Trotz einer Reihe außenpolitischer Erfolge (Camp David Akkord, Panama Kanal Vertrag, SALT II) verließ 1981 ein Mann das Weiße Haus mit dem Stigma, einer der schwächsten, unentschlossensten, kurz: schlechtesten Präsidenten in der Geschichte Amerikas gewesen zu sein. Reagan hingegen genießt nach vierjähriger Amtszeit trotz fehlender durch-schlagender außenpolitischer Erfolge den Ruf eines populären amerikanischen Staatsmannes. Der öffentlichen Meinung zufolge hat er fertiggebracht, wonach sich die Amerikaner seit langem gesehnt haben: das Ende der Erosion der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Stärke des Landes.
I. Hintergrund der Sicherheits-und Außenpolitik Reagans
Reagan wollte nach der Unbeständigkeit der Carterschen Außen-und Sicherheitspolitik wieder Berechenbarkeit und Stetigkeit einführen. Er sah wichtige Gründe für ein geschwächtes Amerika in der vernachlässigten Sicherheitspolitik und falschen Wirtschaftsphilosophie der Programme der Carter-Regierung. Sein Rezept für die Wiedererstarkung des Landes: Nachrüstung und Reaganomics.
Damit folgte er einer zunehmend konservativen Grundstimmung in der amerikanischen Bevölkerung, die sich im Verlauf der siebziger Jahre entwickelt hatte und auch schon unter Carter in Washington eingezogen war. Zum einen ist es ein wirtschaftlich-sozialer Konservatismus, der seine Wurzeln hat in dem Ausbau des amerikanischen Wohlfahrtsstaates während der sechziger Jahre, in der darauffolgenden Desintegration der politischen «New Deal" -Koalition, der fortschreitenden, durch Vietnam und Ölpreisexplosionen angeheizten Inflation, dem wirtschaftlichen und demographischen Aufstieg des amerikanischen Südens und Westens, und in der Wiedergeburt des religiösen Fundamentalismus.
Zum anderen handelt es sich um einen außenpolitischen Konservatismus, der schon mit dem Zerfall der „Nixon-Doktrin“ in den letzten Jahren der Carter-Regierung deutlich wurde.
Ursprünglich hatte Carter sich gegen eine Erhöhung der Militärausgaben und für eine Reduzierung der Überseetruppen ausgesprochen. In seiner Politik gegenüber Moskau hoffte er durch die Fortführung von Rüstungskontrollverhandlungen, aber auch durch Forderungen nach Menschenrechtsreformen das Verhalten des Rivalen zu mäßigen. Schon 1976 geriet er damit aber bei konservativen Kräften im Kongreß, die auf sowjetische Aufrüstungsbemühungen und Abenteuerlust — Angola, Äthiopien, Yemen — hinwiesen, in den Ruf eines Schwächlings. Zwei Jahre später zeigten sich Kongreß und öffentliche Meinung alarmiert über die sowjetische Waffenmodernisierung, ihren zunehmenden Einfluß in Afrika und die wachsende Instabilität im Mittleren Osten, insbesondere nach dem Sturz des iranischen Schahs. Hin-und hergerissen zwischen den unterschiedlichen Meinungen eines gemäßigten Außenministers Vance und eines resoluten Sicherheitsberaters Brzezinski bedurfte es aber erst des sowjetischen Überfalls auf Afghanistan, bevor die Carter-Regierung einen härteren Kurs einschlug: Sanktionen, erhöhter Verteidigungshaushalt, Bildung einer Eingreiftruppe (Rapid Deployment Force), die „CarterDoktrin", die ein weiteres sowjetisches Vordringen vor allem in den Golfregionen unterbinden sollte, und schließlich die Stillegung des ohnehin schon kontroversen (und von Reagan als „fatally flawed“ attakierten) SALT-II-Vertrages.
