvent werden. Ende Oktober 1984 standen nicht weniger als 750 US-Banken auf der sogenannten „Problemliste" der staatlichen Einlagensicherung FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation) Nach durchschnittlich sechs Bankzusammenbrüchen pro Jahr zwischen 1946 und 1980 hat sich die Jahresrate von 1981 bis 1983 auf über 33 erhöht In diesem Jahr allein waren bisher 71. Bankzusammenbrüche zu verzeichnen
Wegen der Doppelrolle des Dollar als heimische US-Währung und maßgebliches internationales Liquiditätsmittel schlägt diese Entwicklung in den Vereinigten Staaten voll auf die internationalen Finanzmärkte durch und hat hier ab 1983 zu einer grundlegenden Um-lenkung der Kapitalströme in die USA geführt Im zweiten Halbjahr 1983 erreichten die Nettointerbankzuflüsse in die USA auf das Jahr hochgerechnet einen Betrag von 53 Mrd. US-Dollar, das ist nahezu dreimal so viel, wie diese Zuflüsse während des gesamten Jahres ausmachten
Diese sich abzeichnende Mittelverknappung auf den internationalen Finanzmärkten ergibt sich angesichts eines ungebrochenen Finanzierungsbedarfs der Entwicklungsländer. Allein für die lateinamerikanischen Länder rechnet der IWF mit einem jährlichen Finanz-bedarf von 40— 50 Mrd. US-Dollar. Würden sich die Banken wie in der Vergangenheit mit ca. 50% an der Finanzierung beteiligen, so müßten sie ihre Länderobligos jährlich um 7 bis 7, 5% aufstocken. Dies erscheint jedoch gegenwärtig nicht realisierbar .
Die Liquiditätsverknappung kann auch durch entsprechende zusätzliche Mittelbereitstellung seitens des IWF nicht ausgeglichen werden. Trotz der 1983 erfolgten Aufstockung der Fondsmittel im Rahmen der Quotenerhöhung auf 89, 2 Mrd. SZR und zusätzlich getroffener Kreditvereinbarungen mit reservenstarken Ländern in Höhe von 18, 5 Mrd. SZR reichen die dem Fonds verfügbaren Mittel nicht aus, die anstehenden Zahlungsbilanzdefizite zu finanzieren, wenn man in Rechnung stellt, daß die zum Ende des Geschäftsjahres ausstehenden Fondskredite bereits 31, 7 Mrd SZR ausmachten und nach einer „Faustregel“ die dem Fonds im Verlauf der Quotenerhöhung zugehenden Mittel nur etwa zur Hälfte für Kreditvergaben verwendbar sind 7 Mrd SZR ausmachten 29) und nach einer „Faustregel“ die dem Fonds im Verlauf der Quotenerhöhung zugehenden Mittel nur etwa zur Hälfte für Kreditvergaben verwendbar sind 30).
VIII. Ausblick
Ausschlaggebend dafür, daß in den letzten zwölf Monaten viele Entwicklungsländer ihre außenwirtschaftliche Situation verbessern konnten, war der ausgeprägte konjunkturelle Aufschwung in den Vereinigten Staaten. In Verbindung mit einem steigenden Dollarkurs ergab sich ein starker Importsog, von dem auch die Entwicklungsländer in Form höherer Exporte profitieren konnten. Der Effekt, der vom hohen amerikanischen Realzinsniveau auf die Verschuldungssituation ausging, konnte hierdurch weitgehend kompensiert werden.
Die die Zahlungsfähigkeit eines Landes unmittelbar bestimmenden Faktoren Export, Import und Schuldendienst sind jedoch direkt miteinander verknüpft und — da drei Viertel der Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer in Dollar bestehen — aufs engste mit der Entwickung in den Vereinigten Staaten verbunden. In diesem Jahr hat der Anstieg der amerikanischen Importe die gestiegenen Zinskosten weitgehend kompensiert. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß die USA weiterhin ihr Handelsbilanzdefizit so wie in der Vergangenheit ausweiten können, als es von 28, 1 Mrd. US-Dollar in 1981 über 36, 4 Mrd. US-Dollar in 1982 auf 61, 1 Mrd. US-Dollar in 1983 anstieg 31). Unter Umständen könnte jedoch ein Nachlassen der amerikanischen Importe aufgrund einer konjunkturellen Abschwächung mit einem Zinsrückgang verbunden sein. Dies ist jedoch nicht zwingend.
