I. Der Führungsanspruch der SED und Gesamtdeutschland
Im politisch-propagandistischen Selbstverständnis der SED wie auch allgemein in der Historiographie der DDR wird die Herausbildung eines „sozialistischen Staates" auf deutschem Boden nach 1945, gekennzeichnet durch die „Diktatur des Proletariats" und geprägt von der auch institutionell und verfassungsrechtlich abgesicherten „führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei", als Resultat gesetzmäßiger Entwicklung der Geschichte interpretiert. Die Bildung der SED . auf revolutionärer Grundlage", ihre Ausprägung zu einer leninistischen Partei nach dem Vorbild der KPdSU und ihre Einbindung in die internationale kommunistische Bewegung werden ebenso als unausweichlich, folgerichtig und daher notwendig angesehen wie ihr Aufstieg zum unbestrittenen politisch-gesellschaftlichen „Hegemon“, zur Führungspartei, deren Rolle mit legalen und (massen-) demokratischen Mitteln nicht angreifbar ist Eine solche als allgemeingültig und im Einklang mit den historischen Notwendigkeiten unterstellte Entwicklung ist aus dieser Sicht im Westen Deutschlands nach 1945 von den Besatzungsmächten im Verein mit „reaktionären Kräften" und den „rechten Führern“ der Sozialdemokratie unterbunden worden. So seien die Westzonen von einem einheitlichen Deutschland „abgespalten“ und dort eine historisch überlebte Gesellschaftsordnung konserviert worden.
Dieses hier freilich nur knapp skizzierte Schema läßt eine Reihe von Fragen offen. Es übergeKt zunächst wesentliche Brüche und Wendungen in der (frühen) Entwicklung der SED selbst. Die Partei erscheint so von der Gründung an ausschließlich geprägt von den Traditionen des deutschen und sowjetischen Kommunismus wie der der „revolutionären“ * Sozialdemokratie Zugleich sind zwei Grundprobleme der SED-Politik in der Nachkriegszeit angesprochen: Der Führungs-und Gestaltungsanspruch, den die KPD und später auch die SED erhoben, unterscheidet sich grundlegend von den Interessen und Konzeptionen der anfänglich mit ihr um die Macht konkurrierenden Parteien. Die Durchsetzung und schließliche Respektierung der unangefochtenen Vormachtstellung einer Partei in einem politischen Spektrum auf dem Wege des Konsenses oder der Mehrheitsbildung erscheint wenig wahrscheinlich, erst recht vor dem Hintergrund der Erfahrungen der Jahre vor 1945. KPD und SED bedurften also historisch besonderer Bedingungen und außerordentlicher'Mittel zur Realisierung der angestrebten „führenden Rolle". Zugleich wurde dieser Anspruch permanent mit Geltung für ganz Deutschland formuliert. Die Möglichkeit einer zur SBZ analogen Entwicklung in ganz Deutschland wurde also unterstellt. Wie weit indes Führungsanspruch auf der einen und gesamtdeutsche Konzeption auf der anderen Seite miteinander vereinbar waren, ist bislang kaum geklärt Im folgenden soll daher näher untersucht werden, in welcher Weise der von KPD und SED immer wieder mit großem propagandistischen Aufwand vorgetragene Anspruch, eine allgemeingültige und richtungsweisende Konzeption für ganz Deutschland, eben nicht nur für die sowjetische Besatzungszone allein, zu besitzen und zu verwirklichen, mit den Realitäten der fortschreitenden Teilung Deutschlands in Einklang zu bringen war.
Der Prozeß realer Machterringung und allmählicher Herrschaftssicherung von KPD und SED im Osten Deutschlands durch Umformung und Neubildung separater parteipolitischer, staatlicher und Repräsentations-Or-ganisationen und Institutionen könnte die auf Gesamtdeutschland gerichteten Aktivitäten bei vordergründiger Betrachtung schnell als reine Propaganda abstempeln. Eine solche Sicht ließe aber außer acht, daß beide Parteien auch große organisatorische Anstrengungen unternahmen und bedeutende Ressourcen für dieses Ziel opferten; nicht zuletzt auch die wirtschaftliche Ausgangssituation und Entwicklungsbedingungen der sowjetischen Zone weisen auf die — wenigstens temporäre — Ernsthaftigkeit des gesamtdeutschen Kurses von KPD Und SED. Freilich darf nicht übersehen werden, daß es beiden Partei-führungen kaum jemals um eine „Einheit um jeden Preis" gegangen ist Es wäre also zu fragen, wie weit das „Maximalziel" von KPD und SED, die jeweilige Ordnung der sowjetischen Besatzungszone auf ganz Deutschland zu übertragen, für die Durchsetzung von Teil-zielen modifizierbar war. Einheit Deutschlands war fraglos eng verknüpft mit dem Postulat der „Einheit der Arbeiterklasse", also auch dem Bündniskonzept von KPD und SED. Die Frage nach „Erfolg" oder „Mißerfolg" der gesamtdeutschen Konzeption von KPD und SED muß vorrangig auch deren Verhältnis zur Sozialdemokratie behandeln.
