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Der Frankfurter Wirtschaftsrat 1947— 1949 Weichenstellungen für das politische Kräftefeld und die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland | APuZ 37/1984 | bpb.de

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APuZ 37/1984 Artikel 1 Blockpolitik und Parteiensystem in der SBZ/DDR 1945-1950 Volksdemokratie für Deutschland?. KPD und SED zwischen gesamtdeutscher Option und „sozialistischem Lager" 1945— 1950 Die Deutsche Wirtschaftskommission in der SBZ 1947-1949. Ihre Rolle bei der Herausbildung der Wirtschaftsund Staatsorganisation Der Frankfurter Wirtschaftsrat 1947— 1949 Weichenstellungen für das politische Kräftefeld und die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland

Der Frankfurter Wirtschaftsrat 1947— 1949 Weichenstellungen für das politische Kräftefeld und die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland

Uwe Uffelmann

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Zusammenfassung

1. Die Bonner Regierungskoalition vom Herbst 1949 entstand nicht erst aufgrund des Bundestagswahlergebnisses, sie existierte im Frankfurter Wirtschaftsrat seit Sommer 1947 und war seitdem in diesem . Vorparlament'der Bundesrepublik bestens erprobt und für eine lange Regierungsdauer gerüstet. Die SPD übernahm 1949 nicht erst erzwungenermaßen aufgrund des Wahlergebnisses die Rolle der parlamentarischen Opposition; sie hatte sie fast freiwillig seit Sommer 1947 im Wirtschaftsrat inne. Während dieser Zeit präformierte sie den konstruktiven Charakter der parlamentarischen Opposition im Deutschen Bundestag, begab sich dabei aber der Möglichkeiten, die Wirtschaftsordnung des neuen Staates maßgeblich zu bestimmen. 2. Die Amerikaner und Briten schufen in der Bizone eine deutsche Wirtschaftsverwaltung, der sie seit Mitte 1947 einen parlamentarischen Charakter gaben und wachsende Kompetenzen verliehen, ohne die Genehmigungs-und Kontrollfunktion des Bipartite Board im geringsten zu mindern. Auf dieser Grundlage wurde, bevor man im Grundgesetz die Wirtschaftsordnung des neuen Staates offenzulassen beschloß, im Wirtschaftsrat die an neoliberalen Grundsätzen orientierte Wirtschaftsordnung.der Bundesrepublik de facto festgelegt und in ersten Schritten erprobt. 3. Diese Wirtschaftsordnung wurde maßgeblich vom parteilosen Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, in Umsetzung neoliberalen Gedankengutes veranlaßt und eigenwillig — auch gegenüber den Besatzungsmächten — im Zuschnitt auf die westdeutsche Situation auf den Weg gesetzt und ausgestaltet Sie war in dieser Ausprägung nicht das Programm der CDU/CSU. Erhard gab der Union gleichsam das Konzept und machte damit ihren Erfolg von 1949 überhaupt erst möglich.

I. Die Fragestellung

Nachdem sich inzwischen die Thesen von einer . Verhinderten Neuordnung und einem . Erzwungenen Kapitalismus als nicht haltbar erwiesen haben, die Weichenstellungen der Nachkriegsjahre in Westdeutschland angemessen in den Griff zu bekommen, und auch die Antithese . Restauration — Neuordnung'kein brauchbares Instrumentarium geliefert hat, ist das Interesse an den Handlungsspielräumen deutscher Politik in jüngster Zeit stärker in den Vordergrund gerückt So fragte beispielsweise Dörte Winkler 1979, „ob den deutschen Politikern und Gewerkschaftlern in Fragen der Sozialisierung und vielleicht auch der Mitbestimmung von Washington aus nicht ein größerer Spielraum zugestanden wurde, als ihnen damals bewußt war“ Im Hinblick auf das Ringen der westdeutschen gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte wurde die Art des Beziehungsgefüges von Wiederherstellung/Weiterentwicklung positiv erfahrener Wirklichkeiten der Weimarer Republik und Schaffung neuer demokratischer Qualitäten im wirtschaftlich-gesellschaftlichen Bereich während des Formierungsprozesses der Bundesrepublik Deutschland bereits 1982 vom Verfasser in dieser Zeitschrift untersucht. Dabei wurde deutlich, daß sich schon in den ersten Nachkriegsjahren wiederholt Handlungsspielräume eröffneten, die nur zum Teil erkannt und genutzt wurden, zuweilen — etwa bei der Bodenreform in der britischen Zone — auch anders als von vielen damals erwartet

Im Anschluß an diese Untersuchung soll nunmehr nach den von deutschen Kräften im Frankfurter Wirtschaftsrat seit 1947 veranlaßten bzw. bewußt oder unbewußt geförderten Weichenstellungen für die Wirtschaftsordnung und das politische Kräftefeld der Bundesrepublik gefragt werden, d. h. nach den Handlungsspielräumen an einem Ort und zu einer Zeit, da Gelegenheiten für fundamentale Entscheidungen nicht vorhanden zu sein schienen.

Erstaunlicherweise scheinen wichtige Arbeiten mit neuen Erkenntnissen einem breiteren Publikum bisher nicht genügend vertraut, was auch G. Müller u. a. veranlaßt haben mag, seine 1977 abgeschlossene Dissertation 1982 doch noch für einen größeren Leserkreis zu publizieren. Unter Hinweis auf die seit 1977 erschienene Literatur merkt er an, daß für sie die Arbeit des Wirtschaftsrates bzw.der von ihm selbst herausgearbeitete „Zusammenhang derselben mit den wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Entscheidungsträger einerseits und der die Entscheidungen sanktionierenden Wahl im Jahre 1949 andererseits“ kein zentraler Punkt sei Der trotz der neuesten Beiträge von W. Benz und T. Eschenburg immer noch geringe Bekanntheitsgrad des Sachverhalts mag aber auch daran liegen, daß die gewonnenen Einsichten bisher nicht genügend akzentuiert und in ihrer Bedeutung für das System der Bundesrepublik noch nicht ausreichend gewichtet worden sind. Im folgenden soll versucht werden, diesem Mangel abzuhelfen, auch wenn bekanntlich zusammenfassende Akzentuierungen komplexer Sachverhalte den Gefahren von Vereinfachungen ausgesetzt sind.

Zum besseren Verständnis dieser Arbeit sei hier aus der bereits erwähnten eigenen Untersuchung kurz festgehalten, daß 1.der wirtschaftliche Aufschwung Westdeutschlands als Voraussetzung des . Wirtschaftswunders'entgegen der immer noch herrschenden Auffassung während der Zeit des Frankfurter Wirtschaftsrates aus eigenen Kräften, d. h. ohne nennenswerte Hilfe von außen, bereits in vollem Gang war, und daß 2. Währungsreform und Marshallplan folglich nicht die alleinigen Treibsätze des Starts in das Wirtschaftswunder gewesen sind, vielmehr nur — dies allerdings mit Vehemenz — die zweite Phase des Aufschwungs eingeleitet haben.

