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„AirLand Battle" — Zerrbild und Wirklichkeit <fussnote> Dieser Aufsatz ist die gekürzte Fassung eines Arbeitspapiers der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, und greift einer geplanten Buch-veröffentlichung zu diesem Thema vor. Er behandelt daher lediglich Teilaspekte und verzichtet auf eine umfangreiche Dokumentation. </fussnote> | APuZ 48/1984 | bpb.de

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APuZ 48/1984 Artikel 1 Rogers-Plan, „AirLand Battle“ und die Vorneverteidigung der NATO „AirLand Battle" — Zerrbild und Wirklichkeit Dieser Aufsatz ist die gekürzte Fassung eines Arbeitspapiers der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, und greift einer geplanten Buch-veröffentlichung zu diesem Thema vor. Er behandelt daher lediglich Teilaspekte und verzichtet auf eine umfangreiche Dokumentation. „Sternenkrieg", Weltraumrecht und Rüstungssteuerung

„AirLand Battle" — Zerrbild und Wirklichkeit <fussnote> Dieser Aufsatz ist die gekürzte Fassung eines Arbeitspapiers der Stiftung Wissenschaft und Politik, Ebenhausen, und greift einer geplanten Buch-veröffentlichung zu diesem Thema vor. Er behandelt daher lediglich Teilaspekte und verzichtet auf eine umfangreiche Dokumentation. </fussnote>

K. -Peter Stratmann

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Zusammenfassung

Nach dem Thema der Raketenstationierung hat in der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik und in der „Friedensbewegung“ die Diskussion um die AirLand-Battle-Vorschrift des amerikanischen Heeres erneut zu tiefgreifender Beunruhigung und Verunsicherung geführt. Wiederum wird der Bevölkerung der Eindruck vermittelt, als versuche die amerikanische Regierung, im westlichen Bündnis eine neue, friedensgefährdende Militärstrategie durchzusetzen. Wie schon im Falle der Proteste gegen die „Nachrüstung" beruht dieser Eindruck im wesentlichen auf Mißverständnissen, Unkenntnis und Irreführung. Nur läßt sich dieser Tatbestand anhand des AirLand-Battle-Beispiels eher verdeutlichen als für den noch schwierigeren und für eine öffentliche Diskussion weniger zugänglichen Bereich der operativen Nuklearstrategie. Kritiker behaupten, die 1982 eingeführte neue Führungsvorschrift der US-Army, das Field Manual 100-5 (FM 100-5), formuliere eine neue, mit der NATO-Strategie unvereinbare strategische Doktrin. Diese angebliche „Kriegsführungs-" und „Siegstrategie" habe offensiven, wenn nicht sogar aggressiven Charakter, fördere das Ubergreifen außereuropäischer Konflikte auf Europa, führe in Krisenlagen zu gesteigerter Instabilität und hebe die „nukleare Schwelle“ zugunsten eines „integrierten" konventionell-nuklear-chemischen Kriegführungskonzepts auf. Diese Behauptungen und Befürchtungen halten einer kritischen Prüfung nicht Stand. Sie ignorieren vor allem, daß die AirLand-Battle-Doktrin eindeutig keine strategische Doktrin ist, sondern ausschließlich Grundsätze für die operative und taktische Führung von Verbänden begrenzter Größe (Korps und Divisionen) festlegt. Diese Grundsätze betreffen zudem mögliche Operationen amerikanischer Streitkräfte auf allen weltweit vorstellbaren Schauplätzen, für alle vorstellbaren Kriegstypen und -bilder sowie in allen vorstellbaren Gefechts-und Kampfarten (d. h. zum Beispiel in allen bekannten Varianten von Verteidigung und Angriff). Deshalb beschreibt die AirLand-Battle-Doktrin, wie von offizieller Seite mehrfach festgestellt worden ist, auch Vorstellungen und operative Möglichkeiten, die für die Verteidigung im NATO-Kontext nicht anwendbar sind. Die zum Teil grotesken Mißdeutungen der AirLand-Battle-Doktrin,. die in der Bundesrepublik die Strategiedebatte verzerren, sagen mehr über deren eigene Misere aus als über den kritisierten Gegenstand. Sie sind symptomatisch für einige Untugenden der zeitgenössischen deutschen „politischen Kultur", die bereits die „Nachrüstungsdebatte" geprägt hatten: einen Hang zu vordergründiger und vorschneller Politisierung, elementare Unkenntnis der militärischen Materie, Verzicht auf sachkundige Beratung, unkritische Weiterverbreiterung von Schlagwörtern, die einer verbreiteten Neigung zur Hysterie Nahrung geben, und schließlich eine bewußt desinformierende Propaganda jener „traditionell“ kommunistischen und „autonomen" Koordinatoren der „Friedensbewegung", die die bisherige sicherheitspolitische Grundorientierung der Bundesrepublik prinzipiell bekämpfen.

I. Vorbemerkung

Nach dem Thema der Raketenstationierung hat in der veröffentlichten Meinung der Bundesrepublik und in der „Friedensbewegung" die Diskussion um die AirLand-Battle-Vorschrift des amerikanischen Heeres erneut zu tiefgreifender Beunruhigung und Verunsicherung geführt. Wiederum wird der Bevölkerung der Eindruck vermittelt, als versuche die amerikanische Regierung, im westlichen Bündnis eine neue friedensgefährdende Militärstrategie durchzusetzen, eine „offensive Kriegführungsdoktrin für das Schlachtfeld Europa" Wie schon im Falle der Proteste gegen die „Nachrüstung" beruht dieser Eindruck im wesentlichen auf Mißverständnissen, Unkenntnis und Irreführung. Nur läßt sich dieser Tatbestand anhand des AirLand-Battle-Beispiels eher verdeutlichen als für den noch schwierigeren und für eine öffentliche Diskussion weniger zugänglichen Bereich der operativen Nuklearstrategie.

Es soll nicht bestritten werden, daß es auch im Zusammenhang mit dem hier behandelten Thema im Bereich der amerikanischen Politik Gründe und Anlässe für Mißverständnisse gegeben hat:

— Die offiziellen und offiziösen Texte zur AirLand-Battle-Doktrin enthalten manche Unklarheiten und problematische Formulierungen, die bei Unkundigen leicht zu Fehl-deutungen führen können. — Die Ambition der gegenwärtigen amerikanischen Administration, gegenüber ihrem sowjetischen Gegenspieler weltweit politisch und strategisch in die Offensive zu gehen, hat sich in einer Programmatik niedergeschlagen, die generell gegnerische Verwundbarkeiten konzeptionell zu nutzen sucht. In diesem Zusammenhang ist (zumindest vorübergehend) innerhalb der amerikanischen Regierung auch erwogen worden, der UdSSR im Falle eines Konflikts außerhalb Europas die Eröffnung einer „zweiten Front" in Europa anzudrohen, um auf diese Weise die politisch prekäre sowjetische Position in Osteuropa als Abschreckungsfaktor zu verwenden. Diese Vorstellung hätte allerdings die Fähigkeit und Bereitschaft der NATO erfordert, unter Umständen eine großangelegte Offensive gegen das Gebiet des Warschauer Vertrags zu beginnen. Indessen wäre ohne eine grundsätzliche Änderung der bisherigen defensiven Militärpolitik und Strategie des westlichen Bündnisses und ohne eine erhebliche Aufrüstung in Europa ein solches Konzept nicht zu realisieren. Obgleich hierfür keinerlei Aussicht besteht und die amerikanische Regierung sich inzwischen von allen Erwägungen einer Einbeziehung der NATO in ein Konzept „horizontaler Eskalation" distanziert hat, ist es natürlich möglich, auch die AirLand-Battle-Doktrin in diesen Zusammenhang zu rücken und als vermeintliches Mittel zu diesem offensiven Zweck zu präsentieren.

— Zur Verwirrung beigetragen hat ferner, daß zugleich mit dieser neuen Doktrin der US Army, jedoch unabhängig von ihr, mehrere Abteilungen des Pentagon und der Stab des Alliierten Oberbefehlshabers der NATO in Europa (SACEUR), General Rogers, mit verschiedenen operativen und militärtechnischen Konzepten zum Aufgabenbereich „Kampf in der Tiefe“ an die Öffentlichkeit traten. Innerhalb wie erst recht außerhalb der USA erwies es sich zunächst als unmöglich, Abgrenzungen und Zusammenhänge zwischen „AirLand Battle", „Follow-on-Forces Attack" (FOFA), „Deep Strike", „Counter Air 90" oder „Assault Breaker" zu klären. Der ungesteuerte Pluralismus amerikanischer Willensbildung, die sich in der Regel in aller Offent19 lichkeit vollzieht, erreichte in dieser Zeit zweifellos einen Höhepunkt*).

