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Der Dichter auf dem Markt. Literatur und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 39-40/1984 | bpb.de

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APuZ 39-40/1984 Gesellschaft und Politik in der lateinamerikanischen Literatur Der neue Realismus in der zeitgenössischen nordamerikanischen Literatur Der Dichter auf dem Markt. Literatur und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland Artikel 1

Der Dichter auf dem Markt. Literatur und Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland

Irene Böhme

/ 12 Minuten zu lesen

Zusammenfassung

Eine Gesellschaft mit dreierlei Literaturen: Die Halbgötter — Aushängeschild der Nation —, wichtig und geehrt, dennoch nicht unbedingt geliebt. Die Erfolgreichen, vielgelesenen und vielverfilmt, dennoch kein Markenzeichen für das Volk der Dichter und Denker. Die Namenlosen, deren Texte über Film und Fernsehen ein breites Publikum erreichen, deren Namen jedoch nicht genannt werden, wenn von der neuen deutschen Literatur gesprochen wird. Eine Gesellschaft, die ihre ethischen Werte aus dem 19. Jahrhundert bezieht, aber den Dichter dem Gesetz der freien Marktwirtschaft des technischen Zeitalters unterwirft Wie sieht der ökonomische Status des Schriftstellers aus? Über Geld wird selten gesprochen, wenn es um Literatur geht Anhand einiger Beispiele wird untersucht wie frei oder unfrei sich der Dichter auf dem freien Markt bewegen kann. Im Vergleich mit anderen Berufsgruppen wird erläutert, wieviel oder wie wenig die reiche Gesellschaft der Bundesrepublik unternimmt ihre Literatur zu fördern und dem Schrifsteller gleiche Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, wie sie sie beispielsweise den kleinen Unternehmern, Bauern, Wissenschaftlern oder Dirigenten einräumt

I.

Jeder weiß, was Literatur ist und wer sie macht. Dichter sind Grass, Böll öder Enzensberger. Sie sind so etwas wie Halbgötter, mischen sich in die Politik ein, sind so etwas wie das Gewissen der Nation, lästig, jedoch notwendig: ein Aushängeschild für das Volk der Dichter und Denker. Ein Alibi für die intakte Freiheit und Demokratie der Bundesrepublik, Repräsentanten für das In-und Ausland, damit das liebe Vaterland nicht nur als geschäftstüchtige Vereinigung von Krämerseelen erscheine. Man liebt und schätzt sie dennoch nicht unbedingt. Politiker beschimpfen sie mitunter, biedere Bürger wiegen bedenklich den Kopf: alles von unseren Steuern.

Man braucht sie, obwohl nur wenige Leute genau zu sagen wissen, wofür diese Literatur und diese Literaten eigentlich gut sind. Gebildete können eine umfangreichere Namensliste deutscher Schriftsteller dieser Geistesart aufzählen. Literaturwissenschaftler können das „Für-und-Wider" der einzelnen Werke protokollieren und beziehungsreich meditieren: wie Buch A sich zu Buch B verhält, wo Romantik oder Aufklärung adaptiert werden, wo die „No-Future-Philosophie" wieder einmal fröhliche Urstände feiert. Studienräte können das Werk eines Autors zerlegen bis aufs Skelett. Gymnasiasten können naserümpfend verkünden, von Gellert bis Goethe, von Wohmann bis Wolf bedeute ihnen so etwas überhaupt nichts. Das hochwohllöbliche Feuilleton — objektiv außerstande, die gesamte neue deutsche Literatur überhaupt zu bemerken — fischt diese oder jene Neuerscheinung aus der Flut des jährlichen Angebots und stempelt den Verfasser zum Heiligen oder Narren, wie der Trend so gerade läuft.