An dieser Stelle geht es um folgende Befunde und Fragen:

1. Die Bonner Koalition vom Herbst 1949 entstand nicht erst aufgrund des Bundestags-wahlergebnisses, sie existierte im Frankfurter Wirtschaftsrat bereits seit Sommer 1947 und war seitdem in diesem . Vorparlament'der Bundesrepublik bestens erprobt und für eine längere Regierungsdauer gerüstet. Die SPD andererseits übernahm 1949 nicht erst erzwungenermaßen aufgrund des Wahlergebnisses die Rolle der parlamentarischen Opposition. Sie hatte sie fast freiwillig seit Sommer 1947 im Wirtschaftsrat inne. Während dieser Zeit präformierte sie den konstruktiven Charakter der parlamentarischen Opposition im Deutschen Bundestag, begab sich dabei aber der Möglichkeiten, die Wirtschaftsordnung des neuen Staates maßgeblich zu bestimmen. Damit stellt sich die Frage nach den Umständen dieser frühen Weichenstellung. 2. Die Amerikaner und Briten schufen in der Bizone eine deutsche Wirtschaftsverwaltung, der sie seit Mitte 1947 einen parlamentarischen Charakter gaben und wachsende Kompetenzen verliehen, ohne die Genehmigungsund Kontrollfunktion ihres Bipartite Board im geringsten zu mindern. Auf dieser Grundlage wurde, bevor man im Grundgesetz die Wirtschaftsordnung des neuen Staates offenzulassen beschloß, im Wirtschaftsrat die an neoliberalen Grundsätzen orientierte Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik de facto festgelegt und in ersten Schritten erprobt. Zu fragen ist demnach nach politischen wie wirtschaftsund gesellschaftskonzeptionellen Bedingungen des Handlungsspielraums des Wirtschaftsrates.

3. Diese bundesrepublikanische Wirtschaftsordnung wurde maßgeblich vom . parteilosen Direktor der Verwaltung für Wirtschaft, Ludwig Erhard, in Umsetzung neoliberalen Gedankengutes veranlaßt und eigenwillig — auch gegenüber den Besatzungsmächten — im Zuschnitt auf die westdeutsche Situation auf den Weg gesetzt und ausgestaltet. Sie war in dieser Ausprägung nicht das Programm der CDU/CSU. Erhard gab der Union gleichsam das Konzept; sie nahm es dankbar an und machte damit ihren Erfolg von 1949 überhaupt erst möglich. Zu fragen ist daher nach diesem Konzept und den Umständen seiner erfolgreichen Ingangsetzung.

II. Umstände früher Weichenstellungen für das politische Kräftefeld

Die Einrichtung der Bizone zum 1. Januar 1947 erfolgte mit dem Ziel, die wirtschaftliche, nicht aber die staatliche Selbständigkeit des Gebietes bis 1949 zu erringen. Bereits im Herbst 1946 waren zu diesem Zweck fünf voneinander unabhängige deutsche bizonale Auftragsverwaltungen geschaffen worden, die über die Großzone verteilt wurden. Das , bizonale Interregnum begann mit großen Schwierigkeiten der Koordinierung der unterschiedlichen Strukturen beider Zonen, mangelnden deutschen Kompetenzen (keine Befugnis zu Rechtsetzungsakten, fehlende demokratische Kontrolle), aber auch unterschiedlichen Zielvorstellungen von Besatzern und Deutschen einerseits wie der Deutschen untereinander. „Die Alliierten hatten bei der Verschmelzung ihrer Zonen an eine ökonomische Sofortmaßnahme zur Linderung der Not gedacht, die Deutschen zeigten indes großes Interesse an Grundsatzfragen, erörter-ten verfassungsrechtliche Prinzpien beim Aufbau der Zonenämter, die lediglich wirtschaftliches Krisenmanagement betreiben sollten, und diskutierten dort Probleme einer künftigen Wirtschafts-und Gesellschaftsordnung. Amerikaner und Engländer hatten akute ökonomische Schwierigkeiten mit Hilfe deutscher Auftragsverwaltungen in den Griff bekommen wollen, für die Deutschen stand der Wiederaufbau ihrer Staatlichkeit im Vordergrund.“ Dabei aber gab es keine Einigkeit zwischen den deutschen Kräften. Vielmehr rang man um föderalistische und zentralistische Prinzipien ebenso miteinander wie um unterschiedliche gesellschaftspolitische Vorstellungen. Indem es der SPD im Januar 1947 gelang, die Leitung des Mindener Verwaltungsamtes für Wirtschaft, der Zentrale des aus den Wirtschaftsministern der Länder bestehenden Verwaltungsrates für Wirtschaft, durch den Sturz des parteilosen hessischen Wirtschaftsministers Rudolf Müller mit ihrem an gelenkter Wirtschaft und neuer Wirtschaftsdemokratie orientierten wirtschaftspolitischen Cheftheoretiker Viktor Agartz zu besetzen, wurde der in den Landtagen praktizierte Grundsatz der Parteienkooperation auf bizonaler Ebene erstmals in Frage gestellt Dies führte zu einem geschlossenen Auftreten der CDU und einer Stärkung ihrer liberalen Kräfte gegenüber den christlichen Sozialisten, so daß mit einem Anfangserfolg der SPD ein Ringen begann, das mit einem Sieg der bürgerlichen Kräfte enden sollte.

Am 29. Mai 1947 beschlossen Briten und Amerikaner die Neugestaltung der bizonalen Wirtschaftsverwaltung. Neben einem von den Landtagen zu wählenden Wirtschaftsrat mit legislativen Befugnissen (Wirtschaftsparlament) sollte ein Exekutivrat aus je einem Vertreter jeder Landesregierung treten. Die Leitung der Einzelverwaltungen sollte an vom Exekutivausschuß vorzuschlagende und vom Verwaltungsrat zu ernennende Direktoren übertragen werden. Das damit verfolgte Ziel formulierte General Clay am 2. Juni 1947: „Nevertheless we have not been willing to unify the American and British Zones politically in the fear that it might be harmful to the early unification of Germany as a whole. Thus, the agreement which we have reached still does not provide for political unification of the American and British Zones. On the other hand, within the field of economy, and under strictly defined powers, it does provide an arrangement where the views of the German people can be given to the American and British Military Government on the economic policies to be followed by the two governments.“ Damit wurde die Begrenzung der Kompetenzen des in Frankfurt/M. angesiedelten Wirtschaftsrats deutlich. Das Bipartite Board als Zweimächteamt zur Förderung der wirtschaftlichen Kooperation fungierte als entscheidende Zustimmungs-und Kontrollinstanz für dessen Gesetzgebung.

Am 25. Juni 1947 konstituierte sich der Wirtschaftsrat in der Frankfurter Börse mit 52 von den Landtagen gewählten Mitgliedern (CDU/CSU und SPD je 20, DVP/FDP 4, KPD 3, Zentrum und DP je 2, WAV 1). Schon die erste Direktorenwahl am 23. /24. Juli 1947 brachte eine Weichenstellung, die sich als folgenschwer erweisen sollte, und beendete dadurch das bereits im Januar begonnene Tauziehen um die entscheidenden Positionen mit einem vollständigen Verzicht der SPD auf die fünf Direktorenposten bzw. einem vollständi-gen Sieg der bürgerlichen Seite Vorausgegangen war ein einstimmiger Vorschlag des Exekutivrats — sechs von acht Mitgliedern gehörten der SPD an —, der für jedes Direktorenamt einen Kandidaten vorsah (3 SPD, 2CDU/CSU). Als die CDU/CSU dem Vorschlag, den niedersächsischen Wirtschaftsminister Alfred Kubel zum Direktor der Verwaltung für Wirtschaft zu erheben, in der parlamentarischen Aussprache mit dem Argument widersprach, die SPD habe bereits die Wirtschaftsressorts aller Länder inne spitzte sich der Konflikt mit der Gegenargumentation des sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden Erwin Schöttle zu: „Aus wirtschaftspolitischen und nationalpolitischen Überlegungen muß die Sozialdemokratie, die infolge ihrer Stellung in der deutschen und in der internationalen Politik eine große Verantwortung auf sich ruhen hat, darauf bestehen, daß ihr die Möglichkeit gegeben wird, an der Spitze des Amtes für Wirtschaft zu beweisen, daß sie die Männer und die Ideen hat, um ihren wesentlichen Beitrag zum Neubau unserer Wirtschaft zu leisten... Es gibt reichlich Gründe in der Vergangenheit dafür, warum wir einen größeren Einfluß in die Gestaltung des Wirtschaftslebens ausüben wollen"