Der Führungsanspruch der KPD und der sich bald nach der Gründung in ihrem Charakter wandelnden SED geht ausschließlich auf kommunistische Traditionen zurück Das Zentralkomitee (ZK) der KPD hatte sich im Exil von 1934 bis 1945 vor dem Hintergrund der gescheiterten „Revolutions’-Erwartungen, die ja auch der allgemeinen Strategie der Komintern entsprachen, zunächst zögernd neu orientiert. Im Einklang mit der Komintern wollten und sollten die Kommunisten auf-demBoden einer „demokratischen Republik" und eines inhaltlich kaum bestimmten „antifaschistischen" Grundkonsenses zum gewichtig, sten politischen Faktor in Deutschland nach dem Ende des Hitler-Systems werden. Die ersten Hauptziele der Partei für die Nachkriegszeit waren folglich das Streben nach einer gesicherten Beteiligung an einer deutschen Nachkriegs-Exekutive und einer gleichberechtigten Einbeziehung in das. Parteienspektrum, das Mehrheitsbildung und Entscheidungsfindung ohne oder gegen die KPD ausschloß. Diese — auch von Wendungen nicht freie — Konzeption schloß trotz einiger Konzessionen an demokratische Prinzipien Mehrheits-und Minderheitsbildung, damit auch den Wechsel von Regierung und Opposition und die Konkurrenz demokratischer Parteien untereinander aus. Die Forderung nach der „Einheit" der „antifaschistischen Parteien“ sollte auch zum tragenden Prinzip der Neuordnung werden Eine Legitimation durch Wahlen wurde erst für einen späteren Zeitpunkt erstrebt Vor allem die KPD-Führung verfolgte im Exil konkrete Pläne für die Nachkriegszeit, sie erhob zugleich auch als einzige Emigrationsparteiführung unmittelbar einen konkreten Anspruch auf Beteiligung am Neuaufbauprozeß, den sie noch vor Kriegsende auch unter dem Schutz sowjetischer Truppen einlösen konnte
Für die Sozialdemokratie galten freilich diese Voraussetzungen nicht: Die Planungen der verschiedenen Exilgruppen waren weder konkret auf den Moment des Kriegsendes bezogen, noch waren sie verbindlich für die SPD, zudem erhob keine Exil-Gruppe einen Führungsanspruch in der Partei. Die politischen Konzeptionen stellten übereinstimmend auch das Prinzip der Mehrheitsdemokratie nicht in Frage, auch wenn durchaus unterschiedliche Vorstellungen über Gestalt, Rolle und Funktion der Sozialdemokraten formuliert wurden. Gegenüber der KPD sollte — trotz unterschiedlichster Kritik an der Politik der Partei vor 1933 — die SPD die eindeutig traditionale Partei sein.
II. KPD und SPD in der sowjetischen Zone bis zur Vereinigung
Unterschiedliche Prinzipien bestimmten daher auch den Gründungs-und Aufbauprozeß beider Parteien nach dem Befehl Nr. 2 der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) vom 10. Juni 1945, der für das sowjetische Besatzungsgebiet unter Kontrolle der SMAD die Tätigkeit von Parteien und anderen „antifaschistischen Organisationen" zuließ 9). Schon zuvor waren in Berlin und im von sowjetischen Truppen besetzten deutschen Gebiet Emissäre des ZK der KPD als Leiter von „Initiativgruppen“ tätig gewesen, so Walter Ulbricht, Anton Ackermann und Gustav Sobottka. Neben dem Wiederaufbau von Wirtschaft und Versorgung hatten diese vor allem staatliche und kommunale Verwaltungsstellen neu zu besetzen. Sie waren zudem im Voraus von der Wiederzulassung der Parteien informiert. Der am 11. Juni veröffentlichte Gründungsaufruf der KPD, den die SED zu den „bedeutendsten Dokumenten der deutschen Arbeiterbewegung" zählt war Anfang Juni von ihnen mit erstellt und in Moskau mit dem Parteivorsitzenden Wilhelm Pieck und dem früheren Komintern-Generalsekretär Dimitroff abgestimmt worden. Das ZK hatte ein recht „gemäßigtes" Programm entworfen, das sich auf die dringendsten Tagesaufgaben konzentrierte, in dessen Mittelpunkt Forderungen zum Wiederaufbau, zur Entnazifizierung und zur Wiedergutmachung standen. Das „Sowjetsystem" wurde für Deutschland als derzeit ungeeignet, dagegen alle „Rechte und Freiheiten für das Volk“ in einer antifaschistisch-demokratischen Republik als notwendig bezeichnet Nicht nur das Programm, sondern auch Ebenen und Formen der Parteiarbeit und ihre Struktur sollten den Anspruch untermauern, gegenüber den Jahren vor 1933 eine Wendung vollzogen zu haben.
Erstens: Die KPD hatte sich als staatstragende, aufbauende Partei darzustellen. Kommunisten hatten unmittelbar in Staat und Verwaltung, Wirtschaft und Versorgung praktische Arbeit zu leisten, im Gegensatz zur überwiegend propagandistisch-agitatorischen Aktivität vor 1933. Franz Dahlem, der „Kaderchef" des ZK und Mitglied des Politbüros, resümierte am Vorabend des Vereinigungsparteitages: „Die Partei hat... sofort ihre Tätigkeit als staatsaufbauende Partei begonnen und eine Politik im Gesamtinteresse des deutschen Volkes und aller seiner werktätigen Schichten durchgeführt." Obwohl das KPD-Parteistatut aus dem Jahre 1925 formal weiter galt, wandelte sich der Organisationsaufbau grundlegend: Anstelle der alten Gliederungen entstanden neue parallel zum staatlichen Verwaltungsaufbau nach Ländern, Kreisen und Gemeinden. Vorstands-und Leitungsfunktionen wurden ebenfalls diesen Vorbildern angeglichen
Zweitens: Die KPD sollte nach den Zielen ihrer Führung zu einer umfassenden Sammlungsbewegung werden, ohne ihren Charakter als Arbeiterpartei einzubüßen. Intendiert war eine Volkspartei „im wahrsten Sinne des Wortes“ Zur Mitarbeit und zum Beitritt wurden alle nicht vom Faschismus belasteten Deutschen aufgefordert. Ein Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als theoretischer Basis der KPD wurde (noch) nicht verlangt.
Drittens: Die KPD, die ja im Weimarer Parteienspektrum isoliert gewesen war, propagierte nun enge Kooperation und feste organisatorische Bindungen der Parteien untereinander. Die . Aktionseinheit der Arbeiterklasse", die feste organisatorische Bindung der SPD an die KPD, sollte ihr sowohl Einfluß auf das sozialdemokratische Potential sichern als auch Kern der Zusammenarbeit aller Parteien im „Block" sein.