— Schließlich wurde die Situation dadurch weiter kompliziert, daß die US Army unter dem Namen „AirLand Battle" gleichzeitig zwei unterschiedliche Vorhaben betrieben hat

Erstens mündete die Entwicklung der Air-Land-Battle-Doktrin in eine Revision der Führungsvorschrift der US Army für Operationen auf Korps-und Divisionsebene, des Field Manual No. 100-5 Operations (FM 100-5) Diese neue Version der Vorschrift hat die vorige vom Juli 1976 ersetzt, der noch eine Doktrin der „Active Defense" zugrunde lag. Der Revisionsprozeß hatte schon früh eingesetzt und führte über eine Serie von Zwischenschritten bis zur Annahme des neuen FM 100-5 im August 1982

Zweitens wurde unter der Bezeichnung ^AirLand-Battle 2000“ ein Studienprojekt mit dem Auftrag betrieben, eine langfristige Voraus-schau der Bedingungen zu erarbeiten, die nach 1995 das moderne Gefechtsfeld charakterisieren könnten. Die Grundsätze der Air-Land-Battle-Doktrin sollten mit Hilfe des Air-Land-Battle-2000-Konzepts auf den vorausgesehenen Kontext projiziert und entsprechend weiterentwickelt werden. Der praktische

Zweck der Studie wurde darin gesehen, in Zusammenarbeit mit den NATO-Verbündeten in Folgestudien zu einheitlichen Vorstellungen über die langfristige Entwicklung von Streitkräftestrukturen, Bewaffnungskonzepten, Führungsgrundsätzen etc. zu gelangen Als in der Bundesrepublik bekannt wurde, daß Offiziere der Bundeswehr am AirLand-Battle-2000-Konzept mitgearbeitet haben und der Inspekteur des Heeres mit seiner Unterschrift eine Version dieses Papiers als Grundlage weiterer deutsch-amerikanischer Studienvorhaben anerkannt hat, kam es zu aufgeregten Reaktionen. Dabei spielte die Verwechslung von AirLand-Battle-2000-Studie und FM 100-5 eine gewisse Rolle. Man befürchtete grundlos, mit dieser Unterschrift sei von deutscher Seite die®AirLand-Battle-Doktrin in der US Army als für die NATO maßgeblich legitimiert worden

Trotz der genannten Gründe und Anlässe für mögliche Fehlinterpretationen kann allerdings der Charakter der bisherigen deutschen Debatte nur zum geringen Teil aus der amerikanischen Politik erklärt werden. Die hiesige öffentliche Darstellung und Kritik der Air-Land-Battle-Doktrin wird vielmehr vor allem durch einige Untugenden der zeitgenössischen deutschen „politischen Kultur" bestimmt, die bereits die „Nachrüstungsdebatte" geprägt hatten: einen Hang zu vordergründiger vorschneller Politisierung, elementare Unkenntnis der militärischen Materie, Verzicht auf sachkundige Beratung, ungeprüfte Weiterverbreitung alarmierender Schlagwörter, die einer verbreiteten Neigung zur Hysterie Nahrung geben, und — last not least — eine desinformierende Propaganda jener „traditionell" kommunistischen und „autonomen" Koordinatoren der „Friedensbewegung“, die die bisherige sicherheitspolitische Grund-orientierung der Bundesrepublik prinzipiell bekämpfen

II. Die AirLand-Battle-Doktrin in der Kritik der deutschen Öffentlichkeit

In weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit hat sich inzwischen die Auffassung gebildet, die AirLand-Battle-Doktrin des FM 100-5 bedeute eine „neue", mit der NATO-Strategie „unvereinbare“ amerikanische „Strategie“ und zwar eine „Kriegführungs“ -und „Siegstrategie" Diese Behauptungen werden durch die folgenden angeblichen Merkmale begründet und präzisiert:

— Aggressivität: AirLand Battle sei dazu bestimmt, entsprechend dem amerikanischen Konzept „horizontaler Eskalation" im Falle außereuropäischer Konflikte zwischen den USA und der UdSSR durch Offensivfähigkeit der NATO gegenüber Osteuropa die UdSSR von Westeuropa aus militärisch unter Druck zu setzen.

— „Offensivstrategie" einer raumgreifenden „Vorwärtsverteidigung“ statt der gültigen NATO-Defensivstrategie der Vorneverteidigung. Letztere würde damit der sowjetischen Strategie „spiegelbildlich" angeglichen.

— Ausrichtung auf „präemptive" Offenivoperationen: AirLand Battle hebe darauf ab, Schläge gegen das gegnerische Potential „in der Tiefe“ zu führen, bevor die WP-Streitkräfte ihren Angriff beginnen würden. — Aufhebung der „nuklearen Schwelle“ zugunsten einer integrierten „konventionellnuklear-chemischen Kriegführungsstrategie" im Gegensatz zur bisherigen Rolle nuklearer Waffen in der gültigen NATO-Strategie als angeblich ausschließlich „politische Waffen". Aufgrund dieser behaupteten gefährlichen Eigenschaften wird der angeblichen „neuen Strategie" nachgesagt:

— Sie fördere das übergreifen außereuropäischer militärischer Konflikte auf Europa.

— Sie führe außerdem zu einer erheblich gesteigerten Instabilität in Krisenlagen. Der Druck, vorbeugend anzugreifen, erhöhe die Kriegswahrscheinlichkeit.

— Im Kriegsfall führe der geplante frühzeitige entscheidungssuchende Einsatz nuklearer und chemischer Waffen zum Verlust politischer Kontrolle über das Kriegsgeschehen und zur Zerstörung Mitteleuropas.

— Die Offensivorientierung müsse von der Sowjetunion als Angriffsorientierung aufgefaßt werden, . ihre Bedrohungswahrnehmung erhöhen, Mißtrauen verschärfen und verstärktes Wettrüsten bewirken.

III. Mißverständnisse und Verzerrungen

Die dokumentierten Auffassungen, Behauptungen und Schlüsse spiegeln so viele sachliche Irrtümer und fundamentale Fehlurteile wider, daß das entstandene „Syndrom" nur mit einiger Mühe zu entwirren ist:

Die AirLand-Battle-Vorschrift FM 100-5 wird als strategische Doktrin der USA verstanden und ausgegeben, obgleich sie dies offensichtlich nicht ist, sein soll oder sein kann. Das FM 100-5 enthält in seinem einleitenden Kapitel unter der Überschrift „Ebenen des Krieges" die eindeutige Aussage, daß es keine militärstrategischen Grundsätze formuliert: „Die Militärstrategie bestimmt die Grundbedin-gungen für militärische Operationen. Ihre Formulierung liegt außerhalb des Rahmens dieser Vorschrift."

In seinem Vorwort wird ausdrücklich betont, daß sich das FM 100-5 hinsichtlich aller strategischen Aspekte auf das FM 100-1, The Army, bezieht, das als „required reference" bezeichnet wird Hätten die deutschen Kritiker diese Anweisung befolgt, wären sie auf jene vernünftigen Grundsatzaussagen über Politik und Strategie gestoßen, deren Abwesenheit im FM 100-5 ihnen als Beweis für eine angeblich entpolitisierte, rein militärische, strategische Denkhaltung der amerikanischen Führung dient. Die Prinzipien der Air-Land-Battle-Vorschrift beziehen sich eindeutig ausschließlich auf den Kontext der operativen und taktischen Führung von Großverbänden (Korps und Division). Sie setzen folglich den Kriegsfall als Prämisse voraus und richten sich an die militärischen Führer auf mittlerer Kommandoebene. Wenn den operativ-taktisch gebrauchten Begriffen dieser Vorschrift trotzdem fälschlich politisch-strategische Inhalte zugeschrieben werden, muß diese Fehlinterpretation zwangsläufig zu absurden Konsequenzen führen Zu dem Irrtum über Bezugsebene und Kontext gesellt sich eine verfehlte Einschätzung hinsichtlich der unmittelbaren Verbindlichkeit der Aussagen des FM 100-5. Hätten die Kritiker die Vorschrift gelesen, müßten sie bemerkt haben, daß die AirLand-Battle-Doktrin der US Army mit dem Anspruch verfaßt ist, Grundsätze der operativen und taktischen Führung festzulegen für — alle weltweit vorstellbaren Kriegsschauplätze (Dschungel, Wüsten und Gebirge eingeschlossen);

— alle Gefechts-und Kampfarten (d. h. zum Beispiel für Angriff und Verteidigung in den verschiedenen Varianten);

— alle vorstellbaren Kriegsbilder (d. h.den Kampf unter ausschließlich konventionellen wie auch unter nuklearen und chemischen Einsatzbedingungen); — alle vorstellbaren Kriegstypen (von begrenzten Interventionen bis zum globalen allgemeinen Krieg).