So scheiterte Carters Politik der „Cooperation and Competition" Moskau gegenüber hauptsächlich an einer wachsenden konservativen, anti-sowjetischen und durch das revolutionäre Iran verunsicherten inneramerikanischen Stimmung einerseits und dem sowjetischen Vorgehen in Afghanistan und Polen andererseits. Mit ihrem großen Mißtrauen sowjetischen weltpolitischen Intentionen gegenüber hat die Reagan-Regierung diese Kursänderung fortgeführt und vertieft, wobei man hinzufügen sollte, daß der zunächst sichtbarste Unterschied im Vergleich zur früheren Politik in der Schärfe der Rhetorik lag.
II. Neue Konturen der Sicherheits-und Außenpolitik
Formulierung und Implementierung der Reaganschert sicherheits-und außenpolitischen Programme haben einen langsamen Start gehabt. Zum einen standen sie lange im Schatten wirtschaftspolitischer Prioritäten. Zum anderen behinderten interne Streitereien (das Dreieck Meese, Haig und Weinberger) die Ausarbeitung eines kohärenten, die Wähler, den Kongreß und die Verbündeten überzeugenden Konzepts.
Reagan hat von Anfang an kein Hehl daraus gemacht, daß er die Sowjetunion als größten Feind der Amerikaner betrachtet, und es galt, die Sicherheits-und Außenpolitik auf . eine wirksamere Eindämmung sowjetischer Einflußnahmen in der Welt auszurichten. Angefangen mit Ford und fortgeführt von seinem Nachfolger im Weißen Haus, hat in den USA nun wieder die Strategie des „Containment" den Vorrang als Basis amerikanisch-sowjetischer Beziehungen. Und wie in der Ära des „Kalten Krieges" ist unter Reagan die sowjetische Bedrohung wieder zur Hauptantriebskraft politischer Initiativen geworden. Die Befürworter militärischer Stärke sind in den Vordergrund gerückt. Washingtons atlantische Verbündete wurden unter erhöhten Druck gesetzt, auch ihre Ostblockbeziehungen, vor allem auf außenwirtschaftlicher Ebene, den neuen amerikanischen Maßstäben anzupassen. Reagans Feststellung, die sowjetische Rüstung sei die „größte Aufrüstung der Geschichte der Menschheit“ folgte die größte amerikanische Rüstungsanstrengung zur Friedenszeiten. Denn nach Reagan müssen die USA stark sein, damit keine andere Nation es wagt, den Frieden zu brechen. Wie der ehemalige Chef der amerikanischen START-Delegation, General Edward L Rowny betonte: . Appeasement, nicht Wettrüsten führt zum Krieg".
Daß die traditionelle Rüstungskontroll-Diplomatie in Washington in Verruf geraten ist, zeigte sich in der kühlen Haltung gegenüber sowjetischen und europäischen Forderungen nach einer Wiederaufnahme von Verhandlungen. Das Verhalten Moskaus stärkte die konservativen Kräfte im Senat und führte dazu, daß 1979/80 das SALT-II-Abkommen auf Eis gelegt wurde. Die Reagan-Administration setzte sich daraufhin erst wieder an den Genfer Großmächteverhandlungstisch, nachdem eine europäische antinukleare Bewegung bedeutend an politischer Stärke gewonnen hatte und ähnliche Stimmen auch in den USA lauter wurden. Heute glaubt keiner mehr an einen schnellen Erfolg auf diesem Gebiet und der amerikanisch-sowjetische Rüstungswettlauf geht weiter.
