Der Außenhandel der Entwicklungsländer. Darstellung, Probleme und ein Lösungsansatz der EG
Alfred Kraft
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Zusammenfassung
Innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer zeichnet sich seit den siebziger Jahren eine verstärkte Differenzierung ab. In einigen Ländern übernahm der Exportsektor aufgrund einer geglückten Wirtschaftspolitik direkt, in einigen anderen Ländern aufgrund besonders wertvoller Rohstoffvorkommen indirekt die Rolle eines Motors der Entwicklung. Staaten, deren Exportangebot weiterhin überwiegend aus Rohstoffen besteht, für die die Märkte der Abnehmer schon weitgehend gesättigt sind, für die synthetische Substitute entwickelt wurden bzw. mit denen die Verbraucher zunehmend sparsamer umgehen, können von diesem Mechanismus jedoch nicht profitieren. Hinzu kamen angebotsbedingte Faktoren: Ungeeignete wirtschaftspolitische Maßnahmen oder Versäumnisse in den Ländern selbst trugen dazu bei, daß Exporterlöse nicht in dem Maße gesteigert werden konnten, um damit eine erfolgreiche Umstrukturierung der Wirtschaft zu finanzieren. Obwohl die Ausfuhrerfolge einiger Entwicklungsländer die Arbeitsmarktsituation in den Industrieländern nicht wesentlich belastet haben, wurde von diesen im großen und ganzen an einer Zollstruktur festgehalten, die die Steigerung der Wertschöpfung in den Produzentenländern erschwert. Zum Teil wurden neue, nicht-tarifäre Hemmnisse eingeführt, die vor allem die fortgeschrittenen Schwellenländer behindern. Zu diesen eher langfristig wirkenden Faktoren kommt das Problem der kurz-und mittelfristigen Erlösschwankungen. Dadurch wird die Investitionsneigung tendenziell gedämpft, die erfolgreiche Durchführung von Entwicklungsvorhaben zusätzlich erschwert, große Teile der Bevölkerung bleiben einer hohen Einkommensunsicherheit ausgesetzt. Um die skizzierten Probleme dauerhaft zu lösen, müßten die betroffenen Länder die starke Rohstoffkonzentration ihrer Wirtschaft abbauen und den für ein dauerhaftes Wachstum mit hohem Beschäftigungsniveau notwendigen Strukturwandel betreiben. Obwohl der Erfolg dabei überwiegend von den Leistungen der betroffenen Länder selbst abhängen wird, ist Hilfe von außen nötig. Die EG räumt im Rahmen des Lom-Abkommens den AKP-Staaten bei fast allen Produkten Zollfreiheit ein, stabilisiert über ein Ausgleichssystem Erlösschwankungen und erleichtert die soziale und industrielle Entwicklung durch andere Formen der Hilfe. In dem Abkommen wird jedoch dem niedrigen Entwicklungsniveau der AKP-Staaten nicht ausreichend Rechnung getragen; die Erfolge waren deshalb bescheiden. In Zukunft soll ein neuer Schwerpunkt der Zusammenarbeit auf einer besseren Nahrungsmittelversorgung in diesen Ländern liegen. Daneben will die EG im Rahmen eines Politik-Dialoges erreichen, daß die Qualität der Hilfe verbessert und Leistungen von außen nicht durch ein Nachlassen der Eigenanstrengungen unterlaufen werden.
I. Einleitung
Seit den siebziger Jahren zeichnet sich innerhalb der Gruppe der Entwicklungsländer eine zunehmende Differenzierung ab. Einige Länder wurden aufgrund ihrer Rohstoffvorkommen außerordentlich begünstigt, andere Staaten haben mit Hilfe einer exportorientierten Wirtschafts-und Entwicklungspolitik bemerkenswerte Erfolge erzielt. Die große Gruppe der Länder der Dritten Welt ist jedoch weiterhin auf den Export von wenigen Produkten angewiesen, für die sich die Situation am Weltmarkt nicht günstig entwickelt hat. Dabei trat das Problem auf, daß sich Exporterlöse nicht kontinuierlich und nicht in dem Maße steigern ließen, wie dies für nötig empfunden wird. Eine ständig steigende Import-nachfrage nach den typischen Produkten der westlichen Industrieländer hat deshalb häufig zu Finanzierungsproblemen geführt.
II. Die Außenhandelsstruktur der Entwicklungsländer
Abbildung 2
Tabelle 2: Importstruktur der Entwicklungsländer 1960, 1970 und 1980 (in v. H.) Erzeugnisse 1960 1970 1980. Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983, S. A 18 ff. — Eigene Berechnungen.
Tabelle 2: Importstruktur der Entwicklungsländer 1960, 1970 und 1980 (in v. H.) Erzeugnisse 1960 1970 1980. Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983, S. A 18 ff. — Eigene Berechnungen.
Die Gruppe der Entwicklungsländer ist in ihrer Gesamtheit nach wie vor relativ stark auf die Produktion und den Export von Rohstoffen spezialisiert. Aufgrund eines Mangels an qualifizierten Arbeitskräften und risikobereiten Unternehmern, fehlendem technischen Know-how, einer unzureichenden Infrastrukturausstattung und anderen Engpässen sind die meisten Entwicklungsländer nicht in der Lage, bestimmte industrielle Fertigwaren, für die im Inland eine Nachfrage besteht, kostengünstig zu erstellen. Um trotzdem in den Genuß solcher Erzeugnisse zu kommen, produzieren und exportieren sie überwiegend Rohstoffe und/oder andere Erzeugnisse, die relativ einfach herzustellen sind.
