Amerikanische Politik ist stets von der Rivalität zwischen Kapitol und Weißem Haus geprägt worden, wobei allgemeine Strukturgesetzlichkeiten der Präsidialdemokratie mit spezifischen Intentionen der Gründerväter zusammengewirkt haben. Vor allem hat sich im Gefolge der „Imperial Presidency” Johnson-/Nixonscher Prägung die „antagonistische Partnerschaft“ zwischen Exekutive und Legislative so zugespitzt, daß anhaltende Blockierungen der außen-und innenpolitischen Entscheidungsprozesse die Folge waren. Der seit Nixons Sturz revitalisierte Wille parlamentarischer Machtbehauptung traf vor allem die Carter-Administration mit voller Wucht überdies, versetzten partielle Strukturreformen den Kongreß in jenen Zustand „milder Anarchie", der kontinuierliche Kooperation zwischen den Gewalten und sachgerechtes parlamentarisches Agieren fürs erste massiv erschwerte. Um so erstaunlicher muteten Anfangserfolge des Republikaners Ronald Reagan im Umgang mit der Legislative an. Geschickte Liaison-Praktiken, ein hochentwickeltes Gespür für angemessenes „timing" von Initiativen und nüchterne Einsichten in Reichweite und Grenzen parlamentarischer Informationsverarbeitungs-bzw. Entscheidungskapazitäten ermöglichten im Verein mit wirksamer Fraktionsregie des republikanischen Mehrheitsführers im Senat, Howard Baker, wie des republikanischen Minderheitsführers im Repräsentantenhaus, Robert Michel, und starken konservativen Tendenzen bei den Demokraten des 97. Kongresses die Durchsetzung der besonders akzentuierten Teile Reaganscher Politik im Haushalts-, Steuer-und Verteidigungswesen. Freilich hat sich die „honeymoon-" Phase in dem Maße abgeschwächt, wie die „mid-terms“ von 1982 näherrückten und ihr Ausgang die „konservative Koalition" zwischen Republikanern und Südstaaten-Demokraten im Repräsentantenhaus sprengte. Die Handlungsfähigkeit des 98. Kongresses konnte nur noch durch weitgehende Distanzierung vom Weißen Haus, durch die Betonung legislativer Autonomie im gewaltenteiligen System der „checks and balances" gesichert werden. Wo parteipolitische Aspekte (vor allem im Wahljahr 1984) das Prinzip der „bipartisanship" überlagerten, erstickten parlamentarische Aktivitäten in wechselseitiger Blockierung der beiden Kammern.
Vielfältige Beobachtungen in der politischen lassen den Schluß zu, daß der Versuch, Einblicke in das komplexe Räderwerk der amerikanischen Herrschaftsmaschinerie zu gewinnen, weiterhin Schwierigkeiten bereitet. Vor allem führen die „checks and balances" -Mechanismen im Beziehungsgefüge von Exekutive und Legislative zu Verständnisschwierigkeiten und bewirken mancherlei Mißdeutungen der westlichen Vormacht — ein Sachverhalt, den gerade auch die diffusen Interpretationen der demnächst auslaufenden Amtsperiode Ronald Reagans in der deutschen Öffentlichkeit und anderswo belegen.
Wer mit den Handlungsmustern parlamentarischer Regierungsweise vertraut ist, steht oft konsterniert vor Interaktionsrealitäten zwiBildungsarbeit sehen Weißem Haus und Kapitol, sucht ange. strengt nach erkennbaren Gesetzlichkeiten im Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß der „antagonistischen Partner“ und zweifelt zu guter Letzt an Effizienz, Stringenz und Konsequenz amerikanischer Politik. Das ist Anlaß genug, so will es scheinen, einmal mehr auf Spezifika des transatlantischen Herrschaftsprozesses zu verweisen und in rückblickender wie aktueller Perspektive das Verhältnis von Regierung und Parlament in den USA zu untersuchen, wobei sich auch einige vorläufige Hinweise auf Erfolge und Mißerfolge der Reagan-Administration ergeben mögen.
I. Präsidentschaft und Kongreß als „antagonistische Partner" im Herrschaftssystem der USA
Amerikanische Politik ist stets von der Rivalität zwischen Kapitol und Weißem Haus geprägt worden, wobei allgemeine Strukturgesetzlichkeiten der Präsidialdemokratie mit spezifischen Intentionen der Gründerväter zusammengewirkt haben.
Wo immer das klassische Gewaltenteilungsprinzip Montesquieuscher Prägung die Interaktionen der Herrschaftsträger bestimmte, stellten sich mancherlei Antagonismen und Blockierungen im institutionellen Willensbildungs-und Entscheidungsprozeß ein, auch in europäischen Staaten des 19. Jahrhunderts, die den gordischen Knoten entweder durch die aus dem Budgetrecht resultierende Präponderanz der Legislativen oder nach dem Muster des Bismarckschen Staatsstreiches im preußischen Verfassungskonflikt der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts lösten. Vor allem jedoch schlugen sich Montesquieus Regierungsprinzipien im Herrschaftssystem der Vereinigten Staaten nieder und gestalteten das Verhältnis zwischen Präsidentschaft und Kongreß im Sinne strikter Organautonomie und prinzipieller Inkompatibilität — ganz im Gegensatz zu jener funktionellen Integration und personellen Verzahnung in der parlamentarischen Regierungsweise, wie sie sich im Laufe der Geschichte in Großbritannien und einzelnen westeuropäischen Staaten herB auskristallisierte So wie die Regierung der USA unabhängig von parlamentarischen Mehrheiten fortbesteht, fehlt dem Präsidenten jegliches Auflösungsrecht einem (gegebenenfalls obstruktiven) Kongreß gegenüber, ist die gleichzeitige Ausübung von Amt und Mandat verfassungsrechtlich untersagt und resultiert schließlich die relative Unabhängigkeit der Partei des Präsidenten (die möglicherweise die parlamentarische Minorität verkörpert) vom Weißen Haus auch aus solchen strukturellen Gesetzlichkeiten. Daß diese Konstruktion des Institutionengefüges die Funktion der Machtkontrolle widerspruchsfreier eingelöst als den Zweck der Herrschaftseffizienz befördert hat (und dies noch immer tut), lief der politischen Philosophie der Verfassungsväter nicht eben zuwider.