Jeder weiß, es gibt noch eine andere Litera-für, und man weiß, wer sie macht. Autoren sind Simmel, Konsalik oder Ende, die Erfolgreichen. Diese Schriftsteller verstehen ihr Handwerk, kennen die geheimen Sehnsüchte er Leser. Von Millionenauflagen und Millio-pen berichten die Illustrierten, Film und ernsehen reißen sich um die Stoffe, der in-ternationale Marktwert der deutschen Literatur wird ebenso durch die Namen dieser Autoren geprägt Die erfolgreichen Bücher sind nicht immer die folgenreichen. Für den Tag, für die Stunde spielen solche Überlegungen selten eine Rolle. Dieser schreibt für die Ewigkeit und bleibt zu Lebzeiten verkannt Jener nutzt die Gunst der Stunde, kassiert zu Lebzeiten und wird vermutlich nicht in die Annalen der Literaturgeschichte eingehen. Der Volksmund sagt: Beides kann man nicht haben. Spitzwegs Bild „Der arme Poet“ scheint nach wie vor angemessen: Der deutsche Dichter mit einer Zipfelmütze auf dem Kopf schreibt im Bett unter dem Regenschirm im ärmlichen Dachstübchen. Wer nicht so lebt und schreibt, ist vermutlich kein Dichter, sondern ein Literatur-produzent oder Medienschreiber. Diese Autoren sind der Öffentlichkeit ebenso unbekannt wie die „wahren“ Dichter. Wer interessiert sich schon für die Namen der Verfasser von „Tatort" oder „Traumschiff“, obwohl die Texte ein breiteres Publikum erreichen als manches Buch.

Damit ist fast alles gesagt, was zur Literatur unseres Landes zu sagen ist. Ihr Ethos ist bestimmt von Maximen des 19. Jahrhunderts, ihr Marktwert vollzieht sich nach den Gesetzen des 20. Jahrhunderts. Unübersehbar ist der Tatbestand: „Rinaldo Rinaldini" bleibt gefragter als „Wilhelm Meister". Urteile, die heute gefällt werden, müssen nicht stimmig sein, soviel wir auch meditieren und analysieren, vergleichen und propagieren. Man kann sich das verkneifen und den Dingen ihren Lauf lassen. Die Literaturgeschichte zeigt, daß Wertvolles sich durchsetzt, unabhängig von den Marginalien der Kritik, unabhängig von den Exemplarzahlen der ersten Auflagen. Eine gewisse Gelassenheit ist angebracht, obwohl der Kulturbetrieb gerade das zu verhindern sucht. Er irritiert den Leser durch Sensationen und Skandale, hetzt von Bestseller zu Bestseller, von Flop zu Flop, bis niemand mehr weiß, worum es eigentlich wirklich geht. Schweigen wir. Andernorts wird hinlänglich darüber gesprochen.

II.

Nicht gesprochen wird darüber, wie der Dichter, Schriftsteller, Autor, Medienschreiber im Land der Dichter und Denker lebt. Wie behandelt die reiche Bundesrepublik ihre Lite-* raten? Die freie Marktwirtschaft, der Stützpfeiler der Gesellschaft, wie stimuliert sie die Literaturentwicklung, das Aushängeschild der Nation? über Geld wird öffentlich gesprochen. Die Jahresbezüge der Manager stehen in den Zeitungen. Manipulationen einer Versicherungsgesellschaft ebenso. Bauspekulationen mit Steuermitteln sind an der Tagesordnung und Steuerhinterziehung durch getürkte Spenden scheinen ein Kavaliersdelikt zu sein. Nicht die ungeahnten Möglichkeiten für Transaktionen auf dem Kapitalmarkt sollen Maßstab für die soziale Lage des Schriftstellers sein, eher die Situation des schlichten Arbeitnehmers, der für seine Tätigkeit schlicht bezahlt wird — wie das Gesetz es befiehlt Untersuchen wir pragmatisch, wie der Schriftsteller in der marktorientierten Bundesrepublik existiert; so eröffnet sich das Beziehungsfeld Literatur und Gesellschaft exakter als durch philologische Spekulationen, über Geld wird allerorts gesprochen, jedoch selten, wenn es um Literatur geht. Brechen wir dieses Tabu.

III.