Die gütermäßige Exportstruktur der Entwicklungsländer als Gruppe ist in Tabelle 1 dargestellt. Untergliedert man die Außenhandels-ströme in die beiden Warenhauptgruppen — Rohstoffe, die im Primärsektor einer Volkswirtschaft hergestellt werden (d. h. in der Landwirtschaft, Forstwirtschaft, im Bergbau oder der Fischerei), und in — industrielle Fertigwaren, die im Industrie-sektor oder Sekundärsektor einer Volkswirtschaft hergestellt werden, so zeigt sich, daß a) Rohstoffe im Exportsortiment der Entwicklungsländer deutlich dominieren. Ihr Anteil an den Gesamtexporterlösen ist seit 1960 zwar um gut 8 Prozent gefallen, lag aber 1980 noch immer bei fast 83 Prozent;
b) unter den Rohstoffen Brennstoffe — vor allem Erdöl — eine herausragende Rolle spielen. Diese Produktgruppe hat ihren Anteil seit 1960 vor allem aufgrund von Preissteigerungen kräftig ausgedehnt. 1980 wurden allein aus der Ausfuhr von Brennstoffen fast zwei Drittel der gesamten Exporterlöse der Entwicklungsländer erzielt;
c) die übrigen Rohstoffgruppen (Nahrungsmittel, Getränke und Tabak, landwirtschaftliche und industrielle Rohstoffe), auf die 1960 zusammen noch 63 Prozent der Exporterlöse entfielen, deutlich an Bedeutung verloren haben. 1980 trugen sie nur noch zu 20, 2 Prozent zu den Exporterlösen bei;
d) Fertigwarenexporte weiterhin von untergeordneter Bedeutung sind. Sie trugen 1980 nur mit 17, 3 Prozent zu den Exporterlösen bei. Innerhalb dieser Gruppe dominieren „Sonstige Fertigwaren". Dabei handelt es sich vor allem um solche Erzeugnisse, die relativ arbeitsintensiv hergestellt werden können oder stark rohstoffhaltig sind. Textilien und Bekleidung, Lederwaren, Spielzeugartikel, zunehmend aber auch Boote und Geräte aus dem Bereich der optischen und feinmechanischen Industrie zählen dazu. Da der Löwenanteil der Erdölexporte auf wenige, zum Teil bevölkerungsarme Staaten des Nahen Ostens 1) entfällt, ist der Erdölexport für die Exportstruktur der meisten Entwicklungsländer nicht typisch. Klammert man daher Erdöl aus der Betrachtung aus, so zeigt sich, daß die übrigen Rohstoffe 1980 nur noch mit knapp 54 Prozent — gegenüber etwa 88 Prozent 1960 — zum Exporterlös der Entwicklungsländer beitrugen. Nahrungsmittel, Getränke und Tabak stellen dabei weiterhin die wichtigste Untergruppe dar, wenn auch mit deutlich abnehmender Tendenz.
Der Anteil der industriellen Fertigwaren hat sich — wiederum ohne Berücksichtigung von Erdöl und anderen Brennstoffen — im betrachteten Zeitraum fast vervierfacht 1980 entfielen auf alle Fertigwaren zusammengenommen schon gut 46 Prozent der Exporterlöse der Entwicklungsländer. Allerdings verbirgt sich auch hinter diesem Durchschnitt der Gruppe eine Besonderheit: Fast die Hälfte der verarbeiteten Exportprodukte kommt aus nur vier südostasiatischen Ländern (Hongkong, Korea, Taiwan und Singapur), in denen weniger als 3 Prozent der Bevölkerung der Dritten Welt leben, und aus Indien; drei Viertel aller Fertigwarenexporte kommen aus der kleinen Gruppe der Schwellenländer. Diese Länder erreichten in den siebziger Jahren über ein stark exportorientiertes Wachstum eine rasche Industrialisierung ihrer Wirtschaft 2). Das andere Extrem stellen die afrikanischen Entwicklungsländer dar, die immer noch fast gar keine Fertigwaren exportieren und nach wie vor eine weit unterdurchschnittlich differenzierte Export-struktur besitzen.
Auf der Importseite dominieren industrielle Fertigwaren (vgl. Tabelle 2) mit einem Anteil von fast 59 Prozent (1980). Trotz einer zunehmenden Industrialisierung vieler Entwicklungsländer hat sich an der relativen Bedeutung der Fertigwarenimporte seit 1960 kaum etwas geändert. Geändert hat sich lediglich die Zusammensetzung dieser Gütergruppe: Der Anteil der Konsumgüter ist als Folge der forcierten Industrialisierung zurückgegangen, der Anteil der Maschinen-und Transportausrüstungen — also typische Investitionsgüter, die zur Produktion von Konsumgütern eingesetzt werden — gestiegen.
Auf der Importseite spielt auch die Einfuhr von Rohstoffen, insbesondere der Import von Brennstoffen, eine zentrale Rolle. Von 1960 bis 1980 hat sich der Importanteil von Brennstoffen mehr als verdoppelt. Läßt man die OPEC-Staaten außer acht, so liegt der Anteil von Erdöl und anderen Brennstoffen an den gesamten Importen der Entwicklungsländer bei fast 25 Prozent. Die Verteuerung des Erdöls hat also nicht nur die Industrieländer empfindlich getroffen. Energieimporte belasten auch die Zahlungsbilanzen der erdölimportierenden Entwicklungsländer erheblich.
III. Arbeitsplatzsorgen der Industrieländer aufgrund rasch steigender Fertigwarenimporte aus den Schwellenländern
Abbildung 3
Tabelle 3: Anteile an den Weltexporten von 1950 bis 1981 nach Ländergruppen differenziert . Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983,
Tabelle 3: Anteile an den Weltexporten von 1950 bis 1981 nach Ländergruppen differenziert . Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983,
In der Art der Außenhandelsstruktur sehen viele Entwicklungsländer und zunehmend auch viele Industrieländer ein Problem. Fertigwaren sind — von Erdöl abgesehen — die am stärksten expandierende Güterklasse der Warenausfuhr der Entwicklungsländer. Im Laufe der siebziger Jahre wurde deshalb in der Bundesrepublik Deutschland und in vielen anderen Industrieländern zunehmend die Befürchtung geäußert, der starke Anstieg der Fertigwarenimporte aus einigen Entwicklungsländern könne weite Teile der einheimischen Wirtschaft in Existenznot bringen und Arbeitsplätze gefährden. Diese Furcht ist jedoch weitgehend unbegründet. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich nämlich, daß zwar durch Importe aus Entwicklungsländern Arbeitsplätze verlorengehen, daß aber durch den Export in Entwicklungsländer auch neue Arbeitsplätze geschaffen oder bestehende gesichert werden. Im Handel mit Entwicklungsländern hat sich per saldo ein positiver Be-. schäftigungseffekt eingestellt In Modell-rechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung konnte gezeigt werden, daß im Zeitraum von 1972 bis 1981 durch die Ausweitung von industriellen Halb-und Fertigwarenexporten aus der Bundesrepublik in die Länder der Dritten Welt für 660 000 Arbeitskräfte Beschäftigungsmöglichkeiten geschaffen wurden. Ohne die Importe wären dagegen nur etwa 250 000 Erwerbstätige zusätzlich beschäftigt worden, wenn diese Güter im Inland hergestellt worden wären. Somit wurden durch den zunehmenden Fertigwarenhandel mit Entwicklungsländern innerhalb eines Jahrzehnts per saldo 410 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Dabei entfiel der größte Teil der positiven Beschäftigungswirkung — die an der Zahl der Erwerbstätigen insgesamt gemessen allerdings nicht sehr bedeutend ist — auf den Handel mit erdölexportierenden Ländern. Aber selbst im Handel mit den lieferstarken Schwellenländern konnte im Zeitraum von 1976 bis 1981 eine ausgeglichene Beschäftigungsbilanz erzielt werden.
