Die Zukunft als Problem der Gegenwart Weltmodelle — Rückblick und Ausblick
Wolf-Dieter Eberwein
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Zusammenfassung
Daß es Probleme im Weltmaßstab gibt, ist eine unbestreitbare Tatsache. Ebenso unbestreitbar ist der Umstand, daß die Lösung dieser globalen Probleme dringlich ist, sei es im Bereich der Umwelt, der Wirtschaft oder der Politik. Bekannt ist auch, daß diese Probleme miteinander verflochten sind, so daß weder eine isolierte Betrachtung möglich ist, geschweige denn Einzellösungen auf Dauer zum Erfolg führen. Unser Wissensstand über die verschiedenen globalen Zusammenhänge und ihre längerfristige Dynamik ist gering. Mit den Weltmodellen ist von Seiten der Wissenschaft ein Weg beschritten worden, der diesen Wissensmangel verringern kann. Mit Weltmodellen wird die Zukunft globaler Entwicklungen berechenbar, können alternative Entwicklungspfade aufgezeigt werden. Weltmodelle sind umfangreiche Computer-Simulationsmodelle, in denen mit Hilfe von mathematischen Gleichungen soziale, ökonomische und/oder politische Prozesse abgebildet und hochgerechnet werden. Dem Club of Rome ist die Entstehung der Weltmodelle zu Beginn der siebziger Jahre zu verdanken. Wie die bisherige Entwicklung zeigt, ergab sich im Laufe der Jahre eine zunehmende Verschiebung, dominierten zunächst die Zusammenhänge zwischen Demographie, Ökologie und Ökonomie der einen Welt, wurde später die Struktur der Modelle zunehmend differenzierter und zugleich begrenzter. Dominierend waren die unterschiedlichen globalen Zusammenhänge im Bereich der Ökonomie innerhalb und zwischen verschiedenen Regionen. Neuerdings gilt das Interesse dem Zusammenhang von Politik und Ökonomie innerhalb und zwischen Staaten. Auch wenn Weltmodelle keine Prognoseinstrumente im engeren Sinne sind, können sie, so die These, uns verdeutlichen, daß Zukunft gestaltet werden kann und muß sowie dazu beitragen, die Konsequenzen bestimmter zukünftiger Entwicklungen vor Augen zu führen.
I. Einleitung: Zukunft als Problem der Gegenwart
Es bedarf heutzutage keiner besonderen hellseherischen Gabe um festzustellen, daß es Probleme im Weltmaßstab gibt Zwar versuchen die einzelnen Regierungen der sie zuweilen erdrückenden Belastungen Herr zu werden, doch die Chancen auf Erfolg sind gering. Viele Probleme, vielleicht sogar die wichtigsten, sind aber überhaupt nicht im nationalen Alleingang zu lösen. Paradebeispiel hierfür ist die Umweltzerstörung, die keine nationalen Grenzen kennt In der Wirtschaft gibt es vergleichbare Effekte. Nationale wirtschaftliche Probleme belasten die Weltwirtschaft und umgekehrt Darauf weisen heute die hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und Stagnation vor allem im Westen hin. Nationale Inseln des Wohlstandes sind Wunschträume. Die Verquickung von Ökonomie und Demographie hat die Dritte Welt in einen Teufelskreis der Armut getrieben, aus dem kaum ein Entrinnen, jedenfalls nicht im nationalen Alleingang, denkbar ist Die Probleme von Ökologie, Ökonomie und Demographie stellen Herausforderungen für die Politik dar. Doch die Politik wird allem Anschein nach mit diesen Problemen nicht nur nicht fertig, sondern schafft darüber hinaus ihre eigenen Probleme, indem sie nämlich bewußt globale Interdependenz im Streben nach Sicherheit, nach innen wie nach außen, aus der nationalen Perspektive herstellt. Im Bemühen um größere Sicherheit geht der nukleare Wettlauf zwischen Ost und West *eiter und bedroht damit nicht nur die Sicherheit selbst, der sondern auch die der Welt Die konventionelle Rüstung geht In der weiter. Dritten Welt werden zum Teil mörderische Kriege geführt. Aktuelles Beispiel hierfür ist der Krieg zwischen Iran und Irak. Derartige Kon-
der likte erhöhen die Gefahr Konfrontation duschen den Supermächten und damit eben-falls die Sicherheit der Staatenwelt insgesamt. Die innenpolitische Stabilität vor allem in der Dritten Welt hat zwar nach wie vor hohe Priorität in den politisch-programmatischen Erklärungen der Staatsmänner, doch in der Realität wird sie entweder der Konservierung der bestehenden Machtstrukturen und Ungleichheit oder äußeren Sicherheitskalkülen untergeordnet. Auch hier wird national einseitig globale Interdependenz hergestellt, indem innerstaatlicher Protest und innerstaatliche Gewalt zum Problem internationaler Sicherheit umdefiniert werden. So wird dann die Intervention von außen legitimiert und die Gefahr der internationalen Konfrontation erhöht. Damit schließt sich auch dieser Regelkreis. Wo innenpolitische Ruhe herrscht, gleicht sie häufig der Friedhofsstille, die von Diktaturen mit militärischer Gewalt auf Zeit aufrechterhalten werden kann. Somit sind wir wieder bei der Feststellung angelangt, daß auch äußere und innere Sicherheit unter den gegenwärtigen weltpolitischen Bedingungen national weder isoliert behandelt, geschweige denn erreicht werden.
Aus diesem Grunde ist die Zukunft der Nationalstaaten im globalen Rahmen das Problem der Gegenwart Selbstverständlich weiß niemand, wie die Welt die eher dem irdischen Jammertal als dem anvisierten Paradiese gleicht, in der Zukunft aussehen wird. Doch deswegen das ist sie noch lange kein Rätsel, nicht teilweise entschlüsselt werden könnte. Im alten Griechenland befragte man das Orakel, die Ungewißheit über die Zukunft zu begrenzen. Geblieben sind heute die Neugier und der Zwang, der sogar gewachsen ist, mehr über die „Fortsetzung der Gegenwart“ zu erfahren. Dabei befinden wir uns heute in einer wesentlich besseren Lage als früher, um diese Ungewißheit zumindest einzuschränken. Der Wissensstand über gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Zusammenhänge ist heute unvergleichbar größer als noch vor 50 Jahren. Doch Wissen alleine hilft nicht weiter; denn erstens fragt sich, ob dieses Wissen so fundiert ist, daß es Aussagen über die Zukunft zuläßt; zweitens stellt sich das Problem, ob dieses Wissen von den politisch Verantwortlichen aufgegriffen wird; drittens ist damit noch nicht geklärt, ob das Wissen in praktische Handlung umgesetzt werden kann, um die gewünschte Zukunft in der Gegenwart entsprechend vorzubereiten.
Die Vorwegnahme der Zukunft ist integraler Bestandteil wissenschaftlicher Forschung, auch wenn diese Zielsetzung in der Regel nicht erkennbar ist Die Wissenschaft will beispielsweise soziale oder physikalische Phänomene erklären. Liegen erfolgreiche Erklärungen vor, dann sind auch Prognosen daraus ableitbar, immer vorausgesetzt, die theoretische Basis ist haltbar. So simpel sich aus wissenschaftslogischer Sicht der Zusammenhang von Theorie, (empirisch erfolgreicher) Erklärung und Prognose darstellt, so schwierig ist die Konkretisierung von Prognosen in der Forschungspraxis. Dafür spricht schon allein die Tatsache, daß es die unterschiedlichsten Prognoseansätze gibt.
Mit der Entwicklung von Weltmodellen, die im Mittelpunkt der nachfolgenden Analyse stehen, ist ein neuer Weg erschlossen worden, um Aussagen über mögliche Zukunfts. entwicklungen zu machen, Zukunft zu „berechnen". In diesem Zusammenhang haben der Club of Rome und sein kürzlich verstorbener Initiator und erster Präsident, Aurelio Peccei, Pionierarbeit geleistet Was Weltmodelle als ein Instrument unter vielen wissenschaftlichen Instrumenten zur Vorwegnahme der Zukunft von anderen unterscheidet wird im folgenden zu klären sein.
Im Anschluß daran wird kurz die Entstehungsgeschichte der Weltmodellbewegung mit den wichtigsten Modellen nachgezeichnet und die Frage untersucht was diese Modelle über unsere Zukunft aussagen. Zu diesem Zwecke werden eine Reihe von Ergebnissen illustrativ vorgestellt. Mit der Frage nach dem Sinn von Weltmodellen und ihrem Nutzen vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen wird die Analyse abgerundet Sollen Weltmodelle das werden, was der im Juli dieses Jahres zum neuen Präsidenten des Club of Rome gewählte Alexander King für seine Organisation beansprucht, nämlich „ein Dorn im Fleisch der Entscheidungsträger" oder handelt es sich letztlich nur um ein neues wissenschaftliches Tätigkeitsfeld, in dem eben Probleme im Weltmaßstab analysiert werden?
II. Weltmodelle ein Prognoseinstrument?
Abbildung 2
Tabelle 1:
Auszug von Ergebnissen aus dem Standardlauf von MOIRA, H. Linnenmann et al. (Anm. 40), S. 306.
Tabelle 1:
Auszug von Ergebnissen aus dem Standardlauf von MOIRA, H. Linnenmann et al. (Anm. 40), S. 306.
