Ausgangspunkt für die im Titel aufgeworfene Problemstellung ist das Faktum, daß jedes demokratische System spezifischer Verfahren und Institutionen bedarf, durch die Politik zwischen Herrschenden und Beherrschten vermittelt wird. Diese Vermittlung ergibt sich nicht automatisch. Sie wird, zumal in der modernen Massendemokratie, organisiert und gesteuert. Spätestens seit dem ausgehenden Mittelalter ist dies denn auch das große Thema politiktheoretischer Reflexionen, wobei bereits Klassiker wie etwa Machiavelli oder Hobbes in sehr beeindruckender Weise deutlich gemacht haben, daß die Organisation von Herrschaft ein außerordentlich nüchternes Geschäft sein kann.
Es wäre allerdings eine unzulässig verengte, ja geradezu naive Sichtweise, etwa davon auszugehen, dem Bürger werde Politik vornehmlich oder gar ausschließlich im Rahmen politischer Bildungsarbeit vermittelt Die institutionalisierte und unterrichtlich organisierte politische Bildungsarbeit ist nur ein schmaler — und wohl auch nicht der wichtigste — Ausschnitt aus dem Gesamtbereich politischer Erfahrungsfelder des Bürgers. Der Informationshaushalt des Bürgers wird aus vielen Politikvermittlungsquellen gespeist, etwa:
— aus den Massenmedien, — aus unmittelbaren, politisch relevanten Erfahrungen im persönlichen Umfeld, — aus dem Umgang mit Behörden aller Art, — aus der direkten Anschauung von Politik im lokalen Bereich, — aus Kontakten mit politischen Akteuren, sofern es diese Kontakte noch gibt, — aus dem eigenen Engagement in gesellschaftlichen Gruppen und eben auch — aus den in der politischen Bildung vermittelten Kenntnissen und Werthaltungen.
Wenn hier nun im folgenden mit dem in der Fachterminologie nicht gebräuchlichen Ter-
I. Begriffliche Vorbemerkungen
minus der Politikvermittlung gearbeitet wird, so bedarf es einiger begrifflicher Vorklärungen. Etymologisch verweist der Vermittlungsbegriff auf zwei Bedeutungsrichtungen. Zum einen kann mit Vermittlung gemeint sein, daß jemandem etwas verschafft wird, was er nicht hat, z. B. Information, Wissen etc. Zum anderen umschreibt der Begriff aber auch das, was man im politischen Bereich als Konsensbildung bezeichnet: Vermittlung als die Herstellung einer Einigung zwischen zwei Seiten. Beide Aspekte finden in dem in der politik-wissenschaftlichen Diskussion der letzten Jahre viel beachteten Wort „Interessenvermittlung“ Berücksichtigung, wobei das Schwergewicht der Bemühungen unverkennbar auf dem zweiten Aspekt liegt: der Artikulation und Aggregation von Interessen sowie deren korporatistische Einbindung in die Willens-und Entscheidungsbildung des politischen Systems Demgegenüber wird mit dem Begriff der Politikvermittlung die Untersuchungsperspektive auf den ersten Aspekt gelenkt, auf die Frage also, wie von Seiten des politischen Systems dem Bürger Politik vermittelt wird. Mit Politikvermittlung wird somit nur ein spezifischer Ausschnitt des politischen Kommunikationsprozesses erfaßt gleichsam die Akteurseite politischer Willensbildung.
II. Problemstellungen und normativer Bezugsrahmen
Nun soll im folgenden nicht die Vielzahl institutioneller Ausprägungen von Politikvermittlung auf die Frage hin abgeklopft werden, inwieweit diese demokratischen Anforderungen gerecht werden. Es wird also nicht in erster Linie nach der Politikvermittlungskapazität des Staates, der Parteien, Verbände, Medien oder anderer intermediärer Systeme gefragt Ziel der Überlegungen soll es vielmehr sein, die wichtigsten Ausprägungen der Politikvermittlung zu unterscheiden und ihre funktionale Bedeutung zu skizzieren und zu problematisieren. Es wird dabei davon ausgegangen, daß Politikvermittlung in einem Spannungsfeld zwischen kommunikativer Sozialtechnik und Bildungsauftrag steht, denn in einem freiheitlichen System gibt es keine Instanz, die aus sich heraus gleichsam rechtsverbindlich entscheiden kann, ob Art und Weise sowie Formen der Vermittlung von Politik zwischen politischen Eliten und Bürgern von demokratischer Qualität sind oder nicht. Gerade deshalb muß, wenn der Begriff überhaupt analvtisch brauchbar sein soll, ein normativer Bezugsrahmen abgesteckt werden.
So dürfte es auch in einer Informationsgesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland völlig unrealistisch sein, davon auszugehen, — daß alle Bürger stets umfassend informiert sind, — daß die Gesellschaft sich nur aus allseitig Gebildeten zusammensetzt, die zur Verarbeitung von Informationen jeden Schwierigkeitsgrades in der Lage sind, — daß es eine intersubjektiv meßbare Objektivität und Wahrheit in der politischen Berichterstattung gibt, — daß ein Volk in einer Demokratie durch Vermittlung bestimmter Informationen absolut gesteuert werden kann, — oder daß in einem komplexen Mediensystem eine Gleichrichtung aller Informationen möglich ist.
Welche Anforderungen sind nun aber an demokratische Politikvermittlung zu stellen? Hier verdienen vor allem vier Aspekte Beachtung, die für einen normativen Bezugsrahmen von Bedeutung sind: 1. Politikvermittlung muß insgesamt aus einer Vielzahl von Quellen gespeist werden.