Für das Jahr 1981 wurde errechnet, daß in der Bundesrepublik durch Importe aus Entwicklungsländern etwa 470 000 Erwerbstätige weniger benötigt wurden. Dem standen jedoch mehr als 1, 1 Millionen Beschäftigte gegenüber, die für den Export von Halb-und Fertigwaren in Länder der Dritten Welt arbeiteten.
Obwohl der Gesamteffekt für den Arbeitsmarkt also positiv ist, können für einzelne Branchen, Regionen oder Personengruppen negative Effekte überwiegen. Probleme für die Beschäftigungssituation ergeben sich vor allem daraus, daß Arbeitsplatzverluste auf relativ wenige und vergleichsweise kleine Branchen konzentriert sind, während zusätzliche Arbeitsplätze in anderen, größeren Branchen geschaffen werden. Arbeitsplatzverluste werden deshalb oft stärker, zusätzliche Arbeitsplätze dagegen weniger leicht wahrgenommen. Negativ betroffen waren in der Vergangenheit vor allem das Bekleidungs-, Textil-, Leder-, Musik-und Spielwarengewerbe. Relativ stark profitierten dagegen der Stahl-, Maschinen-und Fahrzeugbau.
Dazu kommt zweitens, daß überwiegend den Gruppen von Arbeitnehmern zusätzliche Arbeitsplatzverlustgefahr droht, die ohnehin zu den Problemgruppen am Arbeitsmarkt zählen:
Ausgebildete Arbeitskräfte sind dagegen kaum betroffen. Schlosser, Mechaniker, Metallarbeiter, Ingenieure und Techniker etwa werden durch Exporte in Entwicklungsländer zusätzlich benötigt Schließlich ergibt sich im Inland ein ungünstiger Regionaleffekt dadurch, daß tendenziell vor allem solche Branchen einem starken Konkurrenzdruck aus Entwicklungsländern ausgesetzt sind, die relativ stark in struktur-schwachen Regionen angesiedelt sind. Positive Impulse sind dagegen relativ gleichmäßig über das ganze Gebiet der Bundesrepublik verteilt. Damit wird eine ausgewogene regionale Entwicklung zusätzlich erschwert 4).
IV. Export von Rohstoffen als bremsender Faktor der Entwicklung?
Abbildung 4
Tabelle 4: Entwicklung der Kaufkraft der Exporte .Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983,
Tabelle 4: Entwicklung der Kaufkraft der Exporte .Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983,
In vielen Entwicklungsländern befürchtet man, daß die Ausfuhr von Rohstoffen — abgesehen von Erdöl und einigen anderen Primär-gütern — auf die Dauer nicht als Motor, sondern eher als Bremse der Entwicklung wirken könnte und daß man aufgrund der eigenen Exportstruktur und einigen Besonderheiten auf der Angebots-und Nachfrageseite bei Primärgütern an der Expansion des Welthandels nur unterdurchschnittlich partizipieren könnte. Wie aus Tabelle 3 hervorgeht, hat sich der Anteil der Entwicklungsländer (als Gruppe) an den Weltexporten in der Nachkriegszeit tatsächlich vermindert; ihr Anteil fiel von 1950 bis zur ersten drastischen Erdölpreiserhöhung 1973 fast stetig. Erst danach hat sich dieser Trend wieder geändert. Unter dem we4 sentlichen Einfluß erdölexportierender Staaten konnten die Entwicklungsländer hauptsächlich auf Kosten der marktwirtschaftlichen Industrieländer, der wichtigsten Gruppe im Welthandel, ihren Anteil an den Weltexporten von 18, 1 Prozent 1970 auf 28, 1 Prozent 1981 ausdehnen. Das relativ hohe Niveau von 1950 wurde jedoch bisher nicht wieder erreicht. Hauptnutznießer dieser Entwicklung waren die OPEC-Staaten sowie acht weitere Länder, deren Exportstruktur wesentlich von Erdöl oder Erdgas geprägt ist (vgl. Tab. 3). Ihr Anteil am Weltexport hat sich von 1970 bis 1981 um fast 10 Prozent erhöht. 1981 entfielen auf diese relativ kleine Ländergruppe allein gut 60 Prozent der gesamten Exporterlöse der Entwicklungsländer. Ein bemerkenswertes Resultat haben auch die sechs Länder erzielt, die von der UNCTAD als „Exporteure von Fertigwaren" bezeichnet werden (vgl. Tab. 3). Diesen Ländern gelang es, ihr Exportangebot umzustrukturieren und weitgehend der Nachfrageentwicklung der Industrieländer anzupassen, mit dem Ergebnis, daß sie trotz der schwierigen Zeit der anhaltenden weltweiten Rezession und einer erheblichen Verringerung der Welthandelsexpansion im Bereich der industriellen Halb-und Fertigwaren zusätzliche Weltmarktanteile erringen konnten. Ihr Anteil am Weltexport stieg von 3 Prozent 1970 auf fast Prozent 1981. Das sind gut 17 Prozent der gesamten Exporterlöse der Entwicklungsländer.
Die Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (LLDC) sowie die der übrigen 100 Entwicklungsländer verloren dagegen fast stetig Weltmarktanteile. Beide Gruppen erlebten eine lange Phase der Desintegration aus der Weltwirtschaft; sie bilden die eigentlichen Problemgruppen im Welthandel.
Tabelle 4 zeigt, daß sich in der Zeit von 1960 bis 1982 die Kaufkraft der Exporte, das heißt das absolute Importgütervolumen, das durch die Exporterlöse finanziert werden kann, für alle Entwicklungsländer und ihre Untergruppen nicht verschlechtert, sondern verbessert hat. Innerhalb der Entwicklungsländer ergeben sich jedoch deutliche Differenzierungen. Im Vergleich zur Entwicklung der Kaufkraft der Industrieländer haben die Entwicklungsländer insgesamt besser, die Ol-und Fertigwaren exportierenden Länder wesentlich besser abgeschnitten. Die Kaufkraftentwicklung der Entwicklungsländer ohne erdölexportierende Länder und besonders die der LLDC sowie die der übrigen Länder ist jedoch deutlich hinter dem entsprechenden Zuwachs der Industrieländer zurückgeblieben, wobei die Kaufkraftentwicklung der LLDC im Vergleich zu den übrigen Ländergruppen zusätzlich besonderen Schwankungen ausgesetzt war 5). Das Exportangebot dieser beiden Länder-gruppen besteht weiterhin fast ausschließlich aus wenigen Rohstoffen.