Das Staatsdenken der Männer, die den Kurs des philadelphischen Verfassungskongresses von 1787 bestimmten, war durchaus ambivalenter Natur: Für den starken Bundesstaat (der die vielfältigen inneren und äußeren Probleme der jungen Republik meistern konnte) und gegen jedwede politische Herrschaftsan-maßung; für Mechanismen der Machtkontrolle und gegen das Risiko der „deadlocks" im Regierungsprozeß; für Transparenz bei der Kompetenzabgrenzung zwischen den Gewalten und doch auch wieder zur Diffusion der Amtsbefugnisse neigend; die Liste der Hin-und Hergerissenheiten ließe sich verlängern.
Gerade die bestehende „checks and balances" -Variante des Montesquieuschen Gewaltenteilungsprinzips verrät Ziel-Ambivalenzen: Das komplizierte System von wechselseitigen Hemmnissen und Balancen, Gewichten und Gegengewichten sollte zum einen die Herrschaftseffizienz befördern und möglichen Blockaden im politischen Prozeß vorbeugen (in erster Linie durch den subjektiven Faktor des gegenseitigen Vertrautwerdens der Herrschaftsträger miteinander und daraus entspringender Bereitschaft zu Kooperation, Kompromißbereitschaft und Toleranz). Zum anderen aber sollte es dem gesellschaftlichen Eingrenzungsbedürfnis der staatlichen Macht zusätzlich Rechnung tragen, indem es „Interund Intraorgankontrollen“ (Karl Loewenstein) auf kunstvolle Weise verflocht. Wo die „Federalists" zwischen der Einsicht in die Notwendigkeiten wirksamer Dezision im außen-und innenpolitischen Bereich und dem Wunsch nach machtbeschränkenden Strukturen in allen Sphären staatlichen Handelns schwankten, schlug sich ihr Widerspruch auch in der Verfassungsurkunde nieder, die etwa bei der Regelung außenpolitischer Zuständigkeiten gemeinsame Verantwortlichkeiten von Legislative und Exekutive postulierte, Kompetenzen (bewußt oder unbewußt) unscharf abgrenzte, damit jedoch die Gewalten zur Rivalität geradezu einlud, wie es Edward S. Corwin, intimer Kenner der amerikanischen Verfassungsszenerie, einmal formuliert hat
Der Politikwissenschaftler und spätere Präsident Woodrow Wilson hat den Gang amerikanischer Geschichte als zyklischen Wechsel zwischen „congressional government" und „presidential government“ interpretiert; und selbst wenn solche Phasen legislativer bzw. exekutiver Vorherrschaft stark typisiert anmuten, ist doch der antagonistische Charakter der „Partnerschaft" zwischen den Gewalten seit der Gründerzeit niemals verschwunden und hat sich etwa im anhaltenden Streit um Handlungsbefugnisse im Bereich der Kriegführung (war powers) und des internationalen Vertragsgeschäfts (treaty power) bis in die Gegenwart hinein offenbart.
II. Die Konfrontation zwischen den Gewalten im Zeichen der „Imperial Presidency"
Abbildung 2
Die Prozentzahlen signalisieren die Häufigkeit, mit der Demokraten und Republikaner in zwischenparteilich kontroversen Fragen entlang bzw. entgegen der eigenen Fraktionslinie stimmten. Stimmenthaltungen oder Abwesenheit bei Abstimmungen reduzieren die Prozentzahlen um einige Punkte. Ebd, S. 2791 (Zahlen für 1981 ergänzt durch CQWR, 15. 1. 1983, S. 108). Tabelle 2: Abstimmungsverhalten im Kongreß Party Unity Senate House Opposition Senate House Dem. 69% 71 69 23% 21 23 1981 Rep. 76% 81 74 18% 14 19 Dem. 72﷿ʋ
Die Prozentzahlen signalisieren die Häufigkeit, mit der Demokraten und Republikaner in zwischenparteilich kontroversen Fragen entlang bzw. entgegen der eigenen Fraktionslinie stimmten. Stimmenthaltungen oder Abwesenheit bei Abstimmungen reduzieren die Prozentzahlen um einige Punkte. Ebd, S. 2791 (Zahlen für 1981 ergänzt durch CQWR, 15. 1. 1983, S. 108). Tabelle 2: Abstimmungsverhalten im Kongreß Party Unity Senate House Opposition Senate House Dem. 69% 71 69 23% 21 23 1981 Rep. 76% 81 74 18% 14 19 Dem. 72﷿ʋ
Wenn Thomas Jefferson seinem Briefpartner James Madison wenige Wochen vor dem Amtsantritt des ersten Präsidenten der USA schrieb, es sei „die Tyrannei der Legislative die in Wirklichkeit am meisten zu fürchtende Gefahr" und fortfuhr: „Die Tyrannei der Exekutive wird sie einmal ablösen, aber erst in einer fernen Zukunft“ so verblüfft die visionäre Diagnose kommender Entwicklungsgesetzlichkeiten amerikanischer Politik, deren verfassungsrechtliche Normen doch gerade das balancierte Zusammenwirken der getrennten Gewalten, das sorgfältige Austarieren von Kompetenzen (bei unverhohlener Schlagseite zugunsten der Legislative) zur Grundstruktur staatlicher Willensbildungsund Entscheidungsprozesse erhoben hatte. Denn in der Tat kennzeichnet die ständige Ausweitung exekutiver Macht den Gang der transatlantischen Verfassungsgeschichte, wobei außen-und innenpolitische Faktoren zusammenwirkten: Notwendigkeiten des internationalen Engagements, die „Unity, secrecy, decision, dispatch and superior sources of in-formation" geboten, wie sie den „Federalists" allein im Amt des Präsidenten angelegt erschienen; Bedingungen des modernen Daseinsvorsorgestaats, der seinen Interventionsund Ausgleichsanspruch einer pluralistischen Gesellschaft gegenüber bloß mittels exekutiver Führungspotenz durchsetzen kann. Im Zeichen des Kalten Krieges und der globalen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus ist die konstitutionell vorgegebene Machtbalance vollends aus den Fugen geraten; und auch für jene sozio-ökonomischen und politischen Stabilisierungsmaßnahmen, ohne die eine marktwirtschaftlich verfaßte Ökonomie unter den Bedingungen der Moderne nicht mehr überleben kann, avancierte das Weiße Haus seit der großen Weltwirtschaftskrise zu einer ausschlaggebenden Position. Der anhaltende Trend wurde in dem historischen Au-genblick zur „imperial presidency", als die strukturellen Faktoren, die den Funktionen-zuwachs der Exekutive befördert hatten, durch persönliche Machtinstinkte Lyndon B. Johnsons, mehr noch durch die Herrschaftshybris Richard Nixons verstärkt wurden; er schlug dann aber über „Vietnam" und „Watergate" in jenen verfassungspolitischen Zustand der siebziger und achtziger Jahre um, der einmal mehr den Antagonismus zur beherrschenden Antriebskraft im Beziehungsgefüge von Exekutive und Legislative gestempelt hat „Imperiale Präsidentschaft“ als Schlagwort umschrieb die verfassungswidrige Mutation herkömmlicher Interaktionsmuster von Exekutive und Legislative: die Beschneidung parlamentarischer Gesetzgebungs-und Budget-kompetenzen durch zwielichtige Praktiken wie die exzessive Anwendung des „executive agreement" im Bereich der „treaty power", des „selective enforcement of law" oder des „pocket veto"; die Zurückdrängung parlamentarischer Informations-und Kontrollrechte durch überdehnte Nutzung des „executive privilege"; die Abschottung des Weißen Hauses gegen äußere Einflüsse durch Verlagerung aller wesentlichen Entscheidungsstränge von den Ministerien auf den persönlichen Stab des Präsidenten; Einschüchterungsversuche gegenüber dem Regierungsapparat, ja der gesamten Öffentlichkeit durch Telephonüberwachung von Mitgliedern des Nationalen Sicherheitsrates und Aufbau eines dichten Überwachungsnetzes zur Fixierung „oppositioneller“ Kräfte; und manches andere mehr.