2. Sie muß inhaltlich eine Vielfalt von Informationen bieten und damit eine Pluralität politischer Richtungstendenzen widerspiegeln. Politikvermittlung muß einen abgestuften Differenzierungsgrad aufweisen, also ein differenzierendes Anspruchsniveau haben, um unterschiedliche Adressaten und „Teilöffentlichkeiten“ 3) zu erreichen.
Und schließlich darf Politikvermittlung, will sie demokratischen Ansprüchen gerecht werden, keine einseitig gerichtete Elite-Bürger-Beziehung sein. Sie muß auch offen sein für Informationsaustausch und Interessenvermittlung vom Bürger zur politischen Führung. Es ist unschwer zu erkennen, daß diese normativen Bezugsgrößen verankert sind in demokratietheoretischen Ansätzen, in denen die Bedeutung von Konkurrenz und Wettbewerb hervorgehoben und in denen vom Faktum sozialer Differenzierungen ausgegangen wird. Verankert ist schließlich die letztgenannte normative Bezugsgröße im Prinzip der Volkssouveränität. 4)
Die Grundfragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, sind: Inwieweit gelingt es durch das Gesamtangebot bzw. durch Teilangebote der Politikvermittlung, dem Bürger eine hinreichende Informationsgrundlage zur Gewährleistung einer möglichst eigenständigen Urteils-und Entscheidungskompetenz zu verschaffen? Und inwieweit wird der Bürger selbst in den Politikvermittlungsprozeß einbezogen? Weder überzogene idealisierte Erwartungen noch Orwellsche Schreckensvisionen sind hier hilfreich.
III. Zwischen Loyalitätsmanagement und demokratischer Beteiligung: Zielfunktionen der Politikvermittlung
Mit Blick auf die oben skizzierten normativen Bezugsgrößen sind bei Berücksichtigung des Gesamtangebots an Politikvermittlungsleistungen vor allem vier analytisch unterscheidbare, gleichwohl aber sich wechelseitig ergänzende Zielfunktionen von Politikvermittlung auszumachen:
1. eine vorwiegend informatorische Zielfunktion. Hier steht die mediale Weitergabe von politischen Inhalten, Richtungsaussagen im Vordergrund. Davon zu unterscheiden ist 2. eine primär appellativ ausgerichtete Ziel-orientierung von Politikvermittlungsleistungen, deren Informationsgehalt in spezifischer Weise reduziert und verdichtet ist.
3. Daneben kann Politikvermittlung eine partizipative Zielfunktion zukommen, insofern dem Bürger in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Gruppen die Chance der mittelbaren oder unmittelbaren Teilhabe an Politik geboten wird. Und schließlich gibt es 4. bei einem Teil des Gesamtangebots an Politikvermittlungsleistungen eine vorwiegend pädagogisch-didaktische Ausrichtung.
Alle diese Zielfunktionen von Politikvermittlung, also Information, Appellation, Partizipation und politische Bildung, sind integraler Bestandteil der legitimatorischen Bemühungen, mit denen der Bürger in jeweils unterschiedlicher Weise konfrontiert wird. Auch wenn jeder dieser Zielfunktionen ganz spezifische Politikvermittlungsleistungen zuzuordnen sind, so ist doch eine Grundtendenz für das Gesamtangebot von Politikvermittlung unverkennbar. Diese Grundtendenz läßt sich adjektivisch wohl am ehesten mit dem Begriff professionalistisch-technokratisch umschreiben. In der aristotelischen Begrifflichkeit könnte man auch sagen: Politikvermittlung in der modernen, massenkommunikativ bestimmten Demokratie ist weniger Praxis als vielmehr Poiesis. Sie ist ein kommunikatives Kunstprodukt zur Erzeugung von Loyalitätsbereitschaft oder besser von politischem Vertrauen; sie definiert sich primär instrumentell, als „Mittel" zur Erreichung von Zustimmung. Wenn es aber zutrifft, daß Politikvermittlung in erster Linie als Legitimationsinstrument zu verstehen ist, so verdient die Frage Beachtung, ob und in welcher Weise die in den verschiedenen Ausprägungen von Politikvermittlung zum Ausdruck gebrachten Legitimationsofferten den oben skizzierten normativen Anforderungen gerecht werden.
IV. Zentrale Ausprägungen von Politikvermittlung
1. Politikvermittlung durch Information Die erste hier unterschiedene Variante Von Politikvermittlung, der eine informatorische Zielfunktion zuerkannt wird, soll im folgenden vor allem mit Blick auf die politische Öffentlichkeitsarbeit exemplifiziert werden. Die Öffentlichkeitsarbeit etwa der staatlichen Institutionen, der Parteien, Verbände oder der politischen Akteure interessiert hier insofern, als sie das massenmediale Informationsangebot in hohem Maße strukturiert. Nun ist es ein Grundfaktum, daß jedes politische System, wenn es demokratisch zu sein beansprucht, seine Existenz, seine Ziele und Zielverwirklichungsabsichten dauernd publik machen muß, informieren muß, um sich gegenüber seinen Adressaten als vertrauens-und zustimmungswürdig zu erweisen. Kurz: Es bedarf der Öffentlichkeit. Insofern ist auch ein gewisses Kommunikationsmarketing unverzichtbarer „Teil der Partei-und Staatsfunktionen“ in einer modernen Massendemokratie a) Herstellung von Öffentlichkeit Allerdings hat bereits Jürgen Habermas in seiner berühmten Studie zum „Strukturwandel der Öffentlichkeit" deutlich gemacht, daß das liberale Modell einer bürgerlichen Öffentlichkeit, verstanden als ein Publikum räsonierender Privatpersonen, die im Interesse der Herausbildung eines Gemeinwillens Zusammentreffen, auf die sozialstaatlich verfaßte Massendemokratie nicht mehr anwendbar ist. Öffentlichkeit ist nicht mehr an sich gegeben. Sie entsteht — zumal in pluralistischen Systemen — im Felde der Konkurrenz organisierter Interessen „durch Entfaltung demonstrativer Publizität". So verrät ja bereits das Wort „Öffentlichkeitsarbeit", „daß umständlich und von Fall zu Fall eine Öffentlichkeit erst hergestellt werden muß, die sich früher aus der Gesellschaftsstruktur ergab" Auf welche Weise beeinflußt oder gewährleistet politische Öffentlichkeit die informatorische Seite im Politikvermittlungsprozeß? Welche Probleme zeigen sich in der konkreten Vermittlung politischer Informationen hinsichtlich der geforderten Informationsvielfalt und der Pluralität vermittelter politischer Richtungen? Ist der Informationsaustausch wechselseitig?