In der praktischen Politik haben wissenschaftlich fundierte Prognosen ihren festen Platz. So stellt etwa der Sachverständigenrat für die Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung im Auftrage der Bundesregierung jährlich seine Prognose über die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik. Aus der Prognose werden dann praktische Maßnahmen abgeleitet, um die prognostizierte Entwicklung wirtschaftspolitisch optimal zu bewältigen.
Im Vergleich dazu sind Weltmodelle zweifelsohne kein Prognoseinstrument Weder beschäftigen sie sich mit kurzfristigen Zukunftsentwicklungen, noch sind sie dem Anspruch nach für die Ableitung konkreter politischer Entscheidungen geeignet. Weltmodelle dienen gleichwohl der Vorwegnahme der Zukunft. „Globale Probleme erfordern globale Modelle“ erklärten kurzerhand D. Meadows et al. Die Vorwegnahme der Zukunft durch Weltmodelle ist aber besser mit dem Begriff der Projektionen umschrieben. Der Begriff der Projektion scheint eher angebracht, weil Weltmodelle Aussagen über denkbare Zukunftsentwicklungen treffen.
Wegen des großen zeitlichen Horizontes, der Weltmodellen eigen ist, können sie dem Anspruch einer Prognose im engeren Sinne nicht gerecht werden. Prognosen sind « Wahrscheinlichkeitsaussagen über die Zukunft. Je größer der Zeitraum der Prognose ist, desto größer ist die Fehlerwahrscheinlichkeit und somit auch die Wahrscheinlichkeit, daß die prognostizierten Ereignisse oder Abläufe nicht eintreten werden. Positiv formuliert unterscheiden sich Weltmodelle von anderen prognostischen Ansätzen dadurch, daß ihr Langzeithorizont mit globalen Entwicklungen in verschiedenen Bereichen verknüpft wird.
Für die Vorwegnahme der Zukunft sind die unterschiedlichsten Techniken entwickelt worden. Sie reichen von der verbalen Formulierung von Szenarien, der Auswertung der Befragung von Spezialisten (nicht zufälligerweise Delphi-Verfahren nach dem griechischen Orakel benannt), bis hin zu aufwendigen statistischen und mathematischen Modellen. Weltmodelle sind Simulationsmodelle, die nur mit Hilfe von Computern berechnet werden können.
Simulationsmodelle bestehen, vereinfacht gesprochen, aus einer Reihe von (mathematischen) Gleichungen, mit denen bestimmte reale Prozesse abgebildet werden. Diese Gleichungen werden möglichst auf der Grundlage systematischer Beobachtungen im Zeitablauf erstellt Die Gleichungen enthalten Variablen, sich verändernde Faktoren, wie etwa Bevölkerung, und Parameter, die angeben, inwieweit bei einer Veränderung der Ernährung beispielsweise die Bevölkerungssterblichkeit anteilmäßig steigt oder sinkt Die Gleichungen selbst geben die funktionalen Zusammenhänge zwischen den Variablen mit den entsprechenden Parametern an.
Unter der Annahme, daß die zukünftigen Abläufe durch die gleichen Gesetzmäßigkeiten, die in den Gleichungen explizit formuliert sind, bestimmt werden wie in der Vergangenheit, wird das Simulationsmodell hochgerechnet Ist man der Meinung, daß sich diese Gesetzmäßigkeiten verändern, werden Szenarien formuliert, in denen beispielsweise die Parameter verändert werden, um dann die Konsequenzen an Hand der Modellberechnungen zu bewerten.
Die Annahme, daß sich die Zukunft nicht wesentlich von der Vergangenheit unterscheiden wird, ist bei kurzfristiger Betrachtung sicher plausibel Zweifel an der Plausibilität der Unveränderbarkeit der im Modell enthaltenen Gesetzmäßigkeiten können durch Szenarien aufgefangen werden. Große Computer-Simulationsmodelle werden in den verschiedensten Bereichen, in der Wirtschaft und der Meteorologie ebenso wie etwa in der Physik, im Bereich der internationalen Beziehungen der Ökologie oder der Energieversorgung, seit langem verwendet.
Weltmodelle unterscheiden sich von Modellen anderer Bereiche dadurch, daß ihr Gegenstandsbereich globale Probleme sind In dem eben beschriebenen Sinne gibt es sie erst seit 1971, als das erste Weltmodell World Dynamics für den Club of Rome veröffentlicht worden ist. Ein Jahr zuvor, am 29. Juni 1970, war der Club zu einer Sitzung in Bern zusammengekommen. Er besteht aus Wissenschaftlern, Politikern und Führungskräften aus der Wirtschaft Heute sind es über hundert Wissenschaftler, deren Intentionen Forrester, der World Dynamics konstruierte, wie folgt beschreibt: „Die Mitglieder handeln als private Bürger... Ihre Orientierung ist aktivistisch — d. h. sie wollen mehr als nur analysieren und verstehen. Sie bemühen sich um die Erhellung des Verlaufs der die Menschheit betreffenden Ereignisse auf eine Art und Weise, die den Regierungen und der Öffentlichkeit nahegebracht werden können, um die Trends wachsender Bevölkerung, zunehmender Umweltverschmutzung, der Überbevölkerung und sozialer Unruhen zu beeinflussen."
Wozu also Weltmodelle, und welchen Zweck erfüllen sie?
Erstens sollen mit ihnen die in der Welt real bestehenden vielfältigen Abhängigkeitsbeziehungen sichtbar gemacht werden; dazu dienen ja gerade Simulationsmodelle. Die Komplexität der politischen und gesellschaftlichen Realität bedarf heutzutage keiner weiteren Begründung. Weltmodelle stellen einen Ansatz dar, diese Komplexität einzufangen und im doppelten Wortsinn berechenbar zu machen. Unser Denkvermögen ist nicht so angelegt, daß wir gleichzeitig z. B. 50 verschiedene Faktoren in ihren direkten und indirek-ten Einflüssen überschauen könnten. Das ist nur mit Großrechnern möglich. Weltmodelle im besonderen und somit Simulationsmodelle im allgemeinen stellen eine unschätzbare Ausweitung der Möglichkeiten für die Forschung dar, empirisch überprüfte oder rein theoretische Aussagen auf ihre dynamischen Auswirkungen hin zu überprüfen.
Zweitens dienen Weltmodelle der „Berechnung" zukünftiger Entwicklungen in ausgewählten Problembereichen globalen Ausmaßes. Weil wir mit einer z. T. komplexen, d. h. undurchdringlichen Wirklichkeit konfrontiert sind, wäre es verantwortungslos, die Zukunft zu ignorieren. Die Fülle der alltäglichen Entscheidungen in Politik und Wirtschaft bestimmt heute die Gegenwart von morgen. Wird die Zukunft als gestaltbare Größe angesehen, die Grundannahme von Politik überhaupt, dann ist es unerläßlich. Wissen darüber zu bekommen, wie sie aussehen wird, vorausgesetzt, es bleibt alles so wie es ist, oder was getan werden müßte, um bestimmten Zielen längerfristig näher zu kommen Je größer unser Wissen über wahrscheinliche und mögliche Zukunftsentwicklungen ist, desto größer wird der politische Handlungsspielraum für die Gestaltung der Zukunft selbst Erinnert sei allerdings auch an die Aussage des Nobelpreisträgers für Physik, Dennis Gabor, daß der Mensch die Zukunft zwar nicht prognostizieren kann, sie dafür aber erfinden könne
Drittens dienen die Weltmodelle der Betrachtung längerfristiger Entwicklungen, weil diese nicht unmittelbar aus der Beobachtung der Gegenwart und den Erfahrungen aus der Vergangenheit ersichtlich sind. Die Langfristperspektive, eines der wichtigsten Kennzeichen von Weltmodellen, ist als Notwendigkeit politisch unumstritten. Allerdings werden „Langzeitentscheidungen oft im politischen Wettkampf zur Seite gedrängt ... ”
Hinzu kommt, „daß wir oft nicht die intellek. tuellen Werkzeuge besitzen, die anstehenden Langzeitprobleme, Entscheidungen und ihre wahrscheinlichen Konsequenzen klar und realistisch darzustellen" Es dürfte sogar so sein, daß die bestehenden politisch administrativen Strukturen, die auf Arbeitsteilung und Kompetenzabgrenzung eingerichtet sind, für die integrierte Langzeitorientierung ungeeignet sind, ganz zu schweigen von der Problematik der Umsetzung. Augenfällig ist die Notwendigkeit der Langfristorientierung derzeit beim Waldsterben, das selber langfristige Ursachen hat und auch nur langfristig zu lösen ist
Viertens: Schließlich werden Weltmodelle, folgt man J. W. Forrester, entwickelt, um die Öffentlichkeit und die Regierungen zu veranlassen, bestimmte, von dem jeweiligen Weltmodell erkannte Fehlentwicklungen zu beheben. Gemessen am Anspruch steckt im Weltmodellierungsansatz eine explizite politische Intention. Sie ist sicher nicht auf einen wie immer gearteten parteipolitischen Nenner zu bringen. Diese politische Intention beinhaltet eine Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnis für die bessere Einsicht in die Zukunft zugleich als Gefahr und Chance begriffen. Während üblicherweise der Prozeß der (Grundlagen) Forschung als Rekonstruktion von Geschichte bezeichnet werden kann, was für die Humanwissenschaften insgesamt gilt sind Weltmodelle der Versuch, wissenschaftliche Erkenntnis für die Analyse und Hochrechnung eines bestimmten globalen Problems anzuwenden Die empirische Forschung in den Sozialwissenschaften hat zwischenzeitlich erhebliche Fortschritte gemacht, so daß Versuche der Umsetzung in Weltmodelle durchaus legitim erscheint Zusammengefaßt bedeutet dies: Weltmodelle stellen umfangreiche Simulationsmodelle dar, mit denen komplexe globale Wirkungszusanimenhänge abgebildet werden. Diese Modelle werden dann simuliert, d. h. zukünftige Entwicklungen werden damit berechnet Damit sollen zugleich Chancen und Gefahren der Zukunft auf der Grundlage des bestehenden Standes wissenschaftlicher Erkenntnis identifiziert werden. Der ursprünglichen Intention nach sind Weltmodelle „anwendungsorientiert'', d. h. mit ihnen soll Wissen produziert werden, das in den Prozeß der politischen Gestaltung der Zukunft einfließen soll.