Nicht nur auf bilateraler Ebene, sondern auch global prägen Ost-West-Auseinandersetzungen das amerikanische Weltbild. Daraus ergibt sich die Neigung Reagans, in jedem lokalen oder regionalen Konfliktherd der Dritten Welt als auch im internationalen Terrorismus die Hand Moskaus zu sehen, was folglich zu einer weiteren Interpretation „vitaler“ amerikanischer Interessen und einer größeren Bereitschaft zu militärischen Interventionen führte. Probleme der Menschenrechtsverletzungen, des sozialen Umbruchs und der wirtschaftlichen Schwäche haben bisher nur einen sekundären Platz in der Reaganschen Außenpolitik eingenommen. Carter hatte bis zu den Vorfällen im Iran vor Maßnahmen gegen militärische Aktionen anderer Länder zurückgescheut, was den Eindruck eines fortschreitenden Rückgangs der weltpolitischen Rolle der USA — insbesondere bei den Amerikanern selbst — vertieft hatte. Sein Nachfolger gibt sich solchen Optionen gegenüber viel aufgeschlossener und Kritiker sehen gerade darin die Erklärung für das Ausbleiben von großen außenpolitischen Erfolgen, sei es in Zentralamerika oder im Nahen Osten. Verstärkte Militärhilfe für amerikafreundliche Regime der Dritten Welt sind zu wichtigen Elementen der globalen Sicherheitsplanung geworden. Die Unterbetonung und die manchmal ungewandte Handhabung politischer Lösungen hat der Regierung den Vorwurf eingebracht, sie glaube, Verteidigungspolitik sei ein ausreichender Ersatz für Außenpolitik. Zwar scheint die Zeit der Selbst-zweifel der Amerikarier heute vorbei, aber die Reagansche Annahme, das „Vietnam-Syndrom“, die Angst vor einem größeren militärischen Engagement der USA sei überwunden, hat sich als voreilig erwiesen. Es hat sich innerhalb der letzten Jahre immer wieder gezeigt, daß Kongreß und Bevölkerung zwar die resoluten Gebärden der Regierung tolerierten oder unterstützten, nicht aber die praktischen Implikationen. Die Merkmale und die Entfaltung der amerikanischen Außenpolitik während der vergangenen vier Jahre lassen sich am Beispiel der folgenden drei Weltregionen illustrieren.
III, Interventionspolitik in Zentralamerika
Unter Reagan hat die zentralamerikanische Region innerhalb der Außenpolitik an Bedeutung gewonnen. Carter hatte seinen Vorgängern „übermäßige Angst vor dem Kommunismus" vorgeworfen und sich ihm wichtiger erscheinenden Problemen zugewandt: Menschenrechtsverletzungen, Wirtschaftsproblemen der Dritten Welt, Förderung demokratischer Kräfte im Hinterhof Amerikas. Mit einer großangelegten Propaganda-Kampagne gegen eine sowietisch-kubanische Einnahme der Region drehte Reagan und sein Berater-team (Haig und danach vor allem die UN-Botschafterin Kirkpatrick) das Ruder herum. Zwar hatte schon Carter eine unfreundliche Haltung gegenüber Nicaragua und Grenada eingenommen und Duartes Christdemokraten in El Salvador Unterstützung gewährt. Aber Reagan machte idealistisch-naive Reformprogramme der Demokraten dafür verantwortlich; Nicaragua (wie auch den Iran)
und damit amerikanischen Einfluß in der Region verloren zu haben.
In den Waffenlieferungen an die salvadorisehen Rebellen sah Reagan Beweise für eine sowjetisch-kubanisch gestützte Unruhestifterei Nicaraguas und kündete dieser Verschwörung den Kampf an. Die Wirtschaftshilfe für Nicaragua blieb gestrichen, anti-sandinistisehe Widerstandskämpfer wurden durch den CIA unterstützt, die Militär-und Wirtschaftshilfe an El Salvador wurde verstärkt und mehr Militärberater dorthin geschickt. Verdeckte CIA-Aktionen für amerikafreundliche Zwecke — in Nicaragua, Afghanistan, Kambodscha und dem Horn von Afrika — sind wieder dabei, ein Routineinstrument amerikanischer Außenpolitik zu werden. Der CIA-Etat stieg in den letzten drei Jahren um jährlich durchschnittlich 25%. Im Gegensatz dazu haben die Friedenspläne der Contadora-Staaten wenig Unterstützung von den Amerikanern erfahren.