Durch diese Kampfansage wurde der Exekutivrat veranlaßt, neue Vorschläge zu machen. Zwar sah er jetzt je zwei Kandidaten für jedes Amt vor, doch gehörten diese jeweils derselben Partei an. Bei der Abstimmung über die Besetzung eines Direktors der Verwaltung für Wirtschaft erlitt die SPD eine Niederlage. Kubel erhielt nur 21 Stimmen. Spontan reagierte der Fraktionsvorsitzende Schoettle, indem er überraschend die anderen sozialdemokratischen Kandidaten aufforderte, ihre Kandidatur zurückzuziehen. Er erklärte: „Die sozialdemokratische Fraktion wird der Tatsache ins Auge zu sehen haben, daß infolge der Mehrheit, die in diesem Hause besteht, die Besetzung der Direktorate einen einseitigen politischen Charakter tragen wird.“

Im neuen Vorschlag des Exekutivrates war kein Sozialdemokrat mehr vorhanden. Die SPD ging in die Opposition und schuf dadurch Mehrheiten, die vorher — auch bei der Wahl Kubels — noch gar nicht so eindeutig gefestigt waren, wie sie offensichtlich vorschnell annahm. Diese Konsequenz entsprach nicht dem Ziel der CDU/CSU-Politik. Sie wollte nur das Wirtschaftsressort, beabsichtigte aber prinzipiell nicht, das in den Ländern praktizierte Kooperationsprinzip auf Koalitionsbasis zu verlassen. Adenauer hatte der SPD immerhin das Direktorat für Wirtschaft angeboten, sofern sie auf drei Länderwirtschaftsministerien verzichten würde, obwohl er klare Verhältnisse und die jetzt erfolgte Entscheidung bevorzugte. Damit waren die Mehrheitsverhältnisse im Wirtschaftsrat mit Hilfe der SPD auf ein Gleis gesetzt, das sonst so eindeutig und so schnell kaum befahren worden wäre. Die SPD hob durch ihre Haltung die bürgerliche Koalition gleichsam aus der Taufe. Das Ringen war beendet Als der Wirtschaftsrat nach seiner Umbildung (Erweiterung auf 104 Abgeordnete und Bildung eines Länderrates mit 24 Vertretern der Länderregierungen) am 2. März 1948 neue Direktoren wählte, wurde nicht mehr gerungen. Bis auf den parteilosen Ludwig Erhard, der Direktor der Verwaltung für Wirtschaft wurde, besetzte die CDU/CSU alle Direktorenposten und das neugeschaffene Amt des koordinierenden Oberdirektors (Hermann Pünder). Die SPD hatte schon auf ihrer Fraktionssitzung vom 17. bis 19. Februar 1948 beschlossen, auch im 2. Wirtschaftsrat in der Opposition zu bleiben, aber wie schon vorher zu konstruktiver Mitarbeit bereit zu sein.

Im 2 bis 19. Februar 1948 beschlossen, auch im 2. Wirtschaftsrat in der Opposition zu bleiben, aber wie schon vorher zu konstruktiver Mitarbeit bereit zu sein.

Im 2. Wirtschaftsrat wurden die Gesetzgebungskompetenzen bei aller generellen Begrenzung auf neue Bereiche ausgedehnt Im Sommer wurde zusätzlich die Verwaltung für Arbeit eingerichtet und mit Anton Storch (CDU) besetzt 13). Mit der Bank Deutscher Länder wurde darüber hinaus eine gesonderte Instanz für das Währungs-, Kredit-und Bankwesen geschaffen, ebenso wurde ein Obergericht gestattet. Trotz der strengen Kontrollen und Eingriffe der Alliierten, die sich bis zum Übergang des Vereinigten Wirtschaftsgebiets in die Bundesrepublik eher verstärkten 14), war mit der Neugestaltung der Wirtschaftsverwaltung im Sommer 1947 ein Handlungsrahmen für die Deutschen geschaffen worden, der durchaus Raum für eigene Initiativen geben konnte, sofern man bereit war, in der Institution nicht nur ein den Deutschen aufgezwungenes und sowieso nur vorläufiges entscheidungsuntüchtiges Befehlsinstrument der Alliierten zu sehen. Die Haltung der SPD bereits in den ersten Direktorenwahlen wie auch bei der zweiten Besetzung der Ämter läßt das Fehlen dieser Bereitschaft erkennen, was sicher u. a. damit erklärbar ist, daß dem Katalog der Zuständigkeiten des Wirtschaftsrates vor allem die „heiß umstrittenen Fragen der Unternehmensstruktur: Sozialisierung, Dekartellisierung, Entflechtung, Demontage" fehlten 15).

Der Wirtschaftsrat beschloß in den beiden Jahren seines Bestehens in fortschreitender Arbeitsintensität 171 Gesetze. Nicht alle erlangten Gültigkeit, weil sie am Länderrat scheiterten oder von den Militärregierungen abgelehnt wurden; immerhin aber blieben 131 Gesetzgebungsakte auch für die Bundesrepublik gültig, Beweis genug für die wachsende Handlungsfähigkeit dieser bei weitem nicht von allen deutschen politischen Kräften unterschätzten Institution 16).

III. Politische Bedingungen des Handlungsspielraums

Im Wirtschaftsrat erwies sich die Realitätsbezogenheit der CDU/CSU als wichtiger Nährboden für vorsichtige innovatorische Schritte im Rahmen des damals Möglichen. Die Union erkannte von Anfang an die Chancen der neuen Institution, deren Kompetenzen erheblich über die den deutschen Stellen bisher zugestandenen hinausgingen, und nutzte diese von Anfang an. Adenauer, der — wie Schumacher bei der SPD — persönlich dem Wirtschaftsrat nicht angehörte, verstand diesen „nicht als Verwaltungsorganisation, sondern als politisches Instrument, das dazu dienen konnte, mit einer . parlamentarischen Mehrheit die eigenen politischen Vorstellungen gegenüber dem Gegner durchzudrücken ... Hier wird die von Anfang an bestehende Realitätsbezogenheit der CDU deut-lieh, und in der Folge daraus ein realitätsbezogener Pragmatismus, der das Wünschbare an der realen Situation mißt und zum Machbaren reduziert." 17)

Dazu trat als weiterer gewichtiger Bedingungsfaktor für die Nutzung der realen Möglichkeiten die Tatsache, daß der Kompromiß des Aalener Progamms der noch sehr heterogenen, im Unterschied zur SPD noch wenig geschlossenen CDU über wirtschaftspolitische Ziele noch kein realisierbares Konzept zugelassen hatte. Im Klartext bedeutete dies: Die CDU/CSU-Fraktion im Wirtschaftsrat besaß kein in die Tat umsetzbares wirtschaftspolitisches Programm. Sie war auf der Suche* und damit offen für ein pragmatisches Konzept, das ihr schließlich der parteilose Ludwig Erhard lieferte. Die Chance, ein derartiges Konzept nicht nur anzunehmen, sondern auch zum Erfolg zu führen, wurde von der dogmatischen Haltung der SPD begünstigt Deren Führungsanspruch verband sich mit einer Geringschätzung der neuen Institution und der Möglichkeit, durch kleine Schritte dem eigenen Ziel näherzukommen. Kurt Schumachers Einschätzung der ersten Direktorenwahl verdeutlicht dies: „Die Sozialdemokratie kämpft unbeirrbar um Demokratie und Sozialismus. Für sie ist die Entscheidung von Frankfurt ein Provisorium in einer Kette von Provisorien. Bald wird das heutige Provisorium zugunsten einer sozialistischen Entwicklung überwunden sein.“