Drei entscheidende Änderungen haben, wie Karl W. Deutsch betont, die Entwicklung von Weltmodellen heute möglich gemacht: Erstens die Datenrevolution, das heißt die Verfügbarkeit einer Fülle von Daten, insbesondere sogenannte Zeitreihen, sofern sie über Jahre hinweg erhoben werden, über politische Ereignisse ebenso wie etwa über wirtschaftliche und gesellschaftliche Phänomene. Zweitens nennt Deutsch zu Recht die gewaltige Entwicklung im Bereich der Großrechner. Ohne Computer gäbe es keine Weltmodelle. Und drittens schließlich nennt er die Entwicklung neuer mathematischer Methoden, zu denen man die Statistik hinzufügen muß, als notwendige Voraussetzung für die Abbildbarkeit von globalen Prozessen auf Großrechnern
III. Entwicklung der Weltmodelle — Ein Überblick
Eine genaue Abgrenzung dessen zu treffen, was unter den Oberbegriff Weltmodell fällt, ist nicht so ohne weiteres möglich. J. Richardson beispielsweise, der selbst an der Formulierung des Mesarowic-Pestel-Modells Die Menschheit am Wendepunkt beteiligt war, führte in seinem Aufsatz in Futures von 1978 insgesamt 19 Modelle auf. Die in der gleichen Zeitschrift 1981 veröffentlichte Liste umfaßt Modelle 20). In dem von D. Meadows et al. 1982 veröffentlichten Buch zur ersten Dekade der Weltmodelliererei mit dem programmatischen Titel Im Dunkeln Tasten (Groping in the Dark) werden sieben Modelle erörtert. Ohne Zweifel handelt es sich dabei um die wichtigsten, zugleich im Laufe der Jahre auf den Jahrestagungen des NASA (Internationales Institut für Angewandte Systemanalyse) vorgestellten, diskutierten und kritisierten Modelle. Das IIASA ist nach wie vor, dies ist in diesem Zusammenhang wichtig, das Rückgrat der Weltmodell-Bewegung, worauf weiter unten kurz eingegangen wird.
Aus pragmatischen Gründen beschränke ich mich hier auf diese sieben Modelle, denn diese haben im wesentlichen die bisherige Geschichte der Weltmodelle entscheidend geprägt. Ergänzt wird die Liste durch das derzeit vor der Fertigstellung stehende Weltmodell GLOBUS das am Wissenschaftszentrum Berlin erarbeitet wird. Bevor jedoch die Modelle im einzelnen behandelt werden, noch einmal zurück ins Jahr 1968.
Auf Anregung des italienischen Industriellen Aurelio Peccei wurde 1968 der Club of Rome gegründet Getrieben von der Sorge über die Zukunft entstand die Idee zu dem Forschungsprojekt The Predicament of Mankind (Das Schicksal der Menschheit). Die Philosophie dazu, die als World Problematique bekannt geworden ist, hatte der Club selbst entwickelt. Barry Hughes hat sie zusammenfassend umschrieben Sie läßt sich auf vier Punkte reduzieren:
1. Ein Komplex eng miteinander verknüpfter Einzelprobleme, der darin besteht, daß die Lücke zwischen Reichen und Armen nicht etwa geringer, sondern größer wird;
2. die Rohstoffreserven auf der Welt schwinden;
3. die Menschheit ist zunehmend unfähig zu verhindern, daß ihre Umwelt auf nicht vorhergesehene und unerwünschte Weise belastet wird; 4. die gegenwärtigen politischen und sozialen Institutionen sind unfähig, mit diesen vielfältigen Problemen fertig zu werden.
Dieser Philosophie liegt erstens die Annahme der globalen Interdependenz zugrunde, aus der sich die kumulative Verschärfung der Gesamtsituation ergibt Ihr liegt zweitens die Annahme zugrunde, daß diese Probleme letztlich deswegen bestehen, weil — pointiert formuliert — die Gesellschaft im allgemeinen — und die Politik im besonderen — a) die Zusammenhänge nicht sieht, b) deren kumulative Langzeitwirkung nicht begreift und c) weil die physikalische Umwelt (Belastung, Rohstoffknappheit) gemeinsam mit der sozialen (Armut, Stabilität) deswegen längerfristig zugrunde zu gehen drohen.
Nicht zu verkennen ist beim Club of Rome die Anleihe bei dem englischen Demographen und Ökonomen Malthus (1766— 1834). Er hatte die These formuliert, daß die Bevölkerung exponentiell, die Nahrungsmittelversorgung dagegen nur linear wachse, so daß auf Dauer Hunger unvermeidlich sei, passe sich das Wachstum der Menschheit nicht dem der Nahrungsmittelversorgung an. Wie immer man zu dieser These stehen mag, sie hat jedenfalls die erste Generation der Weltmodelle entscheidend geprägt.
Im Anschluß an seine Tagung in Bern im Juni 1970 schlug J. W. Forrester der kleinen Arbeitsgruppe des Club of Rome, die mit der Ausarbeitung des Projektes The Predicament of Mankind beauftragt worden waren, vor, sie solle ihn am Massachusetts Institute of Technology (MIT) besuchen. Er wollte ihr dort zeigen, daß das von ihm entwickelte Verfahren der System Dynamics geeignet sei, die Problematique in ein entsprechendes Weltmodell umzusetzen. System Dynamics ist ein Ansatz, mit dem dynamische Systeme modellmäßig mit Hilfe von Differentialgleichungen erfaßt werden, wobei das System durch negative oder durch positive Rückkoppelungseffekte bestimmt sein kann. Während sich ein solches System im ersten Falle längerfristig stabilisiert, „explodiert“ es im zweiten. Die Befürchtungen von Malthus entsprechen der Vorstellung eines solchen positiven Rückkoppelungseffektes. Auf dem Rückflug nach den USA skizzierte Forrester in groben Umrissen das erste Weltmodell: Welt-1. Die ausgearbeitete Fassung, auch bekannt als Welt-2, erschien unter dem Titel World Dynamics Die wesentlich komplexere Fassung der sogenannten Welt-3 wurde 1972 zunächst als populärwissenschaftliches Buch unter dem Titel Grenzen des Wachstums veröffentlicht. Dieses Buch stellte den weltweiten Durchbruch der Weltmodelle dar, nicht zuletzt auch deswegen, weil eine Public-Relations-Firma mit dessen Vermarktung beauftragt worden war. Die für den wissenschaftlichen Leserkreis geschriebene Fassung von Welt-3, die zugleich die Dokumentation des Modells selbst enthält erschien erst 1974
Der Club of Rome fand nicht nur weltweite Beachtung mit den niederschmetternden Aussagen über den Niedergang der Menschheit in Grenzen des Wachstums, er war auch erfolgreich mit der Institutionalisierung der Weltmodell-Bewegung. 1972 trafen sich die Vertreter von zwölf nationalen Wissenschaftsorganisationen aus dem Westen, dem Osten und der Dritten Welt in London, um dort das IIASA zu gründen, das in Laxenburg bei Wien sein Zuhause fand.
Damit schien der Erfolg der Weltmodelle gesichert. Tatsächlich aber begann sich erst langsam die wissenschaftliche Öffentlichkeit dieser Problematik anzunehmen. Man kann somit-drei Phasen der Weltmodell-Konstruktion unterscheiden:
1. Die Phase der Modelle der ersten Generation mit Malthus als dominierendem Bezugspunkt. 2. Die Phase der Modellbildung der zweiten Generation, der ökonomischen Orientierung und der Konsolidierung.