Der Schriftsteller gilt als freier Unternehmer. Sein Kopf ist seine kleine Fabrik, Kugelschreiber und Schreibmaschine sind seine Produktionsmittel. Anlagekapital, Warenbestände, Maschinenpark, Investitionen hat er nicht. Für die Banken ist er infolgedessen ein Habenichts, also nicht kreditwürdig. Der Schriftsteller ist mehrwertsteuer-und umsatzsteuerpflichtig, jedoch macht er weder Mehrwert noch im geschäftlichen Sinn Umsatz. Auch Produktionsmittel besitzt er nicht, denn ein maschinengeschriebenes Manuskript ist ein Halbfabrikat. Es soll erst ein Buch, Theaterstück, Film, Hörspiel oder Fernsehbeitrag werden. Ob das geschieht und wie das geschieht, entscheiden andere; der Schriftsteller hat wenig oder keinen Einfluß darauf. Abgekoppelt und abhängig ist der schreibende Unternehmer von seiner ökonomischen Basis. Eher ähnelt er einem Erfinder, der seine Ideen verkauft, gleicht einer Arbeitskraft wie andere Arbeitnehmer auch. Während Gesetze und Tarifverträge dort die Beziehungen regeln, jährlich überprüft werden, geschieht das zwischen Autoren und Literaturvertretern unzureichend. Man tut so, als befände man sich auf dem freien Markt, als würden Angebot und Nachfrage das Spiel der Kräfte bestimmen. Da die Nachfrage für ein literarisches Werk selten im voraus zu kalkulieren ist, befindet sich der Autor grundsätzlich in der Position des Bittstellers. Erwartet wird von ihm, daß er das Geschäftsrisiko für die noch unbekannte Ware weitgehend selber trägt. Für Theater, Film und Fernsehen beispielsweise wird das Risiko subventioniert; niemand wird entlassen, wenn eine Produktion einmal nicht gelingt. Der Autor jedoch... Dazu ein Beispiel:

Ein Mensch schreibt ein Buch. Er arbeitet ein Jahr daran und finanziert seinen Lebensunterhalt währenddessen irgendwie. Das Manuskript ist fertig, ein Verlag druckt es, alles läuft vorbildlich. Angenommen, am 1. Januar 1984 wurde der Text übergeben, der Verlags-vertrag geschlossen. Angenommen, im Frühjahr oder zur Frankfurter Buchmesse erscheint das Buch. Angenommen, das Feuilleton bemerkt diese Neuerscheinung und der Verkauf findet statt. Geschieht das, bekommt der Autor im Frühjahr 1985 seine erste Abrechnung, etwa 7, 5 Prozent vom Ladenpreis der verkauften Bücher. Zwischen der Über-gabe der fertigen Arbeit und der ersten Bezahlung liegen 15 Monate. Kein Geschäftsmann, kein Angestellter, kein Arbeiter würde sich auf einen solchen Handel einlassen. Der Schriftsteller ist dazu verurteilt. Hat er großes Glück, gewährt ihm sein Verlag einen Vorschuß, der verrechnet wird. Solch ein Vorschuß ist meist daran gekoppelt, daß auch das nächste Werk dem Verlag angeboten werden muß. So etwas kann man nur noch als geistige Leibeigenschaft bezeichnen.

Setzt sich das neue Buch nicht sofort durch -was nicht unbedingt etwas mit seiner Qualität zu tun haben muß —, geht der Autor leer aus. Verlagsmanager, Lektoren, Vertriebsmitarbeiter kassieren allmonatlich ihre festen Bezüge. Sie leben vom Autor, er allein trägt das volle Geschäftsrisiko. Da der Buchhändler heutzutage überaus vorsichtig kalkuliert, meist nur ein einziges Exemplar eines zeitgenössischen Werks bestellt, erst bei Verkauf wiederum ein Exemplar nachzieht, sind hohe Bestellzahlen selten geworden. Der Autor muß lange warten, ehe seine Startauflage verkauft ist Die Bibliotheken, von rigorosen Etatkürzungen gebeutelt, kaufen ebenfalls zögernd ein. Heutzutage können sie nicht mehr entscheidend dazu beitragen, daß neue Bücher schnell ihre Leser finden. Macht ein Buch im ersten Halbjahr nach Erscheinen nicht von sich reden, drängen andere Neuerscheinungen auf den Markt. Der noch neue Titel gilt als alt, wird vergessen. Der Mensch, der ein Buch geschrieben hat, kann wieder von vorn beginnen.