Dieses Provisorium wurde jedoch zur Vorstufe der Bundesrepublik Deutschland und setzte Maßstäbe, welche die SPD, die in dieser Zeit ebenfalls kein realisierbares wirtschaftspolitisches Konzept hatte und sich wie die Union auf der Ebene der programmatischen Glaubensbekenntnisse bewegte, nie mehr beseitigen konnte. Indem sie sich zudem von den Schaltstellen des Wirtschaftsrates ausschloß, spielte sie der gegnerischen Seite den Ball leichtfertig zu. Hinter ihrer Geringschätzung der bizonalen Institutionen stand die von Schumacher akzentuierte Auffassung, daß die Siegermächte, solange sie den Deutschen nicht die volle Verfügungsgewalt über sich zurückgäben, auch die volle Verantwortung trügen, und daß, solange die Deutschen nicht selbst entscheiden könnten, sie folglich ebensowenig Vorentscheidungen über das zukünftige wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische System eines deutschen Staates zu fallen vermöchten. Das sozialistische Definitum nach dem Provisorium des Wirtschaftsrates erwartete Schumacher vom Ergebnis der ersten Wahl eines deutschen Parlaments. Er zweifelte nicht an einem Sieg der SPD und dachte nicht daran, daß zukünftige Wahlen auch davon mitbestimmt werden könnten, was bis dahin . provisorisch'noch erfolgen würde. Vergleicht man das Verhalten der SPD mit dem der Union, „so wird hier der Mangel an Realitätssinn deutlich, der die SPD zur Zeit des Wirtschaftsrates und darüber hinaus kennzeichnet: über das gewünschte Fernziel (. Demokratie und Sozialismus) werden die naheliegenden, wenn auch ungewollten Realitäten und Möglichkeiten in ihrer Beziehung zu diesem Ziel falsch eingeschätzt"

Das betraf auch die Realitäten, die den Wirtschaftsrat überhaupt erst möglich gemacht haben. Zu ihnen gehörten der sich zum Kalten Krieg verschärfende Ost-West-Gegensatz, der Deutschland 1947 zum Konfliktfeld Nummer Eins werden ließ, die zunehmende Dominanz der USA im westlichen Lager gegenüber den ökonomisch immer schwächer werdenden europäischen Verbündeten und schließlich die spezifische Lage in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands zwischen Versorgungsnot der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern einerseits und dem in der Bizone sich vollziehenden, nicht auf einer Stunde Null beruhenden, wirtschaftlichen Aufschwung andererseits.

Während die Zeit der Errichtung der Bizone durch ein Nachlassen der Kooperationsbereitschaft der USA mit der UdSSR, aber noch nicht durch die spätere Konflikthaltung gekennzeichnet war, wurde zur Zeit des 1. Frankfurter Wirtschaftsrates der entscheidende Schritt in den Kalten Krieg bereits getan, der die Entscheidungen über die bizonale Ordnung zwangsläufig beeinflußte. Seit die Containment-Entscheidung mit der während der Moskauer Außenministerkonferenz am 12. März 1947 verkündeten Truman-Doktrin manifest geworden war und die UdSSR den Konflikt mit der Ausschaltung der ungarischen Mehrheitspartei angenommen hatte wurden in West und Ost alle Probleme, die vorher in einem breiteren Interpretationsund Handlungsspielraum gestanden hatten, durch die Konfliktbrille gesehen: So auch die deutsche Frage, die nicht etwa den Anlaß zum Kalten Krieg gegeben hatte, nach dessen Ausbruch'jedoch zentral wurde.

Im Frühjahr 1947 begann der Ausbau der auf den Konflikt hin bezogenen Positionen in Richtung Blockbildung. Für die Bizone bedeutete dies ein Anheben der Funktionstüchtigkeit auch der deutschen Zonenbehörden, ohne daß damit sofort der Aufbau eines westdeutschen Staates verbunden sein mußte. Zentrales Ziel der USA blieb zunächst die wirtschaftliche Absicherung ihres Einflußbereichs in Europa, dokumentiert durch die Harvard-Rede von Außenminister Marshall am 5. Juni 1947 unmittelbar nach der am 29. Mai 1947 verkündeten Schaffung des Frankfurter Wirtschaftsrates auf parlamentarischer Basis. Dabei gingen die USA von der Überlegung aus, daß die wirtschaftliche Besserstellung der Bevölkerung radikalen (kommunistischen) Orientierungen, von denen die Sowjetunion profitieren könnte, keinen Raum lassen würde. Ihre Erfahrungen mit der seit 1945 im Auftrieb befindlichen westdeutschen Wirtschaft und der schnellen Überwindung der Krise des Winters 1946/47 mit letztlich technischen Mitteln (Überwindung des Verkehrsengpasses, Maßnahmen zur Leistungssteigerung im Kohlebergbau, Verschärfung der Kontrolle der landwirtschaftlichen Ablieferungen) ließen sie die ordnungspolitischen Faktoren (Sozialisierung, Bodenreform) für wirtschaftliche Erfolge in Westdeutschland geringer veranschlagen, so daß sie — ebenfalls im Sömmer 1947 — die Briten zu einem Sozialisierungsaufschub um fünf Jahre veranlaßten. Die Leistungssteigerung der Wirtschaft hatte auch ohne Sozialisierung funktioniert. Um so eher konnte man dem eigenen demokratie-theoretischen Grundsatz folgen, derartige Basisentscheidungen den betroffenen Deutschen später selber zu überlassen. Daß die USA der Sozialisierung durchaus nicht so ablehnend gegenüberstanden und den westlichen demokratischen Sozialismus als Partner zu akzeptieren bereit waren, hat D. Winkler eindrucksvoll dokumentiert -Für die deutschen Interessenten an der Sozialisierung barg ein derartiger Aufschub allerdings das Risiko, daß inzwischen Weichen gestellt werden könnten, die eine Sozialisierung später möglicherweise als nicht mehr wünschenswert erscheinen lassen würden.

Im Unterschied zu den Spielräumen in den Ordnungsfragen der Wirtschaft, die sie den Deutschen grundsätzlich zu geben bereit waren, ließen die USA nicht erkennen, daß sie ein prinzipiell von dem ihren System der politischen Demokratie unterschiedenes akzeptieren würden. So wie ihnen die Demokratie im politischen Bereich grundsätzliches Anliegen war, veranlaßten sie nun auch in der Bizone eine Parlamentarisierung der primär zur ökonomischen Leistungssteigerung eingesetzten deutschen Wirtschaftsverwaltung und schufen damit eine wichtige Voraussetzung dafür, daß die wirtschaftspolitischen Entscheidungen dieses Wirtschaftsrates für die Zukunft des nicht kommunistischen Deutschland tragfähig werden konnten. Diese Verbindung von Kompetenzerweiterung deutscher Stellen auf zonenübergreifender Ebene im ökonomischen Bereich mit gleichfalls zonen-sprengenden Rechten parlamentarischer Demokratie in einer Art vorstaatlichem Wirtschaftsparlament identifizierte die CDU/CSU als politischen Handlungsrahmen zukunftsträchtiger Qualität, während die am Maximalziel orientierte SPD den Wirtschaftsrat nur als ein bald wieder überholtes Provisorium einschätzte. Da Strukturveränderungen der Wirtschaftsordnung nach sozialdemokratischen Vorstellungen wie nach der Vorstellung des christlichen Sozialismus seit Mitte 1947 also nicht unmittelbar möglich waren, mußten sich im gesetzten Rahmen der bizonalen Wirtschaftsverwaltung die ordnungspolitischen Überlegungen, zu denen die Deutschen ungeachtet der begrenzten Kompetenzen dieses Gremiums kommen mußten, auf andere Bereiche verlagern. Mit der Auslotung des politischen Kräftefeldes durch den Über-gang der Initiative in allen Einzelverwaltungen auf das bürgerliche Lager wurde anschließend liberalem Gedankengut ein breiterer Weg in den Wirtschaftsrat gebahnt als demokratisch-sozialistischem. Dieses Gedankengut stand im jungen Neoliberalismus bereit und war — wie die vorgenannten Faktoren — Teil der Bedingungen des Handlungsspielraumes, innerhalb dessen die wirtschaftspolitischen Weichenstellungen der späteren Bundesrepublik erfolgten Grundfragen der freiheitlichen Existenz des Menschen betreffend, wurde das neoliberale Gedankengut zugleich Fundament einer generellen geistigen Weichenstellung weiter Teile der westdeutschen Bevölkerung