Politische Öffentlichkeitsarbeit — synonym wird vielfach auch der Begriff Public Relations gebraucht — dient primär der Außen-darstellung. Sie soll Informationen liefern, für neue politische Problemstellungen sensibilisieren und durch Offerierung von politischen Alternativen den Adressaten Urteils-und Entscheidungshilfen geben. Während für kommerzielle Unternehmen, zumindest im Konsumgüterbereich, Werbung das wichtigste Instrumentarium zur Selbstbehauptung auf dem Markt ist, muß im politischen Bereich die Öffentlichkeitsarbeit als das ausschlaggebende Politikvermittlungsinstrument zur Sicherung eines kontinuierlichen informationeilen Angebots betrachtet werden. Behauptung auf dem Markt heißt hier Themen bestimmen, politische Identität schaffen, Sachkompetenz darstellen, Bürgernähe demonstrieren. Dies alles kann nur in sehr begrenztem Maße dadurch erreicht werden, daß sich der Staat, die politischen Subsysteme oder politische Akteure direkt an den Bürger wenden, etwa durch gedrucktes Informationsmaterial aller Art.
In einer Zeit, in der die politische Kommunikation in hohem Maße über Massenmedien erfolgt, ist Politikvermittlung mit informatorischer Ausrichtung vorwiegend auf die Initiierung von Multiplikatorenwirkung über die Massenmedien angelegt. Dabei weisen Bökkelmann und Nahr in ihren Studien zur staatlichen Öffentlichkeitsarbeit zu Recht darauf hin, daß politische Öffentlichkeitsarbeit nicht nur als Information über vollzogene Entscheidungen verstanden werden dürfe. Sie müsse sich auch auf das „legitimationswirksame Ausfindigmachen dessen, was als Problem und Probleminterpretation überhaupt vordringlich ist oder vordringlich gemacht werden kann“, beziehen Mit anderen Worten: Öffentlichkeitsarbeit darf nicht nur informieren ud kommentieren. Sie muß selbst Ereignisse, und das heißt vor allem Medienereignisse, schaffen. Deshalb dürfte auch ein Großteil der politischen Ereignisse, die von den Medien vermittelt werden, nur deshalb auf der „public agenda" erscheinen, weil es Medien gibt Das Massenkommunikationssystem ist also eine entscheidende Voraussetzung für politische „Realitätskonstruktion“ mit informatorischen Mitteln Im Verhältnis von Politik und Publizistik liegen denn auch die zentralen Probleme im Zusammenhang mit der Sicherung eines hinreichenden informatorischen Angebots im Rahmen der Politikvermittlung. Dabei stellt sich nicht so sehr die Frage, ob die Medien in der Bundesrepublik politisch einseitig berichten oder zu wenig Alternativen bieten. Trotz eines hohen Konzentrationsgrades kann sich der Bürger nach wie vor aus einer Vielzahl politisch nicht gleichgerichteter Medien informieren. Und wir wissen ja auch aus Medienrezeptionsanalysen, daß in hohem Maße komplementär von den verschiedenen Medienangeboten Gebrauch gemacht wird. b) Öffentlichkeitsarbeit als Determinante politischer Berichterstattung Das Kernproblem liegt auf einer anderen Ebene, nämlich auf der Ebene der Entstehung bzw. Erzeugung von Informationen, die dann Gegenstand politischer Berichterstattung werden. Publizistik-und kommunikationswissenschaftliche Forschungsarbeiten, insbesondere in Form inhaltsanalytischer Vergleiche zwischen politischen Verlautbarungen und Berichterstattung, zeigen nämlich unzweifelhaft, daß Öffentlichkeitsarbeit zur entscheidenden Determinante politischer Berichterstattung geworden ist. Sie bestimmt durch Pressekonferenzen, schriftliche Stellungnahmen, informelle Kontakte oder auch durch logistische Vorkehrungen bei öffentlichen Veranstaltungen sowohl die Themen als auch das Timing der Berichterstattung Dies wäre noch tolerabel, könnte man davon ausgehen, daß das gesamte Spektrum politischer Kräfte in der Bundesrepublik nach Art einer gruppenpluralistischen Vorstellung mit seinen jeweiligen Informationsangeboten mehr oder weniger gleichen Zugang zum Mediensystem hätte. — Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr korreliert die Chance, öffentlichkeitswirksam zu agieren, hoch positiv mit der Professionalität des Akteurs bzw. Systems. Und Professionalität heißt hier nicht nur Prominenz, sondern auch und vor allem die Fähigkeit zur permanenten Ereigniserzeugung sowie zur journalistischen Vorstrukturierung von politischen Aussagen. c) Der Politiker als Kommunikationswanager , Selbstverständlich gibt es noch eine Reihe weiterer Aspekte die für die Überwindung von Medienbarrieren von Relevanz sind und die zu Verzerrungseffekten in der Berichterstattung führen können. Entscheidend aber ist, daß Politikvermittlung mit informatorischer Zielrichtung zunehmend durch Kommunikationsprofis aus dem politischen Bereich selbst gesteuert wird. Den berufsmäßigen Vermittlern von Politik im Medienbereich erwächst auf diese Weise Konkurrenz von Seiten der Politiker oder beauftragter Kommunikationsmanager. Die