Diese Grundsätze sind folglich — dem amerikanischen Wortsinn von „doctrine“ entsprechend — zwar verbindlich, aber so allgemein, daß sie bei Anwendung sinngemäß ausgewählt und ausgelegt werden müssen Das FM 100-5 bemerkt über das „operational concept“ der US Army, das als „Kern ihrer Doktrin" bezeichnet wird: „Das Konzept muß umfassend genug sein, um Operationen unter allen vorhersehbaren Umständen zu beschreiben. Jedoch muß es genügend Bewegungsraum für taktische Variationen in jeder Lage zulassen."

Allein aus diesen Gründen ist es völlig abwegig, wenn seine Kritiker das FM 100-5 im Sinne eines amerikanischen Operationsplanes für Mitteleuropa verstehen wollen. Zwar würden die Befehlshaber der US-Korps und -Divisionen auch in diesem Raum das Gefecht nach den allgemeinen Grundsätzen des FM 100-5 zu führen haben. Aber sie müßten diese Grundsätze jeweils entsprechend den ihnen vorgegebenen spezifischen Rahmenb^dingungen auslegen und umsetzen. Das bedeutet, daß jeder Befehlshaber im Rahmen von Operationsaufgaben und Beschränkungen führen muß, die ihm von höherer Kommandoebene befohlen werden. Im Falle der NATO sind diese den amerikanischen Korps übergeordneten Kommandobehörden auf der Ebene der Heeresgruppen (CENTAG, NORTHAG), der NATO-Streitkräfte Mitteleuropa (AFCENT) und der NATO-Streitkräfte Europa (ACE) nicht etwa nationale amerikanische, sondern international integrierte NATO-Stäbe. Ihre Befehle hinsichtlich der Operationsräume und der Grundzüge der Anfangsoperationen binden folglich auch die amerikanischen Korps-und Divisionskommandeure in der Ausgestaltung ihrer Verteidigungspläne (General Defense Plans) und bestimmen in Verbindung mit der Kräftelage darüber, welche Grundsätze der AirLand-Battle-Doktrin in welcher Form realisiert werden könnten und würden Die Kombination der beschriebenen Mißverständnisse begründet den Vorwurf, die Air-Land-Battle-Doktrin des FM 100-5 sei mit der gültigen NATO-Strategie der „flexible response" und der Vorneverteidigung nicht vereinbar. Diese Behauptung geht bereits aus-den genannten Gründen fehl und widerspricht zudem der ausdrücklichen Versicherung im Vorwort der Vorschrift, sie stehe im Einklang mit Doktrin und Strategie der NATO.

Dies gilt auch im Hinblick auf den möglichen Einsatz nuklearer und chemischer Waffen. Das FM 100-5 weist darauf hin, daß sich die USA vertraglich dem völkerrechtlichen Verbot jedes Einsatzes biologischer Waffen sowie des Ersteinsatzes chemischer Waffen unterworfen haben, sich jedoch — wie andere Staaten auch — das Recht Vorbehalten, auf chemische Einsätze der Gegenseite als Repressalie mit gleichen Mitteln zu reagieren. Ein derartiger Einsatz setze in jedem Falle die vorherige Freigabe durch die politische Führung der USA voraus und würde nach deren Richtlinien erfolgen Beides trifft auch für den Einsatz nuklearer Waffen zu, für den allerdings — der NATO-Strategie entsprechend — auch die Möglichkeit des Ersteinsatzes vorbehalten bleibt. Auch hier weist das FM 100-5 darauf hin, daß die nukleare Einsatzplanung der amerikanischen Divisionen und Korps den Weisungen und Einsatzbeschränkungen der übergeordneten Führungsebenen („higher authority") zu entsprechen hat. Im Bereich der NATO sind — wie im FM 100-5 generell festgestellt — die gemeinsam im Bündnis entwickelten politischen und militärischen Richtlinien, Verfahren und Beschränkungen für die Anforderung, die Freigabe und den Einsatz nuklearer Waffen maßgeblich. Dies ist bei der Entwicklung der Air-Land-Battle-Doktrin im Training and Doctrine Command der US-Army von Anfang an berücksichtigt worden. In dessen „Operational Concept for the Tactical Employment of Nuclear Weapons on the Integrated Nuclear/Non-Nuclear Battlefield" wird bereits 1979 auf diesen Sachverhalt hingewiesen: „Das Konzept ist entsprechend der gültigen nationalen Politik und Strategie und der NATO-Strategie der flexible response ... entwickelt wor-den. Das Konzept ist, aus der Perspektive des Korpskommandeurs, auf den europäischen Rahmen zugeschnitten und berücksichtigt mögliche operative Beschränkungen hinsichtlich des Erfordernisses der Genehmigung des Einsatzes nuklearer Waffen durch die oberste nationale Führung. Jedes Einsatzkonzept für den taktischen Einsatz nuklearer Waffen muß mit den europäischen Gegebenheiten vereinbar sein, was das Führungssystem, die Streitkräftegliederung und die Einsatzverfahren der NATO einschließt."

Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß die AirLand-Battle-Doktrin wegen ihrer globalen Perspektiven naturgemäß auch Vorstellungen und operative Varianten beschreibt, die im NATO-Kontext aus verschiedenen Gründen nicht anwendbar oder realisierbar sind. Darauf ist von General Rogers, dem Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, und auch von offizieller deutscher Seite öffentlich hingewiesen worden

Hingegen fällt auf, daß viele der Kritiker dieser Doktrin eine NATO-Strategie zu verteidigen vorgeben, die es in der behaupteten Form gar nicht gibt. Ihre Einwände stellen vielmehr — gewollt oder ungewollt — sogar die gültige Strategie der „flexible response“ in Frage. Die Problematik der dokumentierten Kritik der AirLand-Battle-Doktrin liegt also auf zwei Ebenen:

— erstens in der grundsätzlichen Fehleinschätzung dieser Doktrin selbst und ihrer Relevanz für die NATO-Strategie;

— zweitens in der Verkennung der gültigen NATO-Strategie und der aus ihr abgeleiteten Konzepte und Verteidigungspläne.

Das erste Problem ist in seinen Grundsatz-aspekten bereits erörtert worden. Die Unfähigkeit der Kritiker, im Falle der AirLand-Battle-Thematik den fundamentalen Unterschied zwischen einer militärstrategischen Doktrin und der Formulierung von operativ-taktischen Grundsätzen für die Gefechtsführung von Korps und Divisionen zu erkennen oder seine Bedeutung zu begreifen, zieht weitreichende Mißverständnisse nach sich:

— Der in der AirLand-Battle-Doktrin geforderte „Sieg" in Gefecht oder Schlacht („battle"), der den erfolgreichen Abschluß des Feldzu-ges („campaign") ermöglichen soll, wird als totaler Sieg über den Feind mißdeutet Die geforderte „Vernichtung“ der ersten operativen Angriffsstaffel des Gegners, d. h.seiner frontnah operierenden Armeen (also die Mindestvoraussetzung erfolgreicher Vorneverteidigung), wird fälschlich als angebliche Forderung nach der Vernichtung der gesamten Streitkräfte des Warschauer Pakts ausgegeben.