Ein anderes Beispiel:

Weitaus ärger trifft es den Menschen, der sich erkühnt, ein Theaterstück zu schreiben. Hat er es vollendet, geht er auf Suche nach einem Theater, das zum Wagnis einer Uraufführung bereit ist. Seine Chancen sind gering, selbst wenn ein Bühnenverlag die Suche protegiert und dafür bei späteren Aufführungen regelmäßig Prozente einstreicht. Die Theater — wie alle Kulturinstitutionen — leiden unter Etatkürzungen. Die Subventionen sind bestenfalls eingefroren, infolgedessen verringern sie sich von Jahr zu Jahr, denn Licht, Ol, Holz, Farben, Stoffe und Gagen steigen ständig. Das neue Stück, das die Theater möglicherweise gern aufführen möchten, ist ein kaum zu kalkulierendes Risiko. Spielt man Schiller oder Nestroy, weiß das Theater, worauf es sich einläßt, denn solche Stücke, deren Autoren mehr als 70 Jahre tot sind, verschlingen keine Tantieme. Der lebende Autor hingegen kostet, will seinen Anteil. Verantwortungsbewußte Intendanten zögern, ehe sie sich zu einer Uraufführung entschließen.

Die Ansprüche an die neue Dramatik sind hoch, die Welt soll den Atem anhalten. Wann tut sie das schon. Um das Risiko zu verringern, wird die neue Dramatik vorwiegend auf Studiobühnen mit kleinem Zuschauerraum erprobt. Da für die Experimentierbühnen weniger Mittel im Etat vorgesehen sind, gerät alles ein wenig spartanischer als auf den großen Bühnen. Selten kann ein namhafter Regisseur und Bühnenbildner gewonnen werden, natürlich sind die Ausstattungsmöglichkeiten eingeschränkt, auch berühmte Schauspieler haben nicht so sehr große Lust, vor wenig Publikum ihr Können zu präsentieren. Faust oder Hamlet ist den meisten lieber als eine unbekannte Theaterfigur, mit der es so gar keine Erfahrungen gibt.

Tritt der Glücksfall ein, daß das Theater seinen gesamten Produktionsapparat in Bewegung setzt, damit eine Uraufführung das Licht der Öffentlichkeit erblickt, so haben am erfolgreichen Premierenabend alle Beteiligten den Ruhm, alle Theaterleute ihre Einkünfte in der Tasche. Nicht so der Autor. Er muß warten, ob die Kritik das Werk annimmt, ob ein anderes Theater jetzt den Mut zur Aufführung aufbringt, ob demnächst Zuschauer kommen. Auf komplizierten Abrechnungswegen erhält er seine Prozente von den Abendeinnahmen. Wird ein Schauspieler krank, fällt eine Vorstellung aus technischen Gründen aus, kommen wenig Zuschauer, weil die Werbung nicht klappt, so spürt der Autor das als einziger in seiner Geldbörse. Kommt ein Theatertext nach langer Probenzeit nicht zur Premiere, weil irgendwas nicht funktioniert, was überhaupt nichts mit dem Stück zu tun hat, geht nur der Autor leer aus. Alle werden für ihre Arbeit bezahlt, nur der Dramatiker nicht. Das neue Werk bleibt unbekannt, weil ungespielt; die Finanzen des Stückeschreibers bleiben desolat. Erfolgreiche Aufführungen, die von mehreren Theatern auf kleinen Bühnen gespielt werden, bringen dem Dramatiker selten so hohe Einkünfte wie dem Regisseur für diese eine Inszenierung, wie dem Star-Schauspieler in einem Monat Von Gagen, wie sie in Salzburg für die Reproduktion von vorhandenen Aufführungen gezahlt werden, kann selbst der erfolgreichste lebende deutsche Dramatiker nicht einmal träumen.