Nach einer neuen Version der „Domino-Theorie“, derzufolge der Verlust El Salvadors den Fall von seinen Nachbarstaaten bis hin zu Mexiko nach sich ziehen würde, sollte El Salvador eigentlich der „Schulbuch-Fall" für die neue amerikanische Entschlossenheit werden, mit unerwünschten Revolutionären fertig zu werden. Die Regierung hat nach den fahlen in El Salvador Duarte dazu bewegen können, Friedensinitiativen zur Aussöhnung innerhalb des Landes zu ergreifen. Der Höhe-punkt der amerikanischen Intervention in der Region war aber die im Oktober 1983 erfolgreiche, und von den Amerikanern begrüßte Befrejung Grenadas aus dem sowjetisch-kubanischen Einflußbereich, mit der Reagan demonstrieren wollte, daß die USA nach jahrelanger Paralyse wieder imstande seien, ihren politischen Willen auch mit Hilfe militärischer Mittel durchzusetzen.
Die Zweckmäßigkeit einer sich auf militärische Stärke stützenden Diplomatie ist aber von Seiten der amerikanischen Öffentlichkeit, dem Kongress und den europäischen und lateinamerikanischen Verbündeten immer stärker in Zweifel gezogen worden. Zu Hause nährte die zentralamerikanische Politik der Administration Debatten über ein „zweites Vietnam" und der Kongreß hat, angefangen bei der Auferlegung von menschenrechtlichund reform-orientierten präsidentiellen Auflagen bei der Gewährung von Militärhilfe und strikten Begrenzungen der Militärberater in El Salvador bis hin zum ausdrücklichen Verbot jeglicher offizieller Unterstützung der nicaraguanischen Rebellen, die Handlungsfähigkeit des Weißen Hauses eingeschränkt.
Dies hat nicht immer den gewünschten Erfolg gebracht, wie die heimliche CIA-Beteiligung an der Verminung nicaraguanischer Häfen illustrierte, aber genausowenig gelang es Reagan mit seiner überparteilichen Kissinger-Kommission, die Zweifel über seinen Kurs aus dem Weg zu räumen. Vier Jahre Interventionspolitik haben auch unter seiner Regierung in Zentralamerika den Frieden nicht sicherer gemacht, geschweige denn in Kuba, dem Reagan anfangs die militärische Neutralisierung angedroht hatte, einen Wandel eingeleitet. Während Reagan Grenada im Wahljahr als einen der außenpolitischen Erfolge seiner Administration präsentiert, nehmen Länder wie Panama, Honduras und El Salvador eine zunehmend ablehnende Haltung gegenüber amerikanischer Militärhilfe ein und fordern indessen mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die einst gefeierte „Carribean Basin Initiative" zur Förderung von Handel, Privatinvestitionen und anderer bilateraler Hilfe hat sich nach zweijähriger Verzögerung und zahlreichen Zusatzbestimmungen durch den Kongreß als ein Paket von Trostpflastern entpuppt, und so ist auch wirtschaftlich die Region kaum stabiler als vor vier Jahren.
IV. Nahostpolitische Initiativen und der Golfkrieg
Im Nahen und Mittleren Osten ist es während der letzten Jahre ebenfalls nicht stiller geworden. Die Eskalation im Golfkrieg, Israels Annexion der Golanhöhen und sein Feldzug im Libanon stellten die amerikanische Außenpolitik auf eine harte Probe.
Eine der Prioritäten der Reagan Administration war es zunächst, einen «Strategischen Konsens“ unter den gemäßigten arabischen Staaten und Israel herzustellen, um der von ihr betonten Gefährdung der ölreichen Golf-region durch eine Expansion und Destabilisierung von Seiten Moskaus und terroristischer Staaten vorzubeugen. Pakistan, welches die afghanischen Widerstandskämpfer unterstützt, ist mit großzügiger amerikanischer Wirtschafts-und Militärhilfe zu einem Eckstein in der Reaganschen Containment-Strategie geworden. Afghanistan ist der größte Schauplatz verdeckter CIA-Operationen (gefolgt von Nicaragua). Anders als in Zentral-amerika haben diese Aktionen die volle Zustimmung des Kongresses. Eine Beendigung der sowjetischen Besetzung konnte jedoch weder dadurch noch durch diplomatische UN-Bemühungen erreicht werden, und Washington hegt keine Illusionen über eine baldige Änderung.