eigentlich selbstverständlich klingende Feststellung, politische Kommunikation sei „ein Leistungsbereich moderner Politik" bedarf dann insofern der kritischen Beachtung, als sich die Frage stellt, inwieweit die Medien zur „Durchlaufstation fremdbestimmter Informationen" werden. Denn wenn der politische Ak-teur selbst zum Regisseur und Hauptdarsteller im Prozeß informatorischer Politikvermittlung wird, so reduziert sich Information auf die massenmedial inszenierte Selbstdarstellung — eine Vorstellung, die das System der „checks and balances“, zu dem nach modernem Verständnis auch die Medien gehören, ins Wanken bringt Zusammengefaßt könnte man sagen: Der Zugang zur politischen Berichterstattung ist exklusiv. Pluralität der Informationsangebote bedeutet hier vor allem Etabliertenproporz. Ein informatorischer Wechselbezug zwischen der politischen Führungsebene und dem Bürger findet kaum statt, allenfalls antizipatorisch: durch Berücksichtigung demoskopischer Entwicklungen im Informationsangebot oder in den seltenen Fällen von dezidiertem Meinungsjournalismus. 2. Politikvermittlung durch Appellation a) Politische Akklamation durch werbepsychologische Kalkulation ?
Appellativ ausgerichtete Politikvermittlung zielt auf akklamatorische Zustimmung. Der politische Informationsgehalt des Vermittelten — so es ihn überhaupt gibt — ist auf ein Minimum reduziert. Im Verlaufe von Wahl-kämpfen, vor allem Bundestagswahlkämpfen, werden immer wieder vielfältige Beispiele appellativer Politikvermittlung geboten. Das wichtigste Aktionsfeld appellativer Politikvermittlungsleistungen ist die politische Werbung, auf die im folgenden kurz eingegangen werden soll.
Hier ist zunächst festzustellen, daß es geradezu ein „Herzensanliegen" von Politikmanagern ist, politische Werbung vom negativen Odium kommerzieller Werbestrategie zu befreien. Sie wollen politische Werbung ausdrücklich nicht als den mit allen werbepsychologischen Wassern gewaschenen Fang von Wählerstimmen im Sinne von Markenartikelwerbung verstanden wissen. Vielmehr wird der Anspruch erhoben, politische Identifikation zu schaffen, Inhalte zu vermitteln, Images zu korrigieren, ja im Kern sogar politische Kommunikation zu initiieren Nun dürfte unbestritten sein, daß zwischen informatorischen und appellativen Politikvermittlungsleistungen fließende Übergänge bestehen, insofern auch eine klare Trennungslinie z. B. zwischen politischer Öffentlichkeitsarbeit und politischer Werbung schwer zu ziehen ist. Dennoch ist eine Unterscheidung nicht nur analytisch sinnvoll, sondern auch aufgrund spezifischer Qualitätskriterien möglich und notwendig. Dabei erscheint es mit Blick auf das eingangs gemachte Plädoyer für ein differenziertes Politikvermittlungsangebot nicht sinnvoll, politische Werbung generell als eine nichtdemokratische Politikvermittlungsmethode zu deklarieren. b) Ungesicherte Wirkungsannahmen Heidrun Abromeits Begründung zu diesem gängigen Verdikt in ihrem Buch „Das Politische in der Werbung“ scheint auch nicht überzeugend, wenn sie von einer durch Werbung ausgelösten einseitigen Willensübertragung von „oben“ nach „unten“ spricht oder Werbung als psychologisches Steuerungsinstrument in der Hand von Eliten bezeichnet. Erstens bedarf es in einer modernen Massen-demokratie kommunikativer Steuerungsimpulse, wenn Politikvermittlung stattfinden soll. Zweitens stützt sich dieses Verdikt auf Wirkungsvermutungen, die nach dem aktuellen Stand marktpsychologischer Forschung zumindest als empirisch nicht gesichert bezeichnet werden müssen. Bernd Six hat kürzlich in einem Beitrag im „Handbuch der Psychologie" über die Effektivität der Werbung nachdrücklich darauf verwiesen, daß Werbung zwar Alltagsbewußtsein, Handlungen und Einstellungen beeinflußt, die Varianzanteile, in denen Werbung manipulierend wirkt, jedoch relativ gering zu veranschlagen sind Hier ergibt sich insbesondere in Verbindung mit der Medienwirkungsforschung noch ein weites Betätigungsfeld für die Sozialwissenschaften. c) Unterschiede'zwischen informatorischer und appellativer Politikvermittlung Doch welche Unterscheidungskriterien zwischen informatorischer und appellativer Politikvermittlung lassen sich nennen? Vor allem drei Unterschiede müssen bedacht werden: 1. Politischer Werbung geht es nicht in erster Linie um die Thematisierung von Inhalten, sondern um akklamative Resonanz. Verhaltenspsychologisch gesprochen könnte man sagen, daß Werbung auf die Umwandlung von Entscheidungsverhalten in Routineverhalten abzielt. Das „umständlich Argumentative" soll als unbewußt Sympathisches bzw. Unsympathisches vermittelt werden. Appellative Politikvermittlung ist gleichsam die „mechanisierte Form“ des politisch-sozialen Kontaktes in der Massendemokratie, die auf Resonanz und nicht auf Reflexion ausgelegt ist.