In den klassischen Künsten — beim Buch, beim Theater — trifft das Risiko allein den Schriftsteller. Das Gesetz der freien Marktwirtschaft gilt nur für ihn, obwohl er so gut wie keinen Einfluß darauf hat, wie sein Werk auf dem Markt plaziert, propagiert, distribuiert wird.

IV.

Kein Mensch wird gezwungen, Schriftsteller zu werden. Wer sich in die freie Marktwirtschaft begibt, muß deren Gesetze akzeptieren. Werden literarische Werke nicht gebraucht — gemeint ist: werden sie nicht verkauft —, verschwinden sie in der Versenkung des Vergessens. Zumindest zunächst. Die Kunst und Literatur kann ihren Wert und Nutzen schwer beweisen. Sie sollte das überhaupt nicht versuchen: »Wers nicht erfühlt, der wird es nie erjagen."

Erlaubt sei die Frage, weshalb Regierungen eine Menge Dinge subventionieren, für die genau so wenig erwiesen ist, daß jemand sie benötigt. Landwirtschaftliche Überproduktion beispielsweise oder die Stahlindustrie, demnächst in Frankreich die Autoindustrie. Arbeitsplätze werden dadurch erhalten oder geschaffen, so heißt es. Im Kulturbereich, in der Druckindustrie nehmen die Arbeitsplätze zunehmend ab. Über Ungerechtigkeit soll hier nicht gejammert werden. Nach der Gleichheit vor dem Gesetz sei gefragt.

Unterstellen wir einmal, ein Apfel und ein Buch wären für «die Menschen draußen im Lande“ gleichermaßen wichtig. Vernichten die Obstbauern ihre Apfelernte, erhalten sie eine Ausgleichszahlung der Europäischen Gemeinschaft. Tun das die Obstbauern im Werra-Meißner-Kreis nicht, verschenken sie ihre Äpfel an Studenten der Gesamthochschule Kassel und der Universität Göttingen, bekommen sie ebenfalls ihr Geld. Man sollte Bücher schreiben und drucken, anschließend dafür Geld kassieren, weil man sie nicht auf den Buchmarkt bringt Man sollte die Bücher daraufhin an Studenten verschenken und ebenfalls dafür kassieren. Das schafft Arbeitsplätze und kurbelt das geistige Leben an.

übertragbar ist ebenso das Modell der soge-nannten „Milchrente“. Damit der Butterberg nicht weiter wächst, erhalten 24 000 Bauern der Bundesrepublik — man vermutet, es wer-den dieses Jahr noch mehr — Geld dafür, daß sie keine Milch produzieren. Allerdings ist der Betrag auf 150 000 DM je Landwirt pro Jahr, begrenzt. Wer gibt einem Schriftsteller jährlich 150 000 DM, damit er kein Buch auf den Markt bringt? Der Schriftsteller bekommt — wenn er Glück hat — irgendwann einen Preis für seine verdienstvolle Tätigkeit, meist dotiert auf 10 000 DM. Hat er diesen Preis einmal, bekommt er ihn nie wieder. Die Summe ist nicht hoch genug, um ein Jahr davon zu leben und ein geplantes Werk vorzufinanzieren. Ein Almosen, das aber den Anschein beim Laien erweckt, als kassierten Schriftsteller ständig ohne Gegenleistung. Weder als Kleinstunternehmer noch als Produzent von Waren, deren Nutzen nicht erwiesen ist, wird der Schriftsteller bevorteilt wie andere Unternehmer und Produzenten. Innerhalb des Kulturbetriebs rangiert er auf unterster Stufe, wird ihm das Risiko aufgebrummt, das sonst niemand wirklich trägt. Arbeitet er für die Medien, wird er nicht behandelt wie andere Arbeitnehmer in diesem Institut, denn sein Einkommen ist ungesichert; gezahlt wird nie, wenn er seine Arbeit abliefert, sondern Monate später. Die glückliche Tatsache, daß dennoch immer wieder mannigfaltige Literatur in der Bundesrepublik entsteht, ist nicht auf großzügige Förderung zurückzuführen. Obwohl die Arbeitsbedingungen der schreibenden Zunft unvergleichlich schlechter sind als die aller anderen Zünfte, bleiben die „armen Poeten" zäh am Werk. Nur Ignoranten unterstellen, daß solche Lebensumstände aktivierend sind.