Fortschreitende Eskalationen im iranisch-irakischen Krieg, in dem beide Großmächte eher dem Irak zuneigen, haben die Besorgnis über eine zunehmende Destabilisierung der Golf-region wachsen lassen. Die „Carter-Doktrin“, derzufolge die USA für den Schutz der Erdöl-region zu sorgen verspricht, als auch der Aufbau einer schnellen Einsatztruppe bleiben weiterhin der Mittelpunkt der amerikanischen Verteidigungsstrategie in diesem Raum. In einer gewissen Wiederanlehnung an die „Nixon-Doktrin“ hat die Reagan-Regierung aber auch versucht, die Rolle der USA in dem Konflikt darauf zu beschränken, die Anrainerstaaten mit modernen Waffen und Technologien auszurüsten, damit Saudi-Arabien und andere Staaten den Golf zunächst eigenständig freihalten und eine Ausweitung des Krieges verhindern können. Die Tanker-angriffe und die anonyme Minenlegung im Jahre 1984 zeigen jedoch, wie undurchsichtig und unüberschaubar diese Region nach wie vor ist Sie zeigen auch, daß die Golfstaaten zwar weiterhin wenig offizielle Begeisterung für eine verstärkte amerikanische Präsenz in der Region hegen, aber in Krisenzeiten doch auf die Unterstützung durch die USA zählen.
Die anfängliche Prioritätensetzung Washing. tons führte außer zu größeren Waffenlieferungsgeschäften zu einer Vernachlässigung des arabisch-israelischen Problems. Der Camp-David-Prozeß wurde 1981 kaum vorangetrieben und die langsame Reaktion der Amerikaner auf die israelische Libanon-Invasion unterstrich, wie begrenzt die Möglichkeiten der USA waren, ihren engsten Alliierten in der Region zu beeinflussen. Erst nach der Ablösung von Außenminister Haig durch George Shultz rückte der Nahostkonflikt 1982 wieder in den Vordergrund, und Shultz wurde die treibende Kraft hinter dem Reaganschen Friedensplan. Doch ein Jahr später waren so-sowohl der Reaganplan als auch die Bemühungen um einen Abzug der ausländischen Truppen aus dem Libanon gescheitert. Damit wurde der Libanon zum Hauptfeld der Nahostpolitik. Amerikanische Bemühungen verstärkten sich, die schwache Gemayel-Regierung militärisch und politisch zu stützen. War Carter die Geisel des Irans geworden, so drohte die Regierung seines Nachfolgers die Geisel libanesischer Krisen zu werden. Washington konnte den Bürgerkrieg nicht unter Kontrolle bringen, und dies schuf nach der Entsendung von US-Marineinfanteristen immer größere Schwierigkeiten zu Hause. Die ursprüngliche Aufgabe der Marineinfanteristen war es, als Teil einer internationalen Friedenstruppe den Abzug der PLO zu überwachen. Nachdem sie — bedingt durch die Ermordung von Bashir Gemayel, die Massaker an palästinensischen Zivilisten in West-Beirut und den Terroranschlag 1983 auf die amerikanische Botschaft — viel länger im Land festgehalten wurde als geplant, wuchs die Unruhe im Kongreß. Als dann auch noch eine dreiwöchige diplomatische Initiative von Außenminister Shultz weder Israel noch Syrien zum Abzug ihrer Truppen bewegen konnte und im Oktober 1983 ein erneuter Terroranschlag auf das Quartier der Marines über zweihundert Todesopfer forderte, sank das amerikanische Vertrauen in die Reaganshe Libanonpolitik praktisch auf Null.