— Der im FM 100-5 mit dem Konzept des „erweiterten Gefechtsfeldes" (extended battlefield") beschriebene Angriff „in die Tiefe“, in das „rückwärtige Gebiet" des Gegners, wird als großangelegte raumgreifende Offensive mit Landstreitkräften tief nach Osteuropa hinein ausgegeben, obgleich aus Text und schematischen Illustrationen der Vorschrift eindeutig hervorgeht, daß es in Wirklichkeit nur um die „operative Tiefe" der angreifenden gegnerischen Armeen, d. h. um einen Raum von maximal 100 bis 150 km Tiefe geht Ferner ist klar erkennbar, daß nach der Air-Land-Battle-Doktrin im rückwärtigen Teil dieses Raumes vor allem die eigenen Luft-streitkräfte mit Feuer wirken sollen (Gefechtsfeldabriegelung), während sich die Rolle der Landstreitkräfte dort auf Kommandounternehmen kleinerer Sondereinheiten, Luftlandeeinheiten und dergleichen beschränkt. Etwaige Angriffe der eigenen schweren Heeresverbände richten sich zunächst und vor allem in die „taktische Tiefe" der angreifenden gegnerischen Divisionen der ersten Staffel, d. h. bis in eine Tiefe von maximal 30 bis 70 km vor dem vorderen Rand der eigenen Verteidigung (VRV).

Wenn man in illustrativer Absicht dieses Element der AirLand-Battle-Vorschrift auf den NATO-Abschnitt Mitteleuropa überträgt, würde dies bedeuten, daß der sogenannte „deep attack“ der AirLand Battle mit Operationen der eigenen Kampftruppen das Gebiet der DDR und der ÖSSR nur marginal erfassen würde. Der in den Verteidigungsplänen der NATO-Divisionen vorgesehene VRV läge zudem nicht unmittelbar an der Grenzlinie, sondern in unterschiedlicher Entfernung hinter der sogenannten Verzögerungszone im Gebiet der Bundesrepublik.

Für die tatsächliche oder scheinbare Sorge der Kritiker des FM 100-5 vor einer „Offensivstrategie" bietet die Vorschrift folglich keinen Grund. Deren Konzept des lediglich unterstützenden . Angriffs in die Tiefe" beschränkt sich auf einen operativ-taktischen Kontext, in dem begrenzte Kräfte (in der Regel Bataillone, Brigaden oder Divisionen) in begrenzten, frontnahen Räumen mit begrenztem Auftrag kämpfen. Das Konzept stellt also nicht die Vorneverteidigung der NATO in Frage, sondern beschreibt vor allem eine spezifische Taktik der Vorneverteidigung, die im übrigen den Auffassungen der Bundeswehr sehr viel näher liegt als die vormalige US-Army-Doktrin der „Active Defense".

Auch die Behauptung der Kritiker, die Air-Land-Battle-Doktrin sehe einen vorbeugendenAngriff oder sogar eine präventive Aggression amerikanischer Streitkräfte vor, stützt sich auf Fehlinterpretationen. Das FM 100-5 stellt lediglich fest, daß der (im beschriebenen Sinne gemeinte) . Angriff in die Tiefe" gegen die nachfolgende Staffel der Verstärkungskräfte erfolgen sollte, bevor diese in das zu diesem Zeitpunkt bereits geführte Gefecht an der Front eingreifen können. Dies bedeutet also, daß nach einem gegnerischen Angriff das eigentliche Verteidigungsgefecht möglichst frühzeitig durch Abriegelungsangriffe unterstützt werden sollte. Auch die im FM 100-5 an einer Stelle erwähnten Angriffe, die einem bevorstehenden Angriff des Gegners auf Ziele im eigenen rückwärtigen Gebiet zuvorkommen würden („preemptive strikes") oder die mehrfach genannten Angriffsaktionen gegen gegnerische Kräfte in der Bereitstellung („spoiling attacks") betreffen eindeutig nicht die strategische Frage des Kriegsbeginns, sondern beschreiben Typen von Operationen, auf die der taktische Befehlshaber im Rahmen seines jeweiligen Verteidigungs-, Angriffs-oder Verzögerungsauftrags zurückgreifen kann.

— Alle dargestellten Irrtümer hinsichtlich der tatsächlich gemeinten Operationsziele, -arten, -räume, Kräfte und Mittel übertragen die Kritiker der AirLand-Battle-Doktrin auch auf deren Aussagen zur Gefechtsführung unter nuklearen und chemischen Bedingungen. Obgleich — wie oben erwähnt — diese Aussage bei Anwendung im NATO-Kontext ausdrücklich der Konkretisierung und der Einschränkung nach Maßgabe übergeordneter politisch-strategischer Weisungen, Planungen und Entscheidungen der NATO-Regierungen und Kommandobehörden unterworfen werden, entsteht auf diese Weise der unzutreffende Eindruck, als sollte diese Doktrin künftig die nukleare Gesamtstrategie der NATO bestimmen und ersetzen. In Wirklichkeit betrifft sie jedoch nur einen Teil der von der NATO erwogenen und vorbereiteten nuklearen Einsatzoptionen, nämlich ausschließlich die Kategorie des nuklearen Gefechtsfeldeinsatzes. Diese Tatsache wird fälschlich als Absicht der amerikanischen Politik interpretiert, die nuB kleare Komponente der „flexible response“ -Strategie vollständig auf die Perspektive der „nuklearen Feldschlacht" zu reduzieren. Indessen verdeutlichen bereits die Stationierung moderner amerikanischer Mittelstrekkenraketen in Westeuropa und die Entscheidung der NATO, die Zahl ihrer Nuklearwaffen im Kurzstreckenbereich erheblich zu reduzieren, daß diese Einschätzung fehlgeht. Es ist im Gegenteil zu erkennen, daß die politische und militärische Führung der NATO — unter Einschluß der amerikanischen Seite — seit geraumer Zeit die Bedeutung des nuklearen Gefechtsfeldpotentials für die NATO-Strategie eher relativieren, ohne allerdings seinen spezifischen Beitrag zur Verstärkung der Vorneverteidigung zu verkennen.

Ein weiteres entscheidendes Mißverständnis liegt darin, daß die Forderung der AirLand-Battle-Doktrin nach der Fähigkeit amerikanischer Korps und Divisionen, im Falle einer politischen Freigabe verzugslos nukleare und chemische Waffen als wirksame Elemente des „integrierten Gefechtä' („integrated battlefield") einzusetzen, im Sinne einer strategischen Festlegung auf einen nahezu automatisch erfolgenden frühzeitigen nuklearen und chemischen Ersteinsatz aufgefaßt und darstellt wird. Dabei wird erstens übersehen, daß der Ersteinsatz chemischer Waffen für die Vereinigten Staaten ausgeschlossen bleibt. Zweitens wird der Begriff der „Integration" mißverstanden. Er besagt u. a., daß durch entsprechende Vorbereitungen die Notwendigkeit erübrigt werden soll, vor oder bei dem Wechsel von konventionellen zu nuklearen und chemischen Gefechtsbedingungen Um-stellungen bei den eigenen Truppen vorzunehmen, die eine Unterbrechung der Operationen bewirken, dem Gegner unbeabsichtigt Indikatoren liefern und folglich zu gesteigerter Gefährdung der Truppe führen müßten. Die an diesem Ziel orientierte Forderung nach permanenter Integration von Aufklärung, Planung, Einsatzführung etc. hebt jedoch das Prinzip der politischen Kontrolle über den Einsatz nuklearer Waffen („die Schwelle") nicht auf — wie das FM 100-5 mehrfach verdeutlicht. Sie bedeutet also keine „Konventionalisierung“ dieser Waffen.

Allerdings fordern in diesem Falle mehrere Passagen des FM 100-5 und ihm vorausgehen.der Diskussionspapiere aus dem Training and Doctrine Command derartige Mißverständnisse heraus: Zum einen werden der generellen Forderung nach bestmöglicher Integration und Synchronisation des Gefechts nach den Grundsätzen der AirLand-Battle-Doktrin schematisch alle in Frage kommenden Mittel zugeordnet, ohne bei deren Aufzählung jeweils konventionelle sowie nukleare und chemische Waffen und Einsätze voneinander zu unterscheiden. Außerdem zeigen die Texte eine Tendenz, in technisch verengter Perspektive nukleare und chemische Waffen wegen ihrer unter Umständen erheblich stärkeren militärischen Wirkung als bevorzugte Kampfmittel erscheinen zu lassen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, daß mehrfach generalisierend vom „modernen" oder „nächsten Gefechtsfeld" die Rede ist, auf dem alle verfügbaren Kampfmittel und -methoden eingesetzt werden würden. Derartige Aussagen stellen somit die Möglichkeit des nuklearen und chemischen Gefechtsfeldeinsatzes quasi als Normfall dar. Hierbei mag die im militärischen Bereich verbreitete Neigung eine Rolle spielen, die eigenen Vorbereitungen an den vorstellbar schwierigsten Herausforderungen und Bedingungen auszurichten.