Erhalten blieb indes unangefochten die überkommene extrem zentralistische Parteistruktur. Sie gewährleistete einen raschen Partei-aufbau auf den unteren Ebenen sowie die nach außen recht bruchlose Durchsetzung der neuen Maximen in der (wiederentstehenden) Partei. Das ZK vermochte in kürzester Frist alle spontan und lokal entstandenen Organisationen wie „Antifa-Komitees“ oder „Einheits" -Parteien aufzulösen, aber auch die Fortsetzung der vor 1933 in der KPD geltenden „revolutionären“ Maximen zu unterdrük-ken Gestützt auf die außerordentlich schnelle organisatorische Konsolidierung, die Ausnutzung der durch die Partei in der Umbruchphase besetzten Positionen in Staat und Verwaltung, die Aktivität und die Initiative einer großen Zahl von Funktionären, ein enormes Übergewicht an materiellen Ressourcen und Propagandamitteln und nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Protektion durch die Besatzungsmacht erhob das Zentralkomitee der KPD unübersehbar einen Führungsanspruch in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, sofern es Deutschen zugänglich war
Zunächst schien dem ZK auch der Erfolg recht zu geben: Die Mitgliederzahl, die für dieses Gebiet vor 1933 bei ca. 100 000 gelegen hatte, nahm rasch zu. Im August 1945 war diese Zahl mit 151 000 bereits weit übertroffen; sie enthielt freilich einen bedeutenden Teil „umgesiedelter“, meist sudetendeutscher Kommunisten. Schon im Oktober waren die „Altmitglieder" in der Minderheit Seit Juli 1945 wurden regelmäßige „Schulungs" -Abende durchgeführt; neue wie alte KPD-Mitglieder sollten so mit dem gewandelten Programm vertraut gemacht und auf Dauer in die Partei integriert werden. Zudem verfügte die KPD zum ersten Mal in ihrer Geschichte über eine Reihe von Schlüsselfunktionen in Verwaltung und Wirtschaft; die Bereiche Personalwesen, Volksbildung und Polizei standen nahezu lückenlos unter kommunistischer Kontrolle. Die Partei war in der Lage, Posten und Positionen zu vergeben; sie verstand sich als Motor und wichtigster Träger der demokratischen Umgestaltung. Dieses Erreichen von Machtpositionen und das Bestreben der KPD, in den wichtigsten neu entstehenden gesellschaftlichen Organisationen (voran im Gewerkschaftsbund, aber auch in den Jugend-ausschüssen und im Kulturbund) überall auch die nominellen Vorsitzenden-Funktionen zu erhalten, riefen erste Widerstände vor allem in der Sozialdemokratie hervor. Anfänglich konnte sie zonenweit mangels ausreichender Konsolidierung der eigenen Organisation dem mitunter rigoros durchgesetzten Führungsanspruch wenig entgegensetzen. Die KPD-Konzeption, Präjudizien zu schaffen und zugleich auf enge Kooperation zu drängen, war zunächst erfolgreich.
Der Wandel des PrograAms, des Stils und der Arbeitsfelder der KPD sollte für ganz Deutschland verbindlich sein. Auch der Weg zu kommunistischer Dominanz im Parteien-feld galt für ganz Deutschland: Die Entwicklung in Berlin und allgemeiner in der sowjetischen Zone sollte zum Beispiel und Muster für alle Zonen zu werden Unter diesem Aspekt propagierte die KPD-Führung auch zunächst die Einigkeit der Alliierten in der Deutschlandpolitik. Walter Ulbricht konstatierte: „Wir deutschen Antifaschisten... haben nur ein Interesse, das ist die Mithilfe bei der Sicherung des Friedens. Deshalb sind wir als Deutsche unmittelbar an der Erhaltung und Festigung der Zusammenarbeit der Alliierten interessiert.“ Er verurteilte die Leute, „die immer wieder von Meinungsverschiedenheiten schwätzen“ und forderte die „Herbei-führung eines loyalen Verhältnisses der deutschen Bevölkerung zur Besatzung". Gleiche Präjudiz-Funktionen sollte den im Verlauf der Potsdamer Konferenz gegründeten „Deutschen Zentralverwaltungen“ zukommen: Auf Befehl der SMAD und unter wesentlichem (auch personellen) Einfluß der KPD gegründet, sollten sie den Kern künftiger gesamtdeutscher Verwaltungen bilden Auch die zwischenparteilichen Kooperationsformen Aktionseinheit“ und „Block" waren für ganz Deutschland konzipiert und sollten — als im Eigeninteresse der Beteiligten liegend — auch ohne Einfluß der Besatzungsmacht funktionieren. Der spätere Wiederbeginn des Parteilebens in den Westzonen vom August/September 1945 an vereitelte dies: Eine erneute Polarisierung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten kündigte sich an; das zu Kriegsende verbreitete Motiv der „sozialistischen Einheit" verlor rapide seine Integrationskraft
Ein Moment gesamtdeutscher KPD-Politik lag nicht zuletzt in der reichseinheitlichen Parteiorganisation selbst. Seit August 1945 unterhielt das Zentralkomitee regelmäßige Verbindungen zu allen Parteibezirken, auch in die Westzonen Im Januar und März 1946 konnte sie größere „Reichskonferenzen" in Berlin durchführen. Durch Kuriere und auf Konferenzen wurde den Kommunisten im Westen immer wieder und eindringlich die Aufgabe gestellt, für eine Wiederholung der im Osten schon realisierten Umwälzungsmaßnahmen im Westen zu wirken: für eine Bodenreform, für die Enteignung weiter Teile der Industrie, für eine Schul-und Justizreform unter dem Generalnenner „Entmachtung der Junker, der Kriegsverbrecher und Nazi-aktivisten".
Der Aufbauprozeß der SPD verlief dagegen langsamer und vielschichtiger. Erst nach Erlaß des Befehls Nr. 2 bildete sich mit dem „Zentralausschuß der SPD“ in Berlin ein Führungskern heraus, den die Besatzungsmacht schnell als Zentralvorstand der Partei ansah.