Die Versicherung Reagans, daß die „boys“ nicht in direkte Kämpfe verwickelt würden und es „vitale“ US-Interessen zu verteidigen gälte, konnte den Eindruck nicht verdrängen, daß die Selbstverteidigung zum einzigen Zweck der militärischen Präsenz geworden war. Hinzu kam, daß die Long-Kommission in ihrer Untersuchung der Umstände des Terro-B r. stenanschlags Reagan unter anderem vorwarf, militärische Präferenzen auf Kosten politischer Alternativen zu verfolgen. Außerstande, mit militärischen und diplomatischen Mitteln eine Lösung für einen Konflikt herbeizuführen, dessen Komplexität von einer antisowjetisch ausgerichteten Regierung nur unzulänglich begriffen wurde, rief Reagan die Marines Anfang 1984 wieder nach Hause.
Als äußerst schwierig haben sich auch die Reaganschen Vorstellungen erwiesen, die Beziehungen zu gemäßigten arabischen Staaten und zu Israel unter einen Hut zu bringen und damit die Ost-West-Balance in der Region zugunsten der USA zu beeinflussen. Die in Angriff genommene militärische Rückenstärkung Saudi-Arabiens führte zu einem langwierigen Tauziehen mit dem Kongreß über die von Saudi-Arabien gewünschten Lieferungen von AWACS und Stinger-Raketen und verärgerte zudem Israel. Die beabsichtigte Lieferung hochentwickelter Waffen auch an Jordanien ist inzwischen wiederholt aufgeschoben worden. Auf der anderen Seite mißfiel den Arabern die engere amerikanisch-israelische geheimdienstliche und militär-technologische Zusammenarbeit des letzten Jahres. Darüber hinaus hat ein durch sowjetische Militäraufrüstung erstarktes Syrien eine wachsende Entschlossenheit und Kapazität erlangt, seine militärische und politische Rolle im Libanon auszubauen, und auch Moskau ist mit seinem Waffenhandel, der Wiederanbahnung diplomatischer Beziehungen zu Ägypten und einem neuen Freundschaftsvertrag mit dem Nordjemen im Nahen und Mittleren Osten wieder aktiver geworden.
Im Jahre 1984 ist die Reagan-Regierung nun wieder auf der Suche nach einer politischen Nahostlösung die, wie es scheint, mit einem pragmatischen Neuansatz ihrer Vermittlerrolle verknüpft ist Syrien wurde kürzlich als „hilfreicher Akteur“ bezeichnet und eine größere Toleranz gegenüber einer sowjetischen Beteiligung in der Nahostdiplomatie ist auch nicht mehr ausgeschlossen.
V. Politische Neuorientierung in Südostasien
Begleitet von einem schwindenden Einfluß der eurozentrierten Elite der amerikanischen Ostküste begann mit der Amtszeit Reagans das sogenannte „Pazifische Jahrhundert“. Der Handel mit der asiatisch-pazifischen Region überflügelt die Geschäfte mit Europa inzwischen bei weitem. Die stärkere sicherheitspolitische Orientierung, welche die Regierung dieser außenwirtschaftlichen Ausrichtung anzuschließen gedachte, hat bisher allerdings weniger eingebracht.
Während die Reagansche Weltanschauung, durch die sowjetische Brille gesehen, das Markenzeichen ideologischer Beständigkeit trägt, ist die China-Politik auf holprige Pfade geraten. Anstatt die „chinesische Karte“ seines Vorgängers vorsichtig auszuspielen, der-zufolge die Normalisierung amerikanisch-chinesischer Beziehungen den Druck auf Moskau erhöhen sollte, was man gerade von Reagan hätte erwarten können, verspielte er sie beinahe in einem „zwei China“ Poker vis-ä-vis Peking durch Waffengeschäfte mit Taiwan. Eine amerikanische Lockerung der Waffenlieferungsrestriktionen für China und Reagans spätere Versicherung größerer Zurückhaltung in der rüstungspolitischen Zusammenarbeit mit Taiwan konnte die sichtbare Verstimmung von Peking nicht ganz ausräumen. Hinzugekommen sind Handelsdifferenzen. Außerdem nähren Spekulationen über eine heimliche sino-pakistanische Zusammenarbeit in der Entwicklung von Nuklearwaffen das Mißtrauen des Kongresses über die anläßlich des diesjährigen Staatsbesuchs in Peking vereinbarte amerikanisch-chinesische Kooperation im Bereich ziviler Atomenergie. Waren es früher die USA, die es vermieden hatten, den Eindruck einer chinesisch-amerikanischen Allianz gegenüber Moskau zu erwekken, so sind es jetzt die Chinesen.