Jedoch steht diese undifferenzierte Darstellungsweise zweifellos in Kontrast zur Vorbemerkung des FM 100-5 selbst, derzufolge die Verwendung konventioneller Waffen betont wird. Sie weicht gleichfalls von der kategorialen Unterscheidung nicht-nuklearer und nuklearer Waffen in der amerikanischen Militärstrategie ab. Sie ignoriert vor allem das unveränderte leitende Interesse der amerikanischen Politik, durch die Verstärkung konventioneller Streitkräfte die Abhängigkeit vom möglichen Einsatz nuklearer Waffen zu verringern. Und sie scheint sogar die ursprüngliche und eigentliche Motivation der Autoren der AirLand-Battle-Doktrin in ihr Gegenteil zu verkehren, durch eine optimale taktische Umsetzung leistungsgesteigerter konventioneller Militärtechnik dem wahrgenommenen Zwang der NATO zum frühzeitigen Nukleareinsatz zu entgehen.

Diese Widersprüche und Unklarheiten in der Formulierung des Konzepts des „integrated battlefield" sind aus deutscher Sicht beunruhigend. Und die Vorbehalte der Bundesregierung heben vor allem auf diesen Bereich ab. Allerdings können auch diese Mängel des FM 100-5 in keiner Weise eine Kritik dieser Vorschrift als vermeintliche „nukleare Offensivstrategie" der USA für Europa rechtfertigen.

Die zweite Problemebene der Kritik führt über die dargestellten spezifischen Irrtümer und Verzerrungen hinaus und betrifft in genereller Weise zusammen mit der AirLand-Battle-Doktrin auch die Grundlagen der gültigen Strategie der NATO und der bisherigen deutschen Sicherheitspolitik. Dabei ist verblüffend, daß unter Berufung auf „das deut-25 sehe Sicherheitsinteresse" vor allem solche Elemente der NATO-Strategie und -Planung angegriffen werden, die ursprünglich auf deutsche Vorstellungen und Forderungen an das Bündnis zurückgehen und seit den. fünfziger Jahren von allen Bundesregierungen im Namen des deutschen Sicherheitsinteresses — vor allem gegen abweichende Auffassungen der USA — durchgesetzt werden konnten. Dies gilt vor allem für folgende Positionen: — Festlegung auf eine grenznah geführte Vorneverteidigung ohne nennenswerte Aufgabe von Raum — trotz der damit verbundenen operativen Probleme —, um Zerstörungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik möglichst gering zu halten; — keine Beschränkung der Kampfeinsätze der NATO auf das eigene Gebiet, weil dadurch die Risiken und Kosten einer Agression ausschließlich derem Opfer auferlegt würden. Statt dessen die Bereitschaft zur geographischen Ausweitung der eigenen Operationen über das engere Gefechtsfeld hinaus in die Tiefe des gegnerischen Hinterlandes, vor allem im Falle der Notwendigkeit nuklearer Einsätze; — keine Festlegung auf eine ausschließlich konventionelle Verteidigung, sondern die Abstützung auf ein lückenloses Spektrum der Eskalation auch mit atomaren Waffen;

— keine Festlegung auf eine „hohe Schwelle" zum nuklearen Einsatz, sondern die konzeptionelle Bindung dieser Entscheidung an die Stabilität der Vorneverteidigung. Ein etwaiger Ersteinsatz müßte erfolgen, bevor die NATO-Streitkräfte abgekämpft wären und der Zusammenhang der grenznahen Verteidigung gefährdet wäre, d. h. unter Umständen frühzeitig;

— Festlegung auf den Versuch einer raschen Kriegsbeendigung mit dem ersten Abwehrerfolg, um einen zerstörerischen Krieg längerer Dauer auszuschließen.

Nachdem auf amerikanischer Seite diese traditionellen deutschen Forderungen schließlich akzeptiert und als Rahmenbedingungen für die Entwicklung der AirLand-Battle-Doktrin zugrunde gelegt worden sind, muß es eigenartig berühren, wenn letztere in der Bundesrepublik zum Anlaß genommen wird, um den USA eine „erstaunlich unbefangene Mißachtung europäischer Bündnisinteressen" vorzuwerfen

IV. NATO-Strategie und AirLand-Battle-Doktrin

Manche deutsche Kritiker sehen für die Air-Land-Battle-Doktrin das Kriterium einer „Kriegführungsstrategie" schon deswegen erfüllt, weil das FM 100-5 beschreibt, wie nach möglichem Scheitern der Abschreckung militärische Operationsaufträge mit militärischen Mitteln durchgeführt werden sollen, statt die kommandierenden Generäle der Korps über die Notwendigkeit der Vorrangigkeit der Aufgabe politischer Kriegsverhinderung zu belehren. Das Kriterium einer „Offensivstrategie" trifft für sie bereits deswegen zu, weil grenzüberschreitende Einsätze eigener Luft-streitkräfte und Gegenangriffe mit Heeresverbänden auch auf gegnerisches Territorium vorgesehen sind. Und ihr Urteil einer „nuklearen Kriegführungsstrategie“ sehen sie bereits dadurch bestätigt, daß überhaupt der Einsatz atomarer und chemischer Waffen gegen militärische Ziele vorgesehen wird.

Gewiß beruhen diese Urteile auch auf den beschriebenen fundamentalen Fehleinschätzungen des Charakters der AirLand-Battle-Doktrin. Hinzu tritt allerdings eine weitgehende Unkenntnis der gültigen westlichen Strategie und Verteidigungsplanung. Hingegen bleibt festzustellen, daß selbstverständlich auch die Führungs-und Einsatzgrundsätze der NATO-Streitkräfte und die Operationspläne ihrer Verbände seit jeher darauf abstellen, im Verteidigungsfall politisch bestimmte (und begrenzte) militärische Ziele zu erreichen. Selbstverständlich sehen sie vor, dabei auch das tief gestaffelte Offensivpotential des Warschauer Pakts auf dessen Territorium zu bekämpfen (vor allem: Abriegelung in der Tiefe, Kampf gegen feindliche Luftstreitkräfte am Boden und Gefechtsfeldabriegelung mit konventionellen oder — falls erforderlich und politisch genehmigt — auch mit nuklearen Einsatzmitteln).

Ferner sieht die NATO seit Jahrzehnten vor, ihre Vorneverteidigung mit Landstreitkräften in Mitteleuropa taktisch und operativ beweglich, d. h. auch mit Gegenangriffen zu führen. Dabei sind Grenzüberschreitungen in den Verteidigungsplänen der NATO nicht vorgesehen, dürften jedoch im taktischen Rahmen im Einzelfall nicht prinzipiell ausgeschlossen sein. Und schließlich bereitet die NATO im Rahmen ihres strategischen Konzepts der „vorbedachten Eskalation" begrenzte nukleare Einsatzoptionen gegen militärische Ziele vor, unter anderem auch solche mit taktischer oder operativer Wirkung zur Unterstützung der Vorneverteidigung auf dem Gefechtsfeld. Trotzdem wäre es sachlich ungerechtfertigt, aus diesen Merkmalen für die NATO-Strategie (oder für die angebliche AirLand-Battle„Strategie") die oben dargestellten abwegigen Schlüsse zu ziehen.

Die NATO-Strategie ist vielmehr auf ein defensives politisches Kriegsziel ausgerichtet: die Bewahrung und Wiederherstellung territorialer Integrität und die Beendigung des Krieges in möglichst kurzer Zeit und auf möglichst niedriger Ebene der Gewalt und Zerstörung. Dieses politische Ziel soll durch politische und militärische Einwirkung auf Wahrnehmung und Willen der gegnerischen politischen und militärischen Führung erreicht werden. Diese soll erkennen, daß sie ihre Ziele gegen den Widerstand der NATO nicht durchsetzen kann, ohne unverhältnismäßig hohe Risiken politischer und militärischer Art einzugehen. Die NATO strebt also mit ihren militärischen Operationen keinen endgültigen militärischen Sieg an, sondern die möglichst rasche politische Entscheidung der WP-Führung zur Kriegsbeendigung unter für die NATO annehmbaren Bedingungen.