2. Deshalb eignet sich appellative Politikvermittlung kaum als Mittel konkreter politischer Nachfragesteuerung. Auch als Reaktions-und Interpretationsmittel für kurzfristige politische Ereignisse sind politische Werbemittel ungeeignet. Eher geht es um die dauerhafte Bindung der Adressaten an Symbole auf der Basis prägnanter Begriffe oder visueller Erkennungsmerkmale. Nicht rationale Überzeugungsleistungen, sondern weitgehend unbewußt ablaufende Identifikationsprozesse sollen mit Hilfe von Begriffen, Slogans oder optischen Symbolen initiiert werden. 3. Und schließlich ist wohl spätestens seit den zahlreichen wissenschaftlichen und publizistischen Variationen zum Thema „Schweigespirale" zur Kenntnis zu nehmen, daß Politik-vermittlung via Werbemittel — und seien es nur massenhaft verbreitete Anstecknadeln, Buttons oder Autoaufkleber — vor allem auch eine mobilisierende Funktion hat Offene Bekenntnisbereitschaft soll geweckt und politische Isolationsfurcht abgebaut, also die „Spirale des Schweigens" durchbrochen werden Insofern kann der Bereitschaft zur Akzeptanz von appellativen Politikvermittlungsofferten durchaus so etwas wie eine Barometerfunktion für politisches Klima zukommen. Insgesamt ist wohl davon auszugehen, daß appellative Politikvermittlung, die vor allem in der politischen Werbung ihren Ausdruck findet, zwar ein politisches Kontaktmittel ist, ein Kontaktmittel allerdings, das den Bürger auf Distanz hält. Gefragt ist nicht die reflektive Auseinandersetzung, sondern das „bewußtlose" Dabeisein. Andererseits wird man akzeptieren müssen, daß in einer komplexen Mas-sendemokratie, in der die politischen Großorganisationen kaum mehr ein persönliches Verhältnis zu ihrer Klientel entwickeln können, politische Appellationsmittel vielfach notwendige Ersatzmittel für politische Identifikation sind. Im Sinne des eingangs geforderten unterschiedlichen Anspruchsniveaus von Politikvermittlung werden über Werbung doch bestimmte Adressatengruppen erreicht und ggf. mobilisiert, die von anspruchsvolleren und informationshaltigeren Politikvermittlungsangeboten nicht tangiert werden. Allerdings ist gerade in diesem Bereich der Politikvermittlung nicht nur eine weitgehende Kommerzialisierung und demzufolge auch Angleichung an die Marktwerbung festzustellen. Zu beobachten ist auch eine Entpolitisierung im Sinne einer bisweilen völligen Lösung einzelner Werbemittel und -Symbole vom politischen Bezugsobjekt. 3. Politikvermittlung durch Partizipation a) Organisatorische Differenzierung und Professionalisierung In der eingangs getroffenen Unterscheidung von Politikvermittlungsleistungen wurde eine dritte Zielrichtung als partizipatorisch bezeichnet und betont, daß dem Bürger zahlreiche Möglichkeiten der mittelbaren oder unmittelbaren Teilhabe an Politik geboten werden. Im Gegensatz zu den beiden bisher vorgestellten Ausprägungen handelt es sich hier um eine Politikvermittlungsvariante, die primär nach innen, auf Untergliederungen oder Mitgliedschaften von Verbänden, Gewerkschaften, Parteien etc. gerichtet ist. Hier geht es vor allem darum, daß die Entwicklung politisch relevanter Subsysteme in der Bundesrepublik gekennzeichnet ist durch ein hohes Maß an innerorganisatorischer Ausdifferenzierung und Professionalisierung. So hat beispielsweise Alf Mintzel in seinen Studien über die CSU sowie in seinem jüngst publizierten Buch „Die Volkspartei''gezeigt, daß die strukturelle Entwicklungstendenz zu hochkomplexen Massenorganisationen für alle Großparteien in der Bundesrepublik typisch ist Äußerlich sichtbar wird diese je nach Mitgliedstärke, Finanzkraft, Zielsetzung etc. graduell unterschiedlich stark ausgeprägte Binnendifferenzierung und das damit in Verbindung stehende Politikvermittlungsangebot z. B. durch flächendeckende Präsenz eines möglichst hauptamtlichen Apparats, durch weitgehende sektorale Gliederung sowie durch den Versuch, sowohl die Aktivitätsdichte insgesamt zu erhöhen als auch die Qualität der Aktivitäten zu professionalisieren.