Außerhalb des amerikanisch-chinesischen Dialogs hatte die Carter-Administration der sowjetischen Präsenz in Asien relativ wenig Beachtung geschenkt. Das Amerika von Reagan hat wieder eine neue Bereitschaft gezeigt, seine militärische Position im Pazifik auszubauen, Verbündete, vor allem Japan, zu einer stärkeren Selbstanstrengung in Sachen Verteidigung zu bewegen und eine anti-sowjetische Allianz zu koordinieren. Die Folge ist eine emsige Reisetätigkeit gewesen — unter anderem die Besuche von Reagan in Japan und Südkorea im Jahre 1983 und in China in diesem Jahr. Washington strebt eine engere Zusammenarbeit mit den ASEAN-Staaten gegen die Bedrohung durch Moskau und seinen Verbündeten Vietnam an, aber Meinungsunterschiede über die Lösung des vietnamesisch-kambodschanischen Problems haben bisher eine Annäherung kompliziert. Japan, das von Reagan hartnäckig an seine „globale Verantwortung" und an das „bürden sharing" erinnert wird, ist inzwischen dabei, seinen minimalen Verteidigungsetat aufzustocken.
Um der wachsenden sowjetischen Kriegsmarine im Pazifik — heute die stärkste innerhalb der sowjetischen Flotte — entgegenzuwirken, haben die USA begonnen, sich mit teuren Plänen für einen langfristigen Ausbau ihrer Navy-Präsenz zu beschäftigen. Mit der beabsichtigten Erweiterung ihrer Stützpunkte in der Region hat die Regierung allerdings wenig Glück gehabt und ihre Sicherheitsplanung muß sich mit der zunehmenden Abneidung pazifischer Verbündeter gegenüber Nuklearwaffen auseinandersetzen. So hat die neue Labour-Regierung Neuseelands ein Hafenverbot für amerikanische Kriegsschiffe angekündigt, und Washington droht mit der Kündigung des ANZUS-Verteidigungspaktes. Auf den Philippinen sind nach der Ermordung von Oppositionsführer Aquino die Gegner der dortigen US-Stützpunkte lauter geworden. Das Marcos-Regime konfrontiert die USA mit dem Problem einer geschwächten autoritären Regierung, das die Erinnerung an das Schicksal des Iran wachhält.
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Die Reagan-Administration hat sich während ihrer Amtszeit beständig für die Eindämmung der sowjetischen Expansion, eine Ausweitung der amerikanischen Militärmacht und damit verbundene Neuorientierungen von außenpolitischen Strategien und Beziehungen eingesetzt. Zentralamerika, der Nahe und Mittlere Osten sowie Südostasien demonstrieren einige der diese Politik auszeichnenden Fortschritte und Grenzen. Die ausgeprägte, global-ausgerichtete militärpolitische Strategie hat, wie es scheint, dazu beigetragen, daß Moskau sich seit 1980 vorsichtiger auf der Weltbühne bewegt und Zurückhaltung in seiner Interventionspolitik zeigt. Darüber hinaus muß sich die Regierung aber mit der Beschränktheit ihrer Erfolge auf vielen anderen außenpolitischen Gebieten auseinandersetzen. So lassen sich nationale Instabilitäten und Regionalkonflikte weder in ein einfaches Ost-West-Schema einordnen noch durch militärische Hilfestellungen kontrollieren oder gar aus dem Wege räumen. Und auch die auswärtigen Beziehungen Amerikas lassen sich durch eine Diplomatie der Stärke nur bedingt und zumeist nur auf Kosten inneramerikanischer wie auch neuer außenpolitischer Spannungen, ausbauen und festigen.