IV. Wirtschafts-und gesellschaftskonzeptionelle Bedingungen des Handlungsspielraums

Aus Raumgründen kann hier nicht ausführlich auf die Wirtschafts-und gesellschaftskonzeptionellen Bedingungen des Handlungsspielraums des Wirtschaftsrats eingegangen werden. Wegen des Bekanntheitsgrades des neoliberalen Gedankengutes kann hier aller-dings auch darauf verzichtet werden, wenngleich in vielen Darstellungen das Bild vom Menschen in den beiden neoliberalen Strö-mungen nicht genügend herausgearbeitet wird. Dies wurde von M. Wulff in seinem Buch „Die neoliberale Wirtschaftsordnung“, Tübingen 1976, geleistet, der den Unterschied des Menschenbildes des individualistischen Neoliberalismus, dem der Ordoliberalismus zugeordnet ist, und des dialektischen Neoliberalismus, dem die Theoretiker der Sozialen Marktwirtschaft zugehören, präzisiert: 1. Der individualistische Neoliberalismus (individuelle Freiheit als alleiniger Wert) zweifelt daran, daß der über Eigentum verfügende freie Mensch auch über die moralischen Qualitäten verfügt, die ihn zu sozialem Verhalten veranlassen, und fordert folglich eine nach dem Gleichgewichtsprinzip ausgerichtete Gesellschaftsverfassung, die auch die Wirtschaftsordnung umfaßt, für die nicht die Inhalte, sondern die Formen des Wirtschaftsprozesses in der Herstellung eines funktionstüchtigen Preissystems vollständiger Konkurrenz festgelegt werden; 2.der dialektische Liberalismus (Partizipation des Menschen an der diesseitigen wie der jenseitigen Welt) hat ein grundsätzlich anderes Menschenbild und fordert mit Hilfe des Christentums die Versittlichung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens, die mit der ausschließlichen Sicherung der Freiheit ohne Leistungsgerechtigkeit und die Gleichheit der materiellen Versorgung nicht gelöst werden kann. Um das Gesamtinteresse angemessen zu erkennen, bedarf es der ständigen Vergewisserung des metaphysischen Bezuges menschlichen Handelns.

Beiden Richtungen gemeinsam ist die Vorstellung, daß das sich im Markt darstellende Wettbewerbssystem als solches sozial ist, da es wirtschaftliche Produktivität und Versorgung garantiert. Austeilende Gerechtigkeit ist nachgeordnet, denn nur nach der Produktion kann es Verteilung geben. Unterschiedlich ist der Stellenwert des Marktes. Für den Ordoliberalismus ist er der Ort der Wirtschaftsordnung, für die Soziale Marktwirtschaft ist er ein Instrument, mit dem auf dem Weg der Indirektheit möglichst viele der Werte Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Wohlstand und Sicherheit erzielt werden, ohne daß ein Wert völlig geopfert werden muß.

V. Das Konzept Ludwig Erhards und die Umstände seiner Realisierung

In dieser Zeit war bereits absehbar, daß, wenn die neoliberalen Gedanken die Gelegenheit erhalten würden, über ein Praxiskonzept und dessen zumindest partielle Durchführung Eingang in das Fundament des zukünftigen westdeutschen Staates zu gewinnen, dieses nicht nur die Weichenstellung für ein liberales Wirtschaftssystem langer Dauer bedeuten, sondern zugleich die geistige Orientierung des Gemeinwesens maßgeblich mitbestimmen würde, wozu sich die Gelegenheit auch umgehend bot. Im Verlauf des Kalten Krieges waren die vier Besatzungsmächte unfähig, sich auf eine gemeinsame Währungsreform in Deutschland zu einigen und weitere Gemeinsamkeiten für die Behandlung der deutschen Frage zu finden. Die Konsequenz auf westlicher Seite war die Londoner Sechsmächtekonferenz vom 23. Februar bis 6. März 1948, welche die Schaffung einer internationalen Ruhrbehörde ohne sowjetische Teilnahme, die Zustimmung der drei Westzonen zum ERP-Programm, die Angliederung der französischen Zone an die Bizone und eine bundesstaatliche Ordnung für die Westzonen in Aussicht nahm. Letzteres war eine Verletzung des Potsdamer Abkommens, der allerdings nicht minder schwere Verletzungen seitens der UdSSR vorausgegangen waren, ohne daß der Westen so reagiert hätte, wie es die Sowjetunion jetzt tat, indem sie am 20. März 1948 ihren Vertreter aus dem Kontrollrat ab-berief. Die letzte gemeinsame Schaltstelle war damit handlungsunfähig geworden; nur Berlin behielt bis zum 16. Juni 1948 noch eine gemeinsame Verwaltung.

In diese neue Situation hinein stieß als deutsche Initiative die programmatische Rede des Direktors der Verwaltung für Wirtschaft, Prof. Dr. Ludwig Erhard, vom 21. April 1948 vor dem Plenum des Wirtschaftsrates, wobei sich die neoliberale Orientierung seines Programms „sowohl an den einzelnen vorgeschlagenen Maßnahmen als auch an dem allgemeinen Verständnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge und Prioritäten" zeigte Mit der Formulierung, daß eine dringend erforderliche Währungsreform mehr sein müsse, „als nur eine finanzwirtschaftliche oder gar nur finanztechnische Operation, daß sie den wirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen in gleicher Weise Rechnung zu tragen“ habe, verwies Erhard einmal auf die notwendige Ausgangsbedingung (Währungsschnitt) einer Reform, zugleich auf deren wünschenswertes Ausmaß in Gestalt einer umfassenden Wirtschaftsreform. Häufig wird mit Blick auf das System, das reformiert werden sollte, zu wenig gewichtet, daß an der Schwelle der Sozialen Marktwirtschaft eine zentrale Verwaltungswirtschaft stand. Strikte Lenkung bestimmte die gesamte Besatzungswirtschaft Und erst nachdem die USA 1947 vom anfänglichen Besatzungsziel der Aufrechterhaltung von Ruhe, Ordnung und Versorgung bei gleichzeitiger Minimierung der Besatzungskosten zu offensiver Gestaltung übergegangen waren, konnten Besatzer und Deutsche darüber nachdenken, ob man die Lenkung beibehalten und eine stärker gemeinwirtschaftlich orientierte Wirtschaftsordnung entwickeln oder zu einer freien Marktwirtschaft übergehen sollte. Dieser Rahmen galt prinzipiell auch noch für den 2. Wirtschaftsrat. Nur hatte die SPD durch ihren Rückzug die Diskussion einer demokratisch-sozialistischen Wirtschaftsordnung gleichsam auf das Nebengleis geschoben, so daß Erhard jetzt das Hauptgleis mit Überzeugungskraft und einem Durchsetzungsvermögen unerwarteten Ausmaßes befahren konnte.