Er bestand aus Vertretern von drei unterschiedlichen Gruppen, die di Jahre seit 1933 in Illegalität und Widerstand verbracht hatten; erstens der Kreis um Otto Grotewohl, Erich Gniffke und Gustav Dahrendorf, zweitens eine Gruppe um Max Fechner und drittens eine weitere Gruppe um Karl Germer und die früheren ADGB-und AfA-Funktionäre Hermann Schlimme und Bernhard Göring. Grotewohl, Gniffke und Fechner wurden zu „Sprechern" des Zentralausschusses. Der Zentralausschuß benötigte noch geraume Zeit, um als Parteileitung in allen Bezirken anerkannt zu werden. Status und Rolle der Partei klärten sich erst nach der Wiedergründung der KPD: Einige sozialdemokratischen Gruppen wollten eine gemeinsame Partei aus SPD und KPD neu gründen; sie scheiterten am rigorosen Widerstand der KPD. In Berlin und Thüringen bestanden — unterschiedliche — Pläne einer Verbreiterung der sozialen Basis der SPD. Ein weitgehender Konsens bestand nur darin, einen Trennungsstrich zur Rolle und Politik der SPD vor 1933 zu ziehen. Nicht einmal die Bereitschaft zu weitgehender Kooperation mit der KPD war überall vorhanden: Besonders in ihren „Hochburgen“ Magdeburg und Leipzig war die SPD nur mit Widerstand und unter Druck bereit, die geforderte . Aktionseinheit" einzugehen
Das vom Zentralausschuß eilig entworfene und am 15. Juni 1945 veröffentlichte Gründungsprogramm stand deutlich in sozialdemokratischer Tradition, neben den Sofortaufgaben propagierte es einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus. Es wurde in der Folge zur Plattform der SPD in der sowjetischen Zone. Der Parteiaufbau war zögernder und deutlicher von regionalen Eigenarten geprägt als der der KPD. Allerdings war auch ein Teil des sozialdemokratischen Potentials zur KPD übergegangen; zum Teil behinderten KPD und SMAD massiv sozialdemokratische Aktivitäten, sofern sie nicht den KPD-Vorstellungen von . Aktionseinheit“ entsprachen. Die Bildung einer gesamtdeutschen Parteiorganisation war daher kein akutes Problem, wurde aber als selbstverständliche Zukunftsperspektive angesehen.
III. Die Auseinandersetzungen um die Einheitspartei
Vom September 1945 an mehrten sich die Anzeichen dafür, daß es der KPD nicht ohne weiteres gelingen könnte, ihre im Zuge des Umwälzungsprozesses erreichten Machtpositionen zu konsolidieren. Sie wurde nicht, wie erwartet, zur ausschlaggebenden (und vor allem in dieser Rolle von allen Parteien respektierten) Größe im politischen Raum: Die Mitglieder-und Organisationsentwicklung der SPD begann diesen Anspruch erheblich zu tangieren; die Zusammenarbeit beider Parteien im , Aktionseinheits" -Ausschuß verschlechterte sich. Die SPD begann — deutlich sichtbar mit einer Rede Grotewohls am 14. September 1945 — auch öffentlich eine programmatische und politische Eigenständigkeit anzustreben. Gegenüber den zahlreichen und vielfältigen (Neuordnungs-) Aktivitäten der KPD konnte sie eine moderierende Haltung einnehmen, kurz: die SPD drohte zum eigentlichen Integrationsfaktor für alle politischen Richtungen zu werden. Währenddessen sank das Ansehen der KPD rasch. Ihre offensichtliche enge Bindung an die Besatzungsmacht trug dazu bei, ihr die mehr und mehr sichtbaren Kriegsfolgen (Ostgrenzen, Vertreibungen, Demontagen, Kriegsgefangene) anzulasten — Probleme, über die auch nur zu diskutieren sie sich beharrlich weigerte. Von der zweiten Septemberhälfte 1945 an setzte das Zentralkomitee der KPD daher einen Kurswechsel in mehreren Etappen durch Es nahm nun Kurs auf die Bildung einer Einheitspartei, die noch zwischen Mai und August strikt abgelehnt worden war. Die bis dahin genannten Voraussetzungen, „gemeinsame Aktion" und vor allem „ideologische Klärung" wurden stillschweigend fallengelassen. Die Verstärkung der „Einheits“ -Propaganda war begleitet von einer Werbekampagne für die KPD: Verschiedenen Parteigliederungen wurde die Auflage gemacht ihre Mitgliederzahl kurzfristig zu verdoppeln. Den zweiten Schritt des Kurswechsels vollzog das ZK im Folgemonat Es drängte nunmehr auf eine gemeinsame Konferenz von KPD und SPD, die organisatorische Maßnahmen für eine Fusion diskutieren und beschließen sollte. Im Vorfeld dieser Konferenz wurde erstmals der Anspruch aufgegeben, für ganz Deutschland einheitlich vorzugehen: Eine Vereinigung wurde (zunächst) nur für die sowjetische Zone gefordert Die Berliner SPD-Führung reagierte ausweichend, nachdem auch aus den Ländern deutliche Vorbehalte gegen den „Einheits" -Kurs zu hören waren zugleich verschlechterte die faktische Spaltung der SPD in eine Ostzonenund eine Westzonen-Partei, die auf einer interzonalen Zusammenkunft in Wennigsen bei Hannover im Oktober 1945 sichtbar wurde, die Positionen der Berliner.
Nach Beginn einer massiven „Einheits'-Kampagne und großem Druck seitens der KPD, aber vermehrt auch der SMAD, trat die gefor-derte gemeinsame KPD/SPD-Konferenz für das sowjetisch besetzte Gebiet Ende Dezember in Berlin zusammen, nach ihrer Teilnehmerzahl „Sechziger-Konferenz“ benannt Die Sozialdemokraten hatten keine Chance, ihr Vorgehen dort zu koordinieren; ihr Zentralausschuß hatte nur eine Plattform entworfen, die noch einmal alle Bedenken der SPD gegen eine Vereinigung artikulierte: von der mangelnden Handlungsfreiheit bis zur deutlichen Bevorzugung der KPD durch die Besatzungsmacht. Wilhelm Pieck ließ indes kein Argument aus, um die SPD-Vertreter zu einer organisatorischen Fusion zu bewegen. Er faßte einen kurzfristigen Zusammenschluß bis spätestens zum 1. Mai 1946 sowie gemeinsame Kandidaturen von SPD und KPD bei möglichen Wahlen ins Auge. Mit allen Mitteln suchte die KPD-Führung schon zu dieser Zeit eine Wahlalternative zwischen SPD und KPD zu verhindern. Die SPD suchte ihre Minimalforderungen zu wahren, beging aber einen schweren taktischen Fehler, als sie zuletzt dem Plattform-Entwurf der KPD zustimmte. Sie hatte daraus nur die Passagen streichen lassen, die ihren beiden Essentials widersprachen: Vereinigung nur im gesamtdeutschen Maßstab und nach einem Parteitag für alle Zonen. Noch im Januar bekräftigte der Zentralausschuß der SPD diesen Beschluß, durfte ihn Ende des gleichen Monats aber auf Weisung der sowjetischen Zensur schon nicht mehr publizieren Insgesamt verwirrte das viele Sozialdemokraten in Berlin und in allen Zonen: Die Plattform der I . Sechziger-Konferenz“ erweckte den Eindruck, als habe die SPD der sowjetischen Zone dem KPD-Vereinigungs-Konzept zugestimmt. Im Westen, aber auch in Berlin, verfestigte sich die Ansicht, die SPD habe ihre Handlungsfreiheit eingebüßt.