Freilich konnte die „imperiale Präsidentschaft“ auch deshalb extrakonstitutionelle Wucherungen treiben, weil sich die Legislative erst in letzter Minute Warnungen der Massenmedien zu eigen machte und zu energischer Abwehr der präsidentiellen Hybris bequemte. Als der Kongreß seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen neuerlich ausschöpfte und in Reaktion auf Nixons Treiben eine Phase der „congressional government" einläutete, wurde das Übergangsregime Gerald Ford, vor allem jedoch die Präsidentschaft Jimmy Carters mit Handlungsbedingungen und -beschränkungen konfrontiert, wie sie seit den frühen Tagen Franklin Delano Roosevelts keine Administration mehr zu gewärtigen hatte
III. Carter-Administration und Kongreß zwischen Rivalität und Leerlauf
Abbildung 3
1981/82/83 Ebd. (Zahlen für 1982 CQWR, 15. 1. 1983, S. 108; Zahlen für 1981 CQWR, 9. 1. 1982, S. 62). Tabelle 2 a: Abstimmungsverhalten der regionalen Parteigliederungen Senate Northern Democrats Southern Democrats Northern Republicans Southern Republicans House Northern Democrats Southern Democrats Northern Republicans Southern Republicans Support 76% 60 79 88 76% 53 72 81 1981 Opposition 15% 34 16 8 15% 40 21 14 Support 78% 59 74 86 79% 56 67 78 1982 Opposition 17% 36 21 12 11 % 35 23 15 Support 74% 65 ﷿ʋ
1981/82/83 Ebd. (Zahlen für 1982 CQWR, 15. 1. 1983, S. 108; Zahlen für 1981 CQWR, 9. 1. 1982, S. 62). Tabelle 2 a: Abstimmungsverhalten der regionalen Parteigliederungen Senate Northern Democrats Southern Democrats Northern Republicans Southern Republicans House Northern Democrats Southern Democrats Northern Republicans Southern Republicans Support 76% 60 79 88 76% 53 72 81 1981 Opposition 15% 34 16 8 15% 40 21 14 Support 78% 59 74 86 79% 56 67 78 1982 Opposition 17% 36 21 12 11 % 35 23 15 Support 74% 65 ﷿ʋ
Zu Unrecht hat man Jimmy Carter alle Flauten der amerikanischen Innen-und Außenpolitik in den späten siebziger Jahren angelastet und dabei veränderte Machtkonstellationen in Washington übersehen, den revitalisierten Willen parlamentarischer Machtbehauptung ebenso wie den Zustand „milder Anarchie", den partielle Strukturreformen im Kongreß verursacht hatten
In vielfacher Weise reagierte der Kongreß auf die Herausforderungen der „imperialen Präsidentschaft": Er fixierte 1973 die Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden bei der Legislative und regelte im Bereich der „war powers“ den Zwang zur Konsultation und Kooperation ohne Wenn und Aber; schuf 1974 im „Congressional Budget Office“ und parlamentarischen Haushaltsausschüssen Gegengewichte zur bislang schwer zu kontrollierenden Budgetmaschinerie des Weißen Hauses er unterwarf die Nachrichtendienste strengerer Parlamentsaufsicht und führte im Senat eine kontinuierliche Debatte über weiterreichende Zugriffsmöglichkeiten auch auf die zweifelhaften „executive agreement" -Praktiken des Weißen Hauses.
Freilich gelangte der (94— 96.) Kongreß im Bereich der praktischen Alltagspolitik über Veto-oder Verschleppungsaktionen kaum hinaus. Hinweise auf das befremdende Gebaren des Senats bei der Ratifikation des Panamakanal-Vertrags oder die Auseinandersetzungen im Vorfeld der SALT II-Debatte, auf parlamentarisches Taktieren im Bereich der Energieversorgung, der Gesundheitsfürsorge, Städtesanierung etc. mögen genügen, um Carters präzedenzlose Schwierigkeiten im Umgang mit einem Kongreß zu belegen, dessen neugewonnenes Selbstbewußtsein sich jedoch nicht zu der Fähigkeit entwickelte, die außen-und innenpolitischen Geschicke des Landes vom Kapitol aus zu lenken.
Das eklatante Mißverhältnis zwischen parlamentarischem Machtanspruch und politischer Gestaltungskraft resultierte aber auch aus den zahlreichen Reformmaßnahmen jener . Jungtürken" der Demokratischen Partei, die von den protestgeprägten „midterms" des Jahres 1974 in den Kongreß geschwemmt worden waren. Unter dem Banner von „Demokratisierung" und „Transparenz" revidierten die „zornigen jungen Männer" traditionelle Herrschaftsstrukturen des Repräsentantenhauses, veränderten bestehende Besetzungsverfahren für Ausschuß-und Unterausschußpositionen, reduzierten die Zahl der Mehrfachvorsitze im verzweigten „Committee" -Gestrüpp, erhöhten gar noch dessen Undurchdringlichkeit durch die personelle Erweiterung bestehender wie durch die Gründung zusätzlicher Ausschüsse und vergrößerten damit insgesamt Aufstiegs-und Einflußmöglichkeiten auch für parlamentarische Neulinge.