Dieses unbefriedigende Ergebnis einer Vielzahl rohstoffexportierender Länder hat viele Ursachen. Einige der bedeutsamsten lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1. Die Einkommenselastizität der Nachfrage nach Rohstoffen ist in den marktwirtschaftlichen Industrieländern, den Hauptabnehmern, relativ gering. Mit steigendem Einkommen in den Industrieländern steigt die Nachfrage nach Primärgütern nur unterdurchschnittlich, Rohstoffimporte der Industrieländer expandieren mit einer geringeren Wachstumsrate" als ihr Volkseinkommen. Zusätzliche Nachfrageimpulse könnten sich aus einem relativ starken Bevölkerungswachstum in den Importländern ergeben. Da jedoch in den Industrieländern die Bevölkerungsentwicklung weitgehend stagniert, ist auch von dieser Seite keine zusätzliche Nachfrage zu erwarten. Bei einigen Agrarprodukten, die in den gemäßigten Klimazonen herstellbar sind, kommt hinzu, daß der Selbstversorgungsgrad der Importländer steigt. Bei Anwendung protektionistischer Maßnahmen kann in diesen Fällen das Absatzpotential sogar sinken: Werden Produktionsüberschüsse mit Hilfe von Exportsubventionen am Weltmarkt abgesetzt, kann es bei diesen und konkurrierenden Produkten zu Preisverfall und sinkenden Export-mengen für Entwicklungsländer kommen. 2. Für einige Rohstoffe haben die Industrieländer synthetische Substitute entwickelt Diese Materialien können für den vorgesehenen Bedarf zweckmäßiger und zudem billiger als die ursprünglichen Rohstoffe sein, wodurch ein Teil der Nachfrage nach Produkten aus Entwicklungsländern auf Produzenten aus Industrieländern umgelenkt wird. Traditionelle Lieferländer verlieren dadurch einen Teil ihrer Absatzmärkte. Ähnlich wirkt die ständig zunehmende Tendenz zum Recycling, d. h.der Wiederverwendung bereits benutzter Rohstoffe, sowie ein zunehmend sparsamerer Umgang mit nicht-erneuerbaren Rohstoffen. Entgegen vielen Behauptungen spielt der Protektionismus der Industrieländer — von Ausnahmen abgesehen — bei der Entwicklung der Rohstoffexporte der Entwicklungsländer jedoch keine entscheidende Rolle. Die durchschnittliche Nominalzollimportbelastung der Industrieländer ist relativ niedrig. Wie aus Tabelle 5 hervorgeht, beträgt der Nominalzoll wichtiger westlicher Industrieländer auf unverarbeitete landwirtschaftliche und mineralische Produkte lediglich 3 Prozent. Mehr als die Hälfte der Exporte aller Entwicklungsländer in westliche Industrieländer fallen in diese Kategorie.
Ein Hindernis besonderer Art ist jedoch die steigende Zollbelastung bei zunehmendem Grad der Produktverarbeitung. Diese höhere Zollbelastung zielt darauf ab, die Unternehmen in den Industrieländern zur Einfuhr und Verarbeitung von Rohstoffen zu bewegen, oder anders ausgedrückt: Die Zollstruktur der marktwirtschaftlichen Industrieländer ist so angelegt, daß sie den Produzenten in den Industrieländern bei der Verarbeitung von Rohstoffen einen künstlichen Vorsprung bei der Wettbewerbsfähigkeit im Inland gegenüber Konkurrenten aus Ländern der Dritten Welt einräumt. Dieser Effekt wird noch deutlicher, wenn man das Niveau der Protektion nicht an der Höhe des Nominalzolles, sondern am Effektivzoll mißt.
Nominalzölle geben an, um wieviel Prozent ein bestimmtes Erzeugnis im Inland maximal teurer sein kann als bei Freihandel ohne Zoll. Sie sagen aber nichts darüber aus, in welchem Maß Löhne, Gehälter, Mieten, Zinsen, Pachten — die Wertschöpfung — inländischer Produzenten dank des Zollschutzes höher sein können als die ausländischer Konkurrenten. Diese Schutzwirkung wird durch die effektive Protektion angezeigt. Sie wird gemessen als der Prozentsatz, um den die inländische Wertschöpfung aufgrund von unterschiedlichen Nominalzöllen auf Vor-, Zwischen-und Endprodukte höher sein kann als bei der Bewertung zu Weltmarktpreisen. Wie Tabelle 5 zeigt, ist das Niveau der effektiven Protektion schon in der 2. Verarbeitungsstufe fast acht Mal so hoch wie bei unverarbeiteten Rohstoffen (Stufe 1) und fast drei Mal höher als die zugehörige Nominalzollbelastung. Diese Art der Zollstruktur trägt also zusätzlich dazu bei, rohstoffexportierende Entwicklungsländer in der Rolle von Rohstofflieferanten zu halten Obgleich die Ausfuhrerfolge der Fertigwaren exportierenden Entwicklungsländer für die Offenheit der Märkte in den meisten westlichen Industrieländern sprechen, hat sich das Vertrauen in die Fortsetzung einer liberalen Außenhandelspolitik dieser Länder in den letzten Jahren enorm verringert. Anhaltend niedrige Wachstumsraten des Sozialprodukts und ein hohes Maß an Arbeitslosigkeit haben die Bereitschaft erhöht, in einigen Bereichen (insbesondere Bekleidung und Textilien sowie Güter der Unterhaltungselektronik) neue nicht-tarifäre Handelshemmnisse einzuführen. Auch wenn sich die Auswirkungen dieses neuen Protektionismus kaum quantifizieren lassen, ist sicher, daß dadurch auch das Investitionsklima in den Ländern belastet werden kann, die erst in Zukunft eine stärker exportorientierte Entwicklung einschlagen wollen.