Weisungen der SMAD, Druck von Seiten der Besatzungsmacht und der KPD, Führungswechsel in der SPD auf regionaler und lokaler Ebene, eine Propagandakampagne für die Vereinigung in einem seit Kriegsende unbekannten Ausmaß sowie die Unmöglichkeit der Versammlung und Artikulation von Gegnern der Fusion bildeten den Hintergrund des Vereinigungsprozesses bis zum April 1946. Schon früh erhobene Forderungen nach wurden von der SMAD vereitelt, bis auf jene in den Westsektoren Berlins am 31. März 1946. Das kennzeichnete die eine Seite dieses vielfach zu Recht als »Zwangsvereinigung" gekennzeichneten Prozesses Zugleich aber wurde den Sozialdemokraten der Weg in die Einheitspartei auf verschiedene Weise erleichtert, wenn schon ihre eigene Partei nicht fortbestehen konnte.
Programmatisch und organisatorisch kam die KPD den Sozialdemokraten entgegen: Das von einer „Studienkommission" aus Vertretern beider Parteien erarbeitete Programm wies ebenso eine Kompromißstruktur auf wie der Parteiaufbau. Ackermanns Theorem eines . besonderen deutschen Weges zum Sozialis-mus“ schien den Sozialdemokraten zunächst eine gleichfalls autonome Entwicklungsmöglichkeit zu versprechen wie das beschlossene Prinzip der „Parität", das vorsah, alle Funktionen von Ortsebene aufwärts gleichberechtigt mit je einem früheren KPD-und SPD-Funktionär zu besetzen.
Mit der Gründung der SED sollte nach vielfach geäußerter Selbstdarstellung das kommunistische „Sektierertum“ ebenso überwunden werden wie der sozialdemokratische „Reformismus". Die Partei verstand sich als marxistisch-sozialistische Massenpartei, in der sich nach einem häufig beschworenen Bild Kommunisten und Sozialdemokraten „in der Mitte getroffen“ hätten. Das Gründungsprogramm der SED sah einen „demokratischen Weg" zum Sozialismus vor, stellte „revolutionäre Mittel" nur in Aussicht für den Fall, daß „die kapitalistische Klasse den Boden der Demokratie verläßt".
Die Folgen der SED-Gründung, die letztlich nur nach dem Konzept und im überwiegenden Interesse des Zentralkomitees der KPD zustande kam, waren unterschiedlich: Zum einen konnte wesentlich begründeter als zuvor für die KPD allein ein Führungsanspruch der „geeinten Millionenpartei" im deutschen politischen und gesellschaftlichen Spektrum erhoben werden Das Gewicht der Mitgliederzahl sowie die in der Nachkriegszeit weitgehend unstrittige besondere Bedeutung der politischen Linken im Neuordnungsprozeß wirkten hier zusammen. Auf der anderen Seite machten Form und Verfahren des Verschmelzungsprozesses in einer Zone diesen Vorgang unwiederholbar. In seinem Verlauf verlor der Gedanke einer Einheit oder auch nur der Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten im Westen vollends an Attraktivität. Die SED-Gründung demonstrierte augenscheinlich, daß eine gleichberechtigte Zusammenarbeit beider Parteien unter Wahrung des sozialdemokratischen Eigeninteresses grundsätzlich nicht im Sinne der KPD lag. Nicht zufällig wurde gerade in dieser Phase der fanatische Antikommunist Kurt Schumacher zum unumstrittenen, geradezu charismatischen SPD-Führer und die SPD insgesamt, lange bevor es eine von den* USA ausgehende antikommunistische Kampagne im Zuge des aufkommenden Kalten Krieges gab, zum energischsten Verfechter eines rigorosen Kurses gegen KPD und SED Sowohl für den Herrschafts-als auch für den gesamtdeutschen Anspruch des ZK der KPD bedeutete die SED-Gründung also einen Wendepunkt Die bis dahin nicht nur formal-organisatorisch einheitliche Parteienkonstellation in ganz Deutschland war auf Dauer zerstört, die grundsätzliche Polarisierung zwischen SED auf der einen und SPD auf der anderen Seite blieb unüberbrückbar und monstrierte die irreversible Spaltung des deutschen Parteienspektrums, die auch zugunsten gemeinsamer gesamtdeutscher Ziele nicht mehr überwunden werden konnte. Mehr noch als die Teilung in Besatzungszo. nen oder die separaten gesellschaftlichen Umwälzungen in der sowjetischen Zone, die im Kern, nicht in ihrer Konkretion, konsensfähig waren, bedeutet die SED-Gründung also den ersten entscheidenden Schritt zur Teilung Deutschlands.
IV. Die Umformung der SED
Der Herrschaftsanspruch des Zentralkomitees der KPD war nunmehr zugunsten eines vermeintlich wesentlich schlüssigeren Führungsanspruchs der SED aufgegeben worden. Zunächst mußte daher die kommunistische Vorherrschaft auf dem Boden der Kompromißstruktur dieser Partei in der SED selbst durchgesetzt werden. Zugleich war vor dem Hintergrund der Gründungsauseinandersetzungen die gesamtdeutsche Konzeption empfindlich berührt: Die SED mußte in den Westzonen nicht nur organisatorisch verankert, sondern auch dem selbstgesetzten Anspruch gerecht werden, die größte und bedeutendste deutsche Partei wie auch die entschiedenste Wahrerin der nationalen Interessen zu sein.