Die Reform überkommener Funktionsweisen, Organisations-und Steuerungsprinzipien der Legislative hat anhaltende Unsicherheiten im Beziehungsgeflecht von Weißem Haus und Kapitol ausgelöst und mancherlei Leerlauf in der hochdifferenzierten Parlamentsmaschinerie produziert. Wo sich bis dahin die Kongreßhierarchien mühelos hatten orten lassen, die wesentlichen Anlaufstationen im komplexen Gestrüpp der arbeitsteiligen Legislative unschwer zu bestimmen gewesen waren und eingespielte Kooperations-und Kontrollmuster das Verhältnis der „antagonistischen Partner" zueinander kalkulierbar gemacht hatten — „undemokratisch" zwar oft genug, aber relativ effizient —, verringerte jetzt die Diffusion der parlamentarischen Machtstrukturen exekutive Chancen, einflußreiche Kongreßpartner für politische Geschäfte zu finden, litt aber auch die intra-organische Handlungsfähigkeit des Parlaments.
Zu guter Letzt trug aber auch die Administration Carter selbst ein gerüttelt Maß Schuld an jenen „deadlocks" im gewaltenteilig'en Getriebe der USA, welche die Supermacht USA inmitten äußerer und innerer Herausforderungen zum „gelähmten Riesen“ degenerieren ließen. Jimmy Carters Umgang mit dem Kapitol stand von Anfang an unter ungünstigen Vorzeichen. Schon vor der Amtsübernahme hatten seine zornigen jungen Männer der „Georgia-Mafia", der designierte Stabschef Hamilton Jordan etwa oder Pressechef Jody Powell, bei jeder Gelegenheit ihre Entschlossenheit bekundet, gleichsam gegen das Washington-Establishment und einen „verkrusteten" Kongreß regieren zu wollen, der sich mit der südstaatlerischen Aufbruchstimmung nur zögernd, wenn überhaupt, identifizieren mochte. Von Kontaktpflege zum Kapitol im Vorfeld der Amtsübernahme keine Spur; und als das Cartersche „Liaison Office" schließlich Beziehungen zum Kongreß suchte, kam es aufgrund seiner strukturellen Eigentümlichkeiten nicht recht vom Fleck. Wo bislang die administrativen Verbindungsstäbe die Organisation der Legislative gleichsam reproduziert hatten, d. h. Spezialisten für Repräsentantenhaus und Senat, für einzelne Kongreßausschüsse, aber auch für die traditionellen Abstimmungsblöcke im Parlament beherbergten — konservative Südstaaten-Demokraten , etwa-oder liberale Republikaner der nordöstlichen Metropolen —, glaubten die Carter-Berater neue Beziehungsmuster berücksichtigen zu müssen.
Ihrer Meinung nach hatten die „Protestwahlen“ von 1974 und 1976 Parlamentarier in den Kongreß geschleust, die anstelle herkömmlicher Blockbindungen problemorientierte Gruppenzugehörigkeiten entwickelten. Eben deswegen sollte sich auch das „Liaison Office"
des Weißen Hauses künftig aus Experten für einzelne Themenbereiche rekrutieren, sollten etwa Fachleute für Energie-oder Umweltfragen die Kommunikation mit dem Kapitol pflegen. Als die Verbindungskanäle austrockneten, weil offensichtlich die Georgia-Garde das Gewicht etablierter Kongreßstrukturen und traditioneller Kontaktpflegemuster unterschätzt hatte, schaltete die Carter-Administration kurzfristig auf das Generalistenprinzip entlang der Kammergrenzen um. Freilich auch diesmal ohne große Fortune: Wo jedes Stabsmitglied sich für die Gesamtkommunikation mit denjenigen Abgeordneten oder Senatoren zuständig erklärte, zu denen es zuvor teils geplante, teils zufällige Kontakte unterhalten hatte, fehlte nun nicht selten eine spezifische Sachkompetenz.
Solch organisatorische Defizienz resultierte aber auch aus Carters erklärter Distanz zu Liaison-Praktiken schlechthin, die sich nicht zuletzt in mangelndem Interesse an einer Feinabstimmung der Verbindungsstäbe im Weißen Haus und den Ministerien niederschlug: ein Versäumnis mit schwerwiegenden Folgen, weil öfter als landesüblich das Liaison-Personal einzelner Departments ganz ungeniert partikulare „Haus" -Interessen auf Kosten übergeordneter Ziele der Administration verfolgte und damit den öffentlichen Eindruck zementierte, es wisse in der Regierung Carter die linke Hand nicht, was die rechte tue.
Schließlich hat Carters mangelnder Sinn für richtiges „timing" von Gesetzesinitiativen und seine sprunghafte Ungeduld beim Verfolgen politischer Vorhaben den Kongreß überfordert: Wo gleichzeitig disparate Initiativen des Weißen Hauses zu beraten waren und sich keine klaren Prioritäten abzeichneten, die Wichtiges von weniger Wichtigem scheiden ließen, fühlte sich die Legislative überfordert und reagierte gereizt.