Erhard legte in seiner Programmrede dar, daß mit der Herstellung geordneter Geldverhältnisse durch eine Währungsreform Bewirtschaftung und Preisbindung aufgehoben, dem Markt wieder Raum gegeben und der Produktions-wie der Konsumseite mehr Freiheit eingeräumt werden müßten. Die Lenkung der Wirtschaft allein durch den Markt mit einer Angleichung der Preise an das Warenangebot könnte allerdings aufgrund des Kapitalmangels zu Härten führen, wobei man eine latente Arbeitslosigkeit ins Auge fassen müsse: »Das Ziel bleibt die Unterbringung aller freien Kräfte in der gewerblichen Wirtschaft und hier wieder besonders in der gütererzeugenden Sphäre, aber es wird von der Größenordnung dieser Erscheinung und von der Ausweitungsmöglichkeit unserer gewerblichen Produktion abhängen, ob auf solche Weise eine völlige Aufsaugung gelingen kann." Diese Ausweitung sah Erhard vom Kapitalzufluß abhängig, den er von der Marshallplan-hilfe erwartete. Das war der Grund für seinen Wunsch nach Verknüpfung von Währungsreform und ERP und markierte zugleich den Primat der Wachstumspolitik. Zwar konnte er sich eine Währungsreform nicht ohne Lasten-ausgleich vorstellen, den jedermann in Verbindung mit einem Geldschnitt auch erwartete, doch wollte er nicht das Vorhandene, sondern den Gewinn zur Verteilung bringen: „sicher aber ist das eine, daß die Lösung nicht in der Aufteilung der Masse, sondern wesentlich in einer dem Ausgleichsgedanken Rechnung tragenden Verteilung der gesamten volkswirtschaftlichen Erträge gefunden werden muß" Hier artikuliert sich die neoliberale Vorstellung von . sozial': Marktwirtschaft ist als solche sozial. Sozialpolitik im Rahmen des Konzepts einer . Sozialen Marktwirtschaft'kann nur funktionieren in einer wachstums-orientierten Marktwirtschaft.

Nach Erhards Vorstellungen sollte die Währungsreform einen Prozeß auslösen, an dessen Ende eine neue Wirtschaftsordnung stehen würde, um damit die die politische Freiheit des einzelnen gefährdende Planwirtschaft zu beseitigen. Dem Zentralismus setzte er den Föderalismus entgegen: „Wer in staatspolitischer Hinsicht den föderativen Aufbau verwirklicht sehen möchte ..., der kann in wirtschaftspolitischer Hinsicht nicht die Planwirtschaft wollen, ohne sich selbst zu widersprechen.“

Mit diesem Gedanken erteilte Erhard nicht nur der Planwirtschaft sowjetischen Typs wie den Lenkungsvorstellungen der SPD eine Absage, sondern begegnete zugleich dem sozialdemokratischen Mißtrauen gegen den westdeutschen Föderalismus, womit er sein Programm insbesondere der CDU/CSU anbot Ohne Unterstützung dieser Fraktion im Wirtschaftsrat war Erhards Konzept nicht realisierbar, und die Union war offen, denn ihr fehlte eine einheitliche Wirtschaftskonzeption, schon gär ein realisierbares Konzept. Darüber aber verfügte Erhard, der die neoliberalen Gedanken verarbeitete und auf die konkrete Situation anwandte.

Indem nun die SPD weder in der Debatte über die Programmrede Erhards, noch in der späteren Debatte über sein . Leitsätzegesetz', in der sie immerhin einen Korrekturentwurf vorlegte, wirklich ein realitätsbezogenes Alternativkonzept präsentieren konnte, trug sie nach ihrem Verzicht auf Regierungsverantwortung erneut dazu bei, den Handlungsspielraum der bürgerlichen Fraktionen innerhalb des Wirtschaftsrates zu erweitern.. Darüber hinaus erscheint die Hypothese nicht abwegig, daß sie durch ihre Initiativlo-sigkeit sogar den Handlungsspielraum des Wirtschaftsrates insgesamt mit förderte, da den Alliierten vor allem der eindeutige Kurs einer eindeutigen Mehrheit vor Augen treten mußte und ein unausgesprochenes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Arbeit des Wirtschaftsrates begünstigte, so daß schließlich die Militärregierungen trotz Verärgerung über die offizielle Anwendung des von ihnen noch nicht genehmigten Leitsätzegesetzes durch Erhard am 20. Juni 1948 dieses hingenommen haben

Dieser Umstand führt zu der Frage, wie intensiv sich das Zweizonenamt überhaupt im Detail um die Arbeit der Verwaltung für Wirtschaft gekümmert hat. Wie wäre sonst die Empörung der Briten über die von Erhard am Tag der Währungsreform verkündete weitgehende Aufhebung der Bewirtschaftung und Preisbindung erklärbar? Theodor Eschenburg vermutet, daß die Alliierten Erhards Pläne nicht ganz ernst genommen haben, sofern sie sich „überhaupt Kenntnis von ihnen verschafft hatten“ Schon im April hatten die Militärregierungen zu Erhards Programmrede geschwiegen. Vielleicht hat Eschenburg auch recht, wenn er vermutet, die Alliierten hätten die Vorbereitung der auf die Währungsreform folgenden Maßnahmen für eine Angelegenheit der Deutschen gehalten, bei der sie dann aber doch das letzte Wort haben würden Offensichtlich war sogar ein außerordentlicher Handlungsspielraum vorhanden, denn Erhard handelte eigenmächtig: „Während sonst üblicherweise die Deutschen schon bei der Beratung eines Gesetzes Fühlung mit den Militärregierungen aufnahmen, unterließen sie das diesmal (beim Leitsätzegesetz, d. V.) 'bewußt. Das Zweizonen-Kontrollamt in Frankfurt drängte seinerseits nicht auf Informierung. Es ging im Gegensatz zu Erhard davon aus, daß das Bewirtschaftungssystem zunächst bestehen bleibe. Erhard hatte aus seinem Vorhaben in der Öffentlichkeit kein Hehl gemacht, über das Wie aber kaum etwas gesagt."

Erhard handelte aber nicht nur gegenüber den Alliierten eigenwillig: Von der Mitarbeit am Gesetz über . Leitsätze für die Bewirtschaftung und Preispolitik nach der Geldreform'schloß er alle die Mitarbeiter aus, die seinen Plänen widersprochen hatten oder unentschlossen waren. Zusammen mit Erhard erstellten die Neoliberalen Miksch, der übrigen? SPD-Mitglied war, und Müller-Armack das Gesetz. Die Chance des Zeitdrucks des seit Anfang Juni 1948 feststehenden Termins der Währungsreform nutzte Erhard ebenso eigenwillig, indem er das Gesetz in drei Lesungen innerhalb von zwei Tagen (17. /18. Juni) im Wirtschaftsrat durchpauken ließ, damit es noch vor der Verkündung des Währungsgesetzes der Alliierten fertig würde. Eschenburg nennt die Anwendung des Leitsätzegesetzes bereits am 20. Juni 1948 und vor der Genehmigung durch das Bipartite Board einen Handstreich Erhards: „Mit einem solchen fait accompli hatten die Militärgouverneure überhaupt nicht gerechnet Das war wohl die schwerste Verletzung einer Okkupationsorder durch einen hohen deutschen Amtsträger. Er nahm den Besatzungsmächten zudem die Möglichkeit, ihre Zustimmung zu Durchführungsverordnungen mit Auflagen zu verbinden. Erhard hatte nicht aus der Fahrlässigkeit eines Gesetzgebungsdilettanten gehandelt, sondern aus Vorsatz ... Clay stellte Erhard schroff zur Rede, daß er in alliierte Rechte eingegriffen und die Bewirtschaftungsvorschriften geändert hatte. Erhard antwortete: , Ich habe sie nicht abgeändert, ich habe sie aufgehoben.'“

Während die Einzelheiten der Währungsreform, die nicht — wie die Deutschen hofften — zu einem sozialen Reformkonzept gedeihen konnte, da die ungleiche Vermögensverteilung festgeschrieben wurde, allgemein bekannt sind sind der Inhalt des Leitsätzegesetzes wie dessen Anwendung nicht so vertraut. Das Leitsätzegesetz gab der Verwaltung für Wirtschaft, nicht dem Wirtschaftsrat, die Vollmacht, die herrschende Wiederaufbaustrategie auf den Kopf zu stellen. Eine — sonst unübliche — umfangreiche Präambel geht von der Geldreform als Voraussetzung für die Wiederherstellung der natürlichen Beziehung zwischen Leistung und Gegenleistung aus, die „den Bezieher von Arbeitseinkommen zum bevorzugten Käufer macht und so die Voraussetzung für eine Steigerung der Arbeitsleistung und der Produktion“ schafft Sie begründet damit die Auflockerung des staatlichen Warenverteilungs-und Preisfestsetzungssystems, nennt deren Grenzen und rechtfertigt auf diesem Wege Vollmachten für die Wirtschaftsverwaltung für Maßnahmen, die von den anschließenden Leitsätzen her definiert werden: Freigabe der Bewirtschaftung und der Preise, Lockerung der Lohnbildung, Leistungswettbewerb, Monopolbeseitigung, Wichtigkeit der Kreditpolitik.