Tatsächlich fiel im ersten Jahr der Existenz der SED den Kommunisten die dominierende Rolle ohne große äußere Auseinandersetzung und trotz nomineller Parität zu. Ihre Organisiertheit, die Uneinheitlichkeit des Vorgehens der Sozialdemokraten und nicht zuletzt auch die Einwirkungen der Besatzungsmacht kehrten bis zum Sommer 1947 die innerparteilichen Kräfteverhältnisse um.
Zehntausende von Sozialdemokraten resignierten; sie ließen sich nicht in der SED registrieren. Allein in Mecklenburg betraf das ein Viertel der SPD-Mitglieder, in den SPD-Hochburgen Leipzig ein Drittel und in Magdeburg 5 000 Mitglieder Besondere Folgen für das innerparteiliche Gewicht in der SED hatte die Spaltung der Berliner SPD: Nur etwa 24 000 der zuvor 66 000 Sozialdemokraten wechselten die Partei Für die Parteiführung wirkte sich dadurch das Prinzip der Parität noch negativ aus: Es standen niemals in ausreichender Zahl frühere SPD-Funktionäre zur Verfügung, um das zahlenmäßige Gleichgewicht über die engeren Zentral-und Landesvorstände zu erhalten. Auch waren vielfach die Sozialdemokraten — an parlamentarischen Vorgehens-und Arbeitsweisen orientiert — ihren KPD-„Paritäten“ nicht gewachsen Eine Reihe von prominenten Sozialdemokraten aus den Ländern und Gemeinden wechselte in die Westzonen, aber nicht zuletzt schwächten Pressionen bis hin zu Verhaftungen durch die Besatzungsmacht den Handlungsspielraum und das personelle Reservoir der früheren SPD. In einigen Bereichen der innerparteilichen Arbeit so der „Schulungs-", Presse-und Propaganda-tätigkeit, stand die „Parität" nur auf dem Papier. Aber auch die Parteigliederungen, die von einem sozialdemokratischen Selbstbehauptungswillen geprägt waren, konnten in diesem ersten Jahr ihr Eigenleben nicht behaupten: Das Prinzip der Parität erzwang die Gleichberechtigung für die Kommunisten auch dort, wo sie in einer klaren Minderheit waren. In einer Reihe von Groß-und Mittel-städten konnte so die Einheit des sozialdemokratischen Milieus gebrochen werden.
Die nicht erwartete Wahlschlappe bei den Gemeinde-, Kreistags-und Landtagswahlen im September und Oktober 1946 — die SED hatte die angestrebte überwältigende Mehrheit der Stimmen nicht erhalten — zeigte einerseits einen drastischen Vertrauensverlust in der Bevölkerung und stärkte andererseits die bürokratischen Tendenzen in der SED. „Schulungs" -Tätigkeiten und Kontrollen wurden intensiviert, die Parteiorganisation gestrafft Die in einigen Ländern noch vorhandenen Bezirksgliederungen, „Hochburgen“ der früheren Sozialdemokraten, wurden aufgelöst die Parteiarbeit in den Betrieben verstärkt, womit auch die kommunistischen Organisationstraditionen ein sichtbares Über-gewicht bekamen. Zugleich waren erste Ansätze zu verzeichnen, das ideologische Lehrgebäude des Leninismus auch für die SED als aktuell zu reklamieren Innerhalb eines Jahres nach ihrer Gründung war die SED so zu einer eindeutig kommunistisch dominierten Partei geworden.
Ungeachtet der geringen Resonanz der Einheitspropaganda in den Westzonen bemühte sich die Parteiführung der SED intensiv um eine Zulassung in diesen Zonen. Seit dem Vereinigungsparteitag hatten 20 Westzonen-Vertreter (allerdings mehrheitlich Kommunisten) Sitz und Stimme im 80köpfigen SED-Parteivorstand. Getragen wurden die SED-Bemühungen im Westen allerdings nur von der KPD und wenigen Einzelpersonen — die Sozialdemokratie konnte nicht einmal in geringer Zahl gewonnen werden Mehrere Reisen von SED-Führern, so von Pieck, Grotewohl, Ulbricht, Fechner, Gniffke, Dahlem und anderen in die Westzonen bis zum Sommer 1947 brachten zwar Publizität, aber keinen politischen Erfolg. Auch die permanenten Versicherungen, die SED sei „eine unabhängige und deutsche Partei", vergrößerten ihre Resonanz nicht. Parallel dazu versuchte der SED-Parteivorstand, mehrfach Initiativen für die Wiedergewinnung und Sicherung der deutschen Einheit zu entwickeln. Grotewohl, mit Pieck Vorsitzender der SED, propagierte wiederholt einen Volksentscheid über die Einheit Deutschlands. Zwischen September und November 1946 legte der Parteivorstand sowohl einen Grundrechtskatalog für das deutsche Volk als auch einen Verfassungsentwurf für ein einheitliches Deutschland vor.