V. Probleme auf der Angebotsseite
Abbildung 5
Tabelle 5: Zolltarife und Zolltarif-Eskalation in Industrieländern und Struktur der Importe aus Entwicklungsländern .Quelle: A. J. Yeats, Trade Barriers Pacing Developing Countries, London — Basingstoke 1979. Effektiv Struktur der Importe aus Entwicklungsländern
Tabelle 5: Zolltarife und Zolltarif-Eskalation in Industrieländern und Struktur der Importe aus Entwicklungsländern .Quelle: A. J. Yeats, Trade Barriers Pacing Developing Countries, London — Basingstoke 1979. Effektiv Struktur der Importe aus Entwicklungsländern
Die Gründe für die relativ unbefriedigende Exporterlösentwicklung vieler Entwicklungsländer liegen aber nicht allein auf Seiten der Abnehmerstaaten. Vielfach hat die Wirtschaftspolitik dieser Länder selbst wesentlich dazu beigetragen, die Ausfuhrentwicklung zu bremsen:
— Staatliche Aufkaufgesellschaften in Ländern der Dritten Welt bieten den Produzenten oft Preise an, die deutlich unter dem entsprechenden Weltmarktpreisniveau liegen. Anreize, die Produktion auszudehnen, werden damit nicht voll ausgeschöpft. Die Diffe-renz zwischen Weltmarktpreis und Erzeugerpreis plus Vermarktungskosten wird als steuerähnliche Abgabe einbehalten und dient häufig dazu, zum Aufbau des Industriesektors beizutragen. 7 — Ähnlich wirkt das Festhalten an überbewerteten Währungen. In diesem Fall erzielen exportorientierte Produzenten in Landeswährung nominal konstante, aber real, d. h. um die Inflationsrate bereinigt, sinkende Preise. In einer inflationierenden Umwelt kann dadurch die Exportproduktion relativ schnell an Attraktivität verlieren. Produktionsanreize werden abgebaut, der exportierbare Uberschuß wird tendenziell verkleinert — Im Interesse einer relativ billigen Versorgung einkommensschwacher Gruppen in der Stadtbevölkerung werden häufig die Preise für Grundnahrungsmittel auf einem niedrigen Niveau eingefroren. Die Produktion solcher Erzeugnisse wird dadurch weniger rentabel und früher oder später eingeschränkt, zumindest aber nicht ausgedehnt. Bei wachsender Bevölkerung können dadurch eventuell vorhandene exportierbare Überschüsse abgebaut bzw. zusätzliche Nahrungsmittelimporte notwendig werden.
— Obwohl in vielen Entwicklungsländern seit langer Zeit eine forcierte Industrialisierungspolitik betrieben wird, gelang der Über-gang zum zusätzlichen Export von industriellen Fertigwaren nur wenigen Ländern. Investitionen im Industriesektor wurden häufig mit Hilfe eines Kunstgriffes rentabel gemacht. Man führte für bestimmte Sektoren Importrestriktionen ein — d. h. man schaltete den Wettbewerb von außen aus — und erlaubte den begünstigten Produzenten im Inland eine mehr oder weniger rentable Hochkostenproduktion, die bisherige Importe ersetzte. Da die Erzeugung solcher Güter lediglich für die Versorgung des geschützten Binnenmarktes gedacht war, waren wenig Anreize gegeben, Produktivitäts-und Qualitätsverbesserungen durchzusetzen. Der Übergang zum Export gelang deshalb nur in wenigen Fällen.
VI. Instabilität der Rohstoffmärkte und wirtschaftliche Entwicklung
Abbildung 6
Tabelle 6: Hauptexportprodukte ausgewählter Entwicklungsländer und Anteile am Gesamtexport 1980 in Prozent .Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983,
Tabelle 6: Hauptexportprodukte ausgewählter Entwicklungsländer und Anteile am Gesamtexport 1980 in Prozent .Quelle: UNCTAD, Handbook of International Trade and Development Statistics 1983, New York 1983,
Ein weiteres wichtiges Merkmal der Außenhandelsstruktur vieler Entwicklungsländer ist die geringe Exportdiversifizierung. Wie aus Tabelle 6 hervorgeht, erzielen insbesondere erdölexportierende Länder sowie zahlreiche afrikanische Länder den größten Teil ihrer Exporterlöse aus zwei oder drei Rohstoffen. Preis-, Mengen-oder Erlösfluktuationen bei einzelnen Produkten können dann schnell die gesamten Exporterlöse eines Landes destabilisieren. In vielen empirischen Studien wurde nachgewiesen, daß die Instabilität der Exporterlöse der Entwicklungsländer kurzfristig weit höher ist als die der Industrieländer.
Die Ursachen für solche Preis-und Mengen-schwankungen unterscheiden sich von Land zu Land und von Produkt zu Produkt. Verallgemeinernd kann man jedoch angebots-und nachfragebedingte Ursachen unterscheiden. Von der Nachfrageseite her können konjunk-turelle Schwankungen der Industrieländer auf die Produzentenländer übertragen werden. In Zeiten anhaltender Wachstumsschwächen in den Industrieländern stagniert oder sinkt deren Nachfrage insbesondere für mineralische Produkte. Ist das Angebot relativ starr, so lassen sich solche Erzeugnisse nur bei sinkenden Preisen absetzen. Erlösausfälle sind dann eine unvermeidbare Folge.
Schwankungen auf der Angebotsseite treten vor allem bei landwirtschaftlichen Produkten auf. Technische Möglichkeiten zum Schutz gegen Naturkatastrophen, Witterungseinflüsse, Krankheits-oder Seuchenbefall können in vielen Fällen noch nicht genutzt werden. Eine Reduktion des mengenmäßigen Angebots ist die Folge. Sofern von solchen Entwicklungen nur einzelne Länder oder ein relativ kleiner Teil des Weltangebots betroffen sind, kommt es zu Ausfuhrerlösausfällen, wenn der Weltmarktpreis nicht reagiert.
Ein weiteres Problem auf der Angebotsseite kann sich durch verzögerte Angebotsanpassungen auf Preisänderungen ergeben und unter bestimmten Voraussetzungen zu anhaltenden zyklischen Schwankungen führen. Als zyklische Schwankungen bezeichnet man in diesem Zusammenhang gegenläufige Bewegungen von angebotener Menge und dem Preis eines Produktes.