Wurde bisher der Produktionssektor auf Kosten des Verbrauchssektors bevorzugt, so begann jetzt eine gezielte Förderung der Konsumgüterindustrie.

Zur Kapitalbildung sollte der Marshallplan dienen. Die Preisbindung der konsumnahen Waren wurde ausgesetzt Erhalten blieb sie in der Ernährungswirtschaft, bei Erdöl, Benzin, landwirtschaftlichen Düngemitteln, Erzeugnissen der eisenschaffenden Industrie, Mieten, Pachten und Verkehrstarifen.

„Die Wirtschaftsreform spaltete den Markt derart, daß einerseits über freie Verbrauchsgüterpreise der auf die Währungsreform folgende Konsumstoß aufgefangen werden konnte, andererseits aber die volkswirtschaftlich bedeutenden Grundindustrien und Mieten mit ihren gebundenen Preisen zur Preisstabilisierung beitrugen.“

Mit der Währungs-und Wirtschaftsreform trat durch Militärregierungsgesetz die . Vorläufige Neuordnung von Steuergesetzen'in Kraft. Sie beruhte auf Vorarbeiten des Finanzausschusses des Wirtschaftsrates und brachte neben einer Besserstellung für kleine und mittlere Einkommen vor allem der Industrie und dem Gewerbe eine Erweiterung der Finanzierungsmöglichkeiten.

Diese Möglichkeiten wurden durch das . Zweite Gesetz zur Neuordnung von Steuern'des Wirtschaftsrates im Frühjahr 1949 noch erweitert. Schrieb die Währungsreform die ungleiche Einkommens-

und Vermögensverteilung bereits fest, so förderten die vom Verfasser an anderer Stelle gekennzeichneten Steuervorteile die Eigenfinanzierung aus Gewinnen und Abschreibungen und wurden mit steigender Tendenz zur größten Finanzierungsquelle der Kapitalbildung bereits an der Schwelle der Bundesrepublik. Die Steuergesetzgebung wirkte somit im Sinne der von Erhard betriebenen Politik des Wachstumsprimats. Wiederum erfolgte mit vom Wirtschaftsrat getragenen Maßnahmen bereits vor der Gründung 2 Ebd., S. 66. der Bundesrepublik Deutschland eine Weichenstellung, die mit ihrem Konzentrationseffekt das sozialökonomische System des westdeutschen Staates entscheidend präformierte. Der den Deutschen überlassene Lastenausgleich stand hinter der Formung der Struktur der Wirtschaft zurück. Primat hatte die Währungspolitik, Vorrang eine Wachstumspolitik mit steuerlicher Förderung der ohnehin schon ungleichgewichtigen Einkommens-und Vermögensverteilung zugunsten der Industrieunternehmen. Währungsreform und Erhards Wirtschaftspolitik erwiesen sich trotz unterschiedlicher Verantwortlichkeiten bei der Konzeptionierung gleichsam als ein Werk aus einem Guß. „Insofern war die Währungsreform keine . neutrale'Maßnahme, der sich ohne Schwierigkeiten auch eine SPD-Wirtschaftspolitik hätte anschließen können, sondern die Währungsreform begünstigte prinzipiell eher die Wirtschaftspolitik Erhards als die der SPD, — auch wenn dies die SPD selber nicht erkannte, oder nicht erkennen wollte, um der Erhardschen Wirtschaftspolitik besser beikommen zu können."

An dieser Stelle scheint es im Sinne einer Akzentverschiebung angebracht zu betonen, daß Erhard den Handlungsspielraum, den ihm die Währungsreformkonzeption der Westmächte freigab, erkannte und in richtiger Einschätzung der Nähe jener Vorstellungen mit seinen eigenen die Stunde nutzte, um die Währungsreform zur Wirtschaftsreform deutschen neoliberalen Typs zu erweitern. Erhard instrumentalisierte die Währungsreform gleichsam und errichtete damit schneller, als die Westmächte es je getan hätten, die sozialökonomischen Fundamente des westdeutschen Staates. Voraussetzung hierfür war allerdings, daß der deutsche Handlungsspielraum im Wirtschaftsrat einschließlich des internen parteipolitischen Kräftefeldes bereits abgesteckt war und er als einziger über ein ausführungsfähiges Konzept verfügte, dem die bürgerliche Mehrheit des Wirtschaftsrates zu folgen bereit war.

Die weiteren Stufen der Entwicklung brauchen hier nicht mehr dargestellt zu werden Bekannt ist, daß die Liberalisierung große Schwierigkeiten brachte einschließlich der von Erhard vorausgesehenen Arbeitslosigkeit. Ebenso bekannt ist die Tatsache, daß Erhard und die Koalition, an deren Spitze die CDU/CSU Erhards Konzept zu ihrem Programm machte (Düsseldorfer Leitsätze vom 15. Juli 1949) und den Urheber zu ihrem Parteimitglied, die einmal eingeschlagene Rich42) tung konsequent weiterverfolgten. Schließlich ist bekannt, daß der Korea-Krieg 1950 als externer Faktor dem Kurs Erhards zum definitiven Erfolg verhalf. Wenn der Erfolg 1949 auch noch nicht feststand, so konnte der neue Kurs doch schon augenscheinliche Erfolge vorweisen, die im Wahlkampf für den ersten Bundestag der Koalition zugute kamen und die Wahlentscheidung mit beeinflußten: „In der Tat war während des Wahlkampfes die Hauptfigur Erhard, damals noch nicht Adenauer. Aber Erhard war nicht der Konkurrent Adenauers, er hatte keinerlei Kanzleraspirationen. Er erinnerte sich zwei Jahrzehnte später noch gern daran, daß er , die Trümpfe in der Hand', aber vor allem auch die . öffentliche Meinung mehr und mehr'hinter sich hatte. In jenem ersten Wahlkampf waren Soziale Marktwirtschaft und CDU zu einer Identität geworden.'“

VI. Ergebnissicherung oder Dimensionen der Kategorie Handlungsspielraum

In der Phase des Frankfurter Wirtschaftsrates gab es für die deutschen Politiker Handlungsspielräume, die von ihnen auch genutzt wurden. Diese Handlungsspielräume sollten jedoch, um die ganze Tragweite der ökonomischen und politischen Weichenstellungen für die zukünftige Bundesrepublik Deutschland ermessen zu können, noch etwas weiter differenziert und auf eine Abstraktionsebene gehoben werden, die es gestattet, verschiedene Dimensionen der Kategorie Handlungsspielraum zu unterscheiden:

1. Die Darlegung der politischen Bedingungen des Tätigkeitsrahmens des Wirtschaftsrates machte die Strukturen erkennbar, ohne die und ohne deren Anerkennung planvolles Handeln der bizonalen deutschen Verwaltung nicht stattfinden konnte. Die Veränderungen in der Verwaltung mit Schaffung des 1. Wirtschaftsrates im Sommer 1947 reflektierten die nunmehrige Klarheit, daß das Ost-West-Verhältnis eine neue Konfliktstufe (Kalter Krieg) erreicht hatte. Jetzt erst wurde planmäßiges Handeln der Deutschen im Hinblick auf die Zukunft möglich, so begrenzt die Kompetenzen des Wirtschaftsrates auch waren, denn die USA konnten eine Fortsetzung der policy of postponement nicht länger verantworten und gingen zu offensiver Gestaltung der europäischen Verhältnisse über. Vielleicht könnte man diesen Aspekt als strukturelle Dimension der Kategorie Handlungsspielraum bezeichnen.