b) Binnendemokratisierung durch Steigerung der Politikvermittlungskapazitat? Nun hat ja bereits Max Weber seine idealtypische Sicht, nach der Bürokratisierung und Verapparatung Voraussetzung und Garant rationaler Herrschaftsausübung sei, selbst relativiert. In betriebs-und verwaltungssoziologischen Studien ist diese Problematik immer wieder aufgegriffen worden. Ohne hier auf die organisationsstrukturellen und politischen Zusammenhänge insgesamt eingehen zu können, soll ein Aspekt herausgegriffen werden, der besonders die Politikvermittlung betrifft. So ist schon seit einer Reihe von Jahren etwa bei den Parteien eine auffällige Zunahme von informationeilen Angeboten seitens der Bundesorganisationen zu beobachten — Angebote, die im Grunde die Politikvermittlungskompetenz der Untergliederungen erhöhen sollen. Das Spektrum der Vorlagen, Materialien und Hilfen umfaßt dabei etwa Fragen, wie möglichst erfolgreich Mitgliederwerbung betrieben, Pressearbeit geplant, öffentliche Kampagnen durchgeführt oder attraktive Arbeit im vorpolitischen Raum geleistet werden kann. Ja, sogar für politische Reden werden Redemuster, Argumentationshilfen oder -karteien zu allen möglichen Fragen angeboten. Hinzu kommt, daß auch das innerorganisatorische Informations-und Kommunikationssystem, insbesondere durch elektronische Textübermittlungsmöglichkeiten ständig ausgeweitet wird. Dadurch wird die Reagibilität der Untergliederungen auf politische Ereignisse gewiß erhöht — allerdings auch das Steuerungspotential übergeordneter gegenüber untergeordneten Einheiten. Berücksichtigt man gar noch die im politischen Vorfeld der organisationsnahen Stiftungen geleistete Schulungs-und Bildungsarbeit, so ergibt sich insgesamt ein vielfältiges Geflecht von binnenorganisatorischen Politikvermittlungsaktivitäten und -leistungen mit Multiplikatorenwirkung, in denen ohne Zweifel auch wichtige Teilfunktionen politischer Bildung übernommen werden. Hier muß jedoch gesehen werden, daß bei diesen Politikvermittlungsvorgaben meist zugunsten einer pragmatisch-praktischen Orientierung auf eine theoretisch-konzeptionelle Fundierung verzichtet wird. Letztlich geht es immer um das zentrale Organisationsziel Stimmenmaximierung. Auch wenn deshalb das „demokratisierende" Potential verstärkter Politikvermittlungsleistungen nicht überschätzt werden darf, so stellt sich in diesem Zusammenhang doch eine Frage von zentraler demokratietheoretischer Bedeutung: Die Frage nämlich, ob durch die Professionalisierung der Politikvermittlungskompetenz der organisationsinterne Pluralismus, der demokratische Wettbewerb innerhalb von Parteien, Verbänden, Gewerkschaften etc. nicht erhöht wird, ob also diese Politikvermittlungsleistungen nicht eine partizipative und damit doch letztlich demokratisierende Wirkung haben. Denn in dem Maße, in dem die Artikulations-und Interessenvertretungsfähigkeit der Untergliederungen steigt, in dem Maße müßte doch auch eine Belebung innerparteilicher oder innerverbandlicher Demokratie festzustellen sein. Und tatsächlich gibt es ja auch eine Reihe von Indizien dafür, daß sich die gruppeninterne Willensbildung in den letzten anderthalb Jahrzehnten verstärkt hat, wenn man etwa an die Flut von Anträgen auf Parteitagen oder an die Schärfe innergewerkschaftlicher oder innerparteilicher Konflikte denkt. c) Partizipationssteigerung und zentrale Steuerung Gleichwohl wird man die hier aufgestellte Demokratisierungsthese in zweierlei Hinsicht relativieren müssen:
Erstens muß die Erweiterung innerorganisatorischer Vermittlungskapazität und -kompetenz nicht notwendigerweise mit einer intensiveren Teilhabe an Politik einhergehen. Denn hier stellt sich ja die Frage, welche Adressaten von den beispielhaft aufgeführten Politikvermittlungsleistungen überhaupt erreicht werden. Sowohl in der empirischen Partizipationsliteratur als auch in parteisoziologischen Studien wird deutlich, daß Partizipationsausweitung die sozialstrukturellen Verzerrungen in der Teilhabe an Politik nicht beseitigt, sondern eher noch verstärkt. Verkürzt könnte man sagen, der Ausbau der organisationsinternen Vermittlungsapparate und die damit in Verbindung stehenden Kommunikationsangebote kommen vor allem denen zugute, die innerhalb der Organisation zur Interessenartikulation ohnehin schon befähigt sind
Und ein zweiter relativierender Gesichtspunkt gegenüber allzu weitgehenden basisdemokratischen Hoffnungen muß hier angeführt werden. Es ist organisationssoziologisch wohl unstrittig, daß mit zunehmender Binnendifferenzierung auch das Interesse an zentraler Steuerungs-und Konfliktregulierungskapazität steigt; dies bestätigen verwaltungssoziologische Studien. In genereller Hinsicht hat sich Karl W. Deutsch damit in einer ganzen Reihe seiner Arbeiten zur politischen Kybernetik beschäftigt In diesem Zusammenhang zwei Beispiele: Die erstmals in den sechziger Jahren aufgekommene, vor einigen Jahren schon fast begrabene, aktuell aber wieder entfachte Diskussion um eine verbändegesetzliche Regelung ist ja nur zu verstehen vor dem Hintergrund des Vorwurfs, daß gesellschaftliche Großgruppen, gemeint waren allerdings vor allem die Gewerkschaften, über ein zu großes Repertoire an zentraler Steuerungskapazität verfügen, durch das innerverbandliche Demokratie erstickt wird. Das zweite Beispiel bezieht sich auf die Parteien. Hier hat man durch statuarische Regelungen den Handlungsspielraum von innerparteilichen Gruppen in den siebziger Jahren begrenzt Der verstärkte innerparteiliche Gruppenwettbewerb, d. h. mehr Pluralität auf der horizontalen Ebene, wurde mit erhöhter Steuerungskapazität auf der vertikalen Ebene erkauft.