3. Die Phase der Modellbildung der dritten Generation und ihrer sozialwissenschaftlichen Fundierung.
Die Modelle der ersten Generation von Forrester und Meadows, Welt-1/2/3, sind bereits erwähnt worden. Sie alle sind im engeren Sinne global, weil sie die Welt als eine Einheit erfassen. Es gibt keine Regionen (z. B. West, Ost, Dritte Welt), somit auch keine Staaten. Die komplexeste Fassung dieser ersten Generation von Weltmodellen ist Welt-3. Sie umfaßt immerhin fünf verschiedene Sektoren: 1. Rohstoffe, 2. Umweltver schmutzung, 3. Landwirtschaft, 4. Produktion (Kapital) und 5. Bevölkerung. In jedem Sektor werden nach Ansicht der Verfasser die wichtigsten Beziehungen modelliert und dann miteinander verkoppelt. So umfaßt der Produktionssektor etwa die Arbeitsbevölkerung, Dienstleistungen und Industrieproduktion. Zum Landwirtschaftssektor gehören anbau-bare Fläche, Bedarf an Land für Industrieansiedlungen, landwirtschaftlicher Ertrag und Nahrungsmittelbedarf
Die Malthusianische Orientierung hat dazu geführt, daß diese Modelle der ersten Generation als models of doom, vielleicht am besten mit Weltuntergangsmodelle übersetzt, charakterisiert worden sind. Gerade weil sie sparsam in der Komplexität der Abbildung der Welt (nur eine Welt) und ihrer vielfältigen Beziehungen (fünf Sektoren unter Berücksichtigung nur der wichtigsten Elemente) sind, konnte der Zusammenhang von Bevölkerung, Ernährung, Produktion und Umweltverschmutzung deutlich gemacht werden. Gerade deswegen aber war die wissenschaftliche Kritik unvermeidlich.
Was den ersten Punkt betrifft, so weisen Meadows et al. zu Recht darauf hin, daß jedes (Welt) Modell nur in bezug auf die Absicht bewertet werden sollte, die damit verfolgt wird. Das ist den Wissenschaftlern der Welt 1-3 sicher gelungen. Sie haben ihren Standpunkt berechenbar und nachvollziehbar, die Öffentlichkeit auf schwerwiegende Probleme aufmerksam gemacht, wenn nicht sogar schockiert.
Die Tatsache, daß die Welt 1-3 Modelle wissenschaftlich nicht nur wohlwollend kritisiert wurden darf allerdings nicht als apriorische Ablehnung des Ansatzes, globale Entwicklung zu modellieren und hochzurechnen, fehlinterpretiert werden. Das zeigt sich schon daran, daß Weltmodelle der zweiten Generation entwickelt wurden. Dafür engagierten sich anerkannte Wissenschaftler, für die eine derartige Tätigkeit offensichtlich intellektuell herausfordernd genug war, ebenso wie staatliche Stellen und internationale Organisationen, die finanzielle Mittel für die kostspielige Entwicklung von Weltmodellen bereitstellten. Mit Karl W. Deutsch kann man hier hin-zufügen: . Aber ihre Nichterstellung und Nichtbenutzung kostet mehr.“
Die Kritik an den Modellen der ersten Generation wird bei der Betrachtung der Weltmodelle der zweiten Generation deutlich. Dazu gehört zunächst das sogenannte Bariloche-Modell, mit dem stellvertretend für die Dritte Welt, genaugenommen aus Lateinamerika, eine alternative Modellierungsstrategie eingeschlagen wurde. Dem Bariloche-Modell, nach einem Ort in Argentinien benannt, an dem es zunächst entwickelt wurde liegt keine fatalistische, sondern eine eher optimistisch aktivistische Konzeption zugrunde. Der Leiter der Gruppe, Amilcar Herrera, hat sie wie folgt formuliert Die „fatalistischen Aussagen (der . Grenzen des Wachstums, d. Verf.) enthalten einen grundlegenden Denkfehler. Wenn es eine bestimmte Menge globa-. ler Probleme gibt, gibt es auch genügend Freiheitsgrade, die alternative Lösungen ermöglichen. Die ausgewählte Lösung wird immer von den wirtschaftlichen und politischen Interessen derjenigen bestimmt sein, die am (politischen, d. Verf.) Entscheidungsprozeß beteiligt sind.“
Im Mittelpunkt des Bariloche-Modells stand konsequenterweise das Problem der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Weltbevölkerung, speziell in der Dritten Welt. Zu den Grundbedürfnissen zählen Ernährung, Ausbildung, Gesundheit und Wohnung. Die Bariloche-Gruppe unterteilt konsequenterweise die Welt in vier Regionen: die entwickelten Nationen der nördlichen Hemisphäre, Lateinamerika, Afrika und Asien.
Das Modell umfaßt im wesentlichen drei Sektoren, die weiter unterteilt sind. Dazu gehört der produktive ökonomische Sektor, der in fünf Bereiche gegliedert ist (Nahrungsmittel-produktion, Baubereich, Ausbildung, sonstige Konsumgüter und Dienstleistungen, Kapital). Hinzu kommen ein Sektor, der die Faktoren enthält, die die Produktivität im ökonomischen Bereich bestimmen (Arbeitskraft, Kapital), und schließlich der Bevölkerungssektor (Gesundheit, Lebenserwartung) Die zentralen Probleme, die dieses Modell aufgegriffen hat, sind normativer Natur. Sie sind mit der Frage zusammenzufassen, was getan werden müßte, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. Nicht zufällig kommen die Verfasser dieses Modells zu dem Schluß, daß weder Rohstoffe noch Umweltbelastung ein ernsthaftes Hindernis darstellen, das um von ihnen angestrebte Ziel zu erreichen.
Für Probleme der Dritten Welt vor dem Hintergrund der ersten Entwicklungsdekade wurde von den Vereinten Nationen das unter dem Namen des Ökonomen Leontief bekannt gewordene UNO-Weltmodell in Auftrag gegeben und entwickelt Auch hier stand eine politisch-normative Fragestellung Pate: Kann die Entwicklung der Dritten Welt erfolgreich vorangetrieben werden? Im Gegensatz zu dem Bariloche-Modell ist allerdings die normative Zielsetzung nicht selbst im Modell enthalten (bei Bariloche ist dafür ein Optimierungsalgorithmus eingebaut). Dafür eignet es sich zur Simulation zukünftiger Entwicklung auf der Grundlage von Szenarien, Vorstellungen also, wie die Zukunft aussehen sollte oder könnte.
Das Modell selbst ist ein sogenanntes Input-Output-Modell, das den Benutzer zwingt, eine Vielzahl von Faktoren exogen vorzugeben, d. h. in das Modell einzubringen. Ohne diese Vorgaben kann das Modell selbst keine Resultate liefern. Für diese Vorgaben sind Szenarien notwendig. Das Modell umfaßt 45 Sektoren und hatte ursprünglich 15 Regionen. Trotz der Vielfalt der Sektoren handelt es sich um ein ökonomisches, aus sozialwissenschaftlicher Sicht also begrenztes Modell, das neben der inländischen Produktion Export-und Importbeziehungen enthält, sowie mehrere Aspekte der Umweltverschmutzung und Programme zu ihrer Beseitigung.
Die Möglichkeit, Szenarien zur Grundlage der Zukunftsberechnung zu machen, somit also extern bestimmte Zielvorgaben oder Vermutungen über die Zukunft einzuführen, ist ein charakteristisches Merkmal des Mesarovic-Pestel-Weltmodells. Es wurde bekannt unter dem Namen Mankind at the Turning Point (Die Menschheit am Wendepunkt). Seine Verfasser wollten explizit eine Erweiterung der Welt-3 bewerkstelligen:
a) durch die Darstellung der Welt als ein System miteinander verkoppelter Regionen;
b) sich auf die Entwicklung von Empfehlungen konzentrieren, die für die politischen Entscheidungsträger nützlich sein könnten; und schließlich c) versuchen, sogenannte harte Daten als auch Theorien und Konzepte verschiedener Disziplinen zu integrieren. Abweichend von den anderen Modellen entwickelten die Verfasser ein Instrument, das sich für Planungs-und Entscheidungsprozesse eignet wozu es von ihnen auch heute regelrecht vermarktet wird.
Im ursprünglichen Modell sind zehn Regi, onen miteinander verknüpft Sie umfassen mehrere Schichten (Individuum, Gruppe, Demographie, Technologie, Geophysik), wobei das Modell selbst Bevölkerung, Produktion, u. a. Investitionsgüter, Finanzen, Nahrungsmittel, Energie, Export/Import, Kapital und Nahrungsmittelnachfrage und ihre Dynamik abbildet Es ist, wie das Schichtenkonzept nahelegt, ein Mehrebenen-Modell. Auf Grund der Intention, ein Planungsinstrument zu entwickeln, ist das Modell als Mensch-Maschinen-SimuIation konstruiert Der Benutzer verwendet das Modell durch seine Vorgaben, für die er Szenarien entwickeln muß. Von der substantiellen Struktur ist es allerdings ein eindeutig ökonomisch fundiertes Modell. Drei weitere Weltmodelle, die im Anschluß an Welt-3 entwickelt worden sind, konzentrieren sich im wesentlichen auf ökonomische Aspekte der zukünftigen Entwicklung. Es sind dies zum einen das FUGI-Modell, The Future of Global Interdependence (Die Zukunft der weltweiten Verflechtung), das in Japan entstand Der Name des Modells ist programmatisch für die Probleme, die für die Zukunft Japans selbst entscheidend sind. Dazu gehört zum zweiten das SARU-Modell Systems Analysis Research Unit Modell, aus Großbritannien. Schließlich gehört dazu das nach der griechischen Schicksalsgöttin MOIRA benannte Modell, Model Of International Relations in Agriculture (Modell der internationalen Beziehungen in der Landwirtschaft), das unter der Leitung des Holländers H. Linnenmann entstand MOIRA ist zweifelsohne insoweit das präziseste Modell, als es sich auf ein vergleichsweise eng abgegrenztes Problem konzentriert, auf das Problem der Nahrungsmittel, oder besserdes Welthungers. Die komplexen Wirkungszusammenhänge von der Nahrungsmittelproduktion bis hin zu ihrer Verteilung und der Unterernährung werden für 106 Nationen (später um weitere ergänzt) modelliert Nahrungsmittel werden zur Größe „Protein-Verbrauch" aggregiert Da es einen nichtlandwirtschaftlichen Produktionssektor im Modell nicht gibt muß das Einkommen außerhalb der Landwirtschaft extern vorgegeben werden, was auch für Bevölkerungswachstum, Inflation und Preise für Düngemittel zutrifft. Das Modell zeichnet sich weiterhin dadurch aus, daß in zwei Typen von Ländern unterschieden wird: in zentrale Planwirtschaften und in Marktwirtschaften. Nahrungsmittelproduktion, Einkommen, Bevölkerung, Weltmarkt-und Inlandspreise werden ebenso erfaßt wie die weltweiten Nahrungsmittelreserven.