IV. Exekutive und Legislative im Zeichen der republikanischen Präsidentschaft
Abbildung 4
Tabelle 3: Das Abstimmungsverhalten der regionalen Parteigliederungen a) zugunsten und b) zuungunsten präsidentieller Positionen a) Democrats Senate House Republicans Senate House 1981 40% 35 74 64 East 1982 34% 34 64 56 1983 42% 22 68 60 1981 46% 38 82 70 West 1982 38% 34 75 70 1983 38% 20 73 75 1981 60% 56 85 73 South 1982 55% 50 80 70 1983 42% 42 74 74 1981 81 67 Midwest 46% 36 1982 42% 34 77 62 45% 21 77 71 1983
Tabelle 3: Das Abstimmungsverhalten der regionalen Parteigliederungen a) zugunsten und b) zuungunsten präsidentieller Positionen a) Democrats Senate House Republicans Senate House 1981 40% 35 74 64 East 1982 34% 34 64 56 1983 42% 22 68 60 1981 46% 38 82 70 West 1982 38% 34 75 70 1983 38% 20 73 75 1981 60% 56 85 73 South 1982 55% 50 80 70 1983 42% 42 74 74 1981 81 67 Midwest 46% 36 1982 42% 34 77 62 45% 21 77 71 1983
1. Instrumente und Strategien der Reagan-Administration im Umgang mit dem Kongreß Der politische Wandel von 1980 schuf Voraussetzungen für die Verbesserung der angespannten Beziehungen zwischen Weißem Haus und Kapitol: Erstmals seit 1953 eroberten die Republikaner neben der Präsidentschaft wieder eine 54: 46-Mehrheit über die Demokraten im Senat und konnten auch im Repräsentantenhaus den Sitzvorsprung des Konkurrenten von bislang 159: 276 auf 191 : 242 verkürzen, was um so gewichtiger zu Buche schlug, als gleichzeitig der rechte Flügel der Demokratischen Partei, potentieller „Koalitionspartner" der „Grand Old Party" (GOP), gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen war. Überdies hatte Reagan seit Jahren systematische „Klimapflege" in den eigenen Reihen getrieben und neben anderem gezielte Kontakte zu einflußreichen Republikanern in beiden Häusern des Kongresses unterhalten, die ihn dann auch im Wahlkampf offen unterstützten
Anders als sein Vorgänger Carter nutzte Ronald Reagan die Zeit zwischen Wahl und Amtsantritt zu intensiven Gesprächen mit dem Kongreß-Establishment und zum Aufbau eines funktionsadäquaten „Congressional Liaison Office", dessen Effizienz sich rasch erweisen sollte Da es zahlenmäßig begrenzt und mit Profis der Washingtoner Politikszene besetzt war, Experten-und Generalistentum in eine ausgewogene Mischung brachte, die parlamentarischen Verbindungsbüros der Ministerien und Ämter so straff als irgend möglich an der Leine des Weißen Hauses führte und insgesamt nur dann in Aktion trat, wenn Interessenprioritäten des Weißen Hauses dies zu erfordern schienen, geriet es rasch zur gesuchten Anlaufstelle von Senatoren und Abgeordneten und zum wirksamen Koordinator der politischen Aktivitäten im gewaltenteiligen Geflecht des US-Herrschaftssystems Mit hochentwickeltem Gespür für das richtige „timing“ der eigenen Initiativen und nüchterner Einschätzung von Reichweite und Grenzen der Informationsverarbeitungsbzw. Entscheidungskapazitäten des Kongresses nutzte Reagan die „honeymoon“ -Phase (die sich durch das Attentat auf den Präsidenten nicht unwesentlich strecken ließ), um die innovatorischen Teile seiner Politik im Haushalts-und Steuerwesen gesetzgeberisch zu verankern. Durch rasches Agieren und strikte Beschränkung der präsidentiellen Initiativen, durch das Setzen eindeutiger Prioritäten und gleichzeitiges Bemühen, den Kongreß zur Verabschiedung von Entscheidungspaketen (möglichst ohne amendments) zu veranlassen gelangen ihm erstaunliche Einbrüche in das Lager des „antagonistischen Partners". Wie sehr der Präsident darauf bedacht war, die Legislative nicht zu überfordern, mag schon der Umstand signalisieren, daß der 97. Kongreß insgesamt seltener tagte und weniger Gesetze beriet bzw. verabschiedete als seine unmittelbaren Vorgänger -
Der Präsident durfte die Überraschungserfolge zu einem guten Teil auf dem eigenen Konto verbuchen. Als „Great Communicator" wußte er geschickte Fernsehauftritte zu inszenieren, die ihm spontane und die parlamentarischen Beratungen beeinflussende „grass-roots" -Unterstützung eintrugen. Hand in Hand mit der Instrumentalisierung der Massenmedien ging die „Einzelfallpflege", die persönliche „Bearbeitung" solcher Abgeordneter und Senatoren, denen kraft parlamentarischer Funktion oder politischer Einstellung Schlüsselpositionen im Abstimmungsgebaren des Kongresses zukamen. Von „Gesichtspflege“ -Einladungen zum gemeinsamen Frühstück im Weißen Haus über regierungsamtliche „Hilfestellung" in Wahlkreisangelegenheiten bis zu „arm twisting" -Usancen setzte Reagan das ganze Arsenal präsidentieller Machtinstrumente mit lange vermißter Kunstfertigkeit ein.
Bei all dem wußte er geraume Zeit den Eindruck zu erwecken, gleichsam als Staatsoberhaupt und Regierungschef über den Niederungen politischer Alltagsentscheidungen zu schweben, sich gewissermaßen zum konflikt-fernen Hüter der „amerikanischen Werte“ zu stilisieren, was ihm anhaltende Sympathien in der amerikanischen Öffentlichkeit eintrug
Erst als seit Ende 1982 Turbulenzen in Nahost und Zentralamerika das Schiff der US-Außenpolitik ins Schlingern brachten, sich der Ruf nach größerer Flexibilität im Bereich der Rüstungskontrollpolitik und im Umgang mit der Sowjetunion ganz allgemein verstärkte, im Umfeld der „mid-terms" altvertraute Konflikt-muster im Beziehungsgeflecht der Gewalten wieder an Gewicht gewannen und polarisierende Tendenzen des Präsidentschaftswahl-jahrs 1984 ihre Schatten warfen, mußte Ronald Reagan häufiger als zuvor vom staatsmännischen Kothurn in die „Niederungen" parteipolitischer Querelen herabsteigen. Präsidentielles Eingreifen in schwelende Konflikte und anstehende Entscheidungen schienen um so dringlicher geboten, als sein engster Beraterkreis im „White House Office" inzwischen in nahezu allen Fragen von politischer Relevanz gespalten war und „leadership" -Impulse die konträren Positionen von Stabschef James Baker und dem Nationalen Sicherheitsberater William Clark ausgleichen mußten
Bleibt noch anzumerken, daß Reagans beachtliche Erfolge im Umgang mit dem 97. Kongreß neben seinem eigenen geschickten Taktieren und dem seiner Administration auch der Loyalität und Kompetenz des republikanischen Mehrheitsführers im Senat, Howard Baker, und des republikanischen Minderheitsführers im Repräsentantenhaus, Robert Michel, zu verdanken waren, die sich mit „bipartisanship" -Tendenzen vieler Demokraten zu einem verblüffend einheitlichen Abstimmungsverhalten beider Häuser des Kongresses verbanden 2. Der 97. und 98. Kongreß zwischen Kooperation und Distanz zum Weißen Haus
Die Statistik des Abstimmungsverhaltens in den Reihen des 97. und 98. Kongresses weist im Vergleich mit dem der parlamentarischen Vorgänger zum einen substantielle Wandlungen sowohl auf der interorganisch exekutiv-legislativen wie der intra-organisch fraktionsund koalitionspolitischen Ebene auf, offenbart aber gleichzeitig die begrenzte Zeitweiligkeit solchen Wandels. Beide Phänomene lassen sich exemplarisch in spezifischen Handlungsund Verhaltensmustern des 97. Kongresses aufspüren.