Die Partei entfaltete so zwar ein äußerst breites Spektrum gesamtdeutscher Aktivitäten und bildete zugleich mit der westdeutschen KPD eine nicht nur formal einheitliche Organisation, sie reagierte aber zugleich auch zögernd und uneinheitlich auf Aktivitäten aus anderen Parteien: Teile der SED-Führung waren nur widerstrebend bereit, an der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz teilzunehmen, ein gleiches Bild bot sich bei der „Friedensburg-Initiative“ Das ließ auf eine unterschiedliche Interessenlage schließen: Teile der SED-Führung hatten sich bereits auf den Primat der Herrschaftssicherung im sowjetischen Besatzungsgebiet orientiert, andere verfolgten noch die gesamtdeutsche Konzeption. Die Sozialdemokraten in der SED-Spitze wirkten sehr aktiv für die Erweiterung der Partei nach Westen — bot sich ihnen doch auf diesem Wege die (vage) Chance größerer Handlungsfreiheit
V. Die SED auf dem Wege zur herrschenden Partei im Separatstaat
Die seit Kriegsende von der KPD-und SED-Führung betriebene Politik, die auf Hegemoniebildung durch Aufhebung der Parteien-konkurrenz zielte und auf die Übertragung des von ihr maßgeblich gestalteten „Modells“ einer Zone auf ganz Deutschland gerichtet war, setzte die Einheit der Alliierten und der Deutschen untereinander voraus. Die Einig-keit der Deutschen war mit der SED-Gründung und die der Alliierten — aus sowjetischer Sicht — spätestens mit dem Scheitern der Moskauer Außenministerkonferenz im März/April 1947 sowie mit der „Truman-Doktrin“ und dem Marshall-Plan zerbrochen Zur Jahresmitte gaben die Sowjetunion wie die SED folglich ihre gesamtdeutschen Ziele auf, die SED stellte ihre Bemühungen um Zulassung in den Westzonen ein. Einer Einbeziehung der sowjetischen Zone in das entstehende „sozialistische Lager“ unter Führung der Sowjetunion, der Angleichung ihrer Binnenstrukturen an die der Volksdemokratien Osteuropas stand nichts mehr entgegen. Da der Anspruch auf demokratischen Charakter wie gesamtdeutsche Verbindlichkeit beibehalten werden mußten (da es nicht zuletzt zur Legimationsbildung diente), schied eine offene Oktroyierung des sowjetischen Systems aus. Mit den Einheitslistenwahlen zur Volkskammer der DDR im Oktober 1950 waren jedoch alle Elemente einer volksdemokratischen Ordnung ausgebildet Die Situation der SED in der Mitte des Jahres 1947 war zwiespältig: Innerparteilich hatten sich kommunistische Traditionen und Organisationsprinzipien durchgesetzt, dennoch war sie noch keine leninistische Partei oder gar ein Abbild der zeitgenössischen KPdSU (B). Folglich war dieses Übergewicht der Kommunisten noch nicht auf Dauer gesichert, der Führungsanspruch im Parteienspektrum war in noch größerem Maße ohne tragfähige Basis. Mit Hilfe der SMAD konnte in der Folgezeit in zweifacher Hinsicht eine stabile Herr-Schaftsstruktur neuer Art erreicht werden: im staatlichen und parteipolitischen Bereich durch Bildung neuer Lenkungs-und Leitungselemente, die die Strukturen der beiden ersten Nachkriegsjahre überlagerten und anschließend veränderten, sowie innerparteilich durch die Umformung der SED zur „Partei neuen Typus“, d. h. durch die Stalinisierung.
Zuerst bildete sich mit der „Deutschen Wirtschaftskommission" (DWK) die Keimzelle einer faktischen Zentralregierung der sowjetischen Zone heraus. Diese und die Beschlüsse der SED zur Einführung langfristiger Wirtschaftspläne leiteten den Umbau der Wirtschaft zu einer zentralen Planwirtschaft nach sowjetischem Vorbild ein. Mit der „Volkskongreßbewegung für Einheit und gerechten Frieden“ wurde nominell lediglich eine Massenbewegung gegründet, die sich aber rasch zum faktischen Repräsentationsorgan auf allen Ebenen (Zone, Länder, Örte, Betriebe) entwickelte.
Für zwei der drei Elemente bildete ein Befehl der SMAD die Grundlage, während die entscheidenden Gremien vom kommunistischen Teil der SED besetzt wurden; hier wurde das Prinzip der „Parität" verlassen. Die DWK entstand noch im Juni 1947 auf Befehl der SMAD. Den Auftakt zum Übergang zur PlanWirtschaft bildete der Befehl Nr. 234 der'SMAD vom Oktober 1947; aber schon auf dem 2. Parteitag der SED im Vormonat hatte Walter Ulbricht entsprechende Pläne vorgetragen. Der Befehl 234 wies den Gewerkschaften die zentrale Rolle zur Steigerung der Arbeitsleistung und später zur Erfüllung und Übererfüllung der Wirtschaftspläne zu — damit war deren Entwicklung zum leninistischen „Transmissionsriemen" vorgezeichnet Lediglich das dritte neue Element, die „Volkskongreßbewegung“, entstammte einer — allerdings gesamtdeutsch intendierten — In-I itiative der SED. Sie sollte „die Stimme des deutschen Volkes“ der Londoner Außenministerkonferenz zu Gehör bringen
Allen drei Elementen eines neuen Gesellschaftssystems ist gemeinsam, daß sie an den demokratisch legitimierten, durch Wahlen konstituierten Landtagen und Landesregie-1 rungen vorbei und vor allem unter Umkeh-1 rung der dortigen Kräfte-und Mehrheitsverhältnisse gebildet wurden. Sie zeigen insgesamt die neue Strategie der SED-Führung, neue zentrale Institutionen mit Billigung und Rückendeckung durch die SMAD zu schaffen, als sich zeigte, daß die in den ersten Nachkriegsjahren auf der Basis eines (mitunter auch erzwungenen) Konsenses geschaffenen Gremien nicht ohne weiteres für eine weder durch Mehrheiten noch durch Zustimmung legitimierte „führende Rolle“ der SED auszunutzen waren. In dieser zweiten Phase des staatlichen Konstituierungsprozesses griff die auch wesentlich drastischer in die Binnenstrukturen ihrer Zone ein als zuvor die Westmächte in ihren Zonen. Den drei genannten Elementen ist ferner gemeinsam, daß sie sich schrittweise zu Verbindlichkeit erzwingenden und normensetzenden Gremien entwickelten. Die SED motivierte deren Bildung anfänglich mit akuten Notwendigkeiten und spielte gegenüber den übrigen Parteien ihre Bedeutung herunter: So sollte die DWK nur Koordinierungsinstanz, der Befehl Nr. 234 und die Wirtschaftspläne nur Mittel zur Verbesserung der Versorgung, die „Volkskongreßbewegung" nur Massenbewegung sein. Aber sie nutzte alle drei wieder als Präjudiz: Durch SMAD-Befehle, durch Druck auf die „Bündnis" -Partner, mit dem Anspruch tatsächlicher Massenlegitimation setzte sie deren Anerkennung als quasi-zentralstaatliche Elemente durch und nutzte sie gleichzeitig, um die Rechte der gewählten Parlamente einzuschränken. .