Hierfür stützt sie sich auf ein defensives Konzept der Vorneverteidigung mit Landstreitkräften, das sich von der Strategie des War-schauer Pakts, die auf die schnelle, raumgreifende Offensive auf NATO-Territorium ausgerichtet ist, grundsätzlich unterscheidet. Diese auf eigenem Gebiet geführte Vorneverteidigung der NATO würde unterstützt durch offensive Operationen ihrer Luftstreitkräfte und weitreichender bodengestützter Artillerie-und Raketen-Systeme zur Bekämpfung der gestaffelt nachrückenden gegnerischen Verstärkungsverbände vor deren Eintreffen an der Front sowie der für den Transport und Versorgung erforderlichen Infrastruktur im Warschauer Pakt-Bereich etc.

Etwaige nukleare Einsätze der NATO würden mit der dargestellten politischen Zielsetzung der Einwirkung auf die gegnerische Führung erfolgen. Hierzu könnten betont eskalatorisehe Einsätze dienen, die dem sowjetischen Oberkommando unmittelbar das Risiko der Steigerung zum allgemeinen, strategisch geführten Atomkrieg zu Bewußtsein bringen würden. Es könnte unter Umständen auch erforderlich sein, durch militärisch wirksame nukleare Einsätze der sowjetischen Führung die Erwartung eines sicheren raschen Erfolgs ihrer Offensive zu zerstören, um dieses politische Ziel zu erreichen Sollte die NATO atomare Waffen einsetzen, so im Rahmen von Beschränkungen und unter strikter politischer Kontrolle, zu deren Sicherung im Bündnis besondere Anforderungs-, Freigabe-und Konsultationsverfahren entwickelt worden sind.

Obgleich sich alle konkreten, spezifischen Aussagen der AirLand-Battle-Vorschrift zur Erläuterung der allgemeinen Grundsätze der Doktrin in den taktischen Rahmen des NATO-Konzepts der Vorneverteidigung einfügen lassen, entstehen Probleme daraus, daß der Anspruch dieser Doktrin über den Bereich der Taktik hinausreicht. Er erfaßt zumindest definitorisch auch die Ebene der operativen Führung („the operational level of war“). Deren Aufgabe wird darin gesehen, Gefechte taktischer Verbände derart zu lenken und zu nutzen, daß Bewegungen größerer Heeresverbände (Korps, Armeen) möglich werden, um auf diese Weise innerhalb des jeweiligen Operationsgebiets eine strategisch vorteilhafte Lage und einen erfolgreichen Abschluß des gesamten Feldzuges („campaign") zu erreichen. Obgleich die AirLand-Battle-Vorschrift den von der Doktrin gesetzten theoretischen Anspruch, das Feld zwischen den Ebenen der Taktik und der Strategie auszufüllen, praktisch nur für den operativ-taktischen Ausschnitt einlöst, nehmen die meisten Kritiker diesen Anspruch ernst und projizieren ihn in der dargestellten Weise irrtümlich als operativ-strategische Bedeutung in den taktischen Kontext der Vorschrift hinein.

Außerdem assoziieren sie die auf diese Weise gewonnenen-„Beweise“ für eine angebliche Offensivstrategie mit einer entsprechenden Interpretation von Aussagen, die im Zusammenhang mit der Entwicklung der Doktrin stehen und — in Verbindung mit der Bedeutung von Initiative und offensiver Kampfführung — das Erfordernis eines „Sieges" hervorheben. Hauptquelle hierfür ist eine Broschüre des Training and Doctrine Command vom März 1981, mit deren Hilfe die Grundzüge der AirLand-Battle-Doktrin bekannt gemacht und zur Diskussion gestellt worden sind In dieser Schrift wird es als Lehre aus der Geschichte bezeichnet, daß Streitkräfte, wenn sie von der politischen Führung in Verfolg politischer Ziele eingesetzt würden, irgendeinen militärischen Erfolg erringen müßten („win something“). Andernfalls gebe es keine Grundlage, auf der die politische Führung mit politischer Erfolgsaussicht verhandeln könne („bargain to win politically"). Deswegen könne der Zweck militärischer Operationen nicht lediglich darin bestehen, eine Niederlage abzuwenden, sondern es gehe darum zu siegen („to win"). Im NATO-Bereich, im Mittleren Osten und in Korea müsse die Verteidigungsstrategie der USA („our defensive strategy") einen „definierbaren, erkennbaren (obgleich vielleicht begrenzten) Sieg des Verteidigers vorsehen". Der Führung der Gegenseite müsse klar zu verstehen gegeben werden, daß es, falls sie sich zum Angriff entschließen würde („move militarily"), keine Wiederherstellung des Status quo ante bellum geben werde, sondern daß die von ihr geschaffene Lage zu neuen Bedingungen geregelt werde („resolved on new terms").

Bezeichnen diese Aussagen, wie die Kritiker behaupten, eine offensive militärische Sieg-strategie der USA? Liest man sie im Kontext, so wird die oben bereits angedeutete Begrenztheit des postulierten „Sieges" deutlich. Es geht darum, die Gefechte gegen die Divisionen der angreifenden gegnerischen Armeen erster Staffel mit der AirLand-Battle-Taktik rasch zu entscheiden, bevor die nachrückenden Armeen der zweiten operativen Staffel in den Kampf eingreifen können. Dieser schnelle Anfangserfolg der Verteidigung soll Bedingungen schaffen, die es der politischen Führung der USA erlauben würden, mit ihren Gegnern aus einer starken Position zu verhandeln 23).

Ziel der eigenen Operationen ist also nicht die vollständige militärische Niederwerfung des Gegners, sondern die Desorganisierung des von diesem geplanten Angriffsablaufs. Die rasche Zerschlagung seiner ersten operativen Staffel soll der eigenen Seite die Verlegung entlasteter Kräfte in Positionen ermöglichen, von denen aus Druck auf Schwachstellen des gegnerischen Dispositivs ausgeübt werden könnte. Auf diese Weise soll die Gegenseite vor die Wahl gestellt werden, ihre Offensive abzubrechen oder bei deren Fortsetzung eine weitreichende Niederlage zu riskieren General Otis, Amtschef des TRA-DOC, hat es als hauptsächliche Aufgabe für die operative Ebene bezeichnet, einen „relati- ven Positionsvorteil' gegenüber dem Feind zu erreichen und „indirekte Druckwirkungen" zu schaffen. Ziel sei es, den Gegner zu schlagen („defeating") und im Operationsgebiet strategische Ziele zu erreichen, wobei die Niederlage des Gegners („defeat of the enemy") auf mehrfache Weise bewirkt werden könne: dadurch, daß man ihn davon überzeugt, nicht gewinnen zu können, daß man ihn zur Einstellung des Konflikts bewegt oder daß man seine Waffen und Streitkräfte zerstört

Die Autoren der AirLand-Battle-Doktrin setzen offensichtlich — auch hierin in Überein-stimmung mit der NATO-Strategie — für den Fall einer Auseinandersetzung mit der UdSSR auf eine Kriegsbeendigung mit politischen Mitteln, d. h. durch Verhandlungen. Sie orientieren sich an der Notwendigkeit, den ersten Abwehrerfolg zu erzielen, um dadurch die sowjetische Offensive bereits im Ansatz zu brechen und deren Fortsetzung zu entmutigen. Weitergehende Vorstellungen eines militärischen Sieges, etwa als Ergebnis einer Offensive in die Tiefe Osteuropas, sind bei ihnen nirgends zu erkennen. Allerdings gibt es im Kreis der Autoren Zweifel, ob die in der AirLand-Battle-Vorschrift behandelten Offensivoperationen der amerikanischen Streitkräfte, die ausnahmslos im Rahmen des Korps bleiben, wegen ihrer geringen Tiefe und ihres geringen Umfangs ausreichen würden, um auch nur diesen begrenzten operativen Erfolg zu erreichen. Möglicherweise könne der sowjetische Befehlshaber die angegriffene Armee einfach opfern, um mit seinen übrigen Armeen die Offensive gegen andere Korps der NATO in der Erwartung fortzusetzen, dort den Durchbruch zu erzielen und dabei das vorgestoßene US-Korps einzuschließen