V.

Der Zwiespalt „Markt oder Ewigkeit“ begleitet den Schriftsteller ein Leben lang. Von Lyrik können anerkannt gute Lyriker nicht leben. Von Schlagertexten können anerkannt banale Texter sehr gut leben. So ist die Versuchung, etwas zu schreiben, was Geld, aber wenig Ehren bringt, ein Existenzmerkmal des Schriftstellers. Läßt er sich beispielsweise zu häufig auf die „schnelle Mark" im Trivialsektor ein, verliert er seine Sensibilität für künstlerisch tiefe Gestaltung. Läßt er sich nie auf den Kulturbetrieb, auf modische Tendenzen, auf publizistische Angebote ein, gilt er als Don Quichotte. Ihm wird nachgesagt, er sei ohne Sinn für Realitäten. Normal ist, daß der Schriftsteller lebt und arbeitet in einem Zwiespalt, den ihm die Gesellschaft auf-B zwingt. Er kann weder das ungestört tun, was er zu tun für richtig hält; ebensowenig kann er immer das tun, was die verschiedensten Seiten von ihm verlangen. Jedes Bild, das von ihm gezeichnet wird, ist unstimmig, weil es von einseitigen Vorstellungen ausgeht. Der Poet muß es ertragen, sowohl von der Geisteswelt — der Wissenschaft und dem Feuilleton beispielsweise — als auch von der Wirtschaftswelt von oben herab beurteilt zu werden, gönnerhafte Ratschläge zu bekommen — Ratschläge, die er nicht befolgen noch verwerfen kann. Seine Realität ist eine besondere. Sie ist nicht einmal vergleichbar mit der anderer Künstler wie Schauspieler, Sänger, Musiker, Dirigenten, Regisseure. Er ist einsamer als diese Einsamen. Wen wundert es, wenn die ernst zu nehmende Literatur der Bundesrepublik infolgedessen mit einem traurigen und einem bösen Auge auf die Gesellschaft blickt Wen wundert es, wenn der Schriftsteller die Vorzüge „der Wende“ so gar nicht erkennen kann. Er fühlt statt dessen zunehmend die Bedrohung der Welt und zunehmend die Bedrohung seiner Existenz. Als kleiner Unternehmer katalogisiert ist er nicht förderungswürdig wie beispielsweise die Bauern. Als Geschäftsmann hat er sehr geringen Einfluß darauf, was mit seinen Produkten auf dem Markt geschieht Als geistiger Mensch gilt er nichts; niemand gibt ihm Lohn noch Brot nach Tarif wie beispielsweise einem Hochschullehrer oder Forscher. Im Ensemble der Künste wird seine Kunst zwar nicht geleugnet; sie gilt jedoch weniger als die eines Schlagerstars, Chefdirigenten oder Fernseh-Kommissars. Die gesamte Gesellschaft beschneidet täglich die Lebensfähigkeit ihrer Literatur und schneidet sich damit ins eigene Fleisch...

Fussnoten

Weitere Inhalte

Irene Böhme, geb. 1933; Buchhändlerin; Studium der Journalistik und Theater-wissenschaft in Leipzig; Redakteurin und Ressortleiterin bei der kulturpolitischen Wochenzeitung SONNTAG, Berlin (Ost); Dramaturgin an der Volksbühne am Luxemburgplatz Berlin(Ost); seit 1980 in West-Berlin als Dramaturgin an den Staatlichen Schauspielbühnen Berlins tätig. Veröffentlichungen: Essays, Fernsehkritiken, Theaterkritiken, u. a. für die „Süddeutsche Zeitung", Hörspiele, Buchveröffentlichung: „Die da drüben — Sieben Kapitel DDR", Berlin 1982.