Lediglich die „Volkskongreßbewegung“ erhob einen Anspruch auf gesamtdeutsche Geltung, wobei die SED sich um eine weitgehende Beteiligung westdeutscher Parteien und Personen bemühte — jedoch ohne nennenswerten zählbaren Erfolg. Die KPD initiierte in den Westzonen — mit Unterstützung der SED — ebenfalls Landesvolkskongresse, von denen allerdings die meisten noch vor Beginn von den Militärregierungen verboten wurden. Der Anspruch des ersten Berliner Volkskongresses, die „erste gesamtdeutsche Körperschaft nach dem Zweiten Weltkrieg“ und damit ein tatsächliches Repräsentativorgan zu sein, war in keiner Weise eingelöst „Einheits" -Postulate und Einheitspropaganda dienten also seit dem Kurswechsel im Sommer 1947 nur mehr dazu, den Prozeß der Bildung separatstaatlicher Institutionen zu begleiten und zu legitimieren; eine mögliche Konsensfähigkeit nach dem offenen Bruch der Alliierten wurde nicht mehr gesucht Die Politik des Durchsetzens von Präjudizien richtete sich nicht mehr auf die Westzonen, sondern diente nur mehr der Verankerung einer volksdemokratischen Ordnung im Innern. Das wiederum machte den Weg frei zu einer Umformung der SED selbst. Mitte 1948 wurde auch formell die „Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typus“ proklamiert. Dies bedeutete die Stalinisierung der Partei die Beseitigung der innerparteilichen Demokratie, die Ausschaltung des sozialdemokratischen Erbes der SED, die Errichtung eines Terror-und Verfolgungsapparates, „Säuberungen" und die Angleichung der Partei auf allen Gebieten (Ideologie, Struktur, Arbeitsweise) an die nunmehr als einziges Vor-und Leitbild angesehene zeitgenössische KPdSU (B) und an die Lehren Stalins. Den Auftakt bildete die 11. Tagung des Parteivorstandes Ende Juni 1948, auf der ausgerechnet Otto Grotewohl als Exponent der früheren Sozialdemokraten in der SED sich „für die Ausrichtung unserer Partei ... eindeutig und ohne jeden Rückhalt nach dem Osten“ aussprach. Mittel-oder Mittlerstellungen der SED zwischen Ost und West wollte er ausschließen
Wenige Wochen später konstatierte Wilhelm Pieck, daß die „Vereinigung nicht auf der klaren Grundlinie des Marxismus-Leninismus" erfolgt sei. Angesichts der gegenwärtigen Aufgaben forderte er indes eine „ideologische Festigung“ auf dieser Basis, die auch eine „ernste Überprüfung der Leitungen unserer Partei“ zur Folge haben müßte Ackermanns Thesen eines deutschen Sonderweges wurden nun als falsch und gar schädlich bezeichnet, er selbst zum öffentlichen Widerruf bewegt. Statt dessen rückte die „Geschichte der KPdSU (B) — Kurzer Lehrgang“ aus dem Jahre 1938 in den Mittelpunkt der innerparteilichen Theorie-und Schulungsarbeit Eine große Zahl früherer Sozialdemokraten wurde aus Leitungsfunktionen entfernt, viele auch inhaftiert. Insgesamt wurden bis 1951 etwa 230 000 frühere Sozialdemokraten aus der SED hinaus-„gesäubert" Die schon mehrfach durchlöcherte Parität wurde mit der Bildung eines Politbüros als Führungszentrum der Partei anläßlich der 1, Parteikonferenz im Januar 1949 aufgehoben, später auch ein Zentralkomitee als weiteres Leitungsgremium gebildet. Das Gründungsprogramm der Partei wurde noch 1950 formell außer Kraft gesetzt, die dortige Gegenüberstellung „demokratischer“ und „revolutionärer" Mittel ausdrücklich als falsch gerügt In ihrem zweiten Statut aus dem Jahre 1950 verankerte die SED als neue Maxime: „Die Partei läßt sich in ihrer gesamten Tätigkeit von der Theorie von Marx, Engels, Lenin, Stalin leiten."
Die „Partei neuen Typus“ setzte auch formell alle bei der Gründung beschlossenen Prinzipien, also im Kern auch den gesamtdeutschen Anspruch, außer Kraft Er geriet zur bloßen Propagandafloskel. Die 1947 bestätigte Rolle des SED-Vorstandes als gesamtdeutscher Parteileitung fand mit der Bildung eines Vorstandes für die Westzonen-KPD im April 1948 ihr tatsächliches und dem Rückzug 20 „Westvertreter" im Parteivorstand der SED ihr formales Ende. Eine Deutschlandpolitik auf dem Wege des Kompromisses war ausgeschlossen, gefordert wurde das eindeutige und unzweifelhafte Bekenntnis zur Sowjetunion und zum „volksdemokratischen" Weg.
Die „Partei neuen Typus" war nicht nur von ihrem Selbstverständnis her die unangreifbare „führende Kraft". Schon weit vor der nominellen Gründung der DDR waren deren Kernelemente ausgebildet: marxistisch-leninistische Führungs-und Hegemonialpartei, zentrales planwirtschaftliches System und Repräsentativsystem auf der Basis von Einheitslisten ohne Parteienkonkurrenz. Da eine solche Herrschaftsordnung unter den Bedingungen der demokratischen Traditionen in Deutschland nicht mehrheits-oder gar konsensfähig war, mußte folglich der gesamtdeutsche Anspruch in der Sache aufgegeben werden. Die nach 1949 intensiv betriebene Propaganda, die DDR sei der einzig legitime deutsche Staat gegenüber dem „Kolonialstatus“ der Bundesrepublik und daher Kern einer zukünftigen gesamtdeutschen Ordnung, steht dem nicht entgegen. Sie diente lediglich dazu, die offenkundigen Legitimationsdefizite der DDR zu kaschieren. auf der einen sepa Einheitspropaganda und -rate Staatsbildung im Osten Deutschlands auf der anderen Seite weisen auf ein letztes wichtiges Problem. Die Teilung Deutschlands zeigte zwei konstituierende Momente: die Gründung der SED im April 1946, die die Spaltung der deutschen Parteienlandschaft bewirkte und eine Verständigung der Deutschen untereinander ausschloß, sowie der offene Bruch der Alliierten, der die Einbeziehung der jeweiligen Besatzungsgebiete in die unterschiedlichen weltpolitischen „Lager“ ermöglichte. Die Entstehung der DDR zeigt umgekehrt also zwei unabdingbare Voraussetzungen: die Beseitigung der SPD und die Anwesenheit der sowjetischen Besatzungsmacht — beides ist offenkundig die besondere historische Bedingung für die SED-Herrschaft in der DDR.