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die AirLand-Battle-Doktrin nach ihrem Wortlaut und der Kommentierung durch ihre Autoren keineswegs den Charakter einer „Offensivstrategie" aufweist, die die sowjetische Position in Osteuropa militärisch gefährden soll oder kann. Vielmehr reflektiert diese Doktrin das Problem der USA (und ihrer NATO-Verbündeten) in Europa, sich im Kriegsfall gegen einen offensiv operierenden, quantitativ überlegenen Gegner verteidigen zu müssen, ohne dabei nennenswerten Raum aufgeben zu können und einen langwierigen Kampf führen zu wollen. Die AirLand-Battle-Taktik fügt sich den Rahmenbedingungen dieser Defensiv-Strategie ein. Sie ist unter anderem als Versuch zu verstehen, bisherige Schwächen der NATO-Vorneverteidigung auszuräumen, ohne die Grundlagen dieses Konzepts und der NATO-Strategie der „flexible response“ in Frage zu stellen. Diese Übereinstimmung im Grundsätzlichen wird auch in der bereits er-wähnten Version des AirLand-Battle-2000-Konzepts deutlich. Dort wird als strategisches Operationsziel auf dem europäischen Schauplatz definiert, „einen quantitativ überlegenen Gegner nahe der Grenze zum Stehen zu bringen und ihn darauffolgend zum Rückzug zu zwingen“

V. Schlußbemerkung

Es war nicht die Absicht dieser Arbeit, die AirLand-Battle-Doktrin und die auf ihr beruhende Führungsvorschrift der US Army von Kritik auszunehmen. Dafür gibt es keinen Grund, denn sie enthalten durchaus Aussagen, Einschätzungen und Empfehlungen, die mit kritischen Vorbehalten gesehen werden müssen. Ferner ist offensichtlich, daß Unklarheiten und mißverständliche Formulierungen in den einschlägigen Texten in Verbindung mit dem verwirrenden Charakter des amerikanischen politischen Prozesses und mit der strategischen Programmatik der regierenden Republikaner Anlaß für Fehl-deutungen bieten. Die Absicht lag indessen Haltlosigkeit -nur darin, die jener Mißdeutun gen und jener im wahrsten Sinne des Wortes maßlosen Kritik zu erweisen, die in der Bundesrepublik einmal mehr die Strategiedebatte verzerrt und die mehr über deren eigene Misere aussagt als über den kritisierten Gegenstand. Sollte man für diese Debatte ein übergreifendes Charakteristikum bezeichnen, so böten sich die Begriffe der Verdrängung oder Realitätsverweigerung an. Wie anders wäre zum Beispiel zu erklären, daß — nicht etwa als akademisches Gedankenspiel, sondern mit allen Anzeichen ernsthafter politischer Beunruhigung — in der Bundesrepublik die Behauptung debattiert wird, die NATO solle von den USA auf eine militärische Offensivstrategie gegenüber der UdSSR festgelegt werden, obgleich doch materiell und politisch für die NATO die allenthalben geforderte „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“ längst und unabänderlich feststeht. Und falls zu dieser einfachen Einsicht eine nüchterne Betrachtung des regionalen militärischen Ost-West-Kräfteverhältnisses und seiner mittelfristigen Entwicklungstrends noch nicht ausreichen sollte, so müßte jedenfalls ein Blick auf die Kommandostruktur der NATO, auf die Dislozierung und Planung ihrer multinationalen Verbände sowie auf die Art der erforderlichen Mitwirkung der Verfassungsorgane in allen beteiligten NATO-Ländern am Prozeß der Alarmierung und Mobilisierung der Bündnis-streitkräfte von dieser Defensivstrategie überzeugen.

Es ist an dieser Stelle nicht möglich, den komplizierten Prozeß nachzuzeichnen, der in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten dazu geführt hat, daß offensichtlich kritische Aspekte der deutschen Sicherheitslage durch zweckbestimmte Interpretationen und Stilisierungen der NATO-Strategie verdeckt worden sind 28). Diese Vereinfachungen haben in der Öffentlichkeit den Charakter nahezu dogmatischer Sätze angenommen. Dies gilt zum Beispiel für die falsche kategoriale Entgegen-setzung von , Abschreckungs" -/„Kriegverhütungsstrategie" und „Kriegführungsstrategie", die verkennt, daß die NATO-Strategie in Wirklichkeit beide Seiten in einem dialektischen Ziel-Mittel-Zusammenhang begreift. Ein weiteres Beispiel bietet die übermäßig vereinfachende Einordnung atomarer Waffen als angeblich nur „politische Waffen" der Abschreckung. Die Verdrängung aller operativen Erfordernisse und Probleme militärischer Sicherheitspolitik aus der öffentlichen Debatte hat dazu geführt, daß militärischer Sachverstand weitgehend im Bereich der Regierung monopolisiert ist. Folglich besteht eine Kluft zwischen dem einschlägigen Problembewußtsein der offiziellen Politik und jenem der Öffentlichkeit, die auf der Gültigkeit der gewohnten Vereinfachungen und Entlastungen beharrt. Die offizielle Politik hingegen steht vor dem Dilemma, daß die Verschlechterung der strategischen Rahmenbedingungen aufgrund der sowjetischen Aufrüstung und deren Reflexion in der amerikanischen Strategiedebatte die bisherige Form der öffentlichen Darstellung zunehmend brüchig erscheinen lassen, Ansätze zu deren Anpassung an die schwierige und widersprüchliche Wirklichkeit jedoch erhebliche politische Widerstände hervorrufen.

Wie bereits die Kontroverse über die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen fällt auch die gegenwärtige Debatte um die AirLand-Battle-Doktrin in diese unsichere Übergangsphase der deutschen Sicherheitspolitik. So kann es geschehen, daß Kritiker dieser Doktrin subjektiv überzeugt in ihr eine Entfernung der amerikanischen Politik von der gültigen NATO-Strategie wahrnehmen, obgleich dieser Eindruck in Wirklichkeit vor allem ihre eigene Entfernung von dieser Strategie und von der langjährigen stetigen Politik deutscher Bundesregierungen in der NATO anzeigt.

Es wird daher in den kommenden Jahren darauf ankommen, in der Sicherheitsdebatte der Bundesrepublik eine schrittweise Annäherung an die politisch-strategische Realität zu vollziehen, statt sich weiterhin in ideale Sicherheits-und Strategiemodelle zu flüchten. Deren augenblickliche Popularität bestätigt erneut die Wahrheit der Beobachtung, daß Deutsche fest auf beiden Beinen in den Wolken zu stehen lieben. Zumindest aber die politischen Eliten müssen die Dilemmata der Sicherheitslage der Bundesrepublik und die daraus resultierende Widersprüchlichkeit deutscher Sicherheitspositionen endlich wieder zur Kenntnis nehmen und in einer informierten Debatte verarbeiten, statt — wie es zum Teil immer noch geschieht — Frustrationen und Ängste in Form eines geradezu paranoiden „Feindbildes" auf den amerikanischen Verbündeten zu übertragen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Begriff . AirLand Battle“ (wörtlich: „LuftLand-Schlacht") bezeichnet die Vorstellung integrierter und koordinierter Einsätze von Land-und Luftstreitkräften im Gefecht, d. h.den Kampf der verbundenen Waffen und Teilstreitkräfte. Vgl. hierzu F. -J. Schulze, Vorneverteidigung im Zusammenwirken von Land-und Luftstreitkräften, in: Europäische Wehrkunde, (1979) 8, S. 377— 379.

  2. So der bezeichnende Untertitel einer Veröffentlichung der Militärpolitik Dokumentation e. V. zum Schwerpunktthema Die , AirLand-Battle“ -Doktrin, bearbeitet von R. Nikutta, F. Henneke und J. Rode-johann, Nr. 34/35, Frankfurt 1983.

  3. Vgl. zum folgenden die gut informierte Darstellung AirLand Battle: eine neue Strategie?, in: ISP. Informationsdienst Sicherheitspolitik, (Juli 1984) II, Bonn.