Hier wird ein grundsätzliches Machtproblem sichtbar: Organisationsinterne Pluralität wird dort zum Konflikt, wo die Umsetzung nach außen, d. h. die Schlagkraft gegenüber dem politischen Konkurrenten in Frage gestellt werden könnte. Ein solcher Konflikt erklärt sich nicht zuletzt aber auch daraus, daß Geschlossenheit in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland als ein Wert an sich gilt und demzufolge dann auch innerorganisatorische Konflikte als politische Schwäche empfunden werden. 4. Politikvermittlung durch politische Bildung War vorher schon die Rede davon, daß politische Bildungsarbeit nur einen schmalen Ausschnitt aus dem Gesamt der Politikvermitt-lungsleistungen ausmacht, so stellt sich hier aber doch die Frage, ob nicht Politikvermittlung in diesem Bereich in geradezu idealer Weise den oben definierten normativen Anforderungen gerecht werden kann und wird. Denn wo, wenn nicht hier, kann Information aus einer Vielzahl von Quellen ermöglicht werden, kann eine Pluralität politischer Richtungstendenzen vermittelt und muß schon aus didaktischen Gründen mit Informationen unterschiedlicher Komplexitätsgrade gearbeitet werden? Und kann nicht gerade in der politischen Bildung ein demokratischer Wechselbezug initiiert werden, zumindest zwischen Lehrenden und Lernenden? a) Restriktive Vermittlungsbedingungen der politischen Bildung Ein Blick auf die Wirklichkeit politischer Bildungsarbeit muß hier jedoch ernüchtern. Zur Kenntnis zu nehmen sind nämlich zunächst einmal — geht man von der politischen Bildung in Schulen aus — die insgesamt restriktiven Bedingungen, unter denen Politik in Verbindung mit einem eigenständigen Unterrichtsfach vermittelt wird:
— So nimmt das Fach Politik, Sozialkunde oder wie immer es genannt wird, in der Prestigeskala der Fächer einen hinteren Rang ein, und zwar sowohl in der Einschätzung von Lehrenden wie Lernenden, übrigens trotz seiner generell positiv bewerteten lebenspraktischen Relevanz.
— So wurde das Zeitbudget des Unterrichts-faches entgegen fortlaufender Beteuerung von politischer Seite, wie wichtig politische Bildung sei, rigoros zusammengestrichen.
— So werden politisch relevante Inhalte von anderen profilbildenden Fächern okkupiert (z. B. von Arbeitslehre).
— So ist der Anteil der nicht fachlich ausgebildeten Politiklehrer höher als in jedem anderen Fach. Die Negativliste ließe sich noch beliebig ergänzen
Nun müßte jeder Versuch, die Komplexität dieses Bereiches im Rahmen eines Teilkapitels auszuleuchten, scheitern. Die Probleme für eine adäquate Politikvermittlung, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, sollen deshalb auf drei wesentliche Aspekte verdichtet werden:
1. auf das Problem der normativen Selbstüberfrachtung der politischen Bildung, 2. auf das Problem, politisches Lernen mit politischem Verhalten gleichzusetzen und 3. auf den generell hohen politisch-instrumentellen Gebrauchswert politischer Bildung. b) Fehleinschätzungen der Möglichkeiten und Grenzen der Politikvermittlung durch politische Bildung Die politische Bildung — genauer die theoretisch-didaktische Diskussion — war lange Zeit und ist zum Teil auch heute noch normativ überfrachtet mit einem idealisierten Bürgerbild. Die Vorstellung von einem stets politisch interessierten, engagierten und allseits partizipationsbereiten Bürger erweist sich nicht nur angesichts der empirischen Befunde in der Partizipationsliteratur als illusionär. — Woran im übrigen der Boom an Literatur zur Wertewandel-Problematik prinzipiell nichts ändert. — Sie ist auch weder unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten noch vor dem Hintergrund divergierender politischer Richtungstendenzen konsensfähig. Insofern kann es auch nicht verwundern, daß es nicht einmal über die generellen Zielsetzungen politischer Bildungsarbeit einen Minimalkonsens gibt
Zum zweiten Punkt: Mit dem Kurzschluß von schulischer Politikvermittlung und dadurch ausgelösten unterrichtlichen Lernprozessen auf politisches Verhalten bewegte man sich gerade in der Phase der vielfältigen curricularen Revisionen auf bildungstechnokratischen Irrwegen, und dies in dreifacher Hinsicht. Zum einen aufgrund eines Operationalisierungsfetischismus, den Dieter Grosser überspitzt aber treffend etwa so charakterisiert hat: Die Komplexität politischer Realität werde auf die Flaschen von Zielkatalogen und Taxonomien gezogen, als ob dem Schüler Politik nach Pawlowschen Methoden vermittelt werden könnte Der bildungstechnokratische Irrtum bestand und besteht vor allem aber in der Auffassung, daß unterrichtliche Lernprozesse, die sich weithin auf der Ebene sprachlicher Kommunikation bewegen, handlungsrelevante Erfahrungs-und Lempotentiale aufbauen oder gar das Verhaltensrepertoire dauerhaft beeinflussen können. Und schließlich hat gerade die politische Sozialisationsforschung deutlich gemacht, daß die Bildungszusammenhänge politisch-sozialen Lernens sehr viel komplexer sind. Es ist bisher kaum gelungen, die spezifischen politischen Sozialisationsleistungen der Schule von der anderer Sozialisationsinstanzen zu isolieren und empirisch nachzuweisen Insgesamt dürfte der dauerhafte Einfluß schulischer Politikvermittlung sehr viel geringer sein, als bisher angenommen. Folgt man Erkenntnissen der Forschungsgruppe um Helmut Fend zur schulischen Sozialisation, so ist davon auszugehen, daß der Einfluß latenter Sozialisationsprozesse für den Aufbau eines politisch relevanten Einstellungs-und Verhaltensrepertoires letztlich bedeutsamer ist als die unterrichtlich organisierte Vermittlung von Zielen und Inhalten der Politik
Zieht man zwischen den beiden skizzierten Aspekten eine Verbindungslinie, so wird die Fehleinschätzung der tatsächlichen Möglichkeiten in diesem Politikvermittlungsfeld evident; eine Fehleinschätzung im übrigen, die eine politische Instrumentalisierung der politischen Bildung geradezu begünstigt. Damit ist der dritte Aspekt angesprochen: Schulische Politikvermittlung oder — enger gefaßt — unterrichtlich organisierte politische Bildung wird nicht nur in bemerkenswerter Regelmäßigkeit für alle möglichen politisch-gesellschaftlichen Konfliktlagen verantwortlich gemacht, gleichsam als Feuerwehr im Einsatz gegen brennende gesellschaftliche Probleme. Zielsetzungen und Aufgabenstellung politischer Bildungsarbeit sind auch regelmäßig Gegenstand des politischen Richtungsstreits. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, daß Schule zwar nicht der Ort des Austrags politischer Auseinandersetzungen ist, aber eben doch ein Ort, an dem auch thematisiert werden muß, was politisch umstritten ist. Problematisch erscheint die politische Instrumentalisierungstendenz in anderer Hinsicht — insofern nämlich, als versucht wird, schulische Politikvermittlung bis in die Behandlung spezieller Themen hinein nach den jeweiligen aktuellen parteipolitischen Interpretationen zu beeinflussen
Es drängt sich der Eindruck auf, daß die Diskrepanz zwischen normativen Aussprüchen und faktischer Politikvermittlungsleistung gerade in diesem Bereich außerordentlich hoch ist und eine Neubesinnung im Sinne einer „realistischen Einschätzung“ der Möglichkeiten nottut.