Tabelle 1 demonstriert auffallende Schwankungen im parlamentarischen Umgang mit dem Weißen Haus: Wo 1981 Ronald Reagan legislative Unterstützung in einem Umfang für seine Politik mobilisieren konnte, die an die Zeiten der „intakten Präsidentschaft“ im Zeichen der frühen Eisenhower-, Kennedy-und ersten Johnson-Jahre erinnerte, erstaunt gleichzeitig das jähe Ende solcher „honeymoon" -Beziehung im zehnprozentigen Rückgang der präsidentiellen Erfolgsquote des Jahres 1982 bei Abstimmungen im Kongreß, die um so mehr verblüfft, weil alle Administrationen seit Kennedys Tagen ihr Durchsetzungsvermögen im zweiten Amtsjahr beträchtlich steigern konnten. Der Verlust an Einfluß im Parlament, der im dritten Amtsjahr anhielt, erklärt sich vor allem aus dem veränderten Abstimmungsverhalten im demokratisch kontrollierten Repräsentantenhaus, wo Reagans Erfolgsquote von 72, 4 % (1981) über 55, 8 % (1982) auf 47, 6 % (1983) zurückfiel, ein drastischer Abfall durchaus, den die günstigere Bilanz im republikanisch beherrschten Senat mit 88, 3% (1981), 82, 4% (1982) und 85, 9 % einschlägiger Pro-Reagan-Entscheidungen im Jahre 1983 nicht auffangen konnte. Solchem Abfall des „presidential Support", seit Eisenhowers Tagen im übrigen mit Ausnahme der Kennedy-Präsidentschaft mittelfristiges Schicksal aller Administrationen (vgl. die Daten für das 3. und 4. Amtsjahr der verschiedenen Administrationen), lag das wachsende Unbehagen an den außen-und innenpolitischen Konsequenzen des Reagan-Kurses zugrunde, das sich 1982 um so schärfer artikulierte, je näher die „mid-terms“ rückten. Die bei Kongreßwahlen ohnehin zu veranschlagenden Distanzierungstendenzen der Abgeordneten zum Weißen Haus verstärkten sich unter dem Druck öffentlicher Unzufriedenheit mit den politischen Zielsetzungen und Aktionsmustern der republikanischen Administration. Deutliche Unterschiede zur vorangegangenen Dekade tun sich aber auch im „fraktionellen“ bzw. „koalitionspolitischen" Abstimmungsverhalten des Kongresses auf, wenn man denn überhaupt solche dem Vokabular parlamentarischer Regierungsweise entnommenen Begriffe auf die Legislative im präsidentiellen Herrschaftssystem übertragen kann. So zeigt Tabelle 2 einen drastischen Zuwachs an republikanischem Integrationsvermögen vor allem im Senat, wo sich 1981 die GOP bei 81 % aller namentlichen Abstimmungen hinter der Fraktionsführung scharte (wo diese noch ein Jahr zuvor bloß eine Erfolgsquote von 65% hatte aufweisen können) — Folge sowohl des geschickten Zusammenspiels der Reagan-Administration mit einflußreichen „opinion leaders" in der ersten Kammer als auch des geschickten Taktierens der Fraktionsführung unter Howard Baker und des einigkeitsfördernden Gefühls, nach vielen Jahren endlich wieder über eine Schlüsselposition in der parlamentarischen Entscheidungsmaschinerie zu verfügen. Auch im Repräsentantenhaus traten die Abgeordneten der GOP 1981 geschlossener als zuvor auf, ohne jedoch die verblüffende Einheitlichkeit ihrer Senatskollegen zu erreichen. Freilich deuten die Vergleichszahlen für 1982 die beginnende Rückkehr zu parlamentarischen Verhaltensniu-B Stern der siebziger Jahre an, die schon der Schwund der präsidentiellen Erfolgsrate im Kongreß signalisierte. Zwar konnten die „House-Republicans" 1983 diesen Trend vorübergehend wieder umkehren, aber doch eher beiläufig als Reaktion auf das in den mid-terms" restituierte Selbstvertrauen „linker“ Demokraten.