  4. Herausgegeben von Headquarters Department of the Army, Washington, D. C„ 20. August 1982.

  5. Zuständig für die Entwicklung der Führungsund Einsatzgrundsätze der US Army ist das Training and Doctrine Command (TRADOC), das dabei mit anderen Einrichtungen, wie z. B.dem US Army Command and General Staff College und der Army Field Artillery School zusammenarbeitet. TRADOC hatte zum Zweck der Verbreitung und Diskussion des neuen operativen Konzepts am 25. März 1981 eine Schrift ip Umlauf gesetzt, das TRADOC-Pamphlet No. 525-5, Military Operations, Operational Concepts for the ArLand Battle and Corps Operations — 1986. Ihr wesentlicher Inhalt wurde im selben Monat vom TRADOC-Amtschef, General Donn A Starry, in einem Artikel mit dem Titel „Extending the Battlefield" (in: Military Review, Vol. LXI, No. 3 (March 1981), S. 31— 50) veröffentlicht. Das TRADOC-Pamphlet hat die Diskussion über die ArLand-Battle-Doktrin maßgeblich beeinflußt. Deshalb wird es im folgenden auch herangezogen, obwohl das FM 100-5, die offizielle Interpretation der Doktrin als Heeresdienstvorschrift, nicht mit ihm identisch ist.

  6. Das AirLand-Battle-2000-Konzept existiert in verschiedenen Versionen. Eine „ 1982 Version" mit ausführlichen Anlagen ist vom Headquarters TRA-DOC am 10. August 1982 in Umlauf gesetzt worden. Um die auch in den USA eingetretene Verwirrung auszuräumen, wird dieses Konzept inzwischen unter der Bezeichnung „Army 21“ bearbeitet

  7. Vgl. u. a.: „Heeresinspekteur stimmt eigenmächtig umstrittenem US-Strategiekonzept zu", in: Süddeutsche Zeitung vom 13. 8. 1983; K H. Harenberg, Die Strategen in der Sackgasse, in: Allgemeines Deutsches Sonntagsblatt vom 28. 8. 1982; R. Nikutta, Der Angriffskrieg wird vorbereitet Die neue US-Kriegführungsstrategie „AirLand-Battle", in: Tageszeitung vom 27. 9. 1983.

  8. As Kommentare aus dem „traditionellen", d. h. DKP-nahen „Spektrum" siehe zum Beispiel die einschlägigen Artikel in den Blättern für deutsche und internationale Politik sowie die in ihrer Argumentation repräsentative Arbeit von W. Schwarz, Air-Land-Battle - die neue Heeres-Doktrin der USA und ihre Umsetzung innerhalb der NATO, in: IPW Berichte, (1983) 9, S. 10- 16, 59. Eine detaillierte Darstellung der . Autonomen“ zum AirLand-Battle-Thema und seiner von ihnen geplanten innenpolitischen Verwertung findet sich in der von den GRÜNEN im Bundestag in Auftrag gegebenen und herausgegebenen Studie . Angriff als Verteidigung“, 0. 0., oj. (1984), 162 S., deren erstes Vorwort von der »Koordinationsstelle ziviler Ungehorsam für die Bundeskonferenz unabhängiger Friedensgruppen“ unterzeichnet ist. Der analytische Teil dieser Studie unterscheidet sich hinsichtlich seiner sachlichen Irrtümer und Fehlinterpretationen kaum von der anderswo publizierten Kritik anderer Autoren. Bemerkenswert ist aber die Darstellung der instrumentellen Rolle, die dem neuen Thema für die Vermittlung eines „Lernprozesses" zugedacht ist, der die Friedensbewegung „zu einer politisch bewußten, umfassend antimilitärischen Bewegung werden“ lassen kann (S. 3): „Ziel der Friedensbewegung muß im Interesse des Friedens ein Bruch mit den

  9. Vgl. außer den genannten Zeitungsartikeln P. Glotz, Die Tiefe des Hinterlandes, in: Rheinischer Merkur vom 19. 8. 1983; E. Lübkemeier, AirLand-Battle und Rogers Plan, in: Die Neue Gesellschaft, (1984) 4, S. 340— 345.

  10. Vgl. z. B. Harenberg, Nikutta, Lübkemeier, die Studie der GRÜNEN.

  11. FM 100-5, S. 2f.

  12. Field Manual No. 100-1, The Army, Headquarters Department of the Army, Washington, D. C., 14. August 1981.

  13. Es ist so, als würde man die dem FM 100-5 entsprechende gültige Heeresdienstvorschrift der Bundeswehr HDv 100/100, Führung im Gefecht, oder die NATO-gemeinsame Vorschrift ATP-35, Land Force Tactical Doctrine, als Richtlinien zur Sicherheitspolitik und Militärstrategie der westlichen Allianz lesen. Hätten die Kritiker diese beiden Vorschriften gekannt und — was selbstverständlich sein sollte — zum Vergleich herangezogen, wäre es wahrscheinlich zu den meisten peinlichen Fehlurteilen nicht gekommen.

  14. Das Dictionary of Military and Associated Terms des US Department of Defense (Washington, D. C„ September 1974) definiert „doctrine" als: „Fundamental principles by which the military forces or elements thereof guide their actions in support of national objektives. It is authoritative but requires judgment in application." (S. 112)

  15. So läßt beispielsweise die NATO-Strategie für Mitteleuropa eine anderswo mögliche bewegliche Verteidigung in der Tiefe nicht zu, weil sie den politischen Auftrag zur militärisch besonders schwierigen Vorneverteidigung enthält.

  16. Das FM 100-1, The Army, also die erklärte strategische Richtlinie für die AirLand-Battle-Vor-schrift, gibt eine Beschreibung der amerikanischen Nuklearstrategie, die derjenigen der NATO entspricht. Als Hauptziel für den Einsatz atomarer Waffen wird dort die Beendigung des Krieges auf möglichst niedriger Konfliktebene zu Bedingungen genannt, die für die USA und ihre Verbündeten annehmbar sind (a. a. O., S. 21).

  17. B. W. Rogers, Greater Flexibility For NATO's Flexible Response, in: Strategie Review, Vol. XI (Spring 1983), S. 11— 19. Der Bundesminister der Verteidigung, Informations-und Pressestab (Hrsg.), Material für die Presse XI/23, Bonn, 24. 8. 1983: Zur Diskussion über das Field Manual 100-5 des US-Heeres (AirLand Battle) und das Konzept AirLand Battle 2000.

  18. So z. B. E. Lübkemeier (Anm. 11), S. 342 f.

  19. Vgl. hierzu die Formulierungen der ATP 35 der NATO (Anm. 15), S. 501 ff.

  20. Vgl. Anm. 7.

  21. Siehe zur Erläuterung dieser Vorstellungen: AirLand Battle 2000 (1982er Version), Kapitel III, 2b: J. S. Doerfei, The Operational Art of the Air-Land Battle, in: Military Review, Vol. LXII, No. 5 (May 1982), S. 3— 10 (9f.).

  22. Unter dem Titel „The Operational Level of War“ in einer Broschüre des TRADOC, o. J. (wahrscheinlich 1982), S. 2f.

  23. J. S. Doerfei (Anm. 24), S. 10.

  24. Vgl.den Text der von General Glanz mitgezeichneten Version, in: Militärpolitik Dokumentation, S. 80f„ sowie das Vorwort auf S. 74, in dem die Grundsätze der NATO-Strategie rekapituliert werden. 28) Siehe hierzu K. -P. Stratmann, NATO-Strategie in der Krise? Militärische Optionen von NATO und Warschauer Pakt in Mitteleuropa, Baden-Baden 1981, S. 13— 20.

Weitere Inhalte

K. -Peter Stratmann, Dr. phil., geb. 1943 in Hamburg; Studium der Politischen Wissenschaften, Soziologie und Neueren Geschichte in Hamburg und München; seit 1967 Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in deren Forschungsinstitut für Internationale Politik und Sicherheit in Ebenhausen. Veröffentlichungen u. a.: NATO-Strategie in der Krise? Militärische Optionen der NATO und des Warschauer Pakts in Mitteleuropa, Baden-Baden 1981, sowie zahlreiche Studien zu Themen der Rüstungskontrolle und Militärstrategie.