Das SARU-Modell wurde neben der Absicht, Weltmodelle besser zu verstehen, konzipiert, um mögliche Bereiche und Dimensionen der Belastung der Entwicklung des globalen Systems zu identifizieren. SARUM ist ein 15 Regionen und 13 Sektoren umfassendes Modell, die miteinander dynamisch verknüpft sind. Zu den Sektoren gehören neun, mit denen die Landwirtschaft insgesamt abgebildet wird, und vier, um den nichtlandwirtschaftlichen Sektor zu erfassen. Zum ersten Bereich gehören u. a. Wasser und Land, Früchte und Gemüse, zum zweiten Investitionsgüter und Primärenergie. Das Modell knüpft an der ökonomischen Tradition an, die Sektoren durch Preise und Profit zu verknüpfen und zu „treiben". Die Regionen sind ihrerseits über den Außenhandel verknüpft.
Das FUGI-Modell schließlich besteht aus drei Komponenten:
1. einem Globalen Input-Output-Modell (GIOM), das insgesamt 14 Wirtschaftssektoren für jede der 15 Regionen — heute sind es 64, von denen einige mit Einzelstaaten identisch sind — des Modells umfaßt;
2. einem Globalen Makro-Ökonomischen Modell (GMEM), das in der ursprünglichen Formulierung für jede Region sechs hochaggregierte Sektoren umfaßt (u. a. Produktion, Ausgaben, Profit/Löhne, Preise);
3. wird das Modell komplettiert durch ein globales metallisches Rohstoffmodell. Letzteres ist nicht automatisch mit den beiden anderen Teilmodellen gekoppelt.
GIOM erfordert zwangsläufig exogene Vorgaben. Ein Optimierungs-Algorithmus erlaubt es, über Szenarien Zielvorgaben in das Modell einzugeben und deren Verwirklichung zu überprüfen.
Die unterschiedlichen Modellierungsstrategien, die von den verschiedenen Gruppen gewählt worden sind, können hier nicht im Detail diskutiert werden. Wichtig im Kontext dieser Analyse ist jedenfalls, daß die Weltmodelle der zweiten Generation nahezu durchgängig im ökonomischen Bereich angesiedelt sind. Politische Prozesse werden höchstens indirekt erfaßt, sei es über die Verteilung (Bariloche), sei es über die Preise. Diese Tatsache hat schließlich zur Entwicklung des m. W. bislang einzigen sozialwissenschaftlichen Weltmodells im engeren Sinne, zu GLOBUS, der dritten Modell-Generation, am Internationalen Institut für Vergleichende Gesellschaftsforschung des Wissenschaftszentrums Berlin, geführt.
Den intellektuellen Anstoß für GLOBUS gab die Einsicht, daß eher „soziale, politische und ökonomische Strukturen bestimmen, wie die Produktion unter der Weltbevölkerung verteilt wird“ Es geht folglich nicht nur darum, zu welchen Kosten (ökonomisch und ökologisch) wieviel produziert werden kann und muß, sondern auch darum, wie politische Prozesse mit wirtschaftlichen verknüpft sind, national wie international. Neu an GLOBUS ist, daß hier erstmalig das Problem aufgegriffen wird, wie politische und gesellschaftliche Prozesse und nicht nur Ökonomie, Ökologie und Demographie die Zukunft der Menschheit mitbestimmen.
GLOBUS ist, was die Grundstruktur betrifft, im Gegensatz zu den anderen Weltmodellen im politikwissenschaftlichen Bereich angesiedelt. Das Modell knüpft an die Tradition der Simulation internationaler politischer Prozesse an, worauf bereits hingewiesen worden ist. Der Leiter der GLOBUS-Projektgruppe, S. A Bremer, gehört zu den Schülern Harold Guetzkows von der Universität von Chicago, der in den fünfziger Jahren diese Tradition begründete
Staaten bestimmen nach wie vor international und national das Geschick der Menschheit. Konsequenterweise erfaßt GLOBUS 25 konkrete Staaten, u. a. die USA und die Bundesrepublik Deutschland als zwei von insge-samt sieben OECD-Staaten die UdSSR und die DDR als zwei von insgesamt fünf kommunistischen Staaten, und schließlich Indien, Pakistan, Nigeria und Brasilien als vier von insgesamt zwölf Nationen der Dritten Welt Hinzu kommen Südafrika als Sonderfall und der Rest der Welt als Residualkategorie.
Im Mittelpunkt des Modells stehen die Regierungen mit Staatseinnahmen und -ausgaben. Die Staaten sind mit ihrer nationalen und internationalen Umwelt verflochten, auf die sie (die Staaten) einwirken und die auf sie einwirkt. Der innenstaatliche Bereich besteht aus zwei Sektoren, dem wirtschaftlichen Sektor einerseits, dem innenpolitischen andererseits. Die Produktion von Gütern, Investitionen, Dienstleistungen und Finanztransaktionen sind u. a. Elemente des ersten Sektors. Im innenpolitischen Sektor wird versucht, das Problem innenpolitischer Stabilität über Protest, Gewalt und Regierungssanktionen abzubilden. Der internationale Bereich umfaßt zum einen die bilateralen Außenhandelsbeziehungen mit dem Export und Import von insgesamt sechs verschiedenen Gütern (u. a. Nahrungsmittel, Finanzen, Rohstoffe) Er umfaßt zum anderen im internationalen politischen Sektor die bilateralen Konflikt-und Kooperationsbeziehungen zwischen den Staaten. Hinzu kommt ein demographisches Teilmodell. Sämtliche Sektoren sind miteinander direkt oder indirekt verkoppelt. Diese Kurzbeschreibung macht bereits deutlich, wo der Unterschied zu den Modellen der zweiten Generation liegt; er liegt in der Verknüpfung von Politik und Wirtschaft, national wie international. Damit kann der kurze Überblick über die historische Entwicklung der Weltmodelle abgeschlossen werden. Deutlich wurde, daß alle Modelle sich klar erkennbar auf bestimmte Probleme globalen Ausmaßes konzentrieren, von denen anzunehmen ist, daß sie die Zukunft entscheidend mitprägen werden. Allen gemeinsam ist das Bemühen, Zukunft nachvollziehbar und somit auf bestimmte konkrete Probleme aufmerksam zu machen, auch wenn es Unterschiede gibt, die vor allem die „aktivistische" Intention der Modellbauer betrifft Das reicht von dem expliziten Bemühen um politischen Einfluß des Club of Rome über die Einbeziehung in den politischen Planungsund Entscheidungsprozeß, die Mesarovic und Pestel anstreben, bis hin zur wissenschaftlich fundierten Modellkonstruktion, wie sie Bremer vorschwebt, womit der Anwendungsaspekt zunächst ausgeklammert bleibt. Unterschiede zeigen sich in der Formulierung: generelle und umfassende Problemformulierung unter Rückgriff auf Malthus bei der ersten Modellgeneration, ökonomische Fundierung und regionale Disaggregation bei den Modellen der zweiten Generation, politikwissenschaftliche und ökonomische Fundierung und Disaggregation auf die nationalstaatliche Ebene beim Modell der dritten Generation.
Im nächsten Abschnitt sollen einige Ergebnisse dargestellt werden, bevor die Frage nach dem Nutzen derart aufwendiger Forschungsprogramme beantwortet wird.
IV. Ergebnisse und Nutzen
Die Darstellung der Ergebnisse der verschiedenen Weltmodelle ist ein schwieriges Unterfangen, denn genaugenommen ist dies nur unter zwei Bedingungen möglich. Erstens muß die Frage bzw. das Problem vorformuliert vorliegen, bevor das Modell zu dessen Beantwortung bzw. Klärung beitragen kann. Jedes Weltmodell gibt aber Antworten auf viele Fragen und u. U. mehrere Antworten auf eine einzige Frage. Zweitens müssen bei einer ganzen Reihe von Modellen externe Vorgaben gemacht werden, um „Zukunft“ berechnen zu können. Diese externen Vorgaben oder auch Eingriffe, die im Prinzip bei jedem Modell möglich sind (beispielsweise durch Veränderung der Parameter der im Modell enthaltenen Gleichungen oder aber durch die Veränderung der erforderlichen Anfangswerte), führen praktisch zu einer ganzen Fülle von Resultaten. Diese Tatsache allein widerspricht schon der Vermutung, hinter diesen Modellen verberge sich der Anspruch ihrer Konstrukteure, sie alleine wüßten, wie die Zukunft aussieht. Diese Modelle sagen also erstens nur das aus, was im Rahmen der sie kennzeichnenden Einschränkungen möglich ist, zweitens beantworten sie bestimmte Fragen nur im Rahmen der gewählten Problemspezifikation. Die Welt-Modellierung beinhaltet also wie jede wissenschaftliche Theorie die Einschränkung ihrer Aussagemöglichkeiten. Es gibt keine Theorie, die alles erklären könnte.