Bei einem Tagesumsatz von 120 Mrd. US-Dollar auf den internationalen Finanzmärkten und hiervon allein auf den Devisenmärkten von rund 70 Mrd. US-Dollar pro Tag werden die Handelsströme von den Finanzströmen und nicht umgekehrt bestimmt. Da auf den internationalen Finanzmärkten, wie die Volumina zeigen, größtenteils finanztechnisch bedingte Transaktionen getätigt werden, die keinen unmittelbaren Bezug zur realen Güterwirtschaft haben, findet trotz flexibler Wechselkurse weder ein Ausgleich der Handelsströme statt noch gleichen sich die internationalen Zinssätze an. Dies gibt zu der Befürchtung Anlaß, daß ebenso wie das wachsende Handelsbilanzdefizit der USA zu keiner Senkung des Dollarkurses geführt hat, auch eine konjunkturelle Abschwächung keine Zinsentspannung herbeiführt.
Wegen der Kurzfristigkeit der Einlagen am Eurowährungsmarkt müssen in kurzen Abständen die gesamten ausstehenden Kredite refinanziert werden. Die in den überschuldeten Ländern engagierten Banken müssen dabei die Risikoaufschläge der Einleger voll akzeptieren, da sie ihren Refinanzierungsbedarf nicht steuern können. Der vorgegebene Refinanzierungsbedarf führt auch dazu, daß Mutterbanken aus dem Nicht-Dollar-Raum heimi-sehe Währungen über den Devisenmärkten umtauschen und ihren international engagierten Töchtern in Form von Dollareinlagen zur Abdeckung ihrer ausstehenden Forderungen zuführen müssen. Schließlich sind die verschuldeten Länder gezwungen, erwirtschaftete konvertierbare Währungen aus dem Nicht-Dollar-Raum in Dollar umzutauschen, um ihre auf Dollar lautende Auslandsschuld zu bedienen.
Folge hiervon ist, daß — entgegen den fundamentalen realwirtschaftlichen Faktoren — sowohl die Dollarzinsen als auch der Dollarkurs auf hohem Niveau gehalten werden. Diese Faktoren, die zu einem großen Teil auf die Auslandsverschuldung zurückzuführen sind, schlagen ihrerseits voll auf die Schuldenbelastung bei den betroffenen Ländern durch, deren Schüldenberg, in Dollar bewertet, weiter anwächst und die auf diese Schulden höhere Zinssätze zahlen müssen.
Ein Abbau der Verschuldung setzt voraus, daß über eihen längeren Zeitraum die überschuldeten Länder hohe Wachstumsraten in ihren Exporten erzielen und bei den Zinszahlungen eine Entlastung eintritt. Dies ist nur möglich, wenn die Industrieländer in eine anhaltende Wachstumsphase eintreten und ihre protektionistischen Schranken gegenüber Produkten aus der Dritten Welt abbauen. Beim Ziel einer Zinsentlastung ergibt sich ein Konflikt zwischen der nationalen amerikanischen Wirtschafts-und Geldpolitik und den Bedürfnissen einer Versorgung der Weltwirtschaft mit ausreichender internationaler Liquidität. Auf lange Sicht muß deshalb überlegt werden, wie das internationale Währungssystem reformiert werden kann. Wie die Entwicklung im Dollarbereich zeigt, kollidieren die Finanzierungsbedürfnisse der überschuldeten Entwicklungsländer unmittelbar mit denen der amerikanischen Volkswirtschaft, insbesondere mit denen des defizitären US-Bundeshaushalts. Bei einer Reform des internationalen Währungssystems müßte ein Weg gefunden werden, wie die Doppel-rolle des US-Dollar als heimische amerikanische Währung und als wichtigstes Medium internationaler Liquidität aufgelöst werden kann, so daß das Angebot an internationaler Liquidität unabhängig von den Erfordernissen einer einzelnen nationalen Volkswirtschaft steuerbar wird.
Anton Peter Müller, Dr. phil., geb. 1948; Akademischer Rat am Institut für Staats-und Versicherungswissenschaft der Universität Erlangen-Nürnberg. Hauptarbeitsgebiete: Ordnungs-und Sozialpolitik, Internationale Wirtschaftsbeziehungen und Finanzwissenschaft. Veröffentlichung u. a.: Wirtschaftsordnung und Sozialpolitik. Zur Rolle der sozialen Komponente in der öffentlichen Finanzwirtschaft, Frankfurt 1983.
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