V. Konsequenzen für eine Verbesserung der Politikvermittlung
Eingangs wurde die Frage aufgeworfen, ob dem Bürger durch die Politikvermittlung in der Bundesrepublik Deutschland eine hinreichende Informationsgrundlage zur Gewährleistung einer möglichst eigenständigen Urteils-und Entscheidungskompetenz verschafft und inwieweit er in den Politikvermittlungsprozeß einbezogen werde. Aus der exemplarischen Darstellung dürfte deutlich geworden sein, daß die Leistungsfähigkeit der vier unterschiedenen Ausprägungen von Politikvermittlung sehr unterschiedlich zu beurteilen ist. Bezogen auf die einzelnen Politikvermittlungsvarianten ergeben sich dabei — vor dem Hintergrund des eingangs entwickelten normativen Bezugsrahmens — folgende Forderungen: 1. Politikvermittlung mit informatorischer Ausprägung sollte sich weniger darauf kaprizieren, politische Ereignisse vor allem um der Medieneffekte willen zu schaffen. Dabei ist es besonders eine Forderung an das Mediensystem selbst, die Medienbarrieren zu senken, d. h.den Zugang von Anbietern zu pluralisieren. Da Politikvermittlungsleistungen vielfach zwar spektakulär, aber nicht informativ sind, müssen die Medien mehr als bisher den Anteil journalistischer Eigenleistung erhöhen, d. h. Informationsvermittlung als kompensatorische Aufgabe ernst nehmen. t 2. Appellativ ausgerichtete Politikvermittlung sollte in stärkerem Maße einen Bezug auf politische Sachfragen erhalten. Daß dies möglich ist, zeigt die bisweilen durchaus originelle Werbung politischer Alternativgruppen. Wo Begriffe besetzt und optische Signale gesetzt werden, sollten sie Anstöße zur politischen Auseinandersetzung sein und nicht bloß Sympathie-oder Antipathieappelle. 3. In partizipatorischer Hinsicht sollten die Spielräume organisationsinterner Konfliktaustragung durch Politikvermittlung erweitert werden. Dieses — eigentlich selbstverständliche — Demokratisierungspostulat kann jedoch nur in der Praxis umgesetzt werden, wenn auch in der Öffentlichkeit das Verständnis dafür wächst, daß Pluralität und Konfliktaustragung nicht notwendigerweise ein Zeichen politischer Schwäche sind. Dabei muß vor allem die Einsicht vermittelt werden, daß mit der Vorverlagerung des Postulats der Geschlossenheit in den Diskussionsprozeß einer Politik Vorschub geleistet wird, in der Politikvermittlung sich auf bloße Entscheidungsmitteilung reduziert Gleichzeitig muß auch gesehen werden: Je enger das Spektrum an politischer Pluralität und je geringer die organisationsinterne Chance des Konfliktaustrags, um so stärker wird der Druck am Rande des politischen Spektrums. 4. In pädagogisch-didaktischer Hinsicht muß es darum gehen, daß Politikvermittlung auf der Basis gemeinsamer Grundüberzeugungen in einem möglichst sanktionsfreien Raum erfolgen kann. Sanktionsfrei heißt dabei: pädagogische Handlungsfreiheit im Rahmen des gesetzlichen Auftrags, heißt vor allem aber Abwehr von parteipolitisch motivierten Zugriffen auf die inhaltliche Gestaltung von Unterricht. Schließlich wird schulische Politik-vermittlung über den in jeder Beziehung engen Rahmen des Unterrichtsfaches hinaus mehr als bisher berücksichtigen müssen, daß Schule insgesamt als Sozialisationsfeld für politisches Lernen von großer Bedeutung ist. Diese Forderungen haben jedoch nur dann eine Realisierungschance, wenn sich die Bürger selbst in den Politikvermittlungsprozeß einschalten. Politikvermittlung ist somit nicht nur eine . Aufgabe" für Politiker und Kommu-’ nikationsfachleute. Sie muß auch ständige Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit sein, die mehr sein will als nur der Adressat kommunikationsstrafegischer Kalküle.