Die Weltmodelle der ersten Generation, Welt 1— 3, sind als Weltuntergangsmodelle (models of doom) bezeichnet worden. Unter der Annahme, die seit 1900 beobachtbare Entwicklung setze sich fort (speziell beim Bevölkerungswachstum, der industriellen Pro-Kopf-Produktion, Nahrungsmittel pro Kopf, Index der dauerhaften Umweltverschmutzung, verbleibende Rohstoffe, Geburten-und Sterberate), kommt es zu den „Grenzen des Wachstums" und in der Folge zum Zusammenbruch. Dies geht aus Abbildung 1 deutlich hervor, die einen solchen Verlauf der Welt-2 wiedergibt. Etwa in der Mitte des 21. Jahrhunderts bricht danach das Weltsystem mehr oder weniger zusammen, um sich später auf niedrigerem Niveau (Bevölkerung, Ernährung, Umweltverschmutzung) wieder zu stabilisieren. Dieses Modell, wie alle der ersten Generation, hat einen ungeheuer großen Zeithorizont üblicherweise läuft das Modell bis zum Jahre 2100.
Mit Recht kann man einwenden, diese Zeitspanne sei viel zu groß, zumal jede Hochrechnung mit zunehmender Zeit immer ungenauer, um nicht zu sagen irrelevant wird. Gegen einen solchen Einwand haben Meadows et al. das Argument vorgebracht, daß solche Modelle und ihre Hochrechnungen weniger etwas über die Zukunft selbst aussagten als über die Notwendigkeit ihrer Änderung. Wird von einer drastischen Einschränkung des Bevölkerungswachstums wie der industriellen Produktion ausgegangen, dann „bricht“ die Welt nicht mehr zusammen Aus diesem Phänomen heraus erklärt sich der Titel von Welt-2: Grenzen des Wachstums.
Wie sensitiv aber dieses Modell bezüglich des „Technologie-Faktors“ ist, zeigte Bremer, der 625 Läufe des Welt-3-Modells, der komplexeren Fassung des Welt-2-Modells, zu diesem Zwecke durchführte Er belegte, daß bei jährlichen Zuwachsraten des technologischen Fortschrittes zwischen einem und vier Prozent in drei von vier Sektoren (Landwirtschaft, Rohstoffe, Kapital, Umwelt) keineswegs die Grenzen des Wachstums erreicht werden. Bremer betont, „daß durch technologischen Fortschritt auf bestimmten Gebieten eine Lösung für die nächsten 100 Jahre und darüber hinaus möglich sein könnte“
Das Bariloche-Modell, dessen Anliegen normativer Natur ist (können die Grundbedürfnisse der Menschen befriedigt werden, und wenn ja, innerhalb welchen Zeitraums?), zeigt, daß die Grundbedürfnisse tatsächlich befriedigt werden können. Etwa 1990 ist dieser Punkt in Lateinamerika erreicht, in Afrika wird dies den Modellberechnungen zufolge erst gegen Ende der ersten Dekade im 21. Jahrhundert sein, während in Asien dieses Ziel erst im Jahre 2040 erreicht werden kann.
Unbeantwortet bleibt aber das Problem, ob es möglich ist, gleichzeitig die politischen Strukturen zu verändern, die letztlich diesen Prozeß der graduellen Umverteilung nur bewir. ken können. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse ist weniger ein Problem der Produktion als vielmehr ein Problem der Verteilung bzw. Umverteilung und damit politisch-gesellschaftlicher Macht Da das Mesarovic-Pestel-Modell als Planungs-und Entscheidungsinstrument konzipiert worden ist sind die Verfasser nicht so sehr auf die Darstellung von Ergebnissen ihres Modells erpicht. Der Zeithorizont ist wesentlich kürzer als von Welt 1— 3 und erstreckt sich bis etwa zum Jahre 2025. Mesarovic und Pestel ziehen aus dm Modellverhalten Schlüsse über die Zukunft die zugleich Rückschlüsse über die Aussagen des Modells selbst zulassen. So gehen sie davon aus, daß die gegenwärtigen Krisen im Weltmaßstab nicht zeitlich begrenzt, sondern dauerhaft sind und daß sie nicht mit traditionellen Mitteln, sondern nur durch Kooperation statt Konfrontation bewältigt werden können. Ein Teil der Probleme wird auch bei diesem Modell in der Bevölkerungsentwicklung und dem Welthunger gesehen.
Welthunger ist das Problem, das bei MOIRA im Mittelpunkt steht. Ausgehend von dem Standardlauf, der einer Fortschreibung der bisherigen Entwicklung entspricht, kommen die Verfasser zu dem Schluß, daß sich die Gesamtsituation z. T. erheblich verschärfen wird. Dies zeigen die Ausschnitte in Tabelle 1. Auf Grund von Experimenten mit dem Modell stellte sich heraus, daß der Welthunger durch Nahrungsmittelhilfe von den reichen Ländern für die armen reduziert werden kann. Das ist an sich nichts Neues. Würden jährlich etwa 0, 5 Prozent des Bruttosozialprodukts von den reichen Nationen für den Kauf von Nahrungsmitteln für die Armen bereitgestellt könnte der Hunger beseitigt werden. Neu mag aber die Schlußfolgerung sein, daß in keinem Falle die Liberalisierung des Welthandels im Nahrungsmittelsektor den gewünschten Effekt zur Folge haben würde. Davon profitierten den Modellberechnungen zufolge nur die reichen Nationen. MOIRA, gerade weil es vergleichsweise spezifisch und somit wesentlich differenzierter ist als die Modelle der ersten und zweiten Generation, läuft über einen Zeitraum von ca. 30 Jahren.
Die SARUM-Gruppe, die zuerst die Weltmodelle der ersten Generation kritisch evaluierte, bevor sie selbst ihr Modell entwickelte, war und ist sehr skeptisch bezüglich der Aus sagen der Modelle, auch des eigenen Ihre primäre Orientierung ist sehr stark durch wissenschaftlichen Skeptizismus geprägt. Die Erfassung der Probleme des Weltmodellbaus und deren Überwindung sowie größeres Verständnis für die Funktionsweise der Welt als System waren zwei ihrer wichtigen Anliegen Die Hochrechnungen dieses Modells für die nächsten 50 Jahre deuten auf ähnliche Probleme wie die der anderen Modelle hin.
Das UNO-Modell von Leontief und seinen Mitarbeitern unterscheidet sich insofern von den anderen, als es kein dynamisches Modell im eigentlichen Sinne ist. Das ist eine Konsequenz der gewählten Modellierungstechnik. Dafür eignet es sich gut für Szenarios, wofür es letztlich entwickelt wurde. Kann also das Entwicklungsziel der UNO für die Entwicklungsländer, u. a. Grundbedürfnisbefriedigung, vier Prozent Wachstum, höherer Anteil der Dritten Welt am Welthandel innerhalb der nächsten zehn bzw. zwanzig Jahre erreicht werden? Auf die Ergebnisse im einzelnen einzugehen, ist nicht möglich. Statt dessen sei auf einige Schlußfolgerungen der Studie von Leontief et al. verwiesen. Zusammenfassend ist die Ansicht der Autoren fest-zuhalten, daß es keine unüberwindbaren Hindernisse gebe, um Ernährung und Wohlstand auf der Welt sicherzustellen, vorausgesetzt, es bleibe eben nicht beim alten. Eine wichtige Voraussetzung sei die Änderung der Welt-wirtschaftsordnung und die Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Strukturen vor allem in der Dritten Welt. Beide Veränderungen müßten gleichzeitig anvisiert werden, weil jede für sich nicht ausreiche GLOBUS ist als einziges Modell noch nicht abgeschlossen, soweit ein Weltmodell überhaupt jemals als abgeschlossen betrachtet werden kann. Bisher liegen erste vorläufige Resultate vor, die aber bewußt als „illustrativ" charakterisiert werden. Unter anderem hat einer der Projektmitarbeiter, Thomas Cusack, kürzlich eine erste vorläufige Studie über die Entwicklung von Macht, Bedrohung und Sicherheit zwischen Westen, Osten und der Dritten Welt vorgelegt Eine der Schlußfolgerungen, die er aus seiner Studie über den Zusammenhang zwischen internationalem Konflikt und Bedrohung, Rüstung und wirtschaftlicher Entwicklung zieht, ist, daß der Rüstungssektor in Ost und West vergleichsweise sensitiv auf die wirtschaftliche Entwicklung reagiert, dafür aber kaum vom internationalen politischen Klima (Konflikt und Kooperation) abhängt In der DrittenWelt dagegen spielt nicht nur die wirtschaftliche Situation eine ausschlaggebende Rolle bei der Rüstung, sondern auch die internationale politische Lage. Diese Projektionen, die, wie betont, vorläufiger Natur sind, gelten für einen Zeitraum von 30 Jahren, der im Rahmen von GLOBUS gerade noch als akzeptabel für Hochrechnungen politischer Prozesse gilt.