Häufig wird davon ausgegangen, daß diese Schwankungen der Exporterlöse die Entwicklungsgeschwindigkeit der betroffenen Länder beeinträchtigt. Als Begründung wird angeführt: 1. Produzenten von Rohstoffen, die das Risiko von schwankenden Preisen, Produktionsoder Erlösausfällen fürchten, neigen dazu, anstelle langfristig profitabler Produkte für den Export weniger gewinnträchtige Produkte für den Binnenmarkt oder für den eigenen Bedarf herzustellen. Die notwendigen Folgen einer solchen Haltung sind dann ein vergleichsweise geringeres Wachstum der Exporterlöse, geringeres Wachstum der Einkommen im Exportsektor und damit letzten Endes geringere Wachstumsraten des nationalen Durchschnittseinkommens.
2. Exporterlösfluktuationen können die öffentlichen Einnahmen und Ausgaben pro-zyklisch beeinflussen und somit auf andere Bereiche der Volkswirtschaft übertragen werden. Ein großer Teil der Staatseinnahmen vieler Entwicklungsländer stammt aus Import-zöllen. Sofern Erlösausfälle nicht über Währungsreserven oder andere Finanzierungsquellen kompensiert werden können, müssen aus Devisenmangel Importe gedrosselt werden. Damit versiegt aber ein Teil der staatlieben Einnahmequellen. Die Folge ist häufig, daß auch die Staatsausgaben reduziert werden müssen und somit der restriktive Effekt des Exportsektors verstärkt wird. 3. Unternehmen, die bei ihrer Produktion stark auf den Import von Vorprodukten oder Rohstoffen (z. B. Energie) angewiesen sind, müssen bei Importrestriktionen ihre Produktion drosseln. Dadurch ergeben sich auch Ausfälle bei Löhnen, Gehältern und Gewinnen.
4. Eine vorübergehende Reduktion der Staatsausgaben kann bei der Durchführung von staatlichen Investitionsvorhaben zu kostspieligen Verzögerungen und Ineffizienzen führen.
Instabilitäten im Exportsektor können somit erheblich zu Planungsunsicherheiten im privaten und staatlichen Sektor beitragen und bei Investoren pessimistische Wachstumsvorstellungen hervorrufen. Ob der Zusammenhang zwischen Erlösinstabilitäten und Wirtschaftswachstum allerdings tatsächlich so eng ist, wie vielfach angenommen wird, ist empirisch bisher nicht eindeutig nachgewiesen.
VII. Wirtschaftspolitische Maßnahmen
Das Rohstoffproblem vieler Entwicklungsländer hat eine kurzfristige und eine langfristige Komponente: Kurzfristig können Instabilitäten relativ starke Auswirkungen auf das Sozialprodukt und sein Wachstum haben. Langfristig sind die Chancen, Exporterlöszuwächse und damit weitere Deviseneinnahmen zu erwirtschaften, nicht so günstig, wie es für nötig gehalten wird. Dadurch ist ein Bedarf an wirtschaftspolitischen Maßnahmen entstanden, der an der Ursache oder nur an der Wirkung ansetzen kann.
Dauerhaft läßt sich das Rohstoffproblem nur lösen, wenn die betroffenen Volkswirtschaften stärker diversifiziert werden. Die traditionell einseitigen Produktionsstrukturen müssen überwunden werden, der Primärsektor sollte sein Übergewicht verlieren, der Industriesektor an Bedeutung gewinnen. Dabei spielt die Weiterverarbeitung inländischer Rohstoffe eine zentrale Rolle, denn damit verbessern sich auch die Chancen, den Export-sektor auf eine breitere Produktpalette umzustellen. Exporterlösschwankungen bei einzelnen Produkten werden dadurch an Bedeutung verlieren; mit zusätzlichen Produkten können neue Märkte erschlossen werden. Eine Voraussetzung für den Erfolg dieser Politik ist allerdings, daß die Industrieländer als wichtigste Handelspartner ihre Märkte offen-halten. Auch unter günstigen Bedingungen erfordert ein solcher Entwicklungsprozeß aber einen längeren Zeitraum.
Kurzfristig läßt sich das Problem der Instabilität vieler Rohstoffmärkte mit Hilfe von Ausgleichssystemen mildern. D. h., man läßt Exportpreise und -mengen weiter fluktuieren, leistet aber an die betroffenen Länder Transferzahlungen, wenn die Ausfuhrerlöse unverschuldet unter ein vereinbartes Niveau sinken. Gegenwärtig wird ein solches System weltweit im Rahmen des IWF praktiziert.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Rohstoffabkommen zwischen Erzeuger-und Verbraucherländern mit dem Ziel abzuschließen, Preise und/oder Mengen zu regulieren. Die Erfahrungen mit solchen Abkommen waren jedoch nicht sehr ermutigend.