Die Demokraten wußten dagegen die Abstimmungskohäsion im Vergleichszeitraum zu festigen: Im Zeichen der nahenden „mid-terms" suchten sie Profilierung auch durch größere Einheitlichkeit (vor allem bei sozialpolitischen Auseinandersetzungen mit dem parteipolitischen Gegner) zu gewinnen; der Erfolg dieser Strategie stimulierte offensichtlich das Bedürfnis nach Kohäsion auch im folgenden Jahr. Tabelle 3 vermittelt gewisse Aufschlüsse im Hinblick auf das koalitionspolitische Verhalten in der Legislative. Reagans Erfolge im 97. Kongreß wurden überwiegend durch jene „konservative Koalition" ermöglicht, in der sich in einer Reihe außen-und innenpolitischer Entscheidungsfelder Süd-staaten-Demokraten (Boll Weevils) mit den Republikanern gegen die Nordstaaten-Demokraten zusammenfanden. 1981/82 konnte sich diese Koalition auf 68 Stimmen im Senat und 270 im Repräsentantenhaus stützen (gegen-21 über 60 bzw. 243 im Vorgänger-Parlament). Auch wenn sie seit den „mit-terms" von 1982 an den Rändern abzubröckeln begann, blieb sie doch insgesamt eine verläßliche Stütze Reagans und bezog 1983, wo sie sich nicht durchsetzen konnte, blockierende Veto-Positionen. Umgekehrt weist die Statistik aus, daß ungeachtet der forcierten Kohäsion im Lager der Republikaner ihr gemäßigter Flügel, die „Frost Belt Moderates" und „Gypsy Moths" des Nordostens (und partiell des Mittleren Westens), ein differenziertes Abstimmungsverhalten an den Tag legte: Wo sich Reagans Initiativen zu sehr mit ideologischen Positionen der „konservativen Koalition" identifizieren, mußte er Widerstand aus der genannten Richtung in Kauf nehmen, die „the land of the old, the cold and the poor" repräsentiert, wie im Kongreß scherzhaft gesagt wird.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die tendenziellen Wandlungen im Abstimmungsgebaren des 97. Kongresses von der ersten zur zweiten Sitzungsperiode im wesentlichen auch das politische Verhalten des Nachfolge-Parlaments bestimmt haben. Schon das Ergebnis der Novemberwahlen von 1982 mußte* sich in den Augen der Reagan-Administration als veritable „Wende" ausnehmen: Zwar ließ es die Kräftekonstellation im Senat unverändert, löste dafür jedoch im Repräsentantenhaus einen machtpolitischen Erdrutsch aus. Nicht bloß gewannen die Demokraten 26 Sitze hinzu: vielmehr zogen 57 demokratische Abgeordnete als „freshmen" in das Parlament ein, die ihre Gegnerschaft zu Reagans wirtSchafts-, sozial-und sicherheitspolitischen Plänen offen bekundet hatten. Die „konservative Koalition" war kräftig zur Ader gelassen, der Einflußradius des Präsidenten in der Legislative drastisch verringert worden. Die Handlungsfähigkeit des 98. Kongresses konnte angesichts solcher machtpolitischen Veränderungen nur durch anhaltende Distanzierung vom Weißen Haus, durch die Beto-B nung legislativer Autonomie im gewaltenteiligen System der „checks and balances" gesichert werden. Wo parteipolitische Aspekte das Prinzip der „bipartisanship" überlagerten, mußten parlamentarische Aktivitäten in wechselseitiger Blockierung der Kammern ersticken. Die politische Praxis des Jahres 1983 ist von beiden Verhaltensmustern geprägt worden Das Bemühen der Gewalten, ihren je eigenen Acker autonom zu bestellen, war 1983 deutlicher als in den zwei vorangegangenen Jahren zu beobachten. Hatte die Reagan-Administration bei den wirtschafts-und finanzpolitischen Debatten im 97. Kongreß Regie geführt, beriet das Parlament im Jahre 1983 über Haushaltsfragen ohne direkte und öffentlich dokumentierte Partizipation des Präsidenten. Und wenn der Kongreß sich auch auf dem Feld der Außenpolitik zu behaupten suchte, blieben die wesentlichen Entscheidungen doch der Exekutive Vorbehalten. „Bipartisanship“ stellte sich in Einzelfällen im Bereich der „social security“ her, wo'weitere Streichungen abgelehnt und manche Programme reaktiviert wurden; ebenso bei der Bereitstellung von Geldern in Höhe von 4, 6 Mrd. Dollar für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bei der Anwendung der „War Powers Resolution" von 1973 auf die Libanon-Politik der Regierung oder bei einer Reihe von Bewilligungsgesetzen für das Haushaltsjahr 1984. Gerade im Fiskalbereich konnte sich weder der Präsident noch der republikanische Mehrheitsführer im Senat dem Zwang zum Kompromiß entziehen, den die veränderten Machtverhältnisse im Kongreß geschaffen hatten. Der für das Jahr 1982 beobachtete Trend zu verringerter Fraktionskohäsion schwächte sich zwar insgesamt wieder ab, bestimmte aber doch von Fall zu Fall die legislative Dezision: Wo gemäßigte Republikaner (die sich zum Teil — wie Weicker, Stafford oder Chafee — bei den „mid-terms" bloß mit knappstem Vorsprung hatten behaupten können) gegen den Willen der Fraktionsführung ein Budget passieren ließen, das steuer-und innenpolitische Ausgabenerhöhungen im Verbund mit einer Verlangsamung des Zu-
Wachses im Verteidigungshaushalt enthielt, blockierten andererseits demokratische „freshmen" ein von Tip O'Neill befürwortetes Ausgabengesetz als Akt des Protests gegen das unaufhaltsam ansteigende Defizit.
Freilich verkörperte sich im Prinzip der „bipartisanship" bloß ein parlamentarisches Handlungsmuster; es fand seine Ergänzung in einem partei-und fraktionspolitisch orientierten Abstimmungsverhalten, das jetzt stärker als zuvor die beiden Häuser entzweite und Blockaden im parlamentarischen Entscheidungsprozeß heraufbeschwor Wo Initiativen des Repräsentantenhauses den Intentionen der Administration zu sehr in die Quere kamen, wirkte der Senat als verläßlicher Bremser: in der Außenpolitik, wo die „Nuclear Freeze Resolution" abgeblockt oder Reagans Mittelamerika-Politik abgeschirmt wurde; in der Innenpolitik, wo mehrere Gesetzesvorhaben zugunsten Arbeitsloser verhindert oder der Versuch des Repräsentantenhauses vereitelt wurde, die dritte Phase Reaganscher Steuerkürzungen zu hintertreiben. Obgleich die Gefolgschaft des Präsidenten im Senat da und dort abbröckelte, blieb sie doch stark genug, um allzu massive Eintrübungen des Reaganschen „leadership“ -Image nicht aufkommen zu lassen. 3. Die Reagan-Administration und der Kongreß:
Erfolg und Mißerfolg im Zusammenspiel der Gewalten „Vom leichten, natürlichen, gedankenlosen Optimismus Präsident Reagans" (Hedrick Smith im New York Times Magazine) eingenommen und vom ideologischen „Rechtsruck“ der Dekadenwende geprägt, hat der 97. Kongreß anfangs dem Präsidenten außerordentliche Möglichkeiten konzediert, um seine versprochene Wirtschaftserneuerung durchzuführen und die weltpolitische Herausforderung durch die gegnerische Supermacht erfolgreich bestehen zu können. Er verabschiedete ein mehrjähriges Steuersenkungsprogramm, billigte im Budgetentwurf für 1982 kräftige Abstriche bei staatlichen Hilfeleistungen im Bereich der „welfare politics" und bescherte dem Pentagon enorme Zuwachsraten beim Rüstungsetat. Und selbst die machtpolitischen Verschiebungen in den „midterms" von 1982 markierten kein abruptes Ende für Reagans Erfolgsserie: Auch der 98. Kongreß legitimierte im großen und ganzen den innen-und außenpolitischen Kurs der republikanischen Administration, brachte Korrekturen an, verfügte Abstriche, ließ aber die „Reaganomics“ insgesamt ebenso passieren wie die rüstungspolitischen Entscheidungen und demonstrierte „bipartisanship" noch 1983 in der Libanon-Politik oder anläßlich der Grenada-Invasion. Ein in der jüngeren Vergangenheit verlorengegangenes Element kooperativer Kontinuität zwischen den Gewalten durfte Reagan durchaus auf der Habenseite verbuchen, „aber eines, das sich keinesfalls auf einem hohen Niveau stabilisieren ließ und auch immer wieder ins Wanken geriet. Schon 1982 begannen sich Niederlagen der Administration im sozial-oder umweltpolitischen Bereich abzuzeichnen, die 1983 auch auf den wirtschafts-und rüstungspolitischen Sektor Übergriffen, wo im Haushalt gegen den Willen Reagans erhöhte Steuern, vermehrte Sozialausgaben und geringere Zuwachsraten im Verteidigungsbudget festgeschrieben wurden.