So kursorisch dieser Überblick auch sein mag, so zeigt er doch, daß in jedem Falle die ökologische, wirtschaftliche und somit auch politi.sehe Belastung im Weltmaßstab längerfristig eingeplant werden muß. Es handelt sich dabei nicht etwa um kurzfristige Konjunkturprobleme, sondern um grundlegende Strukturpro. bleme. Man könnte nun einwenden, daß dies allemal bekannt sei, doch ist damit noch lange nicht das Gegenargument aus der Welt, daß die einzelnen Weltmodelle die Art der Struk. turprobleme in dynamischer Sicht, d. h. im Zeitablauf, verdeutlichen. Darin liegt ihre Stärke und Einzigartigkeit
V. Weltmodelle — Ein Rückblick
Weltmodelle sind, wie Karl W. Deutsch feststellte, eine kostspielige Angelegenheit Welchen Sinn also haben sie und welcher Nutzen ist von ihnen zu erwarten? Bei dieser Doppel-frage soll zunächst historisch vorgegangen werden, indem kurz darzustellen versucht wird, warum sie entwickelt worden sind und wozu sie benutzt werden. Im Anschluß daran soll diese Frage aus der wissenschaftlichen Perspektive aufgegriffen und beantwortet werden.
Die Weltmodelle der ersten Generation waren, das läßt sich ohne Übertreibung sagen, mehr als erfolgreich. Erstens zeigten sie, daß jenseits jeglicher Kritik die Konstruktion von Weltmodellen wissenschaftlich als sinnvoll bewertet wird. Dieser Erfolg schlug sich dann auch in der institutioneilen Verankerung dieser Forschungsrichtung im IIASA nieder. Zweitens zeigten die ersten Weltmodelle, Welt 1— 3, daß die Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Analyse realer Probleme möglich und sogar notwendig ist. Drittens gelang es mit den Grenzen des Wachstums die Öffentlichkeit — leider nur kurzfristig — wachzurütteln. Damit wurde der naive Wachstumsglaube mit seinen längerfristig fatalen Konsequenzen konfrontiert. Nicht zuletzt auf der Grundlage dieses Erfolges kam es zur zweiten Weltmodellgeneration. Diese Modelle lassen sich sowohl als wissenschaftliche „Gegenreaktion" begreifen wie auch als Versuch, diesen Ansatz produktiv für praktische Politik einzusetzen. Was den ersten Aspekt betrifft, so belegt die Richtigkeit dieser These die systematische Kritik an Welt-2 bzw. Welt-3, d. h. die damit ausgelöste und sich fortsetzende kritische wissenschaftliche Auseinandersetzung über die Problematik von Weltmodellen überhaupt. Das betrifft u. a. sowohl das Aggregationsniveau der Modelle (eine Welt, Regionen oder Staaten) als auch die Notwendigkeit ihrer empirisehen Fundierung Was die praktische Verwertbarkeit betrifft, so belegen die Tatsachen, daß die UNO selbst ein solches Modell in Auftrag gab (Leontief), UNO-Sonderorganisationen wie die ILO das Bariloche-Modell auf-griffen und daß das britische Umweltministerium mit der SARU-Gruppe ein eigenes Modell entwickelte, daß man sich von diesen Modellen einen praktischen Nutzen versprach. Daß die Nähe zur staatlichen Verwaltung nicht unbedingt Abhängigkeit oder Einseitigkeit bedeutet, beweist die Arbeit der SARU-Gruppe, die wissenschaftlich sowohl für ihr Modell als auch für ihre Kritik an Weltmodellen insgesamt große Anerkennung gefunden hat.
Wie die verschiedenen kritischen Anmerkungen in der Zeitschrift Futures, die im April 1982 ein ganzes Heft der ersten Dekade der Weltmodellierung gewidmet hat zeigen, sind die Meinungen über den Erfolg dieses Ansatzes durchaus geteilt. Das Spektrum reicht von Forrester, der Weltmodelle ersetzt sehen will durch Modelle, „um nationale Entwicklung im globalen Rahmen“ besser zu verstehen, bis hin zu Donella Meadows. Für sie befindet sich die Weltmodellierung in einer neuen Phase, in der diese Aktivitäten unter positiveren und realistischeren Annahmen erfolgen werden Zu ergänzen ist, daß Forrester mit seiner Meinung alleine steht. Die Aussagen sämtlicher Weltmodelle sind keineswegs optimistisch, was das Ausmaß der zu erwartenden Probleme betrifft, wenn es zu keinen gewichtigen politischen Veränderungen kommt. Aber über die politischen Prozesse selbst können auch die raffiniertesten ökonomischen Modelle keine Aussagen machen. Hier stößt die Ökonomie an ihre Grenzen. Diesen Mangel, sofern man die Überzeugung vertritt, daß die Zukunft durch ökonomische in Verbindung mit innen-und der außenpolitischen Entwicklungen maßgeblich bestimmt wird, versucht das erste im engeren Sinne sozialwissenschaftliche Modell, GLOBUS, zu überwinden. In Kürze wird sich zeigen, ob dieses Modell hierzu sinnvolle Aussagen kann. Die -machen ersten Ergeb nisse sprechen jedenfalls dafür.
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, daß die Fortführung der Weltmodell-konstruktion nach dem Paukenschlag mit den Grenzen des Wachstums nicht zuletzt deswegen möglich war, weil auf politischer Seite nicht nur Interesse an derartigen Modellen bestand, sondern auch die Bereitschaft vorhanden war, dafür finanzielle Mittel zu bewilligen. Wissenschaftlich ist ein Diskussionsprozeß in Gang gesetzt worden, der das ganze Spektrum von Problemen umfaßt, mit denen sich Weltmodellierer beschäftigen müssen. Eine der sichtbarsten Konsequenzen dieses gewachsenen Problembewußtseins ist die Reduzierung des Hochrechnungszeitraumes einerseits sowie der zunehmenden internen Ausdifferenzierung der Modellstrukturen andererseits. Mit Sicherheit ist aber festzuhalten, daß Weltmodelle mehr geworden sind als Instrumente zur politischen Einflußnahme, wofür sie der Gründer des Club of Rome hielt
Das ist aber kein Grund zum grenzenlosen Optimismus. Wissenschaftlich gesehen, sind Weltmodelle nach wie vor „Exoten“, die in keiner etablierten Fachdisziplin angesiedelt sind. Damit fehlt eine wissenschaftssoziologisch wichtige Komponente für ihr Überleben und ihre Fortentwicklung, die Institutionalisierung. Auch das IIASA ist dafür kein ausreichender Ersatz. Während in den USA in den Sozialwissenschaften die Methodenausbildung eine wichtige Rolle spielt und vereinzelt auch einfache Simulationsmodelle im Unterricht eingesetzt werden, liegen in Europa hier erhebliche Defizite vor, die höchstens mittelfristig beseitigt werden können.
sind Weltmodelle nicht in das einfache — und wohl auch deswegen irreführende — Schema von Grundlagenforschung oder Anwendung einzuordnen. Sie konfligieren mit wissenschaftsinternen Normen, weil sie sich z. T. durch Relevanzgesichtspunkte leiten lassen, die nicht mit den fachspezifischen Ent -wicklungen übereinstimmen müssen. Sie stehen potentiell im Konflikt mit der politischen Praxis, weil ihre Aussagen in der Regel alles andere als schmeichelhaft für die Berufsoptimisten sind, wie sie Politiker und Beamte sein müssen.
Trotz der materiellen Unterstützung ist der politische Einfluß bzw. sind politische Auswirkungen durch die Weltmodelle im engeren Sinne nicht zu erkennen. Typischerweise wurden Weltmodelle überwiegend von der UNO und ihren Sonderorganisationen gefördert und ausgewertet, nicht aber von nationalen Regierungen. Bekanntlich ist jedoch die politische Gestaltungskraft internationaler Organisationen begrenzt, so daß es damit den Weltmodellen wie den Sozialwissenschaften überhaupt ergeht, die häufig politisch nur dann willkommen sind, wenn sie politische Anschauungen oder Entscheidungen legitimieren. Das aber ist von Weltmodellen gerade nicht zu erwarten.
Wie die Zukunft der Weltmodellkonstruktionen aussieht, ist derzeit nicht abzusehen, muß aber realistischerweise eher pessimistisch eingeschätzt werden. Anlaß zum Optimismus mag allerdings sein, daß es Weltmodelle trotz allem noch gibt Daß die Zukunft der Weltmodelle nicht gesichert ist, liegt allerdings nicht am Ansatz selbst, wie im abschließenden Abschnitt gezeigt wird, wo es um den Nutzen von Weltmodellen geht.
VI. Ausblick: Zur Zukunft der Weltmodelle
Rufen wir noch einmal ins Gedächtnis, welche Prämissen letztlich allen Weltmodellen zugrunde liegen:
Erstens ist es die politische Prämisse, daß es eine Reihe globaler Probleme gibt, die sich nicht auf eine Nation und einen Sektor der Gesellschaft reduzieren lassen. Es ist dies die Prämisse der Interdependenz.