Schließlich wurde von Vertretern der Entwicklungsländer der Vorschlag gemacht, die Weltwirtschaft völlig neu zu ordnen. Die be27 stehende Weltwirtschaftsordnung geht u. a. davon aus, daß von einem möglichst freien Welthandel mit Wettbewerb unter den Anbietern alle beteiligten Länder unabhängig von ihrem Entwicklungsniveau und ihrer Handelsstruktur optimal profitieren. Viele Entwicklungsländer sind jedoch davon überzeugt, daß sie aufgrund der Art ihrer Integration in die Weltwirtschaft systematisch benachteiligt seien und die gegenwärtigen Spielregeln eher die großen Industrieländer begünstigen. Da diese Länder ihrer moralischen Pflicht, die Entwicklung der Armen finanziell zu unterstützen, freiwillig bisher nicht ausreichend nachgekommen seien, müsse die Weltwirtschaft von Grund auf reformiert werden. Der Marktmechanismus soll weitgehend ausgeschaltet, den Entwicklungsländern eine bevorzugte Stellung eingeräumt werden, damit ihnen ein höherer Anteil am Welteinkommen zufließt. Im Mittelpunkt dieser Reformvorschläge steht ein Rohstoffprogramm, das für 18 Rohstoffe eine Preisstabilisierung bzw. -Stützung vorsieht, das aus einem überwiegend von Industrieländern gespeisten Fonds finanziert werden soll. Dazu sollen Abnahme-und Versorgungsansprüche, Weiterverarbeitungshilfen für Rohstoffe und ein Erlösstabilisierungssystem treten. Viele Länder stehen diesen Vorschlägen jedoch skeptisch gegenüber. Sie sind nicht davon überzeugt, daß sich auf diesem Wege die Probleme der Entwicklungsländer dauerhaft und zufriedenstellend lösen lassen
VIII. Ein Lösungsansatz der EG: Der Vertrag von Lome
Bei der Lösung ihrer Entwicklungs-und Außenhandelsprobleme müssen die Entwicklungsländer im Rahmen der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung den entscheidenden Beitrag selbst leisten Von außen lassen sich diese Bemühungen lediglich in bescheidenen Grenzen unterstützen. Die EG als wichtiger Wirtschaftspartner vieler Entwicklungsländer hat dazu eine eigenständige Politik entwikkelt. Kernpunkt dieser Politik ist gegenwärtig ein Abkommen der EG mit ursprünglich 46 Entwicklungsländern aus dem afrikanischen, karibischen und pazifischen Raum (AKP-Staaten Das Abkommen stellt eine Ablösung der Verträge dar, die ehemalige Kolonien seit der EWG-Gründung 1957 mit den EWG-Gründerstaaten verbunden haben. Ausgangspunkt für den 1975 in Lom (Togo) erstmals geschlossenen Vertrag mit einer Laufzeit von fünf Jahren waren der Beitritt Großbritanniens zur EWG. Den ehemaligen britischen Kolonien sollte ein Ersatz für die Vorteile geboten werden, die ihnen bisher von Großbritannien eingeräumt worden waren. Das Abkommen war 1980 mit inzwischen 63 Staaten um weitere fünf Jahre verlängert und modifiziert worden. Gegenwärtig laufen Verhandlungen für eine weitere Verlängerung und für Verbesserungen. Im folgenden sollen die zentralen Elemente des 2. Abkommens dargestellt werden. 1. Kooperation im Bereich des Handels Im Rahmen der Handelskooperation genießen die AKP-Staaten für etwa 99, 5 Prozent aller Produkte zollfreien Zugang zu den Märkten der EG. Dieser Vorzug wird einseitig gewährt, d. h. die EG verzichtet auf ein entsprechendes Entgegenkommen der AKP-Staaten. Es wurde lediglich festgelegt, daß Exporte aus EG-Staaten nicht schlechter behandelt werden dürfen als Exporte aus anderen Ländern. 2. Stabilisierung des Exporterlöse (STABEX)
Um einen Teil der Ausfuhrerlöse der AKP-Staaten zu stabilisieren, verpflichtet sich die EG zu Ausgleichszahlungen bei 44 ausgewählten Produkten. Die Gewährung von Ausgleichszahlungen wird jedoch davon abhängig gemacht, in welcher Weise ein AKP-Staat auf den Export eines Rohstoffes angewiesen ist. Anspruch besteht, — wenn eines oder mehrere dieser 44 Produkte mit wenigstens 6, 5 Prozent zum Gesamtexporterlös des vorangegangenen Jahres beigetragen haben (Abhängigkeitsschwelle). Für die 46 AKP-Staaten, die am wenigsten entwickelt sind oder durch ihre geographische Lage als besondes benachteiligt gelten (Inseln oder Binnenländer), wird der Schwellenwert auf 2 Prozent reduziert, und — wenn der Exporterlös eines oder mehrerer dieser Produkte in die EG-Länder um wenigstens 6, 5 Prozent gegenüber dem Durchschnitt der vier vorangegangenen Jahre gefallen ist (Auslöseschwelle). Für die 46 Sonderfälle wird der Schwellenwert auf 2 Prozent reduziert. Zahlungen an die 35 am wenigsten entwickelten Länder sind Schenkungen, in allen anderen Fällen wird die Ausgleichszahlung als zinsloser Kredit gwährt, der innerhalb von sieben Jahren zurückzuzahlen ist, wenn sich die Erlössituation wieder gebessert hat. Die Mittel für STABEX sind jedoch begrenzt. Für die Zeit von 1980 bis 1985 stehen dafür 550 Mio. Europäische Rechnungseinheiten (ERE) zur Verfügung 3. Mineralienfonds Fünfzehn AKP-Staaten sind besonders auf den Export von Mineralien angewiesen. Mineralien sind aber mit einer Ausnahme aus Kostengründen im STABEX-System nicht enthalten. Um auch diese Länder gegen besondere Risiken abzusichern, wurde für sieben mineralische Stoffe ein besonderer Fonds geschaffen Wenn aufgrund technischer oder politischer Probleme langfristig rentabel und gesund erscheinende Bergbauunternehmen in ihrer Lebensfähigkeit bedroht sind, kann die EG aus diesem Fonds schnell wirksame, projektgebundene Hilfe leisten, wenn die Abhängigkeitschwelle von 15 Prozent und die Auslöseschwelle von 10 Prozent überschritten werden. Dabei geht es jedoch weniger um eine Erlösstabilisierung als um eine Verbesserung der Produktionskapazität. Für die Zeit von 1980 bis 1985 wurden dafür 280 Mio. ERE reserviert. 4. Industrialisierung der AKP-Staaten Die industrielle Kooperation mit den AKP-Staaten geht von der Überlegung aus, daß entscheidende Impulse für eine stärkere Industrialisierung dieser Länder vom privaten Sektor ausgehen. Die EG unterstützt deshalb unternehmerisches Engagement in den AKP-Staaten und versucht, über das Zentrum für industrielle Entwicklung in Brüssel Investoren aus der EG und den AKP-Staten zusammenzubringen und ihre Kooperation zu erleichtern, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, insbesondere wenn es sich um Bereiche handelt, denen die AKP-Staaten selbst Priorität einräumen. 5. Finanzielle und technische Zusammenarbeit Im Rahmen der finanziellen und technischen Zusammenarbeit unterstützt die EG den Aufbau der Infrastruktur dieser Länder, um günstigere Voraussetzungen für private Investoren zu schaffen und beteiligt sich an Projekten der sozialen Entwicklung und des ländlichen Raumes. Hierfür sind für die Laufzeit des 2. Abkommens 5, 6 Mrd. ECU — das entspricht etwa 12, 5 Mrd. DM — vorgesehen.
IX. Vorbildhaftes Abkommen, aber bescheidene Erfolge
Im Rahmen der EG-Konvention wurden fast alle relevanten Bereiche der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländergruppen vertraglich geregelt. Kurzfristige Störungen, die sich bei der Ausfuhr einiger wichtiger Rohstoffe unverschuldet ergeben können, werden über ein Ausgleichssystem mit nach Entwicklungsniveau differenzierten großzügigen Regelungen teilweise aufgefangen. Eine Stabilisierung oder Stützung der Terms of Trade wird damit aber nicht angestrebt. Der langfristig vermeidbare Druck in Richtung Strukturwandel wird somit nicht behindert. Gleichzeitig wird durch den Einsatz zusätzlicher Instrumente versucht, den zeit-29 aufwendigen Diversifizierungs-und Industrialisierungsprozeß zu unterstützen, indem — der Aufbau der Infrastruktur — eine Voraussetzung jeder erfolgreichen Industrialisierungspolitik — mitfinanziert wird, — technisches und organisatorisches Knowhow kostenlos transferiert wird, — der freie Marktzugang zur EG einseitig gewährt und somit eine Politik der Exportdiversifizierung begünstigt wird.