2. Es kam nun seit Mitte 1947 darauf an, was die Deutschen aus der Institution des Wirtschaftsrates und der beschränkten Gesetzgebungsbefugnis machen würden. Hier mußte sich entscheiden, welche Gruppen zuerst grundsätzlich auf der Basis der gegebenen Strukturen zu gestalterischer Tätigkeit nicht nur bereit, sondern auch in der Lage waren, die situativen Faktoren zu erkennen und richtig einzuschätzen, die erfolgversprechende Aktivitäten im Sinne der Realisierung eigener Vorstellungen gestatten könnten. Die obigen Ausführungen belegen, daß die bürgerlichen Parteien, obwohl sie wie die Sozialdemokraten im sozialökonomischen Bereich nur über Programme auf der Ebene von Glaubensbekenntnissen verfügten, realitätsbezogener reagierten und sich nicht so sehr von dogmatischen Alles-oder-Nichts-Positionen leiten ließen. Diese Wirklichkeitsnähe ließ sie sodann viel leichter, als es der SPD möglich war, die Handlungschancen innerhalb des gesteckten Rahmens erkennen und instrumentalisieren. Vielleicht könnte man diesen Aspekt als situative Dimension der Kategorie Handlungsspielraum bezeichnen. 3. Eine dritte Differenzierung ergibt sich aus der vorausgegangenen Analyse: die personale Dimension. Individuelles Handeln ist nicht im luftleeren Raum, sondern nur auf der Basis der Strukturen möglich. Individuelles Handeln ist nicht in jeder Situation durchführbar, sondern nur dann, wenn die den einzelnen tragenden gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte eine Situation durch einen wie immer gearteten Zugriff für sich erschließen. Ludwig Erhard gewann auf einer derartigen Grundlage einen ungewöhnlichen Handlungsspielraum. Von einer politischen Gruppierung, die ihre Position im Wirtschaftsrat erkämpft und ausgebaut hatte, getragen, schmiedete er das sozialökonomische Glaubensbekenntnis der bürgerlichen Parteien zu einem Strukturkonzept, das direkt anwendbar war und das er, den Gegebenheiten gleichsam eingepaßt, in der richtigen Situation am richtigen Ort einsetzte. Vielleicht könnte man diesen Aspekt als personale Dimension der Kategorie Handlungsspielraum bezeichnen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. D. Winkler, Die amerikanische Sozialisierungspolitik in Deutschland 1945— 1948, in: H. A Winkjer (Hrsg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945— 1953, Geschichte und Gesellschaft (1979), Sonderheft 5, S. 110.

  2. U. Uffelmann, Wirtschaft und Gesellschaft in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1— 2/82, S. 3 ff.

  3. G. Ambrosius, Die Durchsetzung der Sozialen Marktwirtschaft in Westdeutschland 1945— 1949, Stuttgart 1977; J. Weber (Hrsg.), Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Paderborn 1980; G. Müller, Die Grundlegung der westdeutschen Wirtschaftsordnung im Frankfurter Wirtschaftsrat 1947— 1949, Frankfurt/M. 1982; Th. Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945— 1949 (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1), Stuttgart-Wiesbaden 1983; weitere Literatur vgl. K. P. Dapper/G. Hahn, Bibliographie zur Sozialen Marktwirtschaft, Baden-Baden 1983.

  4. G. Müller (Anm. 3), S. 11.

  5. W. Benz, Vorform des . Weststaats': die Bizone 1946— 1949, in: Th'. Eschenburg (Anm. 3), S. 375f. Th. Eschenburg, Währungsreform und Soziale Marktwirtschaft, in: ders. (Anm. 3), S. 421 ff.

  6. T. Pünder, Das bizonale Interregnum, Waiblingen 1966.

  7. W. Benz (Anm. 5), S. 384.

  8. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, München-Wien 1979, S. 467.

  9. J. Weber (Hrsg.), (Anm. 3), S. 147 ff.

  10. Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947— 1949, Bd. 2, München-Wien 1977, S. 26.

  11. Ebd., S. 26.

  12. Ebd., S. 36.

  13. G. Müller (Anm. 3), S. 278.

  14. Der Telegraph vom 26. Juli 1947, zit. nach G. Müller (Anm. 3), S. 313.

  15. G. Müller (Anm. 3). S. 313.

  16. U. Uffelmann, Internationale Politik und deutsche Frage 1945— 1947, Düsseldorf 1976, S. 82; ders. Die sowjetische Deutschlandinitiative von 1952 im Unterricht der Sekundarstufe I, in: Verfassung und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Unterricht, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 161, Bonn 1980, S. 163; vgl. dazu: Deutscher Bundestag, 9. Wahlperiode, Drucksache 9/1575, 16. April 1982, S. 4f.

  17. D. Winkler (Anm. 1), S. 109.

  18. Überblick über die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Parteien bei G. Müller, a. a. O., S. 13— 54.

  19. M. Wulff, Die neoliberale Wirtschaftsordnung, Tübingen 1976.

  20. G. Müller (Anm. 3), S. 109.

  21. Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947— 1949, Bd. 2 (Anm. 10), S. 436 ff., hier S. 438.

  22. U. Uffelmann (Anm. 2), S. 11.

  23. Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947— 1949, Bd. 2 (Anm. 10), S. 439.

  24. Ebd., S. 439.

  25. Ebd., S. 444.

  26. G. Müller (Anm. 3), S. 120 ff.

  27. Th. Eschenburg (Anm. 3), S. 434.

  28. Ebd., S. 431.

  29. Ebd., S. 430.

  30. Ebd„S. 431.

  31. Ebd., S. 434.

  32. H. Möller, Zur Vorgeschichte der Deutschen Mark, Basel-Tübingen 1961; W. Abeishauser, Wirtschaft in Westdeutschland 1945— 1948, Stuttgart 1975.

  33. G. Müller (Anm. 3), S. 116 ff.; Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947— 1949, Bd. 4, München-Wien 1977, Drucksache 338, S. 570ff.; Gesetz-und Verordnungsblatt des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 48, S. 59 f.

  34. Präambel auch abgedruckt in: U. Uffelmann, Wirtschaft und Gesellschaft in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland. Informationen und Materialien für die Sekundarstufe II, Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte und zur historischen Didaktik, Bde. 4. 1 und 4. 2, Dortmund 1984, hier 4. 2, S. 66.

  35. Bhd. S. 66

  36. W. Abeishauser, Probleme des Wiederaufbaus der westdeutschen Wirtschaft 1945— 1953, in: H. A Winkler (Hrsg.), (Anm. 1), S. 238 f.

  37. U. Uffelmann (Anm. 2), S. 13 f.

  38. G. Müller (Anm. 3), S. 139.

  39. Ebd., S. 145 ff.

  40. W. Benz (Anm. 5), S. 535 f.

Weitere Inhalte

Uwe Uffelmann, Dr. phiL geb. 1937; Professor für mittlere/neueste Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Veröffentlichungen u. a.: Internationale Politik und deutsche Frage 1945— 1947, Düsseldorf 1976; Zur Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland (zusammen mit H. Schneider), Paderborn 1977; Die sowjetische Deutschlandinitiative von 1952 im Unterricht der Sekundarstufe I, in: Verfassung und Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im Unterricht. Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 161, Bonn 1980; Wirtschaft und Gesellschaft in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 1-2/82; Wirtschaft und Gesellschaft in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland. Informationen und Materialien für die Sekundarstufe II, Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte und zur historischen Didaktik, Bde. 4. 1 und 4. 2, Dortmund 1984.