Zweitens ist es die wissenschaftliche Prämisse, daß ein Ausschnitt aus dieser Gesamtproblematik global modellierbar ist und somit im Prinzip Aussagen über mögliche zukünftige Entwicklungen möglich sind.
Drittens ist es die Prämisse der Verwertbarkeit derartiger wissenschaftlicher Einsichten für die Praxis.
Da die erste Prämisse sicher nicht kontrovers ist, bleibt sie außerhalb der Betrachtung. Die Ausgestaltung der zweiten Prämisse ist entscheidend, geht man von ihrer Richtigkeit aus. Der Aspekt der Interdependenz beinhaltet eine Reihe von zusätzlichen Annahmen. Die erste ist, daß die Berücksichtigung der dynamischen Komponente von Wirkungszusammenhängen ganz entscheidend ist, um sinnvolle Aussagen über Zukunftsentwicklungen machen zu können. Anders formuliert: Die kurzfristigen Effekte, die sich aus bestimmten Wirkungszusammenhängen ergeben, können sich längerfristig katastrophal auswirken, sofern innerhalb eines Systems, in diesem Fall der Welt, kein Gegensteuerungsmechanismus eingebaut ist Daß ein solcher Mechanismus im Weltmaßstab fehlt, ist zumindest plausibel. Um diesen dynamischen Aspekt überhaupt nachzuvollziehen, werden u. a. Weltmodelle gemacht. Dazu gibt es kaum eine Alternative, sofern eine globale Perspektive eingenommen wird.
Eine weitere Annahme, die aus der zweiten Prämisse resultiert, beinhaltet, daß zur sinnvollen Abbildung der Interdependenz innerhalb eines bestimmten Problemfeldes im Weltmaßstab eine fachspezifische Ausrichtung des Modells unzulänglich ist. Die interdisziplinäre Verkoppelung von Wissensbeständen ist folglich eine notwendige Bedingung für die Konstruktion von Weltmodellen überhaupt. Zwar wurde sie bisher angestrebt, zum Teil auch verwirklicht; dennoch wird aber das Problem der Verknüpfung von disziplinären Wissensbeständen als Forschungsproblem weitgehend ignoriert. Der Trend der Wissenschaftsentwicklung scheint sogar eher in die Gegenrichtung zu laufen, nämlich in Richtung zunehmender Ausdifferenzierung und Fragmentierung. Die vielen sogenannten „Bindestrich-Soziologien" sprechen für diese Vermutung.
Die dritte implizite Annahme schließlich besteht darin, daß die empirisch systematische Fundierung der Modellbestandteile unbedingt erforderlich ist. Das setzt nicht nur Daten über alle möglichen Phänomene voraus, sondern auch vergleichbare Daten für viele Länder über längere Zeiträume hinweg. Nur so steigt die Gewißheit, daß die Vergangenheit bereits einigermaßen zuverlässig im Modell erfaßt worden ist Die empirische Fundierung ist bisher eine der entscheidenden Schwächen aller Modelle. Im Rahmen von GLOBUS wird versucht, diesen Mangel weitgehend zu beseitigen, auch wenn auf Grund der Datenverfügbarkeit die Bemühungen nicht immer erfolgreich sind
Eine Konsequenz, die sich aus der zweiten Prämisse ergibt, hat bislang kaum die Aufmerksamkeit gefunden, die sie eigentlich verdient, nämlich neben dem Aspekt der Verwertbarkeit Weltmodelle auch und hauptsächlich als Forschungsinstrument zu begreifen Zwei Beispiele mögen hier genügen, um diesen wesentlichen Aspekt zumindest zu illustrieren. Erstens können Weltmodelle zur Validierung theoretischer Aussagen, die empirisch gestützt sind, systematisch eingesetzt werden. Das ist möglich, indem sie zur Nach-Rechnung historischer Prozesse eingesetzt werden. Stimmen die hochgerechneten Abläufe mit den in der Vergangenheit beobachteten überein? Auf diesem Wege kann die Frage aufgegriffen werden, warum historisch beobachtete Abläufe mit den berechneten konvergieren oder nicht. Das ist möglich, wenn nicht sämtliche Daten über die Zeit für die Schätzung verwendet werden, sondern nur ein Teil.
Weltmodelle sind zweitens geradezu ideale Laborinstrumente zur Überprüfung der dynamischen Konsequenzen eines komplexen theoretischen Aussagesystems über globale Wirkungszusammenhänge. Sobald man mehrere Faktoren und mehrere Hypothesen miteinander verknüpft, ist man nicht mehr in der Lage, simultan und über die Zeit die direkten und indirekten Auswirkungen ohne Computer auch nur annähernd zu erfassen. Die Modellierung globaler Zusammenhänge ermöglicht derartige Tests, die sicher für die Theoriebildung und damit den Erkenntnisfortschritt auf Dauer unerläßlich sein dürften. Verbale Theorien erreichen sehr schnell die Grenze der Komplexität, die gedanklich noch nachvollziehbar ist.
Damit komme ich nun zur dritten Prämisse, die Weltmodellen zugrunde liegt, zur Prämisse der Verwertbarkeit. Ursprünglich war der Glaube groß, daß Weltmodelle praktisch verwertbar sind. Wenn nicht alles täuscht, wurde darunter vor allem verstanden, daß die Ergebnisse zur Veränderung der Politik führen sollten. Dieser naive Verwertungsglaube war sicherlich überzogen. Zweifelsohne aber muß die Verwertung ein Anliegen der Weltmodellkonstruktionen bleiben, sonst würden diese einen wesentlichen Grund für ihre Existenzberechtigung verlieren. Alleine mit dem Berechnen von Zukunftsalternativen könnten sich Weltmodelle wissenschaftsintern kaum behaupten.
Dies bedeutet erstens, daß sich das Praxis-problem als Frage nach der Relevanz der Modellkonzeption stellt. Darunter ist eine Problemformulierung zu verstehen, die sich nicht ausschließlich nach wissenschaftsinternen Vorgaben richtet, sondern u. U. auch nach den Vorgaben, die aus der Realität herauszufiltern sind. Konkret bedeutet dies also nicht Theorieverzicht, sondern gegebenenfalls Theorie-umformulierung. Zweitens bedeutet dies die Annahme und Überzeugung, daß die Sozialwissenschaften — ich beschränke mich hierauf — bereits heute zu Aussagen über die Realität und mögliche Zukunftsentwicklungen bereit sein müssen. Das ist keineswegs selbstverständlich in Anbetracht der nach wie vor nicht unüblichen theoretischen Diskussion zur Praxisrelevanz der Sozialwissenschaften. Dieser Anspruch beinhaltet die Offenlegung der Modellprämissen und Strukturen, so daß diese nachvollziehbar sind. Als Konsequenz daraus muß das Problem des Transfers von derartigen Informationen für den Nichtwissenschaftler als Notwendigkeit begriffen und praktiziert werden.
Völlig offen bleibt, was die Politik mit Weltmodellen macht und machen kann. Die Notwendigkeit der Langzeitorientierung in der Politik, wie eingangs kurz erwähnt, ist zwar unbestritten, bleibt aber in der Regel im politischen Alltag auf der Strecke. Änderungen hängen von Faktoren wie politischer Durchsetzbarkeit und Machtverteilung innerhalb der Gesellschaft ab und nicht von Weltmodellen. Weltmodelle eignen sich auch nicht dazu, aus den von ihnen beschriebenen Langzeit-entwicklungen unmittelbare tagespolitische Maßnahmen abzuleiten. Eines ist aber mit Weltmodellen sicher zu erreichen, nämlich die Steigerung der Innovationsfähigkeit bezüglich der Problemerkenntnis über längerfristige Entwicklungen. Dafür sind aber große Anpassungsprozesse innerhalb von Politik und Verwaltung notwendig.
Ein amerikanischer Politikwissenschaftler hat die Theorie des „sich Durchwurstelns" zur Beschreibung und Erklärung politisch administrativen Handelns formuliert. Zur Abkehr von dieser Politik können Weltmodelle zweifelsohne beitragen, vorausgesetzt, der politische Wille ist da.
Wolf-Dieter Eberwein, PD, Dr. soz. wiss., geb. 1943; Studium der Politikwissenschaft in Berlin, Montreal und Ann Arbor; 1973— 1978 wiss. Ass. an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld; seit 1978 wiss. Mitarbeiter am Internationalen Institut für Vergleichende Gesellschaftsforschung/Globale Entwicklungen, Wissenschaftszentrum Berlin. Veröffentlichungen u. a.: Sicherheit — Zu welchem Preis? Zur Zukunft der westlichen Allianz (Hrsg. zus. mit C. M. Kelleher), München 1983; Politische Stabilität und Konflikt — Neue Ergebnisse der makroquantitativen Politikforschung, Politische Vierteljahresschrift, (1983) Sonderheft 14. Zahlreiche Aufsätze zur Kriegsursachenforschung und internationalen Krisen, zu Strukturproblemen des Auswärtigen Amtes und zur Sicherheitspolitik in in-und ausländischen Fachzeitschriften und Sammelbänden.
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