Die dabei eingesetzten Instrumente sind mit den ordnungspolitischen Vorstellungen marktwirtschaftlicher Industrieländer vereinbar und kommen einigen wesentlichen Forderungen der Entwicklungsländer weit entgegen. Damit wurde ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Weltwirtschaftsordnung geleistet. Die bi-und multilaterale Projektpolitik wird durch ein umfassendes Bündel von Maßnahmen zur Überwindung der wirtschaftlichen Unterentwicklung ergänzt. Damit wird der Weg zu einem sich selbst tragenden Entwicklungsprozeß der AKP-Staaten geebnet.
So positiv die Grundpfeiler und Prinzipien des Abkommens auch beurteilt werden mögen, so kann doch nicht übersehen werden, daß die Ergebnise dieser Politik bisher nicht sehr ermutigend waren und daß das System nicht frei von einigen gravierenden Mängeln ist.
Insgesamt befinden sich die AKP-Staten auf einem relativ niedrigen Entwicklungs-und Industrialisierungsniveau. Ihr Exportpotential im Bereich der verarbeiteten Produkte ist gering, so daß sie aus der einseitigen Marktöffnung der EG bisher kaum Nutzen ziehen konnten. Ihr Anteil an den EG-Einfuhren ist trotz der Vorzugsbehandlung von 8 Prozent 1970 auf weniger als 6 Prozent zu Beginn der achtziger Jahre gefallen. Dieser Teil des Abkommens kann deshalb bestenfalls als ein Angebot für eine noch ferne Zukunft gesehen werden. In einer überschaubaren Zeitspanne kann der Exportsektor dieser Staaten jedenfalls die Rolle eines Motors der Entwicklung sicher nicht übernehmen.
Außerdem sind die finanziellen Mittel, die für die AKP-Staaten bereitgestellt werden, äußerst bescheiden; sie betragen nicht mehr als 3 Prozent des Exportwertes dieser Staaten. Noch weniger befriedigend war, daß die für STABEX reservierten Gelder seit 1980 nicht mehr ausgereicht haben, alle Transferansprüche zu befriedigen. Die Leistungen mußten im Durchschnitt auf weniger als 50 Prozent gekürzt werden. Dazu kommt, daß das STABEX-System Willkürelemente enthält. Ausgleichszahlungen werden zinslos oder als Geschenk gewährt, d. h. sie enthalten ein sehr hohes Element an Entwicklungshilfe (Zuschußelement) Diese Entwicklungshilfe wird nicht nach Bedürftigkeit, sondern nach der Höhe der Erlösausfälle vergeben. Aufgrund der Produktauswahl und der Regeln für Ausgleichszahlungen profitieren die einzelnen AKP-Staaten davon ganz unterschiedlich. Einige Länder erhalten eine fast vollständige Kompensation ihrer Erlösausfälle, andere qualifizieren sich für keines ihrer Exportprodukte
Auch die industrielle Kooperation ist bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Das Abkommen räumt den privatwirtschaftlichen Aktivitäten und vor allem Direktinvestitionen und Joint Ventures hohe Bedeutung bei. Die engen Märkte der AKP-Staaten mit ihrer sehr begrenzten Kaufkraft, ungünstigen Produktionsbedingungen und den politischen Risiken waren allerdings für Investoren aus EG-Ländern trotz der Förderung wenig attraktiv und konzentrierten sich zudem auf wenige Länder. Investitionen fanden dabei weiterhin bevorzugt im Bereich der Rohstoffgewinnung statt, dem Sektor der verarbeitenden Indu-strien wurde dagegen wenig Interesse entgegengebracht. Ein wesentlicher Beitrag zu einem beschleunigten Strukturwandel der AKP-Staaten konnte deshalb nicht geleistet werden.
Die Vertragspartner sind sich der Schwierigkeiten und Probleme bewußt. Im neuen Abkommen wollen die EG-Vertreter deshalb — weniger ambitiös als bisher — einen zusätzlichen Schwerpunkt der Zusammenarbeit in der Förderung der ländlichen Entwicklung und der Verbesserung der Ernährungssituation in den AKP-Staaten setzen. Angesichts der eigenen Haushaltssituation wollen sie die finanziellen Mittel konstant halten, aber die Qualität und Wirksamkeit der Zusammenarbeit nachhaltig steigern. Zu diesem Zweck soll in Zukunft ein Politik-Dialog stattfinden. Wesentliches Ziel dieses Dialogs soll sein, mit den Partnerländern über angemessene Eigenanstrengungen Einvernehmen herzustellen und die Beiträge verschiedener Geber besser zu koordinieren. Darin sehen jedoch die Vertreter der AKP-Staaten eine unzulässige Einmischung in die eigene Souveränität. Sie glauben, bessere Ergebnisse in erster Linie über eine wesentliche Aufstockung der finanziellen Mittel erreichen zu können. Eine Verbesserung ihrer Ernährungssituation wollen sie durch zusätzliche Abgaben von EG-Agrarüberschüssen zu Sonderkonditionen herbeiführen. Kompromisse für das neue Abkommen sind gegenwärtig noch nicht erkennbar.
Alfred Kraft, Dr. rer. pol., Dipl. -Volkswirt, geb. 1948; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Südasien-Institut der Universität Heidelberg, Abteilung Entwicklungsökonomie. Veröffentlichungen u. a.: Zus. mit B. Knall/N. Wagner/W. -P. Zingel, Länderstudie Pakistan, Heidelberg 1979; ASEAN — wirtschaftliche Kooperationsbestrebungen und ihr Realisierungsstand, Bonn 1980; Aspekte der wirtschaftlichen Integration zwischen Entwicklungsländern. Das Beispiel der ASEAN, Diss., Wiesbaden 1982, (Beiträge zur Südasienforschung, Bd. 68); EG-Entwicklungspolitik und die ASEAN-Staaten, in: Auslandskurier/Diplomatischer Kurier, (1982) 4.
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