Solche Differenzen resultierten aus akzidentiellen wie grundsätzlichen Ursachen. In dem Maße, wie sich die politischen, sozialen und ökonomischen Kosten Reaganscher Politik abzuzeichnen begannen und mit zunehmenden Einsichten in konzeptionelle Widersprüchlichkeiten und Zielkonflikte der Innen-und Außenpolitik Reagans verbanden gingen Abgeordnete und Senatoren auf größere Distanz zur Administration, nicht zufällig jeweils im Zeichen nahender „mid-terms" oder der anstehende'n Präsidentschaftswahlen. Sie huldigten damit aber auch einem Grundgesetz amerikanischer Politik, das den US-Kongreß sich zwar zuweilen zu einschneidenden Neuerungen aufraffen, ihn aber über kurz oder lang wieder auf vertraute Bastionen der „goldenen Mitte“ rekurrieren und den Erhalt des Status quo auf seine Fahnen schreiben läßt.
Die „raison d’tre" jedes „Congressman" ist der „electoral imperative Sie wirkt sich in einer engen Wahlkreisbindung aus, die, obzwar auch dem demokratischen Verantwortlichkeitsprinzip verpflichtet, als reaktives Insistieren auf partikularen Interessen, Do-utdes-Praktiken und „bipartisanship" -Gepflogenheiten in der Alltagspolitik zum Tragen kommt Dabei sind die allseits erforderlichen „Tauschgeschäfte" viel leichter auf der Basis des Status quo als radikaler Neuerung zu vollziehen, weshalb Innovationen selten langen Atem haben und man sich zumeist mit marginalen Veränderungen bescheidet. Eine Politik der nationalen „Wende" läßt sich in mittel-oder langfristiger Perspektive nur unter der doppelten Voraussetzung erzwingen, daß sich die US-Gesellschaft vor eine historische Ausnahmesituation gestellt sieht und sich von charismatischem politischem Führertum zur Teilnahme an einem neuen Handlungsszenario bewegen läßt.
Im Normalfall jedoch läuft die nationale Auf•bruchsstimmung einer neuen Präsidentschaft binnen kurzem an jenen parlamentarischen Antriebskräften auf, die sich als „electoral imperative“
einerseits, als „Primat des Systemerhalts“
andererseits umreißen lassen. Rasch dominiert wieder eine Politik der Befriedigung lokaler Interessen und der Distanzierung von der Exekutive, der sowohl traditionelle gewaltenteilige Verhaltensmuster wie jüngeres Unbehagen in der Gesellschaft an den Herrschaftsinstitutionen, speziell der Präsidentschaft, zugrunde liegen -Wenn nicht große „leaders" im Weißen Haus und die von ihnen forcierten „issues" die Nation in ihren Bann schlugen, haben Parlamentarier vor allem in „mid-term" -Wahljahren sich stets als autonome Entscheidungsträger zu profilieren gesucht. Oft genug lockerte sich dann der partei-oder fraktionspolitische Zusammenhalt im Kongreß und seine Führungsstäbe hatten es schwer, auseinanderstrebende Abgeordnete auf den präsidentiellen Kurs zu verpflichten (wenn sie denn solches überhaupt anstrebten). • Seit den späten sechziger Jahren hat aber auch die politische Aktualität zentrifugale Tendenzen im amerikanischen Herrschaftssystem verstärkt: Vietnam-Trauma, Watergate-Syndrom und die „Krise des Sozialstaatsgedankens" bzw.der „New Deal" -Politik ließen jenes latent stets vorhandene „Dilemma“ der amerikanischen Gesellschaft einmal mehr aufbrechen, das als Konflikt zwischen den politischen Idealen der Neuen Welt und ihren politischen Institutionen einen Grundzug der US-Geschichte reflektiert Wo sich die „creedal passion“ der Amerikaner für Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, wo sich ihre Leidenschaft für eine „bessere", moralisch höher entwickelte Welt an den Unvollkommenheiten des Herrschaftssystems und Regierungsprozesses so vehement wie in der jüngsten Vergangenheit stoßen, zweifeln sie in steigendem Umfang an Legitimität und Effizienz der politischen Ordnung tun Abgeordnete und Senatoren gut daran, sich als Einzelkämpfer zu profilieren, die weitgehend unabhängig von Partei und Fraktion, distanziert von Administration und der gesamten Washingtoner Regierungsmaschinerie spezifische Interessen ihres Wahlkreises befördern wollen. Wie sollten sie im derzeitigen politisch-psychologischen Umfeld auch anders agitieren, wenn selbst der Präsident (wie schon 1980) seinen Wahlkampf mit Anti-Government-Parolen führt?
Hartmut Wasser, Dr. phil. habil., geb. 1937; Studium der Politikwissenschaft, Geschichte, Germanistik und Anglistik in Tübingen und München; Professor für Politikwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Weingarten, langjähriger Gastdozent der Stanford University. Veröffentlichungen u. a.: Die Vereinigten Staaten von Amerika. Porträt einer Weltmacht, Stuttgart 19822; Die USA — der unbekannte Partner. Materialien und Dokumente zur politisch-sozialen Ordnung der Vereinigten Staaten von Amerika, Paderborn 1983; Deutsche und Amerikaner — Verwandte speziellen Grades? Ein historisch-politischer Exkurs über das Verhältnis beider Staaten, in: Europa und Amerika. Ende einer Ära, Der Monat, (1984) NF 290, S. 108ff.: Amerikanische Präsidentschaftswahlen einst und heute, in: Universitas, 39 (1984) 5, S. 527 ff.; Die USA in der „Ära der nationalen Erneuerung" unter Ronald Reagan, in: Die Internationale Politik 1981/82, hrsg. v. d. Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